001. Kapitel – Des alten Bischof Martin irdisches Ende und seine Ankunft im Jenseits.
002. Kapitel – Bischof Martins Langeweile in seiner Vereinsamung und sein Sinnen auf Abwechslung.
003. Kapitel – Bischof Martin in Gesellschaft eines scheinbaren Kollegen. Die guten Vorschläge des Führers.
004. Kapitel – Bischof Martins Ärgernis an dem lutherischen Tempel und des Engels Entgegnung. Martins Bereitschaft zum Dienst als Schafhirte.
005. Kapitel – In der Hütte des Engels Petrus. Ein Lichtwort des Engels über Luther. Martins Anstellung als Schafhirte im Jenseits.
006. Kapitel – Bischof Martins angenehme, aber gefährliche Überraschung im neuen Dienst. Die Schafherde – eine Menge schöner Mädchen!
007. Kapitel – Bischof Martins Versuchung und seine Belehrung durch den Engel Petrus.
008. Kapitel – Bischof Martins kritisches Selbstgespräch und Sündenbekenntnis.
009. Kapitel – Weitere Geduldsprobe Bischof Martins und sein Galgenhumor.
010. Kapitel – Bischof Martin auf Abwegen. Winke des Herrn über geistige Zustände und deren Entsprechungen.
011. Kapitel – Die bedrängte Lage unseres Wanderers; sein weiteres Selbstgespräch und ärgerliches Schimpfen.
012. Kapitel – Bischof Martin auf dem toten Punkte. Aufnahme durch das ersehnte Schiff. Martins Dankrede an den Schiffsmann, der der Herr selbst ist.
013. Kapitel – Des göttlichen Schiffsmannes Worte über den Segen der Einsamkeit. Ein Beichtspiegel zur Förderung der Selbsterkenntnis.
014. Kapitel – Bischof Martins aufrichtiges Reuebekenntnis und sein guter Wille zur Buße und Umkehr.
015. Kapitel – Des göttlichen Schiffsmannes Bußpredigt an Bischof Martin.
016. Kapitel – Bischof Martins Schuldbekenntnis. Martins Entschluß, bei dem Lotsen, seinem Retter, zu bleiben. Der Engel Petrus als Dritter im Bunde.
017. Kapitel – In der Hätte des Lotsen. Das gesegnete Morgenmahl und Martins Dank. Die neue Arbeit Martins mit den Fischern.
018. Kapitel – Auf der Fischjagd.
019. Kapitel – Bischof Martins Bedenken über die vergebliche Arbeit – Petrus' gute Erwiderung unter Hinweis auf die leeren, geistlosen Verrichtungen eines römischen Bischofs.
020. Kapitel – Die geistige Entsprechung der Fischjagd. Die Zusammensetzung der Seele. Martins Entschuldigungen und des Herrn zurechtweisende Worte.
021. Kapitel – Philosophisch dumme Ausrede Bischof Martins. Ein liebfreundlicher und göttlichernster Gewissensspiegel.
022. Kapitel – Bischof Martins demütige Selbsterkenntnis und seiner Liebe Erwachen. Die verwandelte Gegend. Der Palast und sein schmutziges Inneres.
023. Kapitel – Bischof Martins erstes gutes Werk der Barmherzigkeit an den armen Neuhinübergekommenen.
024. Kapitel – Neue Arbeit Bischof Martins: Brandlöschen und Lebenretten! Aufnahme und Einkleidung der Abgebrannten.
025. Kapitel – Unterschied des Denkens dies- und jenseits. Einführung in die lebendige Entsprechungswissenschaft. Martins Tathunger und Erkenntnismüdigkeit.
026. Kapitel – Martins Bescheidenheit und Demut. Das gesegnete Liebesmahl am Tische des Herrn.
027. Kapitel – Martins merkwürdige Erfahrungen an den Aufgenommenen. Martin will belehren und wird belehrt.
028. Kapitel – Martin als blinder Rationalist in der Klemme.
029. Kapitel – Der Herr gibt sich dem blinden Martin als Jesus zu erkennen.
030. Kapitel – Zwiegespräch zwischen dem Rationalisten Martin und dem weisen Lichtmanne über die Gottheit Jesu.
031. Kapitel – Kritische Fragen Martins und die Antworten des Weisen.
032. Kapitel – Fortsetzung des Gespräches über die Gottheit Jesu.
033. Kapitel – Bischof Martin erkennt in Jesus den Herrn. Die Furcht des Sünders. Martins Belehrung.
034. Kapitel – Eine heilige Erlösungsszene: Martin an der Brust des Herrn.
035. Kapitel – Martins erster Missionsgang und seine Erfahrungen. Eine scheinbare Menagerie – „Ohne Mich vermöget ihr nichts!“
036. Kapitel – Martins zweiter Besuch in der Menagerie unter Leitung des himmlischen Meisters. Seine Bekehrungsrede. Die Rettung der Verirrten.
037. Kapitel – Das himmlische Mahl. Segnung der Neuerlösten und ihr himmlisches Heim.
038. Kapitel – Bischof Martin in seinem himmlischen Heim. Die erste Überraschung. Einrichtung des Heimes.
039. Kapitel – Bischof Martin allein im Saale seines Hauses. Die Betrachtung des Erdglobus und der übrigen Himmelskörper. Martins Langeweile.
040. Kapitel – Die zwölf kleinen Kabinette mit den verdeckten, noch ungesegneten geistigen Speisen. Die Herde der schönen Mädchen. Die schöne Merkurianerin. Die formvollendeten nackten Venusmenschen. Wichtigkeit des Segens des Herrn.
041. Kapitel – Die Herrlichkeiten des Mars. Martins geistige Ermattung und törichter Wunsch. Des Herrn Rüge.
042. Kapitel – Die Überraschungen hinter der fünften Tür. Die Wunderwelt des Jupiter.
043. Kapitel – Saturn als herrlichster aller Planeten. Die Erde als Gotteskinderschule und Schauplatz der Menschwerdung des Herrn.
044. Kapitel – Das siebente Kabinett. Vom Wesen und Zweck des Uran und seiner Geister. Die Schöpfung im Menschen und außerhalb des Menschen in ihren Wechselbeziehungen.
045. Kapitel – Die Welt des Miron, das Geheimnis des achten Kabinetts. Das Geistige als Urgrund und Träger aller Schöpfung.
046. Kapitel – Das neunte Kabinett mit seinem traurigen Geheimnis. Die zertrümmerte Welt der Asteroiden und ihre Geschichte.
047. Kapitel – Das Geheimnis der zehnten Kammer: die Sonne mit ihrer Pracht. Vom Wesen des Lichtes. Die Wunder der Sonnenwelt. Schönheit als Ausdruck innerer Vollkommenheit.
048. Kapitel – Bischof Martins weitere wunderbare Entdeckungen auf seiner Sonne. Grund der Größenverschiedenheit der Sonnenvölker. Liebe und Weisheit als die wahren Größen des Geistes. Martins Klage über die Erde und ihre Bewohner.
049. Kapitel – Eine Mondschau durch die elfte Tür. Bischof Martin und der Mondweise.
050. Kapitel – Unterschied der Wirkung des Unterrichtes von außen und von innen. Die Töpferwerkstatt.
051. Kapitel – Ein Blick durch die zwölfte Tür auf das kleinste Sonnengebiet. Martins Ahnung von der Größe und Gnade Gottes. Die Form des Menschen als bleibende, überall gleiche Grundform. Jenseitige Gefahren für den noch nicht völlig Wiedergeborenen.
052. Kapitel – Segen des Lichtes Swedenborgs. Der alte Adam in Martin. Weise Lehre des Weibes und scharfe Mahnung Borems.
053. Kapitel – Der ärgerliche Bischof Martin. Borems scharfe Mahnung und Weggang. Der einsame Martin.
054. Kapitel – Martins Selbstgespräch. Eine Kritik der Kirchen. Die Entdeckung einer Vesperecke.
055. Kapitel – Vom Hunger und Durst unreifer Geister. Martin im angeheiterten Zustand nach seinem Vespermahl. Die Ernüchterung des unternehmungslustigen Martin durch den erzürnten Jupitler.
056. Kapitel – Martins vergeblicher Versuch zu schlafen. Überraschung durch eine Schar Unglücklicher, deren sich Martin erbarmt.
057. Kapitel – Die Erquickung der Elenden. Ihr Dank und ihre Klagen über das Erlebte. Die Rede des Geretteten und Martins Antwort.
058. Kapitel – Näheres über die neue Gesellschaft von männlichen und weiblichen Dienern Roms. Ein römisch-chinesischer Missionar.
059. Kapitel – Die Werkheiligkeit der römischen Klosterschwestern. Wie die Arbeit, so der Lohn!
060. Kapitel – Martin als Friedensstifter. Die werkheiligen Torheiten der Schulschwestern und ihre jenseitigen Folgen. Martins Mahnung.
061. Kapitel – Rede der Herz-Jesu-Damen. Deren körperliche Verirrungen und geistige Torheit. Martins Belehrungsversuch und Moralpredigt.
062. Kapitel – Zwiegespräch zwischen einem Jesuiten und Bischof Martin. Belehrung einer höllenängstlichen Barmherzigen Schwester.
063. Kapitel – Martins Zwiegespräch mit zwei andern Jesuiten und zwei Liguorianern.
064. Kapitel – Ehrliches Bekenntnis des Minoriten. – Rom als Schuldträger. – Beginnende Erkenntnis und Besserung bei den Minoriten.
065. Kapitel – Bischof Martin macht die geistig-blinden Jesuiten sehend.
066. Kapitel – Die Herz- und Hauserweiterung. Des Herrn Ruf an Martin.
067. Kapitel – Veränderung des Gartens. Borem als Gärtner.
068. Kapitel – Borems belehrende Worte über den Weg zur Seligkeit.
069. Kapitel – Ein neues Wunder für Bischof Martin: Prüfungsszene der Minoriten und Jesuiten.
070. Kapitel – Zweite Szene der Jesuitenprüfung und ihre Erklärung durch Borem.
071. Kapitel – Besserung und Umkehr des einen Jesuiten. Die Rache der 29 andern Jesuitengeister.
072. Kapitel – Ein Blick in die seelische Verfassung der Herz-Jesu-Damen. Eindringlinge im Klostergarten. Angriff der rachegierigen Herz-Jesu-Damen.
073. Kapitel – Martins Bemerkungen und Borems weise Winke über die Wege der ewigen Liebe. Die brennenden Herz-Jesu-Damen.
074. Kapitel – Martins Kritik über das Wesen des Bösen. Borems belehrende Rede über die göttliche Lebensordnung. ,Gut‘ und ,Böse‘ als die beiden Gegenpole in Gott und der Schöpfung.
075. Kapitel – Martins weitere Beobachtungen an dem höllischen Zustand der Herz-Jesu-Damen. Borems entsprechende Erklärungen.
076. Kapitel – Herzloses Gebaren der Herz-Jesu-Damen gegen ihre Einlaß begehrenden Eltern. Eingreifen der zwei weißgekleideten Männer.
077. Kapitel – Posaunenstoß der zwei weißen Männer und Zusammensturz des Klosters. Die Herz-Jesu-Damen als Riesenfrösche. Aufklärende Rede an die geängsteten Eltern.
078. Kapitel – Eine dunkle Jesuitengeschichte: Der um seine Tochter betrogene Vater. Die geistige Beleuchtung der Geschichte.
079. Kapitel – Des Alten Ärgernis an Rom und an der Langmut Gottes. Gleichnisse von der Geduld des Herrn.
080. Kapitel – Gleichnis von den Weizen- und Distelsorten. Erwachen der Liebe Martins zum Herrn. Fortsetzung der Szene mit den Herz-Jesu-Damen.
081. Kapitel – Verschwinden der Frösche im Meer und das Auf-dem-Meere-Wandern der suchenden Eltern. Borems Erläuterungen.
082. Kapitel – 2. Akt des Schauspiels mit den Herz-Jesu-Damen. Der höllische Sturm auf dem Meere. Einfangen des Sturmgeschmeißes in einen Sack. Borems Erläuterung.
083. Kapitel – Martins Sehnsucht nach dem Herrn. Die Fische im Sack. Das Auslesen der Fische. Der Kelch, das Gefäß der Gnade, und andere Entsprechungen Beginn von Martins Geisteslöse.
084. Kapitel – Beginn des 3. Aktes des himmlischen Dramas. Der Gnadenkelch mit dem siedenden Wasser. Der höllische Wall.
085. Kapitel – Das Nahen der Katastrophe. Die alte Schlange, die zwölf Gerichtsengel und der Abgrund. Herrlicher Sieg und köstlicher Preis.
086. Kapitel – Der ewig eine große Held. Die herrliche Löse. Gleichnis vom Säen, Wachsen und Ernten. Die große Ernte.
087. Kapitel – Martins Bescheidenheit, geregelt durch Borems Weisheit. Martin im Festkleid. Die Erweiterung des Hauses Martins.
088. Kapitel – Begrüßung Martins durch die glückliche Gesellschaft. Martins Hinweis auf den Herrn als alleinigen Wohltäter. Das eine, was noch fehlt.
089. Kapitel – Martin und der Botaniker im Garten. Neuer Zuwachs an Elenden. Der ersehnte köstliche Lohn.
090. Kapitel – Jesus als Herr, Vater und Bruder. Gleichnis vom Fürsten und den Ministern. Ehrfurcht und Liebe.
091. Kapitel – Martins Liebesdrang beim Herrn. Aufnahme der chinesischen Märtyrer und ihre Erquickung.
092. Kapitel – Heilbad der hundert Aussätzigen. Ihre Bekleidung und ihre Dankrede. Vom Wesen Lamas. Die Frage nach Jesus und des Herrn Bescheid.
093. Kapitel – Peinliche Wiedersehensszene unter den Chinesen. Die Geschichte der Verräterin.
094. Kapitel – Schöne, echte Versöhnung zwischen Chanchah und den hundert Chinesen. Der Herr und Chanchah.
095. Kapitel – Chanchahs Verlangen, das Wesen des Herrn zu erforschen. Des Herrn Rezept. Chanchahs glühende Liebe zum Herrn.
096. Kapitel – Des Herrn Wink zum vorsichtigen Handeln bei Unreifen. Chanchahs Liebe zum Herrn im Konflikt mit Chanchahs Liebe zum Lama.
097. Kapitel – Chanchahs eifriges Forschen nach dem Namen ihres geliebten Freundes. Des Herrn Hinweis auf das beste Rezept. Unterschied zwischen Gastgeber und Gast.
098. Kapitel – Des Herrn Worte über das Wesen und Wirken Lamas. Das Baumwunder. Eine Mahnung zur Vorsicht.
099. Kapitel – Martin in Verlegenheit durch Chanchahs wißbegierige Fragen.
100. Kapitel – Des Herrn Rüge und Verhaltungswinke an Bischof Martin.
101. Kapitel – Chanchahs erneute Frage nach dem großen Lama. Martins Verlegenheit und leere Ausflüchte. Chanchahs Antwort: „O du armer Esel!“.
102. Kapitel – Borems gute Winke über den inneren Verkehr mit dem Herrn und über die Behandlung von stoischen Naturen.
103. Kapitel – Die gesegnete Frucht der Demütigung Martins.
104. Kapitel – Aussöhnung zwischen der Chinesin und Martin. Vom Beleidigen und Vergeben im chinesischen Geiste.
105. Kapitel – Das himmlische Gesetz der Liebe und seine beseligende Wirkung.
106. Kapitel – Martin in der Klemme durch die weiteren Fragen Chanchahs.
107. Kapitel – Des Herrn Belehrung an die fragelustige neue Himmelsbürgerin. Das Gleichnis vom zugebundenen Sack. Martins Beruhigung.
108. Kapitel – Gleichnis von der klugen Erziehung der Kinder.
109. Kapitel – Der Chinesin Kernfrage und des Herrn sehr kritische Gegenfrage. Geschichte der Morgen- und Abendblume.
110. Kapitel – Zurüstungen zu einem himmlischen Fest. Martins erste Reise mit der Himmelspost.
111. Kapitel – Des Herrn Gegengleichnis: die zwei Menschenpflanzen im Garten der Liebe Gottes. Gottes Menschwerdung.
112. Kapitel – Satan als Ungeheuer im Saal. Das stärkende Mahl. Gella erkennt den Herrn.
113. Kapitel – Der vorlaute Martin in der Wäsche – „Wer der Erste sein will, der sei aller Diener!“
114. Kapitel – Vom formwechselnden Wesen Satans. Ein Wink über den Charakter Martins. Der Neulinge Ahnung von der Nähe des Herrn. Chanchahs demütiges Schuldbekenntnis.
115. Kapitel – Ergreifende Versöhnung zwischen dem Jesuiten Chorel und Chanchah. Des Herrn Freude über Chanchahs Liebe.
116. Kapitel – Eine Szene mit Satan zur Belehrung der Gotteskinder. Martins Wortgefecht mit Satan. Martin in der Enge. Des Herrn Rat.
117. Kapitel – Martins Versuchung durch Satan in der verführerischen Gestalt der Satana.
118. Kapitel – Aufrichtung und Belehrung des gefallenen Martin durch Borem. Des Herrn Ermahnungen an Martin. Unzertrennlichkeit von Besitz und Besitzer im Himmel.
119. Kapitel – Des Herrn Zwiegespräch mit Satan. Satans böswilliger Trotz. Des Herrn Gleichnis vom Erzgießer. Der gerettete Anhang Satans.
120. Kapitel – Chanchahs Erwachen aus ihrem traumähnlichen Zustande. Des Herrn Erklärungen über die großen Vorgänge und über Sich Selbst.
121. Kapitel – Chanchahs übergroße Seligkeit und Liebe zum erkannten Lama. Liebe und Weisheit. Der Herr als Vater und Bruder.
122. Kapitel – Eine himmlische Liebeserklärung. Der Sieg der Liebe. Gellas Freude über Chanchah.
123. Kapitel – Geistiges Erwachen der andern Chinesen und der Mönche. Die eifersüchtigen Nonnen und ihre Demütigung.
124. Kapitel – Seelenheilwinke. Geistige Naturheilmethode. Krisen der Chinesengeister. Vom Wesen der Eifersucht.
125. Kapitel – Borem und die herzkranken Nonnen.
126. Kapitel – Geläster des badenden Drachenanhanges. Des Herrn beruhigende und belehrende Worte.
127. Kapitel – An der verschlossenen Sonnentür. Verhältnis des Lichtes zur Tätigkeit. Verhaltungswinke für die Sphäre der Weisheit.
128. Kapitel – Auf der lichtquellenden Sonne. Der Herr als der Letzte. Martin als Reiseführer.
129. Kapitel – Martins Begegnung mit Petrus und Johannes. Vom Wesen der Liebe und der Weisheit bei den Sonnenmenschen.
130. Kapitel – Einige Prüfungsfragen des Johannes an Martin. Von der Fürbitte der Heiligen und der Sorge um die Verwandten.
131. Kapitel – Niederstieg in ein Sonnental. Das Schauen der Geister. Bedingungen des schnellen oder langsamen Reisens im Geisterreiche.
132. Kapitel – Vom Allgegenwärtig-Sein und vom Gleichzeitig-Wirken der vollkommenen Himmelsbürger. Martins Einwände und ihre Widerlegung durch Johannes.
133. Kapitel – Martins Gedanken über die Allgegenwart Gottes.
134. Kapitel – Johannes Antwort auf Chorels Frage, ob die Bewohner der Himmel die Erde und ihre fernere Geschichte betrachten können.
135. Kapitel – Herrlichkeiten der Sonnenwelt und ihrer Bewohner. Martins Bangigkeit vor der Weisheit der Sonnenmenschen und des Johannes Verhaltungswinke.
136. Kapitel – Der verzückte Bischof Martin und die drei schönen Sonnenjungfrauen.
137. Kapitel – Martin im Examenskampf mit den drei Sonnentöchtern. Zwischen Weisheit und Liebe.
138. Kapitel – Martins Begründung für die Ablehnung des Weisheitspreises. Der Sonnentöchter weisheitstiefe Entgegnung.
139. Kapitel – Martin in der Weisheitsklemme. Des Petrus ermutigender Zuspruch. Martins gute Erwiderung.
140. Kapitel – Bitte der drei Sonnentöchter an Martin, sie Gott lieben zu lehren. Martins kritische Zentralfrage. Die liebeentbrannten Sonnentöchter an der Brust Martins.
141. Kapitel – Drohende Haltung der drei Sonnenmänner. Martins kräftige Entgegnung. Gehorsam der drei Sonnenmänner auf Anraten ihrer Geister.
142. Kapitel – Neugierde der zwanzig eitlen Nonnen. Heilsame Demütigung durch die enthüllte Schönheit der drei Sonnentöchter.
143. Kapitel – Mitleid der drei Sonnentöchter mit den ohnmächtig gewordenen Nonnen. Deren Belebung durch den Herrn. Johannes' und Martins Gespräch mit den Sonnentöchtern über den Herrn.
144. Kapitel – Chanchahs und Gellas Staunen ob der Schönheit der drei Sonnentöchter. Des Herrn Lob an Martin als Menschenfischer. Vom Zukommenlassen und Ergreifen der Gnade.
145. Kapitel – Der Herr und die drei liebereifen Sonnentöchter.
146. Kapitel – Schwierige Bedingungen zur Erreichung der Gotteskindschaft auf der Erde.
147. Kapitel – Absprechende Kritik der drei Schönen über die entbehrungsreiche Gotteskindschaft auf der Erde.
148. Kapitel – Fortsetzung der kritischen Weisheitsrede der drei Sonnentöchter.
149. Kapitel – Niederschlagende Wirkung der Weisheit der drei Sonnentöchter auf Martins Siegesgewißheit.
150. Kapitel – Des Herrn liebweise Verhaltungsregeln an Martin. Winke über die inneren Vorgänge bei den drei Schönen. Martins Ärger und des Herrn beruhigende Worte.
151. Kapitel – Frage der drei Schönen an den Herrn, warum Er und die Seinen nicht in ihre Wohnungen gekommen sind. Des Herrn weise Antwort.
152. Kapitel – Demütigende Wirkung der Körperschönheit der drei Sonnenmädchen auf die andern Weiber. Martins Donnerrede und des Herrn Rat an die verärgerten Weiber.
153. Kapitel – Beruhigende Rede der drei Sonnenkinder. Martin in neuer Versuchung. Die Erdenweiber mit den Sonnenweibern in Harmonie. Des Herrn Anordnung zum Zug in die Wohnungen der Sonnentöchter.
154. Kapitel – Von der wahren Weisheit und der Scheinweisheit der Sonnenweisen. Das Gesetz der Blutschande unter den Sonnenbewohnern, ein Kunstgriff Satans! Vom Zweck des Kommens des Herrn.
155. Kapitel – Chanchahs weise Rede. Böse Gesetze und wahre Gesetze. Ohne Kampf kein Sieg. Warum der Herr zu den Sonnentöchtern jetzt erst kommt.
156. Kapitel – Der Sonnentöchter gute Ahnung vom Wesen des Herrn. Ankunft im Palast der Sonnenbewohner. Chanchahs und Gellas bewundernde Worte.
157. Kapitel – Chanchahs ernste Bedenken angesichts der Pracht. Von der liebe flammenden Pracht des Herzens. Allerlei Widersprüche.
158. Kapitel – Martins blinder Eifer gegen den Zeremoniendienst der Sonnenbewohner. Des Herrn weise Toleranzrede. Martins Gespräch mit Petrus über die Rüttler vom Herrn.
159. Kapitel – Musikalisches von der Sonnenwelt. Petrus' ernste Mahnung an Martin, seine Sinnlichkeit zu überwinden.
160. Kapitel – Martins Niedergeschlagenheit und Verzweiflung. Des Petrus Zuspruch und Mahnung.
161. Kapitel – Martins leichter Sieg im Weisheitszwiegespräch mit dem dummstolzen Sonnentempelältesten.
162. Kapitel – Vom wahren Glauben und von der Geistesfreiheit. Das geistige Erwachen des Ältesten.
163. Kapitel – Petrus' Auskunft über die angekommene Gesellschaft und ihren Besuchszweck. Des Weisen Bedenken über die Sichtbarkeit Gottes.
164. Kapitel – Logische Darlegungen des Petrus und Behebung der Zweifel des Sonnenältesten hinsichtlich des sichtbar anwesenden Herrn.
165. Kapitel – Johannes im Zwiegespräch mit dem Sonnenweisen. Das Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf.
166. Kapitel – Einswerdung des Menschen mit Gott. Beispiel vom Meer und den Wassertropfen. Schwerfälligkeit der Verstandesweisheit gegenüber der Herzensweisheit.
167. Kapitel – Der Herr und Uhron, der Sonnenweise. Uhrons Bekehrung und gute Antwort. Martins anerkennende Worte über Uhrons Rede.
168. Kapitel – Wirkung von Uhrons Bekehrung auf dessen Hausbewohner. Der Eintritt ins Sonnenhaus.
169. Kapitel – Uhrons gute Empfangsrede. Des Herrn gnadenreiche Kundgabe an Uhron. Berufung der Sonnenmenschen zur Gotteskindschaft. Ein trauriges Zeugnis über die Erdenmenschen.
170. Kapitel – Zusammenströmen der Völker der Sonnengemeinde. Predigtauftrag an Martin und seine ängstlichen Bedenken. Der herrliche Gesang und seine Wirkung auf Martin.
171. Kapitel – Der Herrn Verhaltungswinke an Martin. Von der Zornkur. Wie Satan zu behandeln ist. Martins Vorsicht vor Beginn der Predigt. Des Feindes gewaltige Drohungen. Martins beruhigende Worte an die geängstigte Menge. Des Herrn tröstliche Worte.
172. Kapitel – Martins Predigt an die Versammlung der Sonnenmenschen. Kreuzleben auf Erden als Bedingung der Gotteskindschaft.
173. Kapitel – Fortsetzung der Predigt Bischof Martins. Unterschied der Lebensverhältnisse auf der Sonne und der Erde.
174. Kapitel – Erregender Eindruck der Predigt Martins auf die Sonnenmenschen. Zwiesprache zwischen Uhron und Martin.
175. Kapitel – Schluß der Predigt Martins und ein Wink über deren Zweck. Die Bedingungen zur Gotteskindschaft. Des Weisen Dank- und Anerkennungsrede.
176. Kapitel – Die steigende feindliche Flut – Petrus' stärkende Worte an alle. – Seine bedeutsame Frage an die Sonnenmenschen: „Wollet ihr Kinder Gottes werden oder nicht?“. Uhrons Antwort.
177. Kapitel – Nochmalige Klarstellung der Gotteskindschaftsfrage durch Petrus. Seine Kritik betreffs der Blutschande der Sonnenmenschen.
178. Kapitel – Petrus' Vorschlag zum Danken und Bitten. Uhrons bedeutsame Ablehnung des Bittgebetes zu Gott.
179. Kapitel – Petrus als Lehrer im Beten des Vaterunsers. Warum das Bitten über dem Danken steht. Petrus' gewichtige Frage an Uhron im Auftrage des Herrn.
180. Kapitel – Des Sonnenweisen bejahende Antwort an Petrus. Seine Kritik an den Verheißungen des Herrn.
181. Kapitel – Des Johannes Rede über die geistige Bedeutung der Verheißungen des Herrn. Das prophetische Bild von dem neuen Haus und der neuen Stadt als neue Verheißung des Herrn. Ablehnung durch Uhron als kopf- und herzlose Faselei.
182. Kapitel – Erklärung des prophetischen Bildes durch Johannes. Erwachendes Verständnis und Vertrauen des Sonnenweisen.
183. Kapitel – Der Sonnenmenschen Empfangsgruß an den Herrn. Dessen Rede an die Sonnenweisen. Demut, das Mittel zur Erlösung vom Geschöpflichen. Sanfte Last der neuen Lebensregeln.
184. Kapitel – Des Weisen gute Antwort.
185. Kapitel – Des Weisen Freuden- und Dankrede. Die überschwemmten Fruchtgärten. Vertreibung Satanas durch Petrus und Martin.
186. Kapitel – Der Kinder reine Freude ist auch des Himmelsvaters Freude. Ein heiliges Liebes- und Gottesgeheimnis. Von der kindlichen Einfalt.
187. Kapitel – Liebesmahl des Herrn bei den Sonnenmenschen. Wo der rechte Platz des Herrn ist.
188. Kapitel – Vom ewigen Segen an des Herrn Tisch. Plötzliche geistleibliche Verwandlung der drei Sonnentöchter. Wink über die Macht der Liebe und ihre Wunder.
189. Kapitel – Martins menschlicher Vorschlag zum Unschädlichmachen Satans. Des Herrn Wink über die Zulassung der bösen Werke Satans. Martins Vollmacht, Satan zu bannen.
190. Kapitel – Martin mit seinen himmlischen Begleitern am Ort der Verwüstung. Der von Martin gerichtete Satan. Martins Mitleid mit dem weinenden Satan und des letzteren Befreiung.
191. Kapitel – Berufung Satans durch Martin. – Satans Rechtfertigungsversuch.
192. Kapitel – Martins kluge Gegenrede an Satan. Satans Größenwahnerwiderungen auf Martins Vorschläge.
193. Kapitel – Martins weitere gute Vorschläge zu Satans Heil. Dessen weitere Einwände. Die Schöpfungsordnung vor und nach der Menschwerdung des Herrn.
194. Kapitel – Martins nochmaliger Versuch, Satan das Verkehrte seines Starrsinns klarzumachen.
195. Kapitel – Satans Antwort an Martin, dem er Hoffart vorwirft.
196. Kapitel – Martin, Johannes und Satan. Martins Ehrlichkeit und des Johannes Weisheit und Entschiedenheit. Satans Widerspruchsgeist und Tadel an Johannes. Des Johannes Antwort.
197. Kapitel – Satans Wut. Martins Furcht und des Johannes Ruhe und Klarheit. Der Kinder Gottes Unabhängigkeit von Satan.
198. Kapitel – Wortkampf zwischen Johannes und Satan über Gottes Allgegenwart und die Entstehung des Bösen. Satan in seiner Art ein Triumph des Schöpfers. Johannes' Beweis der wirklichen Erlösung vom Übel.
199. Kapitel – Johannes' Aufforderung an Satan, weitere Fragen zu stellen. Satans Größenwahn und hochmütige Antwort. Johannes' Befehl an Satan, die Sonne zu verlassen. Satans Bitte um Nachsicht.
200. Kapitel – Satan in Widersprüche verwickelt. Satan, der Verderber und Versucher. Neuer Friedenskontrakt zwischen Johannes und Satan.
201. Kapitel – Selige Heimkehr ins Haus Shonels. Des Herrn lobende, besonders an Martin gerichtete Empfangsrede. Seine große trostreiche Verheißung: Vom Gerichte zum Heil!
202. Kapitel – Der Überwinder Lohn. Himmlische Ehe als höchste Vollendung der göttlichen Ordnung. Vom Wesen des Weibes. Martins gute Wahl und Hingabe in des Herrn Willen. Ein Wink über die himmlische Ehe. Martins himmlische Mission als Vollendeter.
203. Kapitel – Martins, des neuen Schutzengels, Rede an seine Sonnengemeinde. Uhrons gute Erwiderung an Martin. Seine Bitte an den Herrn und dessen Amen.
204. Kapitel – Heimkehr der himmlischen Gesellschaft. Ein Werk der Barmherzigkeit. Besuch der Galerien des Hauses Martins. Der Weg zur Stadt Gottes. Herrliche Begegnung und Begrüßung.
01. Ein Bischof, der auf seine Würde große Stücke hielt und ebensoviel auf seine Satzungen, ward zum letzten Male krank.
02. Er, der selbst noch als ein untergebener Priester des Himmels Freuden mit den wunderlichsten Farben ausmalte – er, der sich gar oft völlig erschöpfte in der Darstellung der Wonne und Seligkeit im Reiche der Engel, daneben aber freilich auch die Hölle und das leidige Fegefeuer nicht vergaß, hatte nun – als selbst schon beinahe achtzigjähriger Greis – noch immer keinen Wunsch, von seinem oft gepriesenen Himmel Besitz zu nehmen; ihm wären noch tausend Jahre Erdenleben lieber gewesen als ein zukünftiger Himmel mit allen seinen Wonnen und Seligkeiten.
03. Daher denn unser erkrankter Bischof auch alles anwandte, um nur wieder irdisch gesund zu werden. Die besten Ärzte mußten stets um ihn sein; in allen Kirchen seiner Diözese mußten Kraftmessen gelesen werden; alle seine Schafe wurden aufgefordert, für seine Erhaltung zu beten und für ihn fromme Gelübde gegen Gewinnung eines vollkommenen Ablasses zu machen und auch zu halten. In seinem Krankengemach ward ein Altar aufgerichtet, bei dem vormittags drei Messen zur Wiedergewinnung der Gesundheit mußten gelesen werden; nachmittags aber mußten bei stets ausgesetztem Sanktissimum die drei frömmsten Mönche in einem fort das Breviarium beten.
04. Er selbst rief zu öfteren Malen aus: „O Herr, erbarme Dich meiner! Heilige Maria, du liebe Mutter, hilf mir, erbarme dich meiner fürstbischöflichen Würden und Gnaden, die ich trage zu deiner Ehre und zur Ehre deines Sohnes! O verlasse deinen getreuesten Diener nicht, du alleinige Helferin aus jeder Not, du einzige Stütze aller Leidenden!“
05. Aber es half alles nichts; unser Mann verfiel in einen recht tiefen Schlaf, aus dem er diesseits nicht mehr erwachte.
06. Was auf Erden mit dem Leichnam eines Bischofs alles für ‚hochwichtige‘ Zeremonien geschehen, das wisset ihr, und wir brauchen uns dabei nicht länger aufzuhalten; dafür wollen wir sogleich in der Geisterwelt uns umsehen, was unser Mann dort beginnen wird!
07. Seht, da sind wir schon – und seht, da liegt auch noch unser Mann auf seinem Lager; denn solange noch eine Wärme im Herzen ist, löst der Engel die Seele nicht vom Leibe. Diese Wärme ist der Nervengeist, der zuvor von der Seele ganz aufgenommen werden muß, bis die volle Löse vorgenommen werden kann.
08. Aber nun hat dieses Mannes Seele schon völlig den Nervengeist in sich aufgenommen, und der Engel löst sie soeben vom Leibe mit den Worten: „Epheta“, d.h. „Tue dich auf, du Seele; du Staub aber sinke zurück in deine Verwesung zur Löse durch das Reich der Würmer und des Moders. Amen.“
09. Nun seht, schon erhebt sich unser Bischof, ganz wie er gelebt hatte, in seinem vollen Bischofsornate und öffnet die Augen. Er schaut erstaunt um sich und sieht außer sich niemanden, auch den Engel nicht, der ihn geweckt hat. Die Gegend ist nur in sehr mattem Lichte gleich einer ziemlich späten Abenddämmerung, und der Boden gleicht dürrem Alpenmoose.
10. Unser Mann erstaunt nicht wenig über diese sonderbare Bescherung und spricht nun zu sich: „Was ist denn das? Wo bin ich denn? Lebe ich noch oder bin ich gestorben? Denn ich war wohl sehr krank und es kann leicht möglich sein, daß ich mich nun schon unter den Abgeschiedenen befinde! – Ja, ja, um Gotteswillen, es wird schon so sein! – O heilige Maria, heiliger Joseph, heilige Anna, ihr meine drei mächtigsten Stützen: kommet und helft mir in das Reich der Himmel!“
11. Er harrt eine Zeitlang, sorglich um sich spähend, von welcher Seite die drei kommen würden; aber sie kommen nicht.
12. Er wiederholt den Ruf kräftiger und harrt; aber es kommt immer noch niemand!
13. Noch kräftiger wird derselbe Ruf zum drittenmal wiederholt, – aber auch diesmal vergeblich!
14. Darob wird unserem Manne überaus bange. Er fängt an, etwas zu verzweifeln und spricht in seiner stets verzweifelter werdenden Lage: „Oh, um Gotteswillen, Herr, steh mir bei! (Das ist aber nur sein angewöhntes Sprichwort.) – Was ist denn das? Dreimal habe ich gerufen, – und umsonst!
15. Bin ich denn verdammt? Das kann nicht sein, denn ich sehe kein Feuer und keine Gottstehunsbei!
16. Hahahaaaaa (zitternd) – es ist wahrhaft schrecklich! – So allein! O Gott, wenn jetzt so ein Gottstehunsbei herkäme, und ich – keinen Weihbrunn, dreimal consekriert, kein Kruzifix, – was werde ich tun?!
17. Und auf einen Bischof soll der Gottstehunsbei eine ganz besondere Passion haben! – Oh, oh, oh (bebend vor Angst), das ist ja eine ganz verzweifelte Geschichte! Ich glaube gar, es stellt sich bei mir schon Heulen und Zähneklappern ein?
18. Ich werde mein Bischofsgewand ablegen, da wird Gottstehunsbei mich nicht erkennen! Aber damit hätte Gottstehunsbei vielleicht noch mehr Gewalt über unsereinen?! – O weh, o weh, was ist der Tod doch für ein schreckliches Ding!
19. Ja, wenn ich nur ganz tot wäre, da hätte ich auch keine Furcht; aber eben dieses Lebendigsein nach dem Tode, das ist es! O Gott, steh mir bei!
20. Was etwa geschähe, so ich mich weiterbegäbe? Nein, nein, ich bleibe! Denn was hier ist, das weiß ich nun aus der kurzen Erfahrung; welche Folgen aber nur ein rätselhafter Tritt weiter vor- oder rückwärts hätte, das wird allein Gott wissen! Daher will ich in Gottes Namen und im Namen der seligsten Jungfrau Maria lieber bis auf den Jüngsten Tag hier verharren, als mich nur um ein Haarbreit vor- oder rückwärts bewegen!“
01. Nachdem unser Mann die Zeit von einigen Stunden da mauerfest gestanden war und sich dabei nichts ereignet und in seiner Nähe verändert hatte, ihm aber entsprechend die Zeit (denn auch in der naturmäßigen Sphäre der Geisterwelt gibt es eine Erscheinlichkeit gleich der irdischen Zeit) ganz verzweifelt lang geworden war, fing er wieder an, mit sich zu phantasieren:
02. „Sonderbar, nun stehe ich da wenigstens eine halbe Ewigkeit auf ein- und demselben Fleck, und es bleibt alles völlig beim alten! Nichts rührt sich! kein Moos, kein Haar auf meinem Haupte, auch mein Gewand nicht! Was wird da am Ende herauskommen?
03. Bin ich vielleicht gar dazu verdammt, ewig hier zu bleiben? – Ewig? Nein, nein, das kann nicht sein, denn da wäre das schon eine Hölle! Und wäre das hier der Fall, müßte ja auch schon die schreckliche Höllenuhr mit ihrem allerschrecklichsten Pendel zu erschauen sein, der da bei jeder Schwingung den Ruf tut: ,Immer!‘ – oh, erschrecklich! –, dann wieder: ,Nimmer!‘ – ooh, noch erschrecklicher!
04. Gott sei Dank, daß ich nur dies Schreckenszeichen der Ewigkeit nicht sehe! Oder wird das erst nach dem Jüngsten Tage ersichtlich! Wird etwa schon bald das Zeichen des Menschensohnes am Firmamente zum Vorscheine kommen? Wie viele Millionen Jahre stehe ich denn schon hier? Wie lange werde ich etwa noch stehen müssen, bis der erschrecklichste Jüngste Tag kommen wird?!
05. Wahrlich kurios: Auf der Welt läßt sich nichts sehen, was da in Bälde auf den Jüngsten Tag irgendeinen Bezug hätte; aber hier in der Geisterwelt sieht es noch endlos stummer aus! Denn da werden tausend Jahre gleich einem völlig stummen Augenblicke, und eine Million tut einen ebenso geringen Bescheid! Wenn ich nicht so festen Glaubens wäre, möchte ich beinahe an dem einstigen Eintreffen des Jüngsten Tages zu zweifeln anfangen, wie überhaupt an der Echtheit des ganzen Evangeliums!
06. Denn es ist doch kurios, alle die Propheten, die darin vorkommen, haben eine frappante Einstimmigkeit mit den delphischen Orakelsprüchen! Man kann aus ihnen machen, was man will: sie lassen sich mit einigen exegetischen Drehungen auf alles anwenden und niemand kann dabei klar sagen: ,Auf dies alleinige Faktum beziehen sie sich!‘ Kurz, sie passen im Grunde alle für den Steiß so gut wie fürs Gesicht! – Und der Heilige Geist, der im Evangelium soll verborgen stecken, muß gar ein seltenster Vogel sein, weil er sich seit den alten Apostelzeiten nimmer irgendwo hat blicken lassen, außer im albernen Gehirn einiger protestantisch-ketzerischer Schwärmer à la Tausendundeine Nacht!
07. Ich habe zwar noch immer einen sehr festen Glauben, aber ob er unter diesen Umständen noch länger fest bleiben wird, dafür könnte ich wahrlich nicht gutstehen!
08. Auch mit der in meiner Kirche überaus vielgepriesenen Maria, wie mit der ganzen Heiligen Litanei scheint es seine sonderbaren Wege zu haben! Wäre irgend etwas an der Maria, so hätte sie mich doch schon lange erhören müssen; denn von meinem Absterben bis zum gegenwärtigen Augenblicke sind nach meinem peinlichen Gefühl etwa ein paar Millionen Erdjahre verstrichen; von der Mutter Gottes, wie von ihrem Sohne, noch von irgendeinem andern Heiligen ist aber auch nicht die leiseste Spur zu entdecken. Das sind wahrlich Helfer in der Not, wie man sich keine besseren wünschen könnte! – Sage zwei Millionen Jahre komplett – und von allen keine Spur!
09. Wenn ich nur keinen so festen Glauben hätte, da stünde ich schon lange nicht mehr auf diesem überaus langweiligen Fleck; nur mein dümmster Glaube hält mich! Aber lange wird er mich nicht mehr halten! Sollte ich etwa noch einige Millionen Jahre länger hier hocken wie ein Buschklepper und nach Ablauf solch einer schauderhaft langen Zeit ebensowenig erreichen wie bisher? Da wäre ich ein Narr! Ist's denn nicht genug, daß ich auf der Erde einen Narren gespielt habe für nichts und wieder nichts? Daher werde ich mit dieser fruchtlosen Komödie hier bald ein Ende machen!
10. Auf der Welt wurde ich für die Dummheit doch ehrlich bezahlt und es lohnte sich dort, einen Narren zu machen; aber da an der Sache, wie nun meine millionenjährige Erfahrung es zeigt, nichts ist, werde ich mich sehr bald von all der Narrheit ganz gehorsamst empfehlen!“ –
11. Seht, jetzt wird er bald diese Stelle verlassen, nachdem ihm der Engel die etlichen Stunden seines Hierseins in ein Millionen Jahre dauerndes Gefühl umgewandelt hatte. – Noch steht unser Mann mauerfest auf dem Punkte und schaut etwas schüchtern umher, um sich gleichsam einen Weg auszusuchen, den er fortwandeln möchte. Nun fixiert er gegen Abend einen Punkt, wo es ihm vorkommt, als bewege sich dort etwas. Er wird darum auch sichtlich verlegen und spricht wieder bei sich:
12. „Was sehe ich denn dort in einiger Ferne nun zum erstenmal seit einigen Millionen Jahren meines entsetzlich langweiligen Hierseins? Die Geschichte verursacht mir eine große Bangigkeit, denn es kommt mir vor, als wäre das etwa doch irgendeine leise Vorbereitung zu einem Gerichte!
13. Soll ich's wagen, mich dahin zu begeben? Am Ende ist das mein Untergang für ewig? Vielleicht aber doch auch eine endliche Erlösung?!
14. Nun ist schon alles ein Gottstehunsbei; denn wer wie ich Millionen von Erdenjahren auf einen Punkt gebannt zugebracht hat, dem ist es schon völlig einerlei, was da noch weiter mit ihm geschehen dürfte! Was Ärgeres wohl kann einem ehrlichen Menschen noch obendarauf geschehen, als über alle Bildsäulen hinaus dauernd Millionen Jahre – im echten Sinne des Wortes auf einen Punkt gebannt – so ganz eigentlich verdammt zu sein?!
15. Daher, wie die Bergleute auf der Erde sagen, wenn sie in einen Stollen fahren, sage ich nun auch: Glück auf! Hol's der Kuckuck; ich probier' es einmal! Mehr als ewig tot werden kann ich nicht! Und wahrlich, das könnte mir nur höchst erwünscht sein; denn so ein Leben fortleben, wie nun dies meinige – Millionen Jahre auf einem Flecke! – kein Fixstern würde es aushalten! Da ist ein ewiges Nichtsein ja ein endloser Gewinn dagegen!
16. Daher keinen Augenblick mehr gezaudert! Geht's wohin's will! Es ist nun ein – nein, das sag' ich doch noch nicht gerade heraus; denn hier ist noch eine starke Terra incognita für mich! Daher nur bescheiden, solange man nicht weiß, worauf so ganz eigentlich die Füße stehen!
17. Die Geschichte dort rührt sich immer mehr; es ist wie ein Bäumchen, das vom Winde beunruhigt wird! – Nur Mut, meine des Gehens freilich schon überlange entwöhnten Füße! Wir wollen einmal sehen, ob es sich mit dem Gehen noch tun wird!
18. Zwar hab' ich auf der Welt einmal gehört – soviel ich mich entsinnen kann –, ein Geist dürfte eigentlich nur denken, so wäre er auch schon dort, wo er sein wollte. Aber eben mit der Geisterschaft meiner Person scheint es seine krummen Wege zu haben! Denn ich besitze Füße, Hände, Kopf, Augen, Nase, Mund – kurz alles, was ich auf der Erde gehabt habe, – Magen auch; aber der hat schon lange einen wahren Kardinalfasttag! Denn gäbe es um mich her nicht ein reichliches Moos mit viel Tau darauf, wäre ich wohl schon lange zu einem Atom eingeschrumpft! Vielleicht gibt es dort auch für den Magen irgend etwas Besseres?!
19. Noch einmal: Glück auf! Eine Veränderung, wenn sonst nichts; diese kann auf keinen Fall schlechter sein als mein jetziger Zustand. Denn wer Millionen Jahre auf einem Flecke steht, der wird sich doch etwa mit einem wahren Millionzustande rühmen können?! – Also, in Gott's Namen!“
01. Seht, nun setzt unser Mann seine Füße in Bewegung und geht behutsam und prüfenden Schrittes seinem sich stets mehr bewegenden Gegenstande zu!
02. Nach wenigen Schritten auch schon ganz wohlbehalten dort, staunt er nicht wenig, unter dem Baume auch einen Mann seinesgleichen zu finden, nämlich auch einen Bischof in optima forma, – freilich nur der Erscheinlichkeit nach; denn in Wirklichkeit ist das der Engel, der stets unsichtbar unserem Manne zur Seite war. Der Engel selbst aber ist der selige Geist Petri.
03. Höret nun, wie unser Mann seinen vermeintlichen Kollegen anredet und sich weiterhin mit ihm bespricht! So beginnt er:
04. „Seh ich recht oder ist es bloß ein Augentrug? Ein Kollege, ein Mitarbeiter im Weinberge des Herrn?! Welch eine endlose Freude, nach Millionen Jahren endlich wieder einmal einen Menschen, und einen Kollegen noch dazu, in dieser Wüste aller Wüsten zu finden!
05. Ich grüße dich, lieber Bruder! Sage, wie bist denn du hierher gekommen? Hast du etwa auch schon mein Alter in dieser schönen Geisterwelt erreicht? Weißt, so zirka fünf Millionen Jahre auf einem und demselben Flecke, – fünf Millionen Jahre!“
06. Der Engel als vermeintlicher Bischofskollege spricht: „Ich bin fürs erste dir ein Bruder im Herrn und natürlich auch ein alter Arbeiter in Seinem Weinberge. Was aber mein Alter betrifft, da bin ich der Zeit und dem Wirken nach älter, aber der Einbildung nach viel jünger als du.
07. Denn siehe, fünf Millionen Jahre der Erde sind ein ganz respektabler Zeitraum für einen geschaffenen Geist, – obschon vor Gott kaum etwas, indem Sein Sein weder durch die Zeitenfolge noch durch Raumesausdehnungen bemessen wird, sondern in allem ewig und unendlich ist!
08. Du bist daher in einer großen Irre als Neuling in der endlosen Welt der Geister. Denn wärest du fünf Millionen Jahre hier, dann hättest du schon lange ein anderes Kleid, indem in dieser Zeit der Erde Berge schon lange werden geebnet und ihre Täler ausgefüllt, ihre Meere, Seen, Flüsse und Moräste ausgetrocknet sein. Und auf der Erde wird auch eine ganz neue Schöpfung bestehen, von der nun noch nicht einmal der leiseste Keim in die Furchen gelegt ist!
09. Auf daß du, lieber Bruder, es aber selbst merkst, daß dein vermeintliches Alter bloß eine in dir selbst hervorgelockte Phantasie ist, als Entwicklung zugelassen aus dir selbst entstammte nach deinen eigenen Begriffen von Zeit und Raum, die bei dir stark mit der Hölle eingesalzen sind – so siehe dich um und du wirst noch deinen erst vor drei Stunden abgeschiedenen Leichnam entdecken!“
10. Seht, unser Mann kehrt sich nun schnell nach rückwärts und entdeckt wirklich seinen Leichnam noch auf dem dazu in der Domkirche eigens errichteten Paradebette, darum eine zahllose Menge Kerzen und eine noch größere Menge müßiger und neugieriger Menschen, die dasselbe umstehen. – Als er solchen Schauspiels ansichtig ward, da wurde er sehr ärgerlich und sprach:
11. (Der Bischof:) „Liebster Bruder, was soll ich da tun? Ach, welch ein gräßlicher Unsinn! Mir werden vor der entsetzlichsten Langeweile Minuten zu Ewigkeiten, und doch bin ich es ja, der diesen Leib bewohnt hat! Ich weiß mir vor Hunger und Lichtmangel kaum zu helfen, und diese Narren vergöttern meinen Fleischrock! Hätte ich nun als Geist denn nicht Kraft dazu, diesen Plunder klein zu zerreißen und wie Spreu untereinander zu werfen? – O ihr dummen Gottstehunsbei! Was wollt ihr denn hier dem stinkenden Dreck für eine Wohltat erweisen?!“
12. Der Engel spricht: „Kehre dich wieder zu mir und ärgere dich nicht; tatest du doch dasselbe, als du noch der äußeren Naturwelt angehörtest! Lassen wir das Tote den Toten begraben; du aber wende dich von all dem ab und folge mir, so wirst du zum Leben gelangen!“
13. Der Bischof fragt: „Wohin aber soll ich dir folgen? Bist du etwa gar mein Namenspatron, der hl. Bonifazius, daß du dich nun so sehr um mein Heil zu kümmern scheinst?“
14. Spricht der Engel: „Ich sage in des Herrn Jesu Namen: du sollst mir zu Jesus folgen! Der ist der rechte Bonifazius aller Menschen; aber mit deinem Bonifazius ist es nichts, und ich bin es schon ganz und gar nicht, wofür du mich anzusehen scheinst, – sondern ein ganz anderer!
15. Folge mir aber, d.h. tue, was ich dir nun sagen werde, so wirst du fürs erste alles fassen, was dir bis jetzt begegnet ist, und wie, durch was und warum. Fürs zweite wirst du dich sogleich auf einem besseren Grunde befinden; und endlich fürs dritte wirst du eben daselbst den Herrn quo-ad personam kennenlernen, durch Ihn den Weg in die Himmel, und danebenher auch mich, deinen Bruder!“
16. Spricht der Bischof: „Rede, rede, ich möchte schon lieber fliegen als gehen von diesem langweiligsten Orte!“
17. Spricht der Engel: „So höre! Lege sogleich dein lächerliches Gewand ab und ziehe da diesen gemeinen Bauernrock an!“
18. Spricht der Bischof: „Nur her damit; hier vertausche ich dies langweilige Kleid gerne mit dem gemeinsten Fetzen!“
19. Spricht weiter der Engel: „Gut – sieh, schon bist du im Bauernrocke; nun folge mir!“
01. Sie gehen nun weiter, mehr gegen Mittag gewendet, und kommen zu einem ganz gewöhnlichen Bauernhof, vor dem ein leicht erkennbarer kleiner lutherischer Tempel steht. Als der Bischof dieses größten Dornes in seinen Augen ansichtig wird, bleibt er stehen, um ein Kreuz ums andere über seine stark kahle Stirne zu schlagen und sich an die Brust mit geballter Faust unter steter Begleitung des Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa zu schlagen.
02. Der Engel aber fragt ihn: „Bruder, was hast du denn? Stört dich etwas hier? Warum gehst du denn nicht weiter?“
03. Der Bischof spricht: „Siehst du denn den lutherischen Tempel nicht, der des leibhaftigen Gottstehunsbei ist? Wie kann da ein Christ sich einem so verfl ... – oh, will's nicht sagen – Orte nahen?
04. Oder bist du etwa selbst der verkleidete Gottstehunsbei?! – – Oooooh – wenn du das – bist, so ver – laß mich, o du abscheulichster – Gottstehunsbei!“
05. Spricht der Engel: „Möchtest du noch einmal die Tour von deinen 5-10 Millionen Jahren auf einem noch finstereren und magereren Orte des Geisterreichs zubringen? So dir solches lieber ist, sage es nur rund heraus; sieh, hier ist dein altes Bischofsgewand schon in Bereitschaft! Diesmal aber wirst du wohl zehnmal so lange zu harren haben, bis dir jemand zu Hilfe kommen wird!
06. Siehst du mich denn nicht noch in deinem Bischofsgewande einhergehen? Ihr aber habt ja eine Meinung und sagt: der Teufel könne sich wohl bis zu einem Engel des Lichtes verstellen, aber die vom Heiligen Geiste durchdrungene Gestalt eines Bischofs wäre ihm unmöglich nachzuahmen! Willst du deine Meinung nicht selbst verdammen, wie magst du mich denn für einen Teufel halten? (der Bischof sinkt fast zusammen, schlägt ein großes Kreuz und spricht: ,Gott steh uns bei!‘)
07. Verdammst du aber deine dogmatische Meinung, die aus der Unüberwindbarkeit des Felsen Petri durch die Pforten der Hölle herrührt, da hebst du damit ja ganz Rom auf. Und ich begreife dann nicht, wie dich als einen offenbaren Gegner Roms dies Häuschen genieren kann, das du für einen evangelischen Tempel hältst?! Siehst du denn nicht ein, daß da in deinem ganzen nunmaligen Benehmen auch nicht die leiseste Spur einer moralischen und noch weniger religiösen Konsequenz vorhanden ist?“
08. Spricht der Bischof: „Du hast freilich verzweifelt stark recht, wenn man die Sache beim Lichte betrachtet. Aber so du wirklich ein Bischof bist, so wird dir ja von Rom aus auch bekannt sein, daß da jeder Rechtgläubige allen seinen Verstand unter den Gehorsam des blinden, unbedingten Glaubens gefangennehmen muß! Wo aber der Verstand mit den schwersten Fesseln belegt ist, wo wohl sollte da bei unsereinem eine Konsequenz im Denken und Handeln herauswachsen?!
09. Bei uns heißt es: ,Der Mensch hüte sich vor allem, in den Geist der Religion einzudringen; er wisse nichts, sondern glaube alles blind und fest! Es ist dem Menschen heilsamer, als ein Dummkopf in den Himmel, denn als ein Aufgeklärter in die Hölle zu kommen! Man fürchte Gott der Hölle und liebe Ihn des Himmels wegen!‘ Wenn aber das der Grund unserer Lehre ist, wie willst du von mir denn eine Konsequenz haben?“
10. Spricht der Engel: „Leider ist mir nur zu bekannt, wie es mit der Lehre Babels steht, und wie sie dem Evangelium schnurstracks entgegen ist, allda es ausdrücklich heißt: ,Verdammet nicht, auf daß ihr nicht verdammet werdet; und richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet!‘ Ihr aber verdammet und richtet allzeit jedermann, der sich nicht unter euer Babelszepter schmiegt!
11. Sage: Seid ihr da wohl Christi, so ihr doch nicht im geringsten Seiner allersanftesten Lehre seid? Ist in Christi Lehre nicht die größte, allererhabenste Ordnung und Konsequenz wie in der ganzen Schöpfung? Weht nicht die Fülle des Heiligen Geistes aus jeglichem Worte des Evangeliums? Seid ihr aber im Wort und Werk nicht allzeit gegen den Heiligen Geist gewesen, da ihr absichtlich allzeit der reinsten Lehre entgegengehandelt habt, die voll ist des Heiligen Geistes, indem dieser erst die zuvor vom Herrn verkündigte Lehre für ewig bleibend den Aposteln und Jüngern wiedergab?!
12. Du siehst daraus, auf welch verdammlichem Grunde du stehst, wie ganz reif für die Hölle! Aber der Herr will dir Gnade für Recht ergehen lassen; darum beschickt Er mich zu dir, auf daß ich dich erretten solle aus deiner alten babylonischen Gefangenschaft!
13. Aus dem Grunde will es der Herr, daß du dich vor allem mit deinem stärksten Augendorne vergleichen und aussöhnen sollst, so du je auf den Himmel einen Gnadenanspruch nehmen willst. Möchtest du aber bei deiner Babelslehre verharren, so wirst du dich selbst zur Hölle treiben, aus der dich schwerlich je ein Freund Jesu des Herrn herausholen wird!“
14. Spricht der Bischof: „Ja, ja, liebster Freund, es fängt an, zum erstenmal etwas von einer Konsequenz in mir emporzutauchen! Daher habe nur Geduld mit mir; ich will ja in Gottesnamen schon tun, was du willst! Aber nur von der schrecklichsten Hölle rede mir nichts mehr – und führe mich nur weiter!“
15. Spricht der Engel: „Wir sind vorderhand schon am Ziel. Siehe, eben hier bei diesem lutherischen Landmann und Bischofe zugleich, der ich selbst es bin, wirst du einen Dienst als Schafhirte bekommen; die treue Verwaltung dieses Amtes wird dir Brot und ein allmähliches Emporkommen bewirken! Wirst du aber dabei mürrisch und richterisch zu Werke gehen, so wirst du dir sehr schaden und wirst dir schmälern Brot und Emporkommen! Willst du aber ein getreuer Diener sein, so denke nicht mehr an dein irdisch Sein zurück, sondern vielmehr, daß du hier wieder von unten an mußt zu dienen anfangen, so du es vorwärtsbringen willst!
16. Aber das merke dir übergut: Vorwärtsgehen heißt hier zurück treten und der Letzte und Geringste sein wollen. Denn niemand kommt eher zum Herrn, als bis er sich unter seine kleinste Zehe durch und durch in allem und jedem gedemütigt hat. – Nun weißt du für diese deine Lage alles; darum folge mir in dies Haus guten Herzens! Dein Wille!“
17. Der Bischof folgt ihm nun ohne Einrede, denn er sieht, daß sein Führer es mit ihm unmöglich übel meinen kann.
01. Als beide in das Haus kamen, das sehr einfach und fürs Nötigste eingerichtet war, erschaute unser Bischof auf einem kleinen dreieckigen Tisch die lutherische Bibel des Alten und Neuen Testaments und ward darob sichtlich verlegen.
02. Solches aber merkte sogleich der Engel Petrus und sprach zu ihm: „Was wohl hat je Luther dir getan, daß du ob der großen Verachtung dieses Mannes auch seine möglichst getreue Bibelübersetzung, in der nichts als das reine Wort Gottes enthalten ist, mit verachtest?
03. Siehe, war Luther auch nicht in der Fülle ein Mann, von dem sich mit vollstem Rechte sagen ließe: ,Er war ein Mann nach dem Herzen Gottes!‘, so war er aber dennoch um überaus vieles besser als gar überaus viele aus deiner Kirche, die wollen die allein rechten und allervollkommensten sein, sind im Grunde aber dennoch die unvollkommensten und allerletzten! Er aber allein hatte inmitten der krassesten Babelsnacht den löblichen Mut, der Menschheit das reine Wort Gottes wiederzubringen und diese dadurch auf den rechten Weg des Herrn zu führen!
04. Waren auf diesem Wege wohl auch einige Dunkelheiten anzutreffen – was natürliche Folgen des noch zu nahen Babels (Rom) waren –, so war dennoch seine Lehre nach dem reinen Worte des Herrn gegenüber der alten Irrlehre Roms gleich einer Mittagssonne gegen ein allermattestes Sumpflicht in stockfinsterer Nacht!
05. Wenn Luther aber solches im Namen des Herrn gewirkt hat, sage, welchen Grund hast du dann wohl, diesen würdigen Mann so zu verschmähen und zu verachten?“
06. Spricht der Bischof: „Ich verachte ihn gerade nicht; aber du weißt es, so man lange der Sklave einer Partei war, hat man mit der Zeit einen künstlichen Haß gegen den in sich herangebildet, den seine Partei bei tausend Gelegenheiten verflucht und verdammt hat! Das ist denn auch bei mir der Fall. Ich hoffe aber zu Gott und erwarte von Ihm, daß Er mir helfen wird, alle meine von der Erde hierher gebrachten Torheiten von A bis Z abzulegen. Daher stoße dich nicht an mir, es wird mit mir hoffentlich schon noch besser werden!“
07. Spricht der Engel Petrus: „O Bruder, ermahne nicht mich, sondern nur dich zur Geduld! Denn du weißt es noch nicht, was dir alles begegnen wird; ich aber weiß es und muß daher so mit dir handeln, daß du in der Wahrheit gestärkt werdest, jenen Versuchungen kräftig zu begegnen, die dir tausendfach auf dem Wege zum Herrn vorkommen werden.
08. Da siehe zum Fenster hinaus! Siehst du dort die vielen tausend Schafe und Lämmer, wie sie mutig durcheinanderrennen und springen?
09. Hier aber ist ein Buch, in dem ihre Namen verzeichnet sind; nimm es zu dir und rufe sie alle beim Namen daraus! So sie in deinem Rufe eines rechten Hirten Stimme erkennen werden, werden sie eiligst zu dir kommen. Erkennen sie aber in dir eines Mietlings Stimme, dann werden sie sich zerstreuen und werden dich fliehen. Wenn aber solches geschieht, da murre nicht, sondern erkenne, daß du ein Mietling bist; und es wird dann ein anderer Hirte zu dir kommen und wird dich lehren, wie Schafe und Lämmer zu hüten und wie zu rufen sind!
10. Nun aber nimm dies Verzeichnis; gehe hinaus und tue, wie ich dir's nun geraten habe!“
01. Unser Mann geht in seiner Bauernkleidung mit einem ziemlich dicken Buche unter dem Arm hinaus, wo ihm die Herde gezeigt wurde, die sich in der (geistigen) Entfernung der Erscheinlichkeit nach wirklich als Schafe und Lämmer ausnahm. In der geistigen Nähe aber bestand sie aus lauter frommen und sanftmütigen Menschen, zumeist aus weiblichen Seelen, die auf der Welt so recht kreuzfromm gelebt hatten, aber dabei auf die römische Geistlichkeit doch bei weitem größere Stücke hielten denn auf Mich, den Herrn, da sie Mich nicht kannten und jetzt auch noch nicht erkennen – daher sie denn in einiger geistigen Ferne sich noch jetzt als Tiere sanftester Art ausnehmen.
02. Als nun unser Mann hinauskam, so recht wohlgemut wie einer, der nach langer Praxis zum erstenmal in ein besoldetes Amt eingesetzt wird, ließ er sich auf einen bemoosten Stein nieder und sah umher, wo die Schafe und die Lämmer wären. Aber er entdeckte nun nichts mehr von diesen nützlichen Haustieren, sondern eine große Menge allerschönster und zartester Mädchen, die auf einem weitgedehnten Wiesenteppiche munter umherhüpfend Blumen sammelten und daraus die schönsten Kränze und Kränzchen flochten.
03. Als unser Mann solches merkte, da sagte er zu sich selbst: „Hm, das ist sonderbar! Es ist doch derselbe Platz, dieselbe Wiese, auf der ich ehedem eine beinahe zahllose Menge von Schafen und Lämmern entdeckte. Nun ist die Herde wie weggeblasen und an ihrer Statt tausend der allerliebsten Mädchen, von denen die eine schöner ist als die andere! Aufrichtig gesagt, wenn diese ganze Geschichte nicht irgendeine verfängliche Lumperei ist, so wäre mir diese Herde freilich wohl unglaublich lieber; aber man darf hier im Ernste seinen Sinnen nicht trauen, denn – kehr' die Hand um, und es ist alles ganz anders!
04. O weh, o weh, jetzt kommen sie alle auf mich zu, ohne daß ich sie verlesen habe! Na, ist auch recht; da werde ich diese lieben Kinder doch in der Nähe so recht nach Herzenslust betrachten können, und – oh, oh! – vielleicht kann ich hier etwa gar eine oder die andere umarmen? Da wäre es wahrlich gar nicht so übel, in alle Ewigkeit hier ein Hirte einer so herrlich verwandelten Schafherde zu sein! Wirklich nicht übel, nicht übel! –
05. Sie kommen näher; und je näher, desto herrlicher sehen sie aus! Die eine dort in der Mitte voran – oh, oh, ist die aber schön! – O Kraft meiner Moral, jetzt verlaß mich nicht, sonst bin ich verlesen! Es ist nur gut, daß hier das dumme Zölibat keine Geltung mehr hat, sonst könnte unsereiner hier auf die leichteste Art zu einem Todsünder werden!
06. Ich soll sie wohl aus dem Buche beim Namen rufen, aber das werde ich nun fein bleiben lassen; denn dann würden sie offenbar davonrennen und sich nimmer blicken lassen! Daher nur schön ruhig, du mein dickes Namensbüchlein; vor dieser Herde sollst du so hübsch verschlossen bleiben!
07. Sie kommen näher und näher, und – nur stille jetzt, noch zehn Schritte und sie sind da; ja, da ganz bei mir werden die lieben Engerln sein! – O ihr lieben, lieblichen Engerln!“
08. Seht, nun sind die „lieben Engerln“ schon bei unserem Mann, umringen ihn und fragen ihn, was er hier zu machen habe?
01. Unser Mann, ganz weg vor lauter Anmut und Liebe, antwortet mit bebender Stimme: „O ihr – himm–lischen Engerln, oh, oh, oh, ihr lieben, lieben Engerln! – Oh, ohooooh, ihr allerliebsten Engerlein Gottes! – Ich – soll – euer – Hirte sein; aber ihr aller-, allerliebsten Engerlein, ihr seht es ja, daß ich dazu viel zu dumm bin!“
02. Die Schönste dieser Herde setzt sich recht kindlich zutraulich knapp neben unserem Mann zuerst nieder und die andern folgen ihrem Beispiele. Eben diese Allerschönste sagt darauf zu unserm Hirten: „O du lieber Mann, du bist zu bescheiden; denn ich finde dich sehr schön, und wärst du zu bewegen, so wäre ich überglücklich, ewig die Deine zu sein! Sieh mich an; gefalle ich dir denn nicht?“
03. Unser Mann bringt aus lauter Verliebtheit nichts als sein nun stark zitterndes und nimmer endenwollendes Ooooooooh heraus; denn der überschöne, goldblond gelockte Kopf, die freundlichsten großen, blauen Augen, der Rosenmund, der ätherisch wallende volle Busen, die schönsten, runden Hände, wie die noch ätherischeren Füße bringen unsern Mann beinahe von Sinnen.
04. Das Engerl sieht des Hirten große Liebesaufregung, beugt sich über ihn und gibt ihm einen Kuß auf die Stirne.
05. Bis dahin hatte sich unser Mann noch so ziemlich tapfer gehalten; nun aber war es rein aus! Er wurde durch und durch erregt; umschlang diese Schönste nach Kräften und brach endlich in einen Strom von Liebesbeteuerungen aus.
06. Als er aber so in sein Dulcissimum kam, verwandelte sich plötzlich die ganze Szene. Die lieben Engerln verschwanden und der Engel Petrus stand bei unserm Manne und sprach:
07. „Aber Bruder, wie weidest denn du deine Schafe? Habe ich dir solchen Rat erteilt? Ja, wenn du so mit den dir anvertrauten Schafen und Lämmern umgehst, dann wirst du wohl überlange nicht zum ewigen Lebensziele gelangen! Warum hast du denn das Buch nicht gebraucht?“
08. Spricht der Bischof: „Warum aber hast du mir auch nicht gesagt, daß diese von deinem Hause aus gesehenen Schafe und Lämmer eigentlich nur die allerschönsten und reizendsten Mädchen sind, bei denen nur ein Stein gleichgültig bleiben könnte?! Du siehst, daß ich da eigentlich nur gefoppt war, und so wirst du aus solcher Fopperei ja doch kein schrecklich Wesen machen?“
09. Spricht der Engel: „Wie sieht es denn nun mit deinem Zölibat aus? Hast du nun dieses nicht gebrochen und das Gelübde der ewigen Keuschheit?“
10. Spricht der Bischof: „Ach, was Zölibat, was Gelübde! Bin ich doch jetzt ganz mit Haut und Haar auf lutherischem Boden; der hebt beides auf! Und überhaupt: einem solchen Engel, wie dies Mädchen da war, hätte ich auch auf der Welt mit dem ganzen Zölibate ein Opfer gebracht und wäre ihr zuliebe augenblicklich ein Lutheraner geworden! Aber wohin sind denn nun diese herrlichen Mädchen verschwunden, besonders die eine? Oh, wenn ich nur diese noch einmal sehen könnte!“
11. Spricht der Engel: „Freund, du wirst sie nun recht bald wiedersehen, samt ihrer Begleitung; aber dann darfst du sie nicht sprechen und noch weniger dich ihr nahen! Wenn sie dir aber nachsetzen will, dann hebe deine Hand auf und sage: ,Kehre im Namen des Herrn zurück zur rechten Ordnung und versuche mich nicht, sondern folge der Stimme der Ordnung!‘
12. Sollte sich die Herde nicht daran kehren, da schlage das Buch auf und lies die Namen, die darinnen stehen, so wird die Herde sich entweder plötzlich zerstreuen oder – so sie in dir einen Ton gewahren wird, der aus des Herrn Kraft in dir entstammt – so wird sie dir folgen. Du aber wirst sie dann führen auf jenen Berg dort gegen Mittag, wo ich dir schon wieder entgegenkommen werde!
13. Was aber jetzt geschah, das opfere in deinem Herzen dem Herrn Jesus auf; denn Er ließ es zu, daß du fielst und im Falle dein hartnäckiges Zölibat von dir warfst!
14. Nun aber falle nicht mehr; denn ein wiederholter ähnlicher Fall würde dich in einen solchen Schaden versetzen, daran du im Ernste Hunderte von Erdenjahren zu nagen hättest, bis du ihn von dir brächtest! Daher sei nun vorsichtig und klug! Denn wirst du einmal lauter sein, dann werden zahllose und noch endlos größere Schönheiten im Reiche Gottes dir entgegenkommen; aber vorher mußt du alle deine irdischen Torheiten ablegen aus der Wurzel!
15. Nun verharre hier und tue nach diesem meinem Rate, so wirst du für die Folge einen angenehmen Weg haben im Namen des Herrn!“
16. Nach diesen Worten verschwindet der Engel Petrus plötzlich, damit der Bischof nun keine Gelegenheit haben solle, noch irgend einige burleske Bemerkungen zu machen und in manchem dem Engel zu widersprechen!
01. Ganz allein nun wieder auf der Wiese, fängt er nach einer Weile mit sich selbst folgenden Monolog zu führen an:
02. (Bischof Martin:) „Wo ist er denn jetzt hin, mein Führer? Ein sauberer Führer das; wenn man ihn am nötigsten brauchte, verschwindet er und ist nun Gott weiß wo! – Nur wenn man irgend gefehlt hätte, da ist er im Nu da – eine Eigenschaft, die ich am allerwenigsten leiden kann! Entweder bei einem bleiben und ihn führen auf solch unsicheren Wegen, wie diese geisterweltischen da sind, oder – er soll sich packen für ewig von mir, so er nur dann zu mir kommt, wenn ich schon irgend gesündigt hätte! O solche Narren gäbe es mehrere!
03. Will er mich der Seligkeit zuführen, so bleibe er sichtbar bei mir, sonst ist seine Führerschaft überhaupt nichts wert! Na warte, du lutherischer Versteckpatron von einem Führer, – du sollst an mir einen Knochen zu nagen bekommen, daß dir alle deine Geduld vergeht! Was kann mir denn noch mehr geschehen? Lutheraner bin ich, nach der Lehre Roms vollkommen zur Hölle reif – vielleicht, ohne daß ich's merke, schon darinnen?!
04. Daher laß die schönen Lämmer nur noch einmal zu mir kommen! Ich werde ihnen zwar kein Wolf im Schafskleide sein, aber ein Liebhaber voll Feuer, wie es keinen zweiten auf der Erde je gegeben hat! – Meine Hand werde ich nimmer gegen sie erheben und sie auch aus diesem Buche nicht verlesen, auf daß sie nicht mehr fliehen sollen von mir. Ich will mich zwar auch nicht mehr so weit vergessen mit einer oder der andern; aber von der Handaufhebung und vom Verlesen soll an mir keine Spur zu entdecken sein! Und kommt er dann etwa wie aus einem Schlupfwinkel zum Vorscheine, da soll er sehen, wie ein Bischof von der Erde reden kann, so er es will! –
05. Wo etwa nur die lieben Engerln so lange bleiben? Bis jetzt ist noch keine Spur von ihnen irgendwo zu entdecken. Ich merke aber nun auch an mir, daß ich nun viel mutiger und kecker geworden bin! Daher nur her mit euch, ihr lieben Engerln, ihr sollet an mir nun schon den rechten Mann finden – keinen Feigling mehr, sondern einen Helden, und was für einen Helden!
06. Aber noch immer weilen sie irgendwo! Es ist doch schon eine geraume Zeit, seit mein Führer mich verließ, und noch immer keine Seele irgendwo zu entdecken! Was soll denn das sein? Hat mich etwa gar mein sauberer Führer so hübsch angesetzt für alle ewige Zeiten? Die Geschichte riecht hübsch stark darnach! Mir kommt schon wieder vor, als wenn so einige Dutzend Jahre verstrichen wären, seit er mich verließ. Es werden etwa gar wieder Millionen herauswachsen?
07. Es ist dies Geisterweltleben schon ein wahres Sauleben! Man steht da wirklich wie ein Ochse am Berge: Alles ist so dunstig; kein rechtes Licht! Alles ist das nicht, als was es sich zeigt! Der Stein, auf dem ich nun schon eine geraume Zeit der Schafe und Lämmer harre, ist sicher auch etwas ganz anderes, als er zu sein scheint! Auch die lieben Engerln: Gott weiß, wo und was sie so ganz eigentlich sind? Wahrscheinlich – nichts! Denn wären sie etwas, so müßten sie schon da sein! Ja, ja, es ist alles nichts, was da ist! Mein Führer auch; sonst könnte er doch unmöglich so schnell ins reinste Nichts verschwinden!
08. Am meisten finde ich dieses Leben dem Traumleben ähnlich. Da hat es mir auch oft von allerlei dummen Dingen geträumt, von allerlei Verwandlungen. Was waren sie aber? Nichts als Bilder, ausgeprägt von der phantastischen Einbildungskraft der Seele! Ebenso ist nun auch dieses Leben nichts als ein eitler, leerer, höchstwahrscheinlich ewiger Traum! Bloß diese meine Erwägungen scheinen wirklich von Gehalt zu sein; alles andere aber ist nichts als ein elendes Phantasiestück der Seele! Nun warte ich schon sicher bei 200 Jahre hier auf die Lämmer und Schafe, aber es ist keine Spur von ihnen zu entdecken!
09. Was mich aber dennoch wundert: daß in dieser Phantasiewelt dies Buch, diese meine Bauernkleidung, auch diese Gegend samt dem lutherischen Haus und Tempel so ganz unverändert ihre Gestalt behalten? Diese Geschichte ist allerdings etwas spaßig. Etwas scheint an der Sache doch zu sein, aber wieviel, das ist eine andere Frage!
10. Oder sollte etwa doch nicht recht sein, daß ich gleich anfangs nicht gewillt war, seiner Lehre fest Folge zu leisten?! So er aber ein rechter Führer ist, hätte er mir's denn nicht gleich verweisen können, anstatt sich sogleich mir und dir nichts aus dem Staube zu machen! Hat er denn nicht gesagt, daß ich, so ich noch einmal fiele, dann in einen großen Schaden käme, an dem ich im Ernste mehrere Hunderte von Erdenjahren werde zu lecken haben? Bin ich denn aber wirklich schon gefallen? Mit dem Gedanken und bloßen Willen freilich wohl, aber im Werke unmöglich, weil die gewissen Engerln gar nicht zum Vorschein gekommen sind!
11. Vielleicht aber sind diese darum nicht erschienen, weil ich solche Gedanken und solchen Willen hatte? Das könnte sehr leicht sein! Wenn ich aber nur solche Gedanken loswerden könnte! Warum mußten sie auch gar so entsetzlich schön und reizend sein? Da habe ich mich einmal ordentlich eingetunkt! Jetzt heißt's denn warten, bis sich meine dummen Gedanken legen werden – und der Wille mit ihnen!
12. Das seh ich aber schon ein nun: Wenn das eine Prüfung meiner Hauptschwäche ist, so wird es mit mir einen ganz verzweifelten Haken haben; denn in diesem Punkte war ich auf der Welt insgeheim ein Vieh in optima forma! Ja, wenn ich da so eine recht üppige Dirne sah, so ging's mir – – – taceas! Wie viele habe ich – – taceas de rebus praeteritis! – schöne junge Nonnen! Oh, das waren selige Zeiten, – aber nun taceas!
13. Wie strenge war ich im Beichtstuhle gegen die Beichtkinder, und wie lau gegen mich! Leider, leider, es war nicht recht; aber wer außer Gott hat Kraft, der Macht der Natur zu widerstehen?
14. Wenn das saudumme Zölibat nicht wäre und ein Bischof der Mann eines ordentlichen Weibes wäre, wie es meines Wissens Paulus auch ausdrücklich verlangte, da hätte man mit dem Fleische doch sicher einen leichteren Kampf. Aber da lebt so ein Bischof stets wie ein Adam vor der Segnung des Erkenntnisbaumes mit der verführerischen Eva in einem gewissen – Paradiese und kann sich an dem dargereichten Apfel nimmer satt fressen!
15. O große Lumperei! Es ist nun einmal so, wer kann's ändern? Der Schöpfer allein, so Er es will; ohne Ihn aber bleibt der Mensch – besonders aus meinem Gelichter! – schon allzeit und ewig ein Vieh, und das ein recht abscheulichstes Vieh!
16. Herr, sei mir gnädig und barmherzig! Ich sehe schon, so Du an mich nicht Deine Hand legen wirst, wird's mit mir schwer weitergehen; denn ich bin ein Vieh – und mein Führer ein eigensinniger Tropf, vielleicht gar Luthers Geist! Da wird es nicht gehen! Geduld, verlaß mich nicht; schon wieder tausend Jahre auf einem Fleck!“
17. Nun verstummt er endlich und harrt der Schafe und Lämmer.
01. Er sieht sich nach allen Seiten um und wartet und wartet; aber noch immer keine Spur von Schafen und Lämmern. Er steht nun von seinem Steine auf, besteigt ihn und schaut von diesem erhöhten Punkte nach den Schafen; aber auch von da ist nichts zu erschauen.
02. Er fängt nun zu rufen an, doch meldet sich nichts und kommt auch nichts zum Vorschein. Er setzt sich abermals nieder und harrt. Aber vergeblich, denn es läßt sich von keiner Seite her etwas erschauen. Er wartet noch eine Weile, und da durchaus nichts mehr kommen will, steht er nun ganz ungeduldig auf, nimmt sein Buch und begibt sich mit folgenden Worten weiter:
03. (Bischof Martin:) „Jetzt habe ich aber diese Geschichte satt! Es werden jetzt schon wieder bei einer Million Jahre verflossen sein, wenigstens nach meinem Gefühle, und noch keine Änderung meines Zustandes! Jetzt aber werde ich dir, du mein sauberer Führer, keinen Narren mehr machen; als ein ehrlicher Kerl werde ich dir dein dummes Buch in dein lutherisches Haus stellen und mich dann auf den Weg machen – geh's, wohin es wolle! Es wird diese Welt ja doch auch irgendwo einmal so ganz echt mit Brettern vernagelt sein, wo man dann wird sagen können: Huc usque et non plus ultra!
04. Und wenn ich dann in Gottes Namen auf einem solchen Punkte werde etwa eine Trillion oder gar Dezillion Jahre hocken müssen, bis etwa die Geisterweltbretter dann auch morsch werden, so werde ich doch wissen, warum! Aber hier für nichts und wieder nichts einen Narren machen, das werde ich fortan bleiben lassen. Denn was man sich selber zufügt, erträgt man leichter, als was einem so ein bornierter Gimpel von einem Führer zufügt! Ich bin schon so toll auf diesen lutherischen Lumpen, daß ich mich an ihm gerade vergreifen könnte, so er mir jetzt unterkäme!
05. Kann es denn wohl etwas Langweiligeres und auch Peinlicheres geben, als etwas bestimmt Verheißenes erwarten, und dieses kommt nimmer zum Vorscheine? Nein, das ist zu arg! Welch eine schaudervoll lange Zeit harre ich nun schon hier; ob der Wirklichkeit, oder bloß dem Gefühle nach, das ist nun schon ein – Gott steh' uns bei! – und ganz ohne Grund und mir begreiflichen Zweck! Denn wegen der gewissen Schafe und Lämmer, – das ist nun schon lange nicht mehr wahr, wie es auch nie wahr gewesen ist!
06. Träfe ich aber hier nur einen mit mir gleichgesinnten Menschen, o wie herrlich wäre das! Wie schön würden wir über diese schundigste Geisterwelt losziehen, daß es eine helle Freude wäre; so aber muß ich diese Freude schon mit mir selbst teilen! Aber nun auf! Es ist keine Zeit mehr zu verlieren, will ich auf diesem Steine nicht selbst zu Stein werden!
07. Wo ist denn nun das verzweifelte Buch? Hat es sich vielleicht selbst nach Hause getragen, um mir den Weg zu ersparen? Ist auch recht! Aber es geniert mich heimlich doch ein wenig; es ist doch gerade noch dagelegen und ich wollte es in die Hand nehmen – und sieh, es verschwand!
08. Nein, wie diese Geisterwelt dumm bestellt ist, das liegt über dem Horizont aller menschlichen Vorstellung! Ein Buch empfiehlt sich von selbst, so man es verdientermaßen ein wenig kritisiert hat! Die Sache ist nicht übel!
09. Ich werde schon noch müssen diesen Stein auch um Vergebung bitten, daß ich so lange mein unwürdiges Wesen habe auf ihm ruhen lassen – sonst empfiehlt er sich auch noch! Und so ich mich nun auf einen Marsch durch diese herrlichen Nebelgefilde und Moosfluren bei doppelter Sonnenwendkäferbeleuchtung machen werde, da werde ich wohl etwa auch das Moos vorher um die Erlaubnis bitten müssen, mir gnädigst zu gestatten, meinen Fuß zwecks meiner Weiterbeförderung darauf setzen zu dürfen!
10. O das ist schon ganz ver-, halt, nur nicht fluchen! Das ist schon überaus saudumm! Da seht: auch – Gott sei Dank! – das lutherische Haus samt dem Tempel ist Gott weiß wohin spazierengegangen! Nur zu, zuletzt geht schon alles zum Plunder! Nur der Stein ist noch da, wenn's wahr ist?! Das Aussehen hätte es wohl, als wäre der Stein noch da; aber ich muß schon genauer sondieren! – Richtig, richtig, auch der Herr von Stein hat sich empfohlen!
11. Na, jetzt wird es vielleicht auch für mich an der Zeit sein, sich zu empfehlen? Aber wohin? Da ist hier wahrlich nicht viel zu wählen! Nur schnurgerade der Nase nach – vorausgesetzt, daß ich noch eine Nase habe; denn wer wie ich nun schon zum zweiten Male einige Millionen Jahre bloß bei der Nase herumgeführt wurde, der müßte sich doch im Ernste fragen, wie es noch mit dem Besitze dieses Gliedes steht? Aber Gott sei Dank, ich habe es noch; daher nun nur vorwärts diesem einzigen Wegweiser nach in dieser wirklich schönen Geisterwelt!“
12. Seht, nun fängt er an zu gehen, und der Engel Petrus folgt ihm unsichtbar. ,Gehen‘ in der Geisterwelt aber heißt ,andern Sinnes werden‘, und wie sich dieser ändert, so ändert sich auch scheinbar der Ort. – Wir werden nun bald sehen, wohin sich unser Mann wenden wird. –
01. Wer von euch am Kompaß des Geistes sich auskennt, wird bald merken, daß unser Mann nun statt gegen Mittag schnurgerade gegen Abend seine Richtung eingeschlagen hat. Er geht nun ganz mutig und behende vorwärts; aber er entdeckt nichts außer sich als einen mit spärlichem Moose bewachsenen ebenen Boden und eine sehr matte, graulichte Beleuchtung des scheinbaren Firmaments, das, je mehr und je tiefer gen Abend, stets dunkler wird.
02. Diese sichtlich zunehmende Dunkelheit macht ihn etwas stutzen; aber es hält ihn nicht ab, seinen Gang einzuhalten, wovon der Grund ist, weil seine Erkenntnis und sein Glaube so gut wie gar nichts sind. Was aber noch da, das ist falsche Begründung wider das reine Wort des Evangeliums, somit barstes Antichristentum und ein im verborgenen Hintergrunde in humoreske Maske verhüllter Sektenhaß.
03. Daher dieses Bischofs Gang gegen den stets dunkler werdenden Abend; daher der mit spärlichem Moose bewachsene Boden, welcher die Trockenheit und die magerste Geringheit Meines Wortes in dieses Mannes Gemüte bezeichnet. Daher auch das stets zunehmende Dunkel, weil das zu gering und gar nicht geachtete und noch weniger beachtete Wort Gottes (vor dem sich derlei Bischöfe nur pro forma in roten und goldenen Gewändern beugen) in ihm nie zu jener Lebenswärme gedieh, aus der dann das herrliche Licht des ewigen Morgens für den Geist hätte hervorgehen können.
04. Solche Menschen müssen in der Geisterwelt in die größte scheinbare Verlassenheit kommen und in die vollste Nacht; dann erst ist es möglich, sie umzukehren. Wie schwer es aber hier auf der Welt ginge, einen solchen Bischof auf den wahren Apostelweg zu bringen, ebenso und noch bei weitem schwerer geht es dort, weil er dort von außen her als Geist natürlich rein unzugänglich ist, in ihm aber nichts ist als Irrtümliches, falsch Begründetes und im Grunde Herrschsüchtiges.
05. Meiner Gnade aber sind freilich wohl viele Dinge möglich, die dem gewöhnlichen Ordnungsgange unmöglich wären! Daher wollet ihr eben bei diesem Manne praktisch beschauen, wohin er kommen kann mit dem, was da in ihm ist, und was am Ende, wenn sozusagen alle Stricke reißen, noch Meine Gnade bewirken kann, ohne in die Freiheit des Geistes einzugreifen. Solche Gnade wird diesem Manne auch zuteil, weil er einmal gebeten hatte, daß Ich ihn mit Meiner Hand ergreifen möchte! Aber eher kann ihn die ausschließliche Kraft Meiner Gnade dennoch nicht ergreifen, als bis er all den eigenen Plunder von allerlei Falschem und verborgen Bösem aus sich hinausgeschafft hat, was sich durch den Zustand der dichtesten Finsternis, die ihn umgeben wird, kundtun wird.
06. Nun aber richten wir unsere Augen wieder auf unsern Wanderer! – Langsam und behutsamen Schrittes schreitet er wieder vorwärts, bei jedem Schritte den Boden prüfend, ob er wohl fest genug wäre, ihn zu tragen. Denn der Boden wird nun hie und da sumpfig und moorig, was ein entsprechendes Zeichen ist, daß alle seine falsch begründeten Erkenntnisse bald in ein unergründliches Geheimnismeer münden werden. Daher stoßen sie schon jetzt auf unterschiedliche kleine Geheimnissümpfe in stets dichter werdender Dunkelheit – ein Zustand, der sich schon auf der Welt bei vielen Menschen dadurch kundgibt, daß sie, so ein Weiserer mit ihnen etwas vom Geistes- und Seelenleben nach dem Tode zu reden beginnt, sogleich mit dem Bedeuten davon abzulenken suchen: so etwas mache sie ganz verwirrt, verstimmt und traurig, und der Mensch würde, so er viel über derlei nachgrübeln möchte, am ersten zu einem Narren.
07. Diese Scheu ist nichts anderes als ein Auftritt des Geistes auf einen solchen Boden, der schon sehr sumpfig ist, und wo niemand mehr den Mut hat, die unbestimmten Tiefen solcher Sümpfe mit seinem überaus kurzen Erkenntnismaßstabe zu bemessen aus Furcht, dabei etwa ins Grundlose hinabzusinken.
08. Seht, der Boden, der unsern Mann trägt, fängt an, stets gedehntere förmliche kleine Seen zu entwickeln, zwischen denen sich nur noch kleine und schmale, scheinbare Erdzungen durchschlängeln. Dies entspricht den hirngespinstischen Faseleien eines solchen erkenntnislosen Gottbekenners mit dem Munde, dessen Herz aber dennoch der purste Atheist ist.
09. Auf solchem Boden also wandert nun unser Mann den Weg, den viele Millionen wandeln! Immer schmäler werden diese Erdzungen zwischen den stets bodenloser werdenden Seen, voll verzweifelter Unergründlichkeit für seine Erkenntnis. Er wankt schon stark, wie jemand, der über einen schmalen Steg geht, unter dem ein reißender Bach dahinstürzt. Aber dennoch bleibt er nicht stehen, sondern wankt aus einer Art falscher Wißbegierde fort, um irgendein vermeintliches Ende der Geisterwelt zu finden; zum Teil aber auch, um heimlich die schönen Schafe und Lämmer zu suchen, denn diese gehen ihm noch nicht aus dem Sinn!
10. Wohl ist ihm alles genommen worden, was ihn daran erinnern könnte: das Buch, die Wiese, der Stein (des Anstoßes) samt den Schafen und Lämmern, die ihm einmal auf der Welt sehr viel bezaubernd Reizendes und überaus erheiternd Angenehmes bedeuteten. Darum führte sie ihm der Engel Petrus auch hauptsächlich vor, um seine Schwächen in ihm zu enthüllen und ihn auch dadurch mehr abzuöden.
11. Nun sehen wir auch, was unseren Mann also treibt, bis er ans grenzenlose Meer kommen wird, wo es dann heißen wird: „Bis hierher und nicht weiter reicht alle deine Blindheit, Dummheit und übergroße Narrheit!“
12. Lassen wir ihn daher nur fortwanken bis an die äußerste Erdzungenspitze seiner Faseleien, der er nun nicht mehr ferne ist. Dort wollen wir ihn dann nach Muße behorchen, was alles für Narrheiten er in das Meer seiner Geistesnacht hinausspeien wird!
13. Ein jeder von euch aber erforsche seine geheimen dummen Weltneigungen genau, auf daß er über kurz oder lang nicht auf den sehr traurigen Weg dieses Wanderers kommen wird!
01. Nun sehet hin: unser Mann hat bereits das Meer erreicht; kein Zünglein teilt irgend mehr das endlose Gewässer dieses Meeres, was eben aus dem grenzenlosen Unverstande dieses Mannes entspringt und selben in entsprechender Form darstellt. Auch bezeichnet es jenen Zustand des Menschen, in dem er fast zu gar keiner Vorstellung von was immer gelangen kann und förmlich begrifflos wird gleich einem kompletten Narren, bei dem alle seine Begriffe chaotisch in ein Meer von Unsinn zusammenfließen.
02. Mürrisch und voll Unwillen steht er nun am letzten Rande, das ist: am letzten Begriffe, nämlich bei sich selbst! Sich allein noch erkennt er; alles andere ist zu einem finsteren Meere geworden, in dem nichts als allerlei unförmliche, finstere Ungeheuer dumpf und blind und stumm herumschwimmen und unseren Mann umreihen, als wollten sie ihn verschlingen. Groß ist die Dunkelheit und feucht und kalt der Ort; unser Mann erkennt nur aus der Wellen mattestem Schimmer und dem grauenerregenden dumpfen Geplätscher der Wogen, daß er sich nun am Rande eines unermeßlichen Meeres befindet.
03. Höret nun aber wieder ihn selbst, was er nun für sonderliches Zeug zusammenfaselt, damit ihr erkennen möget, wie es nicht nur diesem Manne, sondern noch einer zahllosen Menge von Menschen ergeht, die alles im Kopfe, in ihrer dümmsten Einbildung, aber wenig oder nichts in ihrem Herzen besaßen und noch besitzen! Horchet nun, er beginnt zu sprechen:
04. (Bischof Martin:) „So, so, so, – jetzt ist es recht! O du verfluchtes Sauleben! Wenigstens zehn Millionen Erdenjahre mußte ich als arme Seele in dieser Nacht und barsten Finsternis herumirren, um statt eines erwünschten guten Zieles an ein Meer zu gelangen, das mich ohne weiteres für die gesamte Ewigkeit verschlingen wird!
05. Das wär' mir ein schönes „Requiescant in pace, et lux perpetua luceat eis!“! Auf der Welt werden sie diese herrliche Hymne mir sicher oft genug nachgesungen haben. Ich ruhe nun wohl für die Welt ewig, und meine Asche wird noch irgend von einer Sonne beschienen oder von einem phosphorischen Moderschimmer einer Totengruft; aber ich, ich, der eigentliche Ich – was ist aus mir geworden?
06. Ich bin wohl noch ganz derselbe, der ich war; aber wo, wo bin ich, wo bin ich hingekommen? Hier steh' ich an der lockeren Spitze einer schmalsten Erdzunge, wenn man diesen Boden auch Erde nennen kann, und rings um mich her ist die dickste Nacht und ein ewiges, unergründliches Meer!
07. O Menschen, die ihr auf der Erde noch die große Gnade habt, das Leben des Leibes zu besitzen – vorausgesetzt, daß die Erde noch besteht –, wie endlos glücklich seid ihr und wie enorm reich gegen mir alle, die ihr dort in den dürftigsten Lumpen gute Menschen um einen Zehrpfennig anflehet! Leider erwartet euch hier mein oder vielleicht noch ein viel ärgeres Los!
08. Daher rette sich dort, wer sich nur immer retten kann: entweder durch feste Haltung der Gesetze Gottes, oder er werde mit Leib und Seele ein Stoiker, was vorzuziehen ist; alles andere taugt für nichts! Hätte ich das eine oder das andere getan, so wäre ich nun glücklicher; so aber stehe ich als ein ewiger Ochse und Esel zugleich – nicht vor einem Berge, sondern vor einem Meere, das da sicher ewig fortdauert, mich wahrscheinlich für ewig verschlingen wird, aber unmöglich töten kann, weil ich schon einmal unsterblich sein muß!
09. Denn könnte hier in dieser endlos dümmsten Geisterwelt mir etwas den Tod geben, so wäre es doch unfehlbar am ersten der furchtbare Hunger, der mich nun schon so viele Millionen von Erdenjahren auf das entsetzlichste plagt! Wäre ich nicht selbst eine höchstwahrscheinlich sehr luftige Seele, so hätte ich mich schon lange gleich einem Werwolf bis aufs letzte Zehenspitzel aufgefressen; aber so ist auch das nichts und wieder nichts!
10. Wenn mich aber dies Meer nun höchstwahrscheinlich ehestens verschlingen wird, wie wird es mir dann in dieser endlosen Fischwelt ergehen? Wie viele Haifische werden mich darin verschlingen, und wie viele andere Ungeheuer werden sich an mir mit ihren Zähnen versuchen und werden mich fressen und mir dadurch die größten Schmerzen verursachen, dabei mich aber dennoch ewig nicht zu töten imstande sein?! – O der herrlichsten Aussicht für die ewige Zukunft!
11. Vielleicht waren jene Schafe und Lämmer so eine Art geistiger Sirenen und haben mich unsichtbar hierher gezogen, um mich hier zu zerreißen und aufzufressen? Es ist schon freilich beinahe endlos nicht mehr wahr, daß ich sie einmal vor Millionen Jahren der Erde gesehen habe; aber dennoch wäre so etwas gerade nichts Unmögliches in dieser unbegreiflich dümmsten Geisterwelt, wo man die Jahrtausende verlebt, ohne außer sich etwas zu erschauen, zu beurteilen und zu erkennen, ohne etwas zu tun, außer dann und wann mit sich einige tausend Jahre lang wert- und fruchtlose Gespräche zu führen gleich einem barsten Narren auf der Welt der Leibesmenschen!
12. Ich begreife nur das einzige nicht, daß ich nun keine größere Furcht habe in dieser meiner sicher verzweifeltsten Lage? Ich bin im Grunde mehr zornig als furchtsam; aber da ich niemanden habe, an dem ich meinen gerechten Zorn auslassen könnte, so muß ich ihn wie einen abgestandenen Essig verbeißen.
13. Dennoch aber kommt es mir vor, daß wenn selbst Gott nun, so Er irgend Einer ist, zu mir käme, so würde mein abgestandener Essig von einem Zorne wieder ganz frisch. Ich könnte mich weidlich vergreifen an einem solchen Scheingott, so er irgend Einer ist, weil Er die vergängliche Welt mit zahllosen Herrlichkeiten ausschmückte, diese unvergängliche aber schlechter bedachte als der barbarischste Tyrann von einem Stiefvater seine ihm verhaßtesten Stiefkinder, die ohne ihr Verschulden das Dasein erhielten und leider, leider seine Stiefkinder geworden sind!
14. O wie herrlich wäre es, an einem solchen Gott seinen Zorn auszulassen, wenn Er irgend Einer wäre! Aber leider, es gibt keinen Gott und kann nie einen gegeben haben! Denn wäre irgendein gottartiges höheres Wesen, so müßte es doch notwendig weiser sein als wir, seine Geschöpfe; so aber ist von einer Weisheit aber auch nirgends nur eine leiseste Spur zu entdecken!
15. Denn das muß doch ein Blinder einsehen, daß jedes Sein und Geschehen irgendeinen Zweck haben muß; ich aber bin doch auch ein Sein und ein unverschuldetes Geschehen! Ich lebe, ich denke, ich fühle, ich empfinde, ich rieche, ich schmecke, ich sehe, ich höre, ich habe Hände zur Arbeit und Füße zum Gehen, einen Mund, mit Zunge und Zähnen versehen, und – einen leersten Magen; aber dieser Gott sage mir: wozu? Wozu Millionen von Erdenjahren solche Besitztümer, die man doch nie gebraucht?
16. Also heraus mit einem so höchst unweisen Gott! Er stehe mir zur Rede – wenn Er irgend Einer ist –, auf daß Er von mir Weisheit lerne! Aber ich könnte Ihn Ewigkeiten lang herausfordern, so wird Er dennoch nicht erscheinen! Warum? Weil Er nicht und keiner ist!“
01. Nach einer langen Pause, in der er doch etwas furchtsam die so kühn beschimpfte und sogar herausgeforderte Gottheit erwartete, beginnt er wieder folgendes, etwas dumpfere Gespräch mit sich selbst:
02. (Bischof Martin:) „Nichts, nichts und abermals nichts! Ich kann herausfordern, wen ich will; schmähen, wen ich will; gröblichst beschimpfen, wen ich nur immer will; hier gibt es niemanden, hier hört mich niemand, ich bin wie ein alleiniges, sich selbst bewußtes Leben in der ganzen Unendlichkeit!
03. Aber ich kann ja doch nicht allein sein! Die vielen tausendmal tausend Millionen von Menschen auf der Erde, die so wie ich geboren wurden, gelebt haben und wieder gestorben sind, wo sollen denn diese hingekommen sein? Haben sie etwa gänzlich aufgehört zu sein, oder haben sie in all den zahllosen Punkten der ganzen Unendlichkeit, voneinander endlos weit entfernt, etwa mit mir ein gleiches Eselslos? – Das scheint mir wohl das Allerwahrscheinlichste zu sein! Denn mein einstiger Führer und darauf die schönen Schäflein und Lämmerlein waren doch ein sicherer Beweis, daß es in dieser rein endlosen Welt wohl noch irgend Menschen gibt! Aber wo, wo, wo? Das ist eine andere Frage!
04. Da hinaus über dies endlose Meer wird es wohl sehr wenig Lebendiges mehr geben – aber höchstwahrscheinlich endlos weit hinter meinem Rücken! Wenn ich nur zurück könnte, so möchte ich auch diesen Versuch machen und würde sie aufsuchen! Aber leider bin ich hier mit Wasser ringsum so sehr verrammelt, daß eine Umkehr beinahe unausführbar erscheint.
05. Hier unter meinen Füßen ist's zwar noch trocken, und ich stehe noch auf einem, wennschon sehr lockeren, aber mich dennoch mit genauer Not tragenden Boden. So ich aber den Fuß weitersetzen würde, entweder rück- oder vorwärts, wie würde es mir dann ergehen? Sicher würde ich in den bodenlosesten Abgrund hinabsinken, in dies endlos große Wassergrab! Darum muß ich hier schon hocken bleiben in alle Ewigkeit, was auf jeden Fall eine herrliche Unterhaltung für mich abgeben wird!
06. Ach, wenn es hier doch so ein kleines, aber sicheres Schiff gäbe, in das ich so ganz frei einsteigen könnte, und das ich lenken könnte, wohin ich's wollte: welch eine Seligkeit wäre das doch für mich nun wahrhaftig allerärmsten Teu – – oho, nicht heraus; dieser Name soll nie über meine Lippen kommen! Es wird zwar an dem Teu –, nein „Gottstehunsbei“ ebensowenig daran sein wie an der Gottheit selbst; aber der Begriff an sich ist so häßlich, daß man ihn ehrlichermaßen nicht leicht ohne gewissen heimlichen Schauder aussprechen kann!
07. Was sehe ich aber dort auf dem Wasserspiegel, nicht ferne von hier? Ist es etwa ein Ungeheuer – oder etwa gar ein Schiff? Siehe, du mein dürstend Auge, es kommt näher und näher! Bei Gott, es ist im Ernste ein Schiff, ein recht nettes Schiff mit Segel und Ruder! Nein, wenn das herkäme, so müßte ich von neuem an einen Gott zu glauben anfangen; denn so was wäre ein zu auffallender Beweis gegen alles, was ich bisher geplaudert habe! Richtig, es kommt stets näher und näher! Vielleicht hat es gar jemanden an Bord? Ich werde um Hilfe schreien: vielleicht hört mich jemand?!
08. (laut:) He da! He da! Zu Hilfe! Hier harrt schon eine endlose Zeitendauer ein unglücklicher Bischof, der einst auf der Welt einen sehr großen Herrn gespielt hat, nun aber in dieser Geisterwelt in größte Armseligkeit versunken ist und sich nimmer zu helfen und zu raten weiß! O Gott, o Du mein großer, allmächtiger Gott, so Du irgend Einer bist, hilf mir, hilf mir!“
09. Nun seht, das Schiff nähert sich behende dem Ufer, wo unser Mann sich befindet! An Bord ersehet ihr auch einen gewandten Schiffer, der Ich Selbst bin, und hinter unserem Mann den Engel Petrus, der nun, da das Schiff ans Ufer stößt, samt unserem Bischof behende das Schiff besteigt.
10. Der Bischof aber ersieht bloß Mich als den Schiffsmann, den Engel Petrus erblickt er noch immer nicht, weil dieser stets hinter ihm wandelt. Er geht nun überaus freundlichen Angesichts schnurgerade auf Mich zu und spricht:
11. „Welch ein Gott oder sonst ein anderer guter Geist machte es denn, daß du mit deinem Schifflein auf diesem endlos großen Meere dich gerade in diese Gegend verirrtest oder gar geflissentlich hieher lenktest, wo ich eine undenklich lange Zeit der Erlösung harrte? Bist du etwa gar ein Lotse in dieser Geisterwelt oder sonst ein Rettungsmann? Menschen deinesgleichen müssen hier unglaublich selten sein, indem ich jetzt seit einer undenklichen Zeitdauer aber auch nicht die allerleiseste Spur von irgendeinem Menschen entdeckt habe!
12. O du holdseligster, liebster Freund! Du scheinst mir viel besserer Natur zu sein als einer, der vor undenklich langer Zeit sich mir als ein Führer in dieser Welt von selbst aufdrang, um mich auf einen rechten Weg zu bringen! Aber das war dir ein Führer non plus ultra! Gott der Herr mag es ihm verzeihen; denn er führte mich nur eine kurze Zeit hindurch, und da zu lauter Schlechtem!
13. Einmal mußte ich mein Bischofskleid, das ich Gott weiß wie von der Welt mit herübernahm, ablegen und dafür diese gegenwärtige Bauernkleidung anziehen, die muß wohl aus einem allerbesten Stoffe verfertigt sein, ansonst sie selbst bei meinem ruhigsten Verhalten unmöglich Millionen von Erdenjahren gedauert hätte!
14. Mit dieser Bescherung aber wäre ich noch so leidlich zufrieden gewesen, natürlich mit der Hoffnung auf ein besseres Schicksal. Allein, was tat da dieser Held von einem Führer? Er selbst dingte unter manchen moralischen Sentenzen mich zu einem Hirten seiner Schafe und Lämmer!
15. Ich nahm den Dienst bereitwilligst an – obschon auf einem lutherischen Boden –, ging mit einem dicken Namenbuche seiner Herde hinaus und wollte tun, wie er mir angezeigt hatte; allein siehe da, aus der Herde der Schafe und Lämmer wurden lauter bildschöne Mädchen! Von Schafen und Lämmern war keine Spur mehr!
16. Ich hätte ihre Namen aus dem Buch verlesen sollen, aber es kamen keine solchen Tiere in der ganzen Gegend vor, die ich vorher deutlich aus dem Hause dieses lutherischen Führers gesehen hatte!
17. Wohl aber kamen, ohne sich aus dem Buche rufen zu lassen, diese schönsten Mädchen haufenweise zu mir und scherzten um mich her und küßten mich sogar. Und eine, die allerschönste, hat sich gar über mich mit beiden Armen ausgebreitet und mich mit einer so bezaubernden Anmut an ihre überzarte Brust gedrückt, daß ich darob in einen solchen Gefühlsdusel kam, wie ich etwas Ähnliches auf der Welt wohl nie empfunden habe.
18. Die ganze Geschichte war im Grunde sicher nicht schlecht, besonders für einen Neuling in dieser Welt; denn wußte ich vorher, daß ich statt der Schafe und Lämmer solche Mädchen würde in meine Obhut bekommen?
19. Aber da war, wie von einem Blitze herbeigeführt, auch schon mein schöner Führer bei der Hand und machte mir darob eine Predigt, die dem Martin Luther keine Schande gemacht hätte. Er gab mir unter manchen Androhungen neue, aber noch dümmere und luftigere Vorschriften, die ich auf das strengste hätte befolgen sollen und die sämtlichen Schafe und Lämmer am Ende auf einen angezeigten Berg bringen!
20. Allein ich, mit diesem etwas sonderlichen Auftrag eben nicht sehr zufrieden, bekam darauf weder den Führer noch die Herde zu Gesichte, wartete Gott weiß wie viele Millionen Jahre, – allein umsonst; wollte endlich das Buch meinem saubern Dienstgeber ins Haus zurückstellen. Allein das Buch, wahrscheinlich eine Art geistiger Automat, empfahl sich von selbst, nebst der ganzen Gegend; und ich empfahl mich endlich auch und ging. Ich kam hierher und konnte nicht mehr weiter, schimpfte eine Zeitlang, was ich nur konnte und verzweifelte endlich völlig, da sich durch eine so lange Dauer von keiner Seite her eine Spur irgendeiner Rettung zeigte.
21. Endlich kamst du als ein wahrhaftiger göttlicher Rettungsengel hierher und hast mich in dein sicheres Fahrzeug aufgenommen! Nimm meinen möglichst größten Dank dafür hin! Hätte ich etwas, womit ich es dir vergelten könnte, wie süß wäre das meinem dir ewig dankbarsten Herzen! Aber du siehst, daß ich hier ärmer bin als alles, das der Mensch nur immer als arm bezeichnen kann, und außer mir nichts besitze. Daher begnüge dich für deine große Freundschaft mit meinem Danke und mit mir selbst, so du mich zu irgendeinem Dienste gebrauchen kannst!
22. O Gott, o Gott, wie ruhig und wie sicher und wie schnell schwimmt dein Fahrzeug über den brausenden Wogen dieses endlosen Meeres, und welch ein angenehmes Gefühl! O du lieber, göttlicher Freund, jetzt sollte mein einstiger sehr bornierter Führer da sein! Da möchte es sich denn doch der Mühe lohnen, dich ihm vorzustellen und zu zeigen, was ein rechter Führer und Rettet für ein Gefühl haben müsse, so er ein Führer sein will! Ich war wohl auf der Welt selbst einmal ein Führer, aber – da schweige ich! – O Dank dir! Dank! Wie herrlich geht das Schifflein!“
01. Darauf spreche Ich als der freundliche Schiffsmann: „Es mag wohl recht mißlich sein, sich lange dauernd allein zu befinden; aber ein solch länger andauerndes Alleinsein hat doch wieder sehr viel Gutes! Denn man gewinnt da Zeit, über so manche Torheiten nachzudenken, sie zu verabscheuen und ganz abzulegen und aus sich hinauszubannen. Und siehe, das ist mehr wert als die zahlreichste und glänzendste Gesellschaft, in der allzeit mehr Dummes und Schlechtes vorkommt als Weises und Gutes!
02. Noch mißlicher aber ist die Lage, wenn das Alleinsein mit einer Lebensgefahr bedroht ist, wenn auch oft nur zum Schein; aber dessenungeachtet ist ein solches Alleinsein auch noch um tausendmal besser als die anmutigste und schönste Gesellschaft! Denn in solchem Alleinsein bedroht einen nur ein scheinbarer Untergang, für den es noch eine Rettung gäbe, so er auch wirklich erfolgt wäre. In der bezeichneten anmutigen und schönen Gesellschaft aber bedrohen einen Menschen nicht selten tausend wirkliche Gefahren, jede vollkommen tauglich, Seele und Geist ganz zu verderben und in die Hölle zu bringen, von der es nahezu keinen Ausweg mehr gibt! Daher war dein gegenwärtiger Zustand für dein Gefühl wohl ein sehr mißlicher, aber für dein Wesen keineswegs ein unglücklicher.
03. Denn siehe, der Herr aller Wesen sorgte dennoch für dich, sättigte dich nach Maß und Ziel und hatte mit dir eine große Geduld! Denn du warst auf der Welt ein römischer Bischof, was ich wohl weiß, und verrichtetest dein heidnisches Götzenamt zwar dem Buchstaben nach wohl sehr strenge, obschon du innerlich nichts darauf hieltest; aber so etwas kann doch deiner eigenen Beurteilung nach bei Gott, der allein auf das Herz und dessen Werke sieht, unmöglich einen Wert haben! Zudem warst du sehr stolz und herrschsüchtig und liebtest trotz deines geschworenen Zölibates das Fleisch der Weiber über die Maßen! Meinst du wohl, dies könnten gottwohlgefällige Werke sein?
04. Du machtest dir auch mit den Klöstern viel zu schaffen und besuchtest am liebsten die weiblichen, in denen es recht viele und schöne Novizinnen gab. Du hattest dann ein großes Wohlgefallen, so sie sich vor dir wie vor einem Gott niederwarfen und dir deine Füße umklammerten und du sie dann auf allerlei moralische Proben stelltest, von denen einige um nichts besser sind als eine komplette Hurerei! Meinst du wohl, daß solch ein moralischer Eifer von deiner Seite Gott dem Herrn wohlgefällig war?
05. Was hast du auf der Welt gegen das Gebot Christi, der den Aposteln gebot, keine Säcke, somit kein Geld, keinen Rock, keine Schuhe – außer im Winter – und nie zwei Röcke zu haben und zu tragen, für große Reichtümer besessen! Welch ausgesuchte Speisen trug dein Tisch, welch glänzendes Fuhrwerk, welche reichsten Bischofsinsignien zierten deine Herrschsucht!
06. Wie oft hast du als sein wollender Verkünder des Wortes Gottes auf der Rednertribüne falsch geschworen und hast dich selber verflucht, so dies oder jenes nicht wahr wäre, was du bei dir selbst doch in deinem ganzen Leben nie geglaubt hast!
07. Wie oftmals hast du dich selbst befleckt – und warst im Beichtstuhle, solange du dich noch im selben herumtriebst, unerbittlich strenge gegen die armen Kleinen und ließest die Großen so leicht durch, als wie leicht da springt ein Floh durch ein Stadttor!
08. Meinst du wohl, daß der Herr daran ein Wohlgefallen haben konnte, dem doch das ganze römische Babylon ein Greuel ist in seiner besten Art?
09. Hast du je gesagt in deinem Herzen: ,Lasset die Kleinen zu mir kommen!‘? – O siehe, nur die Großen hatten bei dir einen Wert!
10. Oder hast du je ein armes Kind in Meinem Namen aufgenommen und hast es bekleidet, gespeist und getränkt? Wieviel Nackte hast du wohl bekleidet, wieviel Hungrige gesättigt, wieviel Gefangene frei gemacht? – O sieh, Ich kenne niemanden davon; wohl aber hast du Tausende in ihrem Geiste zu harten Gefangenen gemacht und hast der Armut nicht selten durch dein Verfluchen und Verdammen die tiefsten Wunden geschlagen, während du den Großen und Reichen Dispense über Dispense erteiltest – natürlich für Geld, nur manchmal bei sehr großen Weltherren aus einer Art großimponierender Weltfreundschaft umsonst! Meinst du wohl im Ernste, daß Gott derlei Werke angenehm und wohlgefällig sein könnten und du darum sogleich nach deines Leibes Tode hättest sollen von Mund auf in den Himmel aufgenommen werden?
11. Ich, dein Rettmann, sage dir das aber nicht, um dich zu richten, sondern darum nur, um dir zu zeigen, daß der Herr an dir kein Unrecht tat, so Er dich hier scheinbar ein wenig im Stiche ließ; und daß Er dir sehr gnädig war, darum Er nicht zuließ, daß du sogleich nach deinem Absterben vor Gott wohlverdientermaßen zur Hölle hinabgefahren wärest!
12. Bedenke das und schmähe nicht mehr deinen Führer, sondern denke in aller Demut, daß du von Gott aus nicht der geringsten Gnade wert bist, so kannst du sie wieder finden! Denn so sich die getreuesten Knechte als schlecht und unnütz betrachten sollen, um wieviel mehr du, der du noch nie etwas dem Willen Gottes Gemäßes getan hast!“
01. Spricht darauf der Bischof: „O du mein hochgeehrtester und alles Dankes würdigster Retter! Ich kann dir auf diese deine Enthüllung leider nichts anderes sagen als: Das ist alles Mea culpa, mea quam maxima culpa! Denn es ist alles buchstäblich wahr. Aber was läßt sich nun tun?
02. Ich fühle nun sicher die tiefste Reue über all das Begangene; aber mit aller meiner Reue läßt sich das Geschehene nimmer ungeschehen machen, und somit bleibt auch die Schuld und die Sünde unverrückbar, die da ist der Same und die Wurzel des Todes. Wie aber läßt sich in der Sünde des Herrn Gnade finden? – Siehe, das scheint mir ein völlig unmöglich Ding zu sein.
03. Darum meine ich also, indem ich nun vollkommen einsehe, daß ich sogestaltig ganz für die Hölle reif bin: die Sache läßt sich auf keine andere Weise ändern, außer ich würde durch eine allmächtige Zulassung Gottes mit meinem gegenwärtigen Gefühl nun noch einmal auf die Erde gesetzt, um daselbst so viel als möglich meine Fehler wieder gutzumachen. Oder – da ich vor der Hölle denn doch eine zu entsetzliche Furcht habe – der Herr möchte mich für die ganze Ewigkeit als ein allergeringstes Wesen in irgendeinen Winkel stecken, wo ich als ein allergeringster Landmann mir auf einem mageren Boden den nötigsten Unterhalt mit meiner Hände Arbeit erwerben könnte. Dabei leistete ich ja von ganzem Herzen gerne Verzicht auf irgendeine höhere Beseligung, indem ich mich selbst für den allergeringsten Grad des Himmels bei weitem zu unwert halte.
04. Das ist so mein Gefühl; denn meine Meinung kann ich's darum nicht nennen, weil ich's empfinde, daß das nun der innerste Anspruch meines Lebens ist. Es ist auf der über Hals und Kopf vernagelten Welt wohl auch nichts mehr zu machen; denn der allgemeine Zug des Stromes ist nun durch und durch schlecht, so daß es beinahe zur Unmöglichkeit wird, gut zu sein als ein Schwimmer wider den Strom.
05. Die Regierungen tun, was sie wollen, und die Religion gebraucht man nur noch als ein politisches Opium fürs gemeine Volk, um es leichter im Zaume und zu allem Möglichen dienstbar zu erhalten! Da sollte der Papst selbst versuchen, der Religion eine andere, bloß geistige Bedeutung zu geben, so wird man gegen seine deklarierte Unfehlbarkeit sogleich von allen Seiten her mit Waffen und klingendem Spiel zu Felde ziehen. Aus dem aber geht klar hervor, wie schwer es nun ist, besonders als ein Bischof die rechten Wege des Wortes Gottes zu gehen, indem er auf allen seinen Wegen und Stegen von einer Legion geheimer Aufseher beschnüffelt wird.
06. Alles das benimmt zwar weder einem Bischof noch irgendeinem andern Menschen den freien Willen; aber wie sehr wird dadurch das Handeln erschwert, ja in tausend Fällen sogar unmöglich gemacht – was dem Herrn sicher auch nicht unbekannt sein wird.
07. Es wäre freilich recht und billig und in dieser Zeit beinahe notwendig, des Wortes Gottes wegen ein Märtyrer zu sein; aber was würde damit geholfen sein? Nur ein Wort losgelassen, was mit der heiligsten Religion nun für ein barster Mißbrauch getrieben wird, und man steckt im Loch mit dem Auftrage des ewigen Schweigens, oder man wird so ganz heimlich aus der Welt geschafft.
08. Frage: was würde da jemand nützen können, so er strikte gegen den Strom schwimmen wollte, so er die reinste Wahrheit verkünden und sich opfern wollte für die geblendete arme Menschheit?
09. So man aber das aus der Erfahrung ersieht, daß sich da rein nichts tun läßt in einer Welt, die vom Fuß bis zum Kopf im dicksten Ärger steckt, und ihr nicht zu helfen ist, da wird es am Ende sogar wie verzeihlich, so man bei sich selbst ausruft: ,Mundus vult decipi, – ergo decipiatur!‘
10. Ich meine aber nun auch: der Herr sucht sicher jeden Menschen zu beseligen; aber so der Mensch schon durchaus die Hölle dem Himmel vorzieht, so vermag Er, der Allmächtige, ihn am Ende selbst nicht zu behindern, daß er nicht hinabfahre in den ewigen Pfuhl – bei welcher Gelegenheit dann sicher auch der Allweiseste nichts anderes als ,Si vis decipi, ergo fiat!‘ sagen würde.
11. Damit will ich auch nicht im geringsten mich vor dir etwa beschönigen und meine Schuld geringer machen, als sie ist, sondern dir nur sagen, daß man nun auf der Welt mehr ein genötigter als ein freiwilliger Sünder ist, worauf der Herr doch sicher auch eine gnädige Rücksicht nehmen wird.
12. Ich meine nicht, als sollte Er mir meine große Schuld darum für geringer ansetzen, als sie in Wirklichkeit ist, sondern eine Berücksichtigung möchte ich darum, weil die Welt wirklich Welt ist, mit der selbst beim besten Willen nichts zu machen ist; und weil man am Ende auch den guten Willen verlieren muß, ihr zu helfen, da man zu klar einsieht, daß man ihr gar nicht helfen kann.
13. Mein geliebtester Retter, sei mir darob nicht gram; denn ich redete nun, wie ich's bisher verstand und einsah. Du wirst es sicher besser verstehen und wirst mich darüber belehren; denn ich habe aus deinen Worten entnommen, daß du voll wahrer, göttlicher Weisheit bist und mir eine rechte Auskunft geben wirst, was ich zu machen habe, um wenigstens nur der Hölle zu entgehen.
14. Dazu gebe ich dir auch noch die Versicherung, daß ich deinem Wunsche nach meinem früheren Führer von ganzem Herzen vergebe! Denn ich war ja auch nur darum ärgerlich auf ihn, da ich bis jetzt noch nicht innewerden kann, was er mit mir für einen eigentlichen Plan hatte! Er ließ es zwar wohl sehr unbestimmt durchleuchten, was er mit mir vorhaben könnte; aber dieses überlange Verlassen meiner Person von seiner Seite mußte mich am Ende über ihn doch ärgerlich machen! Aber nun ist alles vorbei, und so er jetzt herkäme, würde ich ihm deinetwegen augenblicklich um den Hals fallen und ihn abküssen wie ein Sohn seinen lange nicht gesehenen Vater!“
01. Nun rede wieder Ich als der Schiffsmann: „Höre mich nun an und merke genau, was Ich dir sagen werde!
02. Siehe, wohl weiß Ich, wie die Welt beschaffen ist, weil Ich es auch weiß, wie sie zu allen Zeiten beschaffen war. Denn wäre die Welt nicht arg oder wenigstens nur manchmal besser als ein anderes Mal, so hätte sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt! Da ihr großböser Mutwille aber schon solches tat am grünen Holze, um wieviel weniger wird er des dürren Reisigs schonen! Daher gilt für die Welt ein für alle Male das, was aus dem Munde des Herrn im Evangelium geschrieben steht und lautet:
03. In diesen Tagen – d.h. in der Zeit der Welt – braucht das Himmelreich Gewalt; nur die werden es besitzen, die es mit Gewalt an sich reißen! Eine solche moralische Gewalt aber, Freund, hast du dem Himmelreiche wohl nie angetan. Darum darfst du die Welt eben auch nicht zu sehr anklagen, indem Meines höchst klaren Wissens du es zu allen Zeiten bei weitem lieber mit der Welt als irgend mit dem Geiste gehalten hast! Denn in diesem Punkte warst du eben einer der Hauptgegner aller geistigen Aufklärung, ein Feind der Protestanten und verfolgtest sie ob der vermeintlichen Ketzerei mit Haß und bitterstem Ingrimm!
04. Bei dir hieß es wirklich nie: Si mundus vult decipi!, sondern ohne Gnade und Pardon: Mundus decipi debet! – und das sine exceptione! Ich aber sage dir, daß die Welt nirgends schlechter ist als gerade in deiner und zumeist in deinesgleichen Sphäre! Ihr seid zu allen Zeiten die größten Feinde des Lichtes gewesen, und es gab Zeiten, wo ihr jedem nur um ein Haar heller Denkenden und Sehenden Scheiterhaufen errichtet habt!
05. Nicht die Fürsten der Welt suchten die Finsternis bei ihren Völkern auszubreiten, sondern ihr waret es, die ihr die Fürsten selbst in den Bannfluch legtet, so sie es wagten, etwas heller zu denken, als es eurer finstersten, hierarchischen, tyrannischesten Despotie genehm war! Wenn nun Fürsten selber finster sind hie und da, so sind sie sogestaltig euer Werk; aber ihr waret nie ein Werk der Fürsten, sondern jetzt wie zu allen Zeiten euer eigenes!
06. Daß es nun etwas schwerer ginge in manchem Lande, das vom Lichte von A bis Z keine Ahnung mehr hat, das reine Licht Gottes einzuführen, das weiß Ich; aber wer trägt daran die Schuld? Siehe, niemand sonst als ihr selbst!
07. Wer hieß euch je Götzentempel und barste Götzenaltäre errichten? Wer hat euren lateinischen sogenannten Gottesdienst angeordnet? Wer hat die Ablässe erfunden, wer die Schrift Gottes verbannt und an deren Statt die absurdesten und lügenhaften Legenden der sogenannten Heiligen eingeführt, wer die Reliquien, wer die Millionen von allerlei heiligen Bildern und Schnitzwerken? – Siehe, niemand anderer, kein Kaiser und kein Fürst, sondern ihr! Ihr allein waret zu allen Zeiten die Werkmeister der allerdicksten Finsternis, um darinnen allerlei, groß und klein, zu fangen für euer Zepter!
08. Die Fürsten sind zumeist voll frommen Glaubens und gehorsam eurer Lehre; sage mir, was hattest aber du, der du doch in der Schrift bewandert warst, für einen Glauben? Und wem gehorchtest du wohl? Wieviel hast du wohl gebetet, ohne dafür bezahlt zu sein?
09. Sage, kannst du wohl bei Gott nach all dem irgendeine Berücksichtigung erwarten, indem die Welt nicht dich, sondern nur du die Welt in deinem Bezirke um vieles schlechter gemacht hast, als sie ehedem war?
10. Ich sage dir aber: Was das Märtyrertum betrifft, das du angeführt hast, so hättest du dich tausendmal eher aus herrschsüchtiger Liebe zur Nacht ans Kreuz schlagen lassen, als nur einmal fürs reine Gotteslicht! So hättest du auch von den Fürsten wenig zu besorgen gehabt, wenn du das Licht hättest verkündigen lassen, und noch weniger von ihren Aufsehern. Denn Ich weiß es nur zu gut, wie du den Fürsten widerstandest, so sie sich gegen deine unsinnigsten, allen Menschen- und Bruderwert verachtenden und verdammenden Forderungen sträubten!
11. Siehe, so sind Mir auch wenig Beispiele bekannt, daß Fürsten wahrhaft helle Priester, die der Gotteslehre rein oblagen, ins Loch steckten oder gar – was von dir eine grobe Anschuldigung ist – in die Geisterwelt expedierten. Wohl aber sind mir eine ungeheure Zahl Beispiele bekannt, daß nur ihr das an jenen tatet, die es gewagt haben, reiner nach dem Worte Gottes zu leben!
12. Wer da klug ist wie eine Schlange und dabei sanft wie eine Taube und wandelt also des Herrn Wege: meinst du wohl, daß der alte Gott schwächer geworden ist, als Er zu den Zeiten der Apostel war, und somit jenem nicht mehr zu helfen vermöchte, wenn er von der Welt bedräut wird?
13. O sieh, Ich könnte dir nebst Luther noch eine große Menge Brüder anführen, die in einer allerfinstersten Zeit es dennoch gewagt haben, das reine Gotteswort vor aller Welt zu bekennen. Und siehe, die Fürsten der Welt haben keinem den Kopf vom Leibe getrennt; wohl aber ging's nur dem schlecht, der reineren Geistes in eure Hände geriet!
14. Du wirst nun hoffentlich einsehen, daß hier, wo nichts als die reinste Wahrheit, mit der ewigen Liebe geeint, nur gilt, mit all deinen Entschuldigungen nichts erreicht wird – außer mit der alleinigen Mea quam maxima culpa! Das ist allein recht, alles andere gilt vor dem Herrn nichts! Denn das wirst du wohl zugeben, daß Gott die Welt in ihren kleinsten Fibern besser kennt von Ewigkeit her, als du sie je erkennen wirst. Darum wäre es auch der größte Unsinn, so du Gott dem Herrn zu deiner Entschuldigung beschreiben wolltest, wie sie ist; obschon du sagst, daß du das nicht zu deiner Entschuldigung sagst, sondern nur, daß der Herr mit dir eine Rücksicht nehmen solle – ohne dabei im geringsten zu bedenken, daß du selbst ein Hauptweltschlechtermacher warst!
15. Inwieweit du als ein Weltgefangener Rücksicht verdienst, wird sie dir nicht um ein Haar entzogen werden; aber in allem dem, was du ihr nun anwirfst, nicht die allergeringste! Was die Welt dir schuldet vor Gott, das wird mit einer kleinen Rechnung abgetan sein. Aber deine Schuld wird so kurz nicht ablaufen, außer du bekennst sie selbst reumütigst und bekennst auch, daß nie du – der du allzeit schlecht bist und warst –, sondern allein nur der Herr alles wieder gutmachen und dir vergeben kann deine Schuld.
16. Du hast wohl eine große Furcht vor der Hölle, weil du dich in deinem Gewissen ihrer wert fühlst und meinst, Gott werde dich da hineinwerfen wie einen Stein in einen Abgrund. Du bedenkst aber nicht, daß du nur deine eingebildete Hölle fürchtest, aber an der wirklichen ein großes Wohlgefallen hast und nicht heraus willst in der Fülle!
17. Siehe, alles, was du bisher noch gedacht hast, war mehr oder weniger Hölle im eigentlichsten Sinn! Denn wo nur noch ein Fünklein Selbstsucht herausschaut und Eigendünkel und Beschuldigung anderer, da ist Hölle; wo der fleischliche Sinn noch nicht freiwillig verbannt wurde, da ist noch Hölle! Bei dir aber haftet das alles noch; somit bist du noch sehr stark in der Hölle! – Siehe, wie eitel da deine Furcht ist!
18. Der Herr aber, der Sich aller Wesen erbarmt, will dich daraus erretten – und nicht nach deiner römischen Maxime noch tiefer hineinverdammen! Daher sage fürder auch nicht vom Herrn, daß Er den durchaus in die Hölle Fahrenwollenden sage: ,So du denn durchaus zur Hölle willst, so sei's!‘
19. Siehe, das ist eine sehr frevelnde Behauptung von dir! Du bist eben einer, der schon gar lange der Hölle nicht entsagen will; wann aber hast du von seiten des Herrn ein solches Gericht über dich vernommen?
20. Bedenke diese Meine Worte wohl und kehre dich danach in dir, so will Ich dies Schifflein also lenken, daß es dich aus deiner Hölle in das Reich des Lebens bringen soll. Es sei!“
01. Spricht nun unser Mann: „O lieber Freund, ich muß es dir leider offen gestehen, daß es mit mir gerade so steht, wie du es mir nun ohne Vorenthalt meiner Sünden kundgetan hast. Und ich sehe es ein, daß ich dagegen auch nicht die geringste Entschuldigung vorbringen kann; denn alles trifft mich rein ganz allein! Aber nur das möchte ich noch von dir erfahren, wohin du mich nun bringen wirst, und was wird mein ewiges Los sein?“
02. Spricht der Schiffsmann: „Frage dein Herz, deine Liebe! Was sagt diese? Was ist ihre Sehnsucht? Hat dir diese aus deinem Leben heraus ganz bestimmt geantwortet, so hast du dann schon in dir selbst dein Los entschieden: denn jeder wird von seiner eigenen Liebe gerichtet!“
03. Spricht der Bischof: „O Freund, so ich nach meiner Liebe gerichtet würde, da käme ich Gott weiß wohin! Denn in mir geht es noch gerade so zu wie im Gemüte eines modesüchtigen Weibes, das da in einem irdischen Modeverkaufsgewölbe vor sich hundert Modestoffe hin und her mustert und am Ende nicht weiß, was es nehmen soll!
04. Meinem innersten Gefühle nach möchte ich bei Gott, meinem Schöpfer sein. Aber da treten mir meine vielen und großen Sünden in den Weg, und ich sehe dann die Realisierung solches meines Wunsches für rein unmöglich an!
05. Darauf denke ich wieder an jene schon diesweltlichen abenteuerlichen Schafe und Lämmer; mit einem solchen Schafe wäre es gerade auch nicht unangenehm in Ewigkeit zu leben! Aber da sagt mir wieder ein innerer Mensch: ,So etwas wird dich Gott ewig nie näherbringen, sondern dich stets mehr nur von Ihm entfernen!‘, – und damit sinkt auch dieser mein Lieblingsgedanke ins Grundlose dieses Meeres!
06. Wieder kommt mir der Gedanke, irgendwo in einem Winkel dieser ewigen Geisterwelt als ein schlichtester Landmann zu leben und nur wenigstens einmal die Gnade zu besitzen, Jesus zu sehen, wenn auch nur auf einige wenige Augenblicke! Aber da ermahnt mich wieder mein loses Gewissen und spricht: ,Dessen bist du ewig nicht wert!‘, – und ich sinke wieder zurück in mein mit allen Sünden behaftetes Nichts vor Ihm, dem Allerheiligsten!
07. Nur ein Gedanke kommt mir am wenigsten schwer und unmöglich zu realisieren vor, und ich muß gestehen, daß das nun meine Lieblingsidee ist: nämlich bei dir, wo du auch sein magst, die ganze Ewigkeit zu sein und zuzubringen! Obschon ich auf der Welt diejenigen am wenigsten leiden konnte, die es wagten, mir die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, so habe ich aber dich eben dadurch nun über alles liebgewonnen, weil du mir die Wahrheit wie ein allerweisester, aber auch wie ein allersanftester Richter offen ins Gesicht gesagt hast. Bei dieser Lieblingsidee aber werde ich auch verbleiben in Ewigkeit!“
08. Spreche Ich: „Nun gut, wenn das deine Hauptliebe ist, von der du dich in der Folge aber noch tiefer überzeugen mußt, so kann sie sogleich ausgeführt werden! Siehe, wir sind nun nicht mehr fern von einem Ufer und ebensowenig ferne von Meiner Wohnhütte. Mein Geschäft kennst du nun schon, daß ich ein Lotse bin im vollsten Sinne des Worts?! Du wirst nun dies Geschäft mit Mir teilen; den Lohn für unsere Bemühungen wird uns unser Grundstückchen bringen, das wir in geschäftsfreien Augenblicken nach Möglichkeit emsig bearbeiten wollen. Und sieh dich um, neben dir wirst du noch jemanden finden, der da getreu mit uns halten wird!“
09. Der Bischof sieht sich auf dieser Seefahrt zum erstenmal um und erkennt sogleich den Engel Petrus; er fällt ihm um den Hals und bittet ihn um Vergebung ob der angetanen Schmähungen.
10. Petrus erwidert die gleiche Liebe und preist den Bischof glücklich, daß sein Herz diese Wahl getroffen hat aus seinem innersten Herzengrunde.
11. Das Schiffchen stößt nun ans Ufer, wo es an einem Stock befestigt wird, und wir alle drei gehen in die Hütte.
01. Bisher aber war es gleich stets mehr dunkel als hell. In der Hütte fing die Dunkelheit jedoch mehr und mehr an sich zu verlieren, und eine wohltuende Dämmerung verscheuchte nach und nach stets mehr die frühere Nacht – natürlich vor den Augen des Bischofs nur, denn vor Meinen (des Herrn) und des Engels Petrus Augen war es stets der allerhellste, ewige, unvergängliche und unveränderliche Tag!
02. Daß es aber nun auch vor den Augen des Bischofs zu dämmern anfing, geschah aus dem Grunde, weil in seinem Innersten die Liebe aufzutauchen begann, nachdem durch Meine Gnade der Bischof eine große Menge irdischen Unflates freiwillig aus sich hinausgeschafft hatte und noch fortschafft.
03. „Was geschieht aber nun in der Hütte?“, werdet ihr fragen. – Nur Geduld, sogleich wird nun von Mir die Dienstordnung vorgetragen werden, die der Bischof von nun an zu befolgen haben wird, nachdem er zuvor sich ein wenig mit Meinem Lebensbrote wird gestärkt haben. Denn ihr sehet leicht ein, daß der Mann sicher sehr hungrig sein muß, indem er durch sein ganzes Leben auf der Welt, wie auch in der sehr kurzen Periode von sieben natürlichen Tagen (wennschon anscheinend eine undenklich lange Dauer) noch nie an diesem wahrsten Nährtische gegessen hat und nie verkostet das Brot des Lebens. Daher müssen wir ihn nun schon, wie ihr zu sagen pflegt, ein bißchen dreinhauen lassen, d.h. so recht den ersten Heißhunger stillen lassen.
04. Seht, wie er ein Stück Brot ums andere verzehrt, und wie er dabei ganz zu Tränen gerührt ist und nun spricht:
05. (Bischof Martin:) „O du mein allerbester Freund und nunmaliger Dienstherr für ewig, wie überaus gut ist es bei dir sein! Nimm vorerst meinen inbrünstigen Dank hin, und trage selben in deinem reinen Herzen auch Gott dem Herrn vor. Denn meine Zunge ist ewig nicht wert, dem Herrn ein Dankgebet vorzutragen, indem ich doch ein viel zu großer und zu grober Sünder vor Ihm bin!
06. So, so; ach, das war gut! O der undenklichen Zeit meines Hungers, meines Durstes und meiner ununterbrochenen Nacht! O Dank, Dank dir, größter Dank Gott, dem Herrn, da Er es zugelassen hat, daß du mich rettetest und nun auch sättigtest, daß mir nun so wohl ist, als wäre ich frisch geboren! – Und siehe, siehe, es wird auch ganz hell wie an einem Frühlingsmorgen, so sich die Sonne dem Aufgange naht! O wie herrlich ist es nun hier!
07. O liebster Freund und auch du, mein alter und erster Führer, da ich nun gesättigt bin zur Übergenüge, so lasset mich nun an irgendeine Arbeit, auf daß ich euch – wennschon in einem höchst verjüngten Maße gegen eure übergroße Wohltat an mir – durch meiner Hände Fleiß meine große Liebe zu euch an den Tag legen kann!“
08. Nun rede Ich: „Komme nur mit uns aus der Hütte, und wir werden sogleich Arbeit in schwerer Menge bekommen! Sieh, wir sind nun schon wieder im Freien und am Ufer des Meeres! Dort sind die Fischernetze: gehe mit dem Bruder hin, und bringe sie hierher in das Schiff; denn das Meer ist heute ruhig, und wir werden einen guten Fang tun!“
09. Die beiden bringen eiligst drei gute Tauchbären herbei und ein Schleppnetz, schaffen es sogleich ins Schiff, worauf der Bischof voll Freuden spricht: „Ach, das ist wohl eine lustige Arbeit! So gefällt mir das Meer; aber als ich dabei an dessen lockerstem Ufer meines Untergangs harrte, da sah es ganz schrecklich anders aus!
10. Aber gibt es denn hier im Geisterreiche auch Fische? – Wahrlich, davon hatte mir auf der Welt nie etwas geträumt!“
11. Spreche Ich: „Und was für Fische! Es wird dir bei der Arbeit noch ganz sonderlich zumute werden, besonders da es hier unsere Aufgabe ist, dieses Meer voll auszufischen. Doch darum darfst du deinen Mut nicht sinken lassen, es wird alles gehen. Aber, wie gesagt, es gehört Geduld und Mut und große männliche Festigkeit dazu!
12. Es werden dabei recht viele Gefahren vorkommen, und du wirst dich nicht selten für verloren halten. Dann aber sieh auf Mich, und tue, was Ich tue, so wird alles gut und zu unserm großen Vorteil ablaufen! – Denn jedes gute Ding braucht Mühe, Geduld und feste Arbeit! – Löset nun das Schiff vom Stock, und wir wollen sogleich in die hohe See hinausstoßen!“
13. Die beiden lösen das Schiff ab und ein von Morgen her wehender Wind treibt es pfeilschnell in die hohe See hinaus.
14. Im Verlaufe der Fahrt spricht wieder der Bischof: „O tausend, tausend! Aber Freunde, da muß es schon ganz entsetzlich tief sein, denn das Wasser sieht ja vor lauter Tiefe nahezu kohlschwarz aus! Wenn da das Schiff scheitern möchte, wie erginge es uns dann?!“
01. Spreche Ich: „Freund, nur keine Furcht, denn wir sind guter Dinge wegen auf dem Wasser, und da mag es tief sein, wie es wolle, so haben wir nichts zu befürchten! Nun, aufgepaßt, das Schleppnetz hinausgeworfen! Dort, wo das Wasser stark wogt, ist ein ungeheurer Fisch! Nur behende, daß er uns nicht entgeht!“
02. Die beiden werfen das Netz hinaus, und kaum hat es sich im Wasser ausgebreitet, fährt auch schon ein sichtliches Ungeheuer von einem Fisch hinein. Und da es das starke Netz nicht durchbrechen kann, so reißt es das Schiff pfeilschnell mit sich fort auf der Oberfläche und macht keine Rast, sondern wütender und wütender schleppt es das Schiff mit sich fort.
03. Der Bischof, darob voll Entsetzen, ruft: „O um Gottes willen, was jetzt?! Nun sind wir offenbar verloren! Das Ungeheuer füllt das Netz gerade kaum mit seinem halben Kopfe aus! Der Leib reicht Gott weiß wie weit noch ins Wasser hinein; es ist sicher dreimal so groß als unser Schiff! Wenn wir's auch erlegen könnten, wohin möchten wir dann damit?! – Oh, oh, immer wütender und schneller rennt es mit unserm Fahrzeuge zum ... O-Gott-steh-uns-bei!“
04. Nun redet Petrus: „Sei nur nicht kindisch! Laß rennen den Fisch, wohin und wie lange es ihn freut! Solange er den Kopf im Netze hat, geht er nicht unter, daß weiß ich als ein alter Fischer. Und wenn er sich wird zur Genüge ausgerannt haben, da wird er schon ruhiger werden, und wir werden dann ein leichtes haben, uns seiner zu bemächtigen und ihn ans Ufer schleppen! Denn siehe dorthin – der Fisch rennt gerade einem Ufer zu; da wird es dann schon wohlfeiler gehen mit seinem Davonrennen!
05. Und hast du denn vergessen, was da unser aller hochgeliebter Meister geredet hat? – Siehe, Er ist ruhig, daher seien es auch wir! Wenn es aber heißen wird: ,Nun Mir nach, die Hände ans Werk!‘, dann erst heißt es sich rühren, wie Er es anordnet. Denn über Ihn gibt es keinen Meister in der Fischerkunst! Jetzt aber heißt es: Aufgepaßt, der Moment unserer Tätigkeit wird sogleich eintreten!“
06. Nun rede Ich: „Petrus, nimm du den großen Haken und stoße ihn kräftig hinter die Kiefer! Und du, Freund Martin, springe nun behende ans Ufer, ergreife kräftigst das Schiffstau und ziehe es ans Ufer! Befestige es schnell an den vorhandenen Stock, springe dann wieder ins Schiff herein, nimm den zweiten Haken und tue, was Petrus tat! Denn siehe, das Ungeheuer hat die rechte Mattigkeit erlangt, und wir werden seiner nun leicht Meister! Also nur behende!“
07. Der Bischof Martin tut eiligst, wie ihm geboten wurde. Das Schiff ist befestigt, und unser Martin ist schnell wieder im Schiff. Er ergreift den Haken und stößt ihn scharf und stark hinter die andere Kieferlappe, und so ist das Ungeheuer nun wohl befestigt.
08. Und nun befiehlt der Herr: „Gehet hinaus ans Ufer, bringt das große Tau, an dem ein schwerer und scharfer Wurfhaken befestigt ist; dort nahe an der Hütte ist es schon in Bereitschaft! Ich werde unterdessen mit den beiden Hakenstangen den Fisch näher ans Ufer hin bringen, wo ihr dann äußerst schnell den Wurfhaken auf den Kopf des Tieres schleudern müßt. Und du, Freund Martin, darfst nicht erschrecken, so der Fisch dabei einige mächtige Bewegungen machen wird, die dir freilich ganz grauenerregend vorkommen werden. Aber nur Mut und Beharrlichkeit – dann geht alles! Also nun Mir die beiden Stangen in die Hände gegeben und ihr eilet an euer Werk!“
09. Alles geschieht pünktlich. Aber als dem Fisch der schwere und scharfe Wurfhaken ins Lebendige dringt, fängt er an, ganz schrecklich (für den Bischof Martin) sich zu winden und zu bäumen. Er treibt dadurch mächtige Fluten ans Ufer, so daß manchmal unser neuer Fischer Martin ganz vom Wasser zugedeckt wird, was ihn um so mehr geniert, weil manchmal der tausendzähnige Rachen des Fisches ihm beim Halten des Taues sehr nahe kommt und zugleich stark nach ihm schnappt. Er ist in großer Angst, aber nun mehr um Mich als um sich, indem er sieht, wie der Fisch mit seinem mächtigen Schwanze das Schiff schon einige Male ganz übers Wasser emporhob und dann wieder niederschleuderte.
10. Petrus aber spricht zu ihm: „Halte nur fest, Bruder! Nimm alle deine Kräfte zusammen, sonst reißt uns das furchtbare Ungeheuer in die Meerestiefe hinein, wo es uns eben nicht am besten erginge!“
11. Spricht der Bischof Martin: „O Bruder, wenn ich nur hinter dir wäre! Die Bestie schnappt fortwährend nach mir, und unser Meister schiebt es noch dazu völlig mir unter die Nase, wo dies schrecklichste Untier gerade vor meinem Kopfe in einem fort seinen schrecklichen Rachen drei gute Klafter weit aufreißt und dann wieder so gewaltig zusperrt, daß es mir dadurch wenigstens hundert Eimer Wasser ins Gesicht speit!
12. Ah, das ist eine verzweifelt schwere und sehr gefahrvolle Arbeit! Diese Arbeit wäre ja für Galeerensklaven zu schlecht! – Oh oh, m-m-m – brrr, brrr, – ah – ah, – schon wieder eine volle Ladung Wasser im Gesicht! Ich werde noch ersaufen, so mich die Bestie noch einige Male anspeien wird! Eh – eh, der Rachen geht schon wieder auf! Nein, ich halte es nimmer aus! Das Wasser ist so entsetzlich kalt, daß mich nun schon so friert, als wenn ich mutternackt auf dem Eise läge! Jetzt wird er gleich wieder zuschnappen!“
13. Spricht Petrus: „Da nimm die Spreize und spreize ihm den Rachen auf, so wird er nimmer zuschnappen können!“
14. Spricht Bischof Martin: „Nur her damit! – Ist schon gehörig darinnen! – Oho, du gewaltiges Vieh, jetzt wird dein Schnappen wohl einmal ein Ende haben? Das war wirklich ein guter Gedanke von dir; nur hättest du ihn um ein paar Dutzend Schnapper früher fassen sollen, da wäre ich nicht so jämmerlich durchnäßt worden! Aber so ist es nun auch gut.“
15. Nun rede Ich vom Schiffe: „Gut so; befestigt nun auch das Hakentau an einem Stock und kommt dann schnell wieder ins Schiff! Das ist schon unser Fisch, der geht uns nimmer durch! Wir aber wollen unser Schiff sogleich wieder flott machen und in die hohe See hinausstoßen, vielleicht machen wir in kurzer Fristung noch einen ansehnlicheren Fang?“
16. Die beiden tun schnell, was ihnen befohlen wird. Bischof Martin kratzt sich hinter den Ohren zwar – denn er hätte gewisserart für einmal schon genug; dessenungeachtet aber tut er dennoch schnell, was von Mir geboten wurde.
17. Nun sind schon wieder beide im Schiffe, das jetzt wieder pfeilschnell davoneilt.
18. Ich aber mache zu Bischof Martin unterwegs die Bemerkung: „Freund, du mußt dir hier schon angewöhnen, stets unverdrossen zu sein. Denn wer etwas mürrisch an die Arbeit geht, dem glückt selten ein Werk! Daher Geduld, Mut und Ausharrung; die Freude kommt erst nach vollbrachter Arbeit!
19. Ja, mein lieber Freund, hier im Geisterreiche ist es nichts mit deinem oft auf der Welt herabgeplärrten: Requiescant in pace!, sondern: Arbeitet, dieweil es noch Tag ist! Genug, so man in der Nacht ruht, in der niemand arbeiten kann! Als du Nacht hattest, warst du auch arbeitslos; da aber nun auch dir der Tag angebrochen ist, so mußt du auch arbeiten – denn das Gottesreich ist ein Arbeitsreich und kein Faulenzer- und Brevierbeterreich! Daher nur frischen Mutes!
20. Seht dorthin gegen Mitternacht, wo noch eine starke Dämmerung auf dem Gewässer rastet! Dort wogt das Meer stark, doch ist kein Wind weder hier noch dort; sonach kann der Grund solch einer wogenden Bewegung kein anderer sein als irgendein mächtig großer Fisch! Daher hurtig hingesteuert und alle Hände ans Werk gelegt; dieser Fisch soll hauptsächlich unsere Mühe lohnen!“
21. Bischof Martin spricht: „O Freund, der wird uns wohl etwa mit der Hilfe des Gott-steh-uns-bei den Garaus machen. Aber wozu braucht man denn hier im Geisterreiche so viele und so närrisch große Fische? Gibt es denn auch hier Fasten, wo man nur Fischfleisch essen darf? Oder wird das Fleisch und das Fett solcher Fische etwa auch hier weiterhin versendet und verhandelt?“
22. Rede Ich: „Jetzt nur schnell jeder von euch ein Schwert in die Hand; denn das ist eine zehnköpfige Hydra! Das Ungeheuer hat uns gesehen und schießt schnurstracks auf uns zu. Du, Petrus, weißt schon, wie derlei Fische gefangen werden; du, Bischof Martin, aber tue, was der Bruder tun wird! Wie diese zehnköpfige Hydra ihre Schlangenköpfe über Bord hereinbeugen wird, dann nur hurtig gemäht, bis alle zehn Köpfe von dem langen Schlangenleibe getrennt sind; das andere werde dann schon Ich machen! Das Untier ist hier, also nun nur zugehauen!“
23. Seht, Petrus putzt mit seinem scharfen Schwerte der dem Bischof Martin entsetzliches Grauen erregenden Hydra einen Kopf um den andern von ihrem schwarzen, panzerartigen Schuppenleibe, oder vielmehr vom Halse, da vom Leibe auch zehn Hälse ausgehen, auf deren jedem ein Kopf gewachsen ist. Aber unser Bischof Martin weiß nicht recht, wo er hinhauen soll, um einen Kopf zu treffen, da er vor lauter Angst beinahe nichts sieht und die Augen mehr zu als offen hält.
24. Nun aber hat Petrus gerade den zehnten Kopf von eben auch dem zehnten Halse getrennt! Ströme von Blut entstürzen dem Ungeheuer. Das Meer ist weit herum mit Blut gefärbt und wogt für den Bischof überaus stark ob des gewaltigen Wütens des nun völlig enthaupteten Untieres, das fürs Auge unseres Bischof Martin eine Länge von 111 Klaftern mißt und ebensoviel im Umfange.
25. Nun rede Ich wieder zu den zweien: „Petrus, lege nun das Schwert wieder an seinen Ort und reiche Mir den großen Stanghaken, damit Ich ihn in den Bauch des Ungeheuers stoße und dasselbe herziehe! Du, Martin, aber ergreife das Steuerruder und stecke es in den siebenten Grad des Aufgangs, und wir werden mit diesem ausgezeichneten Fange bald wieder am Ufer sein!“
26. Alles geschieht nach der größten Ordnung, und das Schiff, die Beute mit sich herziehend, eilt auch schon wieder mit Wurfschnelle dem bekannten Ufer zu.
27. Da aber nun das Schiff dem Ufer schon sehr nahe ist, späht Bischof Martin sorglichst, was etwa der frühere große Fisch noch macht. Aber er erstaunt nicht wenig, als er vom ganzen Fische keine Spur mehr findet, und spricht sogleich:
28. „Aber, aber, aber, – was ist denn das?! Da haben wir's – jetzt hat uns dieses zweite Ungeheuer beinahe alle Lebenskräfte entrissen, bis wir's erlegt und gefangengenommen haben und hierher geschleppt; während solcher wahren Millionmühe aber ist der erste Fang zum Plunder gegangen! Mir ist es wohl vorgekommen, als hätten wir es ein wenig zu locker befestigt!
29. Ei, ei, das ist doch fatal! Soviel Mühe hat uns die Bestie gemacht, und jetzt haben wir erst nichts für alle unsere Gefahr und Mühe! Liebe Freunde, diese Beute müssen wir schon etwas mehr befestigen, sonst geht sie uns auch zum Plunder, so wir etwa wieder auf einen neuen Fang ausgehen werden!“
30. Spricht Petrus: „Sorge dich um nichts – der erste Fisch ist schon versorgt! Denn hier gibt es noch mehr Arbeiter, die schon wissen, was sie zu tun haben, so wir ihnen einen Fang ans Ufer stellen! Nun aber, da wir uns bereits am Ufer befinden, springe schnell hinaus und mache das Schiff fest. Ich und der Herr Meister aber werden die große Beute ans Ufer ziehen!“
31. Bischof Martin, etwas verblüfft, tut sogleich, was ihm Petrus sagt; wir aber tun vor seinen Augen, was ihm Petrus sagte.
32. Die zweite Beute ist nun auch befestigt, und Ich spreche: „Da dieser Fang so gelungen ist, so haben wir damit eine Hauptarbeit beendet; daher laßt uns nun hier am Ufer mit den Tauchbären die kleineren Fische aus dem Wasser heben und ans Ufer werfen! Denn die zwei größten Ungeheuer haben wir erlegt, und es wird dergleichen nicht mehr geben in diesem Gewässer; darum gehen wir nun unverdrossen an diese leichtere Arbeit! Treten wir nur wieder ins Schiff und versuchen, wie es mit dem Kleinfischfang gehen wird!“
33. So geschieht, wie Ich angeordnet habe. Die beiden stoßen die Tauchbären ins Wasser und Ich leite das Schiff. Die Arbeit geht gut vonstatten: jeder Zug füllt die Tauchbären mit allerlei Fischen, die die beiden behende ans Ufer hinausschleudern; die Fische aber, so sie das Ufer berühren, werden alsbald zunichte. –
01. Dieses Zunichtewerden der Fische fängt, je länger es dauert, desto mehr den Bischof Martin zu genieren an, so daß er nun schon ärgerlich wird und bei sich zu murmeln anfängt: „Ist aber das eine blitzdumme närrische Arbeit! Ich bin schon beinahe ganz hin vor lauter Fischeherausheben und Hin-ans-Ufer-Schleudern, und das alles für nichts und wieder nichts! Denn es bleibt ja keiner: ein jeder vergeht wie die Butter an der Sonne! Das wird etwa doch merkwürdig dumm sein? Nein, ist aber das eine extraordinär blitzdumme Arbeit!
02. Ich muß doch einmal genauer nachsehen, wohin denn diese Fische so schnell kommen! – Hm, hm, kann nichts bemerken! – Wieder ein Wurf von meinem Kollegen, und nichts bleibt in diesem Reiche der Unvergänglichkeit! Eine schöne Unvergänglichkeit – das! Auf der Erde bleibt von dem Dagewesenen wenigstens nicht viel übrig; aber von gar nichts ist da keine Rede so wie hier, denn hier bleibt von dem einmal Daseienden gar nichts zurück!
03. Ich habe mich schon so etwa auf einen heißen abgesottenen Lachs, Stör oder sonst einen Fisch gefreut. Aber bei der alles verzehrenden Schärfe dieser Geisterweltluft, die für die Fische sehr eingenommen zu sein scheint, wird damit enorm wenig herausschauen! Ich habe zwar freilich noch eigentlich keinen Hunger; aber ein ziemlich fühlbares Appetitchen wandelt mich dennoch an, und der Gedanke an einen heiß abgesottenen Lachs macht mir den ganzen Mund wässrig!
04. Es ist zwar hier um eine ganze Million besser, als da war mein früherer Stand; aber diese luftige Fischerarbeit wird sich für die ganze Ewigkeit auch nicht übel machen! Es ist auch merkwürdig, wie es hier schon lange morgendämmert; aber von einer Sonne, die da aufgehen soll, kommt nichts zum Vorschein!
05. Sonderbare Welt, sonderbares Sein! Man kann's nehmen und betrachten, wie man's will, so ist's und bleibt's dumm! Diese meine einzigen Freunde sind zwar sehr weise in ihren Worten, aber dafür desto dümmer im Handeln! Man nehme nur diese ganz zwecklose Fischerei an! Was ist das doch für eine läppisch-tolle Arbeit, und doch betreiben sie diese zwei, als wenn das Heil der Ewigkeit davon abhinge! Aber was will ich machen? Was Besseres habe ich nicht zu erwarten, und so muß es in Gott's Namen gut sein! Daher nur lustig diese Luftfische herausgefischt; vielleicht wird nachher doch wieder etwas anderes zum Vorscheine kommen!
06. Petrus fragt den Bischof Martin: „Was murmelst du denn so in dich hinein? Bist etwa schon müde?“
07. Spricht Bischof Martin: „Müde, Freund, bin ich gerade nicht. Aber ich muß dir offen gestehen, daß mir diese Arbeit denn doch ein bißchen spaßig vorkommt, trotzdem ich mehr als überzeugt bin, daß du und besonders unser Meister sehr weise Männer seid!
08. Schau, schau, – nun arbeiten wir schon eine ziemlich geraume Zeit bloß für die Luft, oder noch besser für nichts! Der erste große Fisch ist beim Plunder, und der zweite zehnköpfige? Ich seh' nichts mehr von ihm! Diese Kleinfische werden von der Luft schon eher verzehrt, als sie noch den Boden berühren! Frage: wozu ist solch eine leere Arbeit wohl gut?
09. Ich erkenne euch wohl als sehr weise Männer, und es wird diese Arbeit wohl auch einen sehr weisen Zweck haben. Aber laßt mich doch auch ein bißchen erfahren, warum wir diese anscheinend höchst leere Arbeit verrichten, wozu das eigentlich gut ist oder sein wird!“
10. Spricht Petrus: „Schau, schau, lieber Freund und Bruder! Als du auf der Welt ein Bischof warst, sage: wie viel noch leerere Arbeiten hast du verrichtet? Hätte dich aber wohl jemand fragen dürfen, wozu sie in Wahrheit gut wären und ob an ihnen wohl in Wirklichkeit etwas gelegen wäre – z.B. an der Glockentaufe, Orgelweihe, an den verschiedenartigen sogenannten priesterlichen Gewändern?
11. Welche Bedeutung und Kraft hätte die Impfel, der Mantel, der Chorrock, die Stole, das Meßgewand, das Predigerhemd, das Quadratel und tausend derlei Dinge mehr? Welche Kraft liegt etwa in den verschiedenartigsten Mönchskutten? Warum ist ein und derselben Mariä Bild wundertätiger als das andere? Warum ist der Florian fürs Feuer und warum Johann Nepomuk fürs Wasser, da doch beide ins Wasser geworfen wurden: der eine in Oberösterreich bei Linz in die Donau, der andere in Böhmen zu Prag in die Moldau?
12. Warum ist unter den vierzehn Nothelfern Jesus nicht auch vorfindlich? Und warum wird in der heiligen Bitt-für-uns-Litanei von den Menschen zuerst Gottes Barmherzigkeit angerufen, da sich nachher die Betenden dennoch an die Heiligen um Fürbitte wenden? Warum wenden sie sich zuerst an Gott und nachher erst an die Heiligen? Wollen sie etwa Gott bewegen, die Heiligen anzuhören? Können sie aber gleich anfangs Gott bewegen, wozu rufen sie dann die Heiligen an?
13. Warum wird im sogenannten Rosenkranze Maria zehnmal und Gott nur einmal mit des Herrn Gebet angerufen? Warum sind in einer Kirche große, kleine, hölzerne und metallene Kruzifixe im Überfluß vorhanden, und warum wenigstens noch einmal soviel Marias in allen möglichen Formen?
14. Was ist zwischen einem feierlichen Amte und zwischen einer gemeinen stillen Messe für den Geist für ein Unterschied? Wann hat Christus, Petrus oder Paulus dieses, im Geldpreise verschieden hochstehende sogenannte unblutige Opfer eingesetzt? Wie muß das Herz Gottes beschaffen sein, daß es ein höchstes Wohlgefallen haben kann, Seinen Sohn täglich millionenmal abschlachten zu sehen?
15. Schau, schau, du mein lieber Freund, eine Unzahl so ganz leerer und vollkommen geistloser Verrichtungen vollführtest du in der Welt, ohne selbst nur im geringsten daran zu glauben! Und doch ist dir bei solch leerer Fischerei nie eingefallen, wenigstens dich selbst zu fragen: ,Wozu solch leere Arbeit?‘ Sie ist dir bezahlt worden, wirst du sagen! Gut, auch hier brauchst du nicht umsonst arbeiten! Was willst du denn da noch mehr?
16. Ich aber sage dir, diese Arbeit ist bei weitem nicht so gehaltlos, wie da war deine irdische! Darum murmle künftig nicht mehr in dich hinein, sondern rede offen, was dich drückt, da werden wir mit unserer Leerfischerei bald zu Ende sein! Aber so du noch lange so einen römischen Geheimniskrämer machen wirst, werden wir auch noch lange zu fischen haben; und der Fang wird noch lange so zunichte werden gleich unserer Belehrung in deinem Herzen! – Verstehe das! Nun nimm wieder deinen Tauchbären zur Hand und arbeite fortan unverdrossen!“
01. Der Bischof tut, wie ihm geraten ward, und spricht: „So, jetzt ist mir schon wieder leichter, wenn ich nun ein bißchen weiß, warum ich etwas tue und wozu so ein leerscheinendes Tun am Ende doch noch gut ist!
02. Soviel ich aus deinen Worten habe entziffern können, stellen diese Fische meine Dummheiten vor: die großen meine Kardinal- und die kleineren die Unzahl meiner geringeren Torheiten. Aber wie diese meine verschiedenartigsten Lumpereien zu großen und kleinen Fischen dieses Meeres geworden sind, das bringe ich nicht heraus!
03. Dieses Meer wird sicher von der Sündflut herstammen, deren Gewässer auch die schwere Menge der menschlichen Todsünden in sich aufgenommen hat, worunter sich auch die meinigen anticipando befunden haben? Auf diese Art kann ich mir die Sache wohl ein wenig versinnlichen, aber anders geht es durchaus nicht!
04. Warum sich die Sünden aber hier in diesem barsten Sündflutwasser gerade als allerlei Fische reproduzieren, das natürlich geht über den äußerst beschränkten Horizont meiner Erkenntnisse! Der Allmächtige aber, der dieses alte Sündflutgewässer in diesem ewig endlosen Becken für die Geisterwelt aufbewahrt hat, wird davon den Grund sicher klarst einsehen!
05. Daher will ich nun nicht mehr weiter forschen, sondern bloß fleißig fischen, auf daß mein Sündenanteil ehest möglich aus diesem Gewässer möchte gehoben werden!“
06. Nun rede Ich: „Recht also, sei nur fleißig, Freund! Siehe, auf einen Hieb fällt kein Baum, aber mit Geduld läßt sich am Ende alles überwinden! Es ist zwar hier nicht Noahs Gewässer, und noch weniger sind die Fische, die wir hier herausheben, als deine Anticipationssünden in der Noachischen Sündflut zu betrachten. Aber eine Sündflut ist dies Gewässer wohl, doch nicht aus deinen anticipierten, sondern aus all deinen wirklich auf der Welt begangenen Sünden hervorgehend!
07. Daß sich aber deine Sünden in allerlei Fischgestalten ausnehmen und in Gestalt anderer seeischer Ungeheuer großer und kleiner Art, hat darin seinen Grund, weil jede Sünde eine Untüchtigkeit der Seele hervorruft. Und diese zerteilt in ihr die endlos vielen zerrissenen Vorbestände, die im Wasser den Anfang nehmen und im Feuer der Liebe Gottes im Menschenherzen vollendet werden zu einem vollkommen gottähnlichen Ebenmaße.
08. Es war aber physisch deine Seele wohl komplett in deinem Leibe zur Menschengestaltung dir gegeben auf der Welt in deinen Kinderjahren. Da du aber nicht nach der Ordnung Gottes lebtest, sondern nach der tierischen nur, aus der die Seele ursprünglich zusammengesetzt ist, so verlorst du denn auch sehr viel von und an deiner Seele. Und siehe, dieses Verlorene müssen wir nun wieder aus den Fluten deiner Sünden herausheben und damit deine Seele einmal plastisch ganz machen! Ist dies geschehen, dann erst werden wir können für deinen Geist und für dessen Einung mit dir Sorge tragen! Darum sei nun fleißig und geduldig, so wirst du bald einsehen, was hier ein rechter Lotse zu tun hat!
09. Da diese Seetiere aber hier deine Taten vorstellen, die pur Sünden waren, so vergehen sie auch, so sie heraus ans Gotteslicht gehoben werden. Und es kommt zur Erscheinung, wie geschrieben steht:
10. ,Das Reich Gottes ist zu vergleichen einem Fischer, der viele Fische in sein Netz fing. Da er aber das Netz aus der Flut zog, da behielt er die guten; die schlechten aber ließ er wieder ins Meer zurückwerfen zum Verderben.‘
11. Wir aber haben nun schon sehr viele deiner Taten als Fische aller Art hervorgehoben, und siehe, sie haben keinen Bestand im Gotteslichte! Was ist das aber? – Weil du sie verzehrst ob deiner zerstörten Seele, auf daß diese wieder zu ihrer Vollgestalt gelange!
12. Wann aber wird es in deinem Gewässer wohl auch bleibende Taten geben? Suche, daß dein Herz voll werde, und erwache in der Liebe! Solange du nicht Liebe zu Gott in dir verspüren wirst, wird es noch sehr viel leere Arbeit geben für deine Hände!
13. Dies merke dir nun und wisse, wo es am Ende hinaus muß. So wirst du in rechter Reue und Demut und Geduld arbeiten, um zu einem wirklichen Ziele zu gelangen und dadurch zum klaren Schauen und zum eigenen wahren Gerichte – und aus dem zur Gnade. Es sei!“
14. Bischof Martin denkt über diese Worte nach und arbeitet dabei fort. Nach einer Weile aber wendet er sich wieder an Mich und spricht: „Höre, du lieber Meister, der du mein irdisch Leben zu durchblicken vermagst wie der Goldschmied einen Diamanten, du kommst mir zwar deinem Charakter nach sehr liebreich vor; aber in der gerechten Rüge bist du schonungsloser als die nackteste Wahrheit selbst!
15. Freilich ist nur zu wahr, daß all mein Tun und Lassen vor Gott dem Herrn schon darum ein Greuel sein muß, weil ich durch mein ganzes irdisches Leben mich nur in lauter Falschem bewegt habe und zum Teil auch bewegen habe müssen. Somit konnten auch alle meine Handlungen unmöglich anders als schlecht sein, was ich nun klar einsehe! Aber das – und so du selbst ein Engel wärest – mußt du mir denn doch zugeben: daß der Mensch, als durchaus nicht sein eigenes Werk mit den seltensten Neigungen begabt, doch unmöglich an all seinen Mängeln und Gebrechen die Schuld tragen kann; man sollte ihm sonach auch nicht absolut alles zur Last legen!
16. Hätte ich mich selbst erschaffen und darauf selbst erzogen, da wäre ich der eigentliche Grund jeder von mir verübten Handlung und könnte dafür zur vollsten Genugtuung angehalten und mit allem Rechte verurteilt werden. Aber so geradeweg jede meiner Taten darum verdammen und ihnen den Todsündenstempel aufdrücken, weil ich sie beging – das kommt mir, wennschon gerade nicht ungerecht, aber doch etwas zu hart vor!
17. Wenn der Sohn eines Räubers wieder ein Räuber wird, weil er nie etwas anderes gesehen, gehört und gelernt hat als rauben und morden – Frage: Kann ihm allein, streng genommen, seine an sich freilich greuelhafteste Handlungsweise zur Sünde gerechnet werden?
18. Oder kann der Tiger verdammt werden, weil er so grausam und blutdürstig ist? Wer gab der Viper und der Ringelnatter das tötende Gift?
19. Was kann der Buschklepper des heißen Afrika dafür, daß er Menschen ißt, so er welche erjagen kann? Warum steigt kein Engel, auch kein anderer guter Geist, aus den Himmeln und belehrt ihn eines Besseren? Oder soll Gott im Ernste einige Billionen Menschen lediglich für die Verdammnis erschaffen haben – was doch sicher die endloseste Tyrannei wäre?
20. Ich meine daher: Jedem das Seinige, aber nicht auch das Fremde, an dem er unmöglich je die Schuld tragen kann!“
21. Rede wieder Ich: „Freund, du tust mit deiner Gegenrede Mir groß Unrecht! Siehst du denn nicht, daß wir diese Arbeit dich eben darum nicht allein verrichten lassen, weil Ich in dir schon lange deine stoischen Rechtsgrundsätze kenne?
22. Siehe, was deiner vermeintlich vernachlässigten Erziehung zur Last fällt, das hat nun Bruder Petrus auf sich genommen. Und was dem Schöpfer du zur Last legst, das habe Ich auf Meine Schulter genommen!
23. Glaubst du aber für deinen Teil wirklich ganz schuldlos zu sein? Kannst du solches behaupten? Hast du nicht Gottes Gebote kennengelernt, wie auch ganz bestimmt die irdischen Gesetze für bürgerliche Ordnung? Warst du nicht da und da und wußtest, daß du eine Sünde vorhast?!
24. Als dich das Gewissen mahnte, so ließest du aber dennoch nicht ab, sondern tatest wider dein lautes Gewissen Böses! Frage: War daran auch die Erziehung und der Schöpfer schuld?
25. So du hartherzig gegen Arme warst, da doch deine irdischen Eltern wahre Muster der Freigebigkeit waren, sage: war daran die Erziehung der Schuldträger?
26. So du über einen Aar herrschsüchtig geworden bist, während deine Eltern von ganzem Herzen demütig waren, wie es das Wort Gottes verlangt, sage: war auch daran die Erziehung oder gar der Schöpfer schuld?
27. Siehe, wie unrecht du dem Schöpfer tust! Erkenne das, und sei demütig; denn mit aller deiner Entschuldigung wirst du bei Gott ewig nicht auslangen, da alle Haare gewogen sind! Liebe Gott über alles und deine Brüder, so wirst du die rechte Gerechtigkeit finden! Es sei!“
01. Spricht Bischof Martin: „Gott lieben über alles und den Nächsten wie sich selbst, wäre schon recht, wenn man nur wüßte, wie man das anstellen soll! Denn Gott sollte man mit der reinsten Liebe lieben, desgleichen womöglich auch den Nächsten; aber woher sollte unsereiner eine solche Liebe nehmen, wodurch sie in sich erwecken?
02. Ich kenne wohl das Gefühl der Freundschaft und kenne auch die Liebe zum weiblichen Geschlechte; auch kenne ich die interessierte Kinderliebe zu ihren Eltern; nur die Liebe der Eltern zu ihren Kindern kenne ich nicht! Kann aber die Gottliebe einer von diesen erwähnten Liebesarten gleichen, die alle auf den unlautersten Füßen basiert sind, indem sie nur auf Geschöpfe gerichtet sind?
03. Ich behaupte sogar: der Mensch als ein Geschöpf kann Gott als seinen Schöpfer ebensowenig lieben wie ein Uhrwerk seinen Urheber! Denn dazu gehörte die vollkommenste göttliche Freiheit, der sich höchstens die freiesten Erzengel rühmen können, um Gott Seiner Heiligkeit wegen würdig lieben zu können! Wo aber ist der auf der untersten, unheiligsten Stufe stehende Mensch und wo die vollste göttliche Freiheit?
04. Es müßte nur Gott gefallen, Sich von Seinen Geschöpfen so lieben zu lassen, wie sie sich untereinander lieben: wie die Kinder ihre Eltern, oder wie ein Jüngling seine schöne Maid, oder wie ein rechter Bruder den anderen, oder auch wie ein armer Mensch seinen höchst uninteressierten Wohltäter, oder wie ein Regent seinen Thron, oder wie ein jeder Mensch sich selbst!
05. Dazu aber fehlt das sichtbare Objekt, ja sogar die Fähigkeit, sich dies erhabenste Objekt auf irgendeine Art vorstellen zu können! – Wie sieht Gott aus? Wer von den Menschen hat Gott je gesehen? Wer Ihn gesprochen? Wie aber kann man ein Wesen lieben, von dem man sich aber auch nicht den allerleisesten Begriff machen kann! Ein Wesen, das da nicht einmal historisch, sondern lediglich nur mythisch existiert unter allerlei mystisch poetischen Ausschmückungen, welche mit einer altjüdischen scharfen Moral allenthalben unterspickt sind!“
06. Nun rede Ich: „Freund, Ich sage dir, mit diesem unsinnigen Gewäsch könntest du wohl nie auch nur einen Faden deines schmutzigsten Gewandes reinwaschen! Du hattest auf der Welt Objekte genug! Da waren Arme die Menge, Witwen, Waisen, eine Menge anderer Notleidender! Warum liebtest du sie nicht – und hattest doch Liebe genug, dich selbst über alles zu lieben?!
07. Deine eigenen Eltern liebtest du nur der Gaben wegen; gaben sie dir aber zu wenig, so wünschtest du ihnen nichts sehnlicher als den Tod, um sie dann zu beerben!
08. Deine untergeordneten Pfarrer liebtest du, so sie dir fleißig reichliche Opfer einsandten; blieben diese aus, da warst du bald ihr unerbittlichster Tyrann!
09. Die reichen und viel opfernden Schafe segnetest du; die armen aber, die daher nur wenig oder nichts opfern konnten, wurden von dir mit der Hölle abgespeist!
10. Die Witwen liebtest du wohl, so sie noch jung, schön und reich waren und sich zu allem herbeiließen, was dir angenehm war, ebenso üppige, honette weibliche Waisen von 16 bis 20 Jahren!
11. Siehe, bei der Liebe so gestalteter Objekte ist es freilich unmöglich, sich zur geistigen Anschauung und Liebe des allerhöchsten und aller Liebe würdigsten Objektes zu erheben!
12. Hattest du doch das Evangelium, die erhabenste Lehre Jesu, des Christus, als die Hauptlebensschule – warum versuchtest du nicht wenigstens einmal in deinem Leben, nur einen Text praktisch anzuwenden, auf daß du dann erfahren hättest, von wem diese Lehre ist?
13. Heißt es nicht darinnen: ,Wer Mein Wort hört und danach lebt, der ist es, der Mich liebt; zu dem werde Ich kommen und werde Mich Ihm Selbst offenbaren!‘
14. Siehe, hättest du je nur einen Text an dir praktisch versucht, so würdest du dich wohl überzeugt haben, daß fürs erste die Lehre von Gott ist. Und fürs zweite wäre dir auch dadurch die Objektivität Gottes beschaulich geworden wie vielen Tausenden, die viel geringere Menschen waren als du!
15. So steht auch geschrieben: ,Suchet, so werdet ihr's finden; bittet, so wird euch's gegeben, und klopfet an, so wird's euch aufgetan!‘ – Tatest du je etwas davon?
16. Siehe, weil du von alledem nie etwas getan hast, so konntest du über Gott auch nie zu einer geistigen Anschauung gelangen. Es ist daher höchst widersinnig von dir, so du darum für Gott keine Liebe findest, weil Er dir nie zu einem Objekte geworden ist – da Er dir doch zum Objekte hätte werden müssen, so du nur im geringsten für diesen Zweck etwas getan hättest!
17. Ich frage dich aber auch, unter welchem Bilde hättest du Gott wohl mit deiner schmutzigsten Liebe ergreifen können, das deinem steinernen Herzen einige Funken hätte zu entlocken vermögen zur Belebung eben solchen Gottesbildes in dir? Siehe, du schweigst; Ich aber will es dir zeigen!
18. Höre: Gott müßte entweder des schönsten weiblichen Geschlechtes sein, dir die größte Macht und den größten Glanz verleihen und daneben dir noch gestatten, die schönsten Mädchen mit nie schwächer werdender Manneskraft zu beschlafen; und dir überhaupt alles gönnen, was dir deine Einbildungskraft als angenehm darstellete, ja womöglich dir am Ende sogar die Gottwesenheit rein abtreten, auf daß du dann mit der ganzen unendlichen Schöpfung nach deinem Belieben sozusagen ,Schindluder treiben‘ könntest!
19. Siehe, nur unter solcher Objektivität wäre dir die Gottheit liebenswert. Aber unter dem Bilde des armen gekreuzigten Jesus war dir der Begriff ,Gottheit‘ unerträglich, widerlich, ja verächtlich sogar!
20. Unter solchen Umständen mußt du nun freilich fragen, wie man Gott lieben solle, und zwar mit reinster Gottes würdiger Liebe! Der Grund davon ist – wie gezeigt – kein anderer denn der: du wolltest Gott nie erkennen und also auch nie lieben! Darum tatest du auch nichts, aus Furcht, es möchte ein besserer Geist in dich fahren, der dich zur Demut, zur Nächstenliebe und daraus zur wahren Erkenntnis und Liebe Gottes geleitet hätte!
21. Siehe, das ist der eigentliche Grund, demzufolge du nun fragst, wie man Gott lieben solle und könne! So du aber schon deine Brüder nicht liebst, die du siehst und trotzdem nicht lieben magst, wie solltest du Gott lieben, den du noch nicht siehst, weil du Ihn nicht sehen willst!
22. Siehe, wir beide sind dir nun die größten Freunde und Brüder, und du verachtest uns fortwährend in deinem Herzen, obgleich wir dir helfen wollen und dich durchschauen auf ein Haar! Darum wende dein Herz! Fange an, uns als deine Wohltäter zu lieben, so wirst du auch ohne deine dümmste Philosophie den Weg zum Herzen Gottes finden, wie es recht ist und sich geziemt! Es sei!“
23. Spricht wieder Bischof Martin: „Ja, ja, mein Gott ja, du hast schon recht, ich liebe euch und schätze euch überaus ob eurer Weisheit und ob der damit vereinten Kraft, Liebe, Geduld und Ausharrung! Möchtest du, mein liebster Freund, mit mir aber dennoch nur so reden, daß ich aus deiner Rede nicht allzeit meine Fluchwürdigkeit in aller Fülle und Schwere erschauete, so wäre ich ohnehin schon lange förmlich verliebt in dich! Aber eben deine durchdringlichste Wortschärfe erfüllt mich eher mit einer Art geheimer Furcht als mit Liebe zu dir und deinem Freunde Petrus! Rede sonach schonender mit mir, und ich werde dich dann aus allen meinen Kräften lieben!“
24. Rede Ich: „Freund, was verlangst du von Mir, daß ich dir's nicht angedeihen ließe im höchsten Vollmaße, ohne von dir dazu aufgefordert zu werden?! Meinst du denn, daß nur ein Schmeichelredner ein wahrer Freund ist oder einer, der sich aus lauter Ehrfurcht nicht getraut, die Wahrheit jemandem unters Gesicht zu bringen? Oh, da bist du in großer Irre!
25. Du bist einer, an dem kein gutes Härchen irgendwo steht! Kein edles Werk der Liebe ziert dich! Hast du je etwas getan, das vor der Welt wie liebedel schien, so war es aber dennoch eitel Böses. Denn all dein Tun war nichts als eine arge Politik, hinter der irgendein geheimer herrschsüchtiger Plan verborgen lag!
26. Gabst du irgend jemandem ein karges Almosen, so mußte davon nahezu der ganze Erdkreis Notiz nehmen. Sage, war das evangelisch, wo die Rechte nicht wissen soll, was die Linke tut?
27. Gabst du jemandem einen sogenannten kirchlichen guten Rat, so war auch der allzeit so gestellt, daß am Ende dessen Wasser dennoch auf deine Mühle laufen mußte!
28. Zeigtest du dich herablassend, so geschah es nur, um den unten Stehenden so recht anschaulich deine Höhe einzuprägen!
29. War sanft der Ton deiner Rede, so wolltest du damit das erreichen, was da zu erreichen suchen die Sirenen mit ihrem Gesang und die Hyänen mit ihrer Weinerei hinter einem Busche! Du warst fortwährend ein gierigstes Raubtier!
30. Kurz und gut, wie schon gesagt, an dir war auch nicht ein gutes Haar, und du befandest dich schon Hals über Kopf vollkommen in der Hölle! Gott der Herr aber erbarmte sich deiner, ergriff dich und will dich frei machen von all den Höllenbanden! Meinst du wohl, daß solches möglich sein könne, ohne dir zu zeigen, wie du beschaffen bist?!
31. Oder hast du auf der Erde nie gesehen, was die Uhrmacher mit einer verdorbenen Uhr machen, wenn diese wieder gut und brauchbar werden soll? Siehe, sie zerlegen sie in die kleinsten Teile, aus denen sie zusammengesetzt ist, untersuchen da jedes Stückchen sorgfältigst und reinigen es, machen das Krumme gerade, feilen das Rauhe hinweg und ergänzen, wo irgend etwas fehlt, und setzen am Ende das Werk wieder zusammen, auf daß es wieder wirkend entspräche seiner Bestimmung! Meinst du wohl, daß solch eine ganz verdorbene Uhr zum Gehen käme, so der Uhrmacher bloß ihr Äußeres recht blank putzte, das Innere aber beließe, wie es ist?
32. Ebenso aber bist auch du ein Uhrwerk, in dem auch nicht eines Rades Zahn in der Ordnung ist! Sollst du gebessert werden, so mußt du auch zerlegt werden in allem deinem verdorbenen Wesen! Es muß alles heraus ans Licht der ewigen unbestechlichsten Wahrheit, auf daß du dich selbst beschauen kannst und sehen, was alles in und an dir völlig verdorben ist!
33. Hast du erst alle deine Gebrechen erkannt, dann erst kann die Raspel, die Feile, die Zange und endlich auch eine Putz- und Polierbürste angelegt werden, um aus dir wieder einen Menschen in der Ordnung Gottes zu gestalten. Und zwar einen ganz neuen Menschen; denn dein jetziger Mensch, wie du selbst es nun bist, ist dazu völlig unbrauchbar!
34. So Ich nun aber all das an dir tue, sage: verdiene Ich da nicht deine Liebe?“
01. Spricht Bischof Martin: „Ja, ja, du hast völlig recht, teuerster Freund! Nun gehen mir erst die Augen so ganz eigentlich ein wenig auf. Auch empfinde ich nun rechte Liebe in mir, – ja ich liebe dich nun von ganzem Herzen! O laß dich an mein Herz drücken, denn ich sehe nun, wie arg und dumm ich war und noch bin, und wie wahrhaft gut du es mit mir meinst! O du herrlichster Freund, und du auch, mein erster Führer, vergib mir meine große, roheste Blindheit! –
02. Aber, aber, was ist denn das?! Wo ist denn nun das Meer hingekommen, wohin unser Schiff? Es ist hier ja alles trocken, das schönste Land! Ach, diese herrlichen Fluren, dieser wunderschöne Garten, und dort, wo ehedem die Hütte stand, steht nun ein Palast von mir nie geschauter Pracht! – Ja wie, wie ist denn das geschehen?“
03. Rede Ich: „Siehe, Bruder, das gebar schon ein kleinster Funke rechter Liebe zu uns, deinen Brüdern und Freunden! Das Meer deiner Sünden trocknete er aus samt all den bösen Wirkungen, und den Schlamm deines Herzens verwandelte er in ein fruchtbares Land. Die ärmliche Hütte deiner Erkenntnis verwandelte dieser Liebesfunke in einen Palast.
04. Aber, wie herrlich dies auch alles schon aussieht, so ist dennoch nirgends noch von einer reifen, genießbaren Frucht etwas zu entdecken. Alles gleicht noch stark dem Feigenbaume, der keine Frucht hatte zur Zeit, da es den Herrn hungerte nach des Feigenbaumes Frucht.
05. Darum heißt es nun vollauf tätig sein und die einmal erwachte Liebe frei walten lassen, wodurch dann diese Bäume ehestens Frucht tragen werden. Denn siehe, wie auf der Welt alles im Lichte und in der Wärme der Sonne wächst und reift, ebenso wächst und reift hier alles im Lichte und in der Liebe des Herzens des Menschen! Des Menschen Herz ist die Sonne dieser Welt für ewig!
06. Bald werden sich dir nun in dieser neuen, besseren Periode eine Menge Gelegenheiten zeigen, dein Herz zu beschäftigen, seine Kraft zu erweitern und zu stärken. Je mehr du es in der Liebe wirst walten lassen, desto mehr des Segens wirst du in dieser Gegend auftauchen sehen!
07. Komm aber nun mit uns in diesen Palast, darinnen werden wir erst das Nähere deines neuen Zustandes besprechen. Du wirst von da aus auch bald eine Menge Gelegenheiten entdecken, die alle dein Herz in vollsten Anspruch nehmen werden. Komm also, Bruder, und folge uns beiden! Es sei!“
08. Wir sind nun schon im Palaste, dessen Inneres bei weitem nicht so herrlich aussieht wie sein Äußeres. Bischof Martin ist auch etwas frappiert, daß er sich darob nicht enthalten kann, folgende satirische Bemerkung zu machen:
09. „Nein, aber das heißt mir doch etwas fürs Gesicht herstellen! Von außen Königspracht, und von innen Bettlertracht! Wer dies gemacht, hat schlecht gedacht! Da sieht es ja gerade so aus, als so das Gebäude von innen noch gar nicht ausgebaut wäre, sondern bloß nur von außen fürs Auge verputzt!
10. Liebe Freunde, da muß ich euch offen gestehen: die frühere Hütte wäre mir um eine ganze Million lieber! Ah, was es da noch Mist darinnen gibt! Hört, in diesem Miste kann ich's, der ich die größte Reinlichkeit liebe, ja beinahe gar nicht aushalten!
11. Freunde, liebe Freunde, ich bitte euch, gehen wir sogleich wieder in das herrliche Freie! Denn in diesen Mistgemächern wäre ich auch nicht eines guten Gedankens fähig und könnte eher schlechter als besser werden; denn vor dem Zimmermiste habe ich einen ganz absonderlichen Widerwillen!“
12. Nun rede wieder Ich: „Höre, du lieber Bruder und Freund, wohl sehe Ich, daß dir das Innere dieses Palastes nicht gefallen kann. Aber du wirst auch einsehen, daß das Innere deines Herzens, das genau diesem Palaste entspricht, Gott dem Herrn ebensowenig gefallen kann, wie deinen Augen diese unreinsten Gemächer!
13. Du hast sicher auf der Welt unter den heidnischen Fabeln auch von des Herkules zwölf schweren Arbeiten gehört, welche dieser Held verrichten mußte, um in die Zahl der fabelhaften Götter aufgenommen zu werden? Unter diesen Arbeiten befand sich auch die bekannte Stallreinigung!
14. Was tat der fabelhafte Held Herkules? Siehe, er leitete einen ganzen Fluß durch den großen Stall, und dieser hob alsbald allen Mist in wunderkürzester Zeit aus dem Stalle!
15. Ich aber sage dir: leite du auf gleiche Weise einen ganzen Strom der Liebe durch den alten Sündenstall deines Herzens, so wird solch ein Strom auch am geschwindesten mit diesem deinem Herzensmiste fertig werden!
16. Als wir uns noch auf dem Meere befanden, das da aus deiner eigenen Sündflut entstanden ist, da genügte ein Fünklein oder ein Tropfen der echten Liebe und das Meer vertrocknete, und der Schlamm wurde in fruchtbares Erdreich verkehrt!
17. Dies Fünklein, da es bei dir nur durch Meine Rede erzeugt wurde, also wie durch ein äußeres Mittel, konnte daher auch nur das Äußere deines Herzens berühren und es dadurch rein machen. Aber das Innere deines Herzens blieb noch, wie es war: ein wahrer Augiasstall, der nur durch dich selbst gereinigt werden kann. Und das, wie oben gesagt, durch einen ganzen Strom von rechter Liebe zu uns, deinen Brüdern und größten Freunden, und auch zu denen, die dir bald hie und da vors Gesicht treten werden und in Anspruch nehmen dein Herz!
18. Da siehe zu diesem Fenster hinaus! Was siehst du dort in einiger Ferne von hier gegen Mitternacht hin?“
01. Spricht Bischof Martin: „Ich sehe mehrere überaus zerlumpte Menschen entsetzlich langsamen, hinkenden Schrittes wandeln. Sie scheinen kein Obdach zu haben. Wahrscheinlich werden sie auch im Magen eine sehr bedeutende Leere haben und ihr Herz dürfte gerade auch nicht von der heitersten Stimmung sein.
02. Freund, mich erbarmen diese armseligsten Wanderer. Laß es mir zu, daß ich hingehe und sie hierher führe, sie hier aufnehme und soviel als möglich gut versorge! Sind diese Zimmer auch schmutzig, so werden sie ihnen dennoch sicher dienlicher sein als jene frostigen und trüb aussehenden holprigen Pfade nach jener mir wohlbekannten Richtung, bei deren Verfolg es immer schlechter wird!“
03. Rede Ich: „Gut, recht gut, gehe und tue, was dir dein Herz gebietet. Aber das muß dich nicht abschrecken, so du finden wirst, daß jene Wandler nicht deiner, sondern lutherischer Konfession sind!“
04. Spricht Bischof Martin: „Das ist mir freilich wohl ein wenig zuwider. Aber nun ist schon alles eins, ob Luther, Mohammed, Jude oder Chinese! Kurz, was Mensch ist, dem soll Hilfe werden!“
05. Bischof Martin, noch in der gemeinen Landmannskleidung, empfiehlt sich nun und eilt den Wandlern nach und ruft und schreit, daß sie seiner doch harren sollen. Worauf die Wandler stehenbleiben und auf unsern Bischof Martin warten, um zu erfahren, was er mit ihnen wolle. Denn diese sind auch erst von der Erde in der Geisterwelt angelangt und wissen nun auch nicht, wo aus, wo ein.
06. Nun hat unser Bischof Martin eben diese traurige Gesellschaft erreicht und spricht zu ihr in einem sehr freundlichen Tone: „Liebe Freunde, wohin wollet ihr euch denn da begeben? Ich bitte euch um Gottes willen, kehret um und folget mir nach, sonst geht ihr alle zugrunde! Denn die Richtung, die ihr verfolget, führt schnurgerade zu einem Abgrunde, der euch alle für ewig verschlingen wird!
07. Ich aber bin hier mit noch zwei gar lieben Freunden ansässig, eine geraume Zeit schon, und weiß, wie diese Gegend hier beschaffen ist, daher ich euch warnen kann.
08. Sehet aber dorthin gegen Mittag! Daselbst werdet ihr einen Palast erschauen, der freilich von außen schöner als von innen aussieht, aber das macht vorderhand nichts! Ein Obdach und auch ein Stückchen Brot werden wir darinnen dennoch finden, was doch auf jeden Fall besser sein wird, als diesen ins sichere Verderben führenden Weg fortwandeln! Besinnet euch daher nicht lange, sondern kehret sogleich um und folget mir; bei Gott, es soll das euer Schade nicht sein!“
09. Einer von den Wandlern spricht: „Gut, wir wollen dir folgen. Aber das merke dir im voraus, daß du uns in kein katholisches Haus bringst! Denn da wäre für uns keines Bleibens, indem wir gegen nichts einen so starken Widerwillen haben als gegen den über alle Pest stinkenden römischen Katholizismus, namentlich gegen den Papst, gegen seine Bischöfe und gegen das über alles schlechte Mönchstum der römischen Hure!“
10. Spricht der Bischof Martin: „Was Papst, was Bischof, was Mönch, was Luther, was Calvin, was Mohammed, was Moses, was Brahma, was Zoroaster?! Das gilt nur auf der dummen Welt etwas; hier im Reiche der Seelen und Geister hören alle diese irdischen dummen Unterschiede so gut wie ganz auf! Hier gibt es nur eine Losung, und diese heißt Liebe! Mit dieser allein kommt man hier weiter; alles andere zählt soviel wie nichts!
11. Als ich auf der Welt war, war ich ein römischer Bischof und bildete mir was Ungeheures darauf ein. Aber hier angelangt, lernte ich bald kennen, wie ganz und gar nichts daran gelegen ist, was man auf der Welt war, sondern alles liegt daran, was man auf der Welt getan hat und wie und unter welchen Bedingungen!
12. Daher laßt auch ihr euch weder durch Luther, noch durch Calvin beirren, sondern folget mir! Wahrlich, ihr sollet es nicht bereuen! Wird es euch bei mir aber nicht behagen, so steht euch dieser Weg noch immer offen!“
13. Spricht der Anführer dieser Gesellschaft: „Nun gut, du scheinst mir ein ziemlich gescheiter Mann zu sein; daher wollen wir dir denn folgen in deine Behausung! Aber das bitten wir uns schon im voraus aus, daß da unter uns ja nie von der Religion etwas gesprochen wird; denn uns ekelt alles, was Religion heißt, auf das allerwidrigste an!“
14. Spricht der Bischof Martin: „Na, ist ja auch gut! Redet, wovon ihr reden wollt. Nach und nach werden wir uns wohl hoffentlich noch besser kennenlernen, und ihr werdet an mir durchaus nie etwas entdecken, was euch nur irgend im allergeringsten beleidigen soll. Daher nur muntern und heitern Geistes aufgebrochen, und in meiner und besonders meiner Freunde und Brüder Behausung Platz genommen!“
15. Nun geht Bischof Martin voraus, und die ganze Karawane von 30 Köpfen folgt ihm, und er führt sie geraden Weges dem Palaste zu und nun in denselben und da sogleich zu Mir und Petrus. Als er da anlangt, spricht er voll Freude zu Mir:
16. (Bischof Martin:) „Siehe, mein geliebter Freund und Bruder in Gott dem Herrn, hier habe ich sie glücklich sämtlich hierher gebracht. Nun sei du von der Güte und zeige mir an, in welchen Gemächern wir sie unterbringen werden. Dann werde ich dich auch bitten um ein wenig Brot, auf daß sie sich stärken, denn sie werden sicher schon sehr hungrig sein.“
17. Rede Ich: „Dort, die Tür gegen Abend, da ist ein großes Zimmer gut eingerichtet! Da werden sie schon alles finden, was ihnen irgend gebricht. Du aber komme dann zurück, auf daß wir schnell an eine wichtige Arbeit gehen, die keinen Aufschub leidet!“
18. Bischof Martin tut, wie Ich es ihm anzeigte, und die Gesellschaft freut sich sehr, als sie in das wohleingerichtete Zimmer tritt, das ihr Bischof Martin anweist. Nach der Einlogierung aber kommt er schnell wieder und fragt, wo die neue Arbeit wäre.
01. Und Ich sage: „Siehst du dort gen Norden einen Brand? Dorthin müssen wir eilen und dem Feuer Einhalt tun, sonst leidet diese ganze Gegend. Denn das geistig böse Feuer ist viel um sich greifender denn das naturmäßig irdische. Darum nur schnell auf die Füße!“
02. Wir eilen nun dem Brande zu und haben ihn auch schon erreicht. Man sieht hier ein höchst ärmliches Dorf, das ganz in Flammen steht, sowie eine Menge ärmlichster, ganz nackter Menschen, die sich aus ihren brennenden Hütten auf die Flucht machten. Aber inmitten des Dorfes steht ein etwas besseres Häuschen mit einem Söller, auf dem sich fünf Menschen befinden und jämmerlich um Hilfe rufen, indem die Flammen schon zu ihnen emporschlagen und sie im nächsten Augenblick zu verschlingen drohen.
03. Unser Bischof Martin ersieht das und schreit: „Freunde, um Gottes willen, wo ist denn hier etwas wie eine Leiter, daß ich hinansteige zu diesen Ärmsten und sie möglicherweise mit euerm Beistande noch rette?“
04. Rede Ich: „Siehe, hier gerade zu unseren Füßen liegt so etwas! Nimm es und mache damit deinem Herzen Luft!“
05. Bischof Martin packt schnell die Leiter und läuft damit an das Häuschen mit dem Söller, das schon ganz von Flammen umringt ist. Er lehnt sie an den Söller, steigt mutig durch die Flammen hinauf und ladet da zwei schon zusammengesunkene Menschen auf seine Schultern und trägt sie eilends hinab, während die drei kräftigeren ihm jählings folgen. In einer Minute hat er wirklich fünf das Seelenleben gerettet.
06. Als er nun mit dieser Arbeit fertig ist, kommt er schnellstens wieder zu Mir und spricht (Bischof Martin:) „O Gott sei Dank, daß mir diese Rettung gelungen ist! Schon glaubte ich, daß mir diesmal mein Eifer ganz übel bekommen wird; aber dennoch – Gott sei's gedankt! – hat es sich noch mit genauester Not getan.
07. Ah, Freunde! Das war aber eine Hitze, Tausend, Tausend! Meine Haare müssen so hübsch verkürzt worden sein? Aber das macht nichts, wenn nur diese Armen gerettet sind! Die zwei haben freilich schon nahezu den Tod bekommen, und es war wirklich die höchste Zeit, sie den Flammen zu entreißen. Aber sie leben nun wieder frisch auf, und das, meine liebsten Freunde und Brüder, ist mir lieber, als so ich jetzt wirklich in die Seligkeiten aller drei oder sieben Himmel eingegangen wäre.
08. Gelt, Brüder und Freunde! Diese armen von mir Geretteten und die vielen nun Obdachlosen, die hier draußen an den Zäunen nackt herumkauern und wehklagen, nehmen wir alle in unsern Palast auf! O liebe Brüder, wohl, wohl; gönnet mir diese Freude!“
09. Rede Ich: „Ja, freilich wohl, darum sind wir ja hauptsächlich hierher gekommen. Aber nun müssen wir auch das Feuer ersticken. Ist dies geschehen, dann wollen wir ganz fröhlich mit diesen Armen nach Hause ziehen. Darum legen wir nur gleich die Hände ans Werk, daß das Feuer nicht noch mehr um sich greift!“
10. Spricht Bischof Martin: „Wäre schon alles recht, wenn wir nun nur gleich so einen kleinen Ozean bei der Hand hätten! Aber ich entdecke hier auch nicht einen Tropfen Wasser. Ich meine, diese Geschichte wird etwas hart gehen ohne Wasser?“
11. Rede Ich: „Siehe, dort am Boden liegt ein Stab, ähnlich dem, den einst Moses trug. Hebe ihn auf und stoße ihn gläubig in den Boden, und wir werden sogleich Wasser in schwerer Menge haben; denn diese Gegend ist sehr sumpfig! Also tue!“
12. Bischof Martin tut sogleich das Geratene und sofort springt ein starker Quell aus dem Boden. Bischof Martin spricht: „So, so, wohl so – jetzt ist es schon recht! Nun nur Gefäße her!“
13. Rede Ich: „Freund, es ist genug! Das Wasser wird nun schon von selbst das Rechte tun; denn dieser mächtige Quell wird dem Feuer bald über den Kopf wachsen und es gehörig versorgen. Daher können wir uns mit unseren armen Geretteten schon nach Hause begeben und dort ein wenig ausruhen und uns stärken zu einem andern Geschäfte. Gehe nun und bringe sie alle zu Mir!“
14. Bischof Martin geht heitersten Mutes und bringt alle die Armen herbei. Wir begeben uns nach unserm Palaste, wo angelangt die Armen sogleich in ein anderes, geräumiges Gemach untergebracht werden.
15. Als sie nun im Zimmer sind, noch ganz nackt, zieht Bischof Martin gleich seinen Bauernrock aus und hängt ihn um die Schultern desjenigen, der ihm am ärmsten und schwächsten vorkommt. Und sein Leibchen gibt er einem andern, der ihn auch sehr dauert, darob loben ihn alle.
16. Er aber macht nun einen rechten Mann und spricht: „Meine lieben armen Freunde und Brüder, nicht mich, sondern Gott und diese beiden Freunde preiset! Denn ich bin selbst erst vor kurzem von ihnen hier aufgenommen worden und habe von ihnen die größten Wohltaten empfangen. Ich selbst bin nur ein schlechtester Knecht dieser Freunde der unglücklichen Menschen. Ich aber habe die größte Freude an eurer Rettung, und diese Freude ist nun mein größter Lohn in mir selbst!“
17. Rede Ich: „So ist es recht, Mein geliebter Bruder! So bist du aus einem Saulus ein Paulus geworden. Fahre so fort, so wirst du Mir und Meinem Freunde und Bruder bald würdig zur Seite stehen! Nun aber gehen wir in unser Gemach!“
01. Wir kommen nun in unser Gemach, das zwar nicht im reichsten Glanze prunkt, dessenungeachtet aber überaus geschmackvoll eingerichtet ist.
02. Als Bischof Martin dieses Gemach betritt, erstaunt er sehr über die unerwartete einfache Pracht desselben und spricht: „Aber liebste Freunde und Brüder, wer hat denn während der kurzen Zeit unseres Ausbleibens dieses Gemach gereinigt und so überaus zierlich hergestellt? Denn es war früher ja ordinärer als die gemeinste Bauernstube. Auch die Fenster kommen mir viel größer vor und Tische und Stühle so rein und geschmackvoll! O sagt mir doch, wie das zugegangen ist!“
03. Rede Ich: „Lieber Bruder, das ging ganz einfach und natürlich vor. Siehe, so jemand auf der Welt seine Wohnung ausschmücken will, faßt er einen Plan aus seinem Verstande und läßt allerlei Handwerker und Künstler kommen, die nach seinem Plane die Wohnung schmücken müssen.
04. Diese Ausschmückung geht auf der Erde aber darum länger her, weil dort die Trägheit der Materie, die erst bearbeitet werden muß, ein überaus hemmendes Medium ist. Hier aber fällt dieses Hemmnis weg, und so wird der Plan des Verstandes auch sogleich als ein vollbrachtes Werk dargestellt. Denn was hier ein vollkommener Geist denkt und das Gedachte zugleich will, ist auch schon vollendet so da, wie es gedacht wurde.
05. Freilich ist hier in der ewigen Geisterwelt das Denken ein ganz anderes als auf der Welt. Auf der Welt besteht das Denken aus Ideen und Bildern, welche den Dingen der Welt und ihren Bewegungen und Veränderungen entnommen sind. Hier aber besteht das Denken aus den Fähigkeiten des Geistes, die aus Gott in ihn gelegt sind, so sie durch die Werktätigkeit der Liebe zu Gott und zum Nächsten geweckt und mit dem Lichte aus Gott erleuchtet werden.
06. Siehe, dieses Gemach besteht nun lediglich aus deiner nun schon frei werktätigen Liebe zum Nächsten. Aber es ist noch ganz einfach zierlich, weil in dir das Gotteslicht noch nicht Wurzel gefaßt und tief in dein Leben getrieben hat. Wird bei dir auch das der Fall sein, dann wirst du dir dessen voll bewußt sein und dir über alles selbst die genügendste Rechenschaft geben können. Aber dazu gehört die rechte Erkenntnis Gottes, die dir noch mangelt, die du aber bald erreichen wirst, so du in der Liebe stets mehr wachsen wirst. Nun aber setzen wir uns an den Tisch, an dem schon eine gemessene Stärkung unser harrt. Es sei!“
07. Bischof Martin spricht: „Ja, ja, so ist es! Es ist zwar hier alles wunderbar, ein wahres zauberisches ,Tischlein-deck-dich‘. Aber man muß sich hier an die Wunder ebenso gewöhnen wie auf der Erde an die Naturwunder, die zwar auch noch heute kein Mensch völlig begreift und einsieht, aber man macht sich daraus nichts, weil man sich an all solches unbegreifliche Zeug gewöhnt hat. Also wird es auch hier gehen.
08. Ich bin überhaupt aufs volle Einsehen der Wunder Gottes eben nicht allzu versessen. Und so ist es schon zum Aushalten, wenn man auch nicht alles, was da zum Vorscheine kommt, auf den Grund des Grundes einsieht. Wenn ich nur fortwährend etwas zu tun bekomme und dazu manchmal so ein kleine Rast und Stärkung, wie sie eben jetzt vor uns auf dem schönen Tische in Bereitschaft liegt, und habe euch um mich, dann verlange ich mir für die ganze Ewigkeit nichts Besseres!
09. Gott erkenne ich nun so weit, daß Er richtig Einer ist in irgendeinem ewig unzugänglichen Lichte, darin Er ist heilig, überheilig, allmächtig und endlos weise. Mehr von Ihm, dem Unendlichen, zu wissen und zu kennen, würde ich sogar für eine Todsünde halten. Daher lassen wir das, was für uns endlos unerreichbar ist und begnügen uns dankbarst mit dem, was uns Seine Güte allergnädigst zukommen läßt!“
10. Rede Ich: „Gut, gut, mein lieber Bruder, setzen wir uns zum Brote, und du, Petrus, hole dort aus der Kammer auch den mit Wein gefüllten Becher!“
01. Wir setzen uns nun zum Tische, und Petrus bringt den Wein nebst einer Toga für Bischof Martin und sagt: „Da, Bruder, weil du deinen Rock und dein Hemd den Armen gabst, so ziehe dafür diesen etwas bessern Rock an, und verzehre in diesem Kleide das vorgesetzte Mahl!“
02. Bischof Martin betrachtet den schönen lichtblauen Rock mit purpurner Verbrämung und spricht: „Ah, ah, das ist für unsereinen ja viel zu schön und herrlich! Was fällt dir denn da ein? Ich – ein armer Sünder vom Kopfe bis zum Zehenspitzel – und so ein Rock, wie ihn der Heiland Jesus auf der Welt getragen, der Würdigste der Menschen! Das wäre ja eine Verspottung ohnegleichen!
03. Nein, nein, das tue ich nicht! War Jesus auch gerade kein Gott, wozu ihn die dummen Menschen machten, so war er dennoch der weiseste und beste aller Menschen, die je die Erde bewohnt haben. Er war ein vollkommenster Mensch ohne Sünde, an dem Gott sicher Sein höchstes Wohlgefallen haben konnte. Ich aber bin und war der unvollkommenste Mensch voller Sünden. Daher kann ich seinen Rock nimmer anziehen!
04. Wahrlich, Freunde, da wollte ich lieber keinen Bissen Brot und keinen Tropfen dieses Weines verkosten, als so unwürdigster Weise diesen wahrhaftigen Jesusrock anziehen. Gebt mir sonst irgendeinen für mich taugenden Fetzen her! Es ist genug, daß ich auf der Welt Melchisedeks Kleider trug und hier diese Torheit teuer genug habe büßen müssen: für die ewige Zukunft werde ich mit Gottes Hilfe wohl klüger sein!“
05. Rede Ich: „Auch gut; wie du's willst! Hier gibt es durchaus keinen Zwang. Daher iß und trink nun ohne Rock. Es sei!“
06. Spricht wieder Bischof Martin: „Das freut mich, nur keinen Luxus für unsereinen! Aber, liebe Brüder, nun komme ich euch mit einer andern Bitte; höret! Ich bin zwar schon recht hungrig und durstig, aber unsere armen Schützlinge werden sicher noch hungriger und durstiger sein. Gönnt mir daher die Freude, daß ich den mir beschiedenen Teil diesen Armen überlasse und ihn selbst hintrage. Die Freude, diese Armen gesättigt zu haben, soll diesmal eine Hauptsättigung meines Herzens sein!“
07. Rede Ich: „Liebster Bruder, solch ein Wunsch aus deinem Herzen macht auch Mir die größte Freude! Aber diesmal soll's bei deinem Wunsche verbleiben, denn für deine Armen ist schon bestens gesorgt. Daher setze dich nur zu Mir her und iß und trink nach Herzenslust! Nach der Mahlzeit werden wir dann die Armen besuchen und sehen, ihnen irgendeine angemessene Beschäftigung zu geben. Also sei es!“
08. Petrus spricht: „Herr und Meister, teile Du das Brot und auch den Wein aus; denn mir schmeckt alles besser, so Du es austeilst, als wenn ich mir's selbst nehme! Ich bitte Dich darum, liebster Herr und Meister!“
09. Rede Ich: „Ja, ja, mein geliebter Bruder, das tue Ich dir von ganzem Herzen gerne, wenn es nur unsern lieben Freund und Bruder nicht geniert!“
10. Spricht Bischof Martin: „Oh, nicht im geringsten, liebste Freunde und Brüder! Ich kenne wohl die Sekte der sogenannten Brotbrecher – ihr werdet weltlich wahrscheinlich ihr angehört haben? Allein das ist hier in der Geisterwelt ohnehin gehauen wie gestochen. Wem hier derlei menschliche fromme Rückerinnerungen aufheiternd dünken, der tue, was ihm gut dünkt. Mir aber ist nun alles, was da irgend nach einer Zeremonie riecht, sehr leicht entbehrlich. Denn ich habe mir auf der Welt an aller Zeremonie einen allerbarsten Ekel angefressen.
11. Daher möget ihr hier das Brot auseinanderbrechen, -schneiden oder -sägen, das ist mir eines; wenn's zur rechten Zeit nur was zum Beißen gibt! Mit dem aber bin ich einverstanden, daß da der Herr des Hauses das Brot an seine zwei Knechte austeilen soll: man ißt ein gegebenes Stück Brot ungenierter als eines, das man selbst genommen hat!“
12. Rede Ich: „Nun gut, gut, so es dich nicht geniert, so will Ich das Brot brechen und segnen und es euch dann austeilen!“
13. Ich breche nun das Brot und segne es und gebe es dann den zweien.
14. Petrus weint beinahe vor Freude, Bischof Martin aber lächelt freundlichst, umarmt Petrus und spricht: „Bist aber du auch ein seelenguter Mensch! Die Brotbrechung hat dich gewiß an die sehr erhabene, entweder wirkliche, oder wahrscheinlich fromm erdichtete Szene der zwei nach Emmaus wandelnden Jünger erinnert? Ich muß es auch aufrichtig gestehen, daß sie mich selbst schon oft zu Tränen gerührt hat.
15. Denn es liegt darinnen fürs erste wirklich eine schöne, hohe Bedeutung zugrunde. Und fürs zweite fühlt man die Sehnsucht und den Wunsch, daß sich diese Szene wirklich hätte ereignen mögen. Der schwache, kurzsichtige Mensch hört und träumt nichts lieber als von Wundern, besonders wenn seine Phantasie das allerhöchste Gottwesen so inkognito persönlich mitwirkend darstellen kann bei irgendeiner urzeitlichen Gelegenheit. Bei einer gleichzeitigen würde die Sache freilich ein bei weitem unglaublicheres Gesicht bekommen.
16. Also brich du, liebster Herr, Meister und Freund, nur allzeit das Brot; denn auch mir gefällt diese fromme Art!
17. Hörst du, lieber Freund, ist aber das ein herrliches Brot! Und der Wein – non plus ultra! Hab' wahrlich auf der Erde wohl nie etwas Vorzüglicheres verkostet! Ist das etwa auch so ein Gedankenwein, also überaus geistiger Natur? Das macht aber nichts! Mag er wachsen, wo er will, wenn er nur gut schmeckt. Gott sei gelobt und gepriesen für ewig für dies herrlichste Mahl! Jetzt wird sich's schon wieder tun bei der möglich kommenden schwersten Arbeit!“
18. Rede Ich: „Nun, Mich freut es auch, so es euch beiden wohlgeschmeckt hat; es sei euch gesegnet! Nun aber gehen wir schnell zu unseren Armen und wollen sehen, wie sie sich befinden!“
01. Wir gehen nun zu den dreißig ersten, die Bischof Martin allein hierher gebracht hat. Als wir eintreten, liegen sie auf den Gesichtern und rufen: „O Herr, o Herr, Du großer, erhabener Gott in Jesu Christo, komme nicht zu uns! Denn wir sind zu große Sünder und sind nicht der geringsten Gnade wert! Zu überaus heilig und für uns zu unerträglich ist Deine Nähe!“
02. Bischof Martin schaut um sich her nach allen Seiten, um zu sehen, wo denn die dreißig Jesus erschauten. Aber er sieht noch immer nichts und fragt Mich: „Lieber Freund, was haben denn diese Armen? Sind sie von Sinnen, oder sind sie etwa eingeschlafen ob des sicher auch genossenen Weines und haben nun entweder ein lutherisches oder römisches Traumgesicht?“
03. Rede Ich: „Nein, nein, sicher nichts dergleichen; sie halten in ihrem Sinne Mich dafür und darum schreien sie so.“
04. Spricht Bischof Martin: „Na, also doch eine Art Geistesschwäche, nur ein wenig anders motiviert, als ich's mir gedacht habe. Übrigens haben sie nach meiner Ansicht recht, dich als nun ihren größten Wohltäter unter dem Begriffe des höchsten Wesens anzupreisen. Denn ich meine, ein jeder Wohltäter deiner Art trägt eine große Portion der echten Gottheit in sich, und so er geehrt wird, so wird auch die Gottheit in ihm geehrt. – Was wird aber nun mit diesen Armen zu machen sein?“
05. Rede Ich: „Diese werden wir gerade bei ihrer Meinung ihrem Wunsche nach belassen und werden uns zu den andern begeben. Denn wenn sie vorderhand Meine Nähe nicht zu ertragen der Meinung sind, wollen wir sie auch nicht weiter quälen; mit der Zeit wird sich's schon machen!“
06. Spricht Bischof Martin: „Ja, ja, so ist's recht! Übers Knie läßt sich nichts Starkes brechen; daher gehen wir nur geschwind zu den andern, aus dem Feuer Geretteten. Ich freue mich schon sehr auf sie!“
07. Wir gehen nun schnell zu den andern. Als wir an die Tür kommen, sage Ich zu Bischof Martin: „Bruder, gehe du zuerst hinein und melde Mich und den Petrus an! So sie es wünschen werden, werde Ich zu ihnen hineingehen. Wünschen sie Mich aber nicht – was du aus ihren Worten leicht entnehmen wirst –, da komme nur schnell wieder, daß wir uns dann an ein anderes Geschäft wenden können!“
08. Bischof Martin tut gleich, was Ich ihn geheißen habe. Als er zu diesen aus den Flammen Geretteten kommt, macht er ein ganz pathetisches Gesicht gleich einer Amtsmiene und spricht: „Liebe Freunde, der Herr und der Meister dieses Hauses will euch besuchen, so es euch genehm ist. Ist euch aber für diesmal sein Besuch nicht willkommen, so äußert euch darüber und ihr sollt von seinem Besuche verschont bleiben. Meine, eures Freundes Meinung aber wäre diese: Da der Herr und Meister dieses Hauses ein gar überaus guter und sanfter Herr ist, so soll euer aller Wunsch dahin gehen, daß er zu euch käme! Aber ihr seid frei und könnt tun, was ihr wollt. Also äußert euch!“
09. Die Geretteten aber fragen den Bischof Martin: „Weißt du wohl, wer dieses Hauses Herr und Meister ist?“
10. Bischof Martin spricht: „Das gerade weiß ich genau selbst nicht, was aber hier in der Geisterwelt gar nicht so sehr vonnöten ist. Es ist genug, daß ich aus der Erfahrung weiß, daß er ein überaus guter und weiser Mann ist. Mehr wissen zu wollen, wäre sogar aberwitzig. Daher begnüget vorderhand auch ihr euch mit dem, was ich euch auf ein gutes Gewissen von ihm ausgesagt habe. Und gebt mir Bescheid, was ihr laut meinem Auftrage an euch wollt.“
11. Spricht einer aus der Gesellschaft der Geretteten: „Aber Freund, warum bist du gegen uns so hinterhältig und willst uns das Heiligste und Allerhöchste vorenthalten?
12. Siehe, der Herr und Meister dieses Hauses ist ja auch der alleinige Herr, Schöpfer und ewige Meister des Himmels und aller Sonnen und Erden in der ganzen Unendlichkeit, wie aller Menschen und Engel in Jesus Christus!
13. Wie kannst du da sagen, du kennst Ihn nicht näher! Bist du denn blind und hast noch nie beschaut Seine durchbohrten Hände und Füße, die wir doch alle auf den ersten Blick entdeckt haben?
14. Betrachte nur Seinen mildesten Ernst, Seine große Liebe und Weisheit, und lege deine Hände auf Seine durchbohrte Seite gleich einem Thomas; du wirst dann sicher noch klarer als wir ärmsten Teufel ersehen, was da hinter diesem deinem Herrn und Meister alles steckt!
15. Siehe, nicht als ob wir nicht wünschten in unserm Herzen, daß Er, der Allererhabenste, der ewig Allerheiligste zu uns käme in dies Gemach Seiner Erbarmung. Aber wir alle sind zu große und grobe Sünder und sind solch eines Besuches nicht im geringsten wert, wo Gott käme zu Seinen allerletzten und niedrigsten Geschöpfen, die Seine Liebe und Geduld auf der Erde so oft gar schmählichst mißbraucht haben!
16. Daher vermelde du glücklichster Freund deines Gottes und Herrn, den du nicht kennst oder nicht kennen willst: Unser Herz sehnt und sehnte sich allzeit nach Ihm; aber unsere Sünden haben uns zu häßlich, schmutzig, nackt und stinkend gemacht, als daß wir wünschen könnten, daß Er zu uns käme!
17. Wir vergehen beinahe vor Schande und Schmach, hier in diesem Hause uns zu befinden, wo Er nun hauptsächlich der Sünder wegen zu wohnen pflegt, um ihnen Seine Erbarmung angedeihen zu lassen. Was erst würde mit uns geschehen, wohin würden wir uns verkriechen, so Er nun vollends zu uns käme?
18. Daher bitte Ihn, du Glücklichster, daß Er uns Nichtswürdigste verschonen möchte; jedoch nicht unser, sondern Sein heiligster Wille geschehe!“
01. Bischof Martin spricht: „Oh, oh, oho, was fällt euch ein! Gott, das allerhöchste, unendliche Wesen, das im ewig unzugänglichen Lichte wohnt und mit Seiner Allkraft die ganze ewige Unendlichkeit erfüllt, wird Sich je in der Gestalt eines Menschen zeigen und mit Händen arbeiten gleich uns?!
02. Gott erfüllt wohl solche Menschen und Geister mit Seinem Gnadenlichte – manche mehr, manche weniger. Aber darum bleibt zwischen Gott und Mensch noch immer eine unendliche Kluft.
03. Jesus war wohl unter allen Menschen ein von Gottes Kraft am meisten erfüllter Mensch, aber darum doch ebensowenig wie wir ein Gott. – Kein denkender Mensch und Geist kann das annehmen, indem man da auch glauben müßte, der kleine Planet Erde wäre das Hauptzentrum aller Schöpfung, über welche Annahme die Sonnen doch sicher ein wenig protestieren möchten!
04. Daher nur hübsch gescheit hier im ewigen Reiche der Geister! Es ist genug, daß wir auf der Welt so dumm durcheinandergelebt haben und hielten Brot, Wein und nicht selten geschnitzte Bilder für Gottheiten, während wir an der Sonne das herrlichste Abbild der Gottheit hatten.
05. Betrachtet mich und meine beiden liebsten und besten Freunde als das, was wir sind, so werdet ihr nie von einer so dummen Furcht heimgesucht sein!
06. Ich weiß wohl, daß dieses Hauses Herr und Meister mächtiger ist und weiser als wir alle zusammen. Und er kann auch vielleicht recht wohl jener Jesus sein, der uns die weiseste Lehre gab. Aber für Gott müßt ihr ihn nicht halten, sondern als das nur, was er ist, nämlich – wie ich schon früher bemerkt habe – der beste, weiseste und somit mit Gotteskraft erfüllteste Mensch der Erde!
07. Ihr wisset doch, wie er auf der Welt ist getötet worden von den elendsten Menschen! Könnet ihr es annehmen, daß sich Gott als Urgrund alles Seins und Lebens im Ernste von den elenden Menschen könnte töten lassen?
08. Was geschähe wohl mit einem Hause, so man dessen Grundfesten zerstörte? Seht, es würde bald zusammenstürzen!
09. Was wohl wäre mit der ganzen Schöpfung, die da ist das eigentliche Gotteshaus, im Moment geschehen, so man eben Gott Selbst vernichtet hätte? Wer wohl hätte ohne Gott leben können? Hätte ein Gottestod nicht schon lange zuvor alles Leben und Sein vernichtet?! Daher, meine liebsten Freunde, nur schön gescheit hier in der Geisterwelt!“
10. Spricht wieder einer aus der Gesellschaft: „Freund, du hast zwar sehr weise scheinend gesprochen, um uns zu trösten. Allein, du bist vom Ziele ferner als wir, obschon du dich im fortwährenden Umgange mit dem Herrn befindest, während wir armen Sünder uns vor Ihm gebührend tief scheuen und fürchten müssen!
11. Ich aber sage dir als ein Sünder: du hast in der wahren Weisheit noch nicht das Einmaleins begonnen – und willst über Gottes innere Weisheit urteilen? So du Gott nur nach dem Volumen schätzest, wird dir Jesus freilich noch lange zu klein-winzig vorkommen. Willst du aber bedenken, daß Gott nicht nur pur Sonnen und Erden, sondern auch die Mücken gemacht hat, da wird es dir vielleicht doch einleuchten, daß sich Gott auch mit kleinsten Dingen ebensogut abgibt wie mit dem größten. Und daß es Ihm auch möglich sein kann, sich den Menschen als Mensch zu zeigen, sie zu lehren und zu führen die rechten Wege! Die Sonnen aber wird Er sicher auch als Sonne aller Sonnen leiten!
12. Wir Menschen aber verstehen nur wieder einen Menschen und so auch Gott nur im Menschen Jesus. Die Sonnen aber verstehen wir nicht, sonach wären sie für uns ohne Jesus auch eine vergebliche Gottheit!
13. Siehe, das ist mein Verstand! Geh und lerne deinen und unseren Hausherrn besser erkennen, dann komme wieder und sage uns allen, ob ich unrecht hatte!“
14. Bischof Martin verläßt nun die Gesellschaft und kehrt ganz verblüfft zu uns zurück.
01. Als Bischof Martin nun zu Mir kommt, spricht er sogleich: „Aber, du mein allerliebster Herr, Meister, Freund und Bruder, das war eine schöne Geschäftsbescherung von deiner Seite an meine angeborene Dummheit! Nun weiß ich wirklich nicht: bin ich ein Narr – oder sind es die da drinnen, die nun die Türe von uns scheidet.
02. Die haben im Grunde eine noch größere Furcht vor dir als die früheren und halten dich im Ernste nicht nur für den einstigen Religionsstifter Jesus, sondern auch für das allerhöchste Gottwesen selbst, und das mit einer Art philosophischer Konsequenz, der man gerade keine Berge von Gegenbeweisen entgegenstellen kann.
03. Sage mir auch du, liebster Freund, was an der Sache so ganz eigentlich gelegen ist? Woher mag es doch kommen, daß diese armen Seelen oder Geister von dir einen so sonderlichen Begriff haben? Ich sehe nun auch wirklich die bekannten Wundmale an deinen Händen und Füßen und bin beinahe außer Zweifel, daß du der einstige Heiland Jesus bist; aber Gott? Jesus und Gott zugleich? Das – erlaube mir – ist etwas zu viel!
04. Und doch behaupten die da drinnen das keck weg! Woher also haben denn diese einen solchen Begriff von dir eingesogen? Sollten sie etwa am Ende doch noch recht haben? Das wäre mehr als zuviel für eine arme Seele, wie da die meinige ist! Freund, wenn das im Ernste, mir freilich wohl unbegreiflichst der Fall wäre, da wüßte ich selbst vor Angst und Schrecken mir nicht zu helfen! O Freund, nun noch immer Freund – gib mir doch darüber einen beruhigenden Aufschluß!
05. Rede Ich: „Freund und Bruder, du warst doch selbst Bischof auf der Welt und hast Jesus, den Gekreuzigten, gepredigt und seine Gottheit sogar in den kleinsten Hostienpartikeln bewiesen! Siehe, alle diese hier nun in unserm Gewahrsam Befindlichen, die wir aus den Flammen gerettet haben, sind Schafe deines Sprengels und Jünger deiner Lehre!
06. Warum hast du sie auf der Welt denn so gelehrt, wenn dir nun das als Unsinn vorkommt, was sie als Schüler deiner Schule behaupten? Reden sie Unsinn – Frage: ,Wessen ist er?‘ Reden sie aber weise – Frage: ,Was bleibt dann ihrem einstigen Lehrer für Ruhm, so er nun seine eigene Lehre in seinen Schülern bekämpfen will und auch wirklich bekämpft?‘ Ich meine, bei dieser Gelegenheit würde für ihn auch der Unsinn offenbar!
07. Siehe, Ich bin wirklich Jesus, der Gekreuzigte! Und in diesem Bruder habe Ich die Ehre, dir den wirklichen alten Petrus vorzustellen, auf dessen angenommenem Stuhle die Bischöfe Roms sitzen und herrschen: freilich nicht in der Ordnung dieses wirklichen Petrus, sondern in der Ordnung jenes Petrus, den sie sich selbst erdichtet haben, wie sie ihn zu ihren materiellsten Zwecken am besten brauchen konnten. Nun weißt du, wer Ich und dein erster Führer sind; das Weitere werden dir deine eigenen Jünger zeigen!
08. Ich sagte aber einst, daß die Kinder der Welt klüger sind denn die des Lichts. So du dich aber schon für einen Sohn des Lichtes gleich einem Herrscher Chinas hältst, so gehe hin zu deinen Schülern, die da reine Weltkinder sind, und lerne von ihnen Klugheit wenigstens, so dir ihre Weisheit schon durchaus nicht munden will und mag!“
09. Spricht Bischof Martin : „O Freund, du bist wohl der Jesus, der sich als Sohn des Allerhöchsten verkündete und verkünden ließ – wo aber ist der Allerhöchste? Wo ist der allmächtige, ewige Vater? Wo dann der aus beiden hervorgehende Heilige Geist, so wir schon auf das Dogmatische zurückgehen wollen und beseitigen das Licht der reinen Vernunft?“
10. Rede Ich: „Was steht im Evangelium geschrieben? Siehe, da heißt es: ,Ich und der Vater sind eins; wer Mich sieht, der sieht auch den Vater!‘ Wenn du glaubst, was fragst du da weiter, so du Mich siehst? Glaubst du aber nicht, was fragst du? Bleibe, wie du bist, und Ich auch, wie Ich bin, und Ich meine, wir werden einander doch nicht in die Augen fahren?
11. Da drinnen aber sind deine Schüler. Gehe hinein zu ihnen und lerne von ihnen Meine Lehre von neuem. Dann komme wieder, auf daß Ich sie dir hernach erkläre!
12. Denn Ich, der wirkliche Heiland Jesus, sage dir hier in Meinem ewigen Reiche, daß du ein unsinniger Geist bist und erkennst nicht Meine übergroße Liebe, die Ich zu dir habe. Ich trage dich auf den Händen, und du bist noch immer taub und blind! Ich gebe dir das Brot des Lebens, und du verzehrst es wie ein Polyp, ohne auf die innere Wirkung zu achten, die es doch bei diesen Sündern plötzlich hervorgebracht hat!
13. Du bist wohl einer, der mit offenen Augen und Ohren nichts sieht und hört. Welche wunderbarsten Begebnisse habe Ich um dich her geschehen lassen, und du fragtest nicht: ,Wer ist Der, dem Meere und Winde gehorchen?‘
14. Darum gehe noch einmal zu diesen deinen Jüngern und lerne von ihnen Den erkennen, den du bis jetzt noch stets dir gleich gehalten hast! Es sei!“
01. Bischof Martin macht ein noch verblüffteres Gesicht, tut aber dennoch sogleich, was Ich ihm nun notwendig etwas ernster angeraten habe.
02. Als er wieder zu den Geretteten kommt, erstaunt er, daß er sie nun schon ganz verändert antrifft. Ihre Züge sind verjüngt und veredelt, und ihre früher beinahe nackten Leiber sind mit blauen Kleidern angetan, die um die Lenden mit einem purpurroten Gürtel an den Leib in vielen reichen Falten angeschmiegt sind. Unter der Gesellschaft entdeckt er eine erhabenere Mannsgestalt mit einem glänzend weißen Hut auf dem Haupte, unter dem reiche, goldblonde Locken herumwallen bis über den halben Rücken.
03. Dieser schöne Mann geht sogleich auf unseren Bischof Martin los und fragt ihn: „Freund, du bist schnell wieder zu uns zurückgekehrt! Hast du an dem allererhabensten Meister und Herrn dieses Hauses das gefunden, auf das wir alle dich aufmerksam gemacht haben? Ist Er das? Ist Er Jesus, der Herr Himmels und der Erde natürlich und geistlich, zeitlich und ewig?“
04. Spricht Bischof Martin: „Jesus, – ja, ja, das ist er wohl. Aber mit der Gottheit – da scheint die Sache noch nicht ganz im Reinen zu sein. Ich meine, mit der Annahme, daß Jesus auch wirklich Gott ist, sollte man doch etwas behutsamer zu Werke gehen. Denn wenn er es am Ende doch nicht wäre und dem allerhöchsten Wesen mißfiele solch eine Annahme? – könnte sein, daß Es uns dann verdamme, zu seiner Zeit, wie Es dies schon mit vielen Völkern der Urzeit getan hat, die gewagt haben, neben Ihm an mehrere Götter zu glauben. Was täten wir dann samt unserm guten Herrn Jesus?!
05. Denn bei Moses heißt es ein für allemal: ,Du sollst nur an einen Gott glauben und sollst dir weder ein geschnitztes Bild machen und es anbeten, noch sollst du wem andern als allein Mir die Ehre geben. Denn Ich bin der alleinige Herr und Gott, der Himmel und Erde gegründet hat und alles, was darauf und darinnen ist, lebt und atmet!‘
06. Moses spricht wohl sehr dunkel von einem Erlöser, der die Völker vom harten Joch der alten Knechtschaft befreien würde. Aber daß Jehova selbst in diesem Erlöser zur Erde herabsteigen würde, davon steht im ganzen Moses keine Silbe. Daher ist diese eure Annahme etwas zu schnell; da heißt's alles genau prüfen und wohl erwägen, was man tut.
07. Haltet Moses und Jesus gegeneinander, so werdet ihr es selbst finden, wie schwer, ja wie beinahe ganz unmöglich sich die Gottheit Mosis mit der Gottheit in Jesus vereinigen läßt. Dieses schärfsten mosaischen Gottesgesetzes wegen hat ja schon Moses selbst auf Gottes Geheiß die Todesstrafe gesetzt: so jemand dadurch Gott lästern möchte, daß er entweder einem Götzen opferte, oder einen Zauberer, einen Propheten oder irgendeinen andern Helden für die Gottheit hielte! Ein Grund, der auch Jesus an das Kreuz brachte, obschon er über seine vorgeblich göttliche Sendung im Angesichte der Schriftgelehrten sich stets nur in dunklen Bildern auszudrücken pflegte.
08. Es ist auch sehr schwer einzusehen, warum die Gottheit durch Moses mit solchem Himmelspompe eine Kirche gegründet hätte für oft ausgesprochene ewige Zeiten – wenn diese Kirche dann mit Jesus als derselben Gottheit gegen ihre oftmalige Verheißung einen vollen Garaus bekäme!
09. Darum, liebe Freunde, ist eure vorschnelle Annahme der Jesusgottheit etwas sehr Kitzliges und Delikates hier in der Geisterwelt.
10. Ich sehe wohl, daß euch wahrscheinlich diese eure Annahme in diesem Jesushause schnell in einen bessern Zustand versetzt hat durch ein kleines Hauswunderchen. Aber daß ich euch darob bis jetzt noch nicht im geringsten beneide, dessen könnet ihr völlig versichert sein. Denn ich bleibe immer bei dem Grundsatze: ,Wer zuletzt lacht, der lacht am besten!‘“
11. Spricht der große Mann mit dem strahlenden Hute: „Freund, alles, was du hier geredet hast, kenne ich so gut wie du. Und dennoch bedaure ich dich ob deiner Blindheit und befürchte sehr, daß du nach deiner Meinung je zuletzt lachen wirst. Ich und diese ganze Gesellschaft aber denken also:
12. Jesus, dessen Ankunft alle Propheten gleich vorausgesagt haben, von dem David singt: ,Also spricht der Herr zu meinem Herrn!‘ oder: ,Also spricht Gott der Herr zu Sich Selbst: Setze dich zu Meiner Rechten, bis Ich alle Feinde lege zum Schemel deiner Füße!‘, und: ,Machet die Tore weit und die Pforten hoch, auf daß der Herr der Herrlichkeit, auf daß Jehova einziehe in unsere Stadt, in die heilige Stadt Gottes, in Seine Stadt!‘; –
13. Jesus, dessen Geburt nach der einstimmigen Erzählung der Evangelisten voll Wunder war, ja dessen ganzes Leben eigentlich sich als ein ununterbrochenes Wunder darstellte; –
14. Jesus, der in Seiner Lehre nur zu oft klar zeigte, wer Er war in Seinem innersten Wesen, und der einen der zehn Gereinigten fragte, als dieser zurückkam und Ihm die Ehre gab: ,Wo sind denn die andern neun, daß sie auch herkämen und Gott die Ehre gäben?‘; –
15. Jesus, der aus eigener Macht am dritten Tage aus dem Grabe erstand und hernach noch bei 40 Tage auf der Erde umherging und sie, Seine Schüler, unterrichtete, darauf vor tausend gläubigen Augen in die Himmel aufstieg und bald darauf den Geist der ewigen Kraft, Macht, Liebe und Weisheit aus den Himmeln auf die Seinen niederwehen ließ; –
16. Jesus, von dem Johannes das erhabenste Zeugnis gibt, sowohl in seinem Evangelium wie auch in seiner hohen Offenbarung:
17. Sage, Freund, ist es dir wohl noch möglich, diesen Menschen aller Menschen für nicht mehr als bloß nur für einen ganz gewöhnlichen Weltweisen zu betrachten? –
18. Schau, Freund, ich will dir etwas recht Dummes sagen. Aber es scheint mir doch weiser zu sein, als was du sagst: Ich meine, wenn Gott der Herr nicht das Menschliche angenommen hätte, um auch von uns Menschen, Seinen Geschöpfen, gesehen zu werden, wozu wohl hätte Er uns erschaffen? Für sich nicht! Denn was hätte Er davon, so wir Ihn nie zu Gesicht bekämen und vollauf liebten? Und wozu wäre uns ein Leben ohne einen erschaulichen Gott? Denke darüber nach, vielleicht wird's dir dann doch etwas heller in deinem Verstande werden!“
19. Bischof Martin spricht: „Laßt mich nun ein wenig in Ruhe; ich werde deine ziemlich hellen Worte ein wenig tiefer beherzigen!“
20. Nach einer ziemlich langen Pause fängt Bischof Martin wieder zu reden an und spricht: „Freund, ich habe nun deine Worte nach allen mir denklichen Seiten erwogen und sehe nur stets mehr das Gegenteil von dem, was du ehedem behauptet hast. Dessenungeachtet aber bin ich nicht hartnäckig und will aus ganzem Herzen gerne deiner Meinung beipflichten, so du mir einige meiner Fragen zu meiner Zufriedenheit beantwortest.“
01. Spricht der Weise aus der Gesellschaft: „Frage, und ich will dir antworten; ob zu deiner dich selbst überzeugenden Zufriedenheit oder nicht, wird wenigstens mir ganz einerlei sein.“
02. Bischof Martin fragt: „Warum hat die Erde nur einen höchsten Berg? Und liegt darum die Gottheit in ihm oder über ihm ganz in ihrer Fülle, weil er der einzige höchste Berg der Erde ist?“
03. Spricht der Weise: „Wohl hat die Erde einen Berg, der da höher ist als jeder andere bekannte Berg, der die Erde mit seinem mächtigen Fuße drückt. Allein, darum ist er nicht der Berge Gott, sondern Gott wußte und weiß es, warum Er auf diesen Planeten einen höchsten Berg gesetzt hat. Wahrscheinlich, um damit den Winden einen allgemeinen Teilungs- und Abteilungspunkt zu geben. Darum auch zumeist zunächst dem Äquator in den tropischen Ländern die höchsten Berge vorkommen, weil eben in diesen nahe dem Hauptgürtel gelegenen Ländern die Winde zufolge der Erdrotation am heftigsten sein müßten. Und weil da die Zentrifugalkraft am heftigsten wirken muß, weshalb die Umschwungkreise vom Mittelpunkt oder der Achse am weitesten abstehen.
04. Wären demnach in diesen Gegenden nicht solche höchsten Windregulatoren vom Herrn aufgerichtet, da wären sie wohl für ewig unbewohnbar. In der Richtung – und zwar in den größten Kontinenten, besonders in Asien –, wo die Luft in einem Hauptstrome sich eint, sind demnach auch die höchsten Berge. Und in Asien, als dem größten Kontinent, ist auch ein allerhöchster Berg der Erde notwendig. – Bist du mit dieser Antwort zufrieden?“
05. Spricht Bischof Martin: „Vollkommen in seiner Art! – Aber nun eine Frage weiter: Warum ist in Amerika der Amazonenstrom sicher der größte auf der ganzen Erde? Ist etwa darum die Fülle der Gottheit in ihm?“
06. Spricht der Weise: „Freund, ich weiß wohl, wo du am Ende hinauswillst. Aber dessenungeachtet will ich auch diese sehr alberne Frage so gründlich als tunlich beantworten.
07. Siehe, Amerika ist ein viel jüngerer Kontinent und hat in den Kordilleren ein höchst ausgedehntes Gebirge, sowie auch in den Anden.
08. Die Gebirge stehen einerseits sehr nahe an dem größten Weltmeere und haben daher in ihren unterirdischen Fundamenten eine übergroße Menge Wasser, das da fortwährend aufsteigt durch die zahllosen Poren und durch die vielen größeren Adern und Kanäle. Andererseits aber hat besonders Südamerika, als ein jüngstes, erst kaum einige 1000 Jahre über den Meeresspiegel erhobenes Land, überaus große und sehr wenig über den Meeresspiegel emporgehobene Flächen und Ebenen von meistens sehr lockerem Sandgehalte.
09. Wo aber ausgedehnte Gebirge viel Wasser ausbeuten und sich diese dann in den größten ebenen Flächen ansammeln, ohne Widerstand ausbreiten können und nur sehr langsam dem Meere zuströmen, da muß es auch notwendig und leicht den größten und breitesten Strom geben. Ohne daß darob mehr von der Gottheit darinnen enthalten zu sein braucht als in einem Regentropfen! – Sage, bist du mit dieser Antwort zufrieden?“
10. Spricht Bischof Martin: „Vollkommen in seiner Art. Die Antwort läßt nichts zu wünschen übrig. Aber darum nur weiter!
11. Sage mir: Warum ist der Diamant der härteste und durchsichtigste Edelstein und warum Gold das edelste Metall?“
12. Spricht der Weise: „Weil es die Menschen dazu gemacht haben nach ihrem eitlen Gutachten. Und das taten sie, weil diese Mineralien seltener vorkommen als andere. Lassen wir aber die Diamanten so häufig vorkommen wie Kiesel, und Gold so wie das Eisen – und man wird mit Diamanten die Straßen beschottern und die Wagenräder mit Gold beschlagen.
13. Warum aber gerade diese zwei Mineralien seltener vorkommen als andere, das wird der Herr am besten wissen. Wahrscheinlich, weil sie für den Geist des Menschen einen zu großen Giftgehalt aus der Hölle beigemischt haben, woraus sich mit großer Konsequenz schließen läßt, daß in diesen für die Weltmenschen edelsten Mineralien eben nicht eine zu große Portion von der Gottheit stecken wird. Bist du auch mit dieser Antwort zufrieden?“
14. Spricht Bischof Martin: „Ich kann dir nichts einwenden – daher muß ich mich zufriedenstellen in seiner Art. Aber das, was ich von dir erwartete, fand ich in keiner dieser deiner Antworten: nämlich einen natürlichen Beweis für die Gottheit Jesu!
15. Siehe, auf der Erde, wie sicher auf jedem Planeten, gibt es in jeder Art der Dinge, der Wesen und so auch der Menschen gewisse höchste Punkte, so einzig und alleinig in ihrer Art, daß sie nie übertroffen werden können. So gibt es sicher irgendeine größte Sonne, einen größten Planeten, auf dem Planeten selbst wieder allererste Vorzüglichkeiten, die unübertrefflich sind in ihrer Art. Kann ein Weiser aber darum von solchen Vorzüglichkeiten behaupten, sie seien darum Gottheiten, weil sie in ihrer Art alles in einem beispiellos höchsten Grade übertreffen? – Also taten es wohl die Heiden, die alles nach ihrer Einsicht unübertrefflich Vollkommenste vergötterten, aber auf diesem Wege am Ende in die schändlichste Vielgötterei kamen.
16. Es gab sicher irgend einmal einen gelehrigsten Affen, Hund, Esel gleich dem des Bileam, ein schönstes und mutigstes Pferd, wie der Buzephalus des Cäsar, sicher ein schönstes Weib gleich der Mediceischen Venus, also auch einen Apollo, eine weise Heldin Minerva, eine eifersüchtigste Juno.
17. Die Heiden haben diese Eminenzen samt und sämtlich vergöttert, was kein Mensch leugnen kann. So aber die Bewohner eines Planeten schon mit außerordentlichen Vorzüglichkeiten aus allen Reichen der Natur das taten, was Wunder, so die gleichen Menschen den weisesten Lehrer und größten Magier zur ersten Gottheit erhoben, ihm Altäre errichteten und ihn bis zur Stunde noch anbeten; ein Teil aus wirklicher, freilich stockblinder Frömmigkeit, der größte Teil aber aus Politik wegen der Erhaltung der Blindheit der andern.
18. Weil aber nur die Menschen aus ihrem weisesten Mitmenschen das machten – Frage: Ist das wohl ein hinreichender Grund zu seiner vollsten Vergötterung?! Oder sind je von uns gesehene und gesprochene höhere Wesen zur Erde gekommen und haben die Gottheit Jesu vollends gezeigt und bestätigt?
19. Man erzählt sich wohl Wunderdinge von seiner Geburt, auch, wie da höhere Geister zur Erde sichtbar niedergestiegen sind und hätten die Menschheit von seiner Göttlichkeit unterrichtet. Ich frage aber mit gleichem Menschenrechte: Haben auch wir davon je etwas gesehen? Ich wenigstens nie! Vielleicht du?
20. Ja, in einem langweiligen und eigennützigen Mönchs- oder Nonnentraum haben sich wohl ähnliche Lügen lassen zusammendichten können. Fragen wir aber nach der Wahrheit, so kommt nichts als Mensch und wieder Mensch zum Vorschein, von denen jeder mehr und wunderbar mehr wissen will als sein Nächster, aber jeder bei sich selbst sagen muß: ,Herr, ich bin blind; mein ganzes Wissen ist bloß ein angewohnter, stumpfer Glaube und sonst nichts!‘
21. Von einer Überzeugung kann da nie die Rede sein, wo ein Mensch auf die Autorität des andern baut und sonst nichts als eben diese Autorität als höchstes Beweismittel annimmt. Und annehmen muß, weil er sich unmöglich von irgendwoher lebendigere Beweise verschaffen kann als eben nur von Menschen, wo man dann freilich wohl sagen muß: ,Vox populi, vox dei‘, weil man vom eigentlichen Deus außer auf rein menschlichem Wege noch nie etwas vernommen hat.
22. Eine Offenbarung ist demnach auch nur ein Menschenwerk und kann nichts anderes sein, indem wir bei unsern Lebzeiten nie eine andere zu Gesichte bekommen haben als eine solche nur, an der Menschenhände und menschliche Phantasien nur zu sehr erkennbar sind.
23. Also, mein liebster Freund, prüfe ich nun wohl alles, bevor ich es annehme, und bin nicht unüberzeugbar. Aber deine Beweise sind mir wahrlich nicht genügend. Ein Mensch kann wohl für Gotteserkenntnis den größten Trieb haben; diesen aber kann kein Mensch, sondern nur Gott selbst befriedigen. Ich meine aber: Bevor wir zu dieser Befriedigung gelangen werden, werden wir noch ungeheuer viel in allen Seinen Schöpfungsräumen durchmachen müssen, bevor wir für eine wahre göttliche Offenbarung werden fähig sein!
24. Alles aber, was uns bis jetzt begegnet ist, ist nichts als nur eine erste Elementarschule für den einstigen großen, heiligen Unterricht. – Kannst du mir aber auf diese meine klaren Argumente etwas Besseres, Reineres, Wahreres und somit Göttlicheres erwidern, so bin ich in aller Geduld bereit, dich mit aufmerksamstem Gemüte anzuhören.“
01. Spricht der Weise: „Freund, fürwahr, ich muß offen gestehen, daß ich dir nicht gewachsen bin, obschon du mit allen deinen triftigsten Beweisen von der einzigen Gottheit Jesu, des Herrn, auch nicht ein Atom weggenommen hast. Im Gegenteil nur vielfach mehr bestärkt, weil ich daraus noch klarer ersah, daß Gott auch ein Mensch, aber freilich der allerhöchste und allervollkommenste Mensch ist und sein muß. Sonst wären wir unmöglich das, was wir sind, nämlich Menschen, und könnten Gott auch nicht lieben, so Er nicht ein Mensch aller Menschen wäre.
02. Die Liebe aber ist unser höchstes Gut, unser Leben, unsere Seligkeit! Wozu wohl wäre sie, so wir Gott nicht lieben könnten, da Er kein Mensch wäre?
03. Tue nun, was du willst – aber von mir erwarte ja keine höhere Weisheit; ich gab dir hiermit alles, was ich hatte!“
04. Der Bischof Martin denkt über das vom Weisen der Gesellschaft Gesagte nach und spricht nach einer Weile, mehr zu sich als zum Weisen: „Du hast im Grunde recht; denn wenn der Pentateuch des Moses die Wahrheit spricht, mußte Gott freilich wohl ein Mensch sein, ansonst Er den Adam nicht nach Seinem Ebenmaße erschaffen hätte, so Er selbst nicht die gleiche Gestalt hätte! Dieselbe Gestalt aber setzt freilich auch dieselbe Wesenheit voraus!
05. Ein Uhrmacher braucht freilich wohl selbst keine Uhr zu sein, um eine Uhr zu machen; aber die Idee der Uhr muß er doch aus sich nehmen, ansonst er keine Uhr zuwege brächte!
06. Aber da ist schon wieder ein Haken: So ein Mensch eine Idee fassen kann, die ihm nicht gleicht, also ein ganz anderes Bild ist, sollte das Gott nicht vermögen? O sicher, das wird Er gar wohl vermögen!
07. Demnach könnte der Text aus dem Pentateuch etwa so zu verstehen sein: ,Gott schuf den Menschen nach Seinem Ebenmaße‘ heißt: ,Gott schuf den Menschen nach dem Maße Seiner Idee, d.h. Seiner Idee vollkommen entsprechend!‘
08. Wenn der Text so zu verstehen ist – was sehr viel Wahrscheinliches hat –, wäre dann freilich noch lange keine Folge, daß Gott den Menschen gerade nach Seiner Gestalt geschaffen hätte. Oder daß Gott überhaupt eine begrenzte Gestalt haben müßte, um einen Menschen gestalten zu können. Ist ja doch jede Idee als Begriff an sich gestaltlos, so kann auch Gott an und für sich als die Totalgrundidee aller Ideen auch gestaltlos sein.
09. Müßte man annehmen, daß Gott, um Menschen zu gestalten, auch notwendig eine Menschengestalt haben müsse, so müßte Er, um einen Bären oder einen Haifisch und so fort alle zahllosen Dinge zu gestalten, entweder Sich in alle diese Gestalten verwandeln können, oder Er müßte gewisserart geteilt in allen diesen Gestalten für ewig unveränderlich vorhanden sein, damit an Ihm alle Dinge und Wesen ein sie allzeit richtendes und nach Ihm formendes Muster hätten.
10. Das anzunehmen wäre doch wohl die barste alte scholastische Faselei! Daher braucht Gott auch keine Gestalt, um Menschen als Menschen zu gestalten. Und am allerwenigsten braucht Er darum selbst ein Mensch zu sein – welche Annahme auch dem Begriffe der vollkommensten göttlichen Freiheit schnurgerade in die Quere springt. Denn wie ist eine vollste Freiheit unter dem Begriffe einer gestaltlichen Einschränkung denkbar?
11. Daher muß auch die vollste Freiheit gestaltlos sein, was auch mit dem Texte des Pentateuch zusammengeht, wo Jehova dem Moses streng verbietet, Ihn sich irgend unter einem Bilde vorzustellen.
12. Ja, ja, du mein geliebter Freund, nach der reinen Vernunft werde wohl ich recht haben, du aber wirst nach Paulus ,deines Glaubens leben‘! Ist freilich auch ein Leben, aber ein Leben ohne Einsicht und ohne Rechnung. Ich will es dir nicht nehmen und will aus dir auch keinen Proselyten machen. Aber zeigen muß ich dir doch, daß ein einstiger Bischof auf der Erde nicht um ein leichtes Geld gleich einem Hasenbalge umzuwenden ist, besonders von jenen schon gar nicht, die auf der Erde seine Schafe waren!“
13. Spricht der Weise „Ah – ja so, nun weiß ich freilich, von welcher Seite her der Wind weht! Ja, so du derjenige Bischof bist, der erst vor einigen Wochen dies ewige Sein mit dem zeitlichen vertauschte, dann ist es wohl begreiflich, warum dir die Gottheit Jesu nicht eingeht! Ex trunco non fit Mercurius!
14. Ich aber bin der Buchhändler in derselben Stadt, wo du Bischof warst. Ich weiß es nur zu gut, wie du beschaffen warst! Äußerlich ein Zelot ohnegleichen, bei dir selbst aber ein barster Atheist! Wer las fleißiger den Kant, den Hegel und vollends mit dem größten Enthusiasmus den Strauß? Voltaire, Rousseau und Helvetius lagen statt der Vulgata stets auf deinem Lesepulte, – lauter Geister, die du auf der Kanzel und in deinen Hirtenbriefen tausendmal zur Hölle sandtest, aber bei dir im Herzen bei weitem über Jesus erhobst!
15. Siehe, das weiß ich am besten, weil ich dir alle diese Werke liefern mußte und dein Vertrauter war. Aber ich folgte dir dennoch nicht, sondern ging meinen geheimen Weg fort, den ich in Swedenborg fand, von dem du aber nie etwas wissen wolltest, weil er nicht für deine römische Zwickmühle taugte! Gut, daß ich das nun weiß! Wir werden darum schon einige Wörtlein miteinander zu wechseln bekommen!“
16. Spricht der Bischof Martin ganz verblüfft: „Nun, jetzt geht es gut! Zu allen Übeln auch noch das! Muß aber dich der – Gottstehunsbei auch gerade hierher gebracht haben!
17. (Bei sich:) Der Kerl von einem Buchhändler weiß auch noch eine Menge anderer Stückeln von mir! Na, das wird eine schöne Wäsche hier in der Geisterwelt absetzen!
18. Wenn nur der Hausherr Jesus, der es ganz sicher ist, nicht etwa hereinkäme! Das wäre ja eine verzweifelte Geschichte! Denn ich habe von ihm schon so einige Leviten bekommen, und er hat mir schon einige meiner irdischen Lumpereien aufgedeckt!
19. Aber wenn dieser Glanzhütler anfängt, über mich loszuziehen und aufzudecken meine geheimen Hauptlumpereien, da wird es mir sicher nicht am besten ergehen. Vielleicht komme ich wieder so auf irgendein angenehmes Wasser oder auf sonst ein Uferl hin – sicher auf einige Millionen von kurzweiligen Jahren! Oh, oh, ohoh! Das wird wieder löblich sein! –
20. Was tue ich denn nun, um dieser Kalamität auszuweichen, wenn hier überhaupt ein Ausweichen möglich ist? Hm – aha, ja, da hab ich's schon, so geht's! Und geht es nicht, so gehe ich denn wieder an irgendein Meeresuferchen, die Ewigkeit auf selbem fischen! In Gott's Nam', ist mir nun schon alles eins! Nein, gerade mit diesem Kerl mußte ich hier zusammenkommen! Aber die Sache läßt sich nicht mehr ändern; daher nur einen rechten Entschluß gefaßt und ausgeführt! Was tue ich also nun?“
21. Fällt ihm unaufgefordert der Buchhändler ins Wort und sagt: „Glaube, was ich wohlbegründet glaube, so wirst du aller deiner vermeintlichen Kalamität entgehen. Halte mich aber weiter für keinen Verratspitzel mehr, sondern für deinen Freund, dem du aus dem Feuer seines blinden Eifers halfst und hast ihn bekleidet, da er nackt war!
22. Glaube mir: Jesus, der Herr, wird an uns ewig keine Spione und Verräter brauchen. Denn Ihm sind unsere innersten Gedanken schon eher bekannt, als wir sie noch in unserer Seele empfunden haben – daher wir uns füglich die Mühe, einander anzuschwärzen, völlig ersparen können!
23. Schau, schau, Bruder, warum sollte denn Jesus nicht der Herr Himmels und aller Welten sein können, warum nicht Gott der Ewige, der endlos Mächtige? Sollte denn Ihm gerade das Leichteste meines Erachtens – wenn für Gott überhaupt Schwereres oder Leichteres denkbar ist – weniger möglich sein als etwas, das ich für viel schwerer erachten möchte?
24. Sollte es Dem, von dem jedes durch Zeit und Raum begrenzte Wesen hervorging, wohl unmöglich sein, ohne Verlust Seiner göttlichen Allmacht, aus Liebe zu uns, Seinen Geschöpfen, Seinen Kindern, Sich selbst in Zeit und Raum einzuschränken, da doch Zeit wie Raum aus Ihm hervorgehen?
25. Oder: Sollte ein Maler oder Bildner, der tausend Gestalten in Farben oder in geformter Materie wiedergab, nicht auch sich selbst zu malen oder zu meißeln imstande sein? Wenn das schon einem Menschen möglich ist – wennschon in unvollkommenstem Sinn –, wie sollen wir uns von Gott da etwas Unmögliches denken können?
26. Oder: Wäre Gott wohl das höchst freieste Wesen, so Er irgend etwas aus Sich selbst nicht zu bewirken imstande wäre? Du beschränkst Ihn ja durch deine Hegelianischen Grundsätze völlig, und machst aus Ihm einen Unendlichkeitsarrestanten, der höchstens Zentralsonnen erschaffen kann mit Erden, Menschen, Tieren. Aber mit Infusorien vollends – die doch auch Leben haben und einen kunstvoll konstruierten Organismus, durch den sich eben das Leben kundgibt –, als endlos großes Allwesen unmöglich etwas zu tun haben könnte, und sich daher um uns Menschen auch nicht kümmern möchte und könnte eher, als bis wir etwa die Zentralsonnengröße möchten erreicht haben? Wie aber das? Darüber werden auch Hegel und Strauß geschwiegen haben! –
27. Ich, dein Freund, meine nun, du wirst zur Einsicht kommen und wirst keinen Anstand mehr finden, Jesus die Ehre zu gönnen und zu geben, die Ihm für alle Ewigkeiten der Ewigkeiten gebührt, um so mehr, da Er dir schon so große Gnaden von neuem erzeigt hat!“
28. Spricht der Bischof Martin: „Bruder, Freund! Ich habe dich aus der Flamme gezogen. Du aber hast mir dafür nun eine andere Flamme mächtigsten Lichtes gegeben! Ich danke Ihm, ich danke dir! Aber nun laß mich sammeln, laß mich fassen! Zu groß, zu unendlich ist der Gedanke, den ich jetzt denken muß! Daher gönne mir einige Ruhe! – Ich erwache, ich erwache!! –“
01. Nach einiger Zeit begann Bischof Martin wieder zu reden: „Ja, ja, liebster Bruder, ich kann nun denken, wie ich will, so halten deine jetzigen Grundsätze allenthalben Stich. Unser Hausherr und Meister ist und bleibt auch der Hausherr und der Meister der Unendlichkeit und aller Ewigkeit! Er ist unstreitbar der ,Sohn‘ des allerhöchsten Wesens, das da sicher ist der schon gar oft bezeichnete ,Vater‘! Aber wo ist nun der ,Heilige Geist‘ als gewisserart die dritte göttliche Person?
02. Spricht der weise Buchhändler: „Freund, da mußt du ganz dem Evangelium folgen! Siehe, hier ist eine Bibel, und darin das Neue Testament. Da lies den Johannes, den ich dir schon einmal angezogen habe! Sieh, dieser spricht: ,Im Anfange war das Wort, das Wort war bei Gott, Gott war das Wort; dies Wort ist zu Fleische geworden und hat in (Jesus Christus) unter uns gewohnt!‘ usf.
03. Wieder heißt es in einer andern Stelle: ,In Jesus Christus wohnt die Fülle der Gottheit körperlich!‘ Und wieder: ,Wer Mich sieht, der sieht auch den Vater; denn Ich und der Vater sind Eins, – der Vater ist in Mir, und Ich im Vater!‘ – und dergleichen Stellen noch eine schwere Menge!
04. Siehe, so man derlei Stellen, wie überhaupt das ganze Alte und das Neue Testament wohl überdenkt, so stellt sich immer mehr heraus, daß Jesus der alleinige Herr und Schöpfer Himmels und aller Erde ist!
05. Als die Apostel Ihn angingen, daß Er ihnen denn doch auch einmal so à la Verklärung auf dem Berge Tabor den Vater zeigen solle, indem Er ihnen schon so viel von Ihm erzählt hatte, da verwunderte Sich Jesus förmlich über die Blindheit Seiner Schüler und sprach: ,Was sagt ihr (Blinden): ,Zeige uns den Vater!‘, und doch bin Ich schon so eine geraume Zeit unter euch?! Wisset ihr denn noch nicht, daß, wer da Mich sieht, auch den Vater sieht? Denn Ich und der Vater sind ein und dasselbe!‘ usw. – wie ich die Stelle schon gezeigt habe!
06. Ich aber meine, du fragst hier gerade so, wie dereinst die Apostel und Jünger ihren Herrn und Meister gefragt haben, als ihnen auch noch die dreifache Mosisdecke vor den Augen hing!“
07. Spricht wieder Bischof Martin: „Ja, du hast recht, ein vollstes Recht hast du – ich bin nun vollkommen im klaren! Er ist es, Er ist es! Er ist der einige Herr, Gott, Schöpfer und Vater Himmels und aller zahllosen Myriaden von Engeln, Sonnen, Erden und Menschen. Daß Er aber gerade die Erde so ausgezeichnet hat, wird wohl auch seinen allertriftigsten Grund haben, der mir mit der Zeit wohl auch noch hoffentlich klarer wird!
08. Nun aber kommt ein anderer Artikel! Siehe, Bruder, je mehr ich nun diese unaussprechliche, allerheiligste Sache betrachte, je ungezweifelter dieser unser Hausherr Jesus als das allerhöchste Gottwesen heraustritt, desto mehr konzentriert sich die Furcht in meinem Herzen. Es wäre schrecklichst, nun vor Ihm erscheinen zu müssen!
09. Denn daß ich als ein Sünder nun dastehe, der seinesgleichen sucht, wie du es weißt – und der allmächtige Gott daneben! Oh, das wird bald die respektabelste ewige Verdammnis absetzen! Bisher konnte diese vielleicht darum nicht in der Fülle erfolgen, weil ich den so nahen allergerechtesten Richter nicht erkannt habe. Nun aber, da ich Ihn, den Erschrecklichen, unwiderlegbar erkannt habe, wird der höllische Tanz mit mir schon sicher bald angehen!
10. Denn schau, Bruder, wir haben Ihn nun wohl erkannt und müssen nun zu Ihm ,Herr! Herr!‘ sagen! Er aber hat es Selbst auf der Erde gelehrt und gesagt: ,Es werden nicht, die zu Mir Herr! Herr! sagen, in das Reich der Himmel eingehen, sondern jene nur, die des Vaters Willen tun!‘ Sage, Freund, haben wir je diesen Willen beachtet und danach getan? Vom Himmel kann daher für uns nie eine Rede sein!
11. Was gibt es aber außer dem Himmel? – Siehe, nichts als die Hölle! Ohoho, nichts als die nackte Hölle! Ich sehe nun schon ordentlich die Flammen über meinem Kopfe zusammenschlagen. Auch kommt's mir schon vor, als wenn die Teufel – ohohoh – Gottstehunsbei – –! Bruder, lieber Bruder, ich kann es dir gar nicht sagen, was für eine unendliche Angst sich nun meiner bemächtigt hat!
12. Was werden wir sagen, so Er nun als der allmächtige Gott und als der gerechteste, gestrengste, ja unerbittlichste Richter zu uns kommen wird, und wird uns so mir und dir nichts in die Hölle hinein zu verdammen anfangen und wird sagen: ,Hin–weg – von Mir – ihr – Ver–fluch–ten! – – In – das e–wige – Feuer, das allen Teu –Gottstehunsbei bereitet ist!‘?
13. Ohohohoh! Erschrecklich, erschrecklich! Ich hör' schon ordentlich den Donner dieses erschrecklichsten Richtspruchs. – Ohohoh, das wird ein Leben sein, ein erschrecklichstes Leben, und eine Empfindung, wenn ich vielleicht ganz hinab zu allen Teufeln fahren werde – Gottstehunsbei, hätte ich beinahe schon zu sagen vergessen vor lauter Angst, Furcht und Schrecken! Ich begreife nur nicht, wie du dabei so gleichgültig sein kannst, wo ich vor Furcht vergehe und schon beinahe ganz verschmachte!“
14. Spricht der weise Buchhändler: „Fasse dich nur, Bruder, und sei versichert, der Herr ist besser, als Roms Päpste und Mönche Ihn darstellen! Solange wir Ihn aber so närrisch fürchten, wird Er wohl verziehen und wird erst kommen, so wir unsere Furcht werden in Liebe umgestaltet haben!
15. Schau, schau, was wohl hättest du denn für ein Vergnügen, so du dich an einer Milbe, die dich beleidigt hätte, rächtest? Wäre eine solche Rache nicht der barste Unsinn eines verrückten Narren? Wie kannst du demnach so etwas der allerhöchsten göttlichen Weisheit unterbreiten! Was sind wir gegen Gott? Sind wir gegen Ihn wohl das, was eine Milbe gegen uns?!
16. Siehe, wir sind ja ganz und gar nichts gegen Ihn, und Er sollte an uns solche Rache nehmen? – Wohin, Freundchen, wohin? Fasse dich; ich bin der besten Hoffnung, daß da am Ende noch alles um ein Haar besser ablaufen wird, als wir es uns vorstellen! – – Stille! Mir scheint, Er kommt herein! Richtig, Er kommt!“
01. Als Ich mit Petrus eintrete, sinkt Bischof Martin wie in eine Ohnmacht zusammen, und die ganze Gesellschaft mit Ausnahme des Buchhändlers ruft: „Wehe uns!“
02. Nur der Buchhändler fällt bei klarer Besinnung auf die Knie nieder und spricht: „Herr, Vater – geheiligt werde Dein allerheiligster Name, Dein Wille geschehe! Siehe, wir sind alle große und grobe Sünder und sind wohl nicht der geringsten Deiner Gnaden wert. Aber wir alle lieben Dich in aller Fülle unseres Gemütes! Daher, so es Dein Wille ist, laß Deine Erbarmung statt Deiner Gerechtigkeit über uns ergehen! Was sollen wir ohne Deine Gnade, ohne Deine Liebe, ohne Deine Barmherzigkeit!
03. Du bist ewig, Du bist endlos weise, und Deine Allmacht hat keine Grenzen! Nimmer könnten wir uns vor Dir entschuldigen! Oder könnte sich wohl irgend jemand in der ganzen Unendlichkeit auflehnen gegen Deine Macht? Denn noch ehe er diesen Gedanken faßte, könntest Du ihn schon vernichten so, als wäre er nie im Dasein vorhanden gewesen.
04. Ich und wir alle erkennen und bekennen, daß du der alleinige Herr Himmels und aller Welten bist. Wir alle aber sind nichts gegen Dich und Deine endlose Macht. Tue daher mit uns allen, was Dein heiliger Wille ist; aber sei eingedenk unserer Schwäche, und Deine Erbarmung bleibe uns nicht ferne!“
05. Rede Ich: „Stehet auf, und jammert hier nicht wie Delinquenten auf der Welt! Denn so Ich zu euch komme, seid ihr ja schon selig. Denn die unseligen Geister fliehen Mich und wollen ewig nicht, daß Ich zu ihnen käme und sie erlöste und selig machte. Daher ist eure Furcht vor Mir eitel und schwach das Licht eures Verstandes.
06. Leget ab all das, was da nicht taugt in Meinem Hause, in Meinem Reiche. Denn wo Ich bin, da ist auch Mein Reich, und dieses Reich ist der Himmel innerster und höchster! Dieser Himmel aber ist nicht ein Himmel des Müßiggangs und der ewigen Trägheit, sondern ein Himmel der vollsten Tätigkeit, in die ihr alle von nun an stets tiefer und tiefer werdet eingeführt werden: jeder von euch in dem, wozu er schon auf der Erde talentierte Vorübungen machte. Also sei es!
07. Alle erheben sich in der freudigsten Stimmung und danken Mir laut für solche endlose Gnade und Erbarmung. Nur der Bischof Martin liegt noch in seiner Ohnmacht und hört und sieht vor lauter Angst nichts, was da vorgeht.
08. Da geht Petrus auf Meinen Wink hin zu ihm, rüttelt ihn auf und spricht: „Aber Martin, was tust du denn hier? Wir haben schon die längste Zeit draußen auf dich gewartet und du kamst nicht wieder zum Vorscheine! Was plaudertest du denn hier so lange und ließest uns warten wie eine zimperliche Braut ihren Bräutigam, die sich gar zu eitel zum Hochzeitsfeste schmückt! Weißt du denn nicht, daß wir wichtige und diesmal sehr dringende Geschäfte vorhaben?“
09. Spricht endlich nach einer Pause wieder Bischof Martin: „O, ja – gut – ja, ja! Richtig, du bist es! Ja sieh, ich ging diesmal wie auf große und überwichtige Entdeckungsreisen aus, und von großen Reisen kommt man nicht so bald zurück. Hab' freilich wohl Allerhöchstes entdeckt, aber nicht zu meiner Freude, sondern zu meinem größten Schrecken nur!
10. Ach, Freund, ich habe nun unwiderlegbar die Entdeckung gemacht, daß unser Hausherr und Meister Gott, der Herr der Unendlichkeit ist! Das ist nun klarer als auf der Erde die Mittagssonne am reinsten Tag. Nun aber denke dir mich als einen Sünder non plus ultra – und Gott, den Allmächtigen, den Allerweisesten, den Gerechtesten, den Allwissendsten, den Heiligsten, der einen verdammen muß wegen Seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit! – Ohohoh, Freund, das ist eine ganz entsetzliche Entdeckung!
11. Mein Freund da mit dem Glanzhute hat mich zwar wohl trösten und beruhigen wollen. Aber solange man nicht von Dem die Beruhigung hat, der unsereinen plötzlich in die Hölle hinein auf ewig verstoßen kann, so lange nützt kein fremder Trost etwas!“
12. Spricht Petrus: „Stehe nur auf, und sei nicht dumm! Siehe, der Herr Jesus, den du so unbändig fürchtest, harrt mit offenen Armen deiner! Sieht Er wohl so aus, als säße Ihm schon dein Verdammungsurteil auf der Zunge?“
13. Bischof Martin wirft einen flüchtigen Blick nach Mir und ersieht Meine große Freundlichkeit. Dies macht ihm Mut, daß er sich sogleich vom Boden etwas mehr erhebt und mit Tränen in den Augen spricht: „Nein, nein, aus dieser Milde sieht ewig kein Verdammungsurteil heraus! O Herr, o Vater, wie gut mußt Du sein, daß Du einen Sünder, wie ich es bin, so endlos mild und gnädig ansehen kannst!
14. O Jesus, jetzt aber halte ich es nimmer aus! Mein Herz brennt wie eine Zentralsonne vor plötzlich erwachter Liebe zu Dir – Sünde hin, Sünde her: ich muß wenigstens Deine Füße umklammern und an ihnen meiner zu großen Liebe Luft machen! Herr, tue mit mir, was Du willst; aber nur diesmal laß meiner Liebe ihren Lauf!“
15. Rede Ich: „Komm her; du Mein hartnäckiger Bruder; deine Sünden sind dir vergeben! Und nicht da zu Meinen Füßen, sondern hier an Meiner Brust mache deiner Liebe Luft!“
16. Auf diese Anrede stürzt der Martin hin zum Herrn und verdrückt und vergräbt sich völlig in Den, den er so lange nicht erkennen wollte.
17. Als er sich so recht an Meiner Brust vor Liebe ausgeweint hat, da frage Ich ihn: „Nun, Mein liebster Bruder und Mein Sohn, sage Mir: Wie gefällt dir diese Höllenfahrt? Bin Ich wohl der ewige Tyrann, wie Ihr Mich ausgeschrien habt?“
18. Spricht der Bischof Martin: „O Herr, ich bin jetzt stumm und zu wortarm, um Dir vor allen diesen lieben Brüdern zu bekennen, wie klar ich nun alle meine Fehler und größten Irrtümer einsehe. Aber laß mich in dieser neuen Größe des endlosesten Glückes erst so ein wenig zurechtfinden, dann erst will ich Dir, o Du mein süßester, gütigster, barmherzigster Herr Jesus, ein rechtes Bekenntnis ablegen!
19. O Herr, o Jesus, o Du heiligster aller Heiligkeit, Du Liebe aller Liebe, Du endlose Geduld aller Geduld, ich kann jetzt nichts anderes als Dich lieben, lieben, lieben, Dich über alles lieben!“
20. Rede Ich: „Nun gut, gut; dieser deiner Liebe wegen, die Ich in dir sah, hatte Ich aber auch diese große Geduld mit dir und habe Selbst Hand an dich gelegt! Nun bist du seligst, da du nun fortan da sein wirst, wo Ich Selbst bin. Aber in der Müßigkeit suche du ja nicht den Grund der Seligkeit, sondern in der größten Tätigkeit, die sich hier in größter Fülle ewig vorfinden wird!
21. Nun aber gehen wir zu den dreißig im andern Gemache, die du gebracht hast. Gehe du zuerst hinein, und versuche sie zu Mir zu bringen! Ist dir diese erste Arbeit deines seligen Zustands gelungen, dann werden wir auch sie gleich ihrer ewigen Bestimmung zuführen! Also gehen wir dahin, und du allein zu ihnen ins Gemach. Es sei!“
01. Bischof Martin begibt sich sogleich freudigst dahin in Meiner, des Petrus und des weisen Buchhändlers Gesellschaft, welch letzterer mit unendlicher Ehrfurcht hinter uns einhergeht. Zur Türe des Gemaches kommend, verläßt uns Bischof Martin und begibt sich nach Meinem Geheiße sogleich zu den dreißig im obbezeichneten Gemach.
02. Nun aber ist zu bemerken, daß sich unser Bischof Martin nicht mehr in seinem eigenen, sondern in Meinem reinsten Himmelslichte befindet, das er aber freilich aus weisen Gründen noch nicht so ganz in der Fülle seines wahrnehmenden Bewußtseins empfindet. In diesem Lichte aber erscheinen alle Dinge anders als im eigenen Naturlichte, also auch die Seelen, d.h. die abgeschiedenen Menschen.
03. NB. ,Abgeschieden‘ darf hier nicht mit ,Sterben‘ verwechselt werden, was natürlich ein Unsinn wäre. ,Abgeschieden‘ bezeichnet hier den aus sich selbst durch allerlei Sünden (Seelengebrechen) gerichteten Zustand nach der Ablegung des Fleisches.
04. Dieser Ordnung zufolge fand denn auch Bischof Martin, als er ins Gemach trat, statt Menschen meistens Tiergestalten, freilich wohl keine bösartigen, sondern mehr furchtsame und dumme. Nur wenige darunter hatten ein kretinartiges, schrolles und mit allerlei Auswüchsen behaftetes Aussehen. Die meisten andern sahen aus wie gehetzte Hasen, verhungerte Esel und Ochsen, auch ein paar sehr verkümmerte, räudige Schafe waren darunter.
05. Als nun unser Bischof Martin anstatt der vermeintlichen dreißig von ihm hierhergebrachten Protestanten diese für ihn höchst sonderbare Gesellschaft im Gemache traf, die sich vor ihm schnell in die Winkel verkroch, eins übers andere kauernd, da blieb er eine Weile wie versteinert stehen. Endlich sprach er nach einem tiefen Atemholen zu sich: „Ja, was ist denn das schon wieder für ein echter Höllenspuk im ersten Himmelreiche, im Hause des Herrn? Nicht übel! Vielleicht gibt es hier auch Ratten und Mäuse und noch eine Menge kleineres Ungeziefer?!
06. Nicht übel, nicht übel! Das ginge auch so hübsch mit der Schrift zusammen, wo es steht: ,Nichts Unreines kann in das Reich Gottes eingehen!‘ Und dies Paar räudige Schafe, da fünf Stück Kretins, voll der abscheulichsten Auswüchse, auch magere, schmutzige Ochsen, dergleichen Esel und mehrere ganz schäbig aussehende Hasen – wahrlich, eine rare Gesellschaft für den ersten oder obersten Himmel! In solcher Gesellschaft die himmlischen Freuden genießen? Das wird sich machen!
07. Nein, heißt das aber doch einen armen Kerl, wie ich einer zu sein das Vergnügen habe, gehörig als ersten Aprilsboten gebrauchen – vorausgesetzt, daß man hier im Himmel auch etwas von einem Monat April weiß!
08. Ah, das ist denn doch ein wenig zu toll! Was soll ich denn nun mit dieser ganz gutmütigen Menagerie anfangen? Wo sind denn meine dreißig hierher gebrachten Protestanten hin? Sind sie etwa hier in diese Tiere so allerliebst verwandelt worden, – was wirklich sehr spaßig wäre; man muß nur denken, daß hier das Zentrum des obersten, höchsten Himmels ist!
09. Der Herr ist einmal der Herr; davon bin ich nun aus dem innersten Grunde meines Herzens überzeugt. Das sagt mir ja meine Liebe zu Ihm. Aufrichtig gesagt, ich möchte Ihn – wie man auf der Welt sagt – geradezu fressen vor Liebe! Aber was Er nun wieder mit diesem mir neu angebundenen Schabernack will, das wird auch Er sicher am besten wissen! Will Er etwa die Tiere gar in die Mast tun? Fürwahr, da wird sich wenig Speck ziehen lassen!
10. Was plausche ich aber auch wie etwa ein Esel Nr. 31 dieser Gesellschaft?! Halb rechts kehr' dich um, und gehe dahin zurück, von wannen du gekommen bist! Lebt wohl, ihr Guten all, es wird mich sehr freuen, euch bald wiederzusehen!“
11. Nach dieser lakonischen Anrede öffnet Bischof Martin wieder die Tür und kommt zu uns mit ganz lakonisch-verblüfftem Gesichte. Ich aber frage ihn sogleich, wo denn die dreißig seien.
12. Und Bischof Martin erwidert: „O Herr, das weißt Du sicher besser als ich! Die da drinnen werden es sicher nicht sein. Und wären sie es, so wäre das im Ernste eine Metamorphose, die in diesen ersten und höchsten Himmel ebensowenig taugte als die Faust aufs Auge.
13. Ohne die Viehsprache zu kennen, falls das Vieh auch irgendeine geheime Sprache hat, wird sich meines Erachtens mit der Einwohnerschaft dieses Gemaches nicht viel machen lassen. Du verstehst freilich auch die Steine und kannst mit den Elementen reden und durch Deine Allmacht ihnen gebieten; aber woher soll unsereiner so was nehmen?
14. Daher, so Du, o Herr, doch sicher gewußt hast, was dies Gemach enthält, war das doch ohne weiteres eine Ansetzerei meiner Blödheit von Deiner Seite?“
15. Rede Ich: „O Freund, nicht im geringsten, sondern du selbst hast dich angesetzt! Weißt du denn nicht, daß ein jeder neue Diener seines Herrn sich vorher in allem muß genau unterweisen lassen, bevor er irgendein ihm zukommendes Geschäft antritt?
16. Siehe, es ist nicht genug, so Ich zu dir sage: ,Gehe dahin!‘, und du gehst, und so Ich wieder sage: ,Komme her!‘, und du kommst, – sondern da kommt es hauptsächlich aufs Warum und aufs Wie und aufs Wodurch an!
17. Steht es nicht geschrieben: ,Ohne Mich vermöget ihr nichts!‘? Daher hättest du auch sogleich, als Ich dich in dies Gemach beschied, vor Mir bekennen sollen: ,Herr, ohne Dich vermag ich auch nicht das Geringste!‘, so hätte Ich dann schon diese Sache anders gewendet. Du aber gingst sogleich in einer Art von Selbstvertrauen da hinein. Darum mußtest du denn auch bei dir selbst erfahren, wieviel jedermann ohne Mich vermag.
18. Auf der Welt wohl gibt es leider so viel selbständige Tatenverrichter, als es Menschen gibt, und so viel verschiedenartige Sinne und Erkenntnisse als Köpfe. Hier aber ist es anders, da gibt es nur eine Selbständigkeit, nämlich in Mir – und einen Sinn und eine Erkenntnis, nämlich auch in Mir und durch Mich! Wo das nicht ist, da ist nichts als Selbsttrug und Selbsttäuschung.
19. Dies also zu deiner künftigen Belehrung und Richtschnur! – Nun aber gehen wir alle in dies Gemach und wollen da sehen, was sich mit dieser deiner vermeintlichen himmlischen Menagerie alles wird machen lassen, und ob diese Tiere Meine Sprache verstehen werden. Es sei!“
01. Wir treten nun schnell wieder in dasselbe Gemach und finden die Gesellschaft der dreißig noch in den Winkeln zusammenkauernd, und zwar in gleicher tierischer Gestaltung.
02. Petrus ruft sie folgendermaßen an, sagend: „Calvins Bekenner, kehret euch um; denn der Herr harrt euer! Nicht Luther, nicht Calvin, nicht die Bibel, auch nicht Petrus und Paulus oder Johannes, sondern allein Jesus, den Gekreuzigten, bekennet! Denn Er allein ist der Herr Himmels und aller Erde; außer Ihm gibt es keinen Herrn, keinen Gott und kein Leben mehr!
03. Dieser Herr Jesus, der da ist der allein wahre Christ ewig, ist hier und will euch annehmen – so ihr wollet –, auf daß ihr alle selig würdet in Seinem allerheiligsten Namen!“
04. Spricht einer aus der Gesellschaft, der das Aussehen eines Esels hat: „Wer bist du, der du wagst, mit der alten Jesusmäre mir in diesem aufgeklärten Zeitalter zu kommen? Siehst du meine Schätze denn nicht, mit denen ich für die ganze Ewigkeit auszukommen hoffe, und bin mit meinem Zustande vollkommen zufrieden? Was soll ich dabei dann noch mit dem mythischen Jesus tun, der nie war, nicht ist und nie sein wird? Wann wird man denn einmal anfangen, die alten mythischen Weisen auszumerzen und an ihre Stelle die wirklichen weisen Männer der Gegenwart zu setzen?
05. Muß denn Homer immer der größte Dichter sein, Orpheus ein förmlicher Gott der Töne, Apelles der erste Maler, Apollodorus der erste Bildner, der Dschingis-Chan der größte Held und Eroberer, Sokrates, Plato und Aristoteles die größten Philosophen, die Pharaonen Ramses und Sesostris und Möris die größten Baukönige, Ptolomäus der erste Astronom, Moses der größte und weiseste Gesetzgeber, David und Salomo die weisesten Könige und endlich Jesus der größte und weiseste Moralist!
06. Haben wir Deutsche nicht Männer genug, gegen die sich alle diese Alten rein verkriechen müßten? Und dennoch baut man diesen Alten Opferaltäre, während man nicht selten die Weisen der Gegenwart verhungern läßt! Wann, wann wird denn dieser Unsinn einmal ein Ende nehmen?“
07. Redet Petrus: „Ich bin, der ich bin, – manchmal Simon Jona, manchmal wieder nur Petrus! Was deine aufgeklärten Zeiten betrifft, so sind sie wahrlich eben nicht gar zu weit her. Die alte Jesusmäre ist offenbar mehr wert als die Schätze deiner Eselshaut. Die alten Weisen sind darum auch mehr wert als die jungen Laffen, weil sie wußten, was sie taten. Darum wurden sie Lehrer der Völker aller Zeiten, während alle sich hochweise dünkenden Gelehrten dieser Zeit nicht wissen, was sie tun, sich selbst nicht kennen, daher noch weniger jemand andern und schon am allerwenigsten die rein göttliche Natur und Wesenheit des Herrn Jesu Christi. Aus welchem Grunde sie sich dann hier im Angesichte des Herrn aber auch ausnehmen wie ihr, nämlich in der Gestalt der Esel, Ochsen, gehetzter Hasen (die auf der Welt, so sie ob ihrer manchmal zu sonderbaren Weisheit vor Gericht verlangt wurden, aus lauter Mut für ihre gut sein sollende Sache lieber das sogenannte Fersengeld nahmen, als sich vor demselben mutigst zu verteidigen, und erst dann ein Gegengebelle ertönen ließen, so sie ihren Balg in irgendeinem Schlupfwinkel sicher wußten), auch in der Gestalt von räudigen Schafen!
08. Kehrt euch nur um und betrachtet euch, und ihr werdet die Wahrheit meiner Worte an euch erschauen! Warum hattet ihr denn ehedem eine so große Furcht vor Jesus und batet, daß Er nicht zu euch käme, und betrachtet Ihn nun, da Er wirklich zu euch kam, als ein bloß mythisches Wesen?“
09. Der Eselhafte aus der Gesellschaft ist nun stumm und redet nichts. Aber Bischof Martin machte diese Bemerkung: „O Herr, wahrlich, Deine Geduld ist groß und endlos Deine Liebe! Aber so ich diesem wirklichen Esel so einige wohlgenährte Prügel über seinen Balg so recht kräftig ziehen könnte, tät's mir völlig wohl. Nein, ist aber das ein wirklicher Esel! Da ist wirklich gar nichts zu reden. Die Katholiken sind wohl auch dumm; aber so ein dummer Kerl ist mir noch nicht vorgekommen wie dieser calvinische Esel.“
10. Rede Ich: „Mein lieber Freund und Bruder Martin, weißt du nicht, was Ich einst eben zu diesem unserm Bruder Petrus sagte, als er einem Knechte des Hohenpriesters, Malchus nämlich, mit einem Schwerte ein Ohr abhieb? Siehe, dasselbe gilt auch hier! Wo die Liebe, gepaart mit aller Sanftmut und Geduld, nichts vermag, da vermag auch kein Schwert und keine sonstige Macht etwas!“
11. Die Allmacht kann wohl alles richten und töten und vernichten durchs Gericht. Aber helfen, aufrichten, das Leben erhalten, das Verlorene wiedergeben, den gefangensten Geist wieder frei machen, siehe, das kann allein nur die Liebe, gepaart mit aller Sanftmut und Geduld. Wo diese mangelt, da ist nichts als Tod und Verderben.
12. Wir aber wollen, daß da niemand zugrunde gehen soll, sondern daß alle, die an Mich glauben, das ewige Leben haben sollen! Daher ist es an uns, für alle nur jene Mittel zu gebrauchen, durch die es allein möglich ist, jedermann in seiner Art zu helfen.
13. Versuche dich an diesen unbändigen gelehrten Calvinern, und siehe, was du als ein einstiger Bischof mit ihnen ausrichten wirst!“
14. Spricht Bischof Martin: „O Du liebster Herr, Du mein allerliebster Gott und Vater Jesus, es wäre schon alles recht. Aber so der würdigste Petrus mit ihnen, wie es scheint, ohne Wunder nicht viel richten mag, da weiß ich wirklich nicht, wie weit dann ich mit ihnen kommen werde.
15. Ich meine nun aber, da Du, o Herr, da bist in Deiner vollsten göttlichen Wesenheit persönlich, dem alle Mittel ewig zu Gebote stehen, so wäre es wohl höchst unverzeihlich von mir, wenn ich als ein reinstes Nichts vor Dir da wirken wollte, wo Du alles in allem bist und ein leisester Gedanke aus Dir schon mehr vermag, als so ich eine Ewigkeit so weise als möglich fortreden möchte. Daher bitte ich Dich, nimm diesen Antrag, den Du mir machtest, wieder gnädigst zurück.“
16. Rede Ich: „Nicht so, Mein lieber Bruder Martin! Siehe, auch du gehörst nun zu Meinen Mitteln! Würde Ich nun gleich persönlich in diese halb tote Gesellschaft einwirken, da würden sie gerichtet. Sie wissen nun schon, daß Ich hier bin, und einige von ihnen haben auch einen halben Glauben, daß Ich doch der wahre Herr sein könnte.
17. Daher übertrage Ich dir dieses Geschäft, zu dem dir der Bruder Petrus nun schon den Weg gebahnt hat. Er selbst ist nun auch noch zu stark für diese Schwachen. Daher muß ihnen nun zuerst einer unter die Arme greifen, der nicht zu stark ist, auf daß er diese Ohnmächtigen nicht erdrücke. Denn Mücken können und müssen zuerst wieder nur von Mücken gesäugt werden, auf daß sie nicht verderben. Und Kindlein können vorerst nicht der Männer Kost verdauen, sondern nur eine leichte und zarte Milch. Daher gehe nur hin und erfülle Meinen Auftrag an diesen dreißig Ohnmächtigen. Es sei!“
18. Ich, Petrus, und der nun überaus demütige Buchhändler gehen nun wieder aus dem Gemach und lassen unsern Martin allein bei den dreißig.
19. Bischof Martin aber betrachtet diese Herde eine Zeitlang und richtet sich dann mit folgenden Worten nach seinem eigenen und dieser Herde Zustande eben an diese, sagend: „Ihr armen, ohnmächtigen Brüder, die ihr da im reinsten Lichte des allmächtigen, ewigen Gottes als förmliche dumme Tiere erscheinet, höret mich geduldig an und vernehmet den Sinn meiner Rede!
20. Ich war auf der Welt ein römischer Bischof und war ein wütender Gegner alles Protestantentums, obschon ich auf Rom bei mir noch weniger hielt als auf Mohammeds Lehre. Und wie ich war auf der Welt, so kam ich auch hierher als ein gegen alles Gute und Heilig-Wahre widerspenstiges Vieh. An mir war aber auch nicht ein gutes Haar und mein Herz war ein wahrster Augias-Stall. Ich sage euch, von irgend etwas, das man nur mit dem kleinsten Scheingrunde als irgendein christliches Verdienst hätte bezeichnen können, war bei mir gar keine Rede!
21. Das einzige, das aber an und für sich gar nichts ist, war zu Zeiten bei mir, daß ich mir in einer Art luftigen Phantasie Jesus den Herrn so vorstellte, wie Er beschrieben war, und dabei dachte: ,Ja, wenn ich Ihn so haben könnte und mit Ihm gemeinschaftlich wirken unter dem überzeugenden Bewußtsein, daß Er möglicherweise wirklich das allerhöchste Gottwesen wäre, da wäre ich freilich das glücklichste Wesen in der ganzen Unendlichkeit. Denn fürs erste wäre das doch die höchste Ehre aller Ehren, fürs zweite die sicherste Versorgung und Lebensversicherung für die ganze Ewigkeit, fürs dritte der höchste und mächtigste Schutz, und endlich könnte ich in solcher Gesellschaft doch Wunderdinge zu Gesicht bekommen, die bisher noch kein menschlicher Gedanke gedacht hat.‘
22. Sehet, dieser Gedanke, meine Phantasie, ja diese meine in der Welt allerluftigst aussehenden Luftschlösser waren hier meine einzigen Retter vom ewigen Verderben. Sie waren eine verborgene Liebe zu Gott in mir, die ich selbst nicht kannte. Und seht, liebe Brüder, wie schwer es mir auch ging, so bin ich aber durch diese Liebe so weit gekommen, daß eben diese irdischen Phantasien sich in mir – für euch freilich noch schwer glaublich – zur evidentesten Wirklichkeit gestaltet haben. Ich bin nun wirklich bei Jesus, dem alleinigen Herrn der Geister- und Körperwelt, und bin auf diese Art und Weise seligst für die ganze Ewigkeit versorgt.
23. Brüder, Freunde, so ihr nicht eure eigenen größten Feinde sein wollt, folget meinem Beispiel, und ich will euch alles sein, so ihr es ewig je bereuen solltet! Glaubt mir, der Herr ist hier in diesem herrlichen Hause und ist endlos gut, besser als die besten Engel und Menschen aller Welten und aller Himmel zusammengenommen! Daher kehret um und fasset Vertrauen, und es wird um euch augenblicklich anders aussehen als jetzt! Ziehet meine Erfahrungslehre eurer falschen Mutmaßung vor und werdet lebendige Werkzeuge des Herrn!“
24. Auf diese wirklich salbungsvolle Rede unseres Martin kehrten sich nun alle dreißig zu ihm und erwiderten ihm fast einstimmig: „Freund, diese Rede gefällt uns besser als deine früheren Worte, die du an uns gerichtet hast; obschon wir gerade nicht umhin können, dir nebstbei anzuzeigen, daß uns deine Tieransichten an unserer Persönlichkeit eben nicht am besten gefallen. Man kann wohl einen dummen Kerl einen Esel und Ochsen schelten; aber ihm gewissermaßen begreiflich machen wollen, daß er zugleich ein wirklich gestaltlicher Ochse und Esel ist – sieh, Bruder, das ist denn doch etwas zu stark!
25. Aber sei dem nun, wie es wolle! Du hast durch deine Rede bewiesen, daß du ein gescheiter und guter Kerl bist, und wirst auch mit deinem Jesus so ziemlich rechthaben. Nur das einzige ist etwas sonderbar, daß man hier keine Engel sieht. Auch mit der himmlischen Schönheit dieser Gegend scheint es uns einen bedeutenden Faden zu haben, sowie mit den himmlischen Kleidern. Denn du bist noch immer ein irdischer Bauer, ohne Rock auch noch dazu. Ebenso hat auch dein Herr Jesus einen nichts weniger als himmlischen Rock an, und der Petrus ist eher schundig als himmlisch zu nennen. Nur der mir wohlbekannte Buchhändler aus N. hat einen etwas bessern Rock, der aber für den Himmel sicher auch nicht den rechten Schnitt hat.
26. Siehe Freund, da hat es einen sehr bedeutenden Faden. Kannst du diese Scharten auswetzen, da wollen wir dir alles aufs Wort glauben, was du uns immer sagen magst und wollen dir auf den leisesten Wink folgen.“
27. Hier stutzt Martin ein wenig, denn an diese Dinge hat er selbst noch nicht gedacht im Laufe seines geistigen Fortschritts. Aber er ermannt sich bald sichtlich und spricht weiter zu dieser nun schon halb bekehrten Herde: „Freunde, glaubt mir, da kommt es hauptsächlich darauf an, wie es jemand haben will! Ich wollte es bis jetzt also und darum ist es auch so; werde ich es aber anders wollen, wird es auch gleich anders aussehen!
28. Engel habe ich freilich wohl noch nicht gesehen. Aber was liegt da an allen Engeln und an aller himmlischen Pracht, wenn man nur den Herrn aller Engel und himmlischen Herrlichkeiten hat! Der kann alles, was hier noch abgeht, in einem Augenblicke – wie man zu sagen pflegt – herzaubern. Überhaupt habe ich wirklich noch kein Bedürfnis nach all dem in mir verspürt, nicht einmal nach einem bessern Rock; denn mir ist nun der Herr alles in allem, ja alles über alles!
29. Werdet ihr auf meiner Stufe stehen, so werdet auch ihr so denken und fühlen wie ich. Die Ewigkeit ist noch so lang, und da wird an der Seite des Herrn, des ewigen Meisters der Unendlichkeit, sich noch so manches erschauen und erfahren lassen. Dessen bin ich schon im voraus voll überzeugt.
30. Ich aber sage hier auch, wie ich's in mir lebendig fühle: Herr, so ich nur Dich habe, da frage ich nicht nach allen andern Herrlichkeiten ohne Maß und Namen. Denn das Herrlichste aller Herrlichkeit ist und bleibt ewig allein nur der Herr, ja unser Herr Jesus! Ihm allein sei alle Ehre, alles Lob und alle meine Liebe ewig! Amen.“
31. Auf diese Rede erhebt sich die ganze Herde wie aus einer Staubwolke in schon voller Menschengestalt und spricht ebenfalls laut: „Amen! Bruder, du hast recht, wir glauben dir nun allesamt. Du hast nun wirklich mehr als weise geredet und dadurch in unsern Herzen ein Licht angezündet, das sicher nimmer erlöschen wird! Dank sei darum dem Herrn Jesus, deinem und nun auch für ewig unserem Gott!“
32. In diesem Augenblicke trete Ich mit Meinen beiden Begleitern wieder ins Gemach und alle stürzen Mir zu Füßen und schreien: „O Herr Jesus, Du heiligster Vater, Du dreieiniger Gott, sei uns armen Sündern gnädig und barmherzig! Dir allein sei alle Ehre ewig!“
33. Ich aber sage: „Stehet auf, Meine Kindlein! Sehet, nicht mit dem Gericht, sondern mit der größten Liebe kommt euch euer Vater entgegen. Und da ihr Ihn aufgenommen habt in eure Herzen, so nimmt Er euch tausendfach auf in Sein ewiges Vaterherz. Kommet daher nun alle zu Mir, die ihr schwer beladen und mühselig waret, Ich will euch für ewig vollauf erquicken!“
34. Hier erheben sich alle und fallen Mir, wo nur einer kann, an die Brust. Sie weinen zum ersten Male Tränen endlosester Freude und folgen Mir, nachdem sie sich an Meiner Brust ausgeweint haben, freudigst in den großen Speisesaal, wohin auch die frühere Gesellschaft durch Petrus beschieden ward.
01. Wir kommen nun in einen am meisten gegen Morgen gelegenen Saal, der überaus groß und mit wahrer himmlischer Pracht ausgeschmückt ist.
02. In der Mitte dieses Saales steht ein großer runder Tisch aus reinstem durchsichtigem Golde, der auf zwölf verschiedenartigen Edelstein-Füßen ruht. Um den Tisch sind ebensoviele Stühle aus reinstem Gold gestellt, als es nun Gäste in diesem Saale gibt. Der Boden des Saales ist so blendend weiß wie frischgefallener Schnee; und des Saales Decke, auf welcher die schönsten Sterne glänzen, ist hellblau. Der Fenster Zahl dieses Saales ist 24, und jedes Fenster ist 12 Fuß hoch und 7 Fuß breit. Durch sie dringt ein herrliches Licht in den Saal, und durch jedes Fenster zeigen sich Gegenden von nie geahnter Pracht und Anmut. Auf dem Tische liegen sieben Brote nebst einem großen Prachtbecher voll des köstlichsten Weines.
03. Alle hier Eintretenden sind nun ganz weg ob der zu großen Herrlichkeit, die ihnen hier auf einmal so unerwartet entgegenkommt. Die Gesellschaft, die den Buchhändler zu ihrem Vormann hat, ist samt ihm vor lauter Hochachtung bis zum Boden gebeugt. Die dreißig, die kurz vorher nach der ihnen abgängigen Himmelspracht fragten, reißen nun Mund und Augen auf und finden keine Worte, mit denen sie diese Pracht genügend bezeichnen könnten.
04. Nur unser Martin bleibt sich gleich und spricht, auf Mich hindeutend: „Liebe Brüder, was staunet ihr gar so gewaltig über dieses Saales enorme Pracht? Seht, mir ist sie ganz gleichgültig; denn wenn unser Herr und Vater nicht mit uns in diesem Saale wäre, so gäbe ich für den ganzen Saal nicht eine faule Orange. Nur Er ist mir alles; alles andere aber ist mir nun ohne Ihn nichts!
05. So Er mit mir sich in der gemeinsten Strohhütte befände, wäre ich dort endlos seliger als allein in diesem herrlichsten Saale. Daher besticht mich dieses Saales Pracht auch gar nicht, sondern allein Er, Er, unser aller Vater, Herr und Gott! Ihm allein gebührt alle unsre höchste Achtung, Liebe, Bewunderung, Verehrung und Anbetung! Denn alle diese übergroße Herrlichkeit ist ja Sein Werk, ein Hauch Seines Mundes! Tue zwar jeder von euch, was er will – ich denke und tue einmal so!“
06. Rede Ich: „Martin, du machst deine Sache gut und bist nun ein wahrer Paulus. Aber siehe zu, daß du selbst nicht noch einmal irgendwo schwach wirst und sagst: ,Aber wenn der Herr nur nicht gar so in einem fort bei mir wäre!‘ Ich werde dich aber darum dennoch nicht verlassen! – Nun aber setzet euch alle zu Tisch und esset und trinket! Dann harren schon gar mächtige Arbeiten unserer Hände. Es sei!“
07. Sie tun nun alle nach Meinem Geheiß, und Ich breche das Brot und teile es unter sie. Und alle essen mit großer Liebe und dankbarster Regung ihrer Herzen dies wahre Brot des ewigen Lebens und trinken darauf alle den Lebenswein der Erkenntnis aus einem und demselben Becher und sind dabei munter und wohlauf. Denn nach dem Genusse des Weines bemächtigt sich aller ein so erhaben himmlisch-tiefweiser Sinn, daß alle darob vor Freude sich kaum zu helfen wissen und aus lauter Liebe kaum Worte finden, Mir zu sagen, wie über alle Maßen sie sich nun glücklich fühlen.
08. Ich aber segne sie nun alle und erwähle sie zu Dienern und wahren Knechten Meines ewigen Reiches.
09. Nachdem dies beendet ist, erhebt sich unser Bischof Martin und spricht: „Herr, ich habe etwas bemerkt, nämlich, als sollte auch ich mich von Dir trennen, um irgendeinem wichtigen Geschäfte zu obliegen. Tue Du, was Du willst, aber ich lasse nimmer ab von Dir! Herr, wo Du nicht mit mir bist, da ist rein nichts mit mir! Ich gehe ein für allemal nicht mehr von Dir; denn ich habe Dich nun zu überaus mächtig lieb! Also, ich bleibe einmal bei Dir!“
10. Rede Ich: „Nicht so, Mein liebster Bruder Martin! Ich sage dir: nicht einen Augenblick lang sollst du von Mir entfernt sein, sowie auch kein anderer aus dieser Gesellschaft und keiner von all den Zahllosen, die Mich in ihren Herzen erkannt und aufgenommen haben! Andererseits ist es dennoch nötig, daß sich jeder scheinbar wie ohne Mich dahin verfügt, wohin Ich ihn bescheide, ansonsten seine Freude unvollkommen wäre und zwecklos sein Leben!
11. Daher muß hier jeder sich der größten Tätigkeit befleißen und soviel als möglich Gutes wirken. Je tätiger da einer wird, desto größere Seligkeit wird ihm zuteil. Denn die Seligkeit besteht lediglich nur im Handeln nach Meiner festgestellten ewigen Himmelsordnung.
12. Siehe da zum Fenster hinaus! Dort gegen Morgen in einem schönen großen Garten – nicht ferne von diesem Meinem Hause von Ewigkeit – ersiehst du ein gar niedliches Häuschen, das innerlich viel geräumiger ist, als es von außen her aussieht. Dorthin gehe und nimm es in deinen Vollbesitz!
13. In einem Zimmer wirst du eine glänzend-weiße, runde Tafel finden. Diese Tafel besiehe du allzeit, so du von einem Geschäfte nach Hause kommen wirst. Denn von nun an wirst du dort stets Meinen Willen aufgezeichnet finden, nach dem du dich dann allzeit in deinem Handeln wirst zu richten haben. Wirst du das allzeit pünktlich erfüllen, was dir Meine Willenstafel in deinem Hause anzeigen wird, so wirst du bald über Größeres gesetzt werden; im Gegenteile aber nur über ein Kleineres, je nach deiner Willenskraft.
14. Solltest du dich aber in irgend etwas nicht völlig auskennen, da komm hierher, und es soll dir in allem Bescheid gegeben werden. Wenn du Mich aber rufen wirst in deinem Hause, so werde Ich bei dir sein. Nun weißt du vorderhand alles, was dir zu wissen nottut. Gehe daher nun in dein Häuschen, dort wirst du das Nähere erfahren, danach du dich aber genau zu halten hast.
15. Was Ich aber nun dir eröffnet habe, das eröffne Ich zugleich jedermann aus dieser Gesellschaft. Sehet alle hinaus, und das Haus, das ihr ersehet, ist dessen, der es ersieht! Dahin gehet und wirket, wie Ich soeben dem Bruder Martin, angezeigt habe, denn es wird ein jeder von euch in seinem Hause die gleiche Einrichtung antreffen. Es sei!“
16. Bischof Martin kratzt sich zwar ein wenig hinter den Ohren, geht aber doch, wie Ich ihn beschieden, denn er meint, daß er Mich dort nicht haben und nicht sehen werde. Die andern der Gesellschaft, denen Meine Nähe noch zu überheilig vorkommt, gehen leichter, um sich gewisserart von dieser zu großen Aufregung ihres Gemütes zu erholen.
01. Als nun Bischof Martin bald sein Häuschen erreicht und in dasselbe tritt, ist er über alle Maßen überrascht, als Ich Selbst ihn schon an der Schwelle erwarte und ihn nun in sein Haus einführe: ein Dienst, den bei den andern die Engel versehen, weil die andern der Gesellschaft vor Mir noch bei weitem mehr Ehrfurcht haben als Liebe zu Mir. Aber bei Bischof Martin ist es gerade der umgekehrte Fall, daher es ihm eigentlich gar nicht recht war, daß er sich von Mir gewisserart hätte trennen sollen.
02. Als er Mich aber nun auch in seinem Häuschen ersieht und Ich ihn da schon an der Schwelle erwarte, schlägt er die Hände vor lauter Freude über dem Kopf zusammen und spricht:
03. (Bischof Martin:) „Ja, so, – so gefällt's mir da freilich noch viel besser als dort in Deinem Hause, besonders in dem letzten Prachtsaale! Mein allergeliebtester Herr Jesus, wenn nur Du bei mir bist, dann ist mir die gemeinste Hütte schon der herrlichste Himmel für ewig!
04. Aber wie bist denn Du so schnell, mir ganz unersichtlich, dahergekommen? Das ist wirklich schon wieder ein Non-plus-ultra-Wunder! Ja, ja, Du mein geliebtester Herr Jesus, bei Dir ist doch alles Wunder über Wunder, und ich bin dabei noch so hübsch ein Stockfisch, der noch nichts einsieht und begreift! Nein, aber sonderbar ist es doch, daß Du eher da warst als ich, und ich habe Dich doch ganz richtig in Deinem großen Prachtsaale verlassen!“
05. Rede Ich: „Mache dir darob keine Skrupel, Mein geliebter Bruder Martin. Siehe, so Ich nicht allenthalben der Erste und der Letzte und nicht überall alles in allem wäre, sähe es traurig aus mit der ganzen Unendlichkeit. So aber magst du dich nun hinwenden und hingehen, wohin du nur immer willst, so wirst du Mich schon dort antreffen, wohin du dich wenden und begeben wirst.
06. Gehe aber nun in dies Häuschen mit Mir, auf daß Ich Selbst dir alle Einrichtung werde zeigen und diese auch richtig gebrauchen lehren. Komme, komme, komme darum nun mit Mir in dieses nun dein Häuschen. Es ist zwar klein, enthält aber dennoch mehr als alle Welt, ja mehr als ein ganzes Sonnengebiet in der naturmäßigen Weltensphäre, wovon du dich alsbald klarst überzeugen wirst. Daher komme, gehe und wandle mit Mir in dieses dein Haus! Es sei!“
07. Bischof Martin folgt Mir sogleich und erstaunt über die Maßen, als er anstatt in ein vermeintliches kleines Kabinettchen in eine ungeheuer große Halle eintritt. Je länger er sie stets aufmerksamer betrachtet, desto mehr erweitert sie sich und bietet alles zur Beschaulichkeit dar, was unser Bischof Martin sich nur immer vorzustellen vermag.
08. In der Mitte dieser großen Halle steht auf einem goldenen Postament eine große, weißglänzende runde Scheibe. Hinter ihr auf einem ehernen Gestell ein vollkommenster, himmlisch-künstlicher Erdglobus, der vom Größten bis zum Kleinsten alles enthält, was die wirkliche Erde vom Zentrum bis zur Oberfläche und darauf enthält, natürlich auch alles, was da geschieht.
09. Hinter diesem Globus ist das ganze Planetensystem dieser Erdsonne auf eine gleiche himmlisch-künstliche Weise aufgestellt und zeigt genau auch auf dieselbe Art jede Kleinigkeit und jede Eigentümlichkeit jedes einzelnen Planeten wie auch der Sonne.
10. Der Boden dieser Halle ist wie aus reinstem Saphir, die hohen Wände wie aus Smaragd, die Decke wie aus Azur mit vielen Sternen. Durch die großen Fenster fällt ein herrliches, violettrotes Licht in diese große Halle, die in der halben Höhe noch mit einer herrlichen Galerie wie aus feinstem Jaspis geziert ist, wobei aus der Halle noch zwölf Türen in nebenanstoßende Gemächer führen. Die smaragdenen Wände aber produzieren noch obendarauf in den schönst kolorierten Schattenrissen, was sich Bischof Martin nur immer denkt.
11. Nach längerem übermäßigem Staunen öffnet endlich Bischof Martin wieder seinen Mund und spricht: „O Herr, Herr, Herr! Ja, was ist denn das schon wieder für ein neues Gaukelspiel? Ah, das ist aber doch, was man sagen kann, über alles! Nein, nein, nein! Ah, ahahah! Von außen klein wie beinahe ein Fliegenhäuschen – und von innen wie eine ganze Welt! Ja, wie geht denn das wieder zusammen? Nein, das ist mir bisher noch das Unbegreiflichste, wie eine Sache von innen größer sein kann als von außen! Das begreife, wer es will und mag; für mich aber ist diese Sache ein für allemal rein zu rund!“
12. Rede Ich: „Mein geliebter Bruder Martin, Ich sage dir, du wirst dich in all dem bald zurecht finden! Siehe, in der eigentlichen wahren Welt der Geister ist alles völlig umgekehrt von dem, wie es in der Welt ist. Was in der Welt groß ist, das ist hier klein; was aber in der Welt klein ist, das ist hier groß. Wer auf der Welt der Erste ist, der ist hier der Letzte; wer aber auf der Welt der Letzte ist, der ist hier der Erste!
13. Wie groß aber ist ein Mensch auf der Welt? Er mißt sechs Spannen Höhe und 2 Spannen Breite. So er aber ist ein Weiser, sage, welche endlosen Größen und Tiefen liegen in seinem Herzen! Ich sage dir, alle Ewigkeiten werden nicht hinreichen, die Fülle seiner Wunder zu enthüllen und zu erfassen!
14. Du hast wohl öfter auf der Welt ein Weizenkorn betrachtet. Das ist doch sicher klein seinem äußern Umfange nach, und dennoch enthält es soviel seinesgleichen in sich, daß es die ganze Ewigkeit nimmer ermessen könnte. Ebenso liegt auch hier der gleiche Grund vor dir aufgedeckt:
15. Das Äußere dieses Hauses ist gleich deinem nun völlig demütigen äußern Wesen: es ist – wie du – klein. Das Innere dieses Hauses aber kommt nun deiner inneren Weisheit gleich, die Größeres umfaßt als das äußere Maß deiner Wesenheit. Darum ist es auch als größer ersichtlich als das Äußere dieses Hauses, das da gleich ist deinem Außenwesen. Das Innere aber wird noch stets größer, je mehr du in der wahren Weisheit aus Meiner Liebe wachsen wirst. Denn hier lebt ein jeder seiner Weisheit aus seiner Liebe zu Mir, welche aber die eigentliche Schöpferin alles dessen ist, was dir hier so wunderbar vorkommt.
16. Siehe aber dort jene weißglänzende aufrechtstehende Tafel; sie stellt dein durch Mich gereinigtes Gewissen dar. Auf dieser Tafel wirst du allzeit nunmehr Meinen alleinigen Willen entdecken, darnach du dich dann allemal sogleich richten wirst!
17. Es hat zwar wohl schon auf der Welt ein jeder Mensch eine gleiche Gewissenstafel in seines Herzens Kämmerlein aufgerichtet, auf der allzeitlich Mein Wille aufgezeichnet wird zur getreuen Darnachrichtung für jedermann. Aber nur wenige merken darauf, und gar viele streichen am Ende diese Tafel mit allen Sünden ganz schwarz an, auf daß sie ja nimmer erschauen mögen Meinen Willen.
18. Siehst du nun, wie ganz naturgetreu hier die Errichtung dieses nun deines Hauses ist? Also nicht so sehr ein Gaukelwunderspiel, wie du ehedem meintest.
19. Hinter der Tafel ist ein getreuestes Abbild der Erde, wie sie ist in allem ihrem Wesen, und hinter diesem Abbilde die Sonne mit den andern Planeten. Wirst du dich in irgend etwas dabei nicht auskennen, da siehe nur auf die hintere Fläche dieser Tafel, die der Welt zugewendet ist; dort wirst du allemal die Erklärung finden. Willst du aber dann auch wissen, was du dabei tun sollest, da beschaue die vordere Fläche dieser Tafel; da wirst du allzeit Meinen Willen erschauen.
20. Noch ersiehst du zwölf Türen, die aus dieser großen Halle in kleinere Seitengemächer führen. In diesen Gemächern aber wirst du allerlei noch etwas verdeckte Speisen treffen. Diese genieße aber erst dann, so Ich sie dir alle werde zuvor vollends gesegnet haben, ansonst sie dich blöde machen würden und du dann nach längerer Dauer nicht fähig wärest, die Schrift Meines Willens auf dieser Tafel zu lesen. Daher, so du zu einer solchen verdeckten Speisekammer kommen wirst, verlasse sie alsbald und komme zu Mir, und Ich werde dann hingehen und dir die Speisen enthüllen und vollends segnen.
21. Nun weißt du, wie diese Dinge hier stehen; tue darnach, so wirst du stets mehr und mehr in der Seligkeit wachsen! Es sei!“
01. Ich verlasse nun erscheinlich den Bischof Martin und er fängt, sich allein befindend, folgendermaßen mit sich zu debattieren an: „So, so, nun bin ich endlich wieder einmal allein! Zwar hier überaus wahrhaft himmlisch, erhaben glänzend, gesättigt, gesegnet und somit sicher auch nun schon selig, überselig. Aber allein, und das mutterseelen allein bin ich nun doch! Bloß meine Ideen gaukeln an diesen Wänden, ähnlich den Bildern, die auf der Welt auf dem Wege der Hohlspiegel erzeugt werden, auf und ab und hin und her. Sonst aber gibt es auch nicht einmal eine Mücke, die mir etwas vorsumsen möchte.
02. Will einmal doch zu dem großherrlichen Erdglobus gehen und mich ein wenig mit ihm beschäftigen. Wahrlich, ein endlos kostbares Kunstwerk! Da, sieh, gerade da ist ja der Ort, wo ich als Bischof fungiert habe; da die Kirche, da meine Residenz! Und siehe, da ist auch der Friedhof, da mein Grab, und was für ein köstlich Monument! Aber sind das doch übergroße Narren, die Menschen, welche dem Kote Monumente setzen und den Geist vergessen! Wenn ich so könnte dieses Monument mit einem wohlgenährten Blitze zerstören, es wäre mir ordentlich leichter ums Herz. Aber, der Herr allein tue was des Rechtens ist!
03. Daher etwas umgedreht, mein lieber Globus! Werde einmal sehen, wie's etwa in Australien aussieht! Aha, da ist es schon, das Land der Wildheit! O Tausend, Tausend, da sieht es sehr schief, sehr arg aus: nichts als die derbste Finsternis, die schnödeste Sklaverei, Verfolgung, Mordung der Menschen leiblich und geistig! Behüte dich der Herr, mein lieber Globus, auf die Art werden wir sehr wenig miteinander zu tun bekommen! Da müßt' ich ein großer Esel sein, so ich mich über deinen Anblick bis zum Verzweifeln ärgern sollte, hier im Reiche des ewigen Friedens! Nein, jetzt möchte ich aber gerade vor Ärger zerbersten, wie da diese mächtigeren Erdenmenschen ihre schwachen Brüder gerade zur Unterhaltung auf alle mögliche Art martern und grausam töten! Weg, weg daher mit dir, du elende Repräsentiermaschine irdischer Greuel, wir zwei werden uns sehr selten sehen!
04. Siehe, da ist ja auch das gesamte Planetensystem mit der Sonne! Werde einmal gleich den nächsten besten in Augenschein nehmen. Da ist ja gleich die Venus!
05. Wie schaust du also aus, du meine liebe Venus, die du mich auf der finstern Erde gar oft mit deinem herrlichen Lichte als Abend- oder Morgenstern ergötzt und erfreut hast? Laß dich nun endlich einmal in der Nähe betrachten! – Aha, hmm, hab' mir die Sache auch ganz anders vorgestellt! Ist auch eine Erde, fast wie die, die ich bewohnte, – nur gibt es keine so großen und zusammenhängenden Meere, dafür aber recht viele und für diesen Planeten sehr hohe Berge!
06. Wie sieht es aber etwa mit der Vegetation aus und wie mit einer allfälligen Bevölkerung von aller Art lebenden Wesen? Ich bitte um ein bißchen mehr Vergrößerung des Planeten selbst oder um ein geistiges Mikroskop, sonst werde ich bei dieser Miniaturdarstellung dieses Planeten nicht viel mehr entdecken, als ich bisher entdeckt habe! Ist ja der ganze Planet nicht größer als ein mäßiges Hühnerei auf der Welt, – was sollte sich da wohl ausnehmen lassen? Wahrlich, bei diesem Maßstab müßten die Infusionstierchen hübsch klein ausfallen!
07. Muß aber doch auch einmal auf die weiße Tafel sehen, vielleicht steht schon etwas oben? Schau, auf dieser Seite sehe ich nichts! Das ist gut, denn ich muß offen gestehen, daß ich vor dieser Tafel einen sonderlichen Respekt habe! Muß sie aber doch auch von vorne besehen, vielleicht steht dort etwas? Ah, das ist vorderhand noch besser; denn da steht auch noch nichts darauf! Daher nun nur wieder zu meinem Planetensystem!
08. Da ist ja schon die Venus wieder, aber noch um kein Haar größer. Also habe ich auch bei dir, du mein schönster Stern, nichts mehr zu tun, so du dich nicht vergrößern willst! Schiebe dich daher nur weiter!
09. Aha, da kommt der kleine Merkur, ein ganz possierliches Weltchen von der Größe einer Nuß! Scheint auch kein Meer zu haben, dafür aber desto mehr Berge – vorausgesetzt, daß man diese einen halben Stecknadelkopf großen Unebenheiten auch mit dem Ehrentitel ,Berge‘ bezeichnen kann! Mein lieber Merkur, auch wir sind miteinander schon fertig; nur fort mit dir!
10. Was ist denn das für ein kupfriger Kerl von einem Planeten? Das wird doch etwa nicht zum zweiten Male die Erde sein? Nein, nein, die ist es nicht! Oh, wir haben dich schon, du feuriger Held; du bist ja der Mars! Na, hab' mir auf der Erde von dir auch eine ganz andere Vorstellung gemacht! Ich habe mir immer gedacht, daß du ein sehr unruhiger und stürmischer Patron sein wirst. Aber wie ich's nun aus deiner sehr flachen, mit wenigen Bergen besetzten Oberfläche erschaue, so scheinst du gerade das Gegenteil von dem zu sein, was ich von dir gedacht habe. Näheres kann ich auch auf dir nicht entdecken, daher schiebe auch du dich weiter!
11. Da sehe ich bei sieben kleine Kügelchen von – sicher auch Planeten? Nur weiter mit euch, ihr habt schon gar nichts für mich!
12. Da dreht sich schon der Planeten Großmogul Jupiter vor mein Gesicht her! Wahrlich, ein schöner Brocken! Vier Trabanten auch noch um ihn, das gibt aus! – Wie sieht es denn auf dir aus? Sapprament, da gibt es ja ganz entsetzlich viel Wasser! Bloß am Äquator herum bedeutende Inseln, sonst aber pur Wasser! Berge gibt es auch hier und da; aber hoch sind sie gerade nicht! Wie sieht es denn aber mit der Vegetation aus, wie mit lebenden Wesen? Dieser Planet ist zwar sichtlich um einige tausend Male größer als die vorigen, aber von einer Vegetation kann ich auch da nichts ausnehmen. Ich merke es wohl, daß die Flächen so gewisserart etwas rauhlich aussehen; aber was das ist, – dazu gehören ganz andere Augen.
13. Dort sehe ich auch den Saturn, den Uran und noch einen sehr großen Planeten ganz im Hintergrunde mit – ja, ja, richtig, mit 10 Monden, darunter drei bedeutend groß, und neben ihnen einige kleinere! Das werden etwa doch nicht Monde von Monden sein? – Kometen sehe ich im Hintergrunde nun auch eine schwere Menge!
14. Es ist wirklich schön, ja erhaben schön ist es. Aber wenn man auf diesen guten Planeten nichts anderes entdecken kann als nur höchstens Meere und größere Gebirge, da gewähren sie sage für die ganze Ewigkeit verzweifelt wenig Vergnügen. Ich bin nun schon fertig; in diesem Maßstabe werden wir für die Zukunft sehr wenig miteinander zu tun bekommen!
15. Dort in der Mitte ist wohl noch die Sonne! Freilich ein ganz unbändig großer Klumpen. Aber was nützt das, so ihr Maßstab zu ihrem wirklichen Größenverhältnisse sich gerade so verhält wie ein Sandkörnchen zur ganzen Erde, wo sich dann auch nichts ausnehmen läßt? Also ist auch mit dir, du liebe Sonne, nichts für mich; daher lebe auch du recht wohl und gesund!
16. Jetzt wäre ich aber auch schon fertig mit der Betrachtung der außerordentlichen himmlischen Kunstraritäten, die hier diesen nun meinigen Saal zieren. Was nun? Auf der Tafel steht nichts; von den Planeten ist auch nichts Weiteres abzulesen und zu besichtigen. Den saubern Erdglobus möchte ich lieber draußen als drinnen haben. Also Frage: Was nun? Zum Herrn hinübergehen? Würde sich nun geschwinde auch nicht schicken!
17. Hm, hm, hm – ist doch recht fatal, wenn man sich als seligster Geist im Himmel knapp neben dem Herrn aller Herrlichkeit ein bißchen langweilen muß! Hat sicher auch sein Gutes; aber Langeweile bleibt Langeweile, ob im Himmel oder auf der Erde.
18. Auf der Erde vertröstet man sich am Ende, wenn sozusagen alle Stricke reißen, mit dem lieben Tode, der jedem Liede – ob lustigen oder traurigen Inhaltes – ein Ende macht, wenigstens für die Erde. Aber hier, wo freilich – dem Herrn ewig Dank darum! – dem Leben kein Tod mehr folgt, nimmt alles sogleich einen ewigen Charakter an. Und man kommt da gar so leicht in die Versuchung zu glauben, daß so ein Zustand ewig gleichfort andauern wird. Dieser Umstand macht dann jede stark einförmige Erscheinung wenigstens um tausendmal langweiliger als auf der Erde, wo jedem Ding ein Ende gesetzt ist.
19. Was also soll ich nun tun? Ist auf der Tafel noch nichts zu ersehen? Nein, noch immer nichts! Gar zu nötig wird es dem Herrn sicher nicht sein, sich meiner zu bedienen, sonst müßte ich ja doch schon etwas zu tun bekommen haben!
20. Hm, hmmmm! Es wird einem schön langweilig hier im Himmel! Werde ich mich so ewig in diesem himmlischen Kunstmuseum aufhalten müssen? O sapprament, das wird eine schöne, ganz unvergleichliche Langweile abgeben!“
01. (Bischof Martin:) „Aber jetzt fällt mir was ein! Neben diesem Saale gibt es ja noch 12 Nebengemächer, in die man durch diese 12 Türen gelangen kann. Richtig, die hätte ich bald vergessen und auch die etwas verhängnisvollen verdeckten Speisen in denselben. Oh, die muß ich nun sogleich durchpatrouillieren! Also, in des Herrn Namen ,Glück auf!‘ wie auf der Erde die Bergleute sagen. Gibt es hier auch keine Stollen und Schächte, so gibt es doch gewisse 12 geheime Gemächer, wo man noch nicht weiß, was sie enthalten; daher auch hier im Himmel: Glück auf! –
02. Da wär' einmal die Türe Nr. 1! Also nur aufgemacht und eingetreten! Oh, oh, oh! Oh, Tausend, Tausend, Tausend! Da ersehe ich ja in aller Form meine schöne Herde! Ah, das laß ich mir gefallen! Bei solcher Bescherung wird einem die liebe Ewigkeit freilich nicht zu lang! Aber jetzt heißt es halbrechts – umgekehrt! Das ist schon eine verdeckte Speise Nr. 1! Daher nur zur Türe Nr. 2!
03. Da ist sie schon! Also im Namen des Herrn nur hübsch fein und sachte aufgemacht; denn man kann nicht wissen, was alles sich darinnen befindet! Schau', diese Tür geht etwas schwerer auf als die frühere; aber es geht doch! Gott sei's gedankt, offen ist sie! Aber es ist etwas dunkler in diesem Gemache als in dem früheren, daher muß ich schon etwas tiefer hinein meine Schritte setzen!
04. Oh, oh, oh! Ja, was ist denn das schon wieder? Dies Gemach ist ja größer als die ganze große Vorhalle! Und im Hintergrunde entdecke ich eine große Menge ganz nackter Menschen beiden Geschlechtes; ihre Anzahl ist unübersehbar! O jemine, was das für schöne Menschen sind, besonders die weiblichen!
05. O sapprament, sapprament – da kommt gerade eine auf mich zu! Soll ich sie abwarten? Ja, ganz ja, ich muß sie abwarten; denn diese Speise ist wahrlich nicht verdeckt, – nein, nein, nein, diese ist nicht verdeckt!
06. O Tausend, Tausend – ist aber das eine Schönheit non plus ultra! Diese Weiße, diese üppigste Fülle, diese Brust! Nein, das ist nicht auszuhalten! Dieser rundeste, weichste Arm, diese göttlichen Füße und dieses – man könnte sagen – selbst für den Himmel zu freundlich-schönste, allersüßeste Gesicht mit einer so himmlisch zart lächelnden Miene!
07. Ahahahah! Nein, nein, nein – ich halte es nicht aus! Ich muß gehen, – kann doch nicht, nein ich – es ist rein unmöglich! Vielleicht will sie mir was sagen? Sie ist schon – da –, ist da, da! Stille nun, sie will ja reden mit mir; darum still nun, meine lose Zunge!“
08. Das Weib spricht: „Du bist sicher der Eigentümer dieses Hauses, auf den wir schon lange warten?“
09. Spricht Bischof Martin: „Ja – o ja, doch nein, und doch wieder halbwegs ja! Bin nur erst einlogiert worden. Der eigentliche Eigentümer alles dessen ist so ganz eigentlich dennoch der Herr Jesus, Gott von Ewigkeit! Womit kann ich euch dienen und besonders dir, du überhimmlische Schönheit über alle Schönheiten der ganzen Unendlichkeit?“
10. Spricht das Weib: „Preise mich nicht so sehr! Denn siehe, dort rückwärts gibt es noch eine zahllose Menge meines Geschlechts, die alle ums unvergleichliche schöner sind als ich, darum ich als die Häßlichste auch zu dir hergesandt wurde, damit du im Anfang nicht allzusehr geblendet würdest.
11. Unser Anliegen aber besteht darin: Siehe, wir sind alle Menschen aus der Erde, die ihr Kinder des Allmächtigen ,Merkur‘ nennet, wie wir es nun hier erfahren haben. Dies Haus ist dein; es kommt nun auf dich an, uns zu behalten zu deinem Dienste oder auch zu verstoßen. Wir bitten dich aber alle, daß du uns gnädig sein möchtest!“
12. Spricht Bischof Martin: „Oh, ich bitte dich, du himmlische, du erhabenste, allersüßeste Schönheit: oh, wenn eurer noch tausendmal soviel wären, so ließe ich euch nimmer von der Stelle! Denn ich bin ja aus lauter Liebe zu dir ganz weg! Komm nur her, du allerschönste Merkurianerin, und lasse dich umarmen! Ohohoh – nein, nein; ach, du wirst ja immer schöner, je freundlicher du mich anlächelst! So komme, komme und lasse dich umarmen!“
13. Spricht das Weib: „Du bist ein Herr; ich aber bin ewig nur deine Sklavin! So du gebietest, muß ich ja wohl tun deinen Willen, der uns allen heilig sein muß!“
14. Spricht Bischof Martin: „Oh, bitte, du meine Allerhimmlischste! Was Sklavin – das kenne ich nicht! Du bist von nun an eine Gebieterin meines Herzens! Komme nur, komme, du allerreizendste, ja namenloseste Schönheit! – O Gott, o Gott, das ist aber eine Schönheit! Nein, nein; mir bleibt schon ordentlich der Atem aus vor lauter Entzückung!“
15. Bischof Martin will dieser schönsten Merkurianerin gerade an die Brust fallen, als Ich Selbst ihn auf die Achsel klopfe und sage: „Halt, Mein lieber Sohn Martin, das ist auch schon eine verdeckte Speise. Erst wenn Ich sie für dich werde gesegnet haben, dann kannst du ihr an die Brust fallen, so es dich noch gelüsten wird! Mache daher auch hier dein Halbrechts!“
16. Spricht Bischof Martin: „Oohoh – oh, Du mein allergeliebtester Herr Jesus! Ich liebe Dich sicher, wie einer nur immer Dich lieben kann; aber ich muß Dir nun offenherzig bekennen! Ja – was wollte ich denn so ganz eigentlich sagen? Ja, ja, ich muß Dir offenherzig bekennen: so lieb ich Dich habe, aber diesmal wäre es mir beinahe lieber gewesen, so Du um ein paar Augenblicke später gekommen wärest!“
17. Rede Ich: „Das weiß Ich wohl und habe es dir auch schon vorhergesagt, daß du so zu Mir reden wirst in Kürze, obschon du dich damals von Mir durchaus nicht trennen wolltest. Aber Ich verlasse den nimmer, der Mich einmal ergriffen hat, also auch dich nicht! Darum komme nun schnell aus diesem Gemache! Warum? Das wird dir zur rechten Weile bekanntgegeben werden! – Du, Weib, aber ziehe dich wieder zurück!“
18. Das Weib tut sogleich, wie ihr geboten, und Bischof Martin folgt Mir mit einem etwas verlängerten Gesicht, aber dennoch willigst, zur Türe Nr. 3.
19. Wir kommen nun zur vorbezeichneten Türe, und siehe, sie tut sich von selbst auf!
20. Der Bischof Martin sieht sehr neugierig hinein und fährt völlig zusammen, als er hier wie in eine neue Welt schaut und in selber nebst den wunderbarsten Herrlichkeiten eine Menge seliger Wesen in vollkommenster Menschengestalt erblickt, die so schön sind, daß darob unserem Bischof Martin förmlich die Sinne vergehen.
21. Nach einer Weile erst ruft Bischof Martin aus: „O Herr, Du herrlichster Schöpfer und Meister aller Dinge, aller Wesen, Menschen und Engel, das ist ja unendlich! Das ist zu hoch über alle menschlichen Begriffe!
22. Ja was ist denn das schon wieder? Was sind das für Wesen? Sind das schon Engel oder wohl noch seligste Menschengeister? Sie sind zwar auch nackt, – aber ihre sonnenweiße Haut, der vollkommenste, üppigste Wuchs, die höchste, vollkommenste Harmonie in ihren Gliedmaßen, ein eigener Glanz, der sie umgibt, das alles ersetzt millionenfach die herrlichsten Kleider. Ich kann mir unmöglich eine herrlichere, schönere und erhabenere Form denken!
23. Ja, Herr, kein Lob, kein Preis und keine Ehre kann gedacht werden, um Dich gebührend zu loben, zu preisen und zu ehren damit! Wahrlich, wahrlich, Du bist heilig, heilig, heilig: Himmel und Erden sind voll Deiner Herrlichkeiten! Dir sei darum Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit!
24. O Herr, ich bitte Dich, gehen wir da weiter, denn diesen zu herrlichen Anblick kann ich nicht länger ertragen! Nur das sage mir gnädigst, was das für Wesen sind?“
25. Rede Ich: „Das sind Menschengeister aus dem Planeten, den ihr ,Venus‘ benannt habt. Ihre Bestimmung ist, euch, Meinen Kindern, zu dienen, wo und wann immer ihr ihrer Dienste benötigen mögt. Dieser Dienst ist ihre höchste Seligkeit. Daher wirst du sie auch allzeit um so seliger machen, je öfter und weiser du sie benützen wirst!
26. Das sind jedoch nicht die einzigen, die auf deine Winke harren, sondern es gibt noch eine zahllose Menge anderer aus andern Planeten, die du in der Zukunft weise zu benutzen erst lernen mußt. Nun weißt du vorderhand, was dir zu wissen not tut; alles andere wird folgen!
27. Daraus kannst du aber nun schon entnehmen, was Paulus mit den Worten andeutete, da er sagte: ,Kein Auge sah es und kein Ohr hat es je gehört, und in keines Menschen Sinn ist es je gekommen, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben!‘
28. Als du auf der Welt warst, da ahntest du freilich nicht, warum dich manchmal die Sterne so mächtig angezogen haben. Nun aber siehst du den Magnet vor dir, der dich auf der Welt oft so magisch anzog und dir manchen Seufzer und manches ,Ach, wie herrlich!‘ aus deiner damals sehr verknöcherten Seele entlockte.
29. Siehe, das ist schon eine Art Dienstes dieser Wesen, daß sie durch ihr festes, unerschütterliches Wollen nicht selten empfängliche Gemüter der Erdenmenschen beschleichen und sie hinauf zu den Sternen lenken. Das taten sie auch dir, als du sie noch nicht kanntest. Und sie werden es nun um so mehr tun, da sie dich sichtlich kennen, wie du nun auch sie, wenn auch noch etwas unvollkommen.
30. Nun aber komme wieder weiter, und zwar zur Türe Nr. 4! Dort wirst du wieder etwas anderes und noch Herrlicheres erschauen. Es sei!“
31. Spricht Bischof Martin: „Herr, aber warum dürfen uns denn nun diese herrlichsten Wesen nicht näherkommen, und warum müssen sie von Dir zuvor erst gesegnet sein?“
32. Rede Ich: „Mein lieber Sohn Martin, hast du auf der Erde nie gesehen, so du an einem Strome lustwandeltest, daß zu gleicher Zeit auch auf der andern Uferseite Menschen lustwandelten oder andere Geschäftswege machten? Konntest du wohl, so dich die Lust angewandelt hätte, sogleich ohne Brücke oder ohne Schiff zu ihnen gelangen? Du sprichst: Nein! – Siehe nun aber: Wozu auf der Welt die Brücke oder ein Schiff dient, eben dazu dient hier Mein Segen!
33. Ohne Mich kannst du weder auf der Erde noch hier im Himmel etwas tun. Mein Segen aber ist Mein allmächtiger Wille, Mein ewiges Wort ,Es werde!‘, durch das alles, was da ist, gemacht ward. Also muß durch dasselbe auch zuvor die Brücke zu all diesen Wesen gemacht werden, damit du zu ihnen und sie zu dir ohne Schaden gelangen können. Alles aber hat seine Zeit und seine Weile, deren richtige Dauer nur Ich allein bestimmen kann – und der, dem Ich es offenbare.“
34. Spricht eiligst Bischof Martin: „Aber wie konnte denn hernach die schöne Merkurianerin so nahe zu mir kommen, daß sie mir auch in die Arme gesunken wäre, so Du mich nicht davon abgehalten hättest – und doch war sie als eine verdeckte Speise noch nicht gesegnet von Dir? Was hatte ihr denn dann zur Brücke gedient? Oder war das auch noch eine leere Erscheinlichkeit?“
35. Rede Ich: „Mein lieber Sohn Martin, wolle nicht mehr wissen, als was Ich dir offenbare; denn Aberwitz stürzte einst Adam und vor ihm den erstgestalteten größten Engelsgeist! Daher: Willst du vollkommen selig sein, so mußt du auch in allem vollkommen Meinen Weisungen folgen und nie über ein Ziel hinaustreten wollen, das Meine höchste Liebe und Weisheit dir stellt!
36. Zur rechten Zeit wird dir alles klar werden. Diese untrügliche Verheißung genüge dir, sonst kommst du noch einmal auf ein Wasser, das dir noch mehr zu schaffen machen würde als das frühere! Denn solange du noch kein himmlisches Hochzeitsgewand um deine Lenden gegürtet hast, bist du noch kein eigentlicher fester Himmelsbürger, sondern nur ein aus puren Gnaden angenommener Sünder, der hier durch mancherlei Wege erst zu einem wahren Himmelsbürger werden kann. Darum frage nun nach nichts weiter, sondern folge Mir zur vierten Türe; es sei!“
37. Bischof Martin gibt sich nun selbst eine Maulschelle und folgt Mir ohne alles weitere Bedenken. Es reut ihn auch, daß er Mich so aberwitzig gefragt hatte.
38. Ich aber vertröste ihn, sagend: „Sei nur ruhig und angstlosen Gemütes! Denn siehe, ein jedes Wort, das aus Meinem Munde an dich ergeht, gereicht dir nicht zum Gerichte, sondern allein nur zum ewigen Leben, dessen sei versichert! Hier aber ist auch schon die Türe Nr. 4. Sie öffne sich!“
01. Ich rede weiter und sage: „Wir sind nun schon am offenen Eingang. Was siehst du hier und wie gefällt es dir?“
02. Spricht Bischof Martin etwas kleinlaut: „Herr, ich habe weder Mut noch Zunge genug, diese erhöhte Pracht in ihrer Größe, Tiefe und anmutigsten Majestät gebührend zu schildern. Was ich dabei jedoch nach meinem Gefühle zu bemerken habe, ist: daß hier in allem Ernste für mich nun des Guten zu viel ist! Ich werde nun schon förmlich stumpf ob des steten Wachstums dieser mehr als himmlischen Schönheiten – besonders jener, die hier in sichtbar weibmenschlich-himmlischer Gestalt in einer wahren Unzahl vorkommen!
03. Wie viele Millionen sind denn wohl in einem solchen Seitenkabinett, das eigentlich eine ganze Welt ist, beisammen? Es wimmelt ja alles von diesen Wesen, wohin und wieweit das Auge nur immer reichen kann. Dazu kommen noch die tausend und abertausend der allerzierlichsten Hütten und Tempel und Gärten und Haine und eine Menge von kleinen Berglein, die wie mit den schönsten grünen Samtteppichen bedeckt zu sein scheinen.
04. Siehe, Herr, es ist zu viel; ich fasse es nimmer und werde es auch ewig nimmer vollends erfassen können! Daher laß ab, o Herr, mir die weiteren, noch größeren Herrlichkeiten zu zeigen. Wahrlich, mir sind schon die bisher geschauten für die Ewigkeit zu viel!
05. Was brauche ich auch alles das? So ich Dich habe und noch einen sonstigen Freund, der bei mir unter einem Dache wohnt und bleibt, so Du manchmal verziehst, da habe ich für die ganze Ewigkeit genug. Es mögen jene an solchen Erhabenheiten Freude haben, denen ihr Gewissen sagt, daß sie rein sind und darum würdig und auch fähig, solche Himmelsgüter zu besitzen. Ich aber, der ich nur zu gut weiß, was mir gebührt, bin zufrieden mit der einfachsten Strohhütte und mit der Erlaubnis, Dich, o Herr, in Deinem Hause besuchen zu dürfen und manchmal auch ein Stückchen Brot und ein Schlückchen Wein von Dir, Du bester Vater, zu bekommen!
06. Dieses Prachthaus aber gib ohne weiteres wem andern, der fähiger und würdiger ist, es zu besitzen, als ich; denn mit mir ist da nichts. Tue, Herr, was Du willst! Ich gehe, wenn ich frei wollen darf, zu keiner Tür mehr weiter.
07. Oh, wenn ich mich erst aller dieser Wesen bedienen solle, wo käme ich da hin mit meiner Dummheit! Daher bitte ich Dich, o Herr, laß ab, mich hierin weiter zu führen! Gib mir einen Schweinestall, wie er auf Erden besteht, und ich werde mich glücklicher fühlen!“
08. Rede Ich: „Höre, Mein lieber Martin, so du es besser verstehst, wie jemand zu gehen hat, um ein vollkommener Himmelsbürger zu werden, so kannst du es ja haben, wie du es wünschest. Aber da sei auch versichert, daß du ewig nimmer weiterkommen wirst. Setzest du aber auf Mich mehr Vertrauen als auf deine Blindheit, da tue, was Ich will – und nicht, was du willst!
09. Meinst du denn, Ich habe Meine Kinder bloß nur fürs Hüttenhocken und fürs Brotessen und Weintrinken erschaffen? O sieh, da irrst du dich gewaltigst! Hast du denn nicht gelesen, wie geschrieben steht: ,Werdet vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!‘ Meinst du wohl, daß sich die erforderliche Vollkommenheit Meiner Kinder in einem Schweinestall erreichen läßt?
10. Oder hast du auf Erden nie erlebt, wie die Kinder irdischer Eltern auch lieber müßig wären und sich mit ihren losen Spielereien beschäftigten, als daß sie sich an das Erlernen ihrer einstigen Berufskenntnisse wenden müssen? Oder hast du auf der Welt nicht stets eine Menge solcher Menschen gesehen, denen der Müßiggang über alles ist?
11. Siehe, zu dieser Gattung gehörst auch du. Nun hast du eine Scheu vor dem vielen, was deiner hier harrt; zum Teile aber möchtest du Mir auch so ganz höflich ein wenig trotzen, darum Ich dir vorher den Aberwitz deiner eitlen Frage verwies!
12. Allein das alles taugt nicht für den, dem Ich schon so viel Gnade, Liebe und Erbarmung erwies und noch fort erweise. Siehe, was vielen Millionen nicht geschieht, das geschieht dir! Millionen sind glücklich bloß in der Anwartschaft, Mich einmal zu erschauen und werden geführt von ganz geringen Schutzgeistern zu dem seligsten Behufe. Dich aber führe Ich Selbst, – Ich, der ewige Gott und Vater aller Unendlichkeit, als das ewige, seligste Ziel aller Engel und Geister der Unendlichkeit! Und dir wäre ein freigewählter Schweinestall lieber, als was Ich dir geben will und dich befähigen für die größte Seligkeit! Sage Mir, wie gefällt dir nun solch löblicher Wunsch?“
13. Spricht der Bischof Martin ganz verdutzt: „O Herr, o Du ewig heiligster, bester Vater, habe Geduld mit mir! Ich bin ja ein reines Vieh, ein wahrer dümmster Saukerl, der nicht des kleinsten Strahles Deiner Gnade wert ist! Oh, nun führe mich Du allein, guter Vater, wohin Du willst, und ich werde Dir folgen, wenn auch dumm wie ein Fisch. Aber folgen werde ich Dir ewig ohne alles eselhafte Bedenken!“
14. Sage Ich: „Nun denn, so folge Mir von dieser Marstüre zur Jupitertüre Nr. 5! Es sei, und es geschehe!“
01. Wir befinden uns nun schon bei der Türe 5, die sich alsbald auftut, als wir zu ihr gelangen, und der Bischof Martin schlägt gleich beim ersten Anblick dieses geöffneten Kabinettes die Hände dreimal über dem Haupte zusammen und schreit förmlich: „Aber um Deines Gottesnamens willen, Herr, Jesus, Vater – ja, was ist denn das schon wieder?! Diese Unermeßlichkeit! Eine himmlischste Erde ohne Ende; über ihr noch vier Erden wohl zu beschauen! Alles von einem Lichte umflossen, von dem sich selbst der tiefsinnigste Erdenpilger nicht den allerleisesten Begriff machen kann. Diese Pracht und Majestät der leuchtenden Paläste, der Tempel und auch der kleinen Tempel, die diesen Bewohnern wahrscheinlich als freie Wohnungen dienen!
02. Oh, oh, nun erschaue ich auch Seen, und ihr Wasser schimmert wie die schönsten geschliffenen Diamanten im Sonnenlichte. Aber alles leuchtet da eigens aus sich selbst. Denn es ist nirgends etwas zu entdecken, von wo aus etwa ein Licht käme. Ach, ach, Herr, Vater! Das ist ja über alle Begriffe schön, herrlich, erhaben, ja ich möchte es ordentlich heilig-schön nennen, so ich es nicht wüßte, daß Du allein nur heilig bist!
03. O Herr, Vater, je länger ich da hineinschaue, desto mehr entdecke ich stets. Nun sehe ich auch schon Menschen, die aber freilich noch etwas zu ferne sind, daß ich nicht ausnehmen kann, wie sie ganz eigentlich aussehen. Offenbar werden sie ebenfalls in entsprechender Art mit ihrer Erde unaussprechlich schön sein! Es ist aber auch besser, daß sie mir nicht zu nahe kommen: ich könnte ihre sicher zu große Schönheit am Ende etwa doch nimmer ertragen. Man hat da schon mit dieser großen, herrlichsten Wohnerde zum größten Übermaße genug!
04. Aber Herr, Herr, Vater! Ist es wohl außer Dir einem Geiste möglich, so eine endlose Fülle und Tiefe und Größe von solchen Erhabenheiten, deren Zahl kein Ende hat, je ganz zu durchschauen und nur einen kleinsten Teil davon auch zu begreifen? Ich glaube, das ist selbst dem größten Engel rein unmöglich!“
05. Rede Ich: „Nicht so, Mein lieber Sohn Martin! Alles, was du hier ersiehst, schon gesehen hast, und was du nun noch sehen wirst, ist nur ein allerkleinster Teil von dem, was die weisen Engel Meines ewigen Reiches in aller Tiefe der Tiefen einsehen und in aller Fülle überaus wohl verstehen.
06. Denn siehe, alles, was du hier siehst und worüber du so überaus erstaunst, ist nicht außer dir, sondern in dir selbst. Daß du es aber hier wie außer dir erblickst, liegt an deiner geistigen Sehe. Es hat Ähnlichkeit mit dem Schauen der Gegenden, die du öfter in einem Traume geschaut hast wie außer dir, während du sie eigentlich doch nur in dir selbst mit dem Auge der Seele beschautest. Nur ist hier der Unterschied, daß hier alles wirkliche Sache ist, was in einem Traum sich eigentlich zumeist nur als leere Seelenspiegelfechterei darstellt. Frage nun nicht weiter darüber, denn zu rechter Weile wird es dir klar werden!
07. Die Menschen dieser Erde aber bekommst du hier darum nicht näher zu Gesicht, weil sie für deinen Zustand wirklich zu schön sind. Wenn du aber stärker wirst, dann wirst du alles in aller Fülle besehen und in allerseligster Reinheit genießen können – was dir jetzt noch nicht möglich wäre, da dir die dazu erforderliche Stärke fehlt.
08. Gehen wir aber nun wieder um eine Tür weiter, dort wirst du noch unvergleichlich Erhabeneres erschauen. Bei dieser kommenden sechsten Tür mußt du dich jedoch so ruhig als möglich verhalten, bloß auf Mich hören und alles wohl vernehmen, was Ich dir da sagen werde. Auch darfst du Mich nicht fragen, warum du dich da so ruhig verhalten mußt. Auch nicht, so Ich zu dir reden werde manches, das du nicht fassen und verstehen wirst; denn in rechter Weile wird dir alles klar werden! Darum nun weiter und vorwärts zur Tür Nr. 6! Es sei!“
01. (Der Herr:) „Siehe, wir sind nun schon vor der offenen Türe. Und die herrliche Himmelswelt, die du erschaust in vollster Klarheit: der große Wall, der in äußerster Ferne sich in lichtblauer Färbung ausnehmen läßt und über dem in gemessener Ordnung noch sieben Vereine wie frei schwebend erschaulich sind, das alles ist in entsprechender Weise der Planet Saturn; die schönste und beste der Erden, die um die Sonne bahnen. Um diese bahnt auch deine Erde, die da ist der häßlichste und letzte Planet in der ganzen Schöpfung, dazu bestimmt, den größten Geistern als eine Schule der Demut und des Kreuzes zu dienen!
02. Dieses aber ist darum so bestimmt: Siehe, so irgendein großer und mächtiger Herr der Welt in seiner angestammten Residenz wohnt und geht, und fährt und reitet da oft durch die Gassen und Plätze der Stadt, da sehen sich die Bewohner als sicher nächste Nachbarn eines solchen Machthabers kaum um, daß sie ihn als ihren Regenten begrüßten und ihm die Ehre gäben. Darnach ist er aber auch aus Gewohnheit gar nicht lüstern, weil er seine Nachbarn kennt und wohl weiß, daß auch sie ihn kennen. Wenn er aber einen entfernten kleinen Ort besucht, da fällt alles nieder vor ihm und betet ihn förmlich an. Dazu aber zeigt auch er in solch einem kleinen Orte, was er so ganz eigentlich ist; was zu zeigen er in seiner Residenz nicht vermag: fürs erste, weil ihn ohnehin ein jeder Mensch kennt, und fürs zweite, weil ein solches Sich-Zeigen eben darum keinen Effekt machen würde.
03. Gleich – als möchte auf der Welt jemand in einer großen Halle ein Lot Schießpulver anzünden, wo die Explosion auch keinen Effekt zuwege brächte. Wohl aber, so dasselbe Maß Pulver in einem sehr engen Raume angezündet werden möchte, wo dann ein dröhnender Knall erfolgen würde und eine zerstörende Wirkung der Explosion.
04. Weil aber das Große dem Kleinen gegenüber sich erst recht groß zeigt, das Starke gegenüber dem Schwachen recht stark, das Mächtige dem Ohnmächtigen gegenüber sehr mächtig, – so ist eben die Erde so höchst elend in allem gestaltet, auf daß sie den einst größten und glänzendsten Geistern entweder zur Demütigung und daraus zur neuen Belebung diene, oder aber zum Gerichte und daraus zum neuen ewigen Tode. Denn wie Ich dir schon früher gezeigt habe, dient das Kleine und Unansehnliche auch für sich dazu, das Große und Angesehene in seiner Art zu erhöhen. Und das ist schon das Gericht, obschon das Große und Angesehene sich da, wo alles klein und unansehnlich ist, nach dem richten und sich demütigen soll.
05. Wenn so ein großer Mensch durch ein enges und niederes Pförtlein in ein Gemach kommen will, da muß er sich zuvor zusammenschmiegen und recht tief bücken, ansonsten er in keinem Falle ins Gemach gelangen kann. Also ist auch die Erde ein schmaler und dorniger Weg und eine niedere und enge Pforte zum Leben für jene Geister, die einst übergroß waren und noch größer sein wollten.
06. Aber diese Geister wollten sich diesen ihren alten Hochmut sehr demütigenden Weg nicht gefallen lassen und sprachen, dieser Weg sei für sie zu klein: ein Elefant könne nimmer auf einem Haare gleich einer Mücke umhergehen und ein Walfisch nicht schwimmen in einem Wassertropfen. Darum sei solch ein Weg unweise, und Der ihn geordnet, sei ohne Einsicht und Verstand.
07. Da nahm Ich als der allerhöchste und endlos größte Geist von Ewigkeit das Kreuz und ging diesen Weg als Erster allen voran. Und Ich zeigte, wie dieser Weg, den der größte und allmächtigste Geist Gottes gehen konnte, auch von allen andern Geistern leicht kann durchwandert werden und durch ihn erreicht das wahre, freieste, ewige Leben.
08. Darauf wandelten viele schon diesen Weg und erreichten durch ihn das vorgesteckte, erwünschte Ziel, nämlich die Erhebung zur Kindschaft Gottes und dadurch die Erbschaft des ewigen Lebens in aller Macht, Kraft und höchsten Vollendung. Sie besteht darin, daß sie sich aller jener schöpferischen Eigenschaften erfreuen, die Mir freilich ewig im vollsten Maße eigen sind. Das aber ist den Geistern aus allen andern zahllosen Sternen und Erden nicht gegeben, gleichwie nicht allen Gliedern des Leibes die Sehe oder das Gehör, und noch weniger das Gefühl der innersten Geistessehe, welches ist das eigentlichste Bewußtsein des eigenen und fremden Seins und das Vermögen, Gott zu schauen und zu erkennen.
09. Diese dir nun gezeigten Eigenheiten haben nur gewisse wenige Glieder des Leibes, während zahllose andere Gliederteile dieser höchsten Lebenseigentümlichkeiten für sich völlig entbehren, sich dabei aber dennoch als Glieder desselben Leibes im steten Mitgenuß befinden.
10. Ebenso steht es auch mit den vernünftigen Bewohnern aller andern Gestirne: sie sind wie einzelne Teile des Leibes oder im vollkommeneren Sinne des ganzen Menschen, der in aller Fülle Mein Ebenmaß und das Ebenmaß aller Himmel ist. Daher bedürfen sie zu ihrer Beseligung auch all der göttlichen Fähigkeiten nicht, die all Meinen Kindern eigen sind. So aber Meine Kinder allerseligst sind, sind es auch diese Sternenbewohner in und bei ihnen, wie ihr Meine Kinder in und bei Mir, euerm liebevollsten heiligen Vater von Ewigkeit zu Ewigkeit.
11. Bist du nun selig, da sind all diese Zahllosen, die du hier bemerkst, es auch aus und in dir; gleich als wenn du dich wohlbefindest, da befindet sich auch wohl dein ganzer Leib. Daher aber erfordert es dann auch der heiligen Liebe höchste Pflicht bei Meinen Kindern, so vollkommen als Ich selbst zu werden. Denn von solcher seligster Vollkommenheit hängt die Seligkeit von zahllosen kleinen Enkelkinderchen ab, durch deren Seligkeit die eure stets ins Endlose vergrößert und erhöht wird.
12. Nun weißt du, warum Ich dir hier zuerst diesen deiner Erde nächsten Planeten zeigte. Denke darüber nach und folge Mir nun zur 7. Tür, wo du wieder in eine neue Weisheit eingeführt wirst! Aber fragen darfst du Mich auch dort um nichts. Denn Ich allein weiß es, welchen Weg Ich dich führen muß, um dich so selig als möglich zu machen. Also gehen wir weiter; es sei!“
01. (Der Herr:) „Wir sind nun auch schon bei der offenen 7. Tür. Auch hier entdeckst du eine neue Himmelswelt, die zwar nicht so groß und auch nicht gar so übermäßig schön ist wie die frühere. Aber dafür erschaust du hier Gebäude von der seltensten und dabei großartig-kühnsten Weise und eine für dich unübersehbare Menge von Werken, die dieses Planeten, den ihr ,Uran‘ nennet, starrmütige Bewohner hervorbringen. Ebenso entdeckst du auch eine übergroße Menge der seltensten Gärten, die an den seltensten Verzierungen einen strotzenden Überfluß haben.
02. In den Gärten ersiehst du auf deren breiten, überaus wohlgeebneten Wegen eine große Menge Geister in vollkommenster äußerer Menschengestalt, alle wohlbekleidet. Aller Augen sind nach uns gerichtet, denn sie alle ahnen, daß Ich Mich in ihrer Nähe befinde und daß sich auch der künftige Besitzer und Gebieter nun schon in gleicher Nähe aufhält. Durch ihn hoffen sie erst in ihre volle Seligkeit einzugehen und dadurch zu ihrer vollen verheißenen Kraft und Stärke zu gelangen.
03. Im Hintergrunde, scheinbar in großer Ferne, ersiehst du noch fünf kleinere Erden. Das sind Nebenerden dieses Planeten und haben alle eine von dem Planeten ganz verschiedene Einrichtung, die aber dennoch in voller Harmonie mit dem Planeten selbst steht.
04. Dieses Planeten Geister dienen im Menschen entsprechend dazu, daß er wachse in allen seinen Teilen, auf der Welt körperlich und hier geistig wesenhaft. Jedoch nur, was die Ausbildung der Außenform betrifft oder das Wachstum des Menschen sowohl physisch als auch psychisch der Form nach, wird durch das eigens geordnete und zugelassene Einfließen dieses Planeten bewirkt.
05. Wie aber natürlich das Vermögen zu wachsen im Menschen vorhanden sein muß, ansonst er nicht wachsen könnte, ebenso müssen auch diese Geister in entsprechender Weise im Menschen und an jener Stelle vorhanden sein, die der Hauptgrund des Wachsens ist. Darum ist auch wieder alles das, was du hier erschaust, in und nicht außer dir. Es befindet sich aber dieser Planet samt seinen Bewohnern und andern Dingen in der Wirklichkeit auch irgendwo außer dir; allein dies kannst du noch lange nicht schauen.
06. Wirst du aber in dir selbst zur Vollreife des ewigen Lebens gelangen, dann wirst du auch die große Schöpfung außer dir schauen können, wie Ich Selbst sie schaue – was aber auch nötig ist. Denn so Ich Meinen vollendeten Kindern, die da Engel sind, eine ganze Welt zur Hut und Obsorge anvertraue, so müssen sie so eine Welt doch auch genauest sehen. Denn ein Blinder kann kein Hirte sein. Aber zur Beschauung der wirklichen großen Schöpfung außer dir bist du noch lange nicht reif genug! Daher mußt du nun schon dich mit dem begnügen, was du nun siehst; denn du siehst das Wirkliche in entsprechender lebendiger Abbildung in dir so, als wäre es außer dir.
07. In dieser inneren Beschauung mußt du groß werden und reif dein Geist und wohlgenährt in aller Liebe zu Mir und aus dieser Liebe in der Liebe zu allen Brüdern und Schwestern. Diese Liebe wird dann erst jener Segen sein, den Ich dir verheißen habe, als du die schöne Merkurianerin zu sehr lieben wolltest!
08. Dieser Segen, eine rechte Brücke hinaus in die endlose große Wirklichkeit, wird dir dann ewig nimmer genommen werden. Auf seinen Pfeilern erst wirst du in aller Fülle erkennen, wo du bist, und w er du bist, und woher du kamst.
09. Nun weißt du für diese Tür auch, was dir da zu wissen nottut. Das alles weißt du nun von Mir und aus Mir Selbst. Und da du nun das alles weißt, so denke in dir wohl darüber nach und folge Mir wieder weiter hin zur achten Tür! Dort werden wir wieder eine andere und für dich völlig neue Welt kennenlernen samt ihren denkwürdigen Bewohnern. Es sei!“
01. (Der Herr:) „Siehe, wir sind auch hier an Ort und Stelle. Die Tür ist geöffnet, und du siehst durch sie wieder eine neue, sehr große, weitgedehnte Himmelswelt, die in einem hellgrünlichen Lichte prangt. Auch hier ersiehst du große Gebäude und unterschiedlich hohe Berge, von denen viele einen bläulichen Rauch von sich geben. Diese rauchenden Berge entsprechen der Erscheinlichkeit nach den vielen feuerauswerfenden Bergen, von denen dieser von der Sonne am weitesten abstehende Planet mit dem rechten Namen Miron (der Wunderbare) den größten Vorrat hat.
02. Hinter diesem Planeten ersiehst du zehn kleinere Erden, die alle zu ihm gehören, aber dennoch eine ganz andere Ordnung und Beschaffenheit haben als ihr Hauptplanet selbst. Hier kannst du alle Augenblicke etwas Neues ersehen: Bäume schwimmen in der Luft herum und noch eine Menge anderer dir bisher noch ganz unbekannter Dinge. Der Rauch aus den Bergen nimmt auch allerlei seltene Gestaltungen an. Die Menschen in vollkommener Gestalt sind zumeist wohlbekleidet, so daß du außer dem Gesichte nicht viel zu sehen bekommen wirst.
03. Diese Menschen lieben Musik und Dichtung, daher sie als Geister auch durch Entsprechung bei euch, Meinen Kindern, Herz, Gemüt und Seele für die beiden obgesagten Künste empfänglich machen. Sie haben ihren Sitz in den dazu geeigneten Organen im Menschen, wo sie dann diese Organe anregen und dadurch im Menschen den Sinn für Musik und Dichtung tauglich und aufnahmefähig machen, im ganzen den Menschen harmonisch stimmen und seine Phantasie begeistern und erheben. Überhaupt aber werden alle wundersamen und sogenannten romantischen Gefühle von diesem Planeten in entsprechender Weise erregt.
04. Nun weißt du, was dieser Planet für eine Eigenschaft hat und wozu er so ganz eigentlich gut ist. Nur mußt du dir da nicht den wirklichen Planeten denken, der zwar wohl auch also beschaffen ist, sondern das entsprechende Abbild nur, das da in deinen Geist gelegt ist. Der war früher als alle äußere, materielle Schöpfung, die erst nach dem gestaltet wurde, was schon lange vorher in einem jeden vollkommenen Geiste vorhanden war. Denn bevor alle Welt war, war schon der Geist, und jene ging aus dem Geiste, und nicht etwa der Geist aus ihr hervor! Daher ist dieser Planet, den du in dir hast, auch um sehr vieles älter als der nun wirkliche materielle. Und hätte er nur in eines einzigen Menschen Geiste gemangelt, so hätte er auch nimmer gestaltet werden können.
05. Daraus aber kannst du leicht entnehmen, daß, so du dich selbst vollkommen erkennen wirst, du auch all das erkennen wirst, was sich da befindet außer dir; da sich außer dir nichts befinden kann, das nicht schon lange zuvor in dir vorhanden gewesen wäre. Ebenso wie auch in der ganzen Unendlichkeit sich nichts befinden kann, das nicht schon von Ewigkeit zuvor in Mir in vollster Klarheit vorhanden gewesen wäre!
06. Wie Ich aber der ewige Urgrund und Träger aller Wesen bin, so sind nun auch Meine Kinder in Mir Selbst der Grundstoff von allem, was nun erfüllt die Unendlichkeit für ewig. Wie aber in Mir Unendliches ist, so ist es auch in euch aus Mir. Denn Meine Kinder sind die Kronen Meiner ewigen Ideen und großen Gedanken!
07. Nun weißt du auch von dieser Tür, was dir hier zu wissen nottut. Daher folge Mir nun zur neunten Tür, allwo du wieder neue Wunder Meiner Liebe und Weisheit erschauen wirst! Es sei!“
01. (Der Herr:) „Wir sind nun auch bei der neunten Tür. Was ersiehst du hier? Nun kannst du, Mein lieber Sohn Martin, schon wieder reden, aber nur so viel als nottut. Und so antworte Mir auf Meine Frage!“
02. Spricht Martin: „Herr, ich sehe vorderhand noch eben nicht gar viel! Bei neun kleine, kahle, unförmliche Weltklumpen schwimmen in dieser reinsten Himmelsluft herum, auf denen außer einigen Gesträuchen eben nicht viel zu entdecken ist. Im kaum ausnehmbaren tiefsten Hintergrunde kommt es mir wohl vor, als erschaute ich eine große, vollkommene Himmelswelt. Aber diese scheint mir schon so ungeheuer weit von hier entfernt zu sein, daß ich ob dieser enormen Ferne kaum die Welt selbst entdecken kann, geschweige das, was auf ihr zu Hause ist.
03. Vier dieser hier in größerer Nähe herumkreisenden Weltklümpchen scheinen wohl auch bevölkert zu sein, weil ich auf ihnen eine ganz eigentümliche kleine Art von Gebäudchen entdecke. Aber von den Völkern dieser Weltstücke ist nichts zu erspähen. Wahrscheinlich werden das der Himmel größte Völker nicht sein! Vielleicht wohnen darauf bloß nur so eine gewisse Art von Infusionsmenschchen? Hier schwebt eben so ein Weltstückelchen an der Türschwelle vorüber. Ich entdecke nichts außer sehr verkümmerten Gesträuchen und einigen wahren Fliegenhäuschen, die freilich eher zierlichen Ameisenhäufchen ähnlich sehen als irgendeiner Art Wohnhäusern. Nichts regt sich da und nichts bewegt sich – außer das Weltstückchen selbst. Sage Du, o Herr, mir gnädigst, was denn das ist, auch irgendein Planet oder sonst etwas?“
04. Rede Ich: „Ja, Mein lieber Sohn Martin, auch das ist ein Planet – aber, wie du siehst, kein ganzer, sondern ein ganz gewaltig zerstückter! Denn nebst diesen neun Teilen, die da vor uns sich in stark unordentlichen Kreisen bewegen, gibt es noch eine große Masse Trümmer: zum Teil auf andern Planeten zerstreut herumliegend, teils sich aber noch in sehr unordentlichen Bahnen in den endlosen Raumhallen der Schöpfung herumtreibend. Hie und da noch zur Stunde, so sie einem festen Planeten oder gar einer Sonne in die Nähe geraten, werden sie von denselben an sich gezogen und gewisserart aufgezehrt.
05. Du fragst nun in dir: ,Wie und warum ist denn ein solcher Planet also zerstückt worden, und wie sah dieser Planet früher aus, und wie seine Einwohner?‘
06. Siehe, das Wie beantwortet dir Meine Allmacht! Es war also Mein Wille.
07. Warum aber? – Siehe, dieser Planet war einst vor der Erde dazu bestimmt, welche Bestimmung nun die Erde hat! Denn der erste gefallene Geist hatte sich ihn auserwählt mit der Verheißung, er wolle sich da demütigen und zu Mir zurückkehren. Dieser Stern sollte darum dereinst ein Stern alles Heiles sein! Hier wollte er ganz in sich gezogen wirken, und kein Geschöpf dieses Sternes sollte je von ihm in seiner Sphäre beirrt werden, noch weniger irgend andere Planeten mit ihren Bewohnern!
08. Aber er hielt diese seine Verheißung nicht, sondern wirkte so böse in seiner ihm zugelassenen Freiheit, daß da kein Leben mehr fortkommen konnte. Er wurde darum in das Feuerzentrum dieses Planeten gebannt, und die Bestimmung jenes Planeten wurde sofort deiner Erde gegeben.
09. Als diese reif ward für Menschen und Ich zu dem ersten Menschen den Keim legte, da riß der Böse an seinem Kerker. Es dauerte Mich seiner und Ich ließ ihn tun, was er wollte. Und siehe, da zerriß er seine Erde und fiel von da in den Abgrund dieser deiner Erde und tat dann auf selber allzeit, was dir wohlbekannt ist!
10. Der Grund der Zerstörung dieses Planeten war sonach wie allzeit in allen Dingen Meine Erbarmung! Denn als der Planet noch ganz war und reich an mächtigen Völkern, da begeiferte der Drache ihre Herzen. Und sie entbrannten alle in der wütendsten Herrschsucht und schworen sich alle einen ewigen Krieg und eine gegenseitige gänzliche Aufreibung bis auf den letzten Mann.
11. Da fruchtete kein freies Mittel mehr. Daher mußte hier ein Gericht erfolgen. Und das war eben die gewaltige Teilung dieses Planeten, bei welcher Gelegenheit aber freilich auch viele Millionen von den riesig großen Menschen den Untergang fanden und teils unter den Trümmern begraben wurden, zum größten Teile aber auch hinaus in den unendlichen Raum geschleudert wurden. Einige von ihnen fielen sogar auf diese Erde, von woher noch heutzutage die heidnische Mythe von dem Gigantenkriege datiert.
12. Diese ersten Menschen aber starben dann auf den kleinen Resten dieses einst größten Planeten ganz aus, weil sie darauf keine Nahrung mehr fanden. An ihre Stelle wurden dann verhältnismäßig kleine Menschen gesetzt, die noch jetzt die kleinen Erdchen bewohnen und äußerst genügsame Wesen sind und nun den Kopfhaaren und den Augenbrauen entsprechen. Im Hintergrunde aber ersiehst du noch den ganzen Planeten mit allem, wie er einst bestand, aufbewahrt für einen großen Tag, der einst über die ganze Unendlichkeit ergehen wird!
13. Nun weißt du auch von dieser Tür, was dir nun vorderhand zu wissen nottut. Alles andere wird zur rechten Weile von selbst aus dir selbst, und zwar aus diesem Samen kommen, den Ich nun in dein Herz gelegt habe! Darum folge Mir nun zur zehnten Tür, allwo schon wieder neue Wunder deiner harren; es sei!“
01. (Der Herr:) „Siehe, wir stehen vor der zehnten Tür; rede nun von allem, was du hier ersiehst!“
02. Spricht Bischof Martin: „Herr, was soll ich hier reden! Ein unermeßlicher Lichtglanz blendet meine Augen, und eine wunderbar herrlichste Harmonie dringt an meine Ohren! Das ist alles, was ich über den Anblick durch die Türe sagen kann. Wahrlich, ich sehe sonst nichts als ein unermeßlich starkes Licht und vernehme auch nichts als allein die besagte himmlische Harmonie, die da aus dem Lichte zu mir zu kommen scheint.
03. Das Licht scheint hier auch einen Raum einzunehmen, der völlig unermeßlich sein muß. Denn wohin ich nur immer mein Auge wende, ist nichts als Licht über Licht. Dabei aber ist dennoch äußerst sonderbar, daß diese ungeheure Lichtmasse nicht mehr Wärme durch die offene Tür herein spendet!
04. Herr, was ist das? Ist das etwa die Hauslampe dieses von Dir mir gegebenen Hauses? Oder ist das etwa gar die Sonne, d.h. eine Miniatursonne von jener wirklichen großen Sonne, die der Erde leuchtet?“
05. Rede Ich: „Ja, so ist es; das ist die entsprechende Sonne in dir! Wenn dein Auge lichtgewandter wird, dann wirst du schon auch andere Dinge in diesem Lichte erschauen. Daher siehe nur eine kleine Weile unverwandt hinein und du wirst dieses Lichtes Reichtum bald über die Maßen anzupreisen beginnen!“
06. Bischof Martin dringt nun recht mit seinen Augen in das Licht hinein und späht, wo er etwas anderes als bloß das Licht erschauen könnte. Aber er schaut noch immer nichts und spricht wieder nach einer Weile: „Herr Jesus, es wird's nicht tun! Mir vergehen schon förmlich die Augen, und ich sehe noch immer nichts als Licht über Licht. Ist zwar ein schöner Anblick, aber dabei doch etwas langweilig. Aber das macht gerade nichts; wenn ich nur Dich sehe, brauche ich ewig kein Wunderding in diesem Lichtmeere herumschwimmen zu sehen! Ist aber wirklich merkwürdig: nichts als Licht, und was für ein Licht!
07. Mein allergeliebtester Jesus, was ist denn so ganz eigentlich Licht? Auf der Welt streiten die Gelehrten noch zur Stunde, was da sei das Licht und behaupten dies und jenes. Aber am Ende zeigt sich's denn doch wieder, daß da einer wie der andere nichts weiß und nichts versteht! Ich habe darüber so manches gehört und gelesen, aber aus allem ersehen, daß die Weltgelehrten in keinem Fache so wenig wissen, als was da betrifft die Wesenheit des Lichtes. Daher, so es Dein Wille wäre, könntest Du mir wohl einige Winke über das Wesen des Lichtes geben, da wir schon gerade an dieser Lichtpforte weilen?“
08. Rede Ich: „Siehe, Ich Selbst bin das Licht allenthalben! Das Licht ist Mein Gewand darum, weil die ewige, unermüdlichste Tätigkeit Mein Grundwesen ist und Mich sonach allenthalben durchdringt und umgibt. Wo eine große Tätigkeit zu Hause ist, da ist auch ein großes Licht vorhanden. Denn Licht ist an und für sich nichts als eine pure Erscheinung der Tätigkeit der Engel und besseren Menschengeister. Je höher in der Tätigkeit diese stehen, umso größer ist auch ihr Licht.
09. Daher glänzen die Sonnen auch mehr als die Planeten, weil auf ihnen und in ihnen eine millionenfach größere Tätigkeit zu Hause ist als auf den Planeten. Ebenso ist auch das Licht eines Erzengels größer als das Licht eines bloß kleinen weisen Engelgeistes, weil ein Erzengel ganze Sonnengebiete zu übersorgen hat, während einem kleinen weisen Geiste nur ein kleinstes Gebiet auf der Erde oder gar nur auf ihrem Monde zugeteilt wird.
10. Ebenso glänzt auch ein Diamant stärker denn ein gemeiner Sandstein, weil in seinen Teilen eine für dich kaum berechenbar große Tätigkeit vor sich geht, weswegen er so hart ist, was beim Sandstein sicher nicht der Fall ist. Denn es gehört doch sicher mehr dazu, die Kohäsion des Diamanten als die eines Sandsteines zu bewerkstelligen!
11. Kurz und gut, wo du an irgendeinem Ding eine größere Licht- und Glanzfähigkeit entdecken wirst, kannst du auch allzeit auf eine größere Tätigkeit schließen; denn die Tätigkeit ist das Licht und der Glanz aller Wesen und Dinge. Des Auges Sehkraft aber besteht darin, diese Tätigkeit wahrzunehmen. Ist die Sehe noch unvollkommen, da ersieht sie bloß nur Licht und Glanz. Ist sie aber vollkommen, da ersieht sie die wesenhafte Tätigkeit selbst – was du nun in diesem Lichte auch bald erkennen wirst, so deine Sehe nun vollkommen wird.
12. Daher gib nun nur recht acht: du wirst Dinge erschauen, die dich ins höchste Erstaunen setzen werden; denn nun haben wir keinen Planeten, sondern eine Sonne vor uns! Betrachte und rede dann!“
13. Nach einer ziemlich geraumen Welle, in der unser Martin unverwandt in die Lichtmasse hineinsah, fing er an, sich so zu verwundern, daß es beinahe kein Ende nehmen wollte.
14. Als Ich ihn fragte, was denn nun gar so sehr sein Verwundern in Anspruch nehme, spricht er:
15. (Bischof Martin:) „O Herr, o Herr, o Herr! Um Deines allerheiligsten Namens willen – ah, ah, ah! Ist das wohl möglich! Ist es möglich, daß alle diese Wunder der Wunder Du übersehen, ordnen und leiten kannst? Nein, nein, das ist über alle menschliche und selbst engelische Vorstellungskraft! O mein Gott, mein Gott, Du bist unbegreiflichst groß und Deines Ruhmes und Deiner Herrlichkeit ist ewig kein Ende!“
16. Rede Ich: „Ja, was siehst du denn, das dich in eine solche Andachtsekstase bringt? So rede doch einmal, was es ist, das du siehst!“
17. Spricht Bischof Martin: „Ach Herr, was soll ich da reden, wo mir die Sinne vor zu großer Herrlichkeit und überhimmlischer Schönheit und Majestät vergehen!
18. Fürwahr, das ist für mich rein namenlos! Endlos schöne Menschen, das ist der einzige Gegenstand, den ich als das erkenne, was er ist; alles andere aber ist für mich namenlos! Solche erhabensten Dinge sah ich nie, auch die begeistertste Phantasie des weisesten Menschen hat nie so etwas je geahnt! Es war bisher wohl alles von höchster Anmut und Schönheit, was ich schon gesehen habe, – aber mit dem verglichen, was ich hier erschaue, sinkt es in ein Nichts zurück!
19. Es ist hier von allem eine solch endlose Fülle vorhanden, daß man sie bei einiger genauerer Betrachtung ewig nimmer übersehen könnte. Dazu entwickeln sich hier noch fortwährend neue, vorher nicht dagewesene Wunder, von denen stets das neue herrlicher ist als sein vorhergehendes!
20. Nur die Menschen allein bleiben sich gleich, aber in einer so namenlosen Schönheit, daß ich mich darob in den dicksten Staub verkriechen möchte. Alles andere aber wechselt wie die symmetrischen Reflexfiguren eines auf der Erde vorhandenen Kaleidoskop.
21. Sogar die Gegenden verändern sich! Wo früher ebenes Land war, wächst auf einmal ein ungeheurer Berg; der treibt Wässer mit sich auf und weitgehende Fluren werden zu Meeren. Die Berge zerspringen, und alsbald stürzen eine Unzahl brennender Welten aus des Berges Öffnung und fliehen oder fallen dann, wie durch eine große Gewalt getrieben, in den endlosen Weltenraum hinaus. Dagegen fallen ebenso viele aus dem endlosen Raum wieder zurück und vergehen da wie einzelne Schneeflocken, so sie auf einen warmen Boden fallen.
22. Ach, ach, das sind furchtbar große Erscheinungen! Und doch wandeln diese schönsten Menschen seligst aussehend unter diesen Szenen und scheinen sich kaum viel darum zu kümmern! Sie gehen in ihren überhimmlischen Gärten herum und ergötzen sich am Anblicke der herrlichsten Blumen, die, wie ich merke, sich auch unter den Augen ihrer Beschauer verändern und in stets herrlicheren Formen sich erneuen. O Herr, laß nur da mich noch eine halbe Ewigkeit hineinschauen; denn da kann sich meiner Meinung nach nicht einmal der erhabenste Erzengel ewig je satt sehen!
23. Oh, oh, nur diese Menschen, diese Menschen! Es ist wahrlich nicht auszuhalten! Diese Fülle, diese Weichheit und Rundung, diese Weiße und diese herrlich schönste, erhabenste Anmut des Gesichtes! Nein, das ist zu himmlisch! Ich halte es nicht aus!
24. Ach, ach, da kommen einige so recht nahe zu mir her. Ich kann ihre über alle menschliche Vorstellung erhaben schönsten Gesichtszüge und den wahrhaft endlos harmonisch gebauten Leib in vollsten Zügen bewundern und anstaunen! Sie sind nun völlig da, so nahe sind sie mir, daß ich sie überleicht anreden könnte. Aber ich würde es nicht aushalten, so diese zu himmlisch-schönen Menschen mit mir zu reden anfingen! O Herr, ich würde von einem einzigen Worte aus diesem zu schönsten Munde ganz vernichtet werden!
25. O Herr, o Herr, mache, daß sie sich wieder zurückbegeben, denn ihre Anschauung macht mich völlig verschwinden! Ich komme mir vor wie einer, der nicht ist, wie einer, der in einen verzückenden Traum versunken ist! Ach, es ist namenlos!
26. Gott, du großer, allmächtiger Weltenmeister, wie ist es Dir doch möglich gewesen, in der höchst einfachen menschlichen Form, die im Grunde doch stets dieselbe ist, eine so endlose Mannigfaltigkeit und Schönheit zuwege zu bringen, und das in zahllos verschiedenen Abweichungen! Ich könnte mir wohl eine schönste Form denken, alle andern aber dann minder; da aber sind zahllose, und eine jede ist unendlich schön in ihrer Art! O Herr, das ist unbegreiflich, rein unbegreiflich!
27. Ich hatte auf der Welt immer die überdumme Vorstellung, daß auf und eigentlich in der vollkommenen himmlischen Geisterwelt alle Seligen einander so vollkommen gleich sehen wie auf der Welt die Sperlinge. Aber wie ich's nun erschaue, so ist hier erst die rechte Mannigfaltigkeit zu Hause, die auf der Welt entsetzlich stark durch das sterbliche Fleisch verdeckt war!
28. Ach, ach, das wird immer herrlicher und herrlicher! Da kommt schon wieder ein neues Paar! O Herr, o Herr, o Herr! Nein, da bleibt jetzt mein Verstand rein kleben!
29. Herr, halte mich, sonst sinke ich wie ein leerer Strumpf zusammen! – Ahahah, das ist ein weiblich Wesen! Ich erkenne es an der hohen wallenden Brust! O Du mein Jesus, ist das eine Herrlichkeit, eine so namenlose Schönheit, daß man darob gerade in den feinsten Sonnenstaub könnte aufgelöst werden!
30. Diese Zartheit der Füße, diese üppigste Fülle aller andern Leibesteile, die Glorie, die sie umgibt, dieser endlos sanfte und freundlichste Blick aus einem Augenpaare, für deren Beschreibung sicher der Erzengel Michael in die allergrößte Verlegenheit käme!
31. Kurz, ich bin nun schon ganz dumm, schrecklich dumm muß ich sein! Ich wollte noch etwas fragen – fra – fra – fragen, ja richtig fragen!? Es hole der Kuckuck die Frage! Ich bin nun ganz dumm, oh, ich bin ein Esel oder noch ein dümmeres Vieh! Ja, ja, ein Rhinozeros bin ich! Da gaffe ich hinein wie der Ochse in ein neues Tor und vergesse beinahe, daß Du, o Herr, hier bei mir bist, gegen den auch alle diese Schönheiten ein purstes Nichts sind! Denn so Du es wolltest, könntest Du sicher noch endlos größere Herrlichkeiten im Augenblicke hervorrufen!
32. Herr, ich habe mich nun zur Genüge ergötzt an diesen überhimmlischen Schönheiten! Für mich sind sie zu rein und zu schön. Laß mich daher wieder etwas ganz Ordinäres sehen, auf daß ich mich wieder finden kann und mich selbst besehen, ohne mich zu entsetzen ob meiner gräßlich häßlichen Gestalt im Vergleiche zu diesen schönsten Himmelswesen!
33. Wahrlich, da sieh einmal her – oh, ich bin ja ein heller Pavian und ein ganz entsetzlich grober Lümmel! Nein, ist aber das ein Unterschied zwischen mir und diesen Engeln der Engel! Gerade speien könnte ich, so ich mich anschaue! Es ist grauslich, grauslich, und doch bin ich nun auch schon ein Geist, der doch um etwas besser aussehen sollte als ein Fleischmensch auf der Erde! Aber wie kommt es denn, daß diese Menschen gar so unendlich schön sind, und wir als Deine Kinder sehen dagegen aus wie echte Paviane, besonders ich?“
34. Rede Ich: „Weil ihr Mein Herz seid; diese aber sind Meine Haut! Aber auch Meine Kinder sehen endlos schön aus, wenn sie vollkommen sind. Wenn sie aber noch dir gleichen in der Unvollkommenheit, dann sehen sie freilich nicht gar zu schön aus. Daher befleiße dich der Vollendung und werde vollkommen, so wird deine Gestalt schon auch ein himmlischeres Aussehen bekommen!
35. Ich aber will, daß du diese großen, reinen Schönheiten schauest, auf daß du in ihrem Lichte dich desto eher und desto leichter erkennest. Darum schaue nur noch eine Zeitlang hinein in dieses Licht und empfinde deine eigene seelische Häßlichkeit, daß sie dadurch zerbreche, mürbe werde und reif und dein Geist dann in ihr erstehe und dich zu einem neuen Geschöpfe umgestalte!
36. Denn siehe, du bist noch lange nicht wiedergeboren aus dem Geiste! Daher habe ich dich hierher in diesen Garten verpflanzt, gleich wie in ein mächtiges Treibhaus, auf daß du eher zur vollen Wiedergeburt gelangen mögest. Aber du mußt dich auch pflegen lassen wie eine edle Pflanze! Denn siehe und fasse: Disteln und Dornen zieht man nicht in den himmlischen Gärten und Treibhäusern! Betrachte nun weiter und rede; aber um weniges nur frage! Es sei!“
01. Bischof Martin wendet sein Auge wieder der Sonne zu und beschaut die großen Szenen und Wunderdinge auf ihrem leuchtenden Boden. Nach längerer Betrachtung spricht er wieder: „Da seht, noch stets dieselbe Sonne und doch ganz andere Menschen! Zwar auch sehr schön, aber ihre Schönheit ist doch wenigstens zu ertragen, denn sie haben Ähnlichkeit mit schon gesehenen auf den andern Planeten und selbst mit den Bewohnern unserer Erde.
02. Ich sehe nun überhaupt mehrere Gürtel, die sich parallel um die Sonne ziehen. Und innerhalb jedes Gürtels ersehe ich andere Menschen, die einen groß, die einen wieder etwas kleiner, wieder andere ganz klein, und – o Tausend, Tausend! – da am Ende gibt es aber Menschen, sind die aber groß! O je, auf diesen könnten die andern ja gerade als Schmarotzermenschen anstatt gewisser Tierlein ganz bequem auf dem Kopfe zwischen den Haaren herumsteigen!
03. O Herr, o Herr, vergib mir meine etwas schmutzige Bemerkung! Ich sehe ein, sie gehört nicht hierher an den Ort des Erhabensten. Aber man kann sich bei der Betrachtung dieser ungeheuren Riesenmenschen ihrer nicht erwehren! Ich habe zwar schon in einigen anderen Planeten wie im Jupiter, Saturn, Uran und Miron die Entdeckung gemacht, daß deren Bewohner größer sind als die Menschen der Erde, die ich bewohnte, manche um ein sehr bedeutendes. Aber was diese Riesen betrifft, so sind alle Bewohner der andern Planeten pure Schmarotzermenschchen gegen sie!
04. Wenn so ein Riese auf der Erde sich befände, so möchte er ja noch um ein bedeutendes die höchsten Berge überragen! Nein, nein, das ist wahrlich mehr als ungeheuer! Sage mir, Du mein allergeliebtester Herr Jesus, Du mein Gott und mein Herr, warum denn diese Menschen gar so entsetzlich groß sind? Ich sollte Dich zwar nicht fragen um vieles; aber da ich Dich bisher bei dieser jetzigen Betrachtung noch um nichts gefragt habe, so vergib mir diese erste Frage! Gib mir gnädigst eine mich erleuchtende Antwort auf diese meine erste Frage in dieser Wundersache!“
05. Rede Ich: „So höre und vernimm es wohl! Sahst du nie auf der Erde, wie da Kriegsleute verschiedenes Geschütz haben vom leichtesten bis zum schwersten Kaliber? So du nun in ein kleines Gewehr die Ladung vom schwersten Geschütze tätest, was würde dadurch dem kleinen Gewehre widerfahren? Siehe, die starke Ladung würde es in kleinste Stücke zerreißen!
06. Was geschähe mit einem Planeten, so er erfüllt wäre mit der Kraft der Sonne? – Siehe, würde die Erde nur die Dauer von einer Minute hindurch in die mächtigste Lichtflut der Sonne getaucht, so wäre sie also zerstört schon wie ein Tropfen Wasser, wenn er fiele auf ein glühendes Erz. Also muß die Sonne darum aber auch ein sehr großer und für die Größe verhältnismäßig starker Körper sein, um die in ihn gelegte Kraft in aller Fülle der Tätigkeit tragen und halten zu können!
07. Wenn du eine Federflaume auf ein Ei legtest, da wird das Ei nicht erdrückt werden, denn es hat Festigkeit in Übergenüge, zu tragen dieses Gewicht. So du aber auf das Ei ein Gewicht von 100 Pfund legen würdest, wird das Ei unter dem mächtigen Drucke des zu schweren Gewichtes gänzlich erdrückt werden!
08. Könnte wohl ein Riese den Rock eines Kindes anziehen? Sicher nicht! So er's aber dennoch täte, was würde da mit dem Rocke geschehen? Siehe, es würde der Rock in viele Stücke zerrissen werden!
09. Also hat in der ganzen Schöpfung jedes Ding sein Maß: das Kleine in seiner Art in allen seinen Verhältnissen, und das Große in seiner Art auch in allen seinen Verhältnissen.
10. Wie du aber nun siehst, daß es Welten gibt von verschiedenster Größe, zu tragen eine verhältnismäßige Kraft, ebenso gibt es auf den Welten in gleichem Maße verschieden große Geister, zu deren einstweiligen Trägern auch verschieden große Leiber erforderlich sind.
11. Nun wird aber die wahre, eigentliche Größe des Geistes freilich nicht nach seinem Umfange, sondern lediglich nach seiner Liebe und Weisheit bemessen. Aber siehe, das sind noch Urgeister, die im freien Zustande ein ganzes Sonnengebiet in wirkender Fülle erfüllten! Da sie aber auch an Meinem Reiche den seligen Anteil haben möchten, so müssen sie auch des Fleisches engen Weg wandeln! Werden sie den Leib ablegen, dann werden sie ob ihrer großen Sanftmut und Demut eben auch nur unsern Umfang haben, – aber wohl auch den frühern, so sie seiner benötigen werden!
12. Nun weißt du alles, was du zu wissen brauchst in dieser Sphäre und für diesen deinen Zustand. Schaue daher nun wieder weiter und rede, was dir auffallen wird, auf daß wir bald zu der elften Türe übergehen können! Es sei!“
13. Bischof Martin schaut nun wieder in die Lichtgefilde der Sonne und entdeckt da bald übergroße Tempel und andere Wohngebäude, auch Straßen und Brücken von der allerkühnsten Art. Bald wieder übermajestätisch hohe Berge, die sich in Hauptzügen um die ganze Sonne ziehen und diese in Gürtel abmarken, von denen jeder andere Bewohner und andere Lebensweisen hat und andere Sitten und Gebräuche. Ebenso entdeckt er nun auch, wie zu beiden Seiten des Mittel- oder Hauptgürtels zwei Gürtel miteinander zumeist in allem die größte Ähnlichkeit haben.
14. Vor allem aber gefallen ihm doch noch immer die Menschen des Mittelgürtels am allerbesten, an deren übermäßige Schönheit er sich nun schon etwas mehr gewöhnt hat. Nur dürfen sie ihm noch nicht gar zu nahe gestellt werden, besonders die Weiber und Mädchen schon gar nicht, weil sie zu schön und reizend sind. Aber selbst der männliche Teil macht ihm starke Anfechtungen, weil auch dieser Teil so überaus schön und reizend gebaut ist, daß diese Erde noch nie ein Wesen weiblicher Art von solcher Üppigkeit, Weiche, Rundung und Sanftmut getragen hat.
15. Nach längerem Umherspähen ersieht er nun ein Gebäude in der Mitte des Hauptgürtels, das an Pracht, Glanz und reichster Verzierung alles bisher Gesehene in einem so hohen Grade übertrifft, daß alles, was unser Martin bisher gesehen hatte, kaum als etwas angesehen werden kann. Um dies Gebäude wandeln Menschen von einer so großen Schönheit, daß er ob solchen Anblickes wie ohnmächtig zusammenfällt und lange kein Wort herausbringen kann.
16. Nach geraumer Weile erst fängt Bischof Martin wieder, wie ganz erschöpft, mehr zu stöhnen als zu reden an und spricht ziemlich unzusammenhängend: „Mein Gott und mein Herr! Ach, wer auf der Welt läßt sich so etwas in den Sinn kommen! Die Sonne ein leuchtender runder Körper, aber wer vermutet das auf ihrem Boden!
17. Was bist du, Erde, gegen diese endlos seligstmachende Pracht? Was sind die reißendsten Tiere von Menschen der Erde gegen diese unbeschreibbar schönsten Wesen, voll der himmlischsten Glorie, Schönheit und seligst-freundlichsten Anmut, von der sich der beste Mensch nicht den leisesten Begriff machen kann!
18. Auf der Erde sind die Menschen um so gefühlloser und oft um so teuflischer, in je prächtigeren Palästen sie wohnen, je zarter ihre Haut ist und je glänzendere Kleider sie über ihre Haut hängen können. Hier ist gerade der umgekehrte Fall! Ach, ach, so was ist ja unerhört, nie gesehen auf der Erde!
19. Hier wohnen die Weisesten in den unansehnlichsten Hütten auf den Bergen, wie ich soeben entdecke. Auf der Erde ist die Wohnung des weisest sich dünkenden Oberhirten der Christenheit gerade die größte, reichste und glänzendste auf der Erde. Und seine Kleider sind pur Seide, Gold und kostbarste Edelsteine! Hier ist es gerade umgekehrt der Fall. Ach, ach, und die Bewohner der Erde sollen Gotteskinder sein?! Ja, Kinder des Satans sind sie diesen Sonnenkindern gegenüber, können auch nichts anderes sein gegenüber diesen reinsten Himmelskindern!
20. Diesen ist nie ein Evangelium gepredigt worden. Und doch sind sie ihrer Natur nach das reinste Evangelium selbst, was sie auch offenbar sein müssen, da sich sonst diese himmlischste Ordnung in allem, was hier zum Vorscheine kommt, ewig nie denken ließe! Ja, ja, hier ersehe ich das reinste, wahrste und ewig vollkommenste, unverfälschte und richtig gedeutete Wort Gottes lebendig!
21. Sehet an die Lilien auf dem Felde: sie arbeiten nicht und ernten nichts in ihre Scheunen, und Salomo in all seiner Königspracht war nicht bekleidet wie einer der Geringsten aus ihnen! Da sehe ich zahllos viele solcher Lilien, sie haben keinen Pflug, kein Messer, keine Schere, keinen Webstuhl und keine Stickrahmen. Wo aber auf der ganzen Erde lebt ein Königssohn, eine Königstochter, die sich einer der allergeringsten dieser Himmelslilien nähern dürften?
22. O Menschen, Menschen, die ihr die Erde verfinsternd und verpestend bewohnet, was seid ihr, und was bin ich gegen diese Sonnenvölker! Herr, Herr, o Herr, wir sind nichts als die allerbarsten Teufel, und die Welt ist die Hölle selbst in optima forma! Darum stehen die Sterne auch sicher so weit von der Erde ab, daß sie von ihr nicht verpestet werden möchten!
23. O Gott, Du bist heilig und endlos erhaben! Aber in Deinem Ärger mußt Du einmal ausgespuckt haben, und daraus muß die Erde entstanden sein und ihre Geschöpfe aus Deinem einstigen Fluche, den Du einmal in die Unendlichkeit hinausgedonnert hast!
24. O Herr, vergib mir diese meine Bemerkung, aber ich kann mich ihrer beim Anblicke dieses Himmels nicht erwehren! Nun graut es mir vor der Erde und ihren Bewohnern wie vor einem giftig stinkenden Aase!
25. O Herr, sende mich in die endlosesten Räume hinaus, aber nur zur Erde sende mich ewig nimmer! Denn sie ist für mich eine Hölle aller Höllen, und ihre Bewohner sind unbekehrbare Teufel, die sich's zum Hauptgeschäfte gemacht haben, die wenigen Engel unter ihnen bis zum letzten Blutstropfen zu verfolgen.
26. O Herr, o Herr, laß doch einmal ein rechtes Gericht los über diesen alleinigen Schandfleck in Deiner ganzen unendlichen Schöpfung! Je mehr ich diese Herrlichkeiten betrachte, desto mehr drängt sich mir der Gedanke auf, daß die ganze Erde samt ihren eigentlichen Bewohnern eigentlich gar nicht Dein Werk, sondern ein Werk des Satans, des Obersten aller Teufel, ist – rund heraus gesagt, ohne Scheu und ohne Blatt vor dem Munde! Da ist nur Laster, Tod und Verderben, und davon bist Du, o Herr, ewig der Schöpfer nicht!
27. Ach, ach, wie herrlich, wie herrlich ist es hier, wo Deines Wortes ewige Ordnung herrscht! Und wie elend und qualvoll dagegen auf der Erde, die da ist ein Fluch aus Dir, weil sie in allem Deiner Ordnung gleichfort widerstrebt! O Herr, richte sie, verderbe und vernichte sie auf ewig, denn sie ist nimmer Deiner Gnade wert!“
28. Rede Ich: „Sei nur ruhig, noch siehst du das Rechte nicht, obschon du recht geredet hast. Gehe nun aber mit Mir zur elften Tür, dort wirst du so manche Verhältnisse klarer erschauen und anders urteilen! Darum folge Mir; es sei!“
01. (Der Herr:) „Siehe, wir sind nun bei der elften Tür! Siehe hinein und rede dann, was du hier alles erschaust!“
02. Bischof Martin schaut da nun eine Weile hinein und spricht dann etwas schmollend: „Was ist denn das für eine wahre Schnakerlwelt? Menschen, etwas größer als auf der Erde die Kaninchen, und die Gegenden so schön wie auf der Erde recht nette Mistbeete! Die Bäume möchten einige Spannen Höhe haben wie auf der Erde die Krummholz- und Brombeer- und Wacholdersträucher. Das Beste sind noch die Berge, die im Ernste sehr hoch und sehr steil sind. Meere sehe ich gerade keine, wohl aber Seen, der größte hätte etwa, nach irdischem Maße genommen, wohl bei 10000 Eimer Wasser! Sapprament, das ist ein Unterschied zwischen der Tür Nr. 10 und Nr. 11!
03. Ah, ah – was ist denn das für ein Springinsfeld mit einem Fuße noch dazu? Das wird doch wohl nur ein Tier und kein menschliches Wesen sein! Da entdecke ich noch eine ganze Herde von einer eigenen Art Murmeltiere! Es ist überhaupt merkwürdig! Bis jetzt habe ich noch nirgends Tiere gesehen, und hier auf dieser Schnakerlwelt gibt's auf einmal beinahe mehr Tiere als Menschen. Soll denn das im Ernst eine Tierwelt sein? – Ja, ja, siehe, da kommt noch eine starke Herde von einer Art Schafen daher! Schade, daß ich keine Ochsen und Esel erschaue, daß ich mich meinesgleichen erfreuen könnte! Vögel gibt es auch; wenn darunter nur keine gar zu lustigen sind!
04. Da, da, da! Hahaha, das ist ein wahrer Spaß! Da sind ja die Menschen ganz zusammengewachsen! Das Weibchen sitzt dem Männchen wie Buckelkraxen über den Schultern! Und da bläht sich ein Männchen wie ein Laubfrosch auf und macht mit dem gespannten Bauche einen Lärm wie auf der Erde ein türkischer Regimentstambour! Nein, das ist im Ernste sehr spaßig und in einem bedeutenden Grade lächerlich!
05. Wahrlich, Herr, so Du dieses Weltchen erschaffen hast, hat es sicher Deine Allmacht und Weisheit nicht zu sehr in Anspruch genommen, denn soweit ich jetzt dieses Welterl sehe, so ist es eigentlich gegen alles früher Gesehene mehr fade als irgend erhaben. Da muß ich der Erde wieder abbitten, was ich bei Nr. 10 zu schlecht von ihr geredet habe. Denn gegen diese Welt ist sie bis auf ihre Menschen denn doch ein wahres Paradies! – Sage, o Herr, mir doch gnädigst, wie da diese Welt heißt! Die kann doch nicht mehr in unserer Erde Sonnengebiet sich befinden?“
06. Rede Ich: „O ja, siehe, das ist der Mond der Erde. Und diese Menschen sind der Erde entnommen, so wie der ganze Mond selbst, der zwar damals der Erde schlechtester Teil war, nun aber um sehr vieles besser ist als die ganze Erde! Darum ist er nun auch eine Schule für sehr weltsüchtige Seelen geworden. Denn siehe, besser eine magere, kleine Welt mit einem fetten Geiste, als eine fette, große Welt mit einem höchst mageren Geiste!
07. Siehe, so armselig diese Menschen hier auch äußerlich aussehen, so wirst du aber noch lange zu tun haben, bis du im Geiste so fett sein wirst, als diese es lange schon sind!
08. Auf daß du es aber praktisch einsehen lernst, wie es mit der Weisheit dieser Menschen steht, so soll sich ein Paar dir nahen und sich mit dir über Verschiedenes unterreden. Siehe, da kommt schon so ein Buckelkraxenpärchen her: frage sie um Verschiedenes und sei versichert, sie werden dir keine Antwort schuldig bleiben! Es sei!“
09. Spricht Bischof Martin: „Ja richtig, da ist schon so ein Pärchen. Es nähert sich uns gleich mit seiner ganzen Welt, deren es sich förmlich wie eines Schiffes bediente. Schau, in der Nähe sieht das Pärchen ganz possierlich aus, besonders das kleine Weibchen! Aber wie ich's merke, so müssen wir für sie unsichtbar sein, weil sie so ahnungsvoll um sich blicken, als gewahrten sie im Ernste etwas, dabei aber dennoch nichts entdecken können!“
10. Rede Ich: „Du mußt ihnen näher treten und dadurch berühren ihre kleine Sphäre, dann werden sie dich schon besser ausnehmen! Die Bewohner aller Monde der Planeten haben das Eigentümliche, daß sie die Geister anderer Planeten erst dann völlig erschauen, so diese sich in ihren kleinen Sphären befinden. Der Grund dieser Erscheinung ist, weil die Monde der Planeten unterste, materiellste Stufe sind; gleichsam wie der Unflat der Tiere auch ihre unterste und materiellste Stufe ist, aber oftmals nützlicher als das Tier oder der Mensch selbst! – Tue nun, was Ich dir sagte und das Pärchen wird deiner sogleich ansichtig sein!“
11. Bischof Martin tut nun, was Ich ihn hieß. Das Pärchen ersieht Martin sogleich und bewundert seine Größe. Martin aber beginnt sogleich folgendes Gespräch mit den beiden Mondbewohnern: „Seid ihr wohl die wirklichen Bewohner dieser kleinen Welt, oder gibt es noch andere, die größer sind denn ihr und weiser vielleicht auch?“
12. Reden die beiden: „Als Menschen gibt es nur eine gerechte Menge unsersgleichen. Aber sonst gibt es noch eine Menge Geschöpfe, und auf dem entgegengesetzten Teile dieser Erde wohnen Büßer, die nicht selten zu uns herüberkommen, um von uns die innere Weisheit zu erlernen. Diese Büßer aber kommen gewöhnlich von einer andern Welt her, wahrscheinlich von der, von der du auch bist! Sie sind wohl sehr groß der Gestalt nach, aber dem Wesen nach sind sie überaus klein. Auch du siehst sehr groß aus, aber der eigentliche Mensch in dir ist noch kaum sichtbar!
13. Was tut ihr aber, ihr großen Menschen, denen viel Leben gegeben ist? Warum wahret ihr dieses Leben so wenig? Wenn die Zeit ist, Früchte auszusäen – von welcher Aussaat der Mensch sein irdisches Leben zu wahren und dasselbe ernährend zu versorgen hat –, da ist der Mensch voll Fleißes und arbeitet, wenn es ihm nur die Kräfte gestatten, wie ein Wurm in einem morschen Baume unablässig fort und läßt sich nicht beirren durch alle vorkommenden Hemmnisse. Er erduldet Hitze und große Kälte und Regen und anderes Unwetter. Seinen Leib schont er nicht und setzt nicht selten dessen an einem Haar hängendes kurzes Leben in die größte Gefahr, um eine kümmerliche Nahrung zu erbeuten. Aber für die Wahrung und Erhaltung und Vervollkommnung des eigentlichen inneren Lebens, für das eigentliche, ewige, heilige, große Ich tut er wenig oder nichts!
14. Was wohl möchtest du zu einem Gärtner sagen, der auf seinem Grunde Fruchtbäume setzte. Als sie aber Blüten trieben und schützendes Laub, da nähme er diese ersten Triebe schon für die Frucht, risse alle Blüten und Laub von den Zweigen und verzierte damit seines Hauses Flur? So ein Gärtner wäre doch sicher ein allerdümmster Narr: denn wenn sein Nachbar eine reiche Ernte hielte, müßte er vor Hunger sterben, da seine Bäume keine Frucht trügen!
15. Ist aber nicht ein jeglicher Mensch bei sich ein gleicher Narr im noch viel größeren Maße, so er ein irdisches Leben, das Blüte und Laub nur zum innern, wahren Leben ist, schon als eine Frucht genießt? Er zerstört durch solch unnatürlichen und höchst unreifen Genuß die daraus erst hervorgehen sollende eigentliche Frucht, das wahre, ewige Leben des Geistes. Was wächst denn wieder zum neuen, unvergänglichen Leben: die Blüte, das Laub, oder der innere Same der reifgewordenen Frucht? Sieh, allein nur der Same!
16. Ebenso ist es auch mit jedem Menschen der Fall: sein Leib, seine Sinne, sein äußerer Verstand, seine Vernunft – das sind Blüten und Laub. Aus diesen geht hervor eine reife Seele. Und diese gerechte, gute Reife der Seele faßt dann in sich auch einen reifen Kern. Dieser Kern ist der unsterbliche Geist, der in seiner Vollreife alles ergreift und in seine eigene Unsterblichkeit verwandelt, – gleichwie ein verwesliches Fleisch, das mit dem ätherischen Öle der Unverweslichkeit gesalbt wird, auch mit unverweslich wird.
17. Siehe, du großer Mensch, das ist unsere Weisheit! Um diese zu bewerkstelligen, befolgen wir die erkannte Ordnung des allerhöchsten Geistes Gottes, und so sind wir vollkommen, was wir sind. Du aber bekämpfe mich nun, so du es kannst; ich bin bereit, von dir alles zu ertragen!“
18. Unser Martin macht ob dieser Rede ein verdutztes, sehr langes Gesicht und kann nicht genug erstaunen über die ihm ganz enorm vorkommende Weisheit dieses Mondpärchens. Nach einer geraumen Weile erst spricht er: „Ah, ah – da hätte ich doch alles eher gesucht als so eine tiefe Weisheit bei euch Mondmenschen! Wer lehrte euch solche tiefe Weisheit? Denn aus euch selbst kann sie doch nicht entsprungen sein?
19. Es erkennen wohl die Tiere ihre Ordnung instinktmäßig und entwickeln diese ganz natürlich aus ihrer Naturordnung, die da eben ist ihr Instinkt. Auch alle Gewächse müssen das entfalten, was in sie gelegt ist. Aber Tiere und Pflanzen sind eben darum als das, was sie sind, gerichtet. Der Mensch aber als ein freies Wesen muß das alles erst durch äußere Belehrung in sich wie ein vollkommen leeres Gefäß aufnehmen. Und das Wort der Weisheit Gottes muß in sein Herz wie das Samenkorn in die Erde gelegt werden, damit er dann erst zur Erkenntnis seiner selbst und daraus zur Erkenntnis Gottes und Seiner Ordnung gelangen kann. Bekommt der Mensch durchaus keinen Unterricht, so bleibt er dümmer als jedes Tier und begriffsloser als ein Stein.
20. Da ihr unleugbar aber auch Menschen von gleichen göttlichen Rechten seid wie unsereiner, so müsset auch ihr einen Unterricht einmal, und zwar von Gott Selbst mittel- oder unmittelbar empfangen haben, ansonsten mir deine Weisheit das allergrößte Wunder wäre, das mir bis jetzt vorgekommen ist. Denn bei allen Urmenschen muß Gott der erste Lehrer gewesen sein, indem sonst alle Menschen bis auf die jüngsten Zeiten in ihrer Bildung bei weitem unter dem Tierstande sich befänden. Denn wo der A blind wäre, wer hätte da dem B Licht geben können? Und wäre auf die Art notwendig auch der B blind geblieben, von wem hätte dann der C usw. Licht bekommen sollen? Da du aber ein sehr erleuchteter Mensch bist, so sage mir gefälligst, wie das unverkennbare, wesenhafte Gotteslicht zu euch gekommen ist, und ungefähr wann!“
01. Spricht der Mondbewohner: „Freund, du redest und fragst, wie du es verstehst, und ich antworte dir nach meiner Art! Nach dir zu urteilen, muß der allerhöchste Gottesgeist euch freilich wohl von außen mit einem Prügel in der Hand unterrichtet haben. Denn für einen innern, geistigen Unterricht scheinst du bis jetzt noch viel zu stumpf zu sein, und höchstwahrscheinlich auch deines Weltkörpers gesamtes Menschengeschlecht!
02. Meinst du wohl im Ernste, der höchste, allmächtige Gottesgeist habe den Menschen als Sein vollkommenstes Geschöpf wie einen leeren Sack gestaltet, in den man zuvor erst etwas hineintun muß, wenn man etwas darinnen haben will? O siehe, da bist du in sehr großer Irre!
03. Der Mensch eines jeden Weltkörpers hat einen unendlichen Weisheitsschatz schon in sich! Dieser darf nur durch ein taugliches Mittel geweckt werden, so treibt er sofort von selbst die herrlichsten Früchte. Für ein solches Weckmittel aber sorgt schon der erhabenste Gottesgeist.
04. Hat der Mensch so ein Mittel nicht in den Wind geschlagen, sondern sogleich bei sich selbst in Anwendung gebracht, wird er aus seinem eigenen Samen zu keimen, zu wachsen und endlich zu reifen anfangen. Es bedarf da keines Unterrichtes von außen her, sondern lediglich von innen heraus.
05. Denn alles, was von außen her zum Menschen gelangt, ist und bleibt ewig ein Fremdes. Es kann dem Empfangenden keine wahre, bleibende, eigene Weisheit geben, sondern eine Weisheit nur gleich einer Schmarotzerpflanze, die dem Leben nie hilft, sondern dasselbe nur verkümmert und am Ende ganz verdirbt, weil es als ein Äußeres stets nach außen sich wendet statt nach innen, dem Wohnsitze des eigentlichen, wahren, ewigen Lebens aus Gott, dem allerhöchsten Geiste!
06. Auf diesem Wege kommen wir zu unserer Weisheit, nämlich lediglich von innen aus und nicht von außen herein! So ihr aber auch eines äußeren Unterrichtes bedürfet, da müsset ihr sehr verstockte Wesen sein und überaus sinnlich und daraus gröbst sündhaftig: also Gegner der göttlichen Ordnung und so sicher das Gegenleben in euch selbst. Da freilich muß der A wie der B und C usw. blind sein und bleiben, wenn kein äußerer Unterrichtswind ihn weckt!
07. Hier hast du die Antwort auf deine Frage auch äußerlich. Denn für eine innere scheinst du noch lange keine Fähigkeiten zu besitzen, wovon deine Frage ein sicherer Beweis ist! Magst aber darum schon weiter fragen!“
08. Das Gesicht des Bischof Martin wird nach dieser Rede des Mondbewohners noch länger, indem er nun einsieht, daß er mit seiner Weisheit neben der Weisheit des Mondbewohners nicht aufkommen kann. Er denkt nun bei sich nach, was er tun soll, um dem Mondpärchen zu beweisen, daß er als ein Erdbewohner dennoch am Ende der Weisere sei. Er denkt wohl hin und her, aber es will ihm durchaus nicht so etwas recht Gescheites einfallen.
09. Bischof Martin wendet sich daher an Mich und spricht: „Herr, laß mich doch nicht so ganz im Stiche und hilf mir, diesen überweisen Mondbewohner zu überwinden und ihm zu zeigen, daß auf Deiner Erde die Menschen geradeweg auch keine Tannenzapfen sind! Der verarbeitet mich ja auf eine Art, daß ich ihm nun auf Tausend nicht Eins antworten könnte. Und doch soll ich sein Herr sein und mit der Weile der Leiter dieser ganzen Welt!
10. Das möchte sich mit der Zeit machen, so die Bewohner aller der bisher mir vorgestellten Welten zu mir als ihrem Herrn kämen und mir zeigten, daß ich aus dieser ganzen Schöpfung der allerdümmste Kerl bin! Ich denke, um dieser Schmach vorzubeugen, wäre es nötig, ihnen gleich anfangs durch eine überwiegende Weisheit zu zeigen, daß man völlig ihr Meister ist. Dann würden sie es in der Zukunft wohl bleiben lassen, unsereinem gar so schulmeisterisch zu kommen und einen zu behandeln wie einen Abc-Schützen!“
11. Rede Ich: „Höre, du Mein lieber Martin! Meinst du denn, du werdest durch eine triftige Gegenmundwetzerei solchen echten Weisen den Mund stopfen? Oh, da bist du in einem sehr großen Irrtum! Siehe, wie es nur eine Wahrheit gibt, so gibt es auch nur eine Weisheit, die gleich einer ewigen Festung auch für alle Ewigkeit unüberwindlich dasteht! So dieser Mondbewohner dir aber mit der einzig rechten Wahrheit entgegenkam, sage, mit welcher noch größeren Weisheit wolltest du ihn dann bekämpfen?
12. Siehe, da gibt's einen ganz andern Weg, diese Geister sich gefällig, dienstfertig und liebuntertänig zu machen, als der, den du meinst. Der Weg heißt Liebe, Demut und eine große Sanftmut! Durch diese drei allerersten und allerwichtigsten Lebensstücke kommt man endlich auf den Punkt, allen diesen zahllosen Sternenbewohnern auf das allerkräftigste zu begegnen.
13. Die Liebe lehrt dich, allen diesen Wesen wohlzutun und sie so glücklich als möglich zu machen. Die Demut lehrt dich, klein zu sein und sich über niemanden – möchte er noch so unbedeutend scheinen – hochmütig zu erheben, sondern sich selbst stets als den Geringsten zu betrachten. Und die Sanftmut lehrt dich, jedermann stets gleich wohlwollend zu ertragen und aus dem innersten Herzensgrunde bemüht zu sein, jedem zu helfen, wo es ihm nottut. Und das allzeit durch jene sanftesten Mittel, durch die ja niemand im geringsten in seiner Freiheit beirrt werden kann. Werden hie und da ernstere Mittel vonnöten, so muß hinter ihnen nie etwa eine Strafsucht oder gar richterlicher Zorn stecken, sondern allzeit die allerhöchste und reinste, sich selbst nie berücksichtigende Liebe!
14. Siehe, das sind die Dinge aller himmlischen Meisterschaft! Diese müssen dir völlig eigen sein, dann wirst du mit diesen Mondbewohnern schon besser auskommen. Kehre daher noch einmal zu dem Pärchen zurück und versuche dich in dieser himmlischen Art mit ihm; vielleicht wirst du dann mit ihm leichter überorts kommen! Gehe und tue also; es sei!“
15. Bischof Martin wendet sich nun wieder an das Mondpärchen und spricht: „Höre, du mein lieber, kleingroßer Freund, ich habe nun deine sehr weisen Worte wohl erwogen und daraus ersehen mit der Gnade des Herrn, daß du wirklich in all dem, was du geredet, vollkommen recht hast. Dessenungeachtet habe ich dennoch eine neue Frage an dich, nicht aber etwa, um deine feste Weisheit tiefer prüfen zu wollen, sondern mich lediglich von dir belehren zu lassen!
16. Siehe, du hast ehedem allen äußern Unterricht für rein null und nichtig erwiesen; ich kann dir nicht sagen, daß du unrecht hast! Aber so aller äußere Unterricht, also auch alle äußere Wahrnehmung – mag sie von wo immer herrühren und durch was immer für einen Sinn in den Menschen hineingelangen – schlecht, unnütz und somit verwerflich ist, da möchte ich denn doch nun von deiner Weisheit vernehmen, wozu der große Schöpfer aller Welten, Menschen und Engel uns äußere Sinne gegeben hat? Und wozu eine nach außen hinaustönende Stimme und dazu eine sprachfähige Zunge? Wozu eigentlich alle äußere Form und alle äußere Erscheinlichkeit all der zahllosen Dinge und Wesen?! – Oder läßt sich wohl ein Wesen ohne alle Äußerlichkeit denken? Hebt etwa nicht die Wegnahme aller Äußerlichkeit ein jedes Wesen ganz auf? Denn siehe, ich wenigstens kann mir kein Wesen denken, das durchgehends gar keine Äußerlichkeit hätte! Du ersiehst hier meine gerechten Zweifel; habe daher Geduld und kläre sie mir auf!“
17. Spricht darauf der Mondbewohner: „Freund, du greifst einmal zu seicht und das andere Mal zu tief! Einmal zu wenig und einmal zu viel, das macht dir erreichen noch lang nicht dein Ziel!
18. Der große Geist hat von allem endlos viel erschaffen. Und all das viele, das sich gegenseitig nur äußerlich begegnen kann – ansonst es unmöglich ein vieles wäre –, ist sich darum gegenseitig auch ein Äußerliches. Damit aber der Mensch auch das Äußerliche fasse, sind ihm auch äußere Sinne gegeben. Verstehen aber kann er es mit diesen äußeren Sinnen nimmer, sondern lediglich mit den inneren seines Geistes.
19. So hat der Mensch äußere Sinne, um Äußeres zu fassen, und hat innere Sinne, um Inneres zu fassen. Die Weisheit aber ist ein Angehör der inneren Sinne des Geistes und nicht der äußeren des Leibes; daher muß sie auch von innen heraus und nicht von außen hinein erlernt werden.
20. Diesen inneren Unterricht aber erteilt der Seele allein der Geist, dem der große Geist Gottes alles völlig enthüllt eingehaucht hat, was da geschaffen ward und noch ewigfort geschaffen wird.
21. Die äußere Sprache aber ist nur, um das Äußere zu bemessen und es dann mit dem Innern zu vermählen. Dadurch wird eine Ehe zwischen Außen und Innen bewerkstelligt, und durch diese Ehe die volle Erkenntnis der göttlichen Ordnung. Diese Erkenntnis dann ist die eigentliche Weisheit, nach der wir allein trachten sollen, weil sie die einige innere Kraft des Geistes und sein wirkendes Leben bedingt.
22. Du wirst nun leicht ersehen, daß Gottes Geist ewig nie die Menschen durch äußere Offenbarungen unterrichtet hat, sondern allzeit lediglich von innen heraus durch den Geist. Hatte es etwa auch das Ansehen eines persönlich äußeren Unterrichts, so konnte aber dieser dennoch so lange von keiner innern Wirkung sein, bis er nicht durch die allerweckende Kraft des Gottesgeistes in den inwendigsten Geist des Menschen geführt wurde. Also ist auch alles das, was ich dir nun auch nur äußerlich erläuterte, für dich so lange von keiner Wirkung, bis du es nicht aus dir selbst vernehmen wirst!
23. So dich Gott Selbst äußerlich in aller Weisheit unterwiese, wie ich's nun getan habe, so würde dir auch dieser Gottesunterricht nichts nützen, solange Er, der große Gott, durch Seinen allerheiligsten Geist dich nicht von innen durch deinen eigenen Geist unterrichtete.
24. Dies fasse nun, so du's kannst, als eine rechte Antwort. Und bedenke, daß sie dir nicht zum Heile, sondern nur zum Gerichte dient, solange du sie nicht aus dir selbst empfangen wirst! Denn was nicht dein ist, das ist ein Gericht, solange es nicht dein ist, und macht dich nicht frei! – Willst du aber noch fragen, so frage; ich werde dir antworten!“
25. Spricht darauf der Bischof Martin: „Freund, ich sehe nun abermals, daß du bei aller deiner äußeren Geringfügigkeit ein wahrhaft grundweises Wesen bist. Ich erkenne auch, daß ich es mit dir noch lange nicht aufnehmen kann. Aber das wirst du steinfester Weiser mir dennoch zugeben, daß ich, so ich jemanden aus großer Liebe auch bloß äußerlich in Dingen der Ordnung Gottes, dessen Macht, Liebe und Weisheit unterrichte, solch ein Unterricht doch unmöglich ein Gericht sein kann für einen harmlosen, willigsten Jünger, sondern nur ein gerechter Weg zum ewigen Leben! Denn ich halte überhaupt nicht gar zu große Stücke auf die ledige Weisheit, sondern nur auf die Liebe. Denn wo diese mangelt, da ist mir alle Weisheit um einen gemeinsten Lehmbatzen feil!
26. Was sagst du zu dieser meiner Ansicht? Ich weiß es wohl, daß da ein jeder Mensch zuvor aus dem Geiste muß wiedergeboren sein, bis er ins eigentliche, freieste Reich Gottes eingehen kann. Aber um eben zu dieser Wiedergeburt zu gelangen, muß man ja doch zuvor die ersten Wege dazu durch den äußern Unterricht empfangen, weil für mich wenigstens ein innerer Unterricht – besonders bei Kindern – gar nicht denkbar ist. Und habe ich da auch nicht recht, so zeige mir, wie denn ihr Mondmenschlein eure Kinder unterrichtet!“
27. Spricht der Mondbewohner: „Was fragst du denn da weiter, so dir deine eigene Ansicht bei weitem richtiger zu sein scheint? Kurzsichtiger Mundwetzer, ist denn nicht jeder äußere Unterricht ein Gesetz, das bestimmt, wie das eine oder das andere zu fassen ist? Richtet aber nicht jedes Gesetz und jede Regel? Wann hat noch je jemanden das Gesetz freigemacht?!
28. Ihr wohl macht aus euren Kindern zuerst Gefangene und könnet sie dann nimmer frei machen. Wir aber erziehen unsere Kinder, wie da ein Töpfer bei euch verfertigt seinen Topf, den er von in- und auswendig zugleich auf seiner Drehscheibe auszuziehen beginnt, ansonsten er einen sehr einseitigen Topf erzeugen würde! Willst du demnach lernen, wie Menschen erzogen werden zur ewigen Freiheit, so gehe in die Werkstatt eines Töpfers, dort wirst du deine unverstandene Liebe erkennen! Verstehe wohl, bei einem Töpfer liegt mehr Weisheit als bis jetzt noch in dir!“
29. Nach diesem Hiebe kehrt sich Bischof Martin wieder zu Mir und sagt: „O Herr, diesem wirklich radikalen Mondwesen ist durchaus nicht beizukommen. Denn ich mag eine Sache noch so rein Deiner Lehre gemäß darstellen, so ist er mir richtig schon wieder um ganze tausend Jahre vor! Das Sonderbarste bei der Sache ist nur, daß er als ein Mondbewohner die Erde, die er doch sicher auch nicht einmal als einen Stern gesehen hat, besser zu kennen scheint als ich selbst! Er beschied mich zu einem Töpfer auf der Erde, wo ich die Weisheit und gewisserart das Geheimnis der Liebe studieren soll! Das ist ja im Ernste sehr spaßig!
30. Was wohl soll ich bei einem Töpfer? Soll ich etwa hier diese Profession ausüben? Ja, der Kerl geht so weit, daß er mir ganz trocken ins Gesicht behauptete, auch Du, o Herr, könntest mir mit Deiner mündlichen Unterweisung nicht helfen, wenn solche nicht von innen aus durch meinen eigenen Geist käme! Das ist doch offenbar eine grobe Versündigung! So es nach meinem Wunsche ginge, da ließe ich diesen Kampel schon ein wenig fühlen, was das heißt, sogar Deiner Lehre die wirkende Kraft abzusprechen!“
31. Rede Ich: „Laß das gut sein, Mein lieber Martin, denn so du dich mit diesem Mondbewohner in einen Streit einließest, da würdest du bei weitem den kürzern ziehen müssen! Er aber verdient es durchaus nicht, daß Ich ihm etwas Widerwärtiges begegnen lassen sollte, denn er ist ein überaus guter Geist. Daß er dir aber zuletzt etwas dicker gekommen ist, rührt daher, weil er in dir eine Art verborgener ehrsüchtiger Tücke erschaut hat, die diese Mondwesen am allerwenigsten leiden können! Denn bei ihnen muß das Äußere dem Innern völlig gleichen.
32. Im übrigen beachte du recht wohl, was du von diesem Weisen vernommen hast; es wird dir zu seiner Weile wohl zustatten kommen! Der Töpfer aber ist das beste Bild: aus diesem Bilde kannst du die ganze Fülle Meiner Ordnung kennenlernen! Denn siehe, Ich Selbst bin ja ebenfalls ein Töpfer und Mein Wirken ist das eines Töpfers. Denn Meine Ordnung ist gleich der Drehscheibe eines Töpfers, und Meine Werke sind gleich den Töpfen eines Töpfers! – Wie, das wird dich die Zukunft lehren!
33. Gehen wir nun aber zur 12. Tür, da wird dir manches klar werden, was dir jetzt noch dunkel ist! Es sei!“
01. (Der Herr:) „Wir sind nun bei der zwölften Tür; sie ist auch wie die früheren schon geöffnet! Tritt an die Schwelle und rede dann, was alles du hier erschaust!“
02. Bischof Martin tut, wie ihm geboten. Nach einer Weile des seltensten Staunens beginnt er erst zu reden und spricht: „O Gott, o Gott, das ist endlos, das ist ewig unermeßlich groß! Da sehe ich ja in den ungeheuersten Fernen zahllose allerglänzendste Sonnen und Welten so durcheinanderschwärmen wie auf der Erde die Ephemeriden etwa ein paar Stunden vor dem Sonnenuntergange an einem Sommertage! Wie viele Dezillionen gibt es denn ihrer? Und wie viele Ewigkeiten werden hierzu wohl erforderlich sein, um sie alle nur einigermaßen näher kennenzulernen?!
03. O Gott, o Herr, je länger ich da hineinsehe, desto mehr erschaue ich ihrer! O Herr, ist es Dir wohl möglich, diese zahlloseste Masse von Sonnen und Erden zu übersehen, zu leiten und zu erhalten? Das ist ja geradeweg erschrecklich, erschrecklich!
04. Mir gäbe schon der kleine Mond für die Ewigkeit zu tun genug! Und Du, o Herr, spielst nur mit all diesen zahllosen Dezillionen von Sonnen und Welten, ordnest und erhältst alle und sorgst für das Kleinste auf all diesen zahllosen Weltkörpern, als stünde in der ganzen Unendlichkeit gerade kein zweites mehr da! O Herr, o Herr, wie, wie, wie ist Dir das möglich?“
05. Rede Ich: „Wie Mir solches leicht möglich ist, das zu fassen vermag kein geschaffener Geist in der Fülle. Aber die Ewigkeit wird dich noch so manches lehren, was dir jetzt dunkel ist! Darum forsche darin nicht weiter. Würde Ich dir die Größe Meiner allmächtigen Liebe und Weisheit zeigen, so könntest du nicht leben, denn die Tiefen Meiner Gottheit sind für jeden geschaffenen Geist zu unergründlich!
06. Was du aber hier erschaust, ist das kleinste Sonnengebiet nur, das du auf der Erde bei heiteren Nächten oft gesehen hast. Denke aber ja nicht, daß dieses schon das einzige ist, das den endlosen, ewigen Raum erfüllt. Ich sage dir, derlei und endlos größere, reichere und wunderbarere Gebiete gibt es ohne Ende, ohne Zahl und ohne Maß! Denn Meine Schöpfungen haben nimmermehr irgendein Ende. Allenthalben wirst du die Einrichtungen für dich wunderbar verschieden finden und neue Formen allenthalben von nie geahnter Majestät und Pracht.
07. Nur die Form des Menschen allein ist die bleibende und überall gleiche. Unter diesen zahllos vielen Bewohnern der verschiedenen Welten gibt es nur Abstufungen bezüglich der Größe, Liebe, Weisheit und Schönheit. Aber allen diesen Abstufungen liegt dennoch die unveränderte Menschenform zugrunde, indem sie alle Mein Ebenmaß haben. Die Weisesten sind die schönsten, und die mit Liebe Erfüllten sind die zartesten und herrlichsten!
08. Du aber wärest jetzt noch nicht imstande, auch nur die geringste Schönheit einer menschlichen Form von den unbedeutendsten dieser von dir nun geschauten Welten zu ertragen. Daher mußt du nun dich nur mit der Beschauung dieser dir noch sehr ferne liegenden Sonnen und Welten begnügen. Wird aber dein Geist reifer, so wirst du schon auch zur näheren Beschauung all Meiner Schöpfungswunder gelangen!
09. Aber da heißt es zuvor noch in gar vielen Dingen dich selbst verleugnen, und ganz besonders in deiner dir noch stark anklebenden fleischlichen Weibersucht! Solange du dich von der nicht entschlagen wirst, so lange wird dir all diese nähere Anschauung verborgen bleiben müssen, weil du, so du nun zu all dieser für dich unbegreiflichen Schönheit zugelassen würdest, Meiner leicht vergäßest!
10. Meiner vergessen aber heißt soviel als: das Leben und dessen himmlische Freiheit verlieren und dafür das Gericht, den Tod und die Hölle anziehen, vor der ein Geist so lange nicht sicher ist, solange er nicht völlig aus Meinem Geiste wiedergeboren ist.
11. Nun kennst du diese deine Wohnung. Ich Selbst habe dich überall an die Schwelle des ewigen Lebens geführt, nun mußt du selbst wandeln, willst du wahrhaft frei werden! Ich werde dich nun wieder sichtlich verlassen, dir aber dafür einen andern Gesellschafter senden. Dieser wird dich lehren, Meinen Willen auf der weißen Tafel zu erkennen. – Denke nun über all das, was du nun gesehen und gehört, getreu nach und sei in allem nüchtern, so wirst du leicht weiterkommen! Es sei!“
01. Nach diesen Worten verlasse Ich sichtbar den Bischof Martin sehr plötzlich. An Meiner Stelle steht schon ein anderer Engelsgeist, und zwar der des uns schon bekannten Buchhändlers. Dieser hat unterdessen an der Seite Petri große Fortschritte gemacht, wozu ihm freilich die Bekanntschaft mit den geoffenbarten Schriften Swedenborgs einen großen Vorschub geleistet hatte.
02. Als Bischof Martin an Meiner Stelle den ihm wohlerkennbaren Buchhändler erblickt, verwundert er sich groß und spricht sogleich zu ihm: „Oho, oho, wieso denn!? Bist etwa gar du mein künftiger Führer? Nein, da hätte ich mir auch eher den Tod im Himmel hier eingebildet, als daß du mein Führer werden würdest! – Ah, ah, das ist denn doch ein wenig zu stark! Zuvor der Herr Selbst – und nun du? Das wird sich etwa doch so reimen, wie früher die Sonne und nachher der Hintern!
03. Hahaha, das ist ja doch rein zum Lachen! Du, ein Buchhändler, mein Führer! Hahaha, das ist denn doch ein wenig zu stark! Ein elender Buchhändler soll einem einstmaligen Bischof, einem Gottesgelehrten, den Wegweiser durch alle Himmel machen? Nein, nein, das geht auf keinen Fall! Mein Freund, gehe, wie du gekommen bist; denn dir werde ich in gar keinem Falle irgendwohin folgen!
04. Ich hätte mir nichts daraus gemacht, so der Herr mir auch den nächsten besten Gassenjungen zum Gesellschafter und Führer gesandt hätte. Aber dich, und gerade dich, der du in alle meine Lumpereien eingeweiht bist – das kann ich auf keinen Fall dulden! Entweder gehst du oder ich, was mir ziemlich einerlei ist. Ich überlasse dir recht gerne dieses Gedankenhaus, das sicher keine Beständigkeit hat, weil mir dessen ganze Einrichtung überaus verdächtig vorkommt.
05. Was dieser Saal enthält, das siehst du – wenn du überhaupt das sehen kannst, was ich sehe. Denn so weit habe ich es in dieser chimärischen Welt schon gebracht, daß da zwei Menschen nebeneinander ein und dasselbe Ding ganz anders erschauen. Wo der eine einen Esel sieht, da sieht sein Kamerad entweder einen Ochsen oder gar einen Weisen. Oder wo der eine Licht erschaut, da erschaut sein Gefährte Finsternis.
06. Daraus aber kann ein gescheiter Kerl, wie ich einer zu sein die Ehre habe, allzeit den Schluß ziehen, daß diese himmlische Welt, wie ich sie nun erkenne, eine sehr dumme und gar nichts sagende Welt ist. Sie ist ein pures traumähnliches Sinnentrugwerk, an dem nicht die leiseste Konsistenz haftet!
07. Darum werde ich auch gehn, wohin es geht! Du weiser Bücherstaubschlucker aber kannst an meiner Statt bei allen diesen zwölf Türen hinaus die höhere Astronomie studieren und dich dabei in eine schöne Merkurianerin verlieben oder gar in eine schönste Sonnenbewohnerin – vorausgesetzt, daß du mit deinen Augen auch das erschauen kannst, was ich da erschaut habe! Lebe wohl und tue, was du willst. Ich aber gehe und werde mir einen Ort suchen, der mehr Konsistenz hat als dieser astronomische Saal!“
08. Nach diesen Worten will der Bischof gehen. Aber der Buchhändler hindert ihn daran durch folgende gute Rede: „Bruder, Freund – siehe, wie läppisch und überaus närrisch du bist! Waren wir denn auf der Erde nicht stets die intimsten und vertrautesten Freunde? Wußte ich dort nicht um alle deine Stücke und Stückelchen? Wann aber habe ich dich je gegen jemanden verraten? Habe ich's dort nicht getan, um wieviel weniger werde ich es hier im Himmelreiche tun, wo der Herr dich ohnehin Millionen Male besser kennt, als ich dich je kennen werde! Was hältst du dich aber darum auf und bist voll Ärger, als hätte der Meister der Ewigkeit mich dir zu einem Führer gegeben?
09. Siehe, da bist du in einer großen Irre! Ich kam zu dir nur, dir Gesellschaft zu leisten und dir ein Diener und Knecht in allem zu sein. Wie aber einst du das wie gerade und krumm untereinander? Ich will nur von dir, der du nun an der Seite des Herrn schon sicher die größten Erfahrungen wirst gemacht haben, etwas lernen; nicht aber, daß du von mir etwas annehmen sollest. Wenn sich die Sache aber bestimmt so verhält, wie kannst du nun so auffahren bei meinem Erscheinen an deiner Seite!
10. Bleibe nur ganz ruhig in diesem deinem Besitze, der sicher konsistenter ist, als du es wähnst. Und betrachte mich für das, als was ich zu dir komme, und nicht als etwas, das du – gegen den Herrn im höchsten Grade undankbar – von mir dir selbst vorfaselst. Dann werden wir beide uns hoffentlich sehr wohl und freundlichst vertragen können!“
11. Bischof Martin ist nun ganz stumm und weiß nicht, was er darauf dem Buchhändler erwidern soll. Er geht darum zur Merkurtüre und sucht sich da zu sammeln und zu fassen.
12. Als er dort ankommt, erschaut er sogleich eine Menge Menschen beiderlei Geschlechtes als Bewohner ebendieses Planeten. Unter ihnen auch jene ihm noch wohlbekannte Schöne, die ihm schon beim ersten Besuche dieses Planeten stark in die Augen und ins Herz gefallen ist. Als er diese erschaut, vergißt er sogleich seinen Gesellschafter, den wir nun ,Borem‘ nennen wollen, und geht durch die Türe sogleich ihr entgegen.
13. Als er in ihre Sphäre tritt, da wird auch sie (die schöne Merkurianerin) seiner ansichtig und spricht zu ihm: „Ich kenne dich und liebe dich, wie dich auch wir alle lieben als unsern Gebieter. Aber dennoch entdecke ich etwas in dir, das mir und uns allen nicht gefällt, und dieses Etwas ist: fleischliche Gier in dir! Diese mußt du aus dir schaffen, ansonsten du dich mir wie uns allen nimmer nähern dürftest.
14. Solches sage ich dir aber, weil ich dich liebe. Und weil ich glaube, daß auch du mich und uns alle liebst, die wir durch dich glücklich zu werden hoffen, so du wirst, wie du sein sollst. Wirst du aber das nicht, dann freilich werden wir dir genommen und einem Würdigeren gegeben werden.
15. Laß dich darum nicht verblenden durch meine Reize und wandle der Ordnung jenes allerhöchsten Geistes Gottes gemäß, dessen ewige Weisheit dich und mich so schön gestaltet hat.
16. Siehe, auch du bist für mich unbegreiflich schön. Es leuchtet aus dir eine wahre Majestät des allerhöchsten Gottgeistes. Aber dennoch muß ich mich bezähmen und muß dich fliehen, sobald ich merke, daß mein Abbild in dir zu erglühen anfängt.
17. Tue desgleichen, solange du nicht die volle göttliche Festigkeit hast. Wirst du aber diese haben, dann wirst du mich und uns alle haben können in der Fülle aller göttlich-himmlischen Lust.
18. Überhaupt aber merke dir: Was du hier haben möchtest, das fliehe, so wirst du es erhalten. So du es aber fliehest, da fliehe es aus Liebe und nicht aus Abscheu. Darum fliehe auch ich dich, weil ich dich übermäßig liebe.
19. Geh und tue also, und du sollst dafür in dieser für dich hoch aufwallenden Brust einen ewigen süßesten Dank finden: ach, einen Dank, dessen Süße dir jetzt noch völlig fremd ist!“
20. Nach diesen Worten tritt die schöne Merkurianerin zurück und entfaltet so erst recht sichtlich ihre rein himmlische Anmut und Schönheit, die unsern Bischof Martin ganz zusammensinken macht.
21. Lange hockt er da am Boden, ganz stumm und beinahe auch ganz gedankenlos. Er erhebt sich erst wieder, als Borem zu ihm kommt, ihm auf die Achsel klopft und spricht:
22. (Borem:) „Aber, Bruder Martin, was ist dir denn widerfahren? Hat dich etwa gar jene holde Merkurianerin so sehr verzaubert, daß du darum ganz schwach und förmlich ohnmächtig bist? Oder ist dir sonst was zugestoßen?“
23. Spricht Bischof Martin ganz ärgerlich: „Eh – hol dich, wer dich will! Hab' ich dich denn gerufen? Was kommst du denn, so du mein Knecht bist und ich dein Herr, wenn ich dich nicht rufe! Für künftig merke dir das und komme erst, wenn du gerufen wirst; sonst kannst du gehen, von wannen du gekommen bist!“
24. Spricht wieder Borem: „Höre, Freund, so darfst du mit mir nicht handeln! Sonst könnte es sehr leicht geschehen, daß der Herr, der mit dir eine namenlose Geduld hat, dir noch zeigen würde, wie dem Seine Schärfe schmeckt, der Seine Milde, wie du nun, gerade mit Füßen zu treten anfängt! Erhebe dich darum und folge mir im Namen des Herrn und auch im Namen dieser himmlischen Jungfrau, die dir soeben eine sehr weise Lehre gegeben hat, sonst dürfte es dich bald sehr zu gereuen anfangen!
25. Bedenke, welche namenlosesten Gnaden dir der Herr seit deiner letzten Weltstunde hat angedeihen lassen, welche weisesten Lehren du von allen Seiten schon erlangt hast! Wie wenig haben sie in dir noch irgendeine himmlische Frucht bewirkt; darum werde endlich einmal ein anderes Wesen! Sonst, wie gesagt, sollst du empfinden, wie da schmeckt die Schärfe des Herrn dem Hartnäckigen, der Seine Milde mit Füßen zu treten anfängt! Denn wisse, der Herr läßt mit Sich eben gar zu lange nicht spaßen! Darum erhebe dich und folge mir in den Saal zurück!“
26. Bischof Martin richtet sich nun auf und spricht voll Ärger: „Aha, aha, nun kommt es schon heraus, was für ein Gesellschafter und Knecht du mir bist! Bedanke mich für so einen Gesellschafter, für solch einen Knecht! Du bist mir ja nur zu einem Zuchtmeister gegeben worden – und dafür bedanke ich mich! Bleibe du daher hier und tue, was du willst; ich aber werde auch gehen und sehen, ob ich ohne deine Einsprache nicht auch Gutes zu tun vermag!
27. Das ist ja doch überärgerlich: Ich, ein Bischof, also ein Apostel Jesu Christi, soll mich von einem lausigen Lumpen von einem Buchmakler hofmeistern und führen lassen!? Nein, das ist zu arg! Gehe mir aus den Augen, sonst zwingst du mich, daß ich mich an dir vergreife! Ich habe dich zwar leider aus den Flammen gerettet und war dir gut; aber nun reut es mich gewaltig, daß ich dir je etwas Gutes erwies! Kurz und gut, du bist mir nun ein Dorn in meinen Augen, da du nun schon besser bist als ich und bist mir darum zu einem Hof- und Zuchtmeister gegeben!
28. Man hört hier nichts als von himmlischer Freiheit! Das ist mir eine schöne Freiheit, wo man nicht einmal zur Türe seines Hauses hinausblicken darf, ohne einen Zuchtmeister an der Seite zu haben! Geh und schau, daß dir diese himmlische Freiheit nicht gestohlen wird! Drohen auch noch dazu! Das geht ja vortrefflich, charmant, charmant! Also kann man auch noch im Himmel gezüchtigt werden! Nicht übel, nicht übel, das macht sich!
29. Hast schon etwa gar so einen himmlischen Zuchtprügel unter deiner himmlischen Toga bei dir versteckt, um im nächsten Augenblicke auf mich loszudreschen? Kannst ja dein Glück versuchen! Wirst wohl sehen, wieviel sich in einen Bischof hinein- oder herausdreschen läßt!
30. Meinst du Esel von einem Himmelsbewohner denn, ich fürchte mich vor irgendeiner Strafe? Versuche es nur einmal, und du wirst dich gleich überzeugen, welch einen geringen Respekt sie mir einflößen wird! Will der Herr mich aber durch Strafe besser machen als ich bin, so soll Er tun, wie es Ihm beliebt. Ich aber werde auch sein, wie ich werde wollen, solange ich wollen kann, was ich will! Ich kenne wohl, was das heißt, dem Herrn Trotz bieten, und kenne Seine Macht. Aber ich kann auch die Größe eines solchen Geistes nicht genug anstaunen, der den Mut hat, dem Herrn Trotz zu bieten!“
31. Spricht Borem: „Freund, ich kam im Auftrage des Herrn zu dir, so sanft wie ein Lamm. Ich habe dir nie im geringsten etwas zuleide getan, weder in der Welt und noch viel weniger hier. Aber du empfingst mich gleich auf eine Weise, wie auf der Welt kein Herrscher den geringsten seiner Sklaven! Sage, ist das weise oder liebreich, wie es im Himmel sein soll? So der Herr aber für gut fand, mich zu dir zu bescheiden – bist du denn nun besser und weiser als der Herr, der allein mich zu dir befohlen hat?!
32. Siehe, der Herr sieht deine fleischliche Gier in dir und hinter dieser großen Hochmut gegen jedermann, der dir in deiner ekelhaften Brunst begegnen möchte! Daher hat Er mich zu dir gesandt, daß dein Hochmut endlich einmal herauskäme und mit ihm deine stets steigende fleischliche Weibergier. Du aber empfängst mich wie ein barster Höllenbewohner und scheinst dich wenig zu kümmern um den Herrn, der dich so überselig machen will! Wahrlich, so du dabei beharren wirst, so wirst du für solche Güte des Herrn bald desto mehr Gericht empfangen, je hartnäckiger du Ihm entgegentreten wirst!
33. Ich aber verlasse dich nun, da ich sehe, daß du mich hassest, ohne daß ich dir dazu den geringsten Anlaß gegeben habe. Der Herr aber tue dir nach Seiner Liebe, Erbarmung und Gerechtigkeit!“
34. Als Borem gehen will, ergreift ihn Bischof Martin freundlich und bittet ihn, zu bleiben, da er sich mit ihm wieder aussöhnen möchte und dann reden mit ihm über große Dinge; und Borem bleibt nach dem Wunsche des Martin.
35. Borem harrt eine Weile auf eine weitere Äußerung des Bischofs. Aber dieser studiert aus allen seinen Lebenswinkeln zusammen, wie er nun dem Borem ganz unwiderlegbar begegnen und ihn dann für sich gewinnen könnte; und das wegen besagter Schlichtung großer Dinge, deren er dem Borem früher erwähnt hat.
36. Borem aber durchschaut ihn und fängt folgendermaßen mit ihm das Wort zu führen an: „Freund Martin, ich sage dir im Namen des Herrn Jesu Christi, der da ist der einige Herr Himmels und aller andern Schöpfung in der ganzen Unendlichkeit, mache dir keine vergebliche Mühe; denn siehe, ich durchschaue dich haarklein!
37. So wie du dir's jetzt zusammendenkst, so denken alle rein höllischen Geister, die wir allesamt ,Teufel‘ nennen! Wahrlich, mit derlei großen Dingen – die aber bei mir ganz ungeheuer scheußlich klein sind – komme mir ja nicht, sonst könnte dir dein Plan sehr übel zustatten kommen!
38. Sage mir, auf wie lange hast du dir denn vorgenommen, dem Herrn zu widerstreben in deinem Herzen? Sage mir das ganz unverhohlen, damit ich mich danach richten kann! Denn glaube mir: So sehr ewig von Bestand auch das alles ist, was du hier siehst, so kannst du dennoch dich plötzlich auf einem Orte befinden, der dir eben nicht so angenehm wie dieser hier vorkommen dürfte. Denn ich habe vom Herrn den bestimmten Auftrag, mit dir von nun an keine Schonung mehr zu haben, da in dir das Feuer der Unzucht und der Herrschsucht aufgetaucht ist!
39. Rede nun aus dir frei heraus ohne Hinterhalt, was du tun willst! Rede aber die volle Wahrheit! Denn ich sage dir im Namen des Herrn: Jeder lügenhafte Gedanke wird in dir von mir schnell erkannt und mit meiner Entfernung von dir bestraft werden, und zwar durch die plötzliche Wegnahme all dessen, was du jetzt noch dein nennen darfst! Bedenke dies und rede dann wahr, was du nun tun willst; willst du mir folgen oder nicht folgen?“
01. Bischof Martin fängt auf diese sehr kräftige Rede sich stark hinter den Ohren zu kratzen an und spricht endlich wie für sich halblaut: „Da haben wir's, ich hab es ja gewußt, daß man sich auch hier im Himmel auf niemanden verlassen kann und darf! Der Herr hat mir hier schon gewisserart alle Schätze der Himmel aufgetan, und der führt nun eine Sprache mit mir, als sollte ich etwa schon im nächsten Augenblicke in der Hölle, Gott steh uns bei, stecken! Hübsche Vergeltung! Ich habe ihn sicher vor so ein bißchen höllischem Feuer gerettet. Dafür wird er nun bemüht sein, mich in diesen schönen Ort zu befördern. Ja, über eine solche Freundschaft steht wohl ewig nichts auf!
02. (Etwas lauter zu Borem:) Mein lieber Freund, so schön nach und nach ziehst du ganz behutsam die Larve von deinem Gesicht und zeigst in klarerem Lichte, als was du zu mir gesandt wurdest. Recht, recht so, tue du nur nach deinem Auftrage, und ich werde den befolgen, den mir meine Vernunft auferlegt!
03. Es ist wahr, ich hatte einen dummen und vielleicht auch wohl bösen Plan. Denn ich wollte im Ernste dem Herrn einen kleinen Trotz bieten, – aber bloß, um mich zu überzeugen, was da in einem solchen Falle mir begegnen würde. Aber du hast mich wirklich musterhaft durchschaut und bist mir schärfstens in den Weg getreten.
04. Aber daß du mich darum schon für einen Teu- (Gottstehunsbei) hältst und ganz reif für die Hölle, davon hat der Herr, der doch offenbar mehr sein wird als du, mir nichts gemeldet. Ich aber halte mich an den Herrn und nicht an dich! Daher werde ich auch tun, was der Herr mir befehlen wird: ich werde dich nur an der weißen Tafel hören, von der mir der Herr angedeutet hat, daß du mich ihren Gebrauch lehren wirst. In allen anderen Dingen aber werde ich dich hören, so ich es wollen werde, so wie bis jetzt.
05. Mit deinen Drohungen aber bleibe nur hübsch fein zu Hause. Denn mit ihnen wirst du bei mir sehr wenig ausrichten, da ich mich vor gar nichts fürchte! Das kannst du daraus entnehmen, daß ich auch vor dem Herrn Selbst mir kein Blatt vor den Mund nehme und rede, wie ich fühle und wie mir die Zunge gewachsen ist. Ich aber gehe nun wieder in den Saal zurück. – Das kannst du auch tun, so du es willst; wenn nicht, so tue, was du willst!“
06. Nach diesen Worten erhebt sich Bischof Martin völlig und begibt sich schnell in den Saal. Borem folgt ihm ganz freundlich.
07. Als beide im Saale sich befinden, bemerkt Bischof Martin sogleich, daß die runde Tafel klein angeschrieben ist. Er geht eilends hinzu und versucht zu lesen, was dort geschrieben steht. Aber er vermag es nicht; denn er kennt diese Schrift nicht, die da aussieht wie Hieroglyphen. Darum fängt er sich von neuem an zu ärgern und spricht:
08. (Bischof Martin:) „Können denn die Himmelsschreiber nicht auch eine solche Schrift schreiben, die unsereiner selbst lesen könnte, ohne darum einen Dolmetscher kommen lassen zu müssen? Denn jemandem in einer unbekannten Schrift schreiben, heißt geradesoviel, als mit einem Deutschen chinesisch reden zu wollen! Wozu das etwa gut sein wird oder kann?“
09. Fällt ihm Borem ins Wort: „Freund, gerade dazu, wozu bei euch auf der Welt der ausschließliche dogmatisch-lateinische Ritus gut ist! Denn da versteht auch niemand etwas, außer er ist dieser heidnischen Zunge mächtig. Damit auf der Erde aber ja niemand verstehen solle, was da in dem sogenannten gottesdienstlichen lateinischen Ritus vorkommt, so er auch der lateinischen Zunge mächtig wäre, muß während der Messe mit Orgeln, Pauken und Posaunen ein unbändiger Lärm geschlagen werden. Dies, damit ja niemand etwas vernehme, was da alles gebetet oder geplärrt wird. Ansonsten aber diese Messe still gemurmelt wird, damit davon auch niemand etwas verstehe! Sage, ist das nicht auch unsinnig – und ist doch bischöflich!?
10. Wie magst du dich nun als ein solchen Unsinn gewöhnter Mann darüber ärgern, so du auf den ersten Augenblick diese Schrift nicht lesen kannst? Siehe nur deutlicher und genauer auf die Tafel! Vielleicht entdeckst du darauf auch einige lateinische Brocken, mit den zwölf Himmelszeichen mystisch untermengt! Siehe, oben im Anfang lese ich wenigstens recht deutlich: ,Dies illa, dies irae!‘“
11. Bischof Martin beschaut die Tafel nun genauer, erschaut dasselbe und fragt, was das bedeute.
12. Borem aber spricht: „Bist doch ein Lateiner; wirst dir's wohl übersetzen können! Lies nur weiter, es stehen schon noch mehr solcher Brocken da oben! Wenn du fertig bist, dann komme und frage!“
13. Bischof Martin heftet nun sein Gesicht intensiver auf die Tafel und ersieht die Worte: ,Requiescant in pace, et lux perpetua luceat eis!‘, und wieder weiter: ,Requiem aeternam dona eis, domine!‘ und wieder weiter: ,Memento, homo, quia pulvis es et in pulverem reverteris‘ und noch eine Menge dergleichen höchst unsinniger Brocken mehr. Nachdem er alle durchgelesen, wendet er sich an den Borem wieder und fragt ihn sichtlich aufgeregt:
14. (Bischof Martin:) „Nun, was soll's da mit diesem Zeug? Was bedeutet das? Warum steht es hier? Soll das etwa gar eine Art Stichelei auf meine irdische Würde sein, die ich getragen habe?“
15. Spricht Borem: „O nein, Freund, das nicht im geringsten! Das alles steht bloß darum da, um dir zu zeigen, wieviel Narrheit noch in dir steckt. Deshalb stehst du auch noch in deiner bald nach deinem Tode mit dem Bischofspallium vertauschten Bauernkleidung da, von der dir aber die Oberjacke mangelt, weil du sie freiwillig mir gespendet hast, da ich nackt im Hause des Herrn mich befand. Du weißt, bei welcher Gelegenheit! Damit dir aber auch diese nicht fehle, kannst du sie wieder zurücknehmen. Siehe, dort unter der Tafel liegt sie wohlgereinigt und ordnungsmäßig zusammengelegt. Nimm sie und ziehe sie wieder an, auf daß es dir leichter wird, die Fülle deiner Torheiten einzusehen!
16. Hat der Herr dir auch die endlose Gnade erwiesen und dir das Gift der Bosheit genommen, so blieb dir aber noch die große Torheit. Wenn sie von dir recht genährt wird, kann sie in die barste Bosheit übergehen und dich stürzen in ein gräßliches Gericht. Denn wisse: Solange du im Geiste nicht völlig wiedergeboren bist, bist du vor der Hölle nicht im geringsten sicher! Damit du aber solcher Kalamität entgehen möchtest, soll dir hier alle deine große Torheit gezeigt werden, an der du noch überstark hängst und von der der Herr Selbst dich nicht befreien möchte, ohne dich zu richten.“
17. Spricht der Bischof Martin etwas nachdenklich: „Nun, wenn so, da ziehe ich pro primo meine Jacke wieder an, damit ich nicht aussehe wie ein Hausknecht, sondern wenigstens so gut und ehrlich wie ein Bauer. Und pro secundo zeige, du nun schon überweiser himmlischer Buchhändler, meine vermeintlichen Torheiten, die ich von der Schrift dieser Tafel erkennen soll. Aber ich kann sie darum wahrlich nicht erkennen, weil alle diese Sätze sicher für jedermann ernst und zugleich sehr weise sind, indem sie alle von so erhaben weisen Kirchenvätern herrühren, daß wir beide deren Schuhriemen aufzulösen noch lange nicht wert sind – und wahrscheinlich auch ewig nie sein werden!“
18. Spricht Borem: „Nun gut, so höre! Wo und was ist denn der Tag des Zornes, des Gerichts? Wer wird da zürnen und wer richten? Meinst du, Gott ist ein Gott des Zornes und ein Gott des Gerichtes? O nein! Siehe, Gott ist die reinste und höchste Liebe Selbst, der von Sich Selbst aussagte: ,Ich komme nicht, zu richten die Weit, sondern selig zu machen jeden, der an Mich glaubt, und der Mich liebt!‘
19. Wohl spricht der Herr von einer Erweckung am jüngsten Tage, der jedoch bei jedem gleich nach seines Leibes Tode anfängt. Aber von einem Gerichte spricht Er nur also: ,Jeder aber hat in sich schon, das ihn richten wird, nämlich Mein Wort!‘ Wenn aber so das Wort des Herrn lautet, wo ist dann dein ominöser Dies irae, dies illa? Das hieße offenbar besser: ,O Tag meiner nackten Torheit und meiner grellen Bosheit!‘“
20. Spricht Bischof Martin: „So du diese Texte so gut in Anwendung bringen kannst und es nach deiner Meinung kein letztes allgemeines Gericht gibt: wie verstehst du hernach jene Texte, die eben, aus des Herrn Munde gehend, von der erschrecklichen Wiederkunft des Herrn als unerbittlichsten Richter die allerunzweideutigste Kunde geben? Wo der Herr die Vorzeichen schon an und für sich als überfürchterlich bezeichnet, als da sind große Trübsal, Teuerung, Hungersnot, Kriege, Volksaufstände, Erdbeben, Erscheinen des Zeichens des Menschensohnes am Firmamente, das Aufsteigen und Fallen des Antichrist, die Verfinsterung der Sonne und des Mondes und das Herabfallen aller Sterne vom Himmel. Und wo Er endlich die allerschrecklichste Vorbereitung zum jüngsten Gerichte und am Ende das erschrecklichste Gericht selbst beschreibt: wie die fluchwürdigsten Ketzer, Hurer und Ehebrecher zu allen – Gottstehunsbei werden fahren müssen unter Begleitung von Milliarden Blitzen, die aus dem Munde der Auserwählten und Engel Gottes als ein gerechter Fluch über all die zahllosen, gleich dir verdammlichsten Ketzer ausgehen werden?
21. Sage mir nun, du übermütig weiser Buchhändler, wie erklärst du dieses? Bin ich da auch dumm, töricht und boshaft noch obendarauf, wenn ich diesen Worten Gottes glaube?“
22. Spricht Borem: „Heuchler, wie lange wohl ist es, daß du Christus halbwegs für Gott hältst – bei der leisesten Versuchung aber wieder abfällst wie ein dürres Laub vom Baume! Ich sage dir, hättest du dein ganzes Erdenleben hindurch diesen Worten Christi auch nur den geringsten materiellen Glauben bezeigt, so stündest du hier schon lange in einem andern Gewande. Aber da du weder den äußern Buchstabensinn des Evangeliums und noch viel weniger den innern, geistigen Sinn gläubig und darnach tätig angenommen hast, so stehst du noch da als einer, der beim Anblick all dieser endlosen Wunder Gottes und beim Anhören von tausend weisesten Lehren aus dem Munde Gottes Selbst der alte, unverbesserliche Stock bleibt!
23. Wer kennt sich denn aus bei dir, und wer kann und mag dich leiten? Denn so du einmal einen Glauben und irgendeine Demut zeigst, da bist du schon im nächsten Augenblicke ein Wesen, an dem statt des Glaubens höchstens eine gleisnerische Heuchelei und statt der Demut und Liebe der allerbarste Hochmut und Haß nur zu grell ersichtlich wird!
24. Meinst du wohl, meine weiseste Lehre wird dir etwas nützen? O, ich kenne dich! Was hat dir des kleinen Mondweisen wirklich weiseste Lehre genützt? Siehe, du wurdest darob sogar in der sichtbaren Gegenwart des Herrn nur stets erboster, je weiser dir der Mondpriester Piramah entgegenkam. Gebe ich dir nun auch die gründlichste Belehrung auf deine deinen Stolz nährende Frage, so wirst du darob nicht besser, sondern nur erboster und schlechter.
25. Darum sollst du von mir so lange keine Lehre und Weisung mehr bekommen, solange du so verbleiben wirst wie du jetzt bist! Damit ich dir aber von nun an keine Gelegenheit zum Ärger mehr gebe, so verlasse ich dich nun im Auftrage des Herrn. Du kannst von nun an frei machen, was du willst. Nur bedenke, daß dir von hier aus beide Wege, zum Himmel wie auch zur Hölle gleich offen stehen nebst der damit verbundenen Erklärung, was im Evangelium tatsächlich gesagt ist über die Erscheinungen der letzten Zeit!“
26. Nach diesen Worten verschwindet Borem und Bischof Martin ist nun ganz allein, sich selbst vollkommen überlassen. Nun erst kommt es darauf an, was er tun wird, und wie er alle die weisen Lehren bei und in sich behandeln wird.
27. Bischof Martin ruft zwar nun ganz gewaltig nach Borem, aber dieser meldet sich nimmer. Er ruft auch nach dem Herrn und nach Petrus; aber auch von diesen meldet sich nirgends etwas. Er läuft nun wieder zur Merkurtüre und sieht diesen Planeten wohl, jedoch in einer großen Ferne. Er geht zur Tür, durch die er früher bei Nr. 1 die schöne Lämmerherde erschaut hatte, ersieht durch diese Türe aber nichts als jene ziemlich öde Wiese, auf der er diese schönste Herde zum erstenmal erschaut hatte, versehen mit dem Verzeichnisse ihrer Namen.
28. Darauf läuft er auch alle andern Türen ab und ersieht wohl die Sonne, die andern Planeten und den Mond, alles das aber in großen Entfernungen wie naturmäßig von der Erde. Nur der Saal allein steht noch in seiner vorigen Gestalt da, in dessen Mitte die schon oft berührte Tafel und neben ihr der astronomische Mechanismus.
29. Aber diese Gegenstände gefallen unserm Bischof Martin nicht. Daher begibt er sich nun zur Ausgangstür und will in das Haus des Herrn eilen, doch auch dieses ist unsichtbar geworden! Da er auch dieses nicht mehr erschaut und der kleine Garten um sein Haus sehr öde aussieht und ihn zu keinem anmutigen Spaziergange einlädt, begibt er sich ganz verzweifelt wieder in sein Haus, wo er alles gleich und unverändert antrifft.
30. Da steht er eine Weile wie eine Säule vor der weißen Tafel, die auf einer Seite leer und auf der andern Seite noch mit den eben angeführten lateinischen Versen angeschrieben ist. Als ihm da die Zeit zu langweilig wird, bewegt er sich einige Schritte vorwärts gegen den astronomischen Mechanismus und fängt wieder die Erde zu betrachten an. Aber zu reden getraut er sich nicht, weil er jetzt zu merken anfängt, daß es mit ihm ganz sonderlich zu stehen beginnt.
01. Nach einer Welle von irdischen zwölf Stunden, nachdem er den geistig kunstvollen Erdglobus ganz durchmustert hatte und niemand mehr zu ihm kam, begann er wieder folgendes Gespräch mit sich zu führen:
02. (Bischof Martin:) „So, so – da hätte ich nun wieder einmal die Erde beschaut und muß sagen, da geht es schändlich zu! Nein, diese Betrügereien, diese Falschheiten, diese Bosheiten, diese schändlichste Politik und diese namenlosen Grausamkeiten, die da in allen Zonen verübt werden! Das ist wahrlich sogar alle englischen Begriffe übersteigend!
03. Nein, man muß einen barsten Ekel vor allem Leben bekommen, so man auf der Erde diese schändlichsten Ausartungen so recht ins Auge faßt! Inmitten der schreiend größten Wunder Gottes haben so viele Millionen Menschen nahezu keinen Begriff von Ihm und handeln auf eine so eigentümlich herrschsüchtige Art, als wollten sie im Ernste ewig leben auf einer Welt, der doch Milliarden Siegel des Todes von allen Seiten her aufgedrückt sind. Wahrlich, das ist doch sonderbar, sonderbar! Ich bin wohl auch noch ein ziemliches Stück Vieh; aber was zu toll ist, das ist zu toll!
04. Meine römischen Genossen halten wohl Konklave und Konzilium. Aber der Grund davon ist nicht der Herr und der Geist der Lehre des Evangeliums, sondern lediglich die allerstinkendste Herrschgier, die da verborgen beratet, durch welch schändlichste Mittel sie am ehesten zu ihrem Zwecke gelangen könnte!
05. Desgleichen trachten auch die Evangelischen, durch die Macht der reinen Vernunft bald über die ganze Erde zu siegen und ihr dann neue Gesetze vorzuschreiben, die auch mehr zum Besten der Gesetzgeber als zum Besten der Gesetzempfangenden gerichtet sind.
06. Die hohe bischöfliche Kirche Englands bemüht sich auch auf das kräftigste, die Lehre vom Geben durch allerlei schändliche Mittel unter ihre Gemeinde auszubreiten. Aber sie selbst gibt keiner toten Katze auch nur ein Loch zum nötigsten Einscharren!
07. Kurz und gut, auf der Erde geht es wirklich schon so zu, daß es offenbar in der Hölle nimmer ärger zugehen kann. Weg daher mit dir, du schändliche Welt! Wer vorher nicht schlecht war, der muß ja schon schlecht werden, so er dich nur ansieht – geschweige erst, so er auf deinem Boden bei fünfzig Jahre selbst das Amt eines römischen Bischofs ausgeübt hat!
08. Ich bin auch wirklich ein sehr schlechtes Luder von einem Geiste hier in diesem Pseudohimmelreiche; aber, was kann ich da tun? Vielleicht wird sich meine Bosheit doch etwa in 2000 wirklichen Jahren legen, so alles Irdische aus mir verraucht sein wird? O ich Vieh, ich Vieh!“
09. Nach diesem Selbstgespräche wird der Bischof Martin wieder still und überlegt bei sich, was er nun tun solle; aber es fällt ihm nichts so recht Gescheites ein.
10. Nach längerem Simulieren fällt ihm endlich ein, daß er die schönen Galerien dieses seines Hauses noch nicht durchsucht und besichtigt habe. Er fängt daher den Aufgang zu suchen an, um auf diese zu gelangen. Aber dieser ist verborgen, so daß er ihn nicht finden kann. Er begibt sich darum hinaus und sucht außerhalb seines Hauses den Aufgang. Auch da aber ist nirgends eine Spur von irgendeinem Aufgange in die Galerien!
11. Es kommt ihm überhaupt sehr komisch und unbegreiflich vor, daß sein Haus von innen eine so übergroße Halle darstellt, während es von außen nicht viel größer und ansehnlicher aussehe als auf der Erde irgendein Eremitenhäuschen. Auch wundert es ihn nicht wenig, daß er außerhalb dieses seines Gartenhauses keine Spur von den zwölf inneren Seitengemächern entdeckt, während diese im Innern des Hauses doch eine so wunderbare Rolle spielten.
12. Da er sich aber eine Zeitlang außerhalb seines Hauses aufhält und nichts von all dem findet, was er so gerne finden möchte, geht er darauf etwas verdrossen in seinem kleinen Garten eine Zeitlang umher und findet einige unansehnliche Beeren, die er alsbald abbrockt und verzehrt, da es ihn ein wenig zu hungern beginnt. Aber diese Kost schmeckt ihm gerade nicht am besten, daher er davon eben nicht zu viel genießt. Er sucht zwar noch eine kleine Zeit herum. Da er aber nichts findet, geht er wieder in sein Haus und gibt da auch auf, die Galerien dieses seines Hauses fernerhin besteigen zu wollen.
13. Im Hause geht er wieder an die weiße Tafel und beschaut sie von vorne und von rückwärts, findet aber noch keine Veränderungen an ihr: auf der Vorderseite ist sie noch leer, und auf der Rückseite gegen den astronomischen Mechanismus stehen noch die früheren lateinischen Verse darauf, also für unsern Bischof Martin nichts Interessantes. Er begibt sich daher wieder zu einer Tür, und zwar zu jener der Sonne. Er öffnet sie und schaut durch diese die sehr ferne stehende Sonne und ergötzt sich wenigstens an ihrem Lichte, da er sonst nichts entdecken kann.
14. Nachdem er ungefähr ein paar Stunden lang, nach der Rechnung seines Gefühls, da hinausschaut, fängt er nun wieder mit sich folgendes Gespräch an:
15. (Bischof Martin:) „Die Erde ist wohl im ganzen genommen ein Narrenhaus, aber so dumm ist sie denn doch nicht wie diese angebliche himmlische Welt. Denn was auf der ist, das ist es und bleibt es auch, oder kommt wenigstens als Gleiches wieder zum Vorschein.
16. Die Sterne am Firmament sind stets dieselben – ein Haus bleibt sich so lange gleich, bis man es abgerissen und ein anderes an seine Stelle gesetzt hat. Hier aber ist alles wie ein dummer Traum nur! Man hat es einmal gesehen. Kehrt man sich jedoch dann um und möchte es wiedersehen, etwa von einer andern Seite, dann ist keine Spur mehr da von alledem, was man früher gesehen hatte von einer Seite.
17. Man nehme jetzt nur diese Tür, durch die ich nun in eine viele Millionen Meilen weite Entfernung hinausschaue! Wo ist sie, so ich außerhalb des Hauses sie suche? Keine Spur ist von ihr irgend anzutreffen!
18. Hier ist gleich außerhalb der Türstöcke ein unermeßlicher, dunkelblauer leerer Raum bestimmt erschaulich, in dessen tiefster Tiefe die liebe Sonne in der Größe eines kleinen Tellers prangt. Kommt man aber auf diese Stelle außerhalb dieses Hauses, so sieht man weder von einer Tür und noch weniger von einer Sonne etwas. Wie ist denn das? Was ist das?
19. Wahrlich, wer sich da auskennt, der muß offenbar mehr als bloß das Einmaleins verstehen. Oder er muß notwendig noch ein größerer Esel sein als ich, der ich doch wenigstens noch einzusehen scheine, daß das alles bloß nur leerer Sinnentrug ist. So würden auch alle Gelehrten der Erde sicher die Hände über dem Kopfe zusammenschlagen, würde man ihnen sagen, daß man hier in Häusern wohnt, die von außen bei weitem kleiner sind als von innen.
20. Oh, das sind Sachen, wer da nicht ein Narr wird, der wird es wohl ewig nimmer! Was soll ich aber nun tun? Hier bleiben?! Das ist eine ganz fatale Geschichte, – allein, und nichts zum Essen haben!
21. Es ist freilich sonderbar, daß man auch als ein Geist in dieser sozusagen himmelreichischen Geisterwelt empfindlich hungrig und durstig wird; aber es ist einmal so. Also hungrig, durstig, und nichts zu essen, nichts zu trinken! Das ist ja ganz verzweifelt lustig! Und doch wird nichts anderes zu tun sein, als leider hierzubleiben, wo es doch noch in dem kleinen Garten einige schlechte Beeren für die äußerste Not zum Verzehren gibt.
22. Aber halt, jetzt fällt mir etwas ein, hol's der Kuckuck! Hier außerhalb dieser Sonnentür ist nun ja ein endloser freier Raum! Was könnte einem denn wohl geschehen, so man da in diesen endlosen Raum hinausspränge? Denn es ist abwärts wie aufwärts nichts, also frei!
23. Wenn ich nun den Kopf hinausstecke über die Türstöcke, da sehe ich von dem Hause nichts: auch nicht die leiseste Spur von einer Wand, einem Dache und irgendeiner Grundfeste. Kurz, es ist alles leer. Nur wenn ich wieder den Kopf hereinziehe, dann sehe ich wieder meinen Saal, wie er sich mir bis jetzt noch immer gezeigt hat. Also, von einem Loch in den Kopf schlagen kann da durchaus nicht die Rede sein, da gibt es ewig nirgends einen Gegenstand, auf den man fallen könnte. Und gäbe es auch so etwas, so bin ich ja ein Geist, dessen Gewicht hübsch luftig sein dürfte! Daher nur mutig hinausgesprungen; wer weiß, was ich bei dieser endlosen Luftfahrt alles für Erfahrungen machen werde!
24. Aber, halt! Mir fällt nun noch etwas Besseres ein! Warum sollte ich denn in diesen hohlen Sonnenraum hinausspringen? Ich habe ja bei der Türe Nr. 1 jene mir bekannte Wiese gesehen. Wie wäre es denn, so ich auf derselben einen Spaziergang versuchte?! Vielleicht käme ich da irgend mit den schönen Lämmern zusammen? Gut, gut, dieser Gedanke ist besser; daher nur zur Türe Nr. 1!
25. Schau, schau, da bin ich ja schon; es ist richtig Nr. 1! Aber wo ist denn die Wiese? Schau, die ist schon weg; ich sehe nichts als einen sehr dichten, grauen Nebel! Stellt sich denn dieser Spätherbstgast der Erde zuweilen auch hier in der Geisterwelt ein? – Warum denn nicht? Gibt es doch himmlische Wolken, warum sollte es da nicht auch einen himmlischen Nebel geben! Aber hinausgehen werde ich nun doch nicht. Denn man kann eigentlich nicht wissen, wem alles man in solch einem Nebel begegnen könnte!
26. Wie wäre es denn, so ich durch die Merkurstüre so einen wahren Salto Mortale versuchte? Vielleicht käme ich da mit der Zeit mit diesem Planeten in nähere Berührung und dadurch vielleicht gar auch mit der schönen Merkurianerin, auf die ich – Gott verzeih mir meine Sünden! – eine wahre, wie man im gemeinen Leben zu sagen pflegt, Vieh-Passion habe! Oh, oh, oh, – von der nur so einen halben Kuß und ein wenig Busenbetastung! Oh, oh, oh, das müßte ja eine wahre Götterlust sein! Also nur zur Merkurstüre! Ist sogleich die nächste an dieser.
27. Da bin ich schon! Das ist die Türe; aber sie ist zu! Werde sie aufmachen! – Wa – wa – was ist denn das?! Ah, das ist nicht übel! Die Tür ging auf, und statt der Aussicht in die weite Merkursphäre sehe ich einen mit Speisen reich besetzten Wandkasten! In der untern Etage ist auch eine ganz schöne Batterie von Weinflaschen aufgestellt! Ja, wenn so, da bleibe ich offenbar ohne weiteres hier! Lebe wohl, schöne Merkurianerin! Lebe auch du, unendlicher Sonnenraum, sehr wohl; denn da ist mir diese enge, wohlbesetzte Tafel um sehr vieles lieber!
28. Wahrlich, das ändert meine ganze Gesinnung! O Du mein lieber Herr Jesus, das ist sicher Dein Werk! Oh, nun sind wir wieder ganz ausgesöhnt, du mein liebster Buchhändler. Komm her, auf daß ich dich umarme! – Du kommst zwar nicht, aber das macht nichts, ich habe dich darum doch von Herzen lieb! Nun aber will ich gleich so eine Kommunion halten im Namen des Herrn!“
01. Nach diesen Worten macht sich Bischof Martin sogleich über ein gutes Stück Brot her und verzehrt es mit einem starken Appetit. Denn so irgendein Geist sich eine Weile von Mir abgewandt hat, wird er bald sehr hungrig und durstig. Und bekommt er dann, so er ein wenig wieder in sich geht, etwas zu essen, verzehrt er es mit großer Gier, desgleichen auch den Trank. Diese Gier zeigt aber eben auch, wie leer der Geist in seinem Innern ist und daher von ihm noch lange nicht viel Ersprießliches zu erwarten ist – was sich bei unserem Martin sogleich zeigen wird.
02. Nachdem er nun das Brot verzehrt hat und darauf auch eine gute Flasche Wein, wird er sehr lustig, dabei aber noch mehr sinnlich. Denn auch die Geister, wenn sie nicht aus Mir und durch Mich wiedergeboren sind, können sich berauschen, in welchem Zustande sie dann oft ganz dumm sinnlich ausgelassen werden und ihre Freiheit dabei sehr mißbrauchen.
03. Als unser Bischof die Flasche geleert hat, macht er den Wandkasten zu, damit sein Vorrat nicht verderbe nach seiner Idee. Dann geht er hinaus ins Freie und spricht zu sich selbst:
04. (Bischof Martin:) „Gott sei Dank, nun hätt' mein schon sehr hungrig gewordener Magen auch endlich wieder eine kleine Arbeit bekommen. Ich aber will nun in diesem meinem Gärtchen ein wenig herumschlendern und frische Luft einatmen.
05. Ja, ja, die frische Luft nach einer Mahlzeit ist bei weitem besser als der dumme schwarze Kaffee, und, das muß ich sagen, die Luft dieses Gärtchens ist wirklich das Beste an ihm.
06. Der Wein aber war schon auch so ein rechter Mondtropfen! Sapprament! Ist eigentlich nur so ein schwaches Halberl gewesen, aber ich g'spür ihn – was schon sehr viel sagen will, wenn ich einmal so ein Halberl g'spür! Bin zwar nicht rauschig, aber ich g'spür ihn ganz ordentlich!
07. Wenn in diesem Gärtchen nur so ein Bänkchen wäre, auf das man sich ein wenig niedersetzen könnte! So einem die Füße so ein wenig zu wackeln anfangen, da wäre dieses Gärtchen nicht zu verachten. Aber da gibt es nichts dergleichen und der Boden sieht eben auch nicht zu appetitlich aus!
08. Ich werde an die Umzäunung des Gartens mich begeben, mich dort ein wenig anlehnen und einmal betrachten, was ich denn so ganz eigentlich für eine Nachbarschaft habe, oder ob ich eine habe! Denn von irgendeiner Landschaft ist hier wohl keine Spur zu entdecken, sondern die ganze Gegend gleicht einer Sandwüste, über der noch dazu ein grau umwölkter Himmel ein sehr düsteres und unfreundliches Gesicht macht. Also nur an den Zaun hin; wer weiß, was sich über denselben alles wird erschauen lassen!
09. Sapperment, sapperment, ich sage es, 's Wein'l g'spür ich! Aber nur an den Zaun!
10. Aha, da bin ich schon! Ahh, die Aussicht ist prächtig! Da sieht man gar nichts! Dieser Garten samt meinem Palais royal scheint so eine Art Schiff zu sein, das da auf den Wogen der Unendlichkeit herumschwimmt, wo es mit irgendeiner Nachbarschaft verzweifelt schlecht aussieht. Ich bin also nun ganz allein, vollkommen allein bin ich, und das wird ein wenig verflucht sein – und verdammt obendarauf!
11. So, so, so – das ist nicht übel! Ich kann also wirklich nirgends hin, über dieses Gärtchen nicht eine Spanne weit? Oh, das ist ja ganz verflucht! Ich bin also so ganz geheim verflucht?! Deswegen also solche Sentenzen auf der weißen Tafel? Deswegen also richtig dies irae, dies illa? Da werde ich nun einstweilen bis zum jüngsten Tage – requiescam in pace. Dann aber wird über mich erfolgen die allerschönste ewige Verdammnis! O wehe, o wehe mir Armen!
12. Wenn ich nur beten könnte, so einen Rosenkranz nach dem andern und eine heilige lauretanische Litanei nach der andern, die von großer Kraft und Wirkung ist, da könnte mir vielleicht doch noch geholfen werden. Aber ich kann nicht beten, und es kommt mir auch vor, als wollte ich's nicht, wenn ich's auch könnte! Ich kann höchstens noch herausbringen: ,Herr, erbarme Dich meiner; Christe, erbarme Dich meiner; Herr, erbarme Dich meiner!‘ Weiter aber geht es auf keinen Fall!
13. Ja, was schaue ich denn aber auch da in dieses dümmste Nichts hinaus? Zurück mit dir ins Haus! Da werde ich mich wieder an die Sonnentüre hinmachen, von der man doch wenigstens die schöne Sonne sieht! Oder – halt! Ich gehe einmal an die Mondtüre! Vielleicht treffe ich da meinen Mondweisen; der soll mir anzeigen, was ich zu tun habe, um möglicherweise vielleicht doch in ein etwas besseres Los zu gelangen! Also nur ins Haus hinein und da an die Mondtür! –
14. Da wär' ich wieder! Schau, das Innere dieses Hauses sieht noch überaus herrlich aus; es bleibt sich gleich! Ah, da bleib' ich von nun an ununterbrochen im Hause, es ist wirklich hier sehr angenehm! Aber nun an die Mondtür!
15. Holla, da wäre ich bald hergefallen! Du Wein'l du; das will noch nicht so recht aus dem Kopf heraus. Aber das macht nichts. Da ist schon die Mondtür und offen auch noch dazu! Aber – o du verzweifelter Kerl von einem Mond – wie weit steht er von hier! Da wird sich mit dem Mondweisen eben nicht viel reden lassen! Ist zwar gerade Vollmond, aber er steht ja von hier noch weiter als von der Erde ab, da ist also nichts!
16. Werde mich einmal aber an den Jupiter machen; vielleicht ist der nicht gar so g'schämig wie der keusche Mond?
17. Da ist schon die Pforte zum großen Jupiter! Schau, diese ist zu! Werde sie aufzumachen versuchen! Hephata (tue dich auf)! Da siehe einmal, die ging leicht auf! Und, Gott sei Dank, dieser Großmogul unter den Planeten ist wirklich ganz nahe da; ja er kommt stets noch näher! O Gott sei Dank, da werde ich etwa doch einmal zu einer respektabeln Menschengesellschaft gelangen!
18. Richtig, richtig, da kommt schon einer gerade auf mich zu, und nun ist der Planet auch völlig da! O Gott, o Gott, was sind das für furchtbar weite Ausdehnungen der Ländereien! Nun kommt es mir vor, als stünde mein Haus selbst auf dem Boden dieses Riesen der Planeten!
19. Der schöne, große Mann steht mir zwar gerade vor dem Gesichte und ist ein Riese. Aber er scheint mich nicht zu bemerken, weil er sich gar nicht nach mir umschaut! Werde einmal in seine Sphäre treten – vielleicht wird er mich dann wohl erschauen?“
20. Bischof Martin tritt nun in die Sphäre des Jupitlers. Dieser ersieht ihn und fragt ihn sogleich:
21. (Der Jupitler:) „Wer bist du, der du es wagst, dich mir zu nahen voll Schmutz und Unflat, voll Trug und voll Hurerei: lauter Schändlichkeiten, die meiner großen Erde völlig unbekannt sind? Meine Erde ist ein reines Land und würde gewaltigst erzürnt werden, so sie von dir länger betreten würde. Daher weiche zurück in dein Schmeißhaus, wo du fressen und huren kannst im Vollmaße deiner Schändlichkeit – oder ich zerreiße dich!“
22. Bischof Martin macht nun einen Satz ins Innere seines Hauses, wirft eilends die Tür hinter sich zu und sagt zu sich: „Gehorsamer Diener – den Kerl könnte ich gerade noch brauchen als Zugabe zu meinem Elende! Lebe wohl, Herr von Jupiter, wir sind für ewig quitt! Nein, das ginge mir gerade noch ab! Zerreißen? Ganz gehorsamer Diener! Da habe ich's letzte Mal hinausgeschaut!“
01. (Bischof Martin:) „Aber was fange ich jetzt an, wo wende ich mich nun hin? Gehe ich etwa zur Tür des Mars, der Venus, oder soll ich zu den Türen des Saturns, des Uran, des Miron (der neu entdeckte Planet Neptun) oder der mehreren kleinen Planetchen hingehen? Am Ende begegnet mir noch Gröberes, noch Unverschämteres! Was dann? Denn von einer ,Gegenwehr‘ von meiner Seite kann da keine Rede sein, wo ich's weder mit der Kraft noch mit der Weisheit mit jemandem aufnehmen kann!
02. Ich bleibe sonach für die Zukunft von allen Türen ferne und werde mich in irgendeinen Winkel hinmachen und da gleich einem Igel zusammenkauern und versuchen, ob es denn da nicht möglich ist, zu einem Schlafe zu kommen. Läßt sich das nicht tun, so will ich wenigstens ganz unbeweglich liegenbleiben in alle Ewigkeit und werde keine Nahrung nehmen und auch kein Wort mit jemandem mehr verlieren – möge da kommen, wer da wolle! Kurz und gut, ich werde tot sein für jedermann, sogar für die schöne Merkurianerin! Also alles Gott befohlen von nun an!
03. Weil ich nicht aufhören kann zu sein, so will ich mich aber dennoch in eine Ruhe begeben, aus der mich kein Gott mehr erwecken soll. Dort seh' ich schon so ein Plätzchen. Nur hin – dort will ich liegenbleiben in alle Ewigkeiten der Ewigkeiten. Amen.“
04. Bischof Martin begibt sich nun wirklich hin in eine Nische zwischen den Pfeilern, die die Galerie tragen. Er legt sich da hinein, ganz zusammengekauert, und versucht zu schlafen: aber natürlich – mit dem Schlafe geht es da nicht. –
05. Nachdem er aber ungefähr nach irdischer Zeitrechnung bei zwei Stunden liegt, entsteht außerhalb des Hauses ein großes Getöse, etwa wie das eines sehr heftigen Orkans, unter dem sich Menschenstimmen vernehmen lassen also, als suchten sie Hilfe.
06. Als solches Bischof Martin vernimmt, da erhebt er sich blitzschnell und sagt: „Ah, das ist was anderes; bei so was kann man nicht ruhig verbleiben. Da kann auch von meiner mir vorgenommenen ewigen Ruhe keine Rede sein. Nur schnell hinaus! Das sind Notleidende, denen muß geholfen werden!“
07. Mit diesen Worten springt der Bischof eiligst hinaus und ersieht außerhalb seines Gärtchens wirklich eine Menge wie verfolgter Geister, die da Hilfe und Rettung suchen. Bei diesem Anblicke eilt er zum Gartenpförtchen, macht es auf und ruft allen den Verfolgten zu:
08. (Bischof Martin:) „Hierher, hierher, ihr Freunde, ihr lieben Brüder alle – hier ist ein sicherer Ort! Hier seid ihr vor jeglicher Verfolgung sicher. Und so es euch hungert und dürstet, wird sich auch noch Rat schaffen lassen! Kommt sonach nur alle herein! Wie viele sind euer an der Zahl?“
09. Spricht einer zunächst am Martin: „Wir sind unser bei Tausend an der Zahl, lauter elendeste arme Teufel! Wir sind der Hölle entlaufen und irren nun schon eine halbe Ewigkeit in dieser schrecklichen, endlosen Wüste herum und finden weder Dach noch Fach, da wir uns verbergen und nur ein wenig erholen könnten. Ach, ach, ach, das ist ein schreckliches Los, ewig ohne Ruh' und Rast verfolgt zu werden! Hast du, Edler, aber irgendeinen Winkel, der uns nur einige sichere Ruhe gönnen könnte, so nimm uns alle auf und rechne auf unsere Dankbarkeit.“
10. Spricht Bischof Martin: „Freund und Freunde! Hier ist das Pförtlein – kommt, kommt, kommt nur alle herein! Mein Haus sieht zwar nicht groß aus von außen. Aber ich stehe euch dafür, wir werden alle hinreichend Platz darinnen finden!“
11. Nach diesen Worten strömen die Verfolgten nun alle in den Garten und von da ins Haus. Alle sind voll des höchsten Staunens, als sie das Innere des Hauses so überaus herrlich und geräumig finden.
12. Der erste umarmt gleich den Bischof Martin und spricht im Namen aller: „O du seligster Freund, wie herrlich ist es bei dir! Es ist das erste Licht seit Milliarden von irdischen Jahrtausenden! Seit wir die Erde verlassen haben, drang kein Lichtstrahl mehr in unsere Augen! O Licht, Licht, Licht, wie endlos herrlich bist du! O Freund, laß uns nimmer von hier ziehen – oh, behalte uns!“
13. Spricht Bischof Martin: „Warum nicht gar, ich werde euch von hier lassen? Ich bin ja selbst froh, daß ich an euch eine so reiche Gesellschaft gefunden habe. Ihr bleibet bei mir ewig; macht's euch nur bequem. Ich habe freilich selbst nicht viel zum besten hier in diesem meinem Himmel. Aber was ich habe, das teile ich ja gerne unter euch, und wenn da auch für mich nichts bliebe. Gott sei's gedankt, daß ich endlich einmal eine Gesellschaft gefunden habe!
14. Wahrlich, an euch habe ich nun meine größte Freude! Ja, ihr seid mir lieber als alle sogenannten himmlischen Engel Gottes, die in ihrer Glückseligkeit einen armen Teufel eine ganze Ewigkeit vergessen können und gar nicht bedenken können oder wollen, wie es einem Unglücklichen zumute ist. Ich sage euch: Der Herr allein ist gut, das muß ich sagen. Aber alles andere himmlische Gesindel kann mir ewig vom Halse bleiben! Denn dieses hat euch einen Weisheitsdünkel, der für einen geraden, ehrlichen Kerl, wie ich es bin und ihr es sicher alle seid, geradezu stinkt! Aber wie gesagt: Gott, den Herrn Jesus, nehme ich aus! Der ist wirklich gut; ja Er ist sehr gut!“
15. Spricht wieder ein anderer aus den tausend: „Ja, ja, du hast recht: Der ist wirklich gut! Ihm alles Heil, so Er irgend Einer ist! Aber auf alles andere Himmelsgesindel halten auch wir alle nichts, dich, lieber Freund, ausgenommen!“
16. Spricht Bischof Martin: „Liebe Freunde, bei mir hat der Himmel gute Weile, denn ich stehe mit euch so ziemlich auf einem Punkte. Doch wir haben noch Zeit nachher in Ewigkeit, über unsere Verhältnisse uns nach Muße zu verständigen. Daher wollen wir uns zuerst nach einer Magenstärkung umsehen. Nachher erst wollen wir unseren Herzen den freiesten Lauf gönnen. Kommt nun einige von euch mit mir her zu diesem Wandschrank, da habe ich einen kleinen Vorrat für Hungernde und Dürstende!“
01. Bischof Martin macht nun die Tür auf und findet zu seinem eigenen großen Erstaunen diesen Schrank vollgepfropft mit Brot und Wein. Er spricht zuerst bei sich: „Gott sei Dank – schon meinte ich der Angesetzte zu sein! Denn hier verändert sich ja gleich alles. – (Dann laut zu der Gesellschaft:) Da nehmt und sättigt euch nach Herzenslust!“
02. Und alle nehmen davon und essen und trinken; aber der Vorrat geht nicht aus, sondern mehrt sich sichtlich. Die Gesättigten aber loben ihren Wirt über die Maßen und bekommen viel schönere Züge und eine hellere Farbe im Gesichte; nur mit der Kleidung sieht es noch sehr jämmerlich aus.
03. Als in kurzer Weile alle die tausend gesättigt sind und ihrem Wirte alles erdenkliche Lob gespendet wird, macht Bischof Martin den Wandkasten wieder zu und spricht zu seiner Gesellschaft: „Höret ihr alle, meine lieben Brüder und Schwestern, von denen ich soeben einige als solche erkannt habe. Macht nicht soviel Aufhebens mit euerm Lobe an meine außerordentliche Wenigkeit. Denn seht, mir macht das darum keine Freude, weil ich durchaus nicht der eigentliche Geber bin, sondern nur ein schlechter Austeiler dessen, was ich sicher zu dem Behufe vom Herrn Jesu Selbst unverdientestermaßen erhalten habe.
04. So ihr sonach schon jemanden loben wollt, da lobet Jesus, den Herrn! Vorausgesetzt, daß ihr je von Ihm was vernommen habt, – was ich bei euch allen um so weniger voraussetze, da ihr eurer Aussage nach schon eine undenklich lange Zeit hier im Geisterreiche euch befinden müßt. In solchem Falle wäre es aber dann auch nötig, daß ihr von diesem alleinigen Gott und Herrn Jesus irgend einige Notiz nehmen möchtet!“
05. Spricht einer aus der großen Gesellschaft: „Freund, du wirst etwa doch nicht den Juden Jesus meinen, der da an den Schandpfahl geheftet wurde mit noch ein paar Raubmördern?“
06. Spricht Bischof Martin: „Ja, Freunde, ja, gerade Den meine ich! Dieser ist wirklich Gott und Mensch zugleich! Er ist der Urgrund aller Dinge! Außer Ihm gibt es ewig keinen andern Gott in der ganzen ewigen Unendlichkeit!
07. Glaubet mir das, denn ich versichere euch: es hat wohl nie jemanden mehr Mühe gekostet als mich, so etwas anzunehmen! Mit Worten hätten mir das auch alle Erzengel nicht beigebracht. Aber da kam der Herr Jesus Selbst zu mir und lehrte mich durch rein nur Gott mögliche Taten, daß Er es ist: der alleinige Herr der Unendlichkeit! Und so bin ich darin nun ebenso stark, als ich ehedem über alle Maßen schwach war.
08. Ich meine, so ihr das beherziget, da kann es euch unmöglich mehr schwer werden, mit mir alles zu teilen, wie die Wohnung und Brot und Wein, so auch meine Überzeugungen!“
09. Sprechen mehrere aus der Gesellschaft: „Wie recht, wie recht! Das versteht sich von selbst, wir wollen dir in allem gleichen! Wir haben freilich auf den Jesus bei unsern Lebzeiten eben kein großes Vertrauen gehabt. Und hier in der Geisterwelt um so weniger, weil wir zu hart gehalten wurden und von der göttlichen Milde nirgends auch nicht die leiseste Spur entdecken konnten. Von einem Jesus war daher auch bis jetzt keine Rede mehr, außer daß Er samt uns irgend als ein armer, betrogener Teufel schmachtet und alles verwünscht, was Er je auf der Erde getan und gelehrt hat!
10. Aber wenn die Sache sich so verhält, wie du, lieber Freund, sie uns eben mitgeteilt hast, ist uns alles eins. Sei da Gott, wer da will, und heiße Er, wie Er will, wenn Er nur Einer ist, auf den man sich verlassen kann!
11. Nur das eine ist uns etwas unbegreiflich, wie dieser dein guter Jesus uns arme Teufel eine so endlose Zeit hat können herumhetzen ohne Speise und Trank? Wahrlich, Freund, da hat ganz verdammt wenig Liebe und Barmherzigkeit herausgeschaut! Freilich ist jetzt alles gut. Aber an alle die Martern, die wir ausgestanden haben, dürfen wir nicht zurückdenken, sonst ist es aus mit unserer Liebe zu dem ewigen Seelenhetzmeister.
12. Es ist zwar wohl wahr, daß wir alle auf der Welt uns um Seine Religion wenig oder gar nicht gekümmert haben und gingen unseren Gelüsten nach. Aber wir waren sonst doch ehrliche und honette Menschen aus den besten Häusern. Wir sind wie Kavaliere erzogen worden und lebten dann auch solcher Erziehung gemäß. Ein weiser Gott aber sollte das doch einsehen, daß sich kein Mensch selbst erschaffen und ebensowenig erziehen kann, wie er will!? Aber es sei nun, wie es wolle, die niederträchtigste Hetzerei hat nun ein Ende hoffentlich; daher sei Jesus von uns aus auch verziehen, was Er an uns allen getan hat.“
13. Tritt ein anderer vor und spricht: „Hast wohl recht im Grunde, denn verzeihen ist schöner als sich rächen wollen. Aber ich werde dennoch mit dem vollen Verzeihen etwas innehalten. Denn du weißt es, wie ich 1000 Jahre nach meinem und euerm Gefühle zwischen zwei glühende Felsen eingeklemmt war und habe mehr gebetet und geflucht, als es da gibt des Sandes im Meere. Und hättet ihr durch eure äußerste Anstrengung mich nicht gerettet, so befände ich mich jetzt noch in dieser unerhört schmerzlichen Felsenpresse; ein allmächtiger Herr Jesus hätte diese Höllentortur nicht um ein Haar gemildert.
14. Wisset, so was ist denn doch kein Spaß. Man merkt sich so etwas sehr leicht für ewig. Wahrlich, für so ein ewiges Leben wird sich sicher jedermann bedanken! Ich bin gerade auch kein Rache sinnender Geist, denn es wäre doch die scheußlichste Dummheit, so sich ein beschränkter Geist gegen einen allmächtigen Gott auflehnen wollte. Aber merken kann man sich das allerdings. Verstehst schon, was ich unter ,merken‘ verstehe!“
15. Spricht Bischof Martin: „Ja, ganz ja, und gut ist deine Bemerkung – habe ich doch selbst noch so einige Merkspitzel in mir, die mich noch manchmal ganz gewaltig stechen! Aber ich sage euch auch, was da wahr ist: der Herr Jesus hat daran nicht die geringste Schuld, sondern allzeit der nur, den es betrifft. Und oft wohl auch Seine, des Herrn himmlische Beamte, die nicht selten nach einer Willkür handeln, von der ihr noch gar keinen Begriff habt!
16. Es läßt sich das freilich am Ende alles mit der Weisheit entschuldigen. Aber wehe dem, der unter solch eine Weisheitsscheibe zu stehen kommt: für den wäre es wahrlich endlos besser, so er nie wäre geboren worden! Daher ist der Herr auch allzeit zu entschuldigen und hoch zu loben, so Er fast allzeit in die Willkür solcher Geister eingreift und ihre Weisheit beschämt.
17. Oh, diese himmlischen Engel sind Trotzköpfe ohnegleichen, so sie allein sind. Nur wenn der Herr kommt, da ziehen sie freilich gleich den Schweif von einem Mute ein und tun so süß und bescheiden, als so sie alle Weisheit aus der Demut mit dem großen Löffel gefressen hätten!
18. Seht, das weiß ich alles und habe darum Jesus erst recht lieb. Tut demnach, wie ich's tue, so werden wir miteinander die ganze Ewigkeit leicht auskommen! Euer Wahlspruch sei: ,Der Herr Jesus allein ist lieb und gut!‘ Alles andere aber gehört rein der Sau zu, und Petrus und Paulus sind selbst keinen Schuß Pulvers wert.
19. Nur das einzige gebt mir kund, wann ihr so ganz eigentlich die Erde verlassen habt müssen? Denn das sehe ich zufolge eures Gesprächs schon ein, daß ihr vor Christus nicht gelebt habt, da ihr um dessen nähere Verhältnisse zu wissen scheint, wie auch um die der römischen Kirche. Ihr waret also nach Christus erst zur Welt gekommen! Das ist klar; aber in welcher Zeitperiode, das allein gebet mir, so ihr's wollt, näher kund. Denn auf diese geisterweltliche Gefühlszeit kann man sich nicht verlassen, weil sie einem armen Sünder eine Stunde für eine ganze Million Jahre kann empfinden machen – was ich selbst leider nur zu deutlich empfunden habe!“
01. Spricht einer aus der GeselIschaft: „Lieber Freund und Bruder! Wir alle haben im Jahre 1846 nach Christi Geburt die Erde verlassen. Auf der Erde lebten wir sehr zerstreut und haben uns erst hier in der Geisterwelt so eigentlich zusammengefunden. Denn wir waren auf der Erde Mönche aus dem Orden der Jesuiten, Liguorianer, Minoriten und Karmeliter. Wir sind männlicherseits bei 800 an der Zahl; die 200 Schwestern sind zum Teil aus dem Orden der ,Barmherzigen‘ und zum Teil aus dem Orden der ,Schulschwestern‘ und ,Herz-Jesu-Damen‘.
02. Nun weißt du, unser aller lieber Freund und Bruder, wann wir auf der Erde gelebt haben und was wir waren. Alles andere kannst du dir leicht selbst denken, was wir alles für Narrheiten haben ausführen müssen, wie uns Rom in die ganze Welt aufs Fischen hinausgesandt hat. Und wie wir für diese saure Ehre uns zum Teil in Asien, zum Teil im glühenden Afrika und Australien und auch in Amerika haben müssen die Köpfe abschlagen lassen. Und als wir dann, hier in der Geisterwelt anlangend, meinten, als offenbare Märtyrer sogleich die Krone der ewigen Glorie zu erreichen, da erst ging das Elend so recht radikal an!
03. Wie ich dir sage, du bist nach wirklichen oder bloß nur gefühlten Trillionen von Erdenjahren – was ein Teufel ist – das erste menschliche Wesen, dem wir in dieser endlosen Wüste begegneten. Ist das nicht scheußlich – so ein Lohn für unsere märtyrerischen Mühen auf der Erde? Ach, wie große Esel sind doch die Menschen auf der Erde! Wir aber waren doch sicher die allergrößten!
04. Freilich, wohl glaubten wir alles das, was wir den andern Menschen mit glühendsten Zungen lehrten, nicht im geringsten – denn unser Motiv war nur Rom und die goldenen Fische für uns und für Rom. Aber Christus haben wir dennoch gepredigt und viele Heiden zum Christentum bekehrt – und haben uns am Ende noch müssen martern lassen. Welchen Lohn wir hier dafür geerntet haben, das zeigt dir unser namenloses Elend in dieser Welt.
05. Ich bin ganz besonders gut zum Teile gekommen! Ich war in China und hatte dort, dieser Sprache mächtig, zehn Jahre hindurch recht gute Geschäfte gemacht. Ich drang vor und kam mit Hilfe einer wunderschönen Chinesin sogar vor den Hof. Da aber entlarvte sich diese Bestie, die ich leider zu tief in meine Geheimnisse eingeweiht hatte, und verklagte mich sogleich bei der höchsten Behörde des Betrugs und meiner andern Absichten, die freilich auch einen Hochverrat im Schilde führten.
06. Ich wurde ergriffen und sogleich zwischen zwei steinerne Platten gesteckt und festgeklemmt. Zu deren beiden Seiten fingen die Mandarins zu heizen an, wodurch diese Platten nach und nach stets mehr erhitzt und ich langsam gebraten wurde. Diese Todesart ist doch sicher die schmerzvollste, und man sollte glauben, damit alle Todsünden abgebüßt zu haben; allein, höre! Diese Marter ward an mir auch nach dem Tode fortgesetzt durch jene zwei glühenden Felsen, deren ich schon früher erwähnt habe.
07. Das war der Lohn für meine vielen irdischen Mühen bisher; was noch folgen wird, weiß ich nicht. – Ich glaube, du wirst nun so ziemlich mit unserm Wesen und Lose vertraut sein. Wir sind mit einem Worte kreuzarme Teufel nun, und du tust an uns ein gutes Werk; der Herr, so Er irgend Einer ist, entgelte dir's!“
08. Spricht Bischof Martin: „Oh, nun weiß ich auf einmal mehr, als ich eigentlich wissen wollte! Aber das macht nichts; wir bleiben deshalb noch gute Freunde! Bringt mir aber die Klosterjungfern her, auf daß ich auch von ihnen erfahre, wie sie zu euch und hierher gelangt sind!“
01. Der Redner begibt sich sogleich zurück gegen die Tür dieses Hauses, wo sich die Schwestern befinden, beruft sie und führt sie dann dem Bischof Martin vor.
02. Als sie nun samt und sämtlich sich um Bischof Martin befinden, fragt dieser sie sogleich: „Liebe Schwestern und Damen, wie sieht es denn eigentlich mit euch aus? Wie seid denn ihr in solches Elend gekommen? Ihr habt doch sicher gebeichtet und genug kommuniziert und habt Chor gesungen und zahllose Rosenkränze herabgebetet, wennschon manchmal vielleicht mehr geschnattert als gebetet.
03. Auch an anderen Andachtsübungen wird es nicht gemangelt haben. Auch habt ihr sicher alle Fasttage streng gehalten und habt in großen Ehren gehalten die heiligen Reliquien, den Weihbrunn und den Weihrauch und Glocke und Glöckchen. Auch habt ihr in euerm sonstigen Amtswesen sicher unverdrossen eure Pflichten erfüllt. Es fragt sich daher hier, wie ich euch gleich anfangs gefragt habe: Wie möglich wohl seid ihr in dieses Elend gekommen?“
04. Spricht eine von den Barmherzigen Schwestern: „O du lieber Freund, das alles wird der liebe Herrgott besser wissen als wir! Ich sage dir: ich und auch alle diese Schwestern meines Ordens waren wahre Märtyrerinnen!
05. Tag und Nacht waren wir auf den Beinen; unverdrossen pflegten wir die Kranken; taten manchmal sogar mehr, als was uns die ohnehin allerstrengste Ordensregel auferlegte. Wir fasteten dabei und beteten ohne Unterlaß; wir gingen wöchentlich mehrmals zur Beichte und Kommunion. Und so uns manchmal dennoch ehestandliche, sinnliche Gedanken kamen, da schrien wir laut: ,Jesus, Maria und Joseph, stehet uns bei und bewahret unsern keuschen Leib vor solchen Teufelsanfechtungen!‘
06. Und hat das dreimal nacheinander noch nichts genützt, da liefen wir in die Kirche. Half auch diese nicht, da kasteieten wir uns oft blutig und legten uns die allerschärfsten Zilizien an den bloßen Leib; und hatte manchmal auch das nicht den erwünschten Erfolg, so hat dann freilich müssen der Beichtvater mit exorzistischen Mitteln zu Hilfe kommen, die aber leider nur bei den jüngeren Schwestern mit Nutzen konnten angewendet werden. Bei uns älteren mußten dann eiskalte Bäder statt des Exorzismus angewendet werden, mitunter auch ein Aderlaß.
07. Siehe, du liebster Freund, so strenge war unser Leben; ja mancher Kettenhund hätte uns darum sicher nicht beneidet, so er Verstand hätte!
08. Daß wir für solche Strapazen hier die himmlischen Freuden mit Recht erwarteten, wird etwa für unser wahres Kettenhundeleben auf der Welt doch nicht zu unbillig sein? So erwarteten wir solches mit ungezweifelter Zuversicht, wie es allen verheißen ist, die um Christi willen auf der Welt alles verlassen und sich wegen der himmlischen Glorie den schmalen, dornigsten Kreuzespfad erwählt haben!
09. Aber da siehe nun unsere erhoffte himmlische Glorie! Sehen wir nicht aus wie die barsten Blocksberghexen? Die Gesichtsfarbe dunkelgrau, die Kleidung besteht aus den schmutzigsten Fetzen. Fett sind wir schon wie die Mumien, die man dann und wann in den Wüsten Afrikas findet, und hungrig wie ein Haifisch und durstig wie die Sandwüste Sahara! Das ist nun unser so bestimmt und gewiß erhoffter Himmel! Was soll man sich von solch einer göttlichen Gerechtigkeit wohl für einen Begriff machen?
10. Als ich von der Welt hier anlangte, da sah ich wohl ein sehr schlechtes Mensch, die nichts als eine Hure war, von leuchtenden Engeln abholen und sie gegen den Himmel führen – so eine Kanaille! Zu mir aber kam bis jetzt noch keine Katze, geschweige erst ein besseres Wesen aus dem Himmel! Frage: Ist das auch eine Gerechtigkeit?! Ach, ist das doch ein Elend, ist das ein Elend!
11. Ich habe so manche ehrliche Mädchen, die jung, reich und schön waren, zu meinem Orden gebracht, die mir nun fluchen, daß ich sie so schändlich geprellt hätte. Das geht mir nun gerade auch noch ab! Für solch meinen Eifer gar noch eine verdammliche Verantwortung vor dem ewigen Richter!“
12. Hier treten mehrere jüngere Barmherzige Schwestern hervor und schreien: „Ja, ja, ja – du altes Luder, du alte Bestie bist an allem schuld! Hast du dir nicht die Zunge nahezu bis in den Magen hinab ausgeschrien, um uns zu überreden für deinen barmherzigen Lumpenorden? Als wir den Profeß nicht ablegen wollten – da wir in der Welt doch bessere Aussichten hatten, als wir sie in deiner Hurenanstalt kennenlernten – liefst du da nicht zum Tod und allen Teufeln, damit uns nur der Austritt verleidet wurde?!
13. Und als wir – zum größten Teil gezwungen – den schmählichen Profeß ungefähr so ablegten, wie ein Rekrut den militärischen Treue-Eid schwört, nämlich unter ,Du mußt, sonst bist du des Teufels!‘, – da wurden wir dann behandelt ärger als die ärmsten Seelen im Fegfeuer oder gar in der Hölle selbst. Wir durften bei strengster Ahndung nicht einmal unsern lieben Eltern auch nur eine Silbe vermelden, wie schändlich und schmählich wir gehalten wurden! Nur dem Beichtvater durften wir klagen, und das nur im Beichtstuhle, weil er über eine solche Anklage dann selbst verstummen mußte!
14. Wir fordern nun den verheißenen Himmel von dir, und das mit mehr Recht als du den deinigen! Wo ist er? Führe uns hin, – oder wir vergreifen uns an dir für ewig!“
15. Die erste Nonne wirft sich nun vor dem Bischof Martin nieder und fleht ihn um Schutz an.
01. Bischof Martin aber spricht hier: „Höret ihr alle, meine lieben Schwestern! Lasset den Herrn Jesus allein entscheiden unter euch; Er allein ist ein gerechter Richter! Ihr aber vergebet einander von Herzen, so wird alles gut werden. Dies mein Haus ist ein Haus des Friedens und der Liebe, und nicht ein Haus der Rache! Daher beruhigt euch und seid frohen Mutes, darum ihr hier bei mir eine so gute Unterkunft gefunden habt – sicher nur durch die unsichtbare Gnade des Herrn! Werdet ihr euern Haß in Liebe umgestalten, da werdet ihr schon auch zu einem bessern Aussehen gelangen!
02. Es gehen aber auf der Welt gar viele einen verkehrten Weg der Tugend; wie solltet davon ihr eine Ausnahme sein! Ihr habt zwar viel getan, aber nicht des Herrn, sondern des Himmels wegen, – und das ist noch lange nicht evangelisch! Man muß alles tun und dann erst ausrufen: ,Herr, siehe, ich war ein fauler Knecht! O Herr, sei mir, Deinem nutzlosesten Knechte, gnädig und barmherzig!‘ Wenn ihr, meine lieben Schwestern, so urteilen werdet über euch und werdet einander nicht richten und verdammen, da werdet ihr schon Gnade vor Gott finden!
03. Wisset ihr denn nicht, was da der weise Lehrer Paulus spricht, der für sich auch ein schlechter unnützer Knecht ist und sein Tun nicht achtet, sondern allein die pure Gnade des Herrn? Sehet, dieser Lehrer spricht: ,Du wirst nicht aus deinem Verdienste, sondern lediglich durch die Gnade des Herrn selig werden!‘ – Beherziget das und werfet all euere vermeintlichen Verdienste dem Herrn zu Füßen! Bekennet vor Ihm die volle Nichtigkeit alles dessen, was ihr bisher als etwas Verdienstliches zum ewigen Leben angesehen habt, so wird die Gnade des Herrn sogleich über euch ersichtlich werden!
04. Sehet, ich war gar ein Bischof auf der Welt und glaubte auch, so ich aus der Welt gehen werde, daß mir da gleich ganze himmlische Scharen entgegenziehen würden. Aber, dem war ganz anders! Ich selbst habe noch bis jetzt den eigentlichen Himmel nicht gesehen, obschon ich mit dem Herrn schon sehr oft geredet habe und dies Haus auch unmittelbar aus Seiner allerheiligsten Hand empfing. Wie wollt demnach ihr schon mit aller Glorie gekrönt sein? Daher nur Geduld, Sanftmut und Liebe und einen heitern Mut angezogen, alles andere wird sich dann schon von selbst geben!“
05. Die Barmherzigen Schwestern treten nun ganz besänftigt zurück. Bischof Martin ruft die Schulschwestern vor, die sich während dieser Belehrung in einem Winkel soeben ein wenig die Augen auskratzen wollten, und fragt auch sie, wie und auf welche Art sie in dies Elend gelangt sind und wo sie auf der Erde eigentlich gelebt haben.
06. Und eine von diesen antwortet: „O geliebtester, hochgeehrtester, allerhochwürdigster Freund! Wir sind nicht alle von einem Orte, sondern sind teils aus Frankreich, teils aus der Schweiz, aus Welschland und Tirol und teils auch aus der Steiermark.
07. Wir lebten übermäßig fromm: Tag für Tag beteten wir wenigstens 14 Male, und allzeit wenigstens eine Viertelstunde lang; täglich wohnten wir einer heiligen Messe bei und fehlten nie bei der Vesper. Sonn- und feiertags wohnten wir wenigstens drei Messen bei, einer Predigt und der nachmittäglichen Litanei und beiden ,Segen‘. Wir gingen wöchentlich, besonders in der Advents- und Fastenzeit zum wenigsten dreimal beichten und empfingen täglich das allerheiligste Altarsakrament. Wir fasteten alle Wochen fünfmal zu Ehren der allerheiligsten Fünf Wunden und gaben uns am Freitage zu Ehren der allerseligsten Jungfrau Maria 7 Schmerzensstreiche, und zwar 4 auf die linke und 3 auf die rechte Brust mit Strick oder Rute.
08. Die übrige Zeit widmeten wir frommen Betrachtungen und dem Unterrichte junger Mädchen. Dabei richteten wir unser Augenmerk hauptsächlich darauf, daß in den jungen Herzen schon frühzeitig der Drang erwachen sollte – wenn aus finanziellen Rücksichten möglich –, so früh als möglich in unsere Fußstapfen zu treten und all ihr irdisches Erbe Gott zu Füßen zu legen, um so eine reine und würdige Braut Jesu Christi zu werden!
09. Ebenso durfte auch keine von uns mit unverschleiertem Haupte auf die Straße und bei strengster Ahndung keinen weltlichen Mann ansehen: nicht einmal einen Weltpriester, sondern allein nur einen heiligen Bruder aus dem Orden des heiligen Franziskus, wohl auch einen heiligen Jesuiten und den Bischof oder auch einen sehr frommen Domherrn. Kamen uns dabei etwa dann und wann unzüchtige Gedanken, so zeigten wir solche sogleich der würdigsten Mutter an und baten sie um eine recht scharfe Strafe zur Abwendung solchen Höllenspuks von unseren keuschesten Herzen.
10. Die gute würdige Mutter, die sehr heilig war, gab uns dann sogleich die weisesten Lehren und nachher erst die gebührenden Strafen, die verschieden waren je nach der Größe der unkeuschen Gedanken. Für einen ganz kleinen Gedanken war ein Streich auf die nackte Natur, darauf 3 Rosenkränze und ein vollkommener Fasttag. Auf einen größeren Gedanken waren 7 starke Rutenstreiche auf die nackte Natur, daß es Blut gab, darauf 12 Rosenkränze und 3 volle Fasttage in der Woche. Auf einen noch stärkeren Gedanken – etwa gar an den allerverdammlichsten Ehestand, wie er jetzt besteht – waren 15 Streiche mit spitzigen Ruten, 30 Rosenkränze und 9 volle Fasttage 3 Wochen hindurch und ein spitziges Zilizium über die nackte Brust oder Lenden als Strafe diktiert und sogleich ausgeführt.
11. Dazu kamen noch die geistlichen Bußen, oft noch ärger als jene, die uns die liebe würdige Mutter gab. So mußten wir auch bei Nacht vom besten Schlafe oft aufstehen und Chorbeten gehen, was besonders im Winter sehr bitter war. Wurden wir krank ob der vielen Strapazen und Marter, so durften wir uns nie die liebe Gesundheit, sondern allzeit nur den bittersten Tod wünschen wegen Abbüßung unserer läßlichen Sünden, und dergleichen schrecklichste Selbstverleugnungen mehr. – Du siehst aus meiner zwar kurzen, aber überaus wahren Schilderung unsern sehr bitteren irdischen Zustand.
12. Wir haben also für Christus viel und meist geduldig erlitten und haben uns ohne Murren willigst gefügt den harten Regeln unseres strengen Ordens! Wir haben all unser Vermögen diesem Orden vermacht zu seiner heilsamen Ausbreitung zur Ehre der allerseligsten Jungfrau Maria und zur stets größeren Ehre Gottes! So glaubten wir denn, an Gott keine unbillige Forderung gestellt zu haben, so wir nach unserem bitteren Leibestode sogleich in die ewige Glückseligkeit möchten aufgenommen werden! Aber nicht nur, daß wir alle unsere begründeten Hoffnungen hier wie einen Schaum zerfließen sahen, sondern höre:
13. Als wir alle, die wir hier stehen, fast zu gleicher Zeit uns hier in dieser Welt trafen und von einigen Bauern angerufen wurden, daß wir nun in der Geisterwelt wären, da sahen wir von einer andern Seite ganz liederliche und wohlbekannte Weibspersonen in diese Welt ankommen. Wir waren ganz sicher der Erwartung, daß sogleich eine Menge Teufel daherkommen würden, um diese schlechten, ausgelassenen und ketzerischen Weiberseelen sogleich verdientestermaßen in die Hölle zu ziehen!
14. Allein – ah, wer hätte sich das je können träumen lassen! Statt der Teufel kamen sichtbare Engel vom Himmel herab und umkleideten diese schlechten, sündigsten Seelen sogleich mit wahren himmlischen Kleidern! Sie gaben ihnen leuchtende Palmen und trugen sie schnurgerade in den Himmel; uns aber würdigte kein Engel auch nur eines Blickes! Wir schrien, wir beteten, ja wir beschworen Maria und Gott bei allen Seinen Heiligen und Auserwählten, – aber all unser sicher Millionen Jahre langes Schreien war bis jetzt noch fruchtlos! Sage, ist das nicht zu arg!? Sind wir nicht betrogen, zeitlich und ewig! Ist das wohl auch eine Gerechtigkeit Gottes zu nennen?!“
15. Spricht Bischof Martin: „No, no, habt nur Geduld! Für jetzt seid ihr versorgt. Und wenn's auch in die Ewigkeit nicht besser würde wie nun mit euch, so könntet ihr es schon ertragen! Denn auf euer Verdienst dürfet ihr euch eben nicht zu viel einbilden. Warum waret ihr so dumm auf der Welt, euch einsperren und prügeln und am Ende gar förmlich umbringen zu lassen? Was Gutes habt ihr dadurch euren Nächsten wohl getan? Ihr habt nur für eure Haut gesorgt und hättet euch wenig daraus gemacht, so Gott auch die ganze Welt verdammt hätte, wenn nur ihr den Himmel erworben hättet!
16. Sehet, mit solcher Nächstenliebe kommt hier niemand weiter. Darum seid geduldig und werft euer Verdienst von euch! Betrachtet euch als schlechte, nutzlose Mägde des Herrn, so werdet auch ihr bei Gott Gnade finden! Tretet nun zurück und lasset die Herz-Jesu-Damen hierher kommen!“
01. Die Schulschwestern treten nun etwas murrend zurück. Die Herz-Jesu-Damen treten hervor und beginnen sogleich folgende Rede zu führen: „Allerhochwürdigster Herr! Wir sind Damen des allerersten Damenordens der Welt, in welchen Orden nur Mädchen von sehr reichen, angesehenen und adeligen Häusern aufgenommen werden, wo sie alles lernen können, was es in der Welt nur immer zu lernen gibt!“
02. (Bischof Martin bei sich: „Nicht übel, – die fangen schon gut an! Gerade so wird's der Herr am besten brauchen können, oder was anders?“)
03. (Die Herz-Jesu-Damen:) „Alle Sprachen, Musik und Tanzen, allerlei andere Gymnastik – wie Fechten, wo tunlich auch das Reiten –, dann Zeichnen, Malen, allerlei Kunststickereien und Kunstnähereien! Daneben natürlich werden auch alle andern Wissenschaften traktiert wie die vollkommene Geographie, Mathematik, Physik, Astronomie, Geschichte, Nautik, Hydraulich, Geometrie, Trigonometrie, Stereometrie, Poesie in den nobelsten Sprachen Europas und noch eine Menge anderer nützlicher Gegenstände.
04. Kurz und gut, in unserm Orden werden aller Welt Wissenschaften gelehrt und aller Welt Künste geübt – natürlich nur, so es verlangt und dafür gezahlt wird. Die übrige Zeit aber wird mit Beten, Singen, mitunter auch mit Fasten zugebracht, täglich eine Messe gehört und wöchentlich dreimal Beichte und Kommunion. Auf die Übertretung der strengen Ordensregeln sind auch angemessene scharfe Strafen gesetzt, welche allzeit leider genauer beachtet werden als die Ordensregeln selbst!“
05. (Bischof Martin bei sich: „Schau, bin doch auch ein Bischof gewesen, aber die Geheimnisse dieses Ordens habe ich nie so ins Detail eingesehen wie eben jetzt! Ah, an diesem Orden muß der Herr ja eine ganz besondere Freude haben!?“)
06. (Die Herz-Jesu-Damen:) „Du lieber, allerhochwürdigster Freund, du siehst daraus, –“
07. (Bischof Martin bei sich: „daß ihr die dümmsten Gänse seid!“)
08. (Die Herz-Jesu-Damen:) „welche schwere Regeln unser allerstrengster Orden hat und welche Größe“
09. (Bischof Martin bei sich: „der Dummheit“)
10. (Die Herz-Jesu-Damen:) „von Selbstverleugnung dazu gehört, alle diese tausend schwersten Regeln genau zu beachten. Ja, ich sage dir, nur wahre Riesen“
11. (Bischof Martin bei sich: „von Narren“)
12. (Die Herz-Jesu-Damen:) „von Geistern gehören dazu, um alle die schwersten Regeln zu beachten! Dennoch haben wir alle wie wahre Heldinnen fürs Himmelreich all diese Regeln genauest beachtet und geglaubt, der Himmel könne uns auf diese Art unmöglich entgehen!“
13. (Bischof Martin bei sich: „Da gehört wirklich ein sehr starker Glaube dazu!“)
14. (Die Herz-Jesu-Damen:) „Aber da siehst du uns jetzt nach einigen Millionen von Erdenjahren noch ganz so elend, wie wir uns zum ersten Male hier in dieser Geisterwelt befanden. Dies dein Haus ist der erste herrliche Gegenstand, der uns in dieser Welt zu Gesichte gekommen ist. – Frage: Ist das wohl auch eine göttliche Gerechtigkeit?!“
15. (Bischof Martin bei sich: „O nirgends mehr als eben hier bei euch dummen Gänsen!“)
16. (Die Herz-Jesu-Damen:) „Anstatt, daß man uns den wohlverdienten Himmel gegeben hätte, mußten wir von einem ganz roh und ungebildet aussehenden, gemeinsten Bauernbengel, als wir bei einer Pforte anklopften, über der geschrieben stand ,Tür in den Himmel!‘ die Worte anhören: ,Zurück mit euch, ihr dummen und törichten Jungfrauen! Warum habt ihr eure Lampen nicht zuvor mit Öl gefüllt!‘“
17. (Bischof Martin bei sich: „Nichts mehr als billig! Diese Gänse könnte ich schon beinahe selbst aus meinem Hause treiben!“)
18. (Die Herz-Jesu-Damen:) „Darauf verschwand diese Himmelspforte, und wir waren sogleich von einer Menge kleiner Teuferl umringt, die aussahen wie Irrlichter. Diese Teuferl hüpften fortwährend um uns herum und neckten uns jämmerlich die ganze endlose Zeit hindurch, bis wir erst vor kurzem diese gegenwärtige Gesellschaft trafen auf unserer schon nahezu ewigen Flucht!
19. Was sagst du, liebster, allerhochwürdigster Freund dazu? Was ist das, – was sollen wir denn tun, um vielleicht doch einmal in einen etwas bessern Stand zu gelangen? Oh, rate uns, du liebster, hochwürdigster Freund!“
20. Spricht Bischof Martin ganz lakonisch-ironisch: „Ah, ah, ah, da hat euch der Herr freilich sehr unrecht getan! Denn ihr habt ja doch genau nach dem Evangelium gelebt! Ah, das muß ich sagen, da ist der Herr Jehova Jesus sehr ungerecht, wenn Er auf die sehr evangelischen Regeln eures Ordens den Himmel verheißen hat – und ihn euch hernach nicht geben will! Das könnte man von Ihm sogar impertinent und très mal honnête nennen! So zarten und doch so übergelehrten Herzerln den Himmel versagen, – ah, das ist doch alles, was man sagen kann? Es müßte nur sein, daß ihr vielleicht heimlich untereinander sodomitische Unzucht getrieben hättet? Oder ihr hättet etwa neben euren tausend gelehrten Ordensregeln die beste christliche Regel der Nächstenliebe ganz hintangesetzt?!“
21. Spricht eine andere, stark französisch wirken wollende Dame: „Aeh ne, aeh ne, mon ami, mer leben schon all' sehr Keußeit, ond Religion habe mer aug sehr gehabt! O mon dieu, was brauk mer plus pour le Imel? Der Näckstelieb sein le ons, und den sodomitischen Onzuckt könn' mer nikt, we sein der für Fih!? Mer habe urdenlik geleben ond verstege, mon ami, keiß wie den Blumen! Was will mer plus Monsieur Jesu Christ?“
22. Spricht Bischof Martin: „Ich bitte dich, höre mir um Gottes willen auf mit dieser Sausprache! Bist doch eine Deutsche und kannst aus lauter Sprachenmodedummheit deine Muttersprache nicht reden? Glaubst denn du, so eine deutsche Franzosengretel wird hier in den Himmel kommen? Ich sage dir, du extra dumme Gans, da hat's noch lange Zeit! – Nein, das ist mir noch nicht vorgekommen hier im Geisterreiche! Geister sogar anderer Planeten haben mit mir ganz rein deutsch gesprochen, und dieser dummen Herz-Jesu-Dame gefällt noch's Französische besser, als deutsch mit einem Deutschen zu reden! – Warum hat denn deine Vorgängerin, die doch eine geborne Lyonerin ist, mit mir gut deutsch reden können, und warum du stolze Gans nicht?!“
23. Spricht die Dame: „O Freund, weil ich glaubte, mich dadurch bei dir recht einzustellen!“
24. Spricht Bischof Martin: „Das war wohl ein ganz dummer Glaube gleich dem, durch den ihr alle für eure grenzenlose Dummheit von Gott den Himmel erwartetet! Meint ihr, der Herr hat den Himmel für solche dummen Gänse gemacht? Oh, da seid ihr in einer sehr großen Irre! Ich sage euch: Eher kommen alle Esel und Ochsen hinein denn ihr, merket euch das! Gehet dort in den hintersten Winkel und lernet zuerst die Demut! Dann erst kommet und fragt, ob für euch irgendeine Kuhmagdstelle im untersten Himmel zu vergeben sein wird – woran ich sehr zweifle. Gehet, wohin ich euch beschied!“
01. Tritt ein Jesuit hervor und spricht: „Edler Freund, du scheinst eben kein großer Freund von Künsten und Wissenschaften zu sein, weil du an diesen so überaus wertesten Damen des Herzens Jesu so wenig Wohlgefallen findest. Und doch sind sie sozusagen der einzige weibliche Orden, der mit allem Fleiße den Wissenschaften und Künsten von früh morgens bis spät abends obliegt und dadurch uns Brüdern der Gesellschaft Jesu am nächsten kommt! Ah, Bruder, Freund, diese Damen solltest du doch mit mehr Achtung und Liebe behandeln!“
02. Spricht Bischof Martin: „Warum nicht gar, diese dummen, eingebildeten Greteln mit mehr Achtung? Ich sage dir, für diese ist das noch viel zu viel, was ich ihnen an Achtung zolle! Diesen sollte man die Türe weisen und sie noch auf einige Millionen Jahre hinausstoßen. Vielleicht verlernten sie dadurch ihre fremden Sprachen – was wirklich gut für sie wäre!
03. Siehe, wie ich sie nun anschaue, so sehe ich Zorn und Hochmut aus ihren Augen sprühen! Sie möchten sich wohl sehr gerne verstellen, aber das tut sich nicht hier im Reiche der Geister. Denn hier durchschaut man besonders so lockere Geister mit einem Blick und erschaut bald und leicht, wie sie so ganz eigentlich von innen beschaffen sind. Weil ich aber diese Gänse nun noch besser durchschaue und sie ob ihrer großen Torheit mich sehr anekeln, muß ich sie ja wenigstens in jenen Winkel hinbescheiden, damit ich mich nicht ärgere an ihrem Anblicke.
04. Du selbst und alle deines löblich-dummen Kollegiums aber müsset euch auf euern höchst ungebührlichen Namen eben auch nichts einbilden. Denn denke selbst nach und sage mir, mit welchem Rechte ihr euch Jesuiten nennet, und wer euch da zu solcher Entheiligung des göttlichen Namens die Befugnis erteilt hat? Du wirst dann leicht einsehen, wie schändlich ihr selbst diesen allerheiligsten Namen mißbraucht habt und wodurch ihr alle nun solchen Frevel wieder gutmachen könntet!
05. Kann einer von euch sagen: ,Jesus, der Herr, hat uns so berufen wie etwa einen Paulus oder Petrus‘? Oder hat je einer von euch Jesus gesehen oder gesprochen oder bei Lebzeiten eures Leibes etwa das Evangelium höher gehalten als den Ignatius von Loyola? Seht, ihr waret in der Tat die entschiedensten Feinde Jesu Christi und nennet euch ,Jesu-iten‘?!“
06. Spricht wieder der Jesuit: „Liebster Freund und Bruder, diese Sache scheinst du entweder schlecht oder gar nicht zu verstehen! Verstehst du denn nicht, was das heißt: Omnia ad maiorem dei gloriam!? Siehe, in dem liegt der Grund unseres Namens! Nicht, als wenn uns Jesus, der Herr, nominativ gestiftet hätte, sondern wir nur erwählten diesen Namen zu Seiner größeren Ehre! Ich weiß wohl, daß das Mittel an und für sich nicht löblich ist. Aber was liegt da am Mittel, wenn nur der Zweck gut ist und das Mittel heiligt, wenn dieses auch noch so schal wäre!“
07. Spricht Bischof Martin: „Du sprichst hier auch wie ein Narr und urteilst über göttliche Dinge wie ein Blinder über die Farben! Meinst du wohl, der große Gott, den zahllose Myriaden der unerhörtesten Wunder der Wunder ewig durch die ganze Unendlichkeit ehren – ich sage dir: heilige Wunder, deren Klarheit, Erhabenheit und unbegreiflichste göttliche Schönheit so groß ist, daß sie dich in einem Augenblicke töten würde, so du ihrer ansichtig würdest –, wird dadurch an Seiner Ehre etwas gewinnen, so du dich Ihm zu Ehren ungebührendst ,Jesuit‘ nennst, oder so du durch tausend andere, oft allerschändlichste Mittel scheinbar gute Zwecke zu erreichen wähntest?!
08. Meinst du wohl, daß Jesus die schmähliche Inquisition zu Seiner größeren Ehre eingesetzt hat durch einen Mönch?! Oder meinst du, Jesus hat ein Wohlgefallen an den Autodafés und an anderen Greueln, die ihr vorgeblich zu Seiner größeren Ehre verübt habt, hattet aber doch im Hintergrunde nur einen ganz andern, nicht selten allerschändlichsten Zweck?!
09. Meinst du wohl, der Herr Jesus hat ein Ihn ehrendes Wohlgefallen daran, so du Mädchen geschwängert hast und hast sie dann eben auch ad maiorem dei gloriam in der Kirchengruft lebendig einmauern lassen? Oder so du zur größeren Ehre Gottes das Vermögen von tausend Witwen und Waisen durch allerlei höllische Vorspiegelungen an dich gezogen hast und hattest nachher kein Herz, wenn du Tausende im größten Elende schmachten sahst?!
10. Meinst du wohl noch im Ernste, so was könnte zur größeren Ehre Gottes dienlich sein, und der Herr Jesus hätte ein Wohlgefallen an solcher Verherrlichung Seines Namens? Oh, wenn du das im Ernste meinst, so bist du das bedauernswürdigste Wesen in der ganzen ewigen Unendlichkeit Gottes!
11. Was wohl würdest du sagen, so nun Jesus, der alleinige, ewige Herr und Gott Himmels und aller zahllosen Myriaden von Welten, vor dir stünde und dich fragte, wie du und dein ganzer Anhang Sein Wort gehandhabt habt? Und wer hat euch das Recht erteilt, Seinen allerheiligsten Namen auf eine so gräßliche Art zu entheiligen? Sage – ja saget ihr alle, was wohl würdet ihr dem allmächtigen, ewigen Gott erwidern?!“
12. Alle ergreift ein ersichtlicher Schauder und eine starre Stumpfheit. Keiner getraut sich auch nur mit einer Silbe dem Bischof Martin etwas zu erwidern, denn sie alle halten ihn nun für einen Richterengel.
13. Nur eine Barmherzige Schwester geht ganz furchtsam zum Bischof Martin hin und sagt: „O du richtender Engel im Namen Gottes! Nur in die Hölle verdamme uns nicht; ins Fegefeuer wollen wir in Gottes Namen ja alle gerne gehen! – Oooooh, das ist ja schrecklich, was du für ein gestrengster Richter bist! Hohoh – habe doch nur einiges Mitleid mit uns armen Sündern und Sünderinnen!“
14. Spricht Bischof Martin: „Stehe auf, du blitzdumme Barmherzigerin! Ich bin ewig kein Richter, sondern selbst ein armer Sünder und erhoffe selbst des Herrn Gnade. Aber ich sehe meine große Dummheit Gott sei Dank nun ein, und so zeige ich euch auch die eurige, auf daß ihr dieselbe ablegen sollet und werden, wie es die ewige Ordnung des Herrn will. Sonst werdet ihr stets nur in ein größeres Elend verfallen, statt emporzusteigen in eine größere Seligkeit!
15. Daß ich euch aber nicht richte, beweist, daß ich euch alle aufgenommen habe und euch nicht fortschaffe, sondern freundlichst allesamt behalte – so ihr bei mir verbleiben wollt. Aber so ihr bleibet, müßt ihr nicht an euren Torheiten festhalten, sondern euch ruhig belehren lassen von dem, der hier sicher mehr Erfahrung hat als ihr Neulinge in dieser Welt. Seid nun ruhig, und denket über meine Worte nach!“
01. Es treten abermals zwei andere Jesuiten und dazu noch zwei Liguorianer vor den Bischof Martin und sagen: „Lieber, bester Freund, wir sind mit deiner Lehre, die du uns allen zugleich gegeben hast, wohl recht sehr einverstanden. Wie wir's jetzt verspüren, so geht uns allen hier auch wirklich nichts ab. Aber so wir daneben nur eine kleine Beschäftigung hätten, da wären wir mit diesem Lose überhaupt zufrieden und verlangten für die ganze Ewigkeit kein besseres. Müßten wir aber ohne alle Beschäftigung die ganze Ewigkeit zubringen, da wäre uns am Ende schon der vollkommene Tod lieber als so ein einförmigstes geschäftsloses Leben.“
02. Spricht Bischof Martin: „Freunde, könnet ihr lesen, was da auf dieser runden weißen Tafel geschrieben steht?“
03. Spricht einer von den vieren: „O ja, da steht ja das verhängnisvollste ,Dies irae, dies illa! Libera nos ab omni malo! Memento, homo, quia pulvis es et in pulverem reverteris! Requiescant in pace! Requiem aeternam dona eis, domine, et lux perpetua luceat eis! Ex profundis clamavi! Clamor meus ad te veniat! Vitam aeternam dona eis, domine, et sedere in sino Abrahami, et considere ad mensam illius, et comedere cum illo per omnia secula seculorum, amen!‘
04. Siehe, lesen kann ich ja noch, wenn ich auch meinem Gefühle nach einige tausend Millionen von Jahren keinen Buchstaben mehr gesehen habe. Aber sage mir, was soll's denn da mit diesen alten dogmatischen Versen? Wird sich denn hier in der Geisterwelt etwa ganz ernstlich danach gerichtet? Wahrlich, so das der Fall wäre, sähe es sehr schlecht aus mit unser aller Existenz für die ganze lange Ewigkeit! O Freund, erläutere uns das, wie es hier zu verstehen und zu nehmen ist!“
05. Spricht Bischof Martin: „Wie anders soll es denn zu verstehen sein, als wie es da geschrieben steht! Ich sage euch, diese Stellen haben keinen andern Sinn als den nur, der sich klar aus ihren zusammengefügten Worten entnehmen läßt! Zudem saget ihr es selbst: Habt ihr wohl je auf der Welt einen andern Sinn mit diesen Exklamationen verbunden, als der sich in der äußern Fügung kundgibt? Waret ihr auf der Welt mit diesen Verseln zufrieden, wo sie euch Geld trugen und ein geheimes geistliches Ansehen, warum sollen sie euch jetzt genieren, wo ihr Sinn an euch praktisch angewendet wird? Was brauchet ihr Beschäftigung? Requiescant in pace; ergo requiescamus! Diese Ruhe im ewigen Frieden habt ihr nun alle gefunden!
06. Licht gibt es auch hier, das da bei den schönen großen Fenstern fortwährend gleich hereinleuchtet. Also ist auch dies mein Haus gleich einem Schoße Abrahams und dort jener große, mit gutem Brote und Weine vollgefüllte Schrank ein wahrer Abrahamstisch, bei dem ihr samt mir ewig gespeist werdet bis zum jüngsten Gerichte – und, so ihr an diesem Tage des Zornes nicht verdammt werdet, auch nach diesem ewig! Was wollet ihr da noch mehr?!“
07. Spricht der Liguorianer einer: „Ja, ja, Freund, du hast recht, es wird schon also sein. Dessenungeachtet aber muß ich dir nach meinem Gefühle bemerken, daß die Geschichte mit der hier überaus langweiligen Zeitenfolge ganz unbegreiflich, entsetzlich langweilig wird! Denke dir: ewig hier, völlig müßig, und nichts anderes ewig zu erwarten habend! Höre, Freund, diese Langweile nach etwa einigen Dezillionen Erdenjahren! O Herr, das wird doch kein lebend Wesen mehr zu ertragen imstande sein!“
08. Spricht Bischof Martin: „Ja, was nützt dir aber da auch dein Vernünfteln! Hast du denn nie gelesen, daß geschrieben steht: ,Jeder wird seines Glaubens leben‘ und ,Wie der Baum fällt, so wird er liegen bleiben‘? Warum glaubten wir denn so ein dummes Zeug, dessen Wirklichkeit uns hier nicht munden will?
09. Waren wir starrsinnige Esel auf der Welt, so müssen wir uns auch hier die Verwirklichung unseres eselhaften Glaubens gefallen lassen, ob sie uns behagt oder nicht! Hätten wir aber weiser unsern Glauben auf der Welt eingerichtet, würden wir uns auch hier sicher besser befinden. Wir alle aber – ich nicht ausgenommen – waren auf der Welt nur desto glücklicher, je mehr Finsternis wir dort verbreiteten. Darum geniere uns das auch hier nicht, so wir nun allesamt hier in unserer eigenen Dummheit begraben leben wie im vermeintlichen Schoße Abrahams!
10. Gab und gibt es nicht in der Welt eine ungeheure Menge von alten Eseln, Ochsen und Schafsköpfen, die zwar selbst in einem fort vom Lichte und von Aufklärung faseln? Wenn ihnen auch ein besseres Licht gegeben wird und ein besseres Futter, so aber richten sie sich dennoch nicht danach, sondern kehren ganz behaglich in ihre alte Dummheit zurück, fressen das alte Futter und erquicken ihre Augen am spärlichsten Zwielichte ihres Esels- oder Ochsenstalles, so sie ihres Magens alten Unflat wiederkäuen können.
11. Seht, dergleichen Esel und Ochsen und Schafsköpfe waren ja eben auch wir im Vollmaße. Daher muß es uns nun gar nicht wundern, wenn der Herr so großmütig für unsere alte Viehnatur gesorgt hat. Wer Freude hatte an der Dummheit, der bleibe in seiner Freude! Wer Freude hatte mit dem Schlafe, der kann hier schlafen nach Herzenslust! Wer Freude hatte am Müßiggange, der ruhe hier ewig! Wer Freude hatte am Essen und Trinken, dort ist Abrahams Tisch! Wer sich gerne mit Jungfrauen befaßte, der hat dort Barmherzige Schwestern, Schulschwestern und Herz-Jesu-Damen! Wir sind ja ohnehin mit allem bestens versorgt; was jammern wir da noch?!“
12. Alle zucken die Achseln und sagen: „Du hast zwar recht – aber der Teufel soll unsere Weisheit holen! Könnten wir noch einmal Frösche auf der Welt werden und nach Lust quaken, so wären wir offenbar besser daran! Aber was nicht mehr zu ändern ist, das muß leider so verbleiben.“
01. Tritt ein Minorit hervor, und spricht: „Freunde, lasset mich ein Wörtlein reden! Und sollte es zu nichts Besserem taugen – was ich freilich nicht bestimmen kann –, so soll es uns wenigstens ein Stückchen von unserer bevorstehenden ewigen Ruhe angenehmer machen!“
02. Sprechen alle: „Bravo, recht so! Rede nur zu, wir werden dich mit Vergnügen anhören! Denn du warst ja schon auf der Welt als ein sehr weiser und salbungsvoller Redner bekannt. Rede daher hier nur fleißig zu, wie dir die Zunge gewachsen ist!“
03. Spricht der Minorit: „Brüder und Freunde, wir hatten alle auf der Welt gewisserart zwei Evangelien. Erstens ein altes von Christus dem Herrn und von manchen Seiner Apostel, und zweitens das der römisch-katholischen Kirche, die sich den dogmatischen Titel ,die Allein-Seligmachende‘ beilegte, indem sie sich auf dem Stuhle Petri zu befinden wähnte und noch wähnt und die Schlüssel zum Himmel wie zur Hölle habe.
04. Dieser Kirche schworen wir, bis an unser letztes Ende treu zu sein und alles für wahr anzunehmen, was sie zum Glauben gebiete – ob es nun in irgendeiner Bibel geschrieben stehe oder nicht. Ebenso haben wir uns ihr auch eidlich verpflichtet, jeden Andersdenkenden und Andersglaubenden als einen barsten Ketzer zu betrachten und zu verdammen.
05. Was wir beschworen haben, das hielten wir auch genau – obschon nicht selten wider unsere eigene Vernunft und wider allen gesunden Menschenverstand.
06. Ihr wißt wohl alle, wie uns die Bibel zu lesen von der Kirche aus als Todsünde verboten war und wie wir bloß nur die sonntäglichen, sehr abgekürzten Evangelien lesen durften. Alles andere durften bloß die Doktoren der Theologie lesen und verstehen. Uns waren dafür die Patres ecclesiastici und das Breviarium und die Legenden beschieden, dann auch die Ordensregeln, der Ignatius v. Loyola, die Reliquien, Bilder, die Messen, die Sakramente, die Beichte und noch eine Menge anderer Dinge mehr, die man hier sicher ohne Scheu als barste, oft bösartige Dummheiten bezeichnen kann.
07. Frage: So wir bei all dieser, von Gott doch sicher wenigstens zugelassenen römischen Kirchenverfassung der eigentlichen Jesuslehre schnurgerade entgegengehandelt haben, können da wir etwas dafür? Der Schuldträger daran ist somit nach allem menschlichen und sicher auch göttlichen Rechte zur Verantwortung zu ziehen. Uns allen wäre aber ein solcher Bescheid zu erteilen, wie wir uns für die ewige Zukunft zu benehmen haben und wie gutzumachen, was wir am Ende selbst Schlechtes verübt haben!“
08. Sprechen die andern: „Bravo, du hast wirklich sehr weise geredet und hast uns allen ein großes Vergnügen bereitet! Der Schuldträger büße für uns! So ist's recht! Der Römische Stuhl büße und jeder, der uns zu etwas qualifizieren ließ, ohne unsere Einwilligung auf eine Zeit abzuwarten, in der unser Denkvermögen im rechten Lichte reif und geläutert geworden wäre!
09. Man hat uns getauft ohne unsere Einwilligung und hat eben durch derlei zu frühzeitige Taufe uns ein römisches Bekenntnis aufgedrungen, somit das Kind im Mutterleibe schon verantwortlich gemacht. Oder ist es nicht mehr als toll, von einem neugeborenen Kinde durch gewisse Stellvertreter einen Eid der Treue schwören zu lassen? Ohne zu bedenken, ob das Kind, so es erwachsen sein wird, mit dieser genötigt geschworenen Treue wohl einverstanden sein wird oder nicht, und im entgegengesetzten Falle offenbar einen Eidbruch begehen muß. Oh, das ist ja entsetzlich widerchristlich!
10. Hat doch Christus Selbst gesagt: ,Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden!‘ Oh, das ist ja ganz antichristlich; wie kann man denn früher getauft werden, als man noch des christlichen Glaubens in sich bewußt wird? Die Taufe soll doch ein lebendiges Zeugnis sein, daß jemand den christlichen Glauben zur einzigen Richtschnur seines Lebens angenommen! Weiß aber ein neugeborenes Kind, was Glaube, was der christliche Glaube und was ein Zeugnis ist? Ah, wenn man da recht nachdenkt, findet man die Dummheit immer größer und widerchristlicher!
11. Es heißt, daß durch diese Taufe die Erbsünde und alle vor der Taufe begangenen Sünden nachgelassen werden. Oh, wie schroff dumm ist das doch! Kann ein nur ein wenig heller denkender Mensch ein Kind darum verdammen, weil seine Eltern einen verzeihlichen Fehler begangen haben unter sich? Und Gott, der allerhöchst Weiseste, sollte Kindern der mehr als tausendsten Generation noch fortwährend Adams Fehltritt zur Todsünde rechnen, die doch nie eine Schuld an seinem Fehltritt haben können?! Ja, das sieht man erst hier so recht ein. Was aber die vor der Taufe begangenen Sünden betrifft, so ist das doch rein zum Lachen! Ein Kind wird doch nicht schon im Mutterleibe sündigen!
12. Ein Heide aber, der erst zur christlichen Religion übertritt, die jetzt wohl bei weitem heidnischer ist als das barste Heidentum selbst, welche Sünden kann er wohl haben? Es müßten nur Sünden gegen seine heidnischen Gesetze sein. Denn gegen die christlichen Gesetze kann ein Heide sich doch unmöglich versündigen, weil er sie noch nie erkannt hat! Einem Heiden aber seine heidnischen Sünden nachlassen, hieße ja doch nichts anderes, als ihn von vorne wieder in seinem Heidentum bestätigen. Ebendasselbe ist sicher bei einem Juden der Fall: denn einem Juden durch die Taufe verzeihen wollen, daß er so lange ein Jude war, das wäre doch auch alles, was sich nur ein einigermaßen nüchterner Mensch als Kulminationspunkt der Dummheit denken kann!“
13. Spricht wieder der Minorit: „Freunde, ihr seid mir nur zuvorgekommen. Eure Bemerkung war ganz richtig. Ich sage euch: Mir kommt nun diese römische Christenmacherei schon im Mutterleibe geradeso vor wie die alten Märchen von der Teufelsverschreiberei! Man wird hier aus lauter niedrigen, politischen Absichten schon fast im Mutterleibe förmlich dem ,Gott-steh-uns-bei‘ verschrieben, der einen dann durch Rom von allen Seiten her völlig in Beschlag nimmt. Oh, das ist löblich! Und so eine widerchristliche, sogenannte ,Erste Christenkirche‘ nennt sich auch noch dazu eine ,Mutter‘ und ihr Oberhaupt einen ,Stellvertreter Jesu Christi‘, also Stellvertreter Gottes!
14. Merkwürdig, merkwürdig – und doch ist es wahr: in welchem Irrsal waren wir doch alle und merkten es nicht, daß wir schon von der Geburt an rein des ,Gott-steh-uns-bei‘ waren! Durch die Taufe hätten wir sollen von der blitzdümmsten Erbsünde befreit werden so, daß wir dadurch zu Gotteskindern würden. Schöne Gotteskinder, – Gott steh uns bei! Statt aus der Hölle sind wir nur buchstäblich in die Hölle hineingetauft worden!
15. Und daß ja niemand je an ernstliche Buße und wahre Besserung seines Lebens denken sollte, ward die alle Todsünden beschwichtigende Ohrenbeichte erfunden mit dem vollkommenen Absolutionsrechte bei uns Priestern. Dadurch wurde jeder Mensch wieder in seinen alten Pfuhl hineingeworfen und war nie imstande, eine neue Kreatur in Christus zu werden!
16. O Brüder, Brüder, Brüder! Das sind Sachen, deren Zulassung von seiten Gottes uns ein ewig unauflösliches Rätsel bleiben wird! ,Werdet alle vollkommen, wie da euer Vater im Himmel vollkommen ist!‘ Schöne Vollkommenheit das, wo man wohlbewußt nur dümmer noch als ein Stockfisch sein mußte und erst jetzt als Geist in einem mehr himmlischen Lichte einzusehen anfängt, in welchem Irrsal man sich auf der Welt befunden hat!
17. Es wäre noch sehr viel zu reden und ließe sich immer deutlicher erweisen, daß der Römische Stuhl der ganz alleinige Schuldträger an all unserer Verkehrtheit ist. Aber ich denke, was wir jetzt nur dunkel einsehen, das wird der Herr sicher im vollsten Lichte sehen. Und Er wird uns armen verführten Sündern gnädig und barmherzig sein, wenn wir allen von Herzen vergeben wollen, die je irgend an unserer planmäßigen Verfinsterung Schuld getragen haben und noch tragen! – Das ist so meine Meinung; was meinet denn ihr?“
18. Alle rufen laut: „Bravo!“ und sind – bis auf wenige Jesuiten – vollkommen mit ihm einverstanden.
01. Diese Jesuiten aber übernimmt Bischof Martin zur Bearbeitung und beginnt mit diesen Kopfschüttlern und Achselzuckern einen ganz radikalen Diskurs zu führen, der so lautet:
02. „Warum schüttelt ihr verneinend eueren Kopf und zuckt zweifelhaft mit den Achseln? Versteht ihr die Sache etwa besser als eure nun recht bieder denkenden Gefährten? Ich glaube es kaum! Ich weiß aber, wo ihr hinauswollt, und eben darin liegt der Grund, warum ihr wenigen hierbei den Kopf schüttelt und die Achseln zuckt! Sehet, ich will euch sagen, was euch noch die dreifache Decke Mosis vor den Augen hält!
03. Zuerst ist es euer alter, starrer, unbeugsamer Sinn, der eure Gemüter noch fortwährend beherrscht und kein besseres und reineres Licht in eure Herzen kommen läßt. Fürs zweite aber ist es euer finsterer Irrwahn, demzufolge ihr glaubt, es gehöre, um ein Christ zu sein, vorerst nichts als die Taufe dazu. Man brauche jemanden bloß nur im Namen des Vaters, des Sohnes und Heiligen Geistes zu taufen – und der Christ ist nach eurem Irrglauben fertig! Wahrlich, ein schöner Glaube! Und fürs dritte seid ihr noch der hochmütigen Meinung und des herrschsüchtigsten Glaubens, ihr seid die rechten Apostel des Herrn und habt von Ihm die Gewalt, zu tun, was ihr wollt, weil ihr den wahren Heiligen Geist hättet!
04. O ihr alten Narren! Wodurch könnt ihr das beweisen? Wo steht in der Schrift ein solcher Text, durch den sich eure Narrheit rechtfertigen ließe? Meint ihr, daß der Herr auch zu euch vollkommensten Widerchristen geredet hat, was Er zu Petrus und zu Seinen andern Aposteln geredet hat, als Er sie in die Welt hinaussandte, das Evangelium allen Völkern zu verkünden? Oh, da seid ihr in großer Irre! Sehet, dort heißt es: ,Nehmet hin den Heiligen Geist! Was ihr – im Besitze dieses Heiligen Geistes – binden oder lösen werdet auf Erden, das soll auch im Himmel gebunden oder gelöset sein!‘
05. Habt ihr aber je diesen Heiligen Geist besessen? Kann sich der Heilige Geist je selbst widersprechen, kann er ändern, was er einmal für ewig bestimmt hat? Oder kann er auch noch weiser werden und einsehen, daß seine einmal gegebenen Gebote mangelhaft seien und daher mit neuen und besseren zu ersetzen sind?
06. Hat denn der Heilige Geist zu den Zeiten der Apostel noch nicht eingesehen, daß da später Mönche aller Farben und Gattung vonnöten sein werden, die Menschen in den Himmel zu bringen? Daß da Bilder, Schnitzwerke, Reliquien, Gnadenbilder, Glocken, Weihbronn, Weihrauch, Meßgewänder, Mönchskutten, Kirchen und Klöster, Kelche und Monstranzen, Meßglöckchen und lateinisch korrespondierende Ministranten und tausend derlei Torheiten mehr nötig sein werden, um in den Himmel zu kommen? Wie blind muß der Heilige Geist damals doch gewesen sein, daß er solche Notstücke nicht schon zu den Apostelzeiten für das Seelenheil der Menschen eingesehen und sogleich angeordnet hat!
07. Oder sind die ersten Christen samt Petrus und Paulus eben darum nun wirklich des Teufels, weil sie keine Kirchen, keine Glocken, keine lateinischen Messen und Totenämter hatten und keine seligmachenden Gnadenbilder, sogar keine Beicht und letzte Ölung, keine teuer bezahlten Seelenämter, kein Verschiedenläuten, kein Bahrtuch, keine Windlichter und gelben Wachskerzen und dergleichen mehr?!
08. Seht ihr denn solch einen Unsinn noch nicht ein? Sehet ihr nicht ein, daß wir alle – eben durch diese von unserer Habsucht und glänzenden Herrschgier ganz eigenmächtig, nicht nur ohne den allergeringsten evangelischen Auftrag, sondern schnurgerade wider das Wort Gottes und wider die Lehre aller Apostel kreierten – sogenannten gottesdienstlichen Werke, Gesetze und Zeremonien die offenbarsten Sünder gegen den Heiligen Geist waren, von denen es heißt, daß es ihnen nicht vergeben wird, weder zeitlich noch ewig?
09. So ihr das reine Wort des Herrn an alle Menschen nur einmal oberflächlich vergleichet mit unserem römisch-katholischen Unsinn, muß es euch ja wie Schuppen von den Augen fallen. Und ihr müßt vollkommen einsehen, daß Rom nichts als die in der göttlichen Offenbarung nur zu klar bezeichnete Hure Babels ist und wir Priester zuallernächst ihre Engelchen – Gottstehunsbei – sind in optima forma!
10. Laßt also, liebe Brüder und Schwestern alle, euren alten weltlichen Unsinn fahren! Wendet euch samt mir alle an den alleinigen Gott und Herrn, Jesus Christus – so werdet ihr alle sicher in Gnaden angenommen werden!
11. Aber höret: nicht diese meine magere, wennschon gut gemeinte Beredung, sondern euer eigener Wille und die Liebe eures Herzens bestimme euch fest und unabänderlich dazu!“
12. Alle sind nun mit dem Bischof Martin einverstanden, – nur die Herz-Jesu-Damen sagen: „Bis wir nicht von Gott Selbst, oder wenigstens von der seligsten Jungfrau Maria den Auftrag dazu erhalten, bleiben wir der römischen Mutter getreu und nehmen von euch keine neue Lehre an, die uns in die Hölle bringen könnte!“
13. Spricht Bischof Martin: „Nur still, ihr dummen Greteln! Der Herr wird euch sogleich eine ganz eigene Wurst braten lassen! Wollt ihr das Evangelium nicht zu eurer Lebensrichtschnur nehmen für ewig, so bleibt in eurer Dummheit eine ganze Ewigkeit lang und zehret an dem Speck eurer lieben römischen Mutter! Daß ihr dabei sicher nicht zu fett und schön werdet, dafür wird des Herrn Weisheit Sorge tragen. Denn der Herr versteht es, so dumme Geister auf eine ganz gehörige, überhomöopathische Diät zu setzen, welche oft eine kleine Ewigkeit dauert und solchen dummen Geistern entschieden die besten Dienste leistet – was ich aus der Erfahrung weiß!
14. Lassen wir diese dummen, finstern Damen bei ihrem Glauben! Wir aber wollen uns null einem bessern Lichte zuwenden im Namen des Herrn!“
01. Fragt der Minorit: „Wo, Bruder, wo ist dein ausgesprochenes besseres Licht? Wohin wirst du uns führen, daß wir es erschauen?“
02. Spricht Bischof Martin: „Folgt mir hierher in die Mitte dieses Saales! Seht, dort befindet sich ein wahrhaft göttlich kunstvoller tellurischer und astronomischer Mechanismus! Da wollen wir zuerst die Erde, die wir bewohnt haben, näher betrachten und von ihr uns dann zu den andern Planeten und endlich zur Sonne selbst begeben. Allda werdet ihr so manches erschauen, was euch allen bisher ein Rätsel war. Also nur vorwärts!“
03. Alles bewegt sich nun auf die bezeichnete Stelle und umgibt diese in dichten Reihen. Auch die Herz-Jesu-Damen schleichen ganz langsam nach, um zu sehen und zu hören, was alles da verhandelt wird und wie etwa das vom Bischof Martin bezeichnete bessere Licht aussehen wird.
04. Bischof Martin bemerkt das und spricht ziemlich laut: „Was schleicht ihr weisen Damen uns denn nach, wie auf der Welt eine geheime Polizei? Da ist nichts mit der geheimen Polizeischaft! Wollt ihr euch dem bessern Lichte mit uns, euren Brüdern und Schwestern, zuwenden, so gehet offen und freudig wie wir! Geheime, spitzelhafte Schleicherei wird hier nicht geduldet! Verstanden?“
05. Als die Herz-Jesu-Damen solches vernehmen, machen sie halt und sagen: „Freund, sei nicht zu ärgerlich über uns! Denn so du weißt, daß wir dumm und schwach sind und sicher verleitet – wie es sicher du selbst warst und hast auch nicht gleich beim Eintritte in diese Welt alles für bare Münze angenommen, was dir gesagt wurde –, da habe doch einige Geduld mit uns Armen, wir bitten dich darum! Wir haben von dir bis jetzt noch keinen löblichern Namen als ,Greteln‘ erhalten und haben uns darüber nicht beschwert. Daß wir unsern Orden in Schutz nehmen, wird doch etwas gar so Schlechtes nicht sein! Du, lieber Freund, aber bist uns sehr hart gekommen, doch wir ertrugen es, wenn wir schon ein wenig murrten. Wir bitten dich aber nun, vergib uns, und sei nicht mehr gar so hart gegen uns arme Sünderinnen!“
06. Spricht Bischof Martin: „Ah, diese Sprache von euch gefällt mir schon besser als die französische. Wenn ihr mir so kommt, da kommet nur mutig und freudig zu mir her und überzeugt euch von allem, was hier ist, geschieht und fürder geschehen wird!“
07. Die Herz-Jesu-Damen kommen nun schneller herbei und fangen sich nicht wenig zu verwundern an, als sie dieses großen und kunstvollsten Mechanismus ansichtig werden. Die Jesuiten umstehen sogleich den Erdglobus und schlagen die Hände vor lauter Verwunderung über dem Kopfe zusammen, daß dieser Globus der wirklichen Erde so getreu nachgeformt ist und auf demselben auch nicht die geringste Kleinigkeit mangelt. Die Minoriten gucken mit gleichem Erstaunen diesen Globus an, ebenso auch die Liguorianer. Die Franziskaner bewundern mehr das Planetensystem und den Glanz der Sonne, die hier ebensoviel Licht verbreitet, als zur Erleuchtung des ganzen Planetenmechanismus vonnöten ist. Diese Sonne gefällt auch den Barmherzigen Schwestern und den Schulschwestern am besten. Kurz, alles bewundert diese Einrichtung, und Bischof Martin macht, so gut er's kann, einen eifrigen Erklärer dieser himmlischen Merkwürdigkeit, wobei ihm manchmal freilich ein sarkastischer Witz über die Erscheinungen auf der Erde nicht auf der Zunge steckenbleibt.
08. Nachdem diese ganze große Gesellschaft sich eine geraume Zeit bei diesem Erd- und Planetenmechanismus aufhält und sich von Bischof Martin unterweisen läßt, wird es auf einmal bedeutend heller im Saale. Er kommt nun sogar dem Bischof viel größer vor als früher im sehr gemäßigten Lichte. Die Gesellschaft bemerkt das auch und fragt den Bischof, woher nun mehr Licht und wodurch diese so bedeutende Erweiterung des Saales komme.
09. Bischof Martin spricht: „Meine lieben Freunde und Brüder und Schwestern! Das muß euch hier nicht zu sehr befremden. Denn da verändert sich nur zu leicht alles, was einmal in einer gewissen Art und Gestalt zum Vorscheine kommt. Habt ihr, als ihr hierher kamet, nicht bemerkt, wie klein dies Haus von außen aussah, und wie groß es dann von innen war? Seht, das ist doch schon sicher ein Wunder! So ist auch diese Erscheinung nichts als ein Wunder, das wir zwar alle nicht verstehen, das zu bewerkstelligen aber dem Herrn dennoch etwas überaus Leichtes ist.
10. Ich meine aber, da ihr alle nun schon etwas bessere Erkenntnis angenommen habt, läßt der Herr auch mehr Licht zu uns kommen. Und da sich unsere Begriffe über Ihn nun etwas erweitert haben, so hat auch Er uns diese sichere Wohnung entsprechend erweitert, auf daß wir alle in ihr einen desto hinreichenderen Platz haben sollen. Oh, über derlei Erscheinungen muß man sich hier im eigentlichen Wunderreiche gar nicht zu sehr wundern: hier werden nicht zuerst die Kirschen, dann die Pflaumen und bald darauf Zwetschgen zeitig, sondern hier geschieht alles nur nach der Reife unserer Herzen durch die Allmacht, Liebe und Weisheit des Herrn!
11. Aber nun erschaue ich dort auf der runden Tafel auch auf einmal eine ganz neue, stark glänzende Schrift! Muß doch sehen, was da oben steht!“ Bischof Martin bewegt sich behende zur Tafel und liest: „Martin, komme heraus, denn Ich habe Nötiges mit dir abzumachen! Die ganze Gesellschaft aber soll sich unterdessen ruhig verhalten. Komm, es sei!“ Bischof Martin macht ganz selig der Gesellschaft kund, daß sie sich nun ruhig verhalte, was sie auch genau befolgt. Er aber will dann sogleich dem Rufe auf der Tafel nachkommen.
01. Als Bischof Martin aus der Tür seines Hauses tritt, erschaut er den Garten um sein Haus sehr erweitert und in einem überaus blühenden Zustande, was ihm eine ungemein große Freude macht. So ersieht er auch wieder des Herrn Wohnung in großer Nähe gegen den Morgen zu, was ihn noch ums unvergleichbare seliger stimmt. Aber er sieht sich nach allen Seiten um und erblickt niemand, der ihn draußen erwartete. Das macht unsern Martin schon wieder ein wenig stutzen; aber er verliert diesmal seinen Mut wie auch seine Geduld nicht und geht in den Garten, Mich, den Herrn, aufzusuchen. Er meint, Ich werde Mich da irgend verborgen halten, um möglicherweise von der großen Gesellschaft durch ein Fenster nicht gesehen zu werden.
02. Bischof Martin durchsucht emsigst den Garten. Da er Mich dennoch nicht findet, so spricht er bei sich: „Das sieht schon wieder so einer kleinen himmlischen Ansetzerei gleich! Aber das macht nichts, wenn nur ich meiner erkannten Pflicht nachkomme. Mag der Herr entweder Selbst oder ein Abgesandter von Ihm tun, was Er will, das ist mir nun schon alles eins. Ich könnte freilich wohl zu Ihm hin in Seine Wohnung gehen, aber dazu habe ich keinen Auftrag. Denn auf der Tafel stand nur: ,Martin, komme heraus; denn Ich habe Nötiges mit dir abzumachen!‘ Draußen bin ich nun einmal, meinen Auftrag habe ich genau erfüllt. Hat mich der Herr umsonst herausgerufen, so geht mich das nichts an, ich bin einmal da.“
03. Nach diesen Gedanken schlendert Bischof Martin weiter in dem sehr ausgedehnten Garten herum und entdeckt ganz am Ende des Gartens einen Gärtner, der gerade ein kleines Bäumchen ums andere in das Erdreich setzt. Diesem fleißigen Gärtner geht er zu. Als er in seine Nähe kommt, erkennt er sogleich seinen Buchhändler Borem und spricht voll Freuden: „O Bruder, o Freund! Wie oft habe ich schon bereut, daß ich dich so grob und so arg beleidigt habe! Vergib es mir, und werde mein ewig unzertrennlicher Führer! Denn siehe, ich erkenne nun in der Fülle mein Unrecht gegen dich – und besonders gegen die Güte des Herrn!“
04. Borem sieht sich um und begrüßt freundlichst den Bischof mit den Worten: „Sei mir gegrüßt, mein lieber Bruder Martin! Es macht dem Herrn eine rechte Freude, daß du frei aus dir selbst Gutes getan hast. Darum aber hat der Herr mich auch hierher beschieden, daß ich dir diesen deinen Garten zurechtbringe und ihn erweitere, wie du dein Herz zurechtgebracht hast und hast es sehr erweitert in der Liebe. Fahre so fort, im Namen des Herrn zu wirken, so wirst du dich der Wiedergeburt deines Geistes mit Riesenschritten nahen!
05. Ich aber bleibe nun bei dir, weil du mich selbst in deinem Herzen verlangtest, und will dir beistehen und helfen, wo es dir nur immer nottun wird. In deinem Hause gibt es nun eine große Arbeit. Diese wird uns noch sehr viel zu schaffen machen. Aber wenn der Kampf am ärgsten sein wird, dann wird auch ein glänzender Sieg am nächsten sein.
06. Nun bin ich auch mit dem Einsetzen der Bäumchen fertig. Laß uns daher zu denen gehen, die unserer Hilfe bedürfen! Sie sind zwar von dir schon tüchtig bearbeitet, ungefähr wie dieser Garten nun; dessenungeachtet wird es noch ziemlich viel brauchen, bis alle die tausend Bäumchen vollreife Frucht zum Vorscheine bringen werden.
07. Liebe und Geduld aber überwinden alles! Daher gehen wir nun getrost ins Haus und beginnen sogleich unser gerechtes Werk im Namen des Herrn!“ – Borem und Martin gehen nun sogleich ins Haus.
01. Als nun beide ins Haus kommen, geht ihnen sogleich einer der Minoriten, der schon früher so recht verständig geredet, entgegen und fragt Martin: „O lieber Freund und Bruder, was doch gab es draußen, darum du so eilends hinaus mußtest? Siehe, wir alle waren darob in großer Bestürzung und Sorge wegen deiner: wir meinten, du wärest etwa unseretwegen zur Rechenschaft gezogen, und dir sei darum vielleicht etwas Übles begegnet. O sage uns, wie es dir erging!“
02. Martin lächelt und spricht: „O liebe Freunde und Brüder, seid meinetwegen gänzlich unbesorgt! Seht, diesen lieben Freund und Bruder hat mir der Herr euret- und meinetwegen zugesandt, daß er mir helfe, euch alle auf den rechten Weg zu bringen, – darum einzig und allein bin ich hinaus gerufen worden.
03. Ihr alle aber müßt nun diesen Freund des Herrn willigst anhören und euch allezeit nach seinen Worten richten, so wird euer und vielleicht auch mein Los bald in Kürze ein besseres und freieres werden. Denn seht, auch ich bin noch lange kein völlig seliger Geist, sondern nur auf dem Wege, der vollkommenen Seligkeit durch die Gnade des Herrn teilhaftig zu werden!
04. Befleißigt euch nun alle, dieser Gnade ehest möglich teilhaftig zu werden! Es kann sehr leicht sein, daß wir dann samt und sämtlich unsern Weg zu gleicher Weile in das Reich des Gotteslichtes nehmen werden!“
05. Spricht der Minorite wieder: „Ja, Bruder, wir alle versprechen es dir und deinem Freunde, uns in allem strenge nach der Vorschrift zu verhalten, die ihr uns geben werdet, um nur der allergeringsten Gnade des Herrn teilhaftig zu werden!“
06. Spricht Borem: „Ja, liebe Brüder und Schwestern, haltet dies euer Versprechen aus dem Grunde eures Herzens! Liebet Jesus Christus, den Gekreuzigten, über alles, darum Er ist unser aller einiger, liebevollster und heiligster Vater! Suchet allein nur Ihn und Seine Liebe und hänget an nichts eure Herzen denn allein nur an Ihn, so werdet ihr viel eher, als ihr es denket, euch in Seiner ewigen Liebewohnung befinden! Aber alle eure sinnlichen Weltanhängsel müsset ihr aus euren Herzen verbannen, sonst wäre es nicht möglich, euch in die ewige Wohnung des heiligen Vaters zu bringen. Merket aber nun wohl, was ich euch sagen werde!
07. Seht, ihr alle hattet auf der Welt von Gott und vom Himmel, wie überhaupt vom Leben der Seele und ihrem Befinden nach dem Tode des Leibes, zwar zwei verschiedene, aber durchgehends grundfalsche Begriffe. Ihr habt euch schon bisher überzeugen können, daß sich hier euer irdischer Glaube in nichts bestätigt erwiesen hat: Ihr habt kein Fegefeuer, ja sogar keine Hölle, wie auch keinen Himmel und keine beflügelten Engel gefunden. Wie ihr aber das alles nicht gefunden habt, so werdet ihr auch alles andere ewig nicht finden, woran ihr als römische Katholiken geglaubt habt.
08. Auch alle die Gebetshilfen der Gemeinden und der Priester, auf die ihr große Glaubensstücke gehalten habt, haben hier nicht den allergeringsten Wert. Niemand kommt hier durch ein vermitteltes Erbarmen zum Herrn, da der Herr ohnehin von der allerhöchsten Erbarmung ist. Es wäre daher eine allergrößte, sündhaftigste Torheit, den allerbarmherzigsten, liebevollsten, allerbesten Vater zur Barmherzigkeit bewegen zu wollen.
09. Daher muß hier ein jeder selbst ernstlichst Hand an sein eigenes Werk legen, ansonsten es unmöglich wäre, zu Gott, dem Herrn aller ewigen, unendlichen Herrlichkeit zu gelangen. Seht, ich bin nun selbst ein großer Engel des Herrn. Er ruft mich nicht anders als: ,Mein Bruder! Wie endlos lieb habe Ich dich!‘ Und seht, so ich auch hinginge und möchte bitten für euch eine Ewigkeit, würde euch das dennoch nichts nützen. Denn jeder muß selbst tun aus seiner Liebe heraus, was da in seiner Kraft steht, ansonsten er nie zu der wahren Freiheit seines Geistes gelangen kann. Gott ist wohl allmächtig, aber Seine Allmacht macht niemanden frei, da eben sie es ist, aus der wir durch unsern freien Willen und durch die Liebe zu Gott frei gemacht werden müssen. Sonst wären wir nichts als Maschinen und Automaten dieser Allmacht Gottes.
10. Der Herr aber hat darum aus Seiner endlosesten Weisheit geordnete Wege gestellt, die wir wandeln müssen, um zu dieser göttlichen Freiheit zu gelangen. Diese Wege waren euch bis jetzt unbekannt, ich aber werde sie euch nun bekanntgeben. Daher müßt ihr wohl darauf achten, und euch genau – aber freiwillig – auf diesen Wegen halten. Dann werdet ihr dahin gelangen, wohin zu gelangen ein jeder von Gott geschaffene Geist berufen ist.
11. Es wird euch von nun an alle erdenkliche Freiheit gegeben werden. Was ihr immer wünschen und wollen werdet, wird euch zuteil werden. Aber diese Freiheit ist noch keine Freiheit, sondern nur eine Prüfung, die ihr zu verstehen, aber ja nicht zu mißbrauchen habt!
12. Es werden euch tausende Evas den versuchenden Apfel hinhalten, aber ihr dürft ihn aus Liebe zum Herrn nicht anrühren!
13. Ihr werdet verleumdet und verspottet werden, aber da dürft ihr euch nie erzürnen oder an eine böse Vergeltung denken!
14. Man wird euch verfolgen, wird euch berauben, und mißhandeln sogar. Aber eure Gegenwehr sei nichts als Liebe, obschon euch alle Mittel zu Gebote stehen werden, durch die ihr euch zur Genüge rächen könntet!
15. Gedenket allezeit des Herrn und Seines Evangeliums, so werdet ihr eure Wohnung für die Ewigkeit auf festem Grunde bauen, daß sie nimmer erschüttert wird!
16. Ich sage euch die ewige Wahrheit aus Gott, dem Herrn alles Seins und Lebens. Wer da nicht erfüllet das Wort Gottes in sich tatsächlich, der kann in Sein Reich nicht eingehen!
17. Jeder muß der Demut engste Pforte passieren und muß dem Herrn alles anheimstellen. Nichts als die alleinige Liebe, mit der tiefsten Demut gepaart, darf uns bleiben! Uns darf nichts beleidigen. Wir dürfen nie denken und sagen, dies und jenes gebühre uns irgend mit Recht. Denn wir alle haben nur ein Recht, nämlich das Recht der Liebe und der Demut. Alles andere ist ganz allein des Herrn!
18. Wie aber der Herr Selbst Sich bis auf den äußersten Punkt gedemütigt hat, also müssen auch wir es tun, so wir dahin kommen wollen, wo Er ist!
19. Wer dir eine Ohrfeige gibt, dem erwidere sie nicht, sondern halte ihm noch die andere Wange hin, auf daß Friede und Einigkeit herrsche unter euch! Wer von dir den Mantel verlangt, dem gib auch den Rock dazu! Wer dich zu einer Stunde Geleite nötigt, mit dem gehe zwei Stunden, auf daß du ihm Liebe erweisest im Vollmaße! Den Feind segne, und bete für die, so dich verfluchen! Nie vergelte jemand Böses mit Bösem und Schlechtes mit Schlechtem, sondern tuet denen Gutes, die euch hassen – so werdet ihr wahrhaft Kinder Gottes sein!
20. Solange ihr aber euer Recht irgend anderwärts suchet als allein nur im Worte Gottes, solange ihr noch der Beleidigung Stachel in euch traget, ja, solange ihr der Meinung seid, es geschehe euch in diesem oder jenem ein Unrecht – so lange seid ihr noch Kinder der Hölle und des Herrn Gnade ist nicht in euch.
21. Gottes Kinder müssen alles ertragen können, alles erdulden! Ihre Kraft sei allein die Liebe zu Gott und die Liebe zu ihren Brüdern, ob sie gut oder böse sind.
22. Wenn sie darin fest sind, dann auch sind sie vollkommen frei und fähig, in das Reich Gottes aufgenommen zu werden.
23. Ich weiß aber, daß ihr alle Priester waret und Nonnen der Gemeinde Roms, die da ist die allerfinsterste. Ich weiß auch, daß sich einige von euch darauf heimlich noch viel zugute tun. Aber da sage ich euch: daran denke niemand von euch, was er auf der Erde war und getan hat! Denn so jemand daran denkt, daß er Gutes getan hat, wird der Herr auch daran denken, wieviel Böses jemand von euch getan hat, und wird ihn richten nach seinen Werken! Wer aber vom Herrn gerichtet wird, der wird gerichtet zum Tode und nicht zum Leben; denn das Gericht ist der Tod der Seele in der ewigen Knechtschaft ihres Geistes!
24. So aber der Herr spricht: ,Wenn ihr alles getan habet, so bekennet, daß ihr nutzlose Knechte waret!‘ – um wieviel mehr müßt ihr an euch das bekennen, die ihr doch alle nie das Evangelium nur im geringsten in euch, an euch und noch weniger an euren Brüdern erfüllet habt!
25. So habe ich nun zu euch geredet im Namen des Herrn und habe kein Wort dazugesetzt und keines weggenommen: Wie ich es empfangen habe vom Herrn, so habe ich es euch auch getreu kundgetan. Nun aber ist es an euch, das alles in den besten Vollzug zu bringen. Von nun an könnt ihr euch nimmer entschuldigen, als hättet ihr es nie gehört, so ihr wegen starrsinniger Nichtbefolgung dem Gerichte verfallen würdet!
26. Ist aber jemand guten Willens und fällt ob angestammter Schwäche, da bin ich und dieser Bruder da, im Namen des Herrn jedermann aufzuhelfen!
27. Ihr sehet nun, daß von euch allen vorerst nur der gute Wille gefordert wird, dann erst das Werk!
28. Seid also alle voll des Willens zum Guten, so wird man es mit dem Werke so genau nicht nehmen, da ein guter Wille schon als ein Werk des Geistes zu betrachten ist!
29. Wehe aber jedem von euch, der da wäre in sich geheim hinterlistigen, bösen Willens und täte nur äußerlich, als hätte er einen guten Willen! Ich sage euch aus der Kraft des Herrn, die mich nun durchweht wie ein mächtigster Orkan einen Wald: ein solcher würde jählings zur Hölle getrieben werden und geworfen in den Pfuhl des ewigen Verderbens – wie da ein Stein fällt vom Himmel in den Abgrund des Meeres, von wo aus er nicht wieder genommen wird, sondern liegenbleibt im Pfuhle und Schlamme des Gerichtes!
30. Nun wißt ihr, was ihr zu tun habt, um als wahre Kinder des Herrn in Sein Reich zu gelangen. Tuet alle danach, so werdet ihr leben!
31. Ich und dieser euer erster Freund aber werden, wennschon nicht allzeit sichtbar, hinter euch uns befinden und werden euch aufhelfen, so jemand von euch fiele in seiner Schwäche. Aber der da fiele in seiner Bosheit, dem wird nicht geholfen werden, außer durch Gleiches mit Gleichem! Fragt aber nicht, wo wird der Ort solcher unserer Prüfung sein? Ich sage euch: Hie und da, und wenn ihr es am wenigsten gedenket, auf daß eure Freiheit nicht gestöret werde! Der Herr sei mit euch und mit uns! Amen!“
32. Spricht Bischof Martin: „Bruder, du hast hier wirklich rein aus dem Herrn geredet, und wahr ist alles auf ein Haar. Aber mich hat es auch ganz sonderlich ergriffen, denn ich selbst habe noch viele Punkte darin gefunden, die mich sehr nahe angehen!“
33. Spricht Borem: „So wird es dir sicher keinen Schaden bringen, so du sie auch beachtest! Denn zu der schönen Merkurianerin möchte ich dich ganz allein noch nicht lassen! Verstehst mich, Bruder?“
34. Spricht Bischof Martin: „Hast recht, hast recht! Weißt, so'n bißchen Vieh bin ich noch immer; aber ich hoffe, nun wird sich's wohl ändern!“
01. Bischof Martin: „Aber nun bin ich selbst neugierig, wie und wo die Prüfungen dieser sozusagen tausend Mann hohen Gesellschaft beginnen werden. Hier im Hause wird sich's nicht tun, und außer demselben einen jeden auf einen andern Ort stellen? Wir sind nur unser zwei – ich weiß wirklich nicht, wie sich diese Sache tun wird. Aus hundert Schafen, so neunundneunzig darunter gerecht sind, das eine verlorene suchen, das wäre nach meiner Meinung eben keine gar zu unausführbare Aufgabe. Hier aber handelt sich's um tausend sozusagen rein verlorene Schafe, da wird es heißen, nicht nur einem, sondern tausend verirrten nachgehen. Höre, Freund, das wird eine höchst sonderbare, mir bis jetzt durchaus unbegreifliche Aufgabe sein!“
02. Spricht Borem: „Freund und Bruder, laß du solches Fragen gut sein. Siehe, bei Gott sind gar viele Dinge möglich, die dir jetzt noch völlig unmöglich vorkommen. Diese alle werden hier in diesem Hause verbleiben und werden sichtlich keinen Fuß vor die Schwelle setzen. Und doch werden sie bei sich selbst in verschiedenste Gegenden versetzt werden, die mit ihrem Innern auf ein Haar korrespondieren werden. Und so wir in ihre Sphäre treten werden, so werden wir ganz von ihnen gesehen werden, und sie werden mit uns gar wohl reden können. Werden wir uns aber außer ihrer Sphäre befinden, so werden sie uns nicht sehen. Wir aber werden sie dennoch wie jetzt vor uns haben und werden aus ihren Hinterhäuptern genauest erkennen, was sie tun und wie sie des Herrn Wege beachten und wandeln.
03. Siehe, sie alle sind nun ihrem Inwendigen nach schon lange dort, wo sie sein müssen. Wir sehen sie alle unverrückt an ihren Plätzen stehen und sich so gebärden, als führten sie Gespräche miteinander. Aber sie reden nicht miteinander, denn sie sehen sich nun untereinander ebensowenig, als sie uns sehen.
04. Siehe, nun werden sie geordnet in eine Reihe, daß wir sie leicht übersehen werden. Aber sie merken davon ebensowenig wie ein tief Schlafender, so er samt seinem Bette in ein anderes Zimmer getragen wird. Nun sind sie schon in Reihen geordnet, so, daß wir eines jeden Hinterhaupt beobachten können. Komme hier zu diesem Minoriten und sieh, was er tut!“
05. Bischof Martin tritt nun hinter den Minoriten und sieht durch dessen Hinterhaupt wie bei einem sogenannten Diorama durch das Vergrößerungsglas. Da erschaut er eine gar wunderherrliche Gegend und in selber den Minoriten selbst, wie dieser von einer ganzen Gruppe Evas umzüngelt ist, sich aber von ihnen nicht beirren läßt, sondern sie nur belehrt und sein Auge einem hellen Sterne, der im ewigen Osten aufgeht, unverwandt zuwendet.
06. Spricht Borem: „Siehe, der ist schon gerettet! Und da sieh weiter, mit ihm noch eine Menge! Aber nun gehen wir weiter und schauen, wie es mit den Jesuiten aussieht!“
07. Beide bewegen sich nun hinter die Reihe der Jesuiten und besichtigen deren Hinterhaupt. Was erschauen sie aber hier? Bei dreißig dieser Mönche balgen sich um eine ganze Legion nackter Dirnen und können sich nicht sattsam befleischlustigen. Die Stärkeren ziehen die Üppigsten an sich und lassen den Schwächeren die weniger Üppigen über. Das ärgert die Schwächeren ganz gewaltig, darum sie sich auch von diesen ihren stärkeren Kollegen zu entfernen beginnen, um gegen diese eine Rächerschar zu sammeln, sie dann anzugreifen und grausamst zu züchtigen. Auch die Menge der schwächeren und weniger üppigen Dirnen rottet sich gegen die üppigeren und wollen ihnen ihre größere Üppigkeit mit der Schärfe aller ihrer Nägel auf das energischste herunterkratzen.
08. Bischof Martin betrachtet diese Szenen ganz stumm, teils vor Verwunderung und teils vor heimlichem Ärger, und weiß nicht, was er dazu sagen soll.
09. Borem merkt das wohl und spricht zum Bischof Martin: „Bruder, wie kommt dir dieser Anblick vor, was sagst du dazu?“
10. Spricht Bischof Martin: „O du mein liebster Freund und Bruder! Nein, das hätte ich von diesen scheinheiligen Lumpen denn doch nicht geglaubt. Die Kerle treiben es ja ärger als alle Hunde und Affen auf der Erde. Bei meinem armseligen Leben, da dürfte ich wahrlich nicht deine Macht und Weisheit haben und dies mein Gefühl dazu! Ich ließe sogleich wenigstens eine Million Blitze unter sie fahren. Wie diese Kerle nach so einem Manöver aussehen würden, für das gebe es sicher kein hinreichend elendes Bild, durch das sie ganz getroffen werden könnten!
11. O ihr allerabgefeimtesten Lumpen! Nein, aber ich bitte dich, Bruder, da sieh hin! Da sehe ich nun gerade den Lumpen, der in China ob Verrats zwischen zwei Steinplatten verbrannt wurde, wie er eben die schöne Chinesin nun auf das entsetzlichste mißhandelt! Sieh, sieh, wie er wie ein Geier die Arme zerfleischt! Ah, so was ist ja im höchsten Grade empörend! Das müssen wir denn bei Gott ja doch nicht angehen lassen!“
12. Spricht Borem: „Mein Freund, das ist erst der Anfang; lassen wir es nur gehen, wie es nun geht! Es wird sich das Rad bald wenden. Sieh, diese Chinesin entflieht nun und wird bald zu einem mächtigeren Regiment stoßen, das sich ihrer annehmen wird. Sie wird dann eine ganz entsetzliche Rache nehmen an diesem rachsüchtigen Jesuiten. Da sieh, dort aus jener Berghöhle, vor der sie nun steht und schreit, steigen schon eine Menge Ungeheuer allergräßlichster Art! Sieh ihrer eine Unzahl! Sie teilen sich und umzingeln nach allen Seiten unsere Jesuitenschar. Diese merken noch nicht, was ihnen bevorsteht. Aber nun gib acht, die Ungeheuer haben den Kreis geschlossen. Die Chinesin, noch mit ganz zerrissener und zerfetzter Haut und mit einem Herrscherstabe in der Hand, naht sich dem Jesuitenhaufen, der sich noch mit den nackten Dirnen beschäftigt. Nun gib acht, und sage mir, was du nun sogleich erschauen wirst!“
13. Bischof Martin sieht nun eine kurze Zeit hin, fährt dann förmlich zurück und spricht ganz ergriffen: „Ah, ah, das ist ja schrecklich, ja, das ist entsetzlich, entsetzlich, entsetzlich! Sieh, diese Chinesin trat gleich einer Furie wie ganz glühend vor unsern Jesuiten. Und soviel ich aus ihrer rein höllischen Gebärde entnehmen konnte, sprach sie: ,Kennst du mich, Elender?‘ Der Jesuite machte ein erbostes, trotziges Gesicht und sprach: ,Ja, Elendeste! Mein Fluch soll deiner ewig nimmer vergessen!‘ Er gebietet darauf seinen Kollegen, diese Elendeste noch einmal zu ergreifen und sie in Stücke zu zerreißen. Aber in diesem Augenblicke schreit sie: ,Zurück, ihr verfluchten Verführer aller Welt! Euer Maß ist voll! Nun kommt meine Rache über euch!‘ In diesem Augenblicke stürzen eine ganze Legion großer, scheußlichster Ungeheuer auf unsere Jesuiten los, ergreifen sie und zerreißen sie in kleine Stücke. Die Chinesin nimmt nun das Haupt unseres Jesuiten, der sie ehedem zerfleischt hatte, und schleudert es in einen Abgrund, aus dem nun helle Flammen emporschlagen, und schleudert nun auch die übrigen Reste in denselben Abgrund. Ah, wenn das nicht mehr als Hölle ist, so weiß ich wirklich nicht, unter welchem noch gräßlicheren Bilde ich mir dieselbe vorstellen sollte! Höre, sollen wir da etwa auch noch nicht intervenieren?“
14. Spricht Borem: „O nein, da handelt der Herr Selbst; wir wären da viel zu ohnmächtig! Sieh aber, solange sie hier noch vor uns in Reih und Glied stehen, so lange sind sie noch immer nicht für verloren anzusehen. Aber so etwa welche aus dieser Reihe entschwinden möchten, mit diesen würden wir dann wenig mehr zu tun bekommen! Soviel aber sage ich dir: gar zu weit sind diese von der Hölle eben nicht mehr, denn das alles, was du nun geschaut hast, geht nur in den Gemütern dieser Patres vor und nicht in der Wirklichkeit. Aber wenn ein Gemüt so sich gestaltet und gebärdet, da ist freilich die allertraurigste Wirklichkeit keineswegs mehr ferne.
15. Was du nun gesehen, geht im Herzen dieser Patres vor. Der Herr aber bewirkt es, daß wir so ganz in salvis das alles bildlich und dramatisch vor uns erschauen. Wir haben nun gesehen, welchen Sinnes und Willens diese Wesen sind. Nun werden wir ersehen, ob sie etwa doch, der ihnen gegebenen Lehre eingedenk, diese arge Sinnes- und Willensart nicht ändern werden zufolge dieser Demonstration, die ihnen der Herr Selbst in ihr Gemüt wie eine Gegenrache eingegossen hat.
16. Die Zerreißung durch die Ungeheuer stellt zwar eine starke Demütigung vor, durch die sie sicher zu irgendeiner Vernunft gebracht werden. Wir werden sie nun aber bald wieder als ganze Wesen auftreten sehen. Da wird sich's dann sogleich zeigen, welchen Eindruck diese Demonstration auf sie gemacht hat.
17. Da, sieh nun nur wieder hinein, du wirst die ganze Jesuitenschar wieder aus demselben Loche emporsteigen sehen, in das früher die Chinesin bloß nur den einen zerstückelten Jesuiten hinabgeschleudert hat!“
18. Bischof Martin richtet nun wieder sein Augenmerk auf diese Szene und spricht: „Richtig, da kommen die Kerls wieder ganz wohlgestaltig zurück; bin doch recht neugierig, was sie nun anfangen werden! Aha, schau, schau, sie fangen an, nun etwas bessere Saiten aufzuziehen! No, vielleicht wird sich's doch machen! Ich bemerke sogar, wie einige aus der Schar den Eindruck erwecken, als wollten sie gar zu beten anfangen, denn sie machen ganz fromme Mienen. Ich wäre wirklich von ganzem Herzen froh, so sie sich alle bessern möchten!“
19. Spricht Borem: „Was bei den Menschen unmöglich scheint, das ist bei Gott gar wohl möglich! Die erste Prüfung wäre so leidlich ausgefallen, aber nun kommt eine andere. Wir werden da sehen, wie sie diese bestehen werden. Ich sage dir, diese wird viel ärger sein denn die erste. Sieh nun wieder hin, der zweite Akt wird sogleich seinen Anfang nehmen!“
01. Bischof Martin sieht nun wieder hin und bemerkt, wie sich unseren Jesuiten eine Karawane Pilger naht, welche sehr viele Schätze und Reichtümer mit sich führt.
02. Die Patres bemerken das, und als die Karawane in ihre Nähe kommt, wird sie von ihnen angehalten und gefragt, wohin sie ziehe und was sie mit sich führe.
03. Die Karawane spricht: „Wir kommen von der Welt, haben dort mehrere Klöster ausgeraubt, und namentlich jene reichsten der Jesuiten, weil diese selbst die größten Räuber und Banditen auf der Welt sind.
04. Denn der Menschheit durch falsche Reden, Frömmeleien, Gleisnerei und durch allerlei arge Vorspiegelungen von der Hölle und Verdammnis ihre oft kümmerlich erworbene Habe abnehmen und oft sogar mit allerlei Gewalt entreißen, ist noch ärger als öffentlich rauben und stehlen. Gegen Räuber und Diebe hat jedermann das Notwehr- und Verteidigungsrecht, aber gegen derlei jesuitische und andere mönchische Diebereien und Räubereien können sich nur sehr wenige schützen.
05. Und so ist ihr Besitz ein höchst unrechtmäßiger. Es ist demnach recht und billig, daß wir diese früher erwähnten Klöster ausgeplündert haben. Nun tragen wir diesen Raub vor Gottes Thron und wollen dort so lange um Rache schreien, bis der Herr und Gott uns erhören wird und diese boshafteste und am meisten betrügerische Brut von der Wurzel aus vertilgen wird!“
06. Als die Patres Jesu solches vernehmen, da erglühen sie förmlich vor Wut und Grimm.
07. Bischof Martin, der das alles mit angehört hatte, spricht zu Borem: „Bruder, jetzt sieht es im Ernste für diese unsere Jesuiten – wenigstens für die dreißig, die schon beim ersten Manöver zugegen waren – schlimm aus! Ich sehe wohl auch alle andern dieses Kollegiums, diese aber halten sich nicht bei diesen dreißig auf, sondern bilden eine abgesonderte Schar, die viel lichter aussieht als diese dreißig.“
08. Spricht Borem: „Diese andern sind schon so gut wie gerettet, aber diese dreißig stehen noch überaus locker. Gib aber nun acht, was da vor sich gehen wird!“
09. Bischof Martin gibt nun aufmerksamen Gemütes acht und spricht nach einer Weile: „Aber, aber, aber! Bruder, ich bitte dich um Gottes willen, da müssen wir ja doch eingreifen! Ach, das sind ja wahrhaftige Teu– – – Gottstehunsbei! Nein, so was hätte ich von diesem Orden nie geahnt!
10. Höre mich an, so du etwa die schrecklichste Sentenz der Jesuiten überhört hast: Als die Karawane mit ihrer Antwort und Erklärung fertig war, da wurden die Patres ganz glühend und schrien aus einem Rachen:
11. ,O ihr verruchtesten Gottesmörder, die ihr euch so frevelhaftig am Gottesheiligtum vergriffen habt! Ihr seid der gerechten Rache gerade von selbst in die Hände gefallen! Diese Jesuiten, die ihr so schändlichst beraubt habt, und gegen die ihr die Rache Gottes anflehen wollt, sind wir! Gott hat uns sicher hierhergestellt, damit wir euch ob eures unaussprechlich großen Frevels sogleich der tiefsten und schrecklichsten Hölle übergeben an dieser Stelle! Hinab mit euch, ihr ärgsten Teufel, zu den allerärgsten Teufeln!
12. Komme herauf, Luzifer, herauf, du Satan, herauf, du Leviathan: Nehmet diese verruchtesten, allerbösesten, ketzerischsten, somit auch allerverfluchtesten, vermaledeitesten, überteuflischen Bösewichter in den ewig marter- und qualvollsten Empfang und werfet sie dorthin, wo die Hölle am allerglühendsten ist!‘
13. Mein Bruder, das ist doch sicher noch nicht dagewesen! Diese Kerle meinen es gut mit der armen Karawane! Ich meine, Bruder, solche Gemüter werden sich wohl ewig nimmer bessern?
14. Ah, ah, ah, da sieh nun hin, da kommen wirklich drei scheußlichste Gestalten aus der Tiefe! Feuer sprüht aus ihren schrecklichen Rachen, die sie so weit aufsperren, daß sie ganze Häuser verschlingen könnten!
15. Die Karawane gerät bei ihrem Anblicke in die größte zagendste Angst, legt ihre Bündel vor den Jesuiten nieder und fleht um Vergebung und Erbarmen.
16. Aber die Jesuiten stoßen sie unbarmherzig zurück und schreien nur noch mehr, vor Zorn und Grimm glühschäumend: ,Hinab mit euch, hier ist kein Erbarmen und ewig keine Vergebung mehr! Die erschrecklichste ewige Qual in einer ewig vergeblichen, brennenden Reue sei euer Los und Lohn für euer Werk! Ergreift sie, ihr drei allergrößten und ärgsten Teufel, und vergeltet ihnen ewig, was sie an uns zeitlich getan haben!‘
17. Die Karawane bittet noch mehr, aber vergebens. Die drei Teufel nähern sich der Karawane. Die schreit nun noch entsetzlicher um Erbarmen, aber es ist vergeblich. Mit großer Wonne betrachten die Jesuiten die so endlos Geängstigten. Ah, das sind doch wahrhaftig verfluchte Kerle, ja das sind Teufel der Teufel!
18. Die drei wirklichen Teufel lassen sich noch Zeit und schauen ganz bedenklich in das schreckliche Begehren der Jesuiten. Aber diese Luderkerle wollen die Armen sogleich ohne alle Gnade und Pardon in der Hölle haben.
19. Da sieh, nun reden wirklich die drei Teufel und bemerken, daß der Jesuiten Urteil zu strenge und sogar ungerecht gegen diese nur kleinen Sünder geschöpft ist!
20. Aber die Jesuiten sagen laut: ,Unser Urteil ist Gottes Urteil, somit gerecht! Daher fort mit ihnen, hinab zur Qual!‘
21. Die Teufel aber schreien entgegen: ,Ihr begehret zu viel! So hat Gott noch nie geurteilt! Wohlan, wir tun es, wie ihr wollt, aber höret: auf eure Rechnung, so euer Begehren nicht von Gott herrührt!‘
22. O Bruder, höre, siehe ein entsetzlicher Schrei entsteigt der unglücklichen Karawane und sie verschwindet nun mit den Teufeln. Die Jesuiten aber frohlocken mit heiteren Gesichtern! Bruder, was sagst du dazu? Sind das Teufel oder nicht?“
23. Spricht Borem: „Mache dir aus allem dem nichts. Denn siehe, das alles ist – wie schon früher bemerkt – eine pure Erscheinlichkeit, die sich uns durch des Herrn allmächtige Vermittlung beschaulich darstellt, so diese Erscheinlichkeit zum Austritt aus den Gemütern dieser noch stark unsinnigen Patres genötigt wird!
24. Denn die Ablegung des Bösen besteht nicht selten darin, daß dieses in seiner wahren Gestalt aus den Gemütern wie werktätig scheinend hinausgestoßen wird; aber das Ganze ist dennoch mehr ein blinder Lärm als irgendeine Wirklichkeit.
25. Darum mußt du dir aus dem hier Geschauten eben nicht gar soviel machen. Alles, was du hier geschehen siehst, entstammt allein der allertiefsten Liebe und allerhöchsten Weisheit des Herrn und hat große Ähnlichkeit mit dem Erscheinen der mannigfachen Krankheiten der Menschen auf der Erde.
26. Die Krankheiten sind zwar ein Übel des Leibes, aber dafür eine große Wohltat der Seele und nicht selten auch des Leibes selbst, weil durch sie ein schlechter Stoff gewaltsam aus dem Fleische geschafft wird.
27. Also sind auch diese Erscheinungen nichts als mit herübergebrachte Krankheiten der Seele, die alle sämtlich hinausgetrieben werden müssen, und zwar durch geistige Medizinen wie die leiblichen durch leibliche, körperhafte Spezifika. Sonst könnte die Seele nimmer gesund werden und der Geist in ihr nimmer erstehen.
28. Oder liegt bei einem Menschen auf der Welt die Seele nicht so lange kränklich darnieder und hat keine Lust zu irgendeiner Tätigkeit, solange der Leib krank darniederliegt? Ist aber der Leib gesund, so ist auch die Seele wieder voll Lust und Heiterkeit.
29. Siehe, Bruder, ebenso geht es auch hier: alle diese haben überaus kranke Seelen. Diese Krankheit wird nun flott und wird hinaus- und hinweggetrieben durch die Kraft des Wortes Gottes, das da ist die einzige, allerkräftigste Medizin. Hat dieses einmal seine Operation gar sicher beendet, dann erst kommen wir an die Reihe und werden die Rekonvaleszenten laben und stärken mit der Liebe des Herrn.
30. Nun, lieber Bruder, wirst du diese Erscheinlichkeiten sicher besser verstehen und wirst dich künftighin nicht mehr gar so sehr entsetzen, so du noch Ärgeres erschauen wirst, als du bis jetzt gesehen hast. Denn bei jeder Krankheit ist der letzte Stoff, der durch Arzneien hinausgeschafft wird, der ärgste, weil er der eigentliche Hauptgrund der Krankheit ist. So werden auch hier zuletzt erst die Hauptübel aus der Seele geführt.
31. Darum mußt du dich nicht mehr gar so sehr ängstigen, so du diese Übel bei ihrem Austritt erschauen wirst. Sieh nun nur wieder hin; sogleich wird der dritte Akt beginnen, der auch wahrscheinlich der letzte sein wird für diese dreißig Jesuiten!“
01. Bischof Martin sieht nun wieder in das Hinterhaupt des vor ihm stehenden Jesuiten und ersieht, wie die dreißig gegenseitig sich ganz bedenkliche Mienen zuzuwerfen anfangen und einer von ihnen folgende Bemerkung macht:
02. (Ein Jesuit:) „Brüder, der Sieg ist uns zwar gelungen. Aber so ich der Sache auf den Grund blicke, kommt es mir vor, als ob wir denn doch sehr ungerecht und völlig unbefugt mit der nun in der Hölle brennenden Karawane verfahren hätten. Obwohl sie uns stark verlästert hat, so haben wir aber nach dem Evangelium dennoch kein Recht, sie zu richten und zu verdammen.
03. Dazu kommt mir nun noch die Lehre frisch in den Sinn, die der Himmelsbote uns allen gegeben hat, bevor wir in diesen ganz freien Zustand unseres Seins gelangt sind. Nach seiner weisen Lehre sollen wir allen Anreizungen allein nur mit Liebe, Sanftmut und Demut begegnen. Hier aber hat keins von diesen drei Stücken etwas zu tun bekommen, sondern, wie figura miserabilissima gezeigt hat, haben uns buchstäblich die drei allerärgsten Teufel an Sanftmut und Gerechtigkeit nur übertroffen und uns dadurch bewiesen, daß wir noch um vieles ärger sind als sie!
04. Brüder, wie kommt euch die Sache vor? Ich gestehe, mir fängt sie an, ganz verdammt seltsam vorzukommen! Überhaupt scheint mir hier in dieser Geisterwelt alles so verfänglich. Das eigenmächtige Handeln, zu dem man von den Boten Gottes keinen Auftrag hat, scheint mir schon gar wider alle Ordnung der Dinge in dieser höchst mysteriösen Welt zu sein. Mir kommt es auch so vor, als ob mir jemand ganz geheim zuflüstern möchte: ,Diese eure allergrausamste Tat werdet ihr ewig zu bereuen haben!‘ – Ei, ei, wäre ich doch nur bei dieser Begebenheit nicht zugegen gewesen!“
05. Auf diese gute Bemerkung stutzen wohl die andern neunundzwanzig. Nach einer Weile sagen sie aber wie aus einem Munde: „Ja, du hast im Grunde wohl recht. Aber denke dir selbst, ob wir anders sein können, als wir sind! Wir sind einmal so und können nicht anders handeln, als wie wir zu handeln genötigt werden – und damit Punktum! Wer den Zorn in uns gelegt hat, der muß sich ihn auch gefallen lassen und ebenso die andern widrigsten Eigenschaften, mit denen unsere Seele so reichlich ausgestattet ist.
06. Wer der Klapperschlange das tötende Gift gab, dem muß es doch so wohlgefallen haben, ansonsten er diesen Wurm nicht so böse eingerichtet hätte! So mußten auch wir Jesuiten werden und in unserm Orden lernen, wie man dem Zorne und der Rache den freiesten Weg bahnen und die größte Bosheit zur Ehre Gottes mit dem freiesten Gewissen vollführen kann. Wir aber sind nun das vollkommen, wozu wir berufen sind! Was willst du, ja was will Gott von uns noch mehr?“
07. Spricht der eine Jesuit: „Ja, ihr habt recht! Wir sind sonach zu barsten Teufeln berufen und sind es auch mehr als vollkommen. Was wollt ihr mehr? Uns alle erwartet sonach sicher nicht der Himmel, sondern die reinste Hölle. Was wollen wir mehr? Also fahren wir in unserer Bosheit und Tücke nur fort, damit wir desto eher in die segensvolle ewige Verdammnis gelangen mögen! Wünsche euch den besten Appetit dazu! Ich aber werde von nun an nicht mehr mit euch halten. Ich will nicht mit euch die hohe Ehre haben, mich etwa schon im nächsten Augenblicke mit euch auf der schwefeldampfenden, sehr warmen Flut zu befinden. Wahrlich, um diese hohe Ehre werde ich euch in Ewigkeit nicht im geringsten beneiden!“
08. Sprechen die andern neunundzwanzig wie aus einem Munde: „Was, du willst deinem Orden ungetreu werden! Den erhabenen Stifter Ignatius willst du verlassen und seiner heiligsten Lehre ungetreu werden? Was fällt dir ein? Bedenke, daß uns alle noch ein Jüngstes Gericht erwartet; wie wirst du in diesem bestehen? Wenn du das tust, so soll's dir noch tausendmal ärger ergehen als der früheren Karawane!“
09. Spricht wieder der eine Jesuit: „Nur zu! Ich bleibe meiner Vornahme – Gott stärke mich dazu! – getreu. Ihr aber könnt tun, was ihr wollt! Wegen dem Jüngsten Tage lasse ich mir gerade kein graues Haar wachsen, aber wegen dem sichern Empfange der ewigen Verdammnis in eurer Gesellschaft wohl! Ignatius hin, Ignatius her, ich folge von nun an den Worten des Boten Gottes. Der Ignatius samt euch allen kann mich – hätte bald was gesagt! – sowie auch der ganze Orden, wohlverstanden!
10. Wie ich's nun einsehe, so ist dem Herrn sicher der Arsch eines Türken lieber als unser ganzes lumpigstes Kollegium samt seinem erhabenen Stifter! Verstanden?! Alle Lutheraner, Calvinisten und alle Altgläubigen sind Engel, während wir nach unseren Regeln und Institutionen Teufel in optima forma sind.
11. Tut mit mir, was ihr wollt, ich werde mich nimmer rächen! Mich reut es ungemein, daß ich mich an der armen Chinesin so arg vergriffen habe; dafür, Gott sei Dank, bin ich samt euch doch gehörig gezüchtigt worden! Aber die zweite Teilnahme an der Verdammung der armen Karawane brennt mich schon jetzt wie die Hölle. Was würde aus mir erst werden, so ich länger euer Spießgeselle bliebe? Daher lebet wohl, ich verlasse euch!“
12. Als dieser eine Jesuit das ausspricht, da fangen ihn alle zu verdammen und zu verfluchen an, umringen ihn, zerfleischen ihn und teilen seine Haut untereinander aus. Den Hautlosen aber werfen sie aus ihrer Rotte und werfen Steine nach ihm und rufen alle Teufel, daß sie ihn holen sollen.
13. Die Teufel kommen richtig, aber den Enthäuteten holen sie nicht, sondern die nur, die sie gerufen haben. Diese aber sträuben sich entsetzlich und schreien um Hilfe. Da richtet sich der Enthäutete auf und gebietet den Teufeln, daß sie die Blinden schonen sollen. Und siehe, die Teufel gehorchen ihm und verlassen die Rasenden!
14. Diese Szene machte auf Martin einen guten Eindruck und er schaut nun begierig, was da weiter geschehen wird.
01. Borem aber spricht: „Freund und Bruder, danken wir der endlosen Weisheit des Herrn und Seiner unbegreiflichen Liebe und Erbarmung, daß Er gegen unser beider Erwarten mit dieser Gesellschaft so sanft und kurz hat verfahren wollen. Denn derlei Prüfungen dauern bei manchen oft besser Bestellten gar viele irdische Jahre, während sie bei dieser Gesellschaft nach irdischer Rechnung nur drei Tage gedauert haben. Freilich, das Gefühl dieser Geprüften wird wohl mit einigen Jahrzehnten belastet worden sein. Allein was tut das zur Wirklichkeit oder zu einer solchen Gefühlsgestaltung, mit der der Geprüfte oft mit tausend-, ja oft sogar mit millionenjähriger Dauer belastet wird?
02. Kurz und gut, ich sage dir, der Herr war diesen dreißig Jesuiten überaus gnädig! Sie haben nun das Schlimmste überstanden. Sie sind wirklich bis an den Rand des Abgrundes gekommen und waren der Hölle endlos näher als dem Himmel, der wohl noch sehr weit von ihnen absteht. Aber sie sind gerettet und kommen nun in die Wiederherstellung. Und damit ist schon endlos viel gewonnen, wofür dem Herrn allein alle Ehre gebührt ewig. Denn was dem höchsten Engel nicht mehr möglich ist, das ist dem Herrn noch gar wohl möglich!
03. Du möchtest in diesem dritten Akt wohl noch mehrere Szenen beschauen, darum du noch so aufmerksam hineinblickst in das Hinterhaupt. Aber ich sage dir, da wirst du nun nichts mehr erschauen. Denn diese Gesellschaft geht nun in sich und dann zu ihren besseren Brüdern über und harrt dann der Losschälung von dieser materieartigen Umgebung, die sogleich erfolgen wird, wenn wir noch die Herz-Jesu-Damen durchschauen werden.
04. Damit diese aber darauf nicht gar zu lange warten sollen, wollen wir uns sogleich zu den besagten Damen hinbegeben und sie auf die gleiche Weise beobachten, wie wir diese dreißig Jesuiten beobachtet haben. Siehe, da sind sie schon! Du kannst dir eine wählen, die du willst; überall wirst du ganz dasselbe sehen!“
05. Bischof Martin: „Gut, wenn so, da ist ja gleich die Nächste gut genug; also nur in das Hinterhaupt geschaut! Richtig, richtig, wie bei den dreißig! Da sehe ich ja alle, wie sie hier sind, auf einem Schock beisammenstehen: in einem Garten, der mit einer starken Mauer umfangen ist, an deren nördlich gelegener Ecke ein ganz finster aussehendes Klostergebäude angebracht ist.
06. Sie scheinen emsig miteinander Worte zu wechseln. Ich kann aber noch nichts vernehmen, was sie eigentlich miteinander beraten. Nur bemerke ich, daß sie bald dunkler, bald wieder ums Kennen heller werden, gerade wie wenn die Winde Wolken über die beschneiten Bergspitzen trieben, wobei diese dann auch unter dem Wolkenschatten ganz grau wurden, und – wann die Wolke den Strahlen der Sonne wieder den Weg geräumt hatte – diese dann die Bergspitzen lieblich schimmern machten! Woher wohl bei diesen Herz-Jesu-Damen diese Erscheinlichkeit rühren mag?“
07. Spricht Borem: „Lieber Bruder, du hast ein recht gutes Bild dafür aufgestellt und kannst in diesem naturmäßigen Bilde ganz wohl die Erklärung dieser Erscheinlichkeit finden. Siehe, auch hier ziehen über die Bergspitzen der verschiedenen Erkenntnisse dieser Damen Wolken der Nichterkenntnisse, getrieben von den Winden ihrer weltlich verschiedenartigen Leidenschaften! Du weißt aber, daß, so auf der Welt die Winde mit den Wolken ihr Spiel zu treiben anfangen, es dann bald zu einem schlechten Wetter kommt. Siehe, so wird es auch hier geistig erscheinlich der Fall sein.
08. Merkst du nicht, wie diese Verdunklungen sich stets anhaltender wiederholen? Das deutet schon zuverlässig dahin, daß da der eigentliche Tanz sogleich angehen wird. Wenn die Verdunklung nimmer aufhören wird, dann wird des bösen Wetters Vorakt gleich beginnen. Gib nur genau auf alles acht; hier wirst du noch interessantere Dinge ersehen als wie bei den dreißig Jesuiten!“
09. Spricht Bischof Martin: „Ja, richtig, du hast recht! Ich merke schon bei einigen, daß sie sich nimmer erhellen wollen, dunkel bleiben und auch richtig stets dunkler werden. Es will sich nun auch bei den übrigen das liebe Licht nicht mehr in seiner Stärke zeigen, sondern geht so nach und nach ins Grau über.
10. Wahrlich, eine ganz sonderbare Mischung nun von Dunkel und Grau! Die schon sehr Dunklen werden nun von unten herauf wie matt glührotes Eisen gefärbt. Das scheint entweder von einem in ihnen erwachten Grimme oder am Ende gar von der Hölle herzurühren. Höre, du mein liebster Bruder, das sind ganz verzweifelt verdächtige Voraussetzungen zu nachkommenden bösen Erscheinungen!
11. Nun entdecke ich, daß durch die Tür des Klosters sich zwei männliche Wesen in den Garten begeben. In dessen Mitte weilen unsere Herz-Jesu-Damen nun schon ganz verzweifelt stark verdunkelt, scheinen aber noch nicht zu merken, wie sich diese zwei Eindringlinge nun schon ganz in ihrer Nähe befinden.
12. Aha, aha, jetzt wohl, jetzt! Nun wird die Hetz' wohl bald angehen. Unsere Damen haben nun schon einen Wind bekommen, daß sich jemand in ihrer Nähe befindet, der sich wahrscheinlich nicht da befinden sollte. Denn ich sehe glühende Dolche in ihren Händen, die sie nun nach auswärts richten, um die zwei Ankommenden auf eben nicht zu liebreiche Art zu empfangen.
13. Nun richtet sich die Oberin auf und gebietet mit Handzeichen allgemeines Schweigen. Was wohl wird da herauswachsen? Vielleicht wird da eine ganz löbliche Anrede gehalten werden? – Ja, ja, wird wohl so sein, denn sie räuspert sich schon großartig dazu! Wahrlich, da bin ich doch sehr neugierig, was diese Priordame den übrigen Unterdamen voreseln wird! Also nur aufgepaßt, sie spricht:
14. (Die Priordame:) „Höret mich alle an, ihr meine ehrwürdigsten und hoch zu respektierenden Damen! Unserem höchsten, würdigsten und heiligsten Orden droht eine große Gefahr! Es haben sich zwei freche Männer, die ich lieber ,Buben‘ nennen möchte, durch unser heiliges Kloster in diesen unsern Gottesgarten hereingeschlichen. Wahrscheinlich, um mit uns Unzucht und Scherz zu treiben oder wenigstens, um hier unseren heiligen Besitz auszuspionieren, wie er uns mit Gewalt entrissen werden könnte, falls wir ihn nicht mit Ruhe übergäben! Aber diese Buben sollen ihren Vorwitz teuer büßen!
15. Höret, wir sind unser bei neunzig an der Zahl, wie ich euch hier flüchtig übersehe! Wenn diese zwei frechen Buben sich uns nahen sollten und auf unseren Zuruf: ,Hinaus mit euch, ihr gottvergessenen, ehrlosesten Buben!‘ sich nicht sogleich eiligst entfernen sollten, fallen wir sie alle zugleich an! Und jede von uns stoße ihnen den glühenden Dolch in die Brust bis ans Heft! Sind sie also getötet, dann lassen wir sie durch unsern Hausknecht hier in diesem Garten in Stücke zerhauen und auf einem verfluchten Scheiterhaufen verbrennen, auf daß dieses Gottesheiligtum wieder gereinigt werde!“
16. Spricht Bischof Martin: „Schau, schau; diese lieben Dämchen des Herzens Jesu, was sie für liebevolle Blutgedanken haben! Ah, das ist ja allerliebst! O ihr gottlosesten Kanaillen! Nein, das hätte ich von diesen wahren Furien der Hölle nicht erwartet! No, wenn da schon das Vorspiel einen so löblichen Anfang nimmt, wie wird es dann erst mit den nachfolgenden Prüfungsakten aussehen? Da sich nur hin: die zwei Männer sehen sehr liebevoll aus, und ich könnte von ihnen sagen: ,Siehe hier zwei Menschen, in deren Seelen kein Falsch zu entdecken ist!‘ Und diese bösen Kanaillen verdammen sie schon, ohne sie noch recht gesehen und noch weniger gesprochen zu haben!“
17. Spricht Borem: „Sei nur ruhig, du weißt ja, wie sich diese Sachen verhalten! Laß sie ganz ruhig handeln! Wenn es an der Zeit sein wird, sich hier ins Mittel zu legen, werden wir schon von der Tafel erinnert werden. Vor dem aber seien wir nichts als bloß nur ruhige Betrachter des hier Vorsichgehenden. Betrachte nur wieder weiter!“
18. Bischof Martin betrachtet nun sehr aufmerksam wieder die Szene vor sich und spricht nach einer Weile: „Du, Bruder, jetzt gehen die zwei Männer wieder zur Tür des Klosters und machen Mienen, als wollten sie sich wieder auf- und davonmachen aus diesem gottesheiligtümlichen Garten.
19. Aber die Damen bemerken das und schreien nun ganz wider ihre frühere Absicht: ,Halt, keinen Schritt weiter, ihr gottlosen Buben!‘
20. Die zwei Männer scheinen gar nicht darauf zu achten und nähern sich stets mehr der Ausgangstür. Aber die Damen merken nun, wie diese beiden auf ihren Zuruf nicht achten wollen. Sie werden darum nun vollends glühend, stürzen mit einem furchtbaren Schrei den zwei Männern nach und vertreten ihnen die Tür.
21. Ein Teil aber umringt die zwei Männer mit gezückten Dolchen und fragt sie mit drohender Miene wie aus einem Munde: ,Was suchtet ihr hier, ihr verruchtesten Buben? Gestehet eueren bösen Vorsatz, eueren verräterischen Plan, auf daß wir euch dann ohne Gnade und Erbarmen desto ärger quälen können! Denn ihr habt durch euer frechstes und unverschämtestes Eintreten in diesen Garten Gottes Heiligtum entheiligt und habt sogestaltig den Geist Gottes mit Füßen getreten! Solch eine allerfrevelhafteste Todsünde aber sühnt nur der Tod, und nur eure ewige Verdammnis kann der göttlichen Gerechtigkeit Genugtuung verschaffen! Redet daher, ihr schon im voraus Allerverfluchtesten!‘
22. Die zwei Männer reden nun: ,Höret uns geduldig an! Wir sind von Gott an euch abgesandt, um euch aus eurer großen Torheit zu befreien. Aber da wir an euch nichts als Zorn- und Racheglut ersehen, seid ihr für solch große Gnade noch lange nicht reif und werdet von nun an überlang zu warten haben, bis ihr dieser Gnade würdig werdet. Habt ihr nicht gehört, daß, wer da richtet und flucht, selbst gerichtet und verflucht wird?! Wir aber wollen es euch nicht vergelten, nichts Böses für Böses geben. Daher besinnt euch und lasset uns im Frieden ziehen, sonst wird es euch arg ergehen!‘
23. Die Damen fallen nun ganz ergrimmt mit ihren Dolchen über die zwei. Diese aber verschwinden und die Damen erdolchen sich nun selbst in ihrer blinden Wut.“
01. Bischof Martin, dieser Szene ansichtig, fängt an zu lachen und spricht: „Bruder, da sieh, diese dümmsten Weiber! Ah, wie sich diese in ihrer blindesten Wut zerfetzen mit ihren Dolchen! No, no, das geht jetzt gut! Wahrlich, eine allerscharmanteste Blocksbergszene! Wenn die's so forttreiben, wird von ihnen nicht viel übrigbleiben, und wir werden dann mit unserer Intervention schön zuhause bleiben können! Ist auch recht; wahrlich, an diesen Fetzen verliert der Himmel eben nicht gar zu viel!
02. Du mußt mir schon verzeihen, liebster Bruder, wenn ich hier beinahe wie ein Schadenfroher erscheine, aber hier komme ich wirklich nicht darum! Denn ich kann alle Wesen leichter ertragen als dumme und zugleich auch böse Weibspersonen. Besonders unerträglich sind sie mir, so sie, wie diese hier, sich vor Wut und Grimm nahezu ganz zerstören. Ich wünsche ihnen zwar nichts Böses, aber so ein bißchen Hölle könnte diesen wahrhaftigsten Bestien nicht im geringsten schaden. Weißt du, ich meine nicht für ewig; aber so à la römisch-katholisches Fegfeuer – könnte nicht schaden!“
03. Spricht Borem: „Bruder, ereifere dich nicht zu sehr und verbanne alles Feuer-rufen-vom-Himmel aus deinem Herzen! Siehe bloß, was der Herr hier tut, so wirst du allein die wahre Art und Weise kennenlernen und daraus ersehen, wie solche überstark verfinsterten Wesen wieder dem Lichte zugewendet werden können. So der Herr auch so dächte wie du, gäbe es für derlei arme Wesen ganz verzweifelt wenig Hoffnung fürs ewige Leben! Aber hier ersiehst du klar, wie der Herr besser ist als alle allerbesten Menschen und Engel!
04. Ich sage dir, gar seltsam sind des Herrn Wege; ihre Zahl heißt Unendlichkeit. Und jeder Weg, den der Herr mit einem Menschen einschlägt, ist ein neues, selbst für den tiefsinnigsten Cherub unerforschliches Wunder und heilig unter jeder noch so sonderbaren Erscheinung!
05. Wenn du alle diese Erscheinungen von diesem Gesichtspunkte aus betrachtest, so wirst du fürderhin nimmer etwas Ärgerliches noch Lächerliches finden. Du wirst dich auch am Ende hier überzeugen, wie endlos liebweise der Herr alles einem heiligen Ziele zuführen kann; und wie Er gewöhnlich durch die unscheinbarsten, geringfügigsten Mittel allzeit die erhabensten Zwecke erreicht, und – wo Er einem hilft, da hilft Er zugleich zahllosen Wesen!
06. O Bruder, du wirst erst nach und nach erkennen, wie endlos erhaben alles ist, was hier in die Erscheinlichkeit übergeht, – ja wie heilig, möcht' ich sagen, das Dasein und Wirken einer Milbe, die du auf der Erde oft ein halbdürres Blättchen bekriechen sahst!
07. Darum freue dich über alles, was du hier nur immer erschaust! Denn alles, alles bewirkt unseres heiligsten Vaters heiligste Liebe! Meinst du, die Hölle mit all ihren unbeschreibbaren Schrecknissen sei eine Rache des Herrn, gegründet auf Seinem Zorne von Ewigkeit? Oh, mitnichten! Ich sage dir, der Herr ist auch in der Hölle pur Liebe! Denn die ewige Liebe kennt weder Zorn noch Rache, sondern wie und was sie ist, das sind auch alle ihre Anstalten endlos und ewig.
08. So, lieber Bruder, betrachte von nun an diese Erscheinungen, so wirst du bald ein anderes Gewand bekommen, nämlich ein Gewand der Liebe und Weisheit aus dem Herzen unseres heiligen Vaters! Dieses Gewand wird dir dann keine Ewigkeit mehr nehmen. Und du wirst erst in solch einem Gewande dann alle Dinge und Erscheinungen in ihrem wahren Lichte schauen und sie beurteilen aus dem wahren Grunde alles Grundes.
09. Nun aber siehe nur weiter, was da vor sich gehen wird! Aber siehe von nun an alles mit andern Augen und anderm Gemüte an, so wirst du daraus den wahren Nutzen ziehen. Denn dies alles läßt der Herr hauptsächlich deinetwegen geschehen, auf daß du ehestens zur wahren Wiedergeburt deines Geistes und zur himmlischen Umkleidung deiner Seele gelangen möchtest! Daher noch einmal: Darum beachte sorgfältigst alles, was ich dir jetzt gesagt habe, so wirst du einen unberechenbaren Nutzen ernten in großer Klarheit!“
10. Bischof Martin schaut nun wieder in das Hinterhaupt unserer Herz-Jesu-Damen und ersieht, wie sich die letzten zwei noch balgen, sich gegenseitig die Dolche in den Leib stoßen und bald wie tot auf den Boden stürzen. Nach solcher Szene spricht er:
11. (Bischof Martin:) „Gott sei Dank, nun haben sie einander den Garaus gegeben! Der Herr habe sie selig! Es ist wirklich mehr als wunderbar, so das diesen Wesen auch zur Seligkeit gereichen soll, wie du früher gesagt hast? Nun bin ich von ganzem Herzen neugierig, was da jetzt weiter geschehen wird mit diesen Amazonen! Sie liegen wirklich wie vollkommen tot darnieder!
12. Aha, nun kommt eine andere Erscheinlichkeit! Die Damen liegen zwar noch wie steinfest tot am Boden. Aber sie fangen an zu dampfen, und es entsteigt von einer jeden ein Rauch wie etwa dem Schornstein eines Bäckers. Auch bemerke ich hie und da Feuerfunken mit emporschießen gleich denen aus einer Esse! Sapprament, sapprament! Die Sache fängt nun an, ein bedenkliches Gesicht zu bekommen! Liebster Freund, wenn da nicht so ein bißchen Hölle herausschaut, so will ich doch alles heißen, was du mich nur immer nennen willst!
13. Da sieh, nun schlagen auch schon hie und da Flammen empor! Das sieht ja gar wie ein förmliches Autodafé aus! Diese Armen fangen nun über und über zu brennen an! Die Sache wird sehr bedenklich; aber noch rührt sich sonst nichts über, neben und unter diesen Damen als bloß nur der starke Rauch, Funken und Flammen.
14. Die Flammen werden immer stärker, die toten Damen sehen schon ganz glühend aus! Nun ist es wirklich gut für sie, daß sie tot und somit auch sicher ganz unempfindlich sind. Ah, ah, wie lichterloh nun das Ding brennt! Wahrlich, ein sonderbarer Anblick, und merkwürdig: trotz der starken Flamme verbrennt doch nichts, soviel ich's nun bemerke! Sage mir doch, liebster Bruder, was diese höchst sonderbare Erscheinlichkeit zu bedeuten hat?“
15. Spricht Borem: „Nichts als lauter Gutes; denn was vom Herrn ausgeht, ist pur Gutes! Siehe nur weiter, du wirst es bald ersehen, wie sehr ich recht habe und die vollste Wahrheit rede!“
01. Spricht Bischof Martin: „Ja, ja, du hast wohl recht und redest sicher die vollste Wahrheit. Aber du mußt mir doch zugeben, daß die Sünder so gut Gottes Geschöpfe sind wie wir, ja sogar der Teufel selbst, und gehen somit auch von Gott aus! Wer aber wohl wird Sünder und Teufel darum gut heißen, weil sie auch von Gott ausgehen und ausgegangen sind?!
02. Ich meine vielmehr so: Gott hat unter Seinen zahllosen Geschöpfen auch freie Wesen gestaltet. Er hat ihnen Seine unwandelbare Ordnung kundgegeben und die Wege vorgezeichnet, die sie eben nach Seiner Ordnung zu wandeln haben. Da sie aber freie Wesen sind, können sie wohl auch der erkannten göttlichen Ordnung den Rücken zuwenden und ihr vollkommen zuwiderhandeln. So sie nun das tun, so frage ich:
03. Wenn allein dem göttlichen Guten gegenüber etwas Böses denkbar ist, so ist ja doch nur eine Handlung wider die erkannte göttliche Ordnung das eigentliche Böse zu nennen?! Ist aber diese auch gut, da möchte ich denn doch wissen, was denn das Böse ist!? Denn etwas Böses muß es ja doch geben, sonst wäre die Hölle der leerste Begriff, den ein menschlicher Geist je gedacht hätte!
04. Ist aber die Hölle eine wirkliche Realität, und ist eine der positiven unwandelbaren göttlichen Ordnung zuwiderlaufende Handlung als wahrhaft böse zu bezeichnen, so sind diese Damen böse und für die Hölle reif wie eine Traube auf der Erde im Monat November!
05. Sünde und Sünder als Jünger des Teufels sind demnach böse, und ihr Lohn ist nach dem Ausspruche des Herrn Selbst die Hölle als ein Sammelplatz alles Bösen. Aus der Erscheinlichkeit dieser Damen hat sich's herausgestellt, daß in ihnen eitel Böses war. Sie erdolchten sich gleich Furien, und nun brennen sie! Freund, hat die Hölle wohl noch etwa ein anderes Gesicht?“
06. Spricht Borem: „Freund, du sprichst noch wie ein kurzsichtiger Erdenpilger aus dem Kerker seines Fleisches! Freilich ist von Seite eines freien Wesens eine der erkannten göttlichen Ordnung zuwiderlaufende Handlung Sünde und somit auch Böses. Aber weißt du denn auch die Grenzen zwischen dem eigentlichen freien und daneben aber gerichteten Wesen ein- und desselben Menschen zu bestimmen?
07. Weißt du, wo die Seele im Fleische den Anfang nimmt, und wo in der Seele der Geist? Weißt du ganz genau, wo bei einem Menschen die gerichteten Handlungen aufhören und die freien ihren Anfang nehmen? Weißt du, wie das Geistige und Freie in das Naturmäßige und Gerichtete hineinragt, und inwieweit?
08. So du den neuen Most in das Faß gabst, da fing er bald darauf zu gären an. Da sauste und brauste es gewaltig im Fasse, und als du mit der Nase an das Spundloch kamst, da schlug dich ein heftiger Geruch ganz betäubt zurück. Weißt du wohl, was das war, was den Wein gären machte? Siehe, du weißt es nicht! Als aber der Most ausgegoren war, da ward er dann ruhig und rein und ward zu Wein. Weißt du wohl, wie aus dem Moste ein lieblicher Wein wurde?
09. Bald nach der Blüte eines Feigenbaumes oder eines andern Baumes sahst du die Frucht schon. So du sie verkostetest, da fandest du sie sauer und herbe, also gegen die Ordnung deines Geschmacks schlecht und böse. Als aber die Frucht reif ward, wie fandest du sie dann? Siehe, da war sie deinem Gaumen vollkommen angepaßt, also sicher nicht mehr schlecht und böse!
10. Der Winter ist für das Gefühl sicher eine Sünde; denn er ist nicht in der Ordnung warmfühlender und warmblütiger Menschen und Tiere. Aber so er nicht wäre, wie stünde es dann um den Fruchtboden der Erde und um die physische Kraft des Menschen?
11. Ich sage dir, in der ganzen Unendlichkeit findest du stets zwei Pole, von denen der eine wie der andere gleich der Ordnung Gottes angehören, obschon sie sich in allem schnurgerade wie Tag und Nacht oder wie Ja und Nein entgegengesetzt sind. Sage, welcher davon ist denn böse? Siehst du denn nicht, daß der Herr alles leitet und führt, und jedes Ding seines Weges? Wo also sollte da ein böser Weg sein!
12. Siehe, der Herr weiß es, wie weit Er einem Wesen den Kreis seiner Freiheit spannt! In diesem Kreise kann jedes Wesen, das einen freien Willen hat, zur Übung seiner Freiheit tun, was es will. Aber über diesen Kreis hinaus vermag kein Wesen zu handeln!
13. In einem Wassertropfen leben oft zahllose Infusorien und bewegen sich frei im selben; können sie aber auch über den Tropfen hinaus ihre Lebensfreiheit ausüben?
14. Ebenso mögen die Menschen auch die moralische Ordnung auf ihrem Erdboden untergraben durch Kriege und andere Argheiten. Hindern sie aber dadurch den Nacht- und Tagwechsel, oder können sie Regen und Winde aufhalten oder das Meer ausschöpfen?
15. Siehe, willst du von der großen Ordnung Gottes reden, so mußt du weiter sehen als nur den schmalsten Raum deines Wirkungskreises!
16. Was sich im Tropfen nicht gibt, das gibt sich sicher im Meere, das der giftigste Tropfen nimmer vergiften kann! Was in der Erdbahn keine Gleichung findet, das findet sie sicher in der unermeßlich großen Sonnenbahn. Und wem diese noch zu klein ist, für den gibt es noch Zentralsonnenbahnen von unermeßlichen Weiten und Tiefen!
17. So eine Zahl in einer andern Zahl keine gleiche Aufnahme findet: ist das schon die Folge, daß es dann keine Zahl mehr gäbe, in der sie eine harmonische Aufnahme fände? Oder so in einer bestimmten Tonart in der Musik ein fremder, einer andern Tonart eigener Ton nicht stimmt, somit eine barste Sünde ist, meinst du wohl, daß dieser Ton sonach ganz aus der Musik zu verbannen wäre?
18. Siehe, Gott hat wohl auf der Erde einem jeden Menschen eine gewisse Ordnung mit ,Du sollst!‘ gezeigt und gegeben, aber Er hat ihm auch alles andere gegeben. Er weiß es am besten, wie Er einen oder den andern leitet zur Erreichung des einstigen großen Zweckes. Daher auch hat Er geboten, niemanden zu richten, so wie einst auch der Himmel größter Engel Michael den Satan nicht richten durfte, als dieser mit ihm um den Leichnam Mosis stritt!
19. Wir müssen daher nur sehen, was der Herr tut, und darnach unser Urteil einrichten, wollen wir weise und wahre Kinder Gottes sein. Alles eigene Urteil aber muß ganz aus uns weichen! Denn wir können nur in unserm Kreise uns frei bewegen. Aber die Bewegung in den zahllosen ewigen Kreisen der Ordnung Gottes geht uns nichts an, sondern allein den Herrn – darum es auch heißt, daß da ein jeder nur vor seiner Tür fegen solle und nicht auch vor der seines Nachbars!
20. Fasse dieses einmal wohl und fest, und betrachte dann die Szene weiter! Ich hoffe vor Gott dem Herrn, du wirst nun anfangen, die Sachen in einem ganz andern Lichte zu schauen und zu beurteilen. Der Herr gebe dir bald den rechten Willen und die rechte Einsicht dazu! Siehe nun hin, du ersiehst nun schon eine ganz andere Szene!“
01. Bischof Martin sieht nun wieder hin, eine Weile ganz stumm; danach aber spricht er: „Ja, liebster Freund, du hast recht: ich sehe es nun schon recht klar ein, daß des Herrn Ordnung ganz anders bestellt ist, als wie ich sie mir ehedem vorgestellt habe! Ja, wahr ist es, was da der große Seher David und der Apostel Paulus spricht, da er sagt: ,Unergründlich sind des Herrn Wege und unerforschlich Seine Ratschlüsse!‘
02. Aber daneben ist auch fast gleich unergründlich und unerforschlich, warum ich so lange dumm bleibe, während du gewisserart mit wenigen geistigen Mitteln in dieser kurzen Frist schon ein grundweiser Engel des Herrn geworden bist! Aber sei nun, wie es wolle, ich fühle stark in mir, daß der Herr Jesus nun mein einziges Bedürfnis geworden ist. Und dieses Gefühl macht mich überaus glücklich und heiter! Mehr aber brauche ich auch für die ganze Ewigkeit nicht. Ich sage dir, lieber Freund und Bruder, so ich nun nur den Herrn habe, da liegt mir an allem andern wenig oder nichts!
03. Ich meine daher: nachdem ohnehin der Herr mit diesen starren Gesellschaftern und Gesellschafterinnen das Beste tut und wir da weder was wegnehmen noch etwas hinzutun können, so ist es nicht der Mühe wert, hier noch länger diese Szenen zu beobachten, an denen wenigstens ich meinesteils verzweifelt wenig Angenehmes und den Geist Erhebendes erschaue. Nun sind diese Damen wohl wieder ins Leben zurückgekehrt und rennen in ihrem Garten glühend herum, als wenn sie die barsten Furien oder Teufelinnen wären. Aber nützt mir solch ein gräßlicher Anblick, so ich ihn durchaus nicht fassen kann und auch schwerlich je fassen werde?
04. Wenn es auf mich ankäme, da ginge ich doch um eine ganze Million lieber hinaus in den schönen Garten etwas herumarbeiten, als hier diese überaus langweiligen Szenen noch länger anzusehen!“
05. Spricht Borem: „Höre, liebster Bruder, was dem Herrn recht ist, das sei auch uns recht. Denn siehe, auch uns beide führt der Herr und weiß am besten, warum Er uns gerade diesen Weg vorgezeichnet hat!
06. Betrachte daher nur geduldig, was hier zu betrachten ist! Um die Erklärung aber sei ganz unbesorgt; diese wird dir zu rechten Weile werden, und zwar in hoher Klarheit und reinster Weise.
07. Was du aber nun erschaust, das erzähle mir sogleich, wie du es erschaust. Ich werde dir dazu wie bisher stets die erwünschte Beleuchtung zukommen lassen. Also tue im Namen des Herrn, wie ich dir's nun geraten habe!“
08. Bischof Martin spricht: „Ja, ja, du hast recht, der Herr führt daneben auch uns selbst; da freilich muß man alles sorglichst beachten, was Er will! Und so will ich denn wieder recht aufmerksam diese geistige Komödie betrachten. Aber nur reden laß mich dabei, wie mir die Zunge gewachsen ist!“
09. Spricht Borem: „Rede, wie du willst, mehr kann ich dir nicht sagen! Aber nur vor dem Richten hüte dich, denn das gehört ganz allein dem Herrn zu!“ –
10. Bischof Martin ist damit ganz zufrieden, sieht nun wieder in das Hinterhaupt der Herz-Jesu-Dame und spricht: „O jemine! Bruder, da sieht es auf einmal im Ernste sehr wild und böse aus! Diese Damen sind nun ganz nackt, und ihr Fleisch ist durch und durch glühend wie ein schmelzendes Erz. Je glühender es wird, desto ärger rennen sie durcheinander.
11. Fett gerade sind diese wahren Salamandrinen nicht; aber sie haben doch noch ein ziemlich menschliches Aussehen. Der Leib ginge noch an, einige haben sogar einen gar nicht schlechten Busen; aber die Gesichter sehen ganz entsetzlich verzerrt aus! Ich habe auf der Erde nur unter den Affen manchmal ähnliche gesehen! Ei, ei, ei! Die Gesichter sind fürchterlich wild und mehr als abschreckend häßlich!
12. O Gott, o Gott, da schau einmal eine an, die uns nun ziemlich am nächsten steht! O Herr, das Gesicht! Die Nase hängt ihr nahezu an den Bauch herab. Die Ohren haben Ähnlichkeit mit denen eines Elefanten. Der Mund sieht eher dem After einer alten Kuh als einem menschlichen Munde ähnlich; der Hals ist voll Kröpfe. Die Augen sehen zwei unregelmäßigen Arschlöchern eines Hundes gleich und die Haare gleich einem Gewürm! Ah, sapprament, das sieht verdammt häßlich aus! Wirklich sonderbar: der Leib wäre bei ihr ganz in Ordnung; aber der Kopf, der Kopf! Wahrlich, ich kann mir nichts Häßlicheres vorstellen!
13. Da, da, siehst du – o je, o je, da kommt eine andere in unsere Nähe; die sieht aus, daß man sich darob über alle Maßen entsetzen könnte! Das ist der Kopf von einer wahrhaftigen Boa constrictor, nur die sehr langen Eselsohren mildern ein wenig die Gräßlichkeit! Diese stieren Augen, dieses unausgesetzte Züngeln! Beim Munde, bei den Ohren und durch die Nüstern schießt mit jedem sichtlichen Atemzuge ein reichlicher dunkelbrauner Qualm heraus! Ah, ah, hörst du, liebster Freund, das ist doch mehr als zuviel, das ist scheußlich! Der Leib wieder, wie bei den andern, ist auch bei dieser ganz in Ordnung! Das Glühende abgerechnet, könnte man sie sogar sehr üppig nennen. Aber nur der Kopf, der Kopf, der ist wahrhaft entsetzlich! Um Gotteswillen, ist aber das eine Häßlichkeit ohne Maß und Ziel!
14. Holla, holla, jetzt rennen sie wieder durcheinander wie rasende Hühner, als ob sie etwa den sogenannten Hühnerteufel erschauen! Was doch solche Vorkommnisse zu bedeuten haben?“
15. Spricht Borem: „Ich sage dir: gar nicht viel Sonderliches! Daß sie glühend aussehen, macht ihr leidenschaftlicher, mit Zorn gemengter Eifer für die Sache ihres Ordens. Die Tätigkeit seiner Aufrechterhaltung gibt sich durch das Herumrennen kund. Daß die Leibesformen dieser Damen ganz gut aussehen, rührt von ihrem ziemlich keuschen Sinne her; daß aber ihre Köpfe so wunderlich aussehen, davon ist ihre große Dummheit die alleinige Schuldträgerin. Wenn sie sich mit der Weile besser erkennen werden, dann werden sie auch bessere Köpfe überkommen. Solange sie aber ihrem Wahne treubleiben, wird mit der Verbesserung ihrer Köpfe nicht viel herausschauen.
16. Nun weißt du vorderhand die nötige entsprechende Ursache solcher Erscheinung. Siehe aber nun weiter, denn das, was du bis jetzt gesehen hast, war nur das Vorspiel, das eigentliche Drama kommt erst!“
17. Spricht Bischof Martin: „Ganz gehorsamster Diener! No, die Geschichte wird sich machen. Wenn jetzt erst das eigentliche Hauptdrama beginnt, da bin ich wirklich äußerst wißbegierig, worin dieses bestehen und wie es sich äußern wird!“
01. (Bischof Martin:) „Jetzt sehe ich diese grauslichen Fetzen von Damen des Herzens Jesu (Ewig schade um diesen herrlichsten Namen aller Namen!) sich allgemach in ihr Kloster zurückziehen, und das sehr hastig! Was sie etwa darinnen wittern? Aber da entdecke ich nun auch außer dem Garten sich mehrere alte Männer und Frauen lagern; sie sehen sehr betrübt und mühselig aus! Was doch diese wollen und wer sie etwa sind?“
02. Spricht Borem: „Das sind einige Elternpaare dieser Herz-Jesu-Damen. Sie suchen Hilfe bei ihnen, weil sie durch vieles Suchen und Bitten erfahren haben, daß sich ihre seligsten Töchter hier in einem himmlischen Kloster befänden und unausgesetzt für ihr Heil bäten.“
03. Spricht Bischof Martin: „No, die werden es da fangen! O weh, o weh, mir ist schon im voraus leid um diese armen, gut- und dabei freilich dummherzigen Eltern!
04. Richtig, richtig, da greift schon ein alter Mann nach der Pfortenklinke und läutet nun um Einlaß; aber es kommt niemand! Er läutet abermals, aber es kommt noch niemand! Er läutet stärker zum dritten Male, und es kommt auch zum dritten Male niemand!
05. Nun fangen die alt aussehenden Leutchen wieder zu bitten und zu beten an und jammern, daß es schon völlig aus ist. Ah, nun fangen sie diese Greteln gar mit lauten Gebeten zu verehren an! Nein, das geht doch etwas zu weit! Aber es läßt sich dessenungeachtet noch immer keine von unseren Salamandrinen sehen!
06. Ich höre nun laut schluchzen und weinen und sagen: ,O ihr, unsere lieben, heiligsten Töchter, sehet von euren himmlischen Thronen gnädig auf uns, eure armen irdischen Eltern, herab! Nehmet uns als die Letzten in eure schlechtesten Dienste auf! O erhöret uns, ihr heiligen Jungfrauen und Bräute Gottes!‘
07. Freund, Bruder, das ist stark! Nein, für so dumm habe ich die Menschen, d.h. die römisch-katholischen Menschen denn doch nicht gehalten. Ich war doch selbst ein Bischof und hielt große Stücke auf manche fromm aussehende Dummheit der Menschen. Aber so etwas hätte ich in meinem Sprengel denn doch nicht geduldet! Nein, diese armen Leutchen oder Geisterchen, was sie hier schon sind, dauern mich wirklich von ganzem Herzen!
08. Nun bin ich nur neugierig, was da zum Vorscheine kommen wird! Es läßt sich noch keine von den hier Angebeteten blicken. Ich meine, diese Greteln wissen nun etwa gar schon, wie sie aussehen, und schämen sich gar entsetzlich, sich also ihren Eltern zu zeigen. Darum lassen sie diese bitten und beten, daß sie darob ihre Zungen bis auf die letzte Fiber verbrauchen können, und es wird doch alles vergeblich sein. Höre, höre, wie diese Armen schreien und jammern!
09. Oho, oho, was ist denn das wieder für eine neue Erscheinung? Nun fängt es aus den vielen Fenstern des Klosters förmlich zu blitzen und zu donnern an, aber gar zu mächtig rollt der Donner nicht! Das scheint so ein wahrer klösterlich-theatralischer Hausdonner zu sein; aber die Blitze sind den echten ziemlich ähnlich!
10. Horch aber nun, mir kommt es vor, als ob der Donner zu Worten artikuliert würde! Bei meinem Leben, der Donner spricht nun deutlich! Höre, höre, er spricht: ,Zurück mit euch, ihr Verfluchten, von diesem Heiligtume Gottes, sonst verschlingt euch der Boden sogleich in die Hölle hinab, da ihr gewagt habt, ihn mit euren sündigsten Füßen zu betreten! Fliehet für ewig aus unserem heiligen Angesicht!‘
11. Ah, ah, ah, das sind doch Luder erster Klasse! Weil sie selber schon beinahe rein des Teufels sind und sich vor ihren tausendmal besseren Eltern schämen, verscheuchen sie nun diese durch so eine scheußliche Maske. Und die Armen begeben sich nun wirklich unter großem Heulen von diesem Orte.
12. Hör, Bruder, dieses Drama nimmt schon einen sehr höllisch respektablen Anfang! Da bin ich wahrhaft sehr neugierig, wie sich diese Sache weiter ausfechten wird!
13. Die armen Eltern haben nun dort unweit vom Garten gegen Mittag hin einen reichlich mit Früchten behangenen Baum erreicht. Sie lagern sich nun unter demselben, mit den Gesichtern gegen das Kloster gewendet. Wahrscheinlich müssen sie einen falschen Trost und eine sicher leerste Hoffnung im selben vermeinen! Sonst müßte ihnen eine solche lumpigste Trugdemonstration ja doch zur größten Genüge zeigen, daß sie von ihren vermeintlich seligsten Töchtern nichts zu erhoffen haben – außer eine noch ärgere Demonstration!
14. Ich möchte denn doch sehen, was nun unsere Damen machen werden! Blitze fahren noch immer aus den Fenstern; auch ein Donnern vernehme ich noch, aber wohl nur ganz schwach. Die Alten unter dem Baume entdecken nun die Früchte und einige von ihnen langen ganz behutsam danach, pflücken sie ab und führen selbe an den Mund. Sie beißen ganz ernstlich in diese recht gut aussehenden Früchte, die ihnen sehr zu schmecken scheinen, weil sie nun gar so emsig nach mehr solcher Früchte greifen und selbe auch denen darreichen, die selbst keinen Mut zu haben scheinen, sich welche von diesem Baume herabzunehmen.
15. Aber nun sehe ich bei einem Klosterfenster etwas hinausstecken, das da aussieht wie ein Sprachrohr. Es wird gerade nach jenem Baume hin gerichtet, unter dem unsere Alten sich gelagert haben, um sich an des Klosters ,himmlischem‘ Anblicke zu weiden und zu laben – oder vielleicht auch etwas anderes. Nun möchte ich bald sehen, was da aus diesem Sprachrohre sich alles – wahrscheinlich wie aus einer Pandorabüchse – entwickeln wird!
16. Sapprament, da sieh hin! Eine Menge Nachteulen fliegen nun aus diesem veritablen Sprachrohr gerade an den Baum, wo unsere armen, geprellten Alten ihre erquickliche Rast genommen haben. Die Nachteulen schwirren nun um den Baum und stoßen herab auf unsere Alten, die darum sehr ängstlich werden.
17. Nun entströmen dem Rohre auch Flammen, und Worte auch darunter, die wie zuvor die Nachteulen gegen die ängstlichen Alten sichtlich ihre Richtung nehmen. Die Worte sehen wie glühende Schlangen aus und sind voll der entsetzlichsten Drohungen, und die Flammen scheinen die Träger dieser Schlangenworte zu sein.
18. Schau, das ist einmal ganz etwas Neues! Daß sich Worte niederschreiben lassen durch gewisse Zeichen, die man Buchstaben nennt, das ist eine altbekannte Sache. Aber daß man Worte auch in diesen scheußlichen Gestalten ausdrücken könnte, das ist mir noch nicht vorgekommen!
19. Siehe, nun erheben sich die Alten und fliehen mit Sturmesschnelle von dannen, und die Nachteulen verfolgen sie hin an einen Strom, den ich soeben entdeckt habe.
20. Aber dort ersehe ich nun zwei weißgekleidete Männer; es sind dieselben, die diese herzlichen Damen vorher erdolchen wollten. Diese zwei Männer winken den fliehenden Alten, zu ihnen zu gehen. Die Nachteulen aber, als sie diese zwei Männer ersehen, machen eiligst rechts um, fliegen in größter Hast wieder dem Kloster zu und schießen da wie Blitze in das noch zum Fenster hinausgerichtete Sprachrohr. Auch die Schlangenworte samt den Flammen nehmen wieder ihren sehr schnellen Rückzug.
21. Die zwei Männer aber versammeln nun die Alten um sich. Wie es scheint, machen sie nun auch mit ihnen eine umgekehrte Bewegung gegen das Kloster hin. Na, die Geschichte bekommt stets mehr Ausdehnung! Ich bin schon über alle Maßen neugierig, was da noch alles herauswachsen wird!“
22. Spricht Borem: „Liebster Bruder, vor gar zu großer Neugierde mußt du dein Herz auch verwahren, weil einer solchen Schaugier auch stets heimlich sich eine Schadenfreude beigesellt! Sei daher hier bloß ein weiser Beobachter zum Nutzen deines Geistes; aber die Neugierde lasse beiseite! Denn hier müssen wir im höchsten Grade nüchtern sein, weil hier etwas Höllisches mit unterlaufen wird. Beobachte nun, aber ohne alle Neugier; das Geschaute aber erzähle mir treu!“
01. Bischof Martin wendet seine Augen wieder in das Hinterhaupt der Herz-Jesu-Dame und spricht nach kurzer Beschauung: „Ja, ja, so ist es schon recht; die zwei weißen Männer ziehen in Gesellschaft der Alten nun wirklich dem Kloster zu! Je näher sie kommen, desto fleißiger blitzt es aus den vielen Fenstern; aber die Blitze reichen nicht gar zu weit. Auch läßt sich ein innerer Donner vernehmen, aber wohl sehr schwach.
02. Die Gesellschaft ist nun schon ganz nahe an der Gartenmauer. Einer von den zwei weißen Männern geht nun sogleich an die Türe und öffnet diese mit Blitzesschnelle. Nun dringen sie alle in den Garten und im selben in des Klosters Nähe.
03. Hier angelangt stellen sich die zwei weißgekleideten Männer vor die Schar der Alten. Ein jeder von ihnen zieht eine lange Posaune unter dem Kleide hervor. Beide setzen nun diese Musikwerkzeuge an den Mund und stoßen gar mächtig in dieselben. Oh sapprament, das ist ein kräftiger, majestätvollster Ton!
04. Aber was sehe ich nun? Da sieh, da sieh! Das Klostergebäude stürzt nun zusammen gleich den Mauern Jerichos. Und unsere Damen kriechen laut klagend und fluchend aus dem Schutt hervor wie Würmer aus einem Sumpfe und haben eine Gestalt wie die Riesenfrösche Hinterägyptens auf der Erde. Nur die Köpfe sehen mehr den Köpfen der Riesenschlangen gleich als denen der Frösche. Auch bemerke ich, daß sie an ihren Steißen Skorpionsschwänze haben. O du verzweifelte Geschichte, das Ding sieht nun äußerst bedenklich aus!
05. Den Alten sträubt sich ob dieses Anblicks das Haar zu Berge. Diese ganz sonderbaren Frösche fangen auch – statt weiter zu fluchen – ganz entsetzlich zu quaken an. Aber ihr Gequake ist nun ohne Sinn und, wie es scheint, von gar keiner Wirkung. Denn die zwei Männer bedräuen diese Frösche und treiben sie nun vor sich hin, und die Alten folgen ganz erstaunt den zweien. Ihr Zug geht gegen Abend!
06. An der Stelle des Klosters ist nun eine abscheuliche Pfütze zu sehen. Sapprament, Bruder, das sieht nun sehr düster aus! Nein, ich werde nun schon selbst ängstlicher und ängstlicher! Merkwürdig aber ist hier die Erscheinlichkeit, daß ich diese gegen Abend eilenden Frösche, wie auch ihre sie treibende Nachfolge stets gleich groß und gut sehe, obschon sie nun dem Raume nach schon sehr weit von uns entfernt sind.“
07. Spricht Borem: „Räumliche Entfernungen beirren nimmer des Geistes Sehe; denn jeder Geist ist über Zeit und Raum erhaben. Aber die verschiedenen Arten der Gemütszustände sind wahre Geistesentfernungen und beirren die Sehe des Geistes oder blenden sie oft ganz und gar.
08. Wären bei dieser Fröscheflucht die zwei weißgekleideten Männer nicht dabei, so würdest du sie nimmer erschauen; denn der Gemütszustand dieser Frösche ist zu sehr verschieden von dem unsrigen. Aber da diese zwei mit uns völlig verwandten Gemütes sind, so können sie räumlich noch so weit von uns entfernt sein, so werden wir sie dennoch stets gleich sehen.
09. Wir können zwar wohl auch die Hölle in der vollsten Nähe beschauen. Aber das geschieht nicht durch die Gemütsassoziation, sondern durch eine eigene wunderbare Vermittlung des Herrn, die du erst später wirst kennenlernen.
10. Nun weißt du von dieser dir mit Recht merkwürdig vorkommenden Erscheinung auch den Grund, den dir aber erst die Folge vollends klarmachen wird. Beobachte nun weiter die Szene, die nun vor dir ist; du wirst von ihr sehr viel lernen!“
11. Bischof Martin strengt wieder seine Sehe an und ersieht die Frösche schon tief im dunklen Abend das Ufer eines mächtigen Meeres erreichen und zugleich haltmachen. An diesem Ufer fangen sie erbärmlichst an zu quaken und sträuben sich, ins Wasser zu gehen. Die zwei Männer aber nötigen sie nicht, sondern lassen ihnen die freie Wahl.
12. Bischof Martin, solches schauend, spricht: „Da sehe nun ein Mensch diese grauslichen Frösche an! In ihr Element wollen sie denn doch nicht, obschon sie für selbes wie geschaffen zu sein scheinen. Davon scheint, wie ich in mir zu ahnen beginne, das der Grund zu sein: In ihnen muß doch noch etwas Besseres verborgen sein, das nicht diesem Elemente angehört, und das wird sie wahrscheinlich noch auf dem trockenen Lande erhalten?!“
13. Spricht Borem: „Wird schon so sein! Aber beobachte nun nur weiter; denn nun wird sich bald die Entwicklung dieses ersten Aktes zeigen!“
14. Bischof Martin schaut nun sehr aufmerksam auf die Szene hin und spricht nach einer Weile: „Ah, ah, da sieh einmal hin, das ist ja über alle Maßen merkwürdig! Nun blähen sich die Frösche am Ufer des Meeres auf, daß es wahrlich grauenhaft anzusehen ist. Wie die größten Elefanten stehen sie nun da vor den zwei Männern und vor der stets ängstlicher werdenden Schar der Alten. Noch immer schwellen sie auf, als so sie mit einem Gebläse aufgetrieben würden. O Tausend, o Tausend! Nun sind sie schon so voluminös, daß man sie geradeweg für kleine Berge halten könnte!
15. Sie machen nun Miene, die zwei Männer samt den Alten angreifen zu wollen. Aber die zwei Männer weichen keinen Schritt zurück, obschon die Alten lieber davonfliegen als -gehen möchten.
16. Nun aber gebieten die zwei Männer Ruhe und einer von ihnen spricht zu den Alten: ,Fürchtet euch nicht vor diesen Aufgeblühten! Nur die sündige Haut ist es, vor der ihr euch entsetzt; aber das Inwendige ist schwächer denn das Wesen einer Milbe! Wir könnten sie wohl mit einem Hauche verwehen, die ihr zuvor noch als Seligste förmlich angebetet habt. Aber wir sind so unbarmherzig nicht, wie sie als vermeintliche Gottesbräute gegen uns und euch es waren, obschon wir die vollkommensten Protestanten sind und tatkräftigst gegen alles auf das feurigste protestieren, was irgend nur im geringsten nicht des Herrn ist!
17. Wollt ihr aber noch handgreiflicher wissen, wer da diese aufgeblähten Frösche sind, da wisset: Das sind eure Töchter, die eure große Dummheit samt einem großen Vermögen in das Kloster dieser Herz-Jesu-Damen getrieben und gewisserart förmlich verdammt hat! Wie gefallen sie euch nun in diesem Himmelsgewande?‘
18. Die Alten schlagen die Hände über dem Kopfe zusammen, reißen sich die Haare aus und schreien: ,Aber um Gotteswillen! Jesus, Maria und Joseph, steht uns bei! Wie ist denn das möglich!? Sie sollen ja ein gar so reines Leben geführt haben! Sie haben ja doch nichts getan, als was sie vom Beichtvater aus zu tun bemüßigt waren, und was ihnen ihre strenge Regel vorschrieb! Und nun müssen wir sie in diesem schrecklichsten Zustand hier antreffen! O Jesus, Jesus, Jesus, Maria und Joseph! Was ist nun hier aus ihnen geworden!‘
19. Spricht wieder einer der zwei Männer: ,Seid ruhig und ängstigt euch dieser wenig Werten wegen nicht. Wir sind darum vom Herrn abgesandt, um in Seinem allerheiligsten Namen das zu suchen und wiederzubringen, was da immer in Verlust geraten ist, und werden sonach auch diese Frösche wieder zurechtbringen! Damit aber auch ihr von eurer Torheit geheilt werdet, so müsset ihr bei diesem Werk zugegen sein und euch in aller Geduld in alles fügen, was da immer über euch kommen mag. Erwecket aber vor allem eure Liebe zum einigen Gott und Herrn Vater Jesus, so wird der von euch allen zu wandelnde Weg ein leichter sein!‘
20. Nun fangen die Alten an zu weinen über das Unglück ihrer seligst vermeinten Töchter; diese aber blähen sich nun noch ärger auf.“
01. (Bischof Martin:) „Ein sehr bejahrt aussehender Vater einer dieser Herz-Jesu-Damen tritt nun vor die zwei weißen Männer und spricht in einem sehr weinerlichen Tone: ,O ihr mächtigsten Boten Gottes, wie kann doch das sein, daß auch meine Tochter sich unter diesen Unglücklichen befindet! Soviel mir wohl bekannt ist, lebte meine Tochter doch so strenge und gewissenhaft genau nach den Regeln ihres Ordens und somit im vollkommensten Geiste der alleinseligmachenden römisch-katholischen Kirche, welcher Geist doch offenbar der Heilige Geist sein muß?
02. Zufolge solchen Lebens und laut der vielen Versicherungen der Kirche hätte meine Tochter doch sollen vom Munde auf in den Himmel fahren! Denn nebst ihrem gewissenhaft strengsten Leben erhielt sie auch vom Papste selbst nicht nur einen, sondern ein ganzes Dutzend vollkommene, von der lauretanischen Maria selbst privilegierte Ablässe, wodurch ihr auch das Fegefeuer vollkommen erlassen war! Wie geht es demnach hier zu, wenn ein solches Leben vor Gott keinen Wert hat?
03. Ja, ich kann es euch auf mein Gewissen und Leben sagen, daß meine Tochter wahrlich vom Himmel aus ganz unverhohlen zur Braut Christi berufen wurde durch ein Traumgesicht eines allerstrengst lebenden frömmsten Jesuiten. Diesem frömmsten Mann Gottes träumte nach seinem ganz einfachen und schlichten Geständnisse:
04. Maria und der heilige Joseph seien ihm erschienen im allerhöchsten Himmelsglanze und sprachen zu ihm: ,Höre uns, du reinster Bruder der Engel, gehe du hin zum N. N.; der hat ein liebes Töchterchen, an der Jesus ein großes Wohlgefallen hat, daß Er sie darob zu Seiner fürnehmsten Braut haben will! Gehe bitten für Gott, deinen Herrn, und verschaffe Ihm diese Braut, sonst sollst du nie einen Teil am Himmelreiche haben!‘
05. Darauf sei er wach geworden und habe sehr darüber nachgedacht, habe solchen dreimal gleich gehabten Traum dem Konvente angezeigt, und dieser dem General nach Rom. Und wie war der ganze Konvent überrascht, als er vom General die wunderbare Erklärung zurückerhielt, daß auch demselben das gleiche geträumt habe und, als er dem Traume nicht glauben wollte, Maria sogar zum vierten Male allein ihm ganz traurig erschien und zu ihm sagte:
06. ,O du elender Wurm im Staube! Dieweil du nicht glaubst, so sollst du so lange mit einer schweren Krankheit geplagt werden, bis das liebe Mädchen sich im Kloster der Herz-Jesu-Damen als eine Braut meines Sohnes befinden wird! Zur Steuer der Wahrheit sollen drei Tage hindurch in der Nacht um 12 Uhr alle Glocken Roms eine Stunde lang von selbst ertönen!‘
07. Alles dieses sei wunderbarst wirklich eingetroffen, und der General habe dann sogleich Gebete in allen Konventen heimlich angeordnet. Und er habe besonders den Pater, dem es von meiner Tochter so wunderbar geträumt hatte, dringendst gebeten, daß er Tag und Nacht beten solle, damit meine Tochter ins Kloster ginge.
08. Ich für mich aber wollte sie nicht so leicht hineingeben, denn ich war auf der Welt sehr reich und von hohem Adel. Meine Tochter aber war überaus schön und sanft und gut und hätte wohl die beste Partie machen können. Aber ich gab endlich den vielen Bitten des frommen Paters nach. Und da die Tochter auch Christus allen andern Bräutigamen vorzog, so wählte auch sie den Schleier und wurde eine Braut Christi. Ach, du unglückliche Braut!
09. O ihr beiden mächtigen Boten des Herrn, o saget es mir armem, unglücklichen Vater: Was um Gotteswillen hat denn meine Tochter verbrochen, darum sie sich nun auch unter diesen unglücklichsten echten Teufelsgestalten befindet? Hatte sie etwa geheime Sünden? Oder war sie eine pure Heuchlerin? Oder ist die römische Kirche ein Betrug? O saget, warum widerfuhr meiner Tochter dieses unaussprechliche Unglück!‘
10. Nun spricht der eine von den zweien: ,O Freund, hast du denn nie das Evangelium des Herrn gelesen?‘
11. Antwortet der Alte: ,Als Schulknabe wohl, aber später nimmer; denn ich ging ja alle Sonn- und Feiertage ohnehin in die Kirche und hörte da Predigt und Messe! Zudem war das Lesen der Bibel uns Laien ohnehin von der Kirche aus untersagt, und ich glaube recht gehandelt zu haben, so ich der Kirche in allem gehorchte!‘
12. Spricht wieder der eine: ,Nun, wenn dir die Kirche mehr galt als das reine Wort Gottes, so mußt du nun schon die Kirche um Rechenschaft angehen und nicht uns, die wir als vollendetste Protestanten der römischen Kirche uns nie an etwas anderes gehalten haben als an das nur, was Christus allein gelehrt hat! Im Evangelium des Herrn aber steht nirgends etwas von einer alleinseligmachenden römisch-katholischen Kirche, nichts vom Papste, nichts von den Jesuiten und nichts von den Herz-Jesu-Damen, sondern da steht ganz einfach: ,Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst! Darin ist das Gesetz und alle Propheten!‘
13. Siehe, wer nur des Lohnes wegen arbeitet, der ist ein unnützer Knecht und nicht wert des Lohnes, geschweige des Herrn, der da spricht: ,Wer seinen Vater, seine Mutter, seinen Bruder, seine Schwester und dergl. mehr liebt als Mich, der ist Meiner nicht wert! So ihr aber alles getan habt, da bekennet, daß ihr unnütze Knechte waret!‘
14. Siehe, das sind Gottes Worte! Frage dich selbst, ob du sie wußtest, und ob du und deine himmelsstolze Tochter sie je beachtetet!‘
15. Spricht der Alte: ,Ja, wenn das wirklich Gottes Worte sind, wie sie auch sein werden – besonders die des Gesetzes der Liebe, die ich wohl öfter von der Kanzel gehört habe –, dann ist es mir mehr und mehr einleuchtend, warum meiner Tochter so etwas widerfuhr. Aber sie ist auf diese Art eine derbst Geprellte und verdient daher Nachsicht und ein gnädigstes Erbarmen vom Herrn!‘
16. Spricht wieder der eine: ,Freund, wäre der Herr nicht besser, als du und deine Tochter Ihn kennen, so würdest du samt deiner Tochter dich nun in der Hölle befinden. Weil aber der Herr endlos besser und weiser ist, befindet ihr euch anstatt in der Hölle nur in der notwendigsten Korrektion eurer Sehe und im Gnadenbade zur Heilung eures ganzen Wesens!
17. Wisse denn, jener Traum des Jesuiten war rein erdichtet deiner schönen und reichsten Tochter wegen. Du warst durch Zulassung des Herrn darum schändlichst geprellt, weil du sonst deine Tochter niemandem als nur einem Prinzen geben wolltest. Das aber war von dir um so ärger gefehlt, als du wider aller Christuslehre Sinn, nach dem alle Menschen gleich sind, deine Tochter einem armen, aber sonst rechtlichen Manne schmählich vorenthieltst und ihn für seine Keckheit noch züchtigen ließest! Siehe, solch ein Verfahren ist vor Gott das fluchwürdigste!
18. Es kam aber um deine Tochter dennoch kein Prinz, sondern ein hinterlistiger Jesuit und überlistete dich samt deiner Tochter! Kannst du darum vom Herrn, der die höchste Liebe, Demut und Sanftmut Selbst ist, wohl Rechenschaft verlangen, so du deine Tochter statt im Himmel hier in diesem mißlichsten Zustande findest?
19. Dann, mein Freund, war deine Tochter stolz und hart gegen ihre Untergebenen, da sie als die Reichste bald die Vorsteherin dieses neugebackenen Ordens ward. Sie hielt sich für eine Heilige zufolge ihrer wunderbaren Berufung, und noch mehr, weil alle Nacht ein maskierter Herr Jesus sie leibhaftig besuchte und sie als seine Braut natürlich ihm alles gewährte, was er nach der Lüftung des sogenannten himmlischen Schleiers von ihr verlangte. Davon sagte sie dir freilich nicht alles, sondern nur, daß dieser ihr Jesus von dir auf das strengste verlange, daß du dein gesamtes großes Vermögen dem heiligen Kollegium vermachen sollst, was du auch getan hast in deinem blinden Glauben!
20. Siehe, also stehen die Dinge um dich und deine Tochter und werden ebenso um dein noch auf der Welt lebendes Weib stehen! Wie meinst du nun: kann ein Mensch neben der Lehre Gottes mittels eines solchen Lebens den Himmel erwarten – besonders wenn deine Tochter gar bald wußte, wer ihr Herr Jesus ganz eigentlich war? Verstehst du das nun, mein lieber Freund?‘
21. Der Alte macht nun sehr große Augen, und mehrere andere mit ihm, und er möchte nun über alle Maßen über Rom zu fluchen anfangen. Aber die beiden verbieten ihm streng, solches zu tun, und zeigen ihm, daß das Gericht allein des Herrn ist, allen Menschen aber die Vergebung zukommt, so sie auch Vergebung erlangen wollen. Das beruhigt nun unseren Alten. Und ich sehe nun, daß ein Frosch kleiner zu werden beginnt; das wird sicher die besagte ,Braut Christi‘ sein! Bruder, die Sache macht sich!“
01. (Bischof Martin:) „Der Alte macht sich nun wieder an den einen und fragt ihn: ,Ich sehe nun alles ein, was du zu mir geredet und was du mir angezeigt hast; denn es ist sicher so und nicht anders. Aber wenn es leider sicher so ist, wie du mir es nun gezeigt hast, möchte ich doch auch erfahren, wie denn der Herr Rom noch kann bestehen lassen?! Denn da ist Rom ja nur eine Stätte des Greuels und ewig nimmer eine Kirche des Herrn!
02. Wo ist denn hernach Petrus, der Fels, den der Hölle Pforten nimmer überwältigen sollen? Rom behauptet solches von sich, und der jeweilige Papst als vorgeblicher Stellvertreter Christi auf Erden sitze auf diesem Felsen unter dem beständigen Einflusse des Heiligen Geistes! Solch eine Behauptung kann doch unmöglich etwas anderes als nur ein größter Greuel vor Gott sein! O erläutere es mir, wie es denn zugeht, daß der Herr so etwas dulden kann? Er hätte ja doch tausend Mittel, um diesem Übel zu steuern!‘
03. Spricht der eine: ,Mein Freund, das ist wahr, der Herr kann alles, was Er will. Aber was möchtest du zu einem Vater von etlichen 10-20 Kindern sagen, so er, wenn einige seiner Kinder widerspenstig und ungehorsam wären, diese sogleich entweder durch einen Scharfrichter oder mit eigener Hand hinrichtete? Würde da nicht jeder Mensch sagen: ,Das ist unerhört; so ein Teufel von einem Vater ist noch nie dagewesen!‘
04. Was sagtest du denn zu einem Herrscher, der seine Untertanen wegen Nichterfüllung seiner Gesetze sogleich spießen und braten ließe? Würdest du da nicht rufen: ,O seht, seht, welch ein schrecklicher Tyrann, welch ein unmenschlicher Teufel!‘
05. Und siehe, gegen einen so unmenschlich strengen Vater könnten die Kinder sich sogar wirksam zur Wehr stellen, und die Untertanen könnten sich gegen einen solchen Tyrannen mächtig erheben und ihn übel erwürgen!
06. So aber der allmächtige Vater ebenso mit Seinen Kindern verführe, sage, wie würdest du ein solches Verfahren von der Gottesseite ansehen und benennen?
07. Wäre das nicht die namenloseste Grausamkeit, so der allmächtige Gott mit Seinen schwachgestellten Geschöpfen so verfahren möchte wie einst ein Wüterich in Frankreich mit den Franzosen?
08. Siehe, der Herr weiß gar wohl, daß Rom eine grausliche Hure ist, wie Er auch wußte, daß die Ehebrecherin eine allgemeine Buhldirne, die Magdalena eine große Hure und die Samaritanerin am Jakobsbrunnen eine arge Geilerin war. Aber wie Sich der Herr gegen jene drei Weiber erwiesen und erzeigt hat, und wie Er aufnahm den verlorenen Sohn, ebenso erweist Er Sich der Hure Rom und nimmt jeden reuigen verlorenen Sohn aus ihrem Schoße auf, wenn er zuvor auch noch so stark und mächtig mit dieser Hure gebuhlt hätte! Aber natürlich – ohne Reue und Buße ist's für so lange nichts, als wie lange der Buhler weder Reue noch wahre Buße gewirkt hat!
09. Was aber den Felsen Petri betrifft und wo er ist, da ihn der Hölle Pforten nicht überwältigen können, zeigte der Herr mit manchen Texten und Versen Seines heiligsten Evangeliums!
10. Da heißt es einmal: ,Wer an den Sohn glaubt und aufnimmt Sein Wort, der hat das ewige Leben!‘ – Siehe, das ist schon ein Fels!
11. Wieder heißt es einmal: ,Mein Reich kommt nicht mit äußerem Schaugepränge, sondern es ist inwendig in euch‘ – Siehe, da also ist der wahre unüberwindliche Fels Petri aufgerichtet!
12. Und wieder heißt es anderswo: ,Wer Meine Worte hört, sie annimmt und danach lebt, der ist es, der Mich liebt; der Mich aber liebt, zu dem werde Ich kommen und Mich ihm Selbst offenbaren!‘ – Siehe, das ist auch Petrus, der Unüberwindliche in eines Menschen Herzen. Das allein ist die wahre, lebendige Kirche des Herrn, so Er durch den lebendigen Glauben, der da die Liebe ist, im Herzen des Menschen Wohnung genommen hat!
13. Du siehst nun, wie es mit Petrus steht, und wo er ist. Darum frage nicht mehr weiter um alberne, leere Dinge der Welt, sondern suche nun vor allem das wahre Gottesreich in dir und seine liebevollste Gerechtigkeit, so wird dir dann alles andere von selbst werden!‘
14. Der Alte verneigt sich nun bis zum Boden vor diesem Boten des Herrn und auch die andern Alten tun desgleichen. Aber die Frösche sind noch Frösche geblieben, nur kommen sie mir nicht mehr gar so aufgebläht vor. Der eine Frosch ist nun ganz klein geworden und nähert sich den zweien. Je näher er ihnen kommt, desto kleiner wird er; das scheint mir ein gutes Zeichen zu sein!
15. Übrigens muß ich es selbst offen und dem Herrn allerdankbarst bekennen, daß ich nun aus dieser Szene bisher sehr viel profitiert habe und nun sicher um zehnmal weiser bin als ehedem! Die Szene aber ist auch fortwährend interessanter und vollauf merkwürdig.
16. Der Jesuit ist hier wirklich glorios dargestellt worden, das muß man sagen! Wahrlich, da gehört mehr als bloß nur göttliche Geduld dazu, um solche Kerls nicht noch ärger wie Sodom und Gomorra heimzusuchen! Wahrlich, ich dürfte jetzt nicht mit der Macht des Herrn ausgerüstet sein, da ginge es diesen Weltbetrügern ganz verdammt schlecht! Aber es geschehe des Herrn Wille!“
01. Spricht Borem: „So ist es recht: allein des Herrn allerbester und allerweisester Wille geschehe! Die Disteln sind offenbar schlechter als der Weizen, der schon so gut ist, wie er sein muß. Aber gehe du alle Weizensorten der Erde durch, und du wirst in ihnen wenig Unterschied finden. Gehe aber auch alle Distelsorten durch, und du wirst obenan die herrliche Ananas finden und neben ihr die heilkräftige Aloe und neben der die zuckerstoffreiche Feigendistel Afrikas!
02. Wie töricht wäre es darum, das Geschlecht der Disteln zu verdammen, da doch die Natur zeigt, welcher Veredlung sie fähig sind! Der Weizen bleibt Weizen, aber die Distel kann zur Ananas erhöht werden!
03. Ebenso blieb ein Petrus, ein Jakobus, ein Andreas usw. das, was sie seit ihrer Entstehung waren, nämlich ein reiner Weizen in der Scheune des Herrn. Unter diesem Weizen aber stand auch eine sehr stachlige, wilde Distel: sie hieß Saulus! Und siehe, der Herr veredelte sie zur herrlichen Ananas, zur köstlichen Frucht der Erde!
04. Siehe, was aber der Herr einmal tat, das tut Er noch! Daher sagen wir allzeit aus vollstem Grunde unseres Lebens: O Vater, Dein heiligster Wille geschehe!“
05. Bischof Martin ist zu Tränen gerührt und spricht: „Ja, ja, du mein lieber Bruder, ewig nur Sein heiligster Wille! Oh, wenn ich Ihn jetzt da hätte, da möchte ich Ihn so an mein Herz drücken, daß ich darob völlig mich auflösen könnte! O Du, mein guter Herr Jesus Du, komme, komme zu uns beiden!“
06. Spricht Borem: „Bruder, nun erst bist du auf den rechten Weg gekommen. Jetzt erst hast du angefangen, Christus anzuziehen! Ich sage dir, du gehst nun einer herrlichen Löse entgegen! Bald wirst du erfahren, was das heißt: ,Kein Auge hat je gesehen und keines Menschen Sinn empfunden, was der Herr denen bereitet hat, die Ihn lieben!‘ Du aber hast nun Liebe zum Herrn in deinem Herzen erweckt, die allein bei Ihm etwas gilt. Gib nun acht, was mit dir bald vor sich gehen wird, so du in dieser Liebe verharren und wachsen wirst! Siehe aber nun ein wenig nach der Tafel hin und sage mir, was du nun dort ersiehst!“
07. Bischof Martin sieht sich nun eilends nach der Tafel um und erschrickt. Er sieht diese heller denn eine Sonne erglänzen und liest inmitten des großen Glanzes die Worte: ,Bruder, verharre nur noch eine kurze Weile, und Ich werde bei dir sein!‘ Als er solches mit großer staunender Freude erschaut, spricht er:
08. (Bischof Martin): „O Bruder, ich empfinde nun eine Wonne, von der ich noch nie eine allerleiseste Ahnung gehabt habe! Was wird daraus erst in der Folge werden, wenn die Sache so vorwärtsgehen wird, wie ich's nun in meinem Herzen empfinde, da es stets mehr in der Liebe zum Herrn Jesus sich entzündet?
09. Ja, ich sage dir, nun bin ich in den Herrn Jesus aber schon so verliebt, daß ich mir vor lauter Liebe gar nicht zu helfen weiß! Ja, ich könnte Ihn – ich möchte Ihn – ja ich könnte mich vor lauter Liebe ganz in Ihn hineinverbeißen!
10. O du liebster, liebster, liebster Jesus Du, jetzt sehe ich erst so recht ein, wie unendlich weise und gut Du bist. Und diese Einsicht wird bei mir nun eine Klarheit, während sie früher nur war wie ein etwas hellerer Traum!
11. O Bruder, wie freue ich mich nun darauf, wenn der Herr zu uns kommen wird und wird uns sichtlich helfen, unsere nun noch sehr starren oder wenigstens starr aussehenden Gäste in die rechte Ordnung zu führen!“
12. Spricht Borem: „Ja, Bruder, das wird auch geschehen, sobald diese Damen das Allergröbstmaterielle werden abgelegt haben. Daher fasse dich nun wieder, betrachte die Szene weiter und sage mir treu, was da alles vor sich geht. Denn war diese bisher belehrend, so wird sie im weiteren Verlaufe noch ums Hundertfache belehrender und interessanter sein!“
13. Bischof Martin richtet seine Sehe nun wieder in das Hinterhaupt der Herz-Jesu-Dame. Er ersieht, daß sich alles noch so befindet wie früher, bevor er seine Sehe davon abgewendet hatte, zu besehen die strahlende Tafel und zu reden darüber mit Borem.
14. Nun aber wendet sich der Alte wieder an den einen der zwei weißen Männer. Bischof Martin horcht mit großer Aufmerksamkeit, was da weiter verhandelt wird, und spricht nach einer Weile:
15. (Bischof Martin:) „Schau, schau, der Alte ist gar nicht dumm! Er bittet die beiden Boten, sie möchten wenigstens seine Tochter durch ihre Macht aus dieser Scheußlichkeit erlösen, auf daß er dann an ihrer Seite sogleich in den Himmel kommen könnte; denn hier wäre ihm nun schon entsetzlich langweilig. Er sehe wohl ein, daß die beiden gerecht nach dem Willen des Herrn handelten. Aber es befalle ihn dessenungeachtet ein äußerst fades Gefühl und eine verzweifelte Langweile, der er in aller Kürze den Rücken zuwenden möchte.
16. Der Alte ist wirklich gar nicht dumm für seinen Sack, wie man zu sagen pflegt! Aber die beiden weißen und weisen Männer scheinen nicht seiner Meinung zu sein. Sie geben darauf mit dem Haupte ein sehr verneinendes Zeichen und der eine sagt:
17. ,Freund, Geduld ist des Lebens erste Regel, und das hier im Geisterreiche so gut wie auf der Welt! Alles hat seine Zeit und Weile! Fahrt ihr alle aber fort, in euren Herzen die Liebe und ein lebendiges Vertrauen auf den Herrn stets mehr und mehr zu beleben, so werdet ihr so schnell als möglich zur wahren Erlösung aus diesem Jammerzustande gelangen.
18. Aber unsere Macht kann euch in dieser Hinsicht weder um ein Haar vor- noch um ein Haar rückwärts helfen. Denn solches müsset ihr wissen: Hier gelangt nie jemand weder durch vermeintliche gottwohlgefällige Verdienste noch durch ein vermitteltes oder unvermitteltes Erbarmen des Herrn in den Himmel, sondern allein durch die eigene Liebe zum Herrn und durch die daraus hervorgehende Gnade des Herrn Jesu Christi, der da ist der alleinige Herr und Gott Himmels und aller Welt! Das alles da ist Sein Werk!
19. Merket aber das: Es gibt nirgends einen Himmel außer in euch; diesen müsset ihr selbst öffnen, wollt ihr in ihn eingehen! Denn das Leben muß ein freies sein, so es ein Leben sein soll. Ein gerichtetes Leben aber ist kein Leben, sondern nur ein Tod!
20. So wir euch aber nun frei machten durch unsere Macht, würdet ihr nicht frei, sondern gerichtet sein und somit nicht lebendig, sondern durch und durch tot! Saget, wäre euch mit solch einer traurigen Hilfe wohl gedient?‘
21. Die Alten kratzen sich nun sehr stark hinter den Ohren und scheinen die Belehrung nicht so ganz aus der Wurzel zu fassen.“
01. (Bischof Martin:) „Siehe, nun geht der eine Frosch ganz zu den Füßen der beiden und beleckt dieselben.
02. Der eine aber spricht zum Frosch (aufs Meer deutend): ,Siehe, dort ist dein Element!‘
03. Aber der Frosch richtet sich nun mehr auf seine Vorderbeine und quakt recht vernehmliche Worte, die so zu lauten scheinen: ,O ihr Mächtigsten, wohl weiß ich, daß dieses schreckliche Meer mein mehr als verdientes ewiges Strafelement ist. Dennoch aber wage ich an euch die Bitte zu stellen, daß ihr mit mir armen Seele nicht nach aller Strenge des freilich gerechtesten Gottes-Gerichtes verfahren möchtet! Doch nicht mein, sondern nur euer Wille geschehe!‘
04. Spricht nun der eine: ,Wir beide haben keinen Willen außer den des Herrn, der da ewig unwandelbar ist. Diesen haben wir dir kundgetan, und an dir ist es nun, dich zu fügen! Siehe also dort dein Element!‘
05. Ah, ah, der Frosch fängt nun jämmerlich zu quaken an, krümmt sich und windet sich und bittet nun ganz entsetzlich, daß ihn die zwei noch auf dem trockenen Lande belassen möchten, so es schon für ihn keine Gnade und kein Erbarmen mehr gäbe.
06. Der eine spricht: ,Solange du den vorgezeichneten Weg nicht wandeln wirst, kann dir nicht geholfen werden!‘
07. Nun steigt der Frosch gar elend dem Meere zu und stürzt sich in dasselbe. Es ist nichts mehr von ihm zu entdecken, denn die große Flut scheint ihn auf ewig verschlungen zu haben. O du armer Frosch! Ich muß dir, Bruder Borem, sagen, daß mich der arme Frosch nun tiefst dauert. Aber es war ja des Herrn Wille, und so ist es auch gut! Aber er, der arme Frosch, dauert mich dennoch!
08. Nun aber geht der Alte auch ans Ufer und spricht: ,Hat meine arme Tochter beim Herrn kein Erbarmen gefunden, so will auch ich keines und stürze auch mich aus Liebe für meine arme Tochter in ihr ewig verdammliches Los!‘
09. Mit diesen Worten stürzt er sich zwar auch in das Meer, aber dieses läßt ihn nicht untergehen, da es nicht sein Element ist. – Bruder, das ist merkwürdig, der geht im Wasser nun herum wie unsereiner auf trockenem Lande und sucht klagend seine Tochter! Was doch da noch alles herauswachsen wird?
10. Aha, da sieh, nun werden auch die andern Frösche kleiner und kleiner und steigen zu den zwei weißen Männern! Nun sind sie an ihren Füßen und belecken diese. Es ist wirklich überaus merkwürdig: Wie groß haben sich diese Frösche doch ehedem gemacht, nun sehen sie klein aus wie auf der Erde die Unkelchen. Hörst du, liebster Bruder, die müssen doch eine ungeheuer zähe Haut haben, daß sie bei einer solch immensen Aufblähung nicht zerborsten ist!
11. Sapperment, wenn da eine in ihrer höchsten – ich meine, wie sie sich am allerärgsten aufgebläht hatte, zerborsten wäre, das wäre eine Explosion gewesen! Ich glaube, die hätte dieses Meer auf eine halbe Ewigkeit zurückgetrieben. Wenn auf der Erde so etwas Dehnbares wie die Haut dieser Frösche könnte erfunden werden, da wäre es mit dem Gummielastikum rein aus!
12. Du mußt mir schon vergeben, liebster Bruder, daß ich mir manchmal noch solche Bemerkungen erlaube, die meiner Gewohnheit nach so einen humoresken Anstrich haben. Aber es bringt es hier wirklich die Sache selbst mit sich, die, an sich betrachtet, im höchsten Grade komisch ist! So kann ich mir nun die Trillionen Falten denken, in die die Haut dieser Frösche nun zusammengeschrumpft sein wird; und das ist schon wieder komisch!
13. Ich weiß wohl, daß in den Augen des Herrn, wie auch denen eines Engels, alle diese Erscheinungen voll des höchsten göttlichen Ernstes sind. Dessenungeachtet haben sie doch für unsereinen etwas oft sehr Komisches an sich. So hat der Herr auch sicher nicht gelacht, als Er dem Esel seine zwei langen Ohren angesetzt hat. Aber unsereiner muß ja lachen, wenn man so einen langohrigen Philosophen ansieht, wenn man auch weiß, daß dem Esel seine zwei langen Ohren ebenso notwendig sind wie dem Vogel seine kaum sichtbaren.
14. Wie es aber auf der Erde eine Menge dummscheinende und somit komische Erscheinungen gibt, so gibt es auch hier dergleichen genug – freilich aber nicht für alle, sondern nur für Wesen meinesgleichen! Ich werde vielleicht mit der Zeit – so hier noch von einer Zeit die Rede sein kann – auch an diesen Erscheinungen nichts Komisches mehr finden. Aber für jetzt und in diesem meinem Zustand ist es mir rein unmöglich, das Humoreske ganz beiseite zu setzen.“
15. Spricht Borem: „Macht nichts, macht nichts, lieber Bruder! Auch ich bin kein Kopfhänger, und der Herr schon am allerwenigsten. Dessenungeachtet muß die sogenannte Spottlache aus den Himmeln rein verbannt sein, weil in ihr doch eine geheime Schadenfreude versteckt ist, so wie in einer übertriebenen Neugierde.
16. Aber deine Bemerkung über die große Dehnbarkeit der Haut dieser erscheinlichen Frösche ist nichts als eine deinem Geiste angeborene Witzelei, die gar keine Bösartigkeit in sich faßt. Mit der Weile wirst du über deine wässrigen Witze selbst lachen, wenn du innewirst, wie wenig Gehalt sie haben. Nun aber wende dein Augenmerk nur wieder deinen Unkelchen zu und habe acht, was da mit ihnen weiter geschieht!“
17. Spricht Bischof Martin: „Ja, du hast recht; ich hätte mich beinahe verplauscht! Ich sehe sie schon! Sie belecken noch die Füße der beiden Männer. Einige quaken sie nun an, aber ich verstehe nichts von dieser Quaksprache. Das wird schon zu echt quakisch sein?
18. Wahrscheinlich werden sie die beiden Boten auch um eine allgemeine Amnestie angehen? Aber diese scheinen sich auf ihre Sprache auch nicht zu verstehen und zeigen ihnen das Meerwasser. Die Fröschlein aber quakeln nun noch ärger und steigen den zweien auf die Füße; aber das nützt ihnen nichts. Die beiden bedräuen sie, und die Frösche hüpfen nun dem Meere zu und nun – husch – in dasselbe!
19. Und nun ist's gar! Kein Frosch und kein Fröschlein ist nun mehr zu sehen. Nur die Alten stehen noch am Ufer und starren hinab in die Tiefe, um von ihren Töchtern etwa doch noch das letzte Skorpionschweifspitzel zu entdecken. Aber sie entdecken, wie auch der erste, nichts, der noch immer auf dem Wasser herumgeht und seine Tochter sucht. Er ruft einige zu sich und sagt, daß das Wasser fest wäre wie ein Stein.
20. Aber die andern Alten wollen dieses Wassers Härte dennoch mit ihren Füßen nicht probieren, sondern kehren zu den zwei weißen Männern zurück. Sie fragen bittend, was denn nun aus ihren Töchtern geworden sei, ob sie nun etwa auf ewig verloren seien.
21. Die beiden aber geben ihnen nun keine Antwort, sondern begeben sich von dannen aufs Meer und wandeln in eine weite Ferne hinaus.
22. Die Alten starren nun hin wie Verzweifelte. Einige versuchen nun auf dringliches Zuraten des einen, ihre Füße aufs Wasser zu setzen – und siehe, es geht! Nun rennen alle hinaus und wollen den zweien nach; aber es geht mit dem Rennen nicht recht vorwärts, denn die Oberfläche des Wassers muß äußerst glatt und heikel sein, weil diese alten Renner in einem fort übereinander fallen. Der erste, der sich ins Wasser stürzen wollte, kommt ziemlich gut fort. Aber die andern fallen in einem fort hin und kommen fast nicht von der Stelle. No, diese werden wohl etwa auch das erste und letzte Mal auf dieses wahre Eis tanzen gehen!
23. Nun möchte ich aber doch wissen, was nun eigentlich mit diesen Damen oder nun Fröschen geschehen wird. In der Hölle werden sie doch nicht sein, da sie hier als wahre Statuen noch alle zu sehen sind. Wie aber ihr etwa noch außerhöllischer Zustand beschaffen sein dürfte, wird der Herr sicher besser wissen und sehen als ich.
24. Aber sage mir doch, liebster Bruder, was hat denn das alles eigentlich für einen Sinn und für eine Bedeutung: die Froschgestalt, dieses Meer nun, das Hineinstürzen der Frösche, daß die Alten nicht untergehen und daß die zwei weißen Boten sich nun so weit entfernt haben?
25. Ich habe das wohl alles mit angesehen und habe so manches daraus gelernt. Aber so ich den eigentlichen Sinn alles dieses Geschauten erläutern sollte, ginge es mir ganz verzweifelt schlecht. Sage mir daher gütigst, was das alles bedeutet!“
26. Spricht Borem: Alle – besonders weibliche Wesen, die sich dem Geistigen zugewandt haben und beten und fasten zwar wohl des Himmels wegen, dabei aber auch die weltlichen Vorteile sehr stark berücksichtigten, erscheinen in der Abödung ihres Naturmäßigen als allerlei Amphibien: Tiere die sich auch in zwei Elementen aufhalten und in selben leben können!
27. Das Meer stellt ihr Naturmäßiges dar, das ihnen bei ihren irdischen Lebzeiten mehr am Herzen lag als das Geistige. Darum auch müssen sie sich nun in dasselbe stürzen und im selben das Eitle ihrer weltlichen Bestrebungen erproben. So stellt das Meer auch die Masse ihrer großen Dummheit dar, in die sie nun bis auf den Grund eingehen müssen, um sie als solche zu erkennen. Die Schlangenköpfe dieser Frösche bedeuten die entschiedene hochmütige Bosheit und oft kluge Berechnung zu deren Ausführung. Die Skorpionschwänze aber bezeichnen ihr hinterlistiges Wesen, zufolge dem sie jene, denen sie schaden wollten, hinter dem Rücken packten und verwundeten. – Verstehst du das?“
28. Spricht Bischof Martin: „Bruder, ich verstehe das nun sehr gut. Ich habe dergleichen gleisnerische, ultrapapistische Machinationen auf der Erde leider nur zu viele kennengelernt und mußte als Bischof dazu beide Augen fest zuschließen. Und warum, das wirst du auch sicher sehr wohl verstehen!“
29. Spricht Borem: „O ja, nur zu gut und beinahe zu klar! Aber nun höre weiter! Die Alten, die ursprünglich dumm waren, gelangten ihrer meistens hochadeligen Geburt wegen auch nie zu einem andern als nur zum pfäffisch-aristokratischen Lichte. Daher sahen sie auch alle die pfäffischen Bestimmungen zumeist für echt himmlische an und verkauften ihre Töchter an solche Pfaffen mit einer starken Mitgift. Diese Alten sind nun noch viel zu dumm, als daß sie auf den Grund ihrer eigenen Dummheit eindringen könnten. Daher steigen sie auf selber herum wie der Esel auf dem Eise und fallen in einem fort – bis auf den einen, der etwas weiser ist und sich seine Dummheit mehr dienstbar gemacht hat als die andern. – Verstehst du auch das?“
30. Spricht Bischof Martin: „O ja, liebster Bruder, das versteh' ich nun auch non plus ultra! Da hätten wir dann ja so einen wahrsten Aristokratenschwindeltanz vor uns!“
31. Spricht Borem: „Ja, ja, so ist's! Aber nun merke wohl auf den weitern Verfolg dieser Szene. Der erste Akt ist nun abgespielt und der zweite wird sogleich seinen Anfang nehmen. Da wirst du erst Dinge zu Gesicht bekommen, zu denen du sicher die seltensten Gesichter machen wirst!“
32. Spricht Bischof Martin: „Freue mich schon darauf! Nun werde ich die Vorfälle auch sicher besser verstehen als bis jetzt; also nur zu und weiter in der Art! Nur die Entfernung der beiden Weisen hast du, liebster Bruder, mir noch zu erklären vergessen, um die ich dich auch gefragt habe.“
33. Spricht Borem: „O nein, lieber Bruder, das mitnichten; denn hier vergißt man nie etwas! Aber die Bedeutung dieser Erscheinung, wie noch gar vieles, mußt du selbst suchen und finden, auf daß du eine Übung haben sollst, dich in den rein himmlischen Beschäftigungen aus dir selbst zu üben. Versuche es nur einmal und du wirst dich gleich überzeugen, wie weit deine Weisheit schon reicht!“
34. Spricht Bischof Martin: „Ja so, das ist freilich etwas ganz anderes! Weißt du, nun du mir schon die andern Dinge erläutert hast, geht es mit dieser Erklärung freilich eben nicht zu schwer, wie mir vorkommt. Ich denke darüber nun so:
35. Die zwei Weisen sind gleich wie ein himmlisches Öl. Und diese alten, dummen Aristokraten sind wie ein irdisches Pechöl, das überaus schmutzig ist und verzweifelt stark stinkt. Daß das himmlische Öl es neben diesem Pechöl nicht länger aushalten kann, wird wohl mit den Händen greiflich sein! Was meinst du, Bruder, habe ich richtig geurteilt?“
36. Spricht Borem: „Richtiger, als du es nun noch selbst zu fassen imstande bist. Was du aber noch nicht bis auf den Grund des Grundes fassest, das wirst du in der Folge fassen. Denke daher nicht weiter über diese Sache nach, sondern wende deine Augen nun wieder in das Hinterhaupt dieser Dame; da wird sich dir bald die vollste Lösung von selbst darbieten.“
37. Spricht Bischof Martin: „Bruder, bin schon ganz vollkommen dabei! Bis jetzt ist zwar noch alles beim Alten; aber das macht nichts, es wird schon kommen – ja, ja, dort kommt schon etwas!“
01. (Bischof Martin:) „Aber was doch das ist?! Sieh, dort aus dem tiefen Abend heraus entsteigen dem Meere ganz dichte Wolkenmassen etwa so, wie ich sie manchmal vor schweren Gewittern auf der Erde hinter den Bergen habe aufsteigen sehen. Diese Wolkenmassen ziehen sich stets näher und näher und es blitzt aus ihnen schon ganz entsetzlich.
02. Auch sehe ich nun eine Menge großer und kleiner Wasserhosen vor dem schwarzgrauen Gewölke einherziehen. Das sieht nun einmal ganz frappant drohend aus! Unsere Alten entdecken nun auch den heranziehenden Sturm und bemühen sich nun nach allen Kräften, das sichere Ufer zu erreichen. Wie sie arbeiten mit Händen und Füßen und wie oft sie da hinfallen!
03. Nein, das ist ja, wie man zu sagen pflegt, der Welt ungleich! Und doch scheint ihnen ihre Mühe wenig zu nützen: statt näher kommen sie nur stets weiter weg vom Ufer. Ah, das muß eine sehr fatale Situation für diese Alten beiderlei Geschlechtes sein!
04. Ich sehe wohl auch noch die zwei weißen Männer draußen in weiter Ferne gegen Mittag wie zwei Sterne glänzen. Aber sie scheinen sich um diesen herannahenden großen Sturm nicht im geringsten zu kümmern. Und siehe, dieser kommt stets näher und näher, und das mit Begleitung von nun schon über tausend Wasserhosen und zahllosen Blitzen! Auch donnern höre ich schon ganz entsetzlich, und Orkane heben die Wasserwogen nun auch zu Bergen hoch empor. O Tausend, Tausend, das Ding sieht nun recht schlimm aus!
05. Aber nur die Alten, die Alten! Ah, was die zusammenarbeiten, und doch ist alle ihre Mühe und Arbeit vergeblich! Da sieht man wohl so ganz klar, was ein Mensch gegen solche unerhörten Kraftäußerungen vermag. Wenn mit dem Menschen nicht eine Gotteskraft wirkt, dann ist er die allerbarste Null in der ganzen Unendlichkeit. Aber neugierig bin ich nun ganz absonderlich, was da noch alles zum Vorschein kommen wird.“
06. Spricht Borem: „Gib nun recht acht, und du wirst es gleich sehen, wohin sich dieser Sturm wenden wird! Sei unbesorgt um die Alten, die sich da abmühen, das Ufer zu erreichen, um dem herannahenden Sturme zu entgehen – sie geht er nichts an. Aber jene zwei weisen Boten draußen im Mittage, die sind die Zielscheibe der Rache nun, darum sie den Bitten dieser Damen kein willfähriges Ohr geliehen haben.
07. Siehe, das ist nun schon ein bißchen höllisch; aber nur so anflugsweise. Denn da diese auf den Grund ihrer Dummheit gekommen sind, fanden sie auch noch einige Überreste vom irdischen Aristokratenstolz und mit selbem verbundener Herrschsucht. Diese Überreste entzündeten sich an der Flamme der sie demütigenden Erinnerung, wie sie von den zwei Boten auf die vermeintlich schnödeste Art in Frösche verwandelt und dann nach ihrer Meinung unbarmherzig ins verfluchte Meer getrieben wurden.
08. Da jene Überreste auf solche Art bei ihnen in Brand gerieten, ergriff dieser auch bald ihr ganzes Wesen, trieb sie an den Rand der ersten Hölle und verschaffte ihnen dort sogleich eine Menge gleichgesinnter und gleichbeschaffener Gehilfen. Mit diesen vereint ziehen sie nun in jenen Sturmwolken einher und wollen Rache nehmen an den zweien und hernach auch an allen, die die zwei abgesandt haben. Gib nun nur acht, denn die Hauptsache wird nun sogleich angehen!“
09. Spricht Bischof Martin: „Ich danke dir und vor allem dem Herrn für diese Erklärung. Aber neben diesem Dank muß ich dir auch bekennen, daß ich nun auf diese Greteln eine förmliche Wut in mir empfinde, während mich früher wirklich eine Art von Barmherzigkeit ergriffen hatte. Wenn ich nur die Kraft von jenen zwei Boten hätte, sapprament, da ginge es diesen Sturmheldinnen schlecht! Aber ich hoffe, diese zwei werden sich wohl auch gegen diese saudummen, grauslichen Kreaturen zu verteidigen verstehen?
10. Schau, der Sturm beugt sich nun wirklich in einem rechten Winkel gegen Mittag. Blitze zucken schon millionenweise nach jenen zwei Weisen hin, die noch fortwährend ganz unbeweglich gleich den Fixsternen Kastor und Pollux dort im fernen Mittage weilen. Sapprament, wie das Meer gewaltig wogt und wie der Sturm saust und braust und tobt!
11. Aber schau nur die armen Alten an, was sich diese plagen! Sie können nun gar nicht mehr stehend sich erhalten, sondern hocken und kriechen auf Händen und Füßen. Nein, die müssen nun ja eine wahre Höllentortur ausstehen! Oh, oh, oh, nun trennt sich ein Fetzen von einer Wolke und fliegt zu den Alten herüber! Was wird denn da daraus?
12. Schau, schau, dieser Fetzen umhüllt nun den ersten Alten, der sich ins Meer stürzte, und trägt ihn heraus ans Ufer! Nun ist er da. Das ging schnell wie ein Blitz! Und nun, da sieh, nun sammelt sich der Wolkenfetzen, wird kleiner und kleiner und sieht stets mehr einer menschlichen Gestalt ähnlich!
13. Ah, ah – sieh, das ist ja gar eine Dame, und zwar die erste – gerade die, deren Hinterhaupt ich nun beschaue! Sie tröstet ihren Vater und liebkost ihn sogar. Der Alte ist darob ganz selig, daß er seine für ewig verloren geglaubte Tochter in ihrer wahren Gestalt nun wieder in seinen Armen besitzt. Das ist sehr rührend, ich muß es offen gestehen! – Aber die andern stürmen nun darauf los, daß es eine barste Schande ist!
14. Ah, ah, ah; nun erschaue ich auch die Nachhut des Sturmes! Da gibt es ja ein unzähliges Heer von lauter Drachen und Krokodilen und Gott weiß was alles noch für Geschmeiß. Das gibt erst den Hauptlärm!
15. Das Brüllen, das Pfeifen, das Zischen! Das Meer siedet förmlich unter den Sturmwolken und sieht schon ganz glühend aus. Große Feuerbälle wälzen sich in den Wolken herum. Einige sind schon ganz in der Nähe der zwei, die nun besser sichtbar sind als ehedem.
16. Nun kehren sich die beiden um und bedräuen den Sturm. Aber dieser weicht nicht, sondern, wie es sich zeigt, wird er nur intensiver und rasender.
17. Nein, die Sache sieht sonderbar aus! Da sieh, da sieh, die beiden nehmen nun förmlich Reißaus und schweben in größter Eile herüber zu den zweien am Ufer, nämlich zu dem Alten, den seine Tochter noch ganz zärtlich kost. Sie sind auch schon da, Gott sei's gedankt, und begrüßen den Alten samt seiner Tochter gar sehr freundlich. Ah, das ist sehr schön, herrlich und rührend; aber nun wendet sich der Sturm auch hierher!
18. Nein, dieser wahre Frösche- und Geschmeiß-Sturm ist ja über alle Maßen keck! Bin doch neugierig, was da noch alles herauskommen wird?“
19. Spricht Borem: „Gib nur unausgesetzt acht, nun kommt die Entwicklung dieses zweiten Aktes! Da wirst du ein bißchen von einem Gerichte zu Gesicht bekommen, denn hier wird eine große Löse vor sich gehen!“
20. Spricht Bischof Martin: „Ja, Bruder, ja, da wird es freilich eine große Löse geben müssen, bei der es für den Himmel sicher wenig gute Körner, für die Hölle aber überaus viel wertloseste Spreu abgeben wird. Aber nun nur wieder fest das Auge in die vorliegende Szene gesteckt!
21. Da, da sieh! Der Sturm naht sich dem Ufer! Der Alte und seine gerettete Tochter haben eine große Furcht vor demselben; aber die zwei weisen Boten trösten sie und sagen deutlich vernehmbar:
22. ,Fürchtet euch nicht vor dieser Spiegelfechterei, denn sie ist bloß ein Schein ohne Sein. Wenn die Blindheit rast, haben die Sehenden gut ausweichen! So da wären tausend blinde Krieger gegen einen Sehenden und möchten gegen ihn ziehen mit Schwertern und Lanzen, sagt, was wohl würden sie gegen einen einzigen wehrfähigen, wohlerfahrenen Krieger ausrichten? Siehe, dieser einzige würde sie alle gar leicht übel umbringen!
23. Viel leichter aber als auf der Welt geht es hier in der Geisterwelt, in der die Blindheit solcher Geisterlein auch mit Taubheit geschlagen ist. Glaubet es fest, dieses gesamte Sturmgeschmeiß fangen wir zwei leicht in einen Sack hinein und können sodann mit ihnen tun, was wir wollen. Gebt nur recht acht, und ihr werdet sogleich sehen, was da geschehen wird!‘
24. Daß die zwei Weisen mit dem Alten und seiner Tochter schon auf recht freundlichem Fuße stehen, ist nun ganz klar, und ich bin dessen sehr froh. Wie aber die zwei der großen Wut des dem Ufer stets näher kommenden rasendsten Sturmes begegnen werden, und wie ihn gar in einen Sack einsperren – das zu sehen wird wohl außerordentlich der Mühe wert sein!
25. Nun sind die noch auf dem Wasser befindlichen Alten schon ganz in die Sturmwolken gehüllt und schreien entsetzlich um Hilfe. Aber es erscheint von keiner Seite eine, außer daß sie der Sturm selbst durch seine Kraft dem Ufer näher schiebt ungefähr so, als wenn ein starker Wind Gegenstände vor sich hinschöbe, die auf einer Eisfläche lägen.
26. Nun sind die Alten endlich einmal am Ufer und der Sturm schleudert Millionen Blitze gegen die zwei. Diese aber breiten im Ernste einen großen Sack auf. Und der eine spricht nun zum Sturme: ,Höre, du wildes Ungetüm – hier in diesen Sack ziehst du ein oder zur Hölle – was dir lieber ist!‘
27. Schrecklich erdröhnt nun ein mächtigster Donner, zahllose Blitze schießen aus dem stets kleiner werdenden Sturmwolkenknäuel nach allen Richtungen hin. Und nun steckt mitten durch die Wolkenmasse ein scheußliches Ungeheuer einen gar schrecklich aussehenden Kopf hinaus und sperrt den Rachen aber schon so weit auf, als wollte er die ganze Gotteserde mit einem Drucke verschlingen.
28. Ah, das sieht schon entsetzlich schrecklich aus! Aber unsere zwei scheinen gar keine Furcht vor diesen Schrecknissen zu haben, sondern der eine sagt noch einmal: ,Sack – oder Hölle!‘
29. Oh, oh, da sieh, nun schrumpft der ganze ungeheure Sturmwolkenknäuel samt dem ungeheuer großen Kopf in einen Knäuel zusammen, der kaum größer ist als ein Fünf-Eimer-Faß, rollt gegen die Mündung des Sackes und durch diese wirklich in den Sack hinein!
30. Wahrlich, das ist dem Anscheine nach ein rechter Spaß! Ah, ah, der ganze Sturm in einem Sack! Das sieht aber doch geradeso aus, als befände man sich vor einem leibhaftigen Märchen von Tausendundeiner Nacht! Was wird denn da weiter geschehen?
31. Der Sturm liegt nun in diesem veritablen Strohsack so ruhig, als ob er nie einer Bewegung fähig gewesen wäre. Wahrlich, das ist doch ein höchst burleskes Bild! Der ganze ungeheure Sturm mit allen seinen drohendsten Schrecknissen in einem Strohsack! Bruder, wenn hinter dieser Erscheinung auch etwas Weises steckt, so will ich doch alles heißen, was du mich immer heißen magst!“
32. Spricht Borem: „O Bruder, darin liegt eine überaus weise Bedeutung! Hast du denn nie gehört, wie die rechten Büßer in Sack und Asche Buße gewirkt haben, um die Vergebung ihrer vielen und schweren Sünden von Gott dem Herrn zu erlangen?
33. Siehe, hier ist diesen Sturmhelden durch die zwei Boten ob ihrer ausgelassensten Bosheit ein Gericht verkündet worden: nämlich die Wahl zwischen selbstzuwählender Bußdemütigung – d.i. einzugehen in den Sack – oder aber im entgegengesetzten Falle durch göttliche Macht genötigt einzugehen in die Hölle des ersten Grades, die da ist die äußerste Demütigung und tiefste Beschämung der Seele!
34. Das erste, frei zu wählende Gericht kann einer Seele zum Leben gereichen, so sie dieses mit Beharrlichkeit an sich vollführt und sich von einem falschen Ehrgefühl nimmer abwendig machen läßt. Das zweite Notgericht zur Hölle aber gereicht der Seele nur zum Tode, weil dieses Gericht ein über sie erlassenes ist für den Fall, daß sie nimmer in eine Selbstdemütigung eingehen will. Sie muß gedemütigt werden zur Sicherung anderer Seelen, die durch so einen freigelassenen Hochmut einer einzigen Seele großen Schaden leiden könnten. Ob und wie aber solche zur Hölle gerichtete Seelen auch noch zum Leben gelangen, und welche weiteren Wege sie geführt werden, das weiß allein der Herr und der, dem es der Herr allzeit höchst geheim offenbart.
35. Siehst du nun, welch eine weise Bedeutung nun dein Strohsack bekommt? In einen Sack gehen heißt: sich in allen seinen Lüsten und Begierden gefangennehmen und sich in solcher Eigengefangennehmung von selben losmachen und sodann als ein neues gottwohlgefälliges Geschöpf aus so einem Sack hervorgehen. Verstehst du nun diese dir so närrisch vorkommende Erscheinung?“
36. Spricht Bischof Martin: „Ja, Bruder, ja, ich verstehe sie nun bis auf den Grund, zugleich aber auch, daß ich noch ein sehr großer Esel und Ochse bin! Schau, wie klar und wie einleuchtend, und ich habe über so eine erhabene Erscheinung lachen können! O ich dummes Vieh, ich! O lieber Bruder, du mußt mehr als eine himmlische Geduld haben, daß du mich nicht auch in so einen Strohsack hineinschichtest!“
37. Spricht Borem: „Laß das gut sein. Ich sage dir, wie ich dir schon gesagt habe: du bist einem großen und herrlichen Ziele nahe. Bearbeite nun fleißig dein Herz und gib auf alles acht, so wirst du bald die große bevorstehende Löse an dir selbst gewahr werden!“
01. Spricht Bischof Martin: „Ja, der Herr gebe die Löse mir lediglich nach Seiner Gnade, sowie auch allen diesen, die nun noch mehr oder weniger blind sind. Denn solange man hier in diesem Reiche, in dieser Welt der Geister nicht vollends zu Hause ist, kann man auch nie zu einer vollen inneren, seligen Zufriedenheit gelangen. Zu Hause aber kann man hier nirgends sein als allein im Hause des Herrn, im heiligsten Vaterhause. Meine höchste Sehnsucht ist demnach, sobald als möglich beim Herrn zu sein. Und so will ich denn nun auch auf jedes Pünktchen genauest Achtung geben, auf daß ich bald der großen Löse möchte gewärtig werden. – Also nun nur wieder das Auge ins Hinterhaupt dieser Dame geheftet!
02. Oho, die zwei wälzen nun den Sturmsack ans Ufer! Was wird denn nun da vor sich gehen? Sie werden etwa doch nicht zum zweiten Male den Sack, oder vielmehr dessen Inhalt, dem Meere übergeben? Der Alte samt seiner Tochter helfen auch diesen Sack an das Ufer fördern. Aber die anderen Alten sehe ich mit ängstlichen Blicken der weiteren Begebnisse harren. Sie scheinen nicht in Kenntnis zu sein, was dieser Sack enthalten dürfte?
03. Aha, nun ist der Sack am Wasser und wird aufgelöst! Was wohl wird da alles herauskommen? – Oh, oh, da sieh nun hin! Eine große Menge Fische kommen nun zum Vorscheine, große und kleine, frische und auch faule, an denen ich keine Regung und Bewegung wahrnehmen kann.
04. Nun fangen die beiden die faulen von den frischen zu sondern an und werfen sie ins Meer. Die frischen aber legen sie in ein herrliches Gefäß. Dieses Gefäß sieht aus wie ein überaus großer Kelch und glänzt, als wäre er aus Silber oder Gold. Wo sie nur in der Geschwindigkeit diese Dinge hernehmen, von denen man vorher nichts sieht. Sind sie aber vonnöten, da sind sie auch schon da, als würden sie hingezaubert! Aber es ist mir nun schon begreiflich, wie derlei Dinge hier entstehen: sie sind aus der Ordnung Gottes heraus notwendig. Der Herr will sie, und sie sind da! Nicht wahr, du mein geliebter Bruder Borem?“
05. Spricht Borem: „Ja, so ist es! Du weißt es nun schon in dir, daß der Herr alles in allem ist. Und so ist es dir auch schon ein leichtes, aus dem Grunde einzusehen, von woher alle die Wunder, die du hier in großer Fülle erschaust, kommen. Gib nun weiter acht!“
06. Spricht Bischof Martin: „Ja, ja, Bruder, ich wende nun meine Augen gar nicht ab. Ich sehe soeben, wie der Kelch größer wird samt dem Gestell. Aber wie ich's nun merke, wird er nicht höher, dafür aber desto umfangreicher. Nun sehe ich die Fische im selben überaus munter herumschwimmen, wie ich auf der Erde oft die Goldfischlein in einem gläsernen Gefäße schwimmen sah; nur sind diese Fische bedeutend größer.
07. Diese Fische sind sicher die früheren Damen, die als häßliche Frösche in das Meer wandern mußten. Aber warum sie hier in einem Kelche nun als Fische vorkommen, und warum eine Menge faule oder tote wieder in das Meer zurückgeworfen sind, darüber kann ich in mir noch nicht den eigentlichen rechten Grund finden. Ich fühle wohl so eine leise Ahnung, wie sich die Sache verhält; aber aussprechen kann ich es noch nicht.
08. Halt, nun durchzuckt mein Inneres plötzlich ein heller Gedanke! Ja, ja, so ist es, nun habe ich es schon: Der Kelch bezeichnet das Gefäß der Gnade und Erbarmung des Herrn, in das diese Damen nun aufgenommen worden sind. Und das Wasser in diesem Gefäße ist ein lebendiges, in dem diese Damen – nun noch in Fischgestalten – bald zu Menschengestalten umgewaschen werden. Das Wachsen des Kelches deutet auf die Mehrung der Gnade und Erbarmung. Die Gestalt der Fische scheint die der demütigen, freien Büßer zu sein und überhaupt von allen Menschen, die voll freien Willens für das Gottesreich durch das Wort Gottes gefangen werden oder sich vielmehr willig fangen lassen. Darum hat der Herr Selbst schon die Apostel ,Menschenfischer‘ benannt.
09. Was aber die faulen Fische betrifft, die ins Meer geworfen worden sind, so steht dasselbe Bild, das der Herr Selbst aufgestellt hat, schon ohnehin im Evangelium, das da ist eine wahrhaftigste, allerbeste Botschaft aus den Himmeln, und kann daher unmöglich etwas Arges in sich fassen. Daß aber die Fische im Kelche wenigstens vorderhand besser daran sind als jene ins Meer geworfenen, daran ist auch gar nicht zu zweifeln! Was meinst du nun, liebster Bruder, habe ich diese Sache recht aufgefaßt?“
10. Spricht Borem: „Gott dem Herrn alle unsere Liebe! Bruder, freue dich, und frohlocke hoch im Herrn: nun bist du in deinem Geiste vom Herrn entbunden worden! Siehe, die Seele hat das nicht recht aufgefaßt, sondern allein dein Geist, den der Herr nun in dir erweckt hat in der Fülle. Darum begreifst du nun solches, das da ist rein der Himmel Gottes. Und siehe, das ist der Anfang der Löse, von der ich nun schon öfter mit dir geredet habe, und zugleich das Ende des zweiten Aktes dieses großen Geistesdramas!
11. Deine Erläuterung des in der vorliegenden Szene Geschauten war richtig und wahr in allen Teilen, obschon du noch nicht in der Vollsehe bist. Was dir aber noch mangelt, wird dir der dritte Akt geben durch die endlose Gnade des Herrn. Darum gib nun nur wieder acht; in diesem Akte wirst du die ungeheuersten Erscheinungen zu Gesichte bekommen und daneben die rechte Anschauung der wunderbarsten Wege des Herrn, auf denen Er Seine Kinder führt zum einzigen großen Ziele alles Heils und Lebens! Gib nun acht, dieser wichtigste dritte Akt nimmt seinen Anfang!“
01. Spricht Bischof Martin: „Bin schon dabei und schaue mit größter Gespanntheit auf die Szene, die noch ganz unverändert vor meinen Blicken weilt. Der Kelch ist nun schon sehr groß; er dürfte nun nach irdischem Maße schon mehrere Klafter im Umfange haben. Und soviel ich's nun mehr hellen Blickes beobachten kann, kommt es mir vor, als wachse er noch immer.
02. Die beiden stehen am Rande dieses nun über alle menschlichen Begriffe großen Kelches. Auch der Alte mit seiner Tochter betrachtet diesen Kelch mit größter Aufmerksamkeit. Die andern Alten aber lugen von einer kleinen Ferne auf diesen Kelch ungefähr so, wie auf der Welt die Ochsen auf ein neues Tor oder gar in ein spanisches Dorf.
03. Die Fische im Kelch sind nun schon sehr groß und schwimmen äußerst munter in dem großen goldenen Becken herum. Die Köpfe bei einigen sehen schon sehr menschlich aus; alles andere ist aber wohl noch sehr stark Fisch. Ich meine, diese Fische werden zuerst eine geistige Art von Meerfräuleins und endlich gar zu wirklichen, wohlausgebildeten weiblichen Wesen?
04. Aber was entdecke ich nun? Bruder, das ganze früher so höchst imposant aussehende Meer ist nun ganz verschwunden. Statt am Meeresufer befindet sich dieser stets noch im Wachsen begriffene Kelch in der Mitte einer ungeheuer großen Ebene. Diese Ebene dürfte wohl einen Umfang von 100 Meilen haben. Der äußerste Rand scheint jedoch mit einem übergroßen, starken und hohen Walle umgeben zu sein; ich merke es genau, wo die Ebene aufhört und wo der Ringwall seinen Anfang nimmt!
05. Was mir aber dabei höchst sonderbar vorkommt, ist, daß dieser Wall hie und da bald höher und bald wieder niederer wird. Auch bemerke ich nun hie und da, wo sich der Wall sehr stark erhöht, daß man unter ihm ganz bequem durchsehen kann. Wahrlich, eine höchst merkwürdige Erscheinung von einem Walle! Was etwa doch der zu bedeuten hat?
06. Aber da sieh nun, ungefähr 10000 gute Schritte vom Kelch, der sich noch ganz in seiner früheren Ordnung befindet, wie es mir vorkommt gerade an jener Stelle, an der früher das Kloster stand und nach seiner Zerstörung eine recht abscheuliche Pfütze zum Vorscheine kam – hat sich nun ein furchtbar großes, vollkommen rundes Loch gebildet. Aus dem steigt nun ein starker Rauch empor, verliert sich aber alsbald, wie er nur einige Klafter über des großen Loches Rand gestiegen ist. Wahrlich, höchst sonderbare Vorkehrungen für den dritten Akt dieses Dramas!
07. Aber Bruder, schau nur auch einmal den Kelch an! Ah, das ist doch über alles! Nun beginnt auch das Wasser in dem Kelche zu sieden und dampft ganz gewaltig. Die armen Fische strecken nun ihre Köpfe über den Rand des Kelches hervor und schreien ganz entsetzlich. Sie haben nun schon fast alle, wie ich's bemerke, vollkommene Menschenköpfe; einige nur noch sehen den Seelöwen und Seekälbern eben nicht sehr unähnlich.
08. Ah, ah, das Wasser im Kelche siedet immer ärger und dampft schon ganz entsetzlich. Und die Fische, die armen Fische, die schreien nun schon über alle Maßen vor Schmerz! Nein, wenn diese Absiederei noch eine Weile dauert, so wird's da eine Menge heiß abgesottener Fische geben, die ich auf der Welt recht gerne gegessen habe!
09. Ah, da sieh, da sieh, nun bekommen die Fische schon sogar Arme und ganz wohlgestaltete Hände! Mit diesen wollen sie sich nun über den Kelchrand erheben, um der großen Qual zu entgehen. Aber die Arme scheinen noch keine Kraft zu besitzen, denn jeder Fisch läßt den Rand bald wieder aus und fällt dann in das siedende Wasser jählings zurück.
10. Ich möchte eigentlich so recht vom Grunde aus erfahren, von wo aus das Wasser in diesem Riesenkelche so sehr erhitzt wird? Das siedet ja stets ärger und ärger noch, und die Fische werden von den Siedwogen so durcheinandergesprudelt wie lockerer Sand über einer heftig aufsprudelnden Quelle. Auweh, auweh; o jemine, jemine – wie doch die armen Fische nun – ah, ah, ah; das ist denn doch alles, was man sehen und sagen kann! Da sieh, wie sie nun herumgetrieben werden von den immer heftiger werdenden Siedwogen, wie sie sich krümmen und bäumen und welch Jammergeschrei dem Kelche entsteigt!
11. Die zwei Boten aber stehen so stumpf da und scheinen eher ein Behagen an dieser Szene zu haben, als daß ihren Gesichtern irgendein Mitleid zu entnehmen wäre. Nein, ich sage dir, liebster Bruder, was zu stark ist, das ist auch zu viel! Warum müssen denn diese Armen nun gar so entsetzlich gemartert werden, um die reine Menschengestalt wiederzuerlangen? Ich war ja doch auch ein Sünder non plus ultra, aber zu so einer Absiederei ist es mit mir dennoch nicht gekommen; Gott sei Dank, ich bin dennoch ein Mensch, wennschon gegenwärtig noch in meiner Bauernkleidung steckend!“
12. Spricht Borem: „Bruder, das Wort ,Erscheinlichkeit‘ vergiß nicht! Du siehst doch diese Damen noch alle hier ganz wohlerhalten in Reih und Glied stehen; wie kannst du dann ängstlich werden wegen dem, was nun in ihrem Innern vorgeht! Es ist die innere Welt des Menschen freilich wohl die eigentliche wahre Welt. Aber darum bleibt der Mensch dennoch Mensch und wird als solcher nur stets edler und edler, je mehr sein Inneres bewegt und in große Tätigkeit gebracht wird.
13. Du meinst freilich, daß du ohne solch eine Absiederei dennoch die Menschengestalt beibehieltest. Ich aber versichere dir, daß du hundertmal ärger abgesotten worden bist im Gnadenkelche des Herrn als alle diese Damen! Wußtest du wohl darum? Wenn du vollendet sein und zu sehen bekommen wirst die Tätigkeit des irdischen Menschen in seinen leiblichen Lebensverhältnissen – was wirst du dann sagen, so dir der innere Herd des Lebens erschaulich wird? Wo du zahllose Feuerströme durch die ebenso zahllosen Kanäle wirst auf das furchtbarste durcheinanderwüten und -toben sehen? Also nur hübsch gescheit, mein lieber Bruder!“
14. Spricht Bischof Martin: „Ja, ja, so ist es; nun bin ich schon wieder beisammen! Jetzt nur zugesotten, und wenn's nötig, auch ein bißchen gebraten dazu. Denn wer in der Liebe und Gnade des Herrn siedet und bratet, dem geht es sicher nicht gar zu schlecht! Denn so ich auch abgesotten worden bin und verspürte von solcher Absiederei wenig oder nichts, so wird's denen wohl noch erträglicher gehen, als wie ihre Gebärden es zeigen? In Gottes Namen, wie es der Herr macht, so ist es schon am allerbesten!
15. Aber nun sehe ich auch die Alten zu den zweien treten und bitten, daß sie auch in den siedenden Kelch zu ihren Töchtern möchten getan werden! Und richtig, die beiden gestatten es ihnen. Auch die zwei ersten, d.i. der Alte mit seiner Tochter, springen nun in dieses heiße Bad. Nun ist alles darinnen! O Entsetzen, Entsetzen! Jetzt arbeitet das glutheiße Wasser unter dieser Gesellschaft!
16. Nein, dieses Schreien, dieses Weheklagen, dieses verzweifelte Händeringen, dieses Rufen um Hilfe und Linderung des unerträglich großen Schmerzes! Nein, Bruder, Erscheinung hin, Erscheinung her; so sie schmerzfähig ist, da hole sie der Kuckuck! Es müssen diese Damen schon auch etwas empfinden. Denn sieh, ich merke nun sogar an ihnen äußere Bewegungen, während sie doch früher fest und ruhig dastanden, als ob sie angemauert gewesen wären!“
17. Spricht Borem: „Nun, das ist ja gut; da kehrt ja das Leben in sie zurück! Ich meine, das wird doch etwas Gutes sein?“
18. Spricht Bischof Martin: „Ja, wenn das, da bin ich freilich schon wieder beruhigt; aber der Anblick dieser Belebung ist und bleibt doch ein höchst fataler. Da sieht es wahrlich sehr fegfeuermäßig aus!“
19. Spricht Borem: „Was Fegfeuer, Fegfeuer! Ich sage dir, derlei gibt es ewig nirgends! Hier siehst du nichts als das Wirken der Liebe Gottes, die da wohl ist ein Feuer alles Feuers. Dieses aber schmerzt nicht sondern lindert nur alle Schmerzen und heilt alle Wunden, die die Hölle einer Seele zugefügt hat. Diese schreien nun freilich vor Schmerz um Hilfe und Linderung; aber diesen Schmerz bereitet ihnen nicht der siedende Kelch, sondern die Hölle, die nun von ihnen weichen muß!
20. Denn siehe nun weiter hinaus! Betrachte den ungeheuren Wall, der diese große Fläche einschließt. Du wirst es gleich gewahr werden, daß dieser Wall nichts anderes ist als die Hölle oder der Teufel selbst in Gestalt einer ungeheuren Schlange, die sich um die Fläche gelagert hat und diese Begnadigten als ihre vermeintliche Beute nicht will auskommen lassen! Siehe, das ist aber dennoch alles nur eine Erscheinlichkeit, und die Fläche bedeutet das Welttümliche dieser nun Begnadigten, über das sie nicht hinaus können, weil sich darin allenthalben die Hölle gelagert hat.
21. Siehe, dieser Wall ist es sonach, der die nun im Kelche Befindlichen so schmerzlich drückt. Nun aber wird es nicht mehr lange dauern, so wird dieser Wall zerstört und in jenen Abgrund gestürzt werden, der sich, dir sichtbar, bei 10000 Schritte nordwärts von diesem Gnadenkelche befindet. Gib nun nur acht und du wirst schon große Vorkehrungen dazu erschauen!“
01. Spricht Bischof Martin: „Richtig, richtig, ja, du hast in allem recht! Hinter diesem Wall erschaue ich nun zwölf große Geister, jeder hat ein ungeheures Schwert in seiner Rechten. Ah, ah, ist aber das ein Schwert! Mit solch einem Schwerte hiebe so ein Geist ja die ganze Erde wie einen Apfel auf einen Streich entzwei! O Tausend, die Geister sind aber schon so furchtbar groß, daß sie eine ganze Welt zwischen zwei Fingern kurzweg zerreiben könnten! O Tausend, Tausend, Tausend, der Wall fängt nun stets wütender sich zu gebärden an! Bruder, das sieht ganz wie ein Jüngstes Gericht aus! Sapprament, sapprament!
02. Aber nun bemerke ich, daß das Wasser im Kelche etwas ruhiger wird. Die ganze Badegesellschaft liegt nun unter dem trotz der Ruhe noch immer stark dampfenden Wasserspiegel wie ganz tot. Man vernimmt nun keinen Laut mehr von ihr. Nur die zwei Boten reden etwas miteinander, ich kann jedoch nicht vernehmen, was sie eigentlich miteinander abmachen. Der eine hält nun auch einen Stab in der Hand, ähnlich dem des Aaron, und hebt ihn in die Höhe. Was wohl wird da wieder zum Vorscheine kommen?
03. Aha, da sieh einmal hinaus auf den Wall; der wird nun stets größer, rückt stets näher herzu und erhebt seinen Rücken bald hier, bald dort zu einer erstaunlichen Höhe! Ah, das ist wahrlich furchtbar anzusehen! Nun merke ich auch deutlich den schrecklich aussehenden Kopf dieses Höllenungeheuers. Um Gotteswillen, ist das aber eine Scheußlichkeit ohne Namen! Stets näher und näher rückt es!
04. Nun erhebt es sein ungeheures scheußlichstes Haupt und sperrt den Rachen so furchtbar weit auf, als wollte es die ganze Schöpfung verschlingen. Es richtet seinen Gang – wie ichs nun merke – schnurgerade zum Kelche her. No, wenn es diesen packt, so wird es damit gerade einen hohlen Zahn ausfüllen können!
05. Nun ist im Kelche alles in vollster Ruhe; dafür aber speit das fürchterliche Loch da unten an der Stelle des ehemaligen Klosters desto mehr Rauch und nun auch schon Glut und Flammen aus! O sapprament, nun ist das Ungeheuer keine tausend Schritte mehr vom Kelche entfernt!
06. Was wird nun geschehen? Die zwölf Riesengeister halten wohl ihre fürchterlich großen Schwerter in die Höhe, aber sie hauen noch nicht drein. Ihre Augen sind beständig auf den einen Boten mit dem Aaronstabe in seiner Rechten gerichtet. Dieser winkt nun dem Ungeheuer, zurückzuweichen; dieses aber richtet sich nicht darnach, sondern rückt nur näher und näher an den Kelch.
07. Oh, oh, das sieht sehr drohend aus! Wieder winkt der eine Bote mit dem Stabe, aber vergeblich. Ah, wie gräßlich sieht nun dieses Ungeheuer aus! Es läßt sich nicht beirren und kriecht stets näher und näher an den Kelch! Nun winkt der Bote wieder mit dem Stabe, aber auch diese Abweisung ist fruchtlos.
08. Oh, oh, oh – jetzt ist es mit dem Kopfe schon nahe am Rande des großen Kelches und macht mit einer ungeheuer langen Doppelzunge Versuche, den Kelch umzustoßen! Aber der Kelch steht fest und läßt sich nicht im geringsten bewegen. Auch regt sich im selben nichts, weder das Wasser noch dessen dermalige Bewohner!
09. Siehe, stets zudringlicher wird diese ungeheuerste Bestie! Nun erhebt der eine wieder seinen Stab und weist die zudringlichste Bestie wieder vom Kelche ab. Aber das nützt sehr wenig, da die Bestie sich auf den Wink dieses Stabes gar nicht entfernen will.
10. Nun taucht der eine den Stab in den Kelch und gibt ein Zeichen den zwölf mächtigsten Geistern, und – o weh, o weh! – diese schlagen jetzt drein! Und siehe, siehe, diese Bestie ist nun in zwölf Teile auseinandergehauen!
11. O je, o je! Bruder, das ist nun ein Wüten und ein Toben! Wie schrecklich bäumen und krümmen sich nun die einzelnen abgehauenen Teile! Wie einzelne Berge springen sie nun auf dieser weitgedehnten Ebene herum und wälzen sich dem schauderhaften Loch näher und näher!
12. Ah, und der Kopf, o Gott, o Gott, das ist schaudervollst! Ich sage dir, der Kopf, der Kopf! Der macht Sprünge bis an das sichtbare Firmament und grinst schon in einer solch unbeschreiblichen Zornwut nach den zwölf Geistern, daß diese Großen schon nahezu ein Grauen überkommt ob des enorm gräßlichen Anblickes!
13. Aber nun wird der Kopf von dem einen mit dem Stabe an den Rand des Loches getrieben und auch – Gott sei's gedankt! – hineingestürzt. Das gibt aber nun Rauch, Glut und Flammen! Oh, oh, oh, das prasselt und rasselt nun, daß es ein Grauen ist!
14. Aber nun werden auch die andern elf Teile von einer unsichtbaren Macht in dasselbe Loch getrieben und stürzen unter gräßlichstem Gekrache in dasselbe. Da, da gibt es nun Rauch und Flammen, als hätte man den ganzen Erdball angezündet!
15. Nein, nein, nein, dieses Krachen, dieses Donnern! Freund und Bruder, ich werde nun schon förmlich sprachlos! Wahrlich, um das Grauenhafte dieses Tobens und Wütens aus diesem Loche zu beschreiben, müßte man die Zunge eines allerfeurigsten Cherub haben! Aber es soll nun wüten und toben, wie es will! Weil diese furchtbare Bestie nur einmal in sicher festweg höllischer Verwahrung sich befindet, bin ich schon sehr froh. Da heraus wird dieses Ungetüm doch sicher nicht so leicht wieder zum Vorscheine kommen!
16. Nun sind auch die beiden Boten wieder beim Kelche. Auch die zwölf großen Geister nähern sich nun dem Kelche; aber je näher sie kommen, desto kleiner werden sie. Ah, das ist auch merkwürdig: Früher waren sie solch ungeheure Kolosse, und nun sind sie kaum größer als die beiden andern Boten! Das ist wirklich sehr merkwürdig!
17. Nun sind sie auch schon völlig bei den zweien, und was seh' ich? Alle verneigen sich übertief, besonders vor dem einen, der noch den Aaronstab in seiner Rechten hält! Das muß schon so ein rechter Zentralengel sein aus dem obersten Himmel!?
18. Nun spricht dieser eine zu den zwölfen: ,Brüder, hebet den Kelch und traget ihn hin dort an die Pforte der Hölle! Dort setzet das Gestell über diese Pforte, auf daß dem Aufsteigen des Bösen endlich einmal ein Ziel gesetzt sei, das es nicht leicht wieder überwältigen soll, zu verderben diese arme Gesellschaft, zu deren Wiederbelebung in Mir alle Mächte der Himmel in Anspruch genommen wurden. Tuet also!‘
19. Nun heben die zwölf den Kelch und tragen ihn ganz behutsam hin. Sie setzen das Gestell gerade über das noch sehr stark dampfende und rauchende Loch, das aber nun keinen Rauch mehr emportreiben kann, weil es mit dem Gestell des Kelches sicher hermetisch geschlossen ist. Ah, nun schaut es in dieser Gegend schon recht lieb aus! Was ich nun noch bemerke, ist, daß sich nun die gesamte Badegesellschaft im Wasser des Kelches wieder zu regen beginnt. No, no, Gott sei's gedankt, daß nur diese wieder zum Leben kommen!
01. (Bischof Martin:) „Aber was nun die zwölf Geister vor diesem Einen für einen unbegrenzten Respekt haben, das ist mehr als außerordentlich; denn sie knien alle vor Ihm nieder und beten Ihn ja förmlich an! Das wird am Ende doch nicht etwa gar der Herr Selbst sein?! Ich bekomme nur Sein Gesicht nicht zu sehen, das ich wohl kenne. Sähe ich das Gesicht, so wüßte ich bald, ob Er Selbst oder jemand anderer es ist!
02. Nun stehen die zwölf wieder auf und verneigen sich tiefst vor dem Einen. Dieser aber reicht nun allen die Hand und spricht zu ihnen, wenn auch mit etwas leiserer Stimme, aber doch wohl vernehmbar:
03. ,Brüder, sehet, das ist nun ein schöner Weideplatz! Ich übergebe euch diese Lämmer. Weidet sie und mästet sie wohl für Meinen Stall, auf daß sie Mir eine gute Speise werden und Ich Freude habe über sie in Meinem Herzen! Hebt sie nun behutsam heraus aus dem Gefäße Meiner Sorge und lasset sie dann frei weiden auf dieser weiten Trift Meiner Liebe, Gnade und Erbarmung! Also sei es!‘
04. Schau, schau, das ist doch der Herr! Niemand kann ja doch im ganzen ewig unendlichen Himmel sonst so reden, wie dieser Bote nun geredet hat. Wie aber dieser Bote nun geredet hat, so redet nur der Herr! Und so glaube ich es nun fest, daß dieser Bote der Herr Selbst ist! Was meinst du, Bruder, in diesem Punkte?“
05. Spricht Borem: „Ja, freilich wohl ist das der Herr, was du schon lange hättest merken können. Aber der Herr hielt deine Augen gefangen, damit dein Geist dadurch desto geschäftiger war! Da es nun aber an der Zeit ist, daß dir die Augen einmal geöffnet werden sollten, sind sie dir nun auch geöffnet worden. Du erkennst nun den Herrn, und das ist recht und völlig gut!
06. Siehe aber nur noch eine kleine Weile auf die vorliegende Szene, auf daß du die Vollöse dieses äußerst verwirrt gewesenen Knäuels gewärtig wirst und erkennen kannst die endlose Liebe und Gnade des Herrn. Denn da ist niemand gleich, weder in allen Himmeln noch auf den Weltkörpern und unter diesen in der ganzen Unendlichkeit!“
07. Spricht Bischof Martin: „O Gott, o Herr, Du über alles liebevollster, heiligster Vater! Wer kann Deine endlose Weisheit und Güte je ermessen? Du, o Heiligster aller Heiligkeit, bist allein ein Meister in aller Wesen Tiefe! Deine Weisheit erpreist kein Cherub ganz, ja nie ganz weder Himmel noch Erden! Heilig, heilig, heilig ist Dein Name, und die ewige Ordnung aller Dinge ist Dein heiligster Wille!
08. Du brauchst von niemandem einen Rat, denn Du bist Dir ewig allein genug. Aber Dein heiligstes Vaterherz will nicht allein sein, nicht allein genießen die endlose Fülle der eigenen heiligsten Vollkommenheit: es ruft aus Seinen tiefsten Gedanken Wesen hervor und gestaltet sie im Feuer Seiner endlosen Liebe und im Lichte Seiner ewigen Weisheit zu Gotteskindern, auf daß sie wie freie Gottwesen selbst an der endlosesten Vollkommenheit dieses heiligsten Vaterherzens den vollsten Teil nehmen sollen ewig!
09. O höret es, ihr alle Himmel, höret es, ihr Seraphim und Cherubim, o höret es, ihr Engel alle! Gott, Gott – Gott der ewige Geist in aller Seiner Fülle der göttlichen Vollkommenheit, deren Größe keines Himmels Gedanke ewig je in der Vollfülle wird denken können, ist unser Vater, wandelnd unter uns, als wäre Er nicht mehr denn wir! Oh, erhöhen wir Ihn darum in unseren Herzen, da Er Sich so endlos tief zu uns Sündern herab erniedrigt!
10. O Herr, o Vater, nun hat neben Dir in meinem Herzen nichts mehr Platz; denn Du allein bist mir nun alles in allem geworden! Du warst wohl einmal sehr klein in mir, da war ich ein Sünder. Nun aber bist Du endlos groß geworden in meinem Herzen, darum bin ich nun ein Seligster! Aber das alles, Vater, ist allein Dein Werk; ich aber war, bin's noch und werde ewig verbleiben ein allernutzlosester Knecht!
11. O Bruder Borem, da sieh hin, die zwölfe heben nun die Gäste des heiligen Kelches aus dem Wasser des Lebens. Sie sind nun so schön und hehr, daß ich sie nur mit dem Namen ,Engel‘ benennen kann! Oh, wie herrlich sind sie nun anzusehen; welche Freude strahlt aus ihren himmlischen Augen, die nun bestimmt sind, Gott zu schauen!
12. O Bruder, freue dich mit mir und fühle es, wie gut der Herr ist! Ach, ach, ich möchte ja gerade vergehen vor Liebe zum Herrn!“
13. Spricht Borem: „Bruder, nun ist dies beendet bis dahin, wo wir nichts zu tun imstande gewesen waren; denn derlei verrichtet der Herr allemal unmittelbar allein. Nun aber kommt es wieder auf uns als Kinder Gottes an, dieses Werk in Seiner Liebe und Ordnung in uns fortzusetzen. Daher auch müssen wir nun auf alles gefaßt sein, was da nur immer kommen mag!
14. Es tut aber der Herr hier entsprechend das gleiche wie auf der Welt. Siehe, auf der Welt nehmen die Menschen das Weizenkorn und streuen es ins Erdreich. Diese Vorarbeit geschah auch hier, als du dieser gesamten Gesellschaft weise Lehren und Verhaltungsregeln gabst, bei welcher Arbeit ich dich selbst unterstützte. Wir beide streuten sonach den Weizen Gottes in die Furchen ihrer trüben Herzen.
15. Wenn der Same aber einmal in der Erde ruht, da kann kein Mensch etwas tun, daß dieser wachse und eine reife Frucht brächte. Das tut lediglich der Herr durch Sein unmittelbares Einfließen in diejenigen Naturgeister, die da in vollste Tätigkeit zu treten haben und das Wachstum der Pflanzen, wie auch das der Tiere ausmachend bezwecken. Bei dieser Arbeit sind nur wenige jener Geister mitbeschäftigt, die des Herrn allzeit innigste und erste Freunde und Brüder sind.
16. Ist diese Arbeit zu Ende, und hat die Saat die Reife erlangt, dann wird sie wieder den Menschen übergeben, daß sie diese dann einsammeln und in ihre Scheunen bringen. Und siehe, diese Arbeit harrt nun hier auch unser!
17. Wir haben hier den Samen des Wortes Gottes zuerst in ihre Herzen gestreut, worauf sie dann ruhten wie ein Acker, der da besät ward. In dieser Ruhe aber fing des Herrn Arbeit an, weil wir da nichts hätten tun können außer zusehen, was da allein der Herr tut. Gleichwie auch auf der Welt ein Sämann bloß nur zusehen kann, wie das von ihm ausgesäte Korn wächst und für die Ernte heranreift.
18. Dieses Weizenkorn, diese unsere Brüder und Schwestern aber sind nun durch die allzeit alleinige Mühe des Herrn gereift. Nun ist die Zeit da für uns, sie einzuernten. Und so wollen wir auch von dem großen Segen im Namen des Herrn den rechten Besitz nehmen, und wollen zu dem Behufe die Hände unseres Herzens abermals in vollste Tätigkeit setzen!
19. Du weißt aber, daß die Ernte allzeit um vieles reicher ist denn die Aussaat; also wird es auch hier sein. Da wir ehedem nur mit einem zu tun hatten, da werden wir nun dafür 30-100 bekommen. Darum freue dich nun, lieber Bruder; denn unser harrt eine reiche Ernte!“
01. (Borem:) „Nun aber etwas anderes! Dort unter der Tafel des Herrn in deinem Hause ersiehst du eine Kiste wie aus reinstem Golde. Gehe hin und öffne sie, du wirst darin ein Kleid und einen leuchtenden Hut finden. Dieses Kleid ziehe an und setze den Hut auf dein Haupt, daß du im wahren himmlischen Hochzeitskleide unsere nun bald wiederkehrenden Gäste im Namen des Herrn würdig empfangen kannst, der diese als Wiedergefundene Selbst hierher bringen wird. Gehe, und tue das; es ist des Herrn Wille!“
02. Spricht Bischof Martin: „Liebster Bruder, alles, was du mir nun gesagt hast, war herrlich und wahr wie das Wort Gottes selbst. Aber dieses letzte riecht nach einer himmlischen Eitelkeit, die mich wahrlich nicht anficht! Daher mußt du es mir schon zugute halten, so ich dir in diesem Punkte nicht folgen werde!
03. Ich bin froh, daß nun endlich einmal mein Herz in der Ordnung ist, an dem der Herr allein ein Wohlgefallen hat. Was da aber die Bekleidung meines Außenwesens betrifft, da bin ich für ewig mit dieser Bauernjacke zufrieden.
04. Wahrlich, mir liegt nun an allem solchen Glanze nichts, ob himmlisch oder irdisch, das ist mir nun gleich. Desto mehr aber liegt mir nun an der alleinigen Liebe zum Herrn, zu der mich aber nur mein Herz und nie ein glänzender Rock und Hut bringen kann! Daher bleibe ich, wie ich bin, ein Bauer!“
05. Spricht Borem: „Du hast recht, liebster Bruder, es ist freilich wohl nur das Herz allein, auf das der Herr sieht. Und unsere Demut, durch die wahre Liebe zum Herrn erzeigt, ist wohl jedes Engels kostbarste Bekleidung. Aber dessenungeachtet erfordert es doch die Ordnung des Herrn, daß in Seinem Reiche das Kleid der Wiedergeburt und ewigen Unsterblichkeit jeden Bewohner der Himmel als ein seinem Innern Entsprechendes schmücken soll. Denn demütiger als der Herr Selbst ist wohl kein Wesen in der ganzen Unendlichkeit; aber dem ungeachtet kannst du dir dennoch keine Pracht irgendwo denken, die nicht von Ihm herrührte!
06. Siehe an die unbeschreibliche Pracht und Größe dieses Saales, der da ist ein einziges Gemach deines Hauses. Wer wohl, als nur der Herr, ist der Urheber und alleinige Erbauer solch unaussprechlicher Pracht und Majestät?
07. Du hast gleich beim ersten Eintritte in dieses dir vom Herrn gegebene Haus durch die zwölf Türen hinausgeschaut und sahst kaum zwölf Tropfen aus dem endlosesten Meere der Schöpfungen des Herrn. Und es ergriff dich beinahe ein Grauen vor der zu großen Pracht und Majestät, die du da nur flüchtigst bemerktest. Was aber würdest du erst sagen, so du wirklich einen Engel in aller seiner Himmelsglorie zu Gesichte bekommen hättest? Wahrlich, du hättest nicht leben und ihn dabei aber auch zugleich anschauen können – so endlos groß ist seine Schönheit, Glorie, Pracht und Majestät!
08. Du siehst nun aus dem Gesagten und aus tausenderlei Dingen, daß die gerechte Pracht und Herrlichkeit so wie alles andere aus der Ordnung des Herrn stammt. Und so meine ich, daß es auch für dich nicht gefehlt sein wird, so du dich in allem in die Ordnung des Herrn fügst!
09. Weißt du, was der Herr zu Petrus gesagt hat, als dieser auch vor purster Demut sich von Ihm nicht wollte die Füße waschen lassen? Siehe, dasselbe könnte der Herr wohl auch zu dir sagen, so du hartnäckig bei deinem demütigen Eigensinn verharren wolltest! Daher gehe du nun nur hin, dahin ich dich beschied! Tue, was ich dir aus dem Herrn heraus anbefohlen habe, so wird dann hier in deinem Hause auch sogleich alles ein anderes Gesicht bekommen. Aber bevor du dich mit dem neuen Gewande bekleidest, mußt du dieses alte ganz bis auf den letzten Faden ablegen und dir aus einem Becken, das du auch in Bereitschaft antreffen wirst, das Wasser nehmen und damit die Füße waschen! Hast du solches getan, dann erst eröffne die goldene Kiste, nimm die Kleider heraus, und bekleide dich damit!“
10. Spricht Bischof Martin: „Ja, wenn so, da muß ich freilich wohl tun, was du mir im Namen des Herrn geboten hattest! Gerne, weißt du, liebster Bruder, tue ich das noch immer nicht, weil ich darinnen denn doch – trotz aller deiner erleuchteten Erklärung – eine Art von einer Eitelkeit entdecke. Aber weil es schon so in der Ordnung des Herrn ist, will ich die Geschichte im Namen des Herrn denn doch angehen! Wohin aber soll ich dann mein gegenwärtig an mir haftendes Kleid tun? Etwa zum ewigen Angedenken in jene goldne Kiste?“
11. Spricht Borem: „Sorge dich nicht darum, dafür wird schon ein anderer sorgen!“
12. Bischof Martin geht nun zur Kiste hin und sieht sich einige Male um, ob ihn niemand sähe. Als er sich aber wie hinter einer zierlichen Schutzwand befindet, durch die er vor den vielen Gästen in seinem Hause gedeckt ist, zieht er sich eiligst aus. Er legt die alten Kleider auf einen Haufen vor sich nieder, die aber alsbald verschwinden. Darauf schöpft er mit der Hand aus dem bezeichneten Becken Wasser und wäscht sich die Füße. Als diese gewaschen sind, springt die Goldkiste sogleich von selbst auf und der gute Martin ist auch schon bekleidet mit einem Purpurkleide, das da mit den herrlichsten Sternen verbrämt ist an allen Rändern. Und er hat auf seinem Kopfe einen Hut, der bei weitem mächtiger strahlt denn die Sonne!
13. In dem Augenblicke aber, als Bischof Martin so umkleidet ist, erweitert sich auch das Innere seines Hauses so gewaltig, daß es ihm nun ums hundertfache größer vorkommt als ehedem. Zugleich auch öffnen sich die Zugänge auf die Galerien, die bisher nicht aufgefunden werden konnten.
14. Als Bischof Martin solches alles nun wie auf einen Schlag entdeckt, ergreift ihn ein wonnigstes Gefühl, daß er darob zu Tränen gerührt ist und Mich laut zu loben und zu preisen beginnt.
15. Als er aber in seinem Loben und Preisen nach und nach völlig ganz zu Tränen wird, da kommt Borem auch gleichen Anzugs und spricht: „Nun, Bruder, wie kommt es dir nun vor? Fühlst du dich wohl eitler nun?“
16. Spricht Bischof Martin: „O Bruder, nun erst fühle ich es, wie klein ich – und wie endlos groß der Herr ist!“
17. Spricht Borem: „So komme denn nun vorwärts; denn es ist schon alles bereitet, dich als den Besitzer dieses Hauses zu begrüßen! Freue dich, das wird ein großartiger Gruß sein!“
01. Bischof Martin geht nun mit Borem hinter der Schutzwand, die ziemlich gedehnt ist, hervor, und bei 1500 kommen ihm jubelnd entgegen. Sie begrüßen ihn und danken ihm für seine erste Versorgung, die er ihnen hat angedeihen lassen, und für die weisen Lehren, die er ihnen auf die vergangene wahrhaftigste Prüfungsreise mitgegeben hatte.
02. Alle bezeugen ihm nun eine große Freude und noch größere Liebe und Achtung, worüber sich unser Bischof Martin recht sehr freut. Dies um so mehr, weil er nun aus ihren schon sehr wohlgestalteten Physiognomien den geläuterten inneren Zustand ersieht. Sie zeugen, daß sich alle auf dem besten Wege befinden.
03. Mit großem Wohlbehagen betrachtet er eine Zeitlang die große Gesellschaft und kann sich über ihr gutes Aussehen nicht sattsam und genug verwundern. Nach geraumer Weile erst spricht er:
04. (Bischof Martin:) „O ihr alle, meine liebsten Freunde, Brüder und Schwestern, wie sehr freue ich mich nun euretwegen, wie auch, daß ihr mir alle nun so liebreich entgegenkommet. Aber mich müßt ihr weder ehren, noch danken und loben darum, daß ihr alle nun gerettet seid und euch alle im hehrsten Vorhofe zum wahrsten Himmelreiche befindet – sondern alle Ehre, aller Dank und alles Lob gebührt dem Herrn, dessen endlose Gnade euch ganz allein so herrlichst umgestaltet hat! Mich aber liebet als euern Bruder, der mit euch allen einen und denselben Gott und Herrn zum Vater hat!
05. Diesen einzigen, wahrsten, heiligsten Vater aber lasset uns lieben ewig ohne Maß und ohne Ziel! Denn Er allein tut alles und ist allein alles in allem! Ihm allein sei daher auch alle Ehre, aller Ruhm und Dank und alles Lob!
06. Ich und dieser mein lieber Freund und Bruder waren Zeugen, wie euch der Herr ganz allein geführt hat und hinausgeschafft hat allen Unrat aus eurem Herzen und hat um euch gegen die Hölle einen heißen Kampf gekämpft und gestritten wie der alte Löwe Israels!
07. Daher tuet nun alle eure Herzen weit auf, damit der Herr aller Ehre und Glorie bald zu uns allen den vollsten Einzug halten möchte und sodann verbleiben in uns und bei uns allen ewig!“
08. Als die Gesellschaft solche gute Anrede von ihrem Hausherrn vernommen hatte, da ward sie wie verklärt und lobte in ihm den Herrn, der dem Menschen eine so große Macht und Weisheit gegeben hat. Und darauf gingen alle die ersten der Gesellschaft zu ihm und baten ihn, daß sie bei ihm als seine geringsten Diener verbleiben dürften.
09. Spricht darauf der Bischof Martin: „O Freunde, Brüder und Schwestern, nicht als meine Diener, sondern als meine liebsten Brüder und Schwestern ewig mit dem gleichen Besitzrechte alles dessen, was mir der Herr so überschwenglich reichlich gegeben hat! Denn ohne euch wäre mir diese endlose Pracht und Herrlichkeit lästig. Aber an eurer Seite macht mir alles um so mehr Freude, je mehr ich dadurch Gelegenheit überkomme, euch die größtmögliche Freude zu machen!
10. O bleibet alle hier und freut euch mit mir des Herrn, der uns hier in Seinem Reiche eine so übergroß-herrliche Wohnung bereitet hat und, wie ich's nun gerade bemerke, diese Wohnung auch mit einem Tische versah, der für uns alle zur ewigen Übergenüge mit dem herrlichsten Brote und Weine besetzt ist. Und das alles, alles, alles, ohne daß es auch einer von uns je im geringsten verdient hätte durch einen gerechten Lebenswandel nach Seinem Worte! Daher also loben, lieben und preisen wir Ihn aber auch ewig um so mehr, da Er uns in der Fülle gegeben hat solche Herrlichkeit, deren wir nicht im geringsten wert waren, wert sind und wert sein werden!
11. Ihr seht nun alle, wie Seine Liebe zu uns kein Maß und kein Ziel hat; darum aber sei auch die unsrige ewig ohne Maß und ohne Ziel! Alles haben wir nun als vollkommen Selige; nur eines geht uns zu diesem allem noch ab, und dieses eine, meine lieben Brüder und Schwestern, dieses eine ist der Herr, sichtbar in unser aller Mitte! Bitten wir Ihn daher in unserm Herzen, daß Er uns auch diese allerhöchste Gnade erweisen möchte!“
12. Die ersten der Gesellschaft stimmen dem Bischof Martin bei, jedoch mit dem Bemerken: „Dieses wohl ist auch unser aller höchster Wunsch; aber wir sind der Verwirklichung desselben noch viel zu unwürdig. Daher danken wir für das, was uns der Herr beschied, dessen wir wohl auch völlig unwert sind. Der Wunsch, den Herrn zu sehen, aber sei stets unser aller höchstes und ewigstes Bestreben!“
13. Spricht Bischof Martin: „Habt recht, liebe Brüder, also gebietet es uns die rechte Weisheit; aber die Liebe überschreitet oft die Weisheit und tut, was sie will! Und in diesem Punkte halte ich's nun mit der Liebe. Tuet auch ihr also und ich glaube, es wird durchaus nicht gefehlt sein!“
01. Als Bischof Martin noch weiter die Liebe anpreisen will, ruft ihn jemand außerhalb des Hauses beim Namen: „Martin!“
02. Als Martin solchen Ruf vernimmt, fragt er gleich Borem, wer ihn doch gerufen habe.
03. Spricht Borem: „Bruder, gehe hinaus und du wirst es sehen. Es ist mitunter hier auch wie auf der Welt: man kann hier außer dem Herrn auch nicht alles auf einem Punkte zu Gesichte bekommen. Man muß sich zu dem Behufe manchmal wohl auch an verschiedene Orte begeben, um Verschiedenes zu sehen und zu vernehmen, wie du dich nun schon oft wirst überzeugt haben!
04. Daher gehe du nur eilends hinaus, und es wird sich sogleich zeigen, wer dich gerufen hat! Denn, weißt du, mein geliebter Bruder, für alles weiß ich auch noch keinen allzeit sicheren Bescheid zu geben. Ich höre abermals rufen; gehe, gehe, und sieh nach, wer da ruft!“
05. Spricht Bischof Martin: „Ja, ja, ich gehe schon; wahrscheinlich werden wieder Verirrte Hilfe suchen!“
06. Bischof Martin geht nun eilends an die Hausflur, öffnet sie und erstaunt nicht wenig über die endlose Pracht seines Gartens. Dieser hat mittlerweile an Ausdehnung und an wunderbar reichsten Segnungen über alle menschlichen Begriffe zugenommen seit der Zeit, als Bischof Martin Borem in diesem Garten pflanzend angetroffen hat.
07. Auch diesmal ersieht Bischof Martin niemanden auf der Flur harren und begibt sich darum sogleich in den Garten, den zu suchen, der ihn zuvor gerufen hatte. Er kommt, gegen Morgen gewendet, zu einer herrlichen Laube, die aussieht wie ein großer, offener Tempel. In der Mitte dieses gewisserart lebendigen Tempels ersieht er jemanden stehen, der sich mit der Sonderung einiger Pflanzen beschäftigt, die auf einem ebenfalls lebendigen Altare liegen.
08. Bischof Martin betrachtet diesen Menschen eine kurze Weile, geht dann auf ihn zu und redet ihn also an: „Liebster, bester Freund und Bruder, warst nicht du es, der mich ehedem aus meinem mir vom Herrn gegebenen Hause bei meinem Namen rief? Wenn du es warst, gib mir auch gütigst kund, womit dir mein Herz dienen kann und soll!“
09. Spricht darauf der Botaniker: „Lieber Freund und Bruder! Siehe, dein Haus ist nun überaus geräumig geworden und dieser Garten im gleichen Maße. Du beherbergst wohl schon über tausend Brüder und Schwestern, was von dir überaus edel ist. Ich aber meine, wo tausend und darüber Platz haben, da sollte sich wohl noch für einige Platz vorfinden lassen?
10. Gehe mit Mir, dort gegen Abend dieses deines Gartens befinden sich hundert Arme, die da Unterkunft suchen; diese nimm noch auf – und Mich dazu, da Ich gewisserart auch zu ihnen gehöre, und es wird das dein Schade nicht sein!“
11. Spricht Bischof Martin: „O liebster Freund und Bruder – was hundert! Ich sage dir's, so es ihrer auch 10000 wären, ließe ich doch keinen weiterziehen, sondern würde alles aufbieten, daß sie alle bei mir blieben! Daher führe mich nur gleich zu ihnen hin, daß ich sie um so früher aufnehmen und nach allen mir vom Herrn verliehenen Kräften bestens versorgen kann!“
12. Spricht der Botaniker: „O Freund, o Bruder, du bist Meinem Herzen ein köstlicher Balsam geworden! Komme daher nur schnell mit Mir, wir werden sogleich bei ihnen sein!“
13. Beide begeben sich nun schnell gegen Abend hin und kommen zu einer gar elend aussehenden Menschengruppe, bestehend aus männlichen und weiblichen Wesen. Alle sind nahezu nackt, höchst abgezehrt und daneben voll Geschwüren und Grinden.
14. Als Bischof Martin diese Armen ersieht, da kommen ihm die Tränen und er spricht teilnehmend und voll des herzlichsten Mitgefühls: „O mein Gott, mein Gott, wie sehen diese Armen aus! Kaum noch haben sie ein Leben! O kommet, kommet alle mit mir in mein Haus, auf daß ich euch sogleich alles angedeihen lasse, was euch gesund und stärker machen kann! Der Herr, unser aller heiligster und bester Vater Jesus, wird mir dazu Kraft und Mittel verleihen!“
15. Sprechen die Armen: „O du sichtbarer Engel Gottes – wie gut muß der Herr sein, da du schon so endlos gut bist! Du siehst aber ja, wie unrein wir sind. Wie können wir es wagen, deine reinste Wohnung zu betreten!?“
16. Spricht Bischof Martin: „War ich doch noch viel unreiner denn ihr und bin rein geworden in diesem Hause der Liebe. So hoffe ich zu Gott, ihr alle werdet es auch, darum kommet, liebe Freunde, Brüder und Schwestern, ohne Scheu nur sogleich mit mir! Ihr Schwächsten aber hänget euch an mich, auf daß ihr leichter in mein Haus kommet! Auch du, Bruder (der Botaniker), greife einigen Schwächsten unter die Arme!“
17. Spricht der Botaniker: „O Bruder, du Mein Herz, du Kern Meiner Liebe, welche Freude machst du Mir! Wahrlich, das soll dir einst groß vergolten werden! Ja es ist dir schon vergolten, denn siehe, Der, den du nun so sehr liebst, ist nun bei dir. Ich bin ja der Herr, dein Bruder, dein Vater!“
18. Bischof Martin erkennt nun in der Fülle Mich, den Herrn, fällt auf sein Gesicht nieder vor Mir und spricht: „O Herr, o Gott, o heiliger Vater! Wo soll ich anfangen, Dich zu loben und zu preisen ohne Maß und Ziel, und wo und wann enden?! O Du heiligster Vater, wie groß ist Deine Liebe und welch unergründliche Tiefen aller Erbarmung müssen in Dir vorhanden sein, daß Du Sündern, wie ich einer war und es noch bin, so endlos gnädig sein kannst!
19. O Du heiliger, guter Vater Du, ich möchte nun beinahe vergehen vor Schande darum, daß ich Dich nicht erkannte, als ich in Deinem ewigen Vaterhause mit Petrus wohnte und wenig achtete Deiner Worte, die nichts als pur Liebe waren! Nun freilich, da mein Herz Dich erkannte, möchte ich vergehen vor Liebe, aber zugleich auch wohl vor Schande! O stärke mich, daß mein sündig Herz Deine heiligste Nähe zu ertragen vermag!“
01. Rede Ich: „Stehe auf, lieber Bruder, und denke nicht an Meine Herrlichkeit beständig, sondern nur daran, daß du nun in der Liebe völlig Mein Bruder bist, so wirst du Meine Nähe leicht ertragen! Ich bin ein Herr nur denen, die da sind abtrünnig Meinen Worten und sich dennoch in aller Weisheit groß dünken. Denen aber, die ihr Herz mit aller Liebe erfüllt haben, bin Ich kein Herr, sondern ein allmächtiger Bruder nur und gebe ihnen als ein wahrster Vater alles, was Ich habe! Darum also, liebster Bruder, erhebe dich und habe fürder keine solch unbegrenzte Heiligscheu vor Mir!
02. Siehe, so auf der Welt ein mächtiger Fürst zu seinen weisen Ministern tritt, da fallen diese vor lauter Achtung ihm zu den Füßen. Und es ist recht, daß sie also tun ihrem Fürsten; denn solange sie seine Diener sind, ist er auch ihr Herr! Wenn aber solche Diener ihren Fürsten lieben über die Maßen und zu ihm sagen: ,Herr, du bist ein überguter Fürst! Nicht nur unsere höchste Achtung verdienst du im Vollmaße, sondern alle unsere Liebe! Darum nimm fürder unsere getreuesten Dienste ohne allen Entgelt an! Wir aber wollen, weil wir dich nun mehr lieben denn unser Leben, dir auch dienen mit jeder Fiber unseres Lebens! Und so du von uns hundert Leben verlangen möchtest, wollen wir sie dir geben, darum du nun ein wahrer Fürst unserer Herzen geworden bist!‘ – was meinst du, Bruder, wird wohl der Fürst solchen Dienern tun?
03. Siehe, solche wahre Liebe wird ihn ergreifen in seines Lebens innersten Kammern und er wird zu ihnen sagen: ,O meine liebsten Freunde, da ihr mir nicht nur in euerem Kopfe, sondern auch in euerem Herzen einen so herrlichen Thron errichtet habt, herrsche ich nun nicht mehr durch meine Gewalt und Macht über euch, sondern durch eure so große Liebe zu mir in euch! Ihr alle tragt mich nun in euren Herzen, die nun geheiligt sind durch die Gegenwart meiner Hoheit in ihnen. Ihr alle traget also nun den in euch, den ich selbst in mir trage. Aus dem Grunde aber seid ihr alle nun auch das, was ich selbst bin, also meine innigsten Brüder. Darum aber sollet ihr mit mir auch alles haben, was ich selbst habe!‘
04. Siehe nun, gleichwie so ein weiser Fürst zu seinen Dienern spräche und sie adeln möchte, da sie ihn so sehr in ihre Herzen aufgenommen hätten, so rede und spreche auch Ich zu allen jenen, die Mich gleich dir in ihre Herzen aufgenommen haben! Denen also, die Mich über alles lieben und Mich völlig in ihren Herzen tragen, die darum durch und durch geheiligt sind durch Mich Selbst in ihnen, bin Ich kein Herr mehr, so wenig als Ich Mir Selbst ein Herr bin, sondern ein innigster Bruder ewig! Und was Ich habe, das auch haben sie, weil sie Mich Selbst in sich haben durch ihre große Liebe!
05. Erkennst du, lieber Bruder, nun, was das heißt, so Ich dich ,Bruder‘ nenne, wie Ich einst auch Meine zwölf Apostel Brüder genannt habe? Begreifst du das nun, da richte dich auf und führe mit Mir diese Armen in dein Haus! Aber nur verrate Mich in deinem Hause deinen Gästen nicht zu vorschnell! Diese hundert hier wissen ohnehin noch lange nicht, daß Ich der Herr bin. Denn es sind Chinesen, die auf der Welt auf dem Punkte standen, Mein Zeugnis – freilich wohl sehr entstellt – anzunehmen, weshalb sie auch alle hingerichtet wurden samt dem Missionar. Was sie auf der Welt sonach nicht erreichen konnten, soll ihnen hier im Vollmaße zuteil werden. Nun weißt du alles; daher erhebe dich schnell, und handle mit Mir – denn von nun an wird Mein und dein Haus in ein Haus vereint werden!“
01. Auf diese Meine Rede erhebt sich Martin schnell, fällt Mir an die Brust und küßt Mich klein ab. Als er mit solchen wahrhaft kindlichtatsächlichen Liebesbeweisen zu Ende ist, spricht er:
02. (Bischof Martin:) „So, so, so – oh, nun ist mir schon viel leichter, weil ich nun meiner zu mächtigen Liebe zu Dir endlich einmal ein wenig Luft gemacht habe! Wenn es auf mich ankäme, so könnte ich Dich, o Du mein liebster, heiligster Vater, eine ganze Ewigkeit so abherzen und abküssen. Aber ich behalte mir diese meinem Herzen allerangenehmste Beschäftigung vor, wende mich sogleich an Dein Wort und führe diese Chinesen in dies Haus, natürlich unter Deiner Voranführung. Denn ohne Dich, o Herr, ist kein Schritt vor- und kein Schritt rückwärts zu machen! Und nun ans Werk!“
03. Bischof Martin wendet sich nun an die hundert und spricht: „Nun, liebe Brüder und Schwestern, erhebet euch alle und gehet mit mir in dies Haus! Ihr Schwächsten aber hänget euch an mich, auf daß wir alle vereint in dies mein Haus ziehen können; darinnen sollet ihr sogleich alle Pflege und Wartung haben. Die Allerschwächsten von euch aber wird schon dieser mein allmächtigster Freund übernehmen und wird sie vor mir hin in das Haus führen.“
04. „Aber, Freund“, sagen nun einige aus der Gesellschaft, „wie können wir dieses reinste Haus betreten? Siehe, wir sind ja alle im höchsten Grade unrein! Weißt du denn nicht, daß bei uns ein Gesetz besteht, demzufolge kein Haus von irgendeinem Aussätzigen betreten werden darf? Und das um so gewisser, als sonst die Todesstrafe unvermeidlich einer solchen Gebotsübertretung folgen würde. Nun bedenke, wenn die weltlichen Machthaber ein göttliches Gebot schon so sehr respektieren, um wieviel mehr wird es hier respektiert werden. Daher belasse uns doch lieber in diesem Garten, bis wir rein werden; dann erst erlaube uns, in dein Haus einzuziehen!“
05. Spricht Martin: „Liebe Freunde, Brüder und Schwestern! Lasset euch durch eure uralten tyrannischen Gesetze, die ihr nicht versteht samt euren Machthabern, nicht irremachen. Denn alle Gesetze der Welt gehen uns hier nichts mehr an, sondern allein ein Gottesgesetz nur, welches da ist das ewige Gesetz der Liebe! Dieses Gesetz aber wird euch nun soeben auferlegt und fordert von euch, daß ihr der Liebe unbedingt folgen sollt. So tuet denn nun auch sogleich willigst, was meine Liebe von euch allen verlangt!“
06. Auf diese Worte erheben sich nun die hundert und gehen – freilich sehr bedenklichen Schrittes – mit Mir und Martin in das Haus. Als sie alle im Hause und in dem übergroßen, majestätischen Saale sich befinden, da schreien sie laut auf vor Verwunderung und Schreck und sagen:
07. (Die hundert:) „O Lama, Lama, Dalai-Lama! Das ist ja die Wohnung des ewigen Brahma! O wir Armen, o wir Armen! Wir sind hier verraten und für ewig verloren! Denn es steht im Zoroasteron (chinesisches Sanskrit) geschrieben: ,Wer je die allerheiligste Wohnung des ewigen Brahma unrein betreten wird, den wird der böse Ahrimann ergreifen und ihn dann allergräßlichst ewig martern!‘ O wehe uns, wehe uns!“
08. Spricht Martin: „Ei, ei, liebe Brüder und Schwestern, was faselt ihr für leeres Zeug durcheinander! Ich sage euch auf mein Gewissen und auf alle meine Liebe, die ich euch hier will angedeihen lassen: euer gefürchteter Brahma ist ein Betrüger, der seinesgleichen sucht, und ist sterblich, so wie ihr es waret! Den Lama (Gott) kennt weder der betrügerische Brahma, noch euer Kaiser, wie auch keiner von euch.
09. Ich aber, mit Namen Martin, ein ehemaliger Bischof der christlichen Religion auf der Erde, und zwar in Europa, bin der wirkliche Besitzer und Eigentümer dieses Hauses nun für ewig. Und es hat kein Brahma je hierin etwas zu tun, außer er käme hierher wie ihr als Hilfsbedürftiger. Darum seid nun ruhig und ängstigt euch nicht vergeblich. Denn in diesen wahren ewig heiligen Hallen wird nimmer jemand fallen, dem sie zu betreten nicht vorenthalten wurden!“
10. Nach solcher Versicherung werden die hundert sichtlich ruhiger und können sich vor lauter Pracht und Glanz und Größe nicht genug fassen, um Martin auf seine Tröstungsrede einen Dank zu geben.
11. Zugleich aber kommt auch schon Borem mit Brot und Wein herbei, um die neuen Gäste zu stärken. Ich aber segne beides insgeheim. Nachdem beides gesegnet ist, Brot und Wein, spricht Borem zu den Gästen:
12. (Borem:) „Liebe Freunde, Brüder und Schwestern, lasset euch auf die Bänke nieder, und nehmet hier eine Stärkung zu euch; sie tut euch not auf ein so langes Fasten! Unser Herr, Gott und Vater ist von unbeschreiblicher Liebe, Güte, Sanftmut und Geduld und erläßt euch alle Schuld, die ihr von irgendwoher auf euer Gewissen gelegt habt!
13. Daher sollt ihr nun froh und heiter sein und genießen ohne Furcht und Sorge, was euch dargereicht wird. Alles, was ihr hier genießen werdet, wird euch stärken zum ewigen Leben und dienen zur wahren Erkenntnis Gottes, die an und für sich ist das wahre, ewige Leben. Wie solches auch Gott der Herr Selbst gelehrt hat, indem Er sprach: ,Das aber ist das ewige Leben, daß sie (alle Jünger) Den erkennen und erkannt haben, den Du, o heiligster Vater, in die Welt gesandt hast zur Vergebung aller Sünden!‘“
14. Nach dieser guten Anrede setzen sich alle neuen hundert Gäste nieder. Borem teilt darauf das Brot und den Wein aus, und alle greifen emsigst darnach, danken und verzehren alles mit großer Begierde. Das ist ein gutes Zeichen: denn mit der Begierde sie nun dieses Brot und diesen Wein verzehren, mit derselben Begierde werden sie auch hernach das noch viel geistigere Gotteswort aufnehmen.
01. Als nach einer kleinen Weile die hundert gesättigt und gestärkt sind, sage Ich zu ihnen: „Meine lieben Freunde, erhebet euch nun und entkleidet euch. Gehet dann in dies Bad, das sich zwischen dieser Säule und jener lichten, aber dennoch völlig undurchsichtigen Schutzwand befindet! In diesem Bade werdet ihr eueren Aussatz verlieren und ganz rein wieder hervorgehen. Also sei es!“
02. Die hundert entkleiden sich nun schnell und steigen in das Bad. Sobald sie sich sämtlich im Bade befinden, siehe, da werden sie auch alsbald rein. Ihre frühere häßlich-braune Farbe wandelt sich in ein liebliches Weiß und die Formen ihrer Glieder werden dabei auch stets voller, runder und weicher.
03. Da diese Gäste solche Veränderung an sich gewahren, werden sie überfroh und fangen an, uns drei über die Maßen zu loben: „Wer ihr drei im Grunde auch sein möget, ob im Dienste Dalai-Lamas oder im Dienste des Ahriman – was wir nicht zu beurteilen imstande sind –, aber gewiß wahr ist, ihr habt uns vollkommen Gutes erwiesen. Euer Herr vergelte es euch ewig!
04. Wie sehr elend waren wir, und eine undenklich lange Zeit hat unser großes Elend angedauert. Den ganzen Erdkreis suchten wir klein ab, und sehet, wir fanden niemanden, der unser Elend nur um ein allergeringstes gemildert hätte! Nach einem wohl sicher mehr als 10000 jährigen Suchen fanden wir in der Nähe dieses Gartenpalastes diesen Freund und baten ihn, daß er uns helfen möchte, so es irgend in seiner Macht stünde. Und er sprach:
05. ,Ja, ich kann euch helfen und will euch auch helfen! Folget mir in diesen Garten. Ich werde da den Herrn des Hauses rufen, und dieser wird mit großer Freude tun, was ich ihm um euretwillen gebieten werde!‘
06. Was er sagte, das tat er auch pünktlich, und wir alle sind nun tatsächlich Zeugen alles dessen, was er an uns getan hat. Daher gebührt vor allem auch nur ihm das Hauptlob. Euch beiden andern aber gebührt auch das beste Nachlob, indem ihr bereitwilligst das getan habt, was dieser erste Hauptfreund unseretwillen von euch verlangte. Und so sei du, unser erster Freund, hochgelobt und über die Maßen gepriesen, der du so Übergutes an uns getan hast! Ihr beiden aber seid auch hochgelobt, indem ihr bereitwilligst das tatet!
07. Nun aber, liebe Freunde, sehet ihr selbst, daß wir völlig nackt sind. Da ihr schon so viel an uns getan habt, so tuet auch noch eines: Gebet uns nur eine nötigste Umhüllung zur Deckung unserer Scham! Wir sind dann so glücklich, als nur irgend in der ganzen Unendlichkeit ein Wesen glücklich sein kann!“
08. Sage Ich zu Martin und Borem: „Brüder, öffnet jene goldene Kiste, dort werden sich schon Kleider in rechter Menge finden lassen, durch die unsere Schützlinge für den ersten Augenblick hinreichend gut und zweckmäßig bekleidet werden können. Mit der Weile aber werden sie dann nach dem Grade der Vollendung ihres Geistes schon ohnehin das Gewand des Gottesreiches überkommen. Also sei es!“
09. Bischof Martin und Borem springen sogleich an die goldene Kiste und ziehen dort hundert Stück blaue Röcke mit viel Falten zum einen Teile und mit weniger Falten zum andern Teile heraus, geben die mehr faltigen Röcke den Männern und die weniger faltigen den Weibern. Im Nu kleiden sich alle damit und haben wieder eine noch größere Freude, als sie sehen, daß ihnen diese Kleider überaus gut stehen.
10. Alle loben nun Mich und sagen: „O Freund, du bist gut, ja übergut bist du und dabei sehr weise und mächtig nach dem Maße deiner Weisheit! Wir hörten auf der Welt wohl, daß der große Lama auch sehr gut und weise sein soll, wenn er nicht den Ahriman zu Gesicht bekommt. Dessen Anblick soll ihn so erbittern, daß er dann 1000 Jahre nichts als Zorn speie über die Welt, in der Ahriman wohnt. Er verdecke aber nachher noch 1000 Jahre sein Gesicht, um nur seinen Erzfeind nicht zu sehen. Dadurch aber übersähe er dann auch die Menschen und kümmere sich volle 2000 Jahre nicht um sie.
11. Wenn die Sache mit dem Lama sich im Ernst so verhält, da sagen wir, daß du um vieles weiser, mächtiger und somit auch besser bist als der ganze Lama, der einen so dummen Abscheu vor dem bösen Ahriman hat! So ist es; wir sagen es hier alle zum Trutze des Lama und zum Zeugnis der Wahrheit!
12. Wir haben aber alle auf der Welt durch einige Boten einer andern Welt wohl vernommen von einem gewissen Jesus. Dieser soll der eigentliche, leibhaftige Lama Selbst gewesen sein. Diesen hat Ahriman aber erwürgt, weil er die Menschen wider ihn gehetzt habe. So ihr von dieser Geschichte auch etwas wißt, erzählet uns davon; wir alle möchten darin sehr gerne ins reine kommen!
13. Auf der Welt hat uns das ums Leben gebracht. Hier aber, glauben wir, gibt es keinen Tod mehr! Daher wäre es hier vielleicht doch ratsam, über diesen Jesuslama Näheres zu erfragen? Vorausgesetzt, daß an der Sache, die uns das irdische Leben kostete, etwas ist – sagt uns gütigst etwas davon, so euch diese Sache bekannt ist!
14. Seht, es ging die Sache mit uns allen schon recht gut! Wir hatten schon gewisse Gebete erlernt, die gut waren. Aber da geschah es, daß ein solcher Bote zu weit ging: eine Geliebte verriet ihn und uns alle und noch eine Menge. Wir alle mußten es mit unserem Leben büßen, weil wir hatten von unserem Lama abfallen und einen andern annehmen wollen.
15. Wahrscheinlich aber hat uns diesen Streich nur der böse Ahriman gespielt. Und das berechtigt uns zu hoffen, daß der Lama es uns nicht gar so groß anrechnen wird, besonders so hinter diesem gewissen Jesus wirklich der Lama Selbst steckt!“
16. Rede Ich: „Meine lieben Freunde, geduldet euch nur eine kleine Weile und ihr werdet hier alles tatsächlich erfahren, was ihr erfahren möchtet! Kommt nun aber mit uns nur weiter vorwärts. Ihr werdet daselbst eine große Gesellschaft antreffen: jene Boten, die solche Lehre zu euch brachten, wie auch jene Maid eures Landes, die euch verraten hat samt jenem Boten, der sich zu weit gewagt hatte. Aber so ihr mit ihnen zusammenkommen werdet, da müsset ihr keinen Zorn äußern, noch haben, sondern müßt ihnen alles vergeben, was sie an euch taten; alsdann werdet ihr den Jesuslama sogleich erkennen! So kommt nun hinter dieser Schutzwand hervor und folgt uns guten Herzens und Willens! Also sei es!“
01. Auf diese Worte gehen nun alle hundert lieblichen Angesichts hinter der Schutzwand hervor und erstaunen über die große Pracht und Räumlichkeit des Saales. In dessen gegen Mittag gewendeten Teile befinden sich die tausend früheren Gäste nebst noch andern mehreren Hunderten, die bei der Gelegenheit der inneren Bearbeitung der Mönche und Nonnen mitgerettet wurden.
02. Als die hundert diese vielen Gäste erschauen, die noch zum größten Teile in der naturmäßigen Kleidung stecken, verwundern sie sich überaus mächtig, auch als sie nun wirklich jene Boten sogleich erkennen, die sie auf der Welt im Christentum haben unterweisen wollen. Als sie aber auch jene Chinesin unter ihnen erblicken, die den Hauptboten und dadurch auch sie alle verraten hatte, machen sie bald finstere Mienen und sagen zu Mir:
03. (Die hundert Chinesen:) „Höre, du liebster Freund, diese Erscheinung berührt uns zwar äußerst unangenehm. Aber da sie euch, wie es scheint, nicht zuwider ist, so soll sie es auch uns allen nicht sein. Der Bote, den sie verriet, scheint nun merkwürdigerweise auf gutem Fuße mit ihr zu stehen, denn er bespricht sich gar freundlichst mit ihr. Sie ist wohl sonst ein schönes und artiges Wesen, darum sie auf der Welt auch ein Liebling dieses Boten war, wie sie auch eine wahre Schönheit in der großen Kaiserstadt Peking genannt wurde und daher ein Liebling der ganzen Stadt war. Aber durch ihren gewinnsüchtigen, schnöden Verrat an uns allen hat sie dann wohl alle Achtung der großen Kaiserstadt verloren und starb, wie wir vernommen hatten, bald darauf aus Gram.
04. Wir wundern uns daher hauptsächlich bloß darum, wie diese doch sichere Dienerin des Ahriman, die den Jesuslama an uns verriet, in diese heiligen Hallen hereingekommen ist! Hat etwa der Lama Selbst ein Wohlgefallen an ihrer Schönheit?“
05. Rede Ich: „Liebe Freunde, hattet ihr nicht auch Kinder, darunter einige fromm, einige aber recht schlimm waren? Ihr alle saget: ,Ja!‘ Ich aber frage euch weiter: Habt ihr die schlimmen wohl darum den Hyänen und Tigern vorgeworfen, oder habt ihr alle eure Sorge und Liebe nicht diesen schlimmeren Kindern zugewendet und habt die frommen viel weniger beachtet? Ihr saget: ,Ja, ja, so war es!‘
06. Sehet, so aber ihr, die ihr euer ganzes Leben hindurch nie gut gewesen seid, euren sogar schlimmsten Kindern nur Gutes tatet – wie könnt ihr da denken, daß der ewig allerbeste Lama Seinen Kindern etwas Böses geben werde, so sie Ihn reuig um etwas Gutes bitten?
07. Diese Jungfrau hat auf der Welt freilich gewisserart übel an euch allen gehandelt. Aber sie bereute später ebenso mächtig ihre vermeintliche böse Tat, wie mächtig sie früher euch alle geliebt hatte, bevor sie den Hauptboten und dadurch auch unwillkürlich euch alle mit verriet.
08. Und so hat der gute Lama ja auch recht, so Er eines Seiner Kinder nicht sogleich auf ewig verwirft, so es auch Böses getan hätte, dann aber zu Ihm kommt und Ihn von ganzem Herzen reuigst um Vergebung bittet.
09. Sehet, der gute Lama braucht demnach nicht verliebt zu sein in eine schöne Pekingerin, um sie selig zu machen. Sondern es ist genug, daß Er ein guter Vater aller Menschen ist und daß Er als solcher erkannt wird. Ist besonders letzteres der Fall, dann hat es mit dem Seligwerden einer schwachen Tochter auf der Erde gar keine Schwierigkeit mehr.
10. Was meinet ihr lieben Freunde nun – handelt der gute Lama so recht oder unrecht?“
11. Spricht einer aus den hundert: „Ja, also handelt der große, heilige Lama vollkommen gut und recht! Aber da sieh, nun bemerkt uns die schöne Chanchah und geht eilends auf uns zu! Was sie uns etwa doch hinterbringen wird? Nun nur stille, sie ist schon da!“
01. Chanchah fällt nun vor den hundert auf ihr Angesicht und fleht sie um Vergebung all des Üblen an, das sie – wenn auch unbeabsichtigt – an ihnen getan hat.
02. Die hundert aber sagen alle einstimmig: „Holdeste Chanchah, so dir's der große heilige Lama vergeben hat, was wohl sollen dann wir noch wider dich haben! Hat ja doch derselbe Heilige der Ewigkeit auch uns vergeben, die wir dem Ahriman doch auch viele und große Opfer gebracht haben. Daher erhebe dich und kneife uns ins Ohrläppchen zum Zeichen, daß wir nun für ewig einander aus dem tiefsten Lebensgrunde vergeben haben!“
03. Chanchah erhebt sich nun lieblichsten Angesichts und Wesens und tut, was die hundert von ihr verlangen. Nachdem sie alle die hundert sanft ins Ohrläppchen gekneift hat, spricht sie:
04. (Chanchah:) „Eure Herzen seien mein köstlichster Schmuck, euer Anblick die schönste Weide meiner Augen. Mein Herz aber sei euch ein sanftestes Ruhekissen, auf dem ihr ausruhen wollet, so euch die Liebe müde gemacht hat. Meine Arme seien euch ein sanftes Band für Herz ans Herz, und aus meinem Munde fließe unversiegt der köstlichste Balsam in euer Leben.
05. An meiner Brust sollet ihr euch schwingen bis zu den Sternen und meine Füße sollen euch tragen über harte Wege. Und wenn die Sonne untergeht und kein Mond der Erde leuchtet und der Sterne Schimmer dichte Nebel überdecken, dann soll mein Augenpaar euch erleuchten den Pfad eurer Sehnsucht, und all mein Eingeweide soll euch erwärmen in der frostigen Lebensnacht.
06. Also will ich euch sein eine sanfteste Dienerin in den zartesten wie schwersten Bedürfnissen eures Lebens ewig, darum ihr mir euer Ohr geliehen habt zur Vergebung meiner schweren Sünde an euch.“
07. Nach dieser Rede, die die liebliche Chanchah gesprochen, geht einer aus der Mitte der hundert zu ihr hin, hebt beide Hände über sie und berührt sie am Kopfe mit den Zeigefingerspitzen. Er spricht: „O Chanchah, wie gar so schön bist du nun! Ich sage dir's so laut nun, wie da braust ein mächtiger Sturm. Und ich sage es dir auch so sanft, als wie sanft da fächelt ein duftiger Abendhauch um die zarteste Wolle der Gazelle: du bist schöner nun als die Morgenröte über den blauen Bergen, die da zieren die große Stadt der Mitte der Reiche der Erde, und herrlicher als die Chujulukh (eine der schönsten Blumen, die nur im kaiserlichen Garten gezogen wird)!
08. Dein Haupt ist lieblicher als der Kopf einer Goldtaube und dein Hals runder und weißer als der einer weißen Gazelle. Deine Brust ist sanfter und weicher denn Tutschuran (eine Art weichster Wolle, die an einer Schilfstaude wächst), und deine Füße sind kleiner denn die einer Antilope, die da hüpft und tanzt auf Himalajas höchsten Spitzen. Ja, so lieb uns die Sonne ist, so lieb bist uns auch du. Und wie herrlich der Vollmond den wogenden Spiegel der Seen bescheint, so herrlich bescheint deine Anmut auch unsere Herzen.
09. So sollen von nun an auch deine Wünsche ebenso lieblich in unseren Seelen erschimmern und unsere Herzen also über und über erquicken, als wie da erquicken die Sterne die Herzen zerstobener Schiffer, die auf weitem Ozean ihre Segel hissen unbewußt am Tage, wohin sie den Lauf der Schiffe richten sollen, um zu gelangen in die glückliche Heimat.“
10. Darauf wendet er sich zu Mir und spricht: „O Freund, ist es recht, daß wir diese, die unsere Feindin war, also aufgenommen haben wie ein Herz in hundert Herzen?“
11. Rede Ich: „Ja, so ist es recht nach eurer besten Sitte. Aber da ihr alle nun nicht mehr auf der Welt, sondern im ewigen Reiche der Geister euch befindet, wo andere Sitten und Formen gang und gäbe sind, so werdet ihr euch nach und nach auch darnach richten und in allem so handeln, wie ihr es an uns sehen werdet, wenn ihr hier verbleiben wollt! Wäre euch aber eures Landes Tugend lieber als die dieses Hauses, da freilich müßtet ihr dann zu jenen übergehen, die noch gar lange zu tun haben werden, bis sie dies Haus erreichen!“
12. Spricht Chanchah: „O du lieblichster, herrlichster Freund der Armen – siehe, wir wollen hier so sein wie die feinste Porzellanerde, die sich in alle edlen Formen fügen läßt. Dein Wille sei unser Leben und dein Wort ein heiliges Wort Lamas!“
13. Rede Ich: „Komm her, du lieblichste Chanchah, Ich will dir ein neues Kleid geben, welches dich herrlicher zieren soll denn die schönste Morgenröte die weißen Spitzen der blauen Berge!“
14. Chanchah springt nun förmlich zu Mir hin. Und Martin bringt schon aus der goldnen Kiste ein rotes Kleid, das mit vielen Sternen verbrämt und wohl geschmückt ist, und übergibt es Mir mit den Worten:
15. (Bischof Martin:) „Das wird dieser wirklich schönsten Chanchah gar überhimmlisch gut stehen; das ist ein wahres Kleid der Liebe! Ich muß offen gestehen, diese Chinesin gefällt mir nun auch ganz überaus gut; nur in ihre echt chinesischen Redensarten kann ich mich noch nicht so recht finden. Da hängt noch viel Irdisches daran, aber sonst echt orientalisch poetisch. Ich hätte wirklich nicht geglaubt, daß in den Chinesen so viel ehrliche Lyrik zu Hause ist. Aber mir gefällt das! Diese lassen wir auf keinen Fall mehr weiterziehen!“
16. Rede Ich: „Hast recht – auch Mir gefallen sie, das Herz dieser Chanchah ganz besonders. Aber sie werden dir noch so manches zu schaffen geben! Doch nun zur Chanchah!
17. Hier, du liebliche Tochter, empfange das Kleid: es ist das der Liebe und der weisen Sanftmut in dir! Wohl warst du eine Verräterin an diesen, die das Zeugnis des Jesuslama annehmen wollten. Aber du wardst zur Verräterin durch die Tugend deines Reiches und wolltest nur retten des Kaisers Leben, dabei aber nicht opfern das deiner Brüder. Solches hat hernach der Kaiser getan – hätte es aber nicht getan, so er dein Herz in seiner Brust gehabt hätte. Du bist sonach völlig schuldlos und rein wie dieses Kleid, mit dem Ich dich nun bekleide. Nimm es hin, es ist Meine große Liebe zu dir!“
01. Chanchah nimmt ehrfurchtsvoll das Kleid, das im Augenblicke, als sie es berührt, schon ihr ganzes Wesen überaus herrlich schmückt. Als sie so himmlisch bekleidet dasteht, weint sie vor Freude und spricht: „O Freund, welchen Namen wohl führst du? O sage es mir, daß ich ihn in mein Herz mit der glühendsten Schrift für ewig zeichne!“
02. Rede Ich: „Schönste Chanchah, dafür ist schon gesorgt! Was du tun möchtest, ist schon geschehen. Forsche nur in deinem Herzen und du wirst das finden, was du nun von Mir suchst zu vernehmen! Ich sage dir: Deine Liebe zu Mir wird dir alles verraten!“
03. Chanchah macht über Meine Worte große Augen und stutzt gewaltig. Nach einer Weile spricht sie, ganz in sich vertieft: „,Deine Liebe zu mir wird dir alles verraten! Was du tun möchtest, das ist schon geschehen. Forsche nur in deinem Herzen und du wirst es finden, was du von mir suchest zu vernehmen!‘?
04. Sonderbar, höchst sonderbar! Hm, hm, wie kann der so reden?! Warum brennt denn aber mein Herz gar so mächtig vor Liebe, so er mit mir spricht? In seiner Stimme liegt eine so unbegreifliche Zaubermacht, daß mir vorkommt, dieser müßte durch die Macht seiner Rede Welten erschaffen und wieder zerstören können! Eine Milde, nie gekannt, dabei aber doch voll wahrhaft göttlichen Ernstes! Wahrlich, wahrlich, wahrlich, – ich ahne Großes!
05. O du heilig Wort, auf der Erde noch nie vernommen! O heiliger Klang solcher Rede: ,Deine Liebe zu mir wird dir alles verraten!‘ Ich will ja nur eines, seinen Namen nur will ich. Und er spricht: ,Alles! Alles!‘ Wie endlos größer wohl ist das Alles denn das Eine! Ich wollte ja nur eines, und er spricht: alles!
06. O Lama! Lama! Du großer, heiliger Lama, wie soll ich dies fassen?! Ach, ach, wie herrlich doch ist seine Gestalt, welch erhabenste Majestät in seinen Augen! Es sind wohl die andern zwei auch wunder erhabene Gestalten und scheinen auch sehr weise und mächtig zu sein. Aber wenn ich diesen einen ansehe, da erbrennt mein Herz wie die große Kaiserfackel, die, so sie angezündet wird über dem großen Fackelturme der kaiserlichen Burg, die ganze Stadt erleuchtet heller denn der volle Mond.
07. (Sich zu Mir wendend:) Ach, du lieber Freund, ja du göttlicher Freund! Was für Worte hast du zu mir geredet! Wer außer dir kann ihren Sinn deuten? Sie haben in mir tiefe Ahnungen erweckt, und ach – ich kann es dir unmöglich mehr verhehlen – eine Liebe, ja eine wunderbar mächtigste Liebe zu dir, du Herrlichster! Ja, du hast recht, du hast wahr gesprochen: ,Deine Liebe zu mir!‘ Ja wohl, Liebe zu dir, du Herrlichster!
08. Siehe, als ich auf der Erde wandelte in den schönen und großen Gärten, an denen meiner Brüder Stadt so reich ist, da horchte ich oft den leisen Tönen nach, mit denen die Schwäne, die gar lieblichen Anblicks über dem Spiegel eines zierlichen Teiches dahinwogten, die sinkende Sonne begrüßten. Es waren herrliche Töne; aber wie gar nichts waren sie im Vergleiche zur sanftesten Milde des Tones deiner Rede!
09. Oft ging am frühen Morgen ich lustwandeln und nahm meine Windzither mit mir. Sie klang herrlich, wenn der heitersanfte Morgenhauch ihre Saite begrüßte, daß darob mein Herz vor Freude erbebte. Ja, damals wohl erbebte mein Herz – denn damals hatte ich ja deine Stimme noch nicht gehört; jetzt würde Chanchahs Herz die Khalank nicht rühren, seit es erbebte beim Himmelsklang deiner Rede!
10. Ach wie süß klangen einst auch die Worte meiner Mutter, so sie mich rief und sprach: ,Chanchah, du mein Leben, komme ans Herz deiner Mutter, die dich mehr liebt denn ihr eigenes Leben!‘ – Ach, du lieber Freund, in diesem Rufe lag mehr Harmonie, als die Welt sie fassen kann. Wie gar so selig war die muntere Chanchah bei diesem Rufe! Die Erde ward schöner, ward wie verklärt, ja sie ward zu einem Himmelsgarten!
11. Aber, o Freund, du Herrlichster, damals habe ich deiner Rede Klang noch nicht gehört! Oh, wie tief in den Staub sinkt das alles nun zurück, so ich dich ansehe und deiner himmlischen Rede Ton in meinem bebenden Herzen vernehme, wie ein heiliges Echo, aus den Himmeln wiederklingend! Ach du Herrlichster, was werde ich beginnen, wenn mein Herz stets ungestümer für dich, ganz ewig allein für dich erbrennt?!
12. Lama, Lama, Du bist wohl groß und herrlich, wo Du bist. Dich soll man wohl mehr lieben denn alles. Aber was kann die arme Chanchah dafür, wenn ihr Herz diesen, sicher Deinen Freund auch, gar so innigst ergriff!
13. Aber du, o Herrlichster, wirst mir doch nicht zürnen, darum ich es wage, dich so mächtigst zu lieben? Kann ich ja doch nicht dafür, daß du meinem Herzen so heilig geworden bist!
14. Man lehrte mich auf der Erde wohl, daß es für die Guten einen Himmel gibt, der noch tausendmal schöner sei denn Peking, die große Kaiserstadt, und erhabener als die Majestät der blauen Berge. Ich aber finde diese Himmelspracht nun ganz leer und finde, daß nie der Himmel höchste Pracht, sondern nur ein Herz dem andern ewig ein Himmel der Himmel bleibt!
15. Ich habe in dir meinen Himmel der Himmel gefunden! Ach möchtest du auch in mir wenigstens so ein kleines Lustgärtchen finden!“ – Mit diesen Worten sinkt die Holde Mir zu Füßen.
16. Martin sagt: „O Herr – ,Bruder‘ wollt ich sagen; hätte Dich bald verraten! – etwas Ähnliches von einer jungfräulichen Weichheit ist mir noch nicht vorgekommen. Das will ich doch Liebe nennen! Da ist unsereiner gerade ein räudiger Ochse dagegen! – Bruder Borem, bei der können wir beide noch hübsch lange in die Schule gehen! Was meinst du?“
17. Spricht Borem voll der höchsten Achtung: „Allerdings, lieber Bruder Martin, in der beseligendsten Gesellschaft des Meisters aller Meister werden wir mit dem Lernen wohl ewig nie fertig werden. Übrigens alle Achtung vor dieser holdesten Chinesin; mit der Zartheit ihrer Gefühle und mit der echt orientalischen Glut ihrer Liebe werden wir es freilich noch lange nicht aufnehmen können. Es ist außerordentlich erfreulich, sie reden zu hören und daneben die Steigerung ihrer Liebe zu betrachten. Überaus beseligend für uns aber ist es zu wissen, wohin ihre nun noch blinde Liebe ihren Zug nimmt!“
01. Rede Ich: „Redet nur nicht zu andeutend! Wir drei hier wissen es, was und wer wir sind. Aber diese alle sind nun noch viel zu schwach, unsere Wirklichkeit zu ertragen. Daher müßt ihr bei euch sehr behutsam sein, so ihr mit Mir redet. Verstehet es, liebe Brüder, wir sind gleich! Ich habe euch das nun in der Stille gesagt, daß diese von allem nichts vernommen haben. So aber wir drei vor allen laut reden, sind wir alle gleich und sind eines. Verstehet wohl, ihr wisset schon, warum!“
02. Spricht Martin: „O Bruder, Du – Du – Du allergeliebtester Bruder, wir kapieren die Sache schon! Ich werde da so aufpassen wie die Katze auf eine Maus, daß ich mich ja nicht irgendwo verrede. Nur mußt Du schon noch ein bißchen Geduld mit mir haben, so mir manchmal etwas Dummes herausrutscht. Ich komme mir manchmal wohl schon recht weise vor. Aber wenn Du da bist, kommt mir meine Weisheit schon so dumm vor, daß ich mich selbst aus vollem Halse auslachen könnte. Aber mich freut es dennoch, daß ich es – freilich mit Deiner alleinigen Hilfe nur – so weit gebracht habe, wenigstens manchmal etwas Weises hervorzubringen.“
03. Rede Ich: „Ganz gut, lieber Bruder Martin, bleibe du nur, wie du bist, denn gerade so bist du Mir am angenehmsten. Denn siehe, ein rechter Humor des Herzens darf auch in allen Himmeln nicht fehlen! Nun aber müssen wir schon unserer Chanchah wieder unsere Aufmerksamkeit widmen. Martin und Borem, hebet sie auf von Meinen Füßen, denn Ich darf sie mit Meinen Händen noch nicht berühren!“
04. Die beiden tun behende, was Ich ihnen geboten. Chanchah steht noch ganz liebetrunken in unserer Mitte und kann sich kaum fassen, um ihre Gefühle in Worte umzugestalten.
05. Martin spricht dabei: „Aber wie sie in dieser wahrsten Liebetrunkenheit schön ist! Wahrlich, sapprament, wenn eine solche auf der Erde zu sehen wäre, ich glaube, die Menschen würden geradeweg rasend ob des Anblicks solcher Fülle der weiblichen Reize!
06. Über mich aber wundere ich mich nun sehr, daß ich eine so außerordentliche Schönheit zwar wohl mit dem größten Wohlgefallen, aber ohne alle sinnliche Begierde ansehen kann, was bei mir – wie Figura der Merkurianerin und der noch früheren Lämmerherde hinreichend bewiesen hat – ehedem nicht der Fall war.
07. Es hat zwar die Berührung dieses weichsten und rundesten Armes mir überaus wohlgetan. Nichts aber habe ich dabei von einer sinnlichen Regung verspürt. Dafür kann ich nur, Du weißt es schon wem, über alle Maßen ewig danken und preisen ohne Ende!
08. (Sich zu Chanchah wendend:) Wie ist dir nun, du allerholdeste Einwohnerin meines vom großen, heiligen, liebevollsten Lama für ewig mir gegebenen Hauses? O rede, rede wieder! Siehe, wir haben dich ja alle überaus sehr lieb und deine schönsten Worte erfreuen ungemein unser aller Herz!“
09. Spricht Chanchah: „Ach, mir ist unendlich wohl! O ihr lieben himmlischen Freunde, ihr Diener Lamas, des Heiligen! Wem sollte es in eurer Mitte nicht endlos wohlgehen? Ist ja doch die Liebe des menschlichen Herzens höchstes Gut. So aber ein Herz Liebe gefunden, wie ich sie hier fand, was sollte da wohl noch übrig sein zu wünschen? Welch höhere Seligkeit als die, welche die Liebe gibt? O Freund, mir ist hier endlos wohl!
10. Nicht wahr, ihr liebsten Freunde, ich werde euch doch wohl nimmer verlassen dürfen? Freilich fühle ich wohl, daß ich euer nicht wert bin, da ich noch eine Menge Makel an mir entdecke trotz dieses herrlichsten Kleides. Aber mein Herz liebt euch und – ich gestehe alles gerne – besonders dich, der du mir deinen Namen nicht sagen wolltest. Und ihr werdet ja dies Herz nicht verstoßen, darum es euch, und besonders dich Namenlosen, so unaussprechlich liebt!“
11. Rede Ich: „O ewig nimmer wirst du von uns entfernt werden! Denn siehe, aller Himmel Grund ist die Liebe, und die Liebe ist auch der Himmel aller Himmel selbst. Wer diese, wie du, in solch großem Vollmaße hat, wie sollte der aus dem verbannt werden können, das da ist sein eigen Wesen? Solche Liebe aber wie die deinige zu uns tilgt auch alle Makel der Seele augenblicklich, daß sie dann so rein ist, als wäre sie soeben dem Hauche Lamas entsprossen!
12. Daher kümmere dich fürder nimmer, ob du wohl hier wirst verbleiben dürfen. Denke, daß wir dich ewig als ein besonderes Zärtchen unserer Liebe behalten werden, wohin wir auch zeitweilig nach den zahllos verschiedenen Bedürfnissen dieses Reiches zögen. Ob wir gerade schon für ewig hier in diesem Hause verbleiben werden, das freilich wohl mußt du nicht als ausgemachte Sache betrachten. Denn in des großen Lama Reich gibt es wohl noch gar sehr viele Wohnungen! Aber wohin wir auch zögen, wirst du stets so wie jetzt unter uns sein!
13. Denn siehe, wir lieben dich nun ja auch sehr, als wärest du das einzige Wesen in der ganzen Unendlichkeit, das mit allem Rechte auf unsere vollste Liebe den entschiedensten Anspruch machen kann. Da wir – und verstehst du, holdeste Chanchah, ganz besonders Ich! – dich so sehr lieben, wie möglich könnten wir dich dann von uns lassen? Du bist nun Mein Liebchen für ewig; das sei dir sicherer und gewisser denn dein eigen Leben!“
14. Spricht Chanchah: „O Lama, Lama, wie heilig gut mußt Du sein, da Deine Diener schon so unendlich gut und lieb sind! Aber, ach, du lieber Freund, weißt du, wenn ich dich so recht betrachte, so – ach, es will doch nicht heraus! – ja, ach, so kommt es mir vor, als wenn der Lama unmöglich besser sein könnte, als du es bist! Es wird das vielleicht der einzige Fehler sein, den die Liebe hat, daß sie das, was sie einmal über alles liebt, auch für das Beste und Vollkommenste hält. So halte ich auch dich wenigstens für so gut wie den großen Lama Selbst! Lama wird der armen Chanchah wohl vergeben, wenn sie solches denkt und fühlt?! Denn ich kann ja nichts dafür, daß ich dich so unbegrenzt lieben muß!“
15. Rede Ich: „O Chanchah, Lama hat dir schon längst alles vergeben, des sei völlig gewiß. Denn Lama liebt ja auch Seine Diener so unbegrenzt, daß es Ihm wohl Selbst die größte Freude und Seligkeit macht, wenn sich Seine Kinder, die Seine eigentlichen Diener sind, untereinander ganz ohne Maß und Ziel lieben. Daher fürchte dich ja nicht, als könntest du dich mit deiner Liebe zu Mir beim Lama versündigen. Dafür stehe ich dir mit allen Schätzen der Himmel gut!“
01. Als Chanchah das vernimmt, spricht sie ganz verlegen: „O du herrlichster Freund meines ganzen Wesens! Du mußt den großen, heiligen, ewigen Lama sicher schon oft gesehen haben und vielleicht auch gar gesprochen, weil du mit einer solchen, mir ganz unbegreiflichen Bestimmtheit von Ihm reden kannst, als wärest du zunächst Sein erster Diener? Ja, ja, es wird schon so sein, sonst könntest du ja doch nicht gar so unaussprechlich lieb sein! Deine Worte hätten die Kraft nicht, die sie haben, als wären es Worte Lamas Selbst!
02. Siehe, es haben ehedem auch deine beiden Freunde geredet, aber ich merkte wenig Kraft in ihren Worten. Nur wenn sie mit dir redeten, da freilich hatten auch ihre Worte einige Kraft. Als der eine aber mit mir redete, verspürte ich keine Kraft in seinen Worten. Daraus aber schließt mein Herz, daß du dem Lama näher bist denn diese beiden. Habe ich nicht recht geurteilt?“
03. Rede Ich: „Ich sage dir, frage nur dein Herz, deine Liebe zu Mir; diese wird dir alles verraten! Nun aber gehen wir auch zu den andern Brüdern, auch sie bedürfen unserer Sorge und Liebe. Du gehe Mir zur Seite, Meine liebste Chanchah!“
04. Spricht Chanchah: „Ach ja, das ist wohl sehr recht und gut, daß auch meiner andern Brüder und Schwestern gedacht wird in euren Herzen; denn besser sind immer die Gastgeber als die Gäste daran. Die Gastgeber können geben, wann sie wollen. Die Gäste aber dürfen erst dann etwas nehmen, so ihnen etwas gegeben wird. Und so sie das Gegebene nehmen, müssen sie es fein artig nehmen und dem Gastgeber viel Ehre antun und ihm die Dankbarkeit nie versagen.
05. Der Gastgeber aber braucht zu niemand bitten kommen, so er aus seiner Vorratskammer für sich etwas nehmen will. Er kann sich nehmen wieviel er will, wann und was er will. Er hat dabei nicht nötig, für sich alle Höflichkeitsregeln zu beachten, noch braucht er jemanden darum zu ehren und auch niemandem zu danken. Daher sind die Herren im Grunde doch allein nur glücklich zu preisen, darum sie geben können, was und wann sie wollen. Die Empfänger aber sind, wenn auch schon gerade nicht unglücklich, doch stets übler daran, darum sie nehmen müssen, was ihnen gegeben wird.
06. Also gedenke ich auch hier dieser vielen Gäste, zu denen auch ich gehöre. Ihr drei freilich wohl über alles lieben und guten Gastgeber und Herren dieses Himmelshauses habt es trotz eurer unbegrenzten Güte aber dennoch um sehr vieles besser denn alle diese von euch noch so gut gehaltenen Gäste. Denn Herren bleibt stets ihr, diese aber nur Gäste, die in allem von euch abhängen. Und so ist es wirklich sehr recht, daß nun auch ihrer sicher überaus gut gedacht wird.
07. Du, liebster Freund, aber wirst es mir doch nicht zu einem Fehler anrechnen, daß ich nun so geredet habe? Ich hätte gewiß nicht so frei heraus geredet, wenn ich dich nicht gar so unermeßlich lieb hätte. Meine große Liebe zu dir, du mein himmlischer Freund, löst mir die Zunge; und wenn sie gelöst ist, ach, dann geht sie schon, wie sie gewachsen ist!“
08. Rede Ich: „O du zartestes Balsamtröpfchen meines Herzens, rede du nur immer zu, wie dir es dein Herzchen gibt. Uns kannst du wohl ewig nimmer beleidigen, besonders wenn du so weise sprichst, wie du jetzt geredet hast. Denn ich sage dir's, du Holdeste, es ist genau so, wie du nun geredet hast. Es ist wirklich viel leichter, zu geben als zu nehmen. Es ist der kümmerliche Geber im Grunde noch immer besser daran als der beste Nehmer!
09. Aber es läßt sich diese Ordnung ewig nimmer ändern, da unmöglich jedermann ein Herr sein kann. Würden vom Lama aus auch alle Menschen zu Herren gemacht sein, so daß da jeglicher hätte sein Haus und sein gutes Auskommen und niemand den andern zu bitten brauchte, was wäre dann mit der Nächsten- und Bruderliebe, und was mit der Liebe zum Lama? Sieh, diese ginge da rein unter, und doch müßte am Ende der Lama Geber und alle Menschen gebundene Empfänger sein, wie sie es nun sind und ewig sein werden!
10. Damit aber die Nehmer so ungeniert als möglich das Gegebene nehmen können, wird von uns Gastgebern hier stets in so überfließend reichlichster Fülle gegeben, daß jeder Empfänger und Nehmer sich so viel von dem endlos viel Gebotenen nehmen kann und darf, wieviel nur immer sein Herz zu begehren vermag.
11. Ja Ich sage dir, Meine allerliebste Chanchah: es wird hier mit dem Geben sogar so weit getrieben, daß es beinahe in der ganzen Unendlichkeit kein Wesen gibt, dem nicht allzeit tausendfach mehr gegeben würde, als was seines Herzens glühendster Wunsch ewig je begehren könnte! Was meinst du nun, du Meine geliebte Chanchah – sind die Nehmer bei solchen Geberverhältnissen wohl noch für bedauerlich anzusehen?“
12. Spricht Chanchah: „Ach ja, dann freilich wohl sind die Nehmer beinahe noch glücklicher als der Geber. Denn der Geber muß – du wirst mir's wohl vergeben, so ich hier vielleicht wieder zu viel und zu ungebührlich rede – ja doch sehr viel Sorgen haben. Denn er muß denken über Hals und Kopf, wie er seine Vorratskammern so fülle, daß sie selbst durch die steten reichsten Weggaben nicht erschöpft werden können!
13. Ich habe wohl auf der Erde öfter gedacht, wie es doch dem Lama möglich sein kann, für so endlos vieles zu sorgen: für all das Gras, das da wächst allenthalben, für die Gesträuche und Bäume und für all die zahllosen Tiere und Menschen. Aber da sagte mir meine Mutter:
14. Chanchah, wie denkst du so menschlich von Lama?! Weißt du denn nicht, daß der Lama allmächtig ist und allgegenwärtig mit Seiner Macht? Er, der endlos Weise, darf ja nur wollen, und es geschieht dann sogleich alles, so Er es will, und wann und wie Er es will!
15. Als die Mutter so zu mir redete, gab ich sehr acht und ward auch bald befriedigt. Aber nun möchte ich von dir, der du ein Diener Lamas bist, erfahren, ob es sich wirklich so verhält mit dem Lama, wie mich die Mutter lehrte.
16. Ist es dem Lama ein leichtes, zu sorgen für all das Unendliche, oder ist es auch für Ihn schwer? Ist es Ihm ein leichtes, dann ist Er ebensogut daran als Geber, wie gut all die zahllosen Empfänger daran sind. Macht Ihm aber solch ein Sorgen für unendliche Bedürfnisse der zahllosen Myriaden doch manchmal bedeutende Schwierigkeiten, da wäre Er bei Seiner unbegrenzten Freigebigkeit wirklich sogar zu bedauern! – O sage es mir, du mein geliebtester Freund, so du darin nähere Kenntnisse besitzest!“
01. Rede Ich: „O du Meine allerliebste Chanchah! Das kann Ich dir in aller Kürze sagen, und so höre! Siehe, da Ich den Lama so gut kenne, wie Er Sich Selbst kennt, so sage Ich dir: Was da das Hervorbringen und Schaffen betrifft, so ist das dem großen Lama wirklich etwas dir kaum begreiflich Leichtes. Denn Er braucht zu einer einmal gefaßten Idee nur aus Seinem Willen zu sagen: ,Es werde!‘, und es ist dann schon alles da, was Er will! Ungefähr also – gib nun recht acht! –, als so Ich nun in Mir denke, daß hier vor uns ein schöner Baum stehe, mit den besten Früchten erfüllt! Oder stelle du dir so einen Baum vor, z.B. einen sehr schönen Feigenbaum. Hast du ihn schon?“
02. Spricht Chanchah: „Ja, ja, ich denke mir nun einen, wie da einer stand in dem Garten meiner Eltern!“
03. Rede Ich: „Nun gut, gib nun acht! Ich denke Mir nun auch denselben Baum und sage gleich dem Lama nun zu diesem gedachten Baume: ,Werde!‘. Sieh, der Feigenbaum steht nun schon vor uns samt ganz reifer, wohlgenießbarer Frucht!
04. Siehe nun, wie leicht es Mir war, dir hier ein lebendiges Beispiel zu stellen, ebenso leicht ist es dem Lama, Eines wie Unendliche zu erschaffen. Aber nicht so leicht ist es dem Lama, die Menschen so zu gestalten, daß sie ebenso frei und vollkommen würden, wie Er Selbst es ist. Dazu gehört schon etwas mehr als die bloße Allmacht; aber wenn das auch schwerer ist, so ist dennoch dem Lama alles möglich!
05. Nun, Meine allerliebste Chanchah, verstehst du nun Meine Erklärung? Diesen Feigenbaum aber schenke Ich dir für immer; er wird dir ewig nimmer verdorren, sondern wird dir stets die reichsten und besten Früchte tragen!“
06. Chanchah ist ganz verblüfft, kann vor lauter Staunen kein Wort herausbringen und betrachtet bald Mich, bald wieder den Feigenbaum. Dies Wunder aber zieht auch sogleich alle Gäste herzu, so daß wir nicht not haben, uns zu ihnen zu bewegen; alle sind voll Staunens.
07. Auch Bischof Martin betrachtet ganz überrascht den Baum und spricht: „O Bruder, wohl weiß ich, daß es Dir ein leichtes ist, einen solchen Baum hervorzubringen. Aber dennoch hat es mich ganz absonderlich überrascht, als Du ihn gar so plötzlich hier entstehen ließest!
08. Ja, ich muß gestehen, es ist wohl eine sonderbar schöne Sache um so ein bißchen Allmacht. Aber was kann unsereiner dafür, daß er sie nicht hat und auch nicht haben kann, weil er noch viel zu dumm dazu ist! Im Grunde ist es aber auch gut, daß ein dummer Geist – wie z.B. der meinige – keine Allmacht besitzt. Denn besäße ich so etwas, da wäre es aus bei mir! Du, herrlichster Bruder, würdest Dich Selbst verwundern über die selten dümmsten Gebilde, mit denen ich bald einen ungeheuren Weltenraum anfüllen würde! O Herr, da gäbe es Karikaturen, die ihresgleichen suchten!
09. Daher ist es vollkommen recht, daß der weiseste Lama solche Allmachtsfähigkeiten nur jenen erteilt, die der himmlischen Weisheit vollkommen mächtig sind, wie es bei Dir in überaus hohem Grade der Fall ist! Daß bei Dir aber demnach das Geben offenbar leichter sein muß als das Nehmen, wird etwa doch klarer sein als auf der Erde die hellste Mittagssonne? Denn mit dem Nehmen hätte es bei Dir – meinen Begriffen nach – ohnehin einen ganz absonderlichen Anstand, indem (ganz leise) ja ohnehin alles Dein ist!“
10. Rede Ich: „Nicht so laut, Mein liebster Bruder Martin! Du kommst immer tiefer. Bedenke, daß da noch andere zugegen sind, die noch nicht auf deiner Stufe stehen! Anfangs hast du schon recht geredet; aber gegen das Ende wärst du bald zu weit gegangen, und das hätte dieser Gesellschaft auf eine geraume Weile schaden können! Daher nimm dich nur recht zusammen, sei klug wie eine Schlange, dabei aber sanft wie eine Taube! Nimm dir nur immer Borem zum Muster, der ist hier ganz an seinem Platze und beachtet genau die himmlische Klugheit. Tue du auch so, und wir werden mit diesen Gästen leicht vorwärtskommen!“
11. Bischof Martin: „Oh, ich danke Dir für diesen guten Rat, ich werde ihn sicher genau befolgen! Aber da siehe nun die Chanchah an, wie sie Dich nun mit einer Aufmerksamkeit betrachtet, von der mir früher nichts Ähnliches vorgekommen ist!“
12. Rede Ich: „Gut, gut ist das, lassen wir sie nur ihre Beobachtungen machen; sie führen ihren Geist näher zu Mir! Bald wird sie mit allerlei Fragen fertig sein, auf die wir ihr vollauf werden eine geraume Weile zu antworten haben. Sieh, ihr Mund macht schon einige Bewegungen. Daher frage du als Hausherr zuerst, wie sie mit dieser Erklärung zufrieden ist; das andere wird sich dann schon von selbst machen!“
13. Bischof Martin befolgt sogleich Meinen Rat und spricht zur Chanchah, die noch immer vor Verwunderung ihren Mund nicht in die rechte Sprechverfassung bringen kann: „Holdeste Chanchah, sage uns doch einmal, wie du mit dieser Erklärung zufrieden bist, und ob du sie wohl in allen Teilen gut und klar verstanden hast! Du mußt dich ob dieses Wunders hier nicht gar so sehr erstaunen, denn hier sind derlei Erscheinungen eben nichts Seltenes. Mit der Weile wirst du dich daran schon mehr und mehr gewöhnen.
14. Siehe, es ist mir im Anfang auch um kein Haar besser gegangen. Wenn du wüßtest, was erst mir während meines Hierseins alles für Wunderdinge begegnet sind, ich sage dir, du würdest dich gerade umkehren vor lauter Staunen!
15. Weißt du, meine liebste Chanchah, das ist nur so ein kleines Hauswunderchen. Es dient dir bloß nur als eine beispielsweise Belehrung über deine früheren Fragen, die du an meinen Bruder gestellt hast. Habe aber nur Geduld, es wird mit der Weile noch endlos dicker werden!“
16. Spricht Chanchah: „Ach, du lieber Freund, du hast hier leicht reden, so du an derlei Erscheinungen schon gewöhnt bist. Aber unsereins kommt beim ersten Anblick einer solch außerordentlichen Erscheinung außer aller Fassung – und muß es auch. Denn wo in der Welt hat man je so etwas gesehen?!
17. Wenn du zu mir nicht gar so beschwichtigend geredet und mir in gewisser Hinsicht eine andere Überzeugung beigebracht hättest, so hätte ich deinen Freund und Bruder, der sich nun mit meinen Landesbrüdern bespricht, so wahr ich lebe, für den Lama Selbst gehalten! Aber weil, wie du gesagt hast, derlei Wunder hier gerade nichts Seltenes sind, bin ich nun wieder etwas beruhigter und liebe diesen Bruder noch inniger als zuvor.
18. Denn obschon er sonach nur dein Bruder ist, sieht er dennoch viel göttlicher aus als du und hat solches auch durch diese Kleinschöpfung bewiesen. Ich halte wohl auch von dir sehr viel, aber ich zweifle sehr, ob du so eine Kleinschöpfung zuwege brächtest? Was meinst du darob?“
19. Spricht Martin: „Ja – du – meine allerliebste Chanchah, weißt du, wenn es gerade sein müßte – wer weiß es, vielleicht doch auch!? Aber so ich mich etwa mit solch einem Wunderwerk gewisserart nur produzieren wollte etwa des Ruhmes wegen – da säße ich unfehlbar zwischen zwei Stühlen auf der Erde und müßte mich dann schämen wie ein erwachsener Bettpisser – vorausgesetzt, daß du weißt, was bei uns ein Bettpisser ist?“
20. Spricht Chanchah: „O rede nur weiter, ich verstehe dich schon! Bei uns heißen derlei Naturschwächlinge ,Lagerfeuchter‘ (Tschimbunksha). Sie müssen tags darauf das angefeuchtete Lager den ganzen Tag auf einem öffentlichen Platze hüten, wobei sie sich auch gewöhnlich sehr stark schämen müssen. Du siehst nun, daß ich dich verstehe. Rede darum nur ungestört fort und sage mir alles, was du mir zu sagen hast!“
21. Spricht Martin: „Hm, ja, hm, jaaaa! – was wollte ich denn so ganz eigentlich sagen? Ja richtig, ja, so ist es: es war die Rede wegen Wirkung eines Wunders! Richtig, ich habe den Faden schon wieder! Weißt du, allerholdeste Chanchah, so ganz eigentlich kann nur der große Lama Wunder wirken, wann und wie und wo Er will. Wir, Seine Diener, aber nur durch Seine Zulassung, so es nötig ist. So hat auch mein Bruder hier dies Wunderwerkchen gewirkt, weil es zu deiner Belehrung nötig war, ansonsten Er auch keines gewirkt hätte – was aber auch bei Lama Selbst der Fall ist. Auch Er wirkt vor unsern Augen fast nie ein Wunder, weil es da nicht nötig ist, wo wir ohnehin Seine leisesten Winke verstehen! – Verstehst du mich, liebste Chanchah?“
01. Spricht Chanchah: „O ja, ich verstehe alles, was du sagst! Aber weil du soeben von des großen Lama leisestem Winke geredet hast, den du ohne ein Wunder alsogleich verstehst: sage mir dann, wie der große Lama dir und deinen Brüdern winkt, daß ihr Seinen sogar allerleisesten Wink sogleich wahrnehmt und dann sicher sogleich befolgt! Ihr müßt also den großen Lama ja sehen, sonst könnte Er euch doch unmöglich winken – oder doch wenigstens hören und so Seine Winke vernehmen?! Sehet oder höret ihr Ihn, da sage mir, wie ihr Ihn sehet oder höret, daß ich mir von Ihm doch irgendeine Vorstellung machen kann!“
02. Spricht Martin, etwas verlegen: „O meine allerliebste, holdeste Chanchah, das ist eine sehr kitzlige Frage! Wenn ich sie dir auch beantworte, so wirst du sie doch sicher nicht verstehen. Daher wäre es fast besser, so du mir die Antwort auf diese Frage erlassen möchtest, da sie für diesen Augenblick weder mir noch dir nützen kann!“
03. Spricht Chanchah: „O Freund, das Handeln um den Preis eines Gutes kann wohl bei euch zu Hause sein; uns Chinesen aber ist so etwas fremd. Jede Ware, die wir feilbieten, hat ihren bestimmten festgesetzten Preis. Wer sie feilbietet, der muß sie auch verkaufen und davon dem Kaiser den Verkaufszins geben. Verkauft der Feilbieter die Ware nicht, ist das ein Beweis, daß er sie zu hoch geschätzt hat und Wucher treiben wollte, wofür er dann auch der bestimmten Züchtigung nicht entgeht.
04. Ebenso muß auch jedermann beim Reden sich sehr zusammennehmen und ja nichts sagen zur Hälfte und die andere Hälfte schuldig bleiben, entweder aus Furcht oder Unkenntnis. Denn für beides wird er gezüchtigt, da es eines Menschen unwürdig ist, entweder sich zu fürchten, wo keine Furcht vonnöten ist, oder gar aus sich mehr machen zu wollen, als man ist.
05. Siehe, ich bin eine strenge Chinesin und erlasse dir nichts, was du mir durch deiner Rede Gang gewisserart verheißen hast! Denn wer bei uns durch seiner Rede Gang jemandem zu einer Frage Anlaß gibt, der muß die Frage auch beantworten. Sonst ist er mit seiner ganzen Rede entweder ein Prahler – soviel wie ein Lügner –, oder er ist ein unfähiger Feigling und kennt das selbst nicht durchaus, von dem er geredet hat. Willst du von mir nicht für eins oder das andere gehalten sein, da gib mir eine volle Antwort auf meine Frage, und das ohne allen Vorenthalt!“
06. Bischof Martin ist nun sehr verlegen und weiß nicht, was er tun soll. Denn gibt er ihr die rechte Antwort, da muß er Mich verraten vor der rechten Weile. Antwortet er aber nicht, erklärt sie ihn vor allen Gästen für einen Lügner oder einen Dummkopf und Feigling, was ihm auch nicht angenehm wäre, da er sich so ganz heimlich als Hausherr etwas zugute dünkt. Er geht daher zu Mir und fragt Mich, was er nun in dieser Lage tun solle.
01. Rede Ich: „Habe Ich dir nicht Borem zum Muster gestellt? Warum mußt du denn in einem fort plaudern und reden für nichts und wieder nichts! Jetzt, da du dich in eine Klemme hineingeredet hast, möchtest du dich wieder mit Ehren aus derselben ziehen. Aber siehe, es wird sich die Sache nicht so leicht machen als du glaubst!
02. Die Chinesin ist nun durch Mein notwendiges Wunderwerk und durch deine Reden überaus erregt. Ihr Herz wittert Meine Nähe und ihr Geist wird wacher und wacher. Du hast ihr noch dazu durch das Definieren, wie du Lamas Winke selbst von der leisesten Art sogleich verstehst, Kopf wie Herz in einen noch heftigeren Brand versetzt. Was wunder, daß sie dich nun auf Mord und Brand angeht? Aber selbst schaffen, selbst dulden!
03. Ich habe dir schon einmal bemerkt, daß uns diese Chinesen noch manches werden zu schaffen machen, aber da sahst du die Sache nicht ein. Da du nun aber durch deine Wichtigtuerei die kritische Sache vor der Zeit herbeigeführt hast, so fechte nun als ein Mann. Und siehe zu, die Sache mit der Chanchah wieder ins Gleichgewicht zu bringen, während Ich diese übrigen hundert Chinesen bearbeite; sind diese in der Ordnung, dann werde Ich schon auch mit Chanchah wieder rechte Ordnung machen! – Gehe nun und tue also!“
04. Martin kratzt sich nun hinter den Ohren und sagt nach einer Weile: „O Du mein H– –, oha, hätte mich bald wieder verschnappt! O Du mein Bruder, wenn es Dir nichts macht und ich tun darf nach meinem Gutdünken – freilich unter Deinem geheimen Einflusse –, da werde ich mit dieser Chinesin wohl bald und leicht fertig werden!“
05. Sage Ich: „Tue, was und wie du willst; aber diese Chinesin mußt du Mir auf jeden Fall wieder in die Ordnung bringen!“
06. Spricht Bischof Martin: „Ja, wenn so, Du mein H– – Bruder, wollt ich sagen –, da werde ich die Sache mit der Chanchah schon ausfechten. Ich bin nur froh, daß ich nun ein bißchen mehr Mut bekommen habe, ohne den es mir wohl recht schlecht hätte ergehen können!“
07. Spricht Borem: „Bruder, sieh nur zu, daß dir am Ende der Mut nicht zu kurz wird! Ich schmecke schon im voraus den Braten und wünsche nur, daß du nicht den kürzeren ziehst! Mit den Chinesen, in denen ein stoischer Geist herrscht, ist der Umgang sehr kitzlig; denn wo du eins sagst, da haben sie hundert dawider! Verstehst du das?
08. Diese Chanchah ist zwar ein selten reines Wesen voll echt morgenländisch feuersprühender, Ambra-Äther duftender Anmut. Aber eine Chinesin ist sie im vollsten Sinne des Wortes dennoch bei alledem. Sei daher außerordentlich vorsichtig mit jedem Worte, sonst wird sie dir zur unerträglichen Laus in deinem Rocke, und du wirst zu tun haben, sie auf eine gute Art loszuwerden!“
09. Spricht Bischof Martin: „Ja, was soll ich aber tun? Etwas muß doch geschehen? Aber was, das ist freilich eine ganz andere Sache! Ich will es doch versuchen und sehen, ob ich sie nicht nach der Anforderung (leise) des Herrn in die Ordnung bringen kann!“
01. Bei diesen Worten klopft ihn schon Chanchah auf die Achsel und spricht: „Nun, du Diener Lamas? Wie lange läßt du die arme Chanchah harren auf eine rechte und bestimmte Antwort, nach der sich ihr Herz mächtiger sehnt als ihre Seele nach tausend Leben!
02. O Freund, so ich hätte tausend Herzen und wäre das schönste Wesen, das je unter den Strahlen der Sonne wandelte: dein sollen alle Herzen sein, und mein schönstes Augenpaar soll nimmer von dir abgewandt werden, so du mir die Wahrheit sagst auf das, was du mir zur Antwort zu geben schuldest. Ich aber habe nur ein Herz; dies eine Herz aber soll dich lieben wie tausend Herzen, so du mir ein wahrer Freund bist und mir zeigst den großen Lama entweder in Worten oder womöglich in der Tat. Aber wehe dir, so du wagst zu berücken mein Herz, das dich so unermeßlich lieben will!
03. Es ist wahr, ich liebe deinen herrlichsten Bruder mit einer dir unbegreiflichen Glut. Aber alle diese Glut soll dir zugewandt sein, so du mir ein wahrer Freund sein willst und sein kannst! Auf mein Wort kannst du bauen fester denn auf diamantene Felsen!“
04. Martin ist ob solcher Rede ganz verdutzt. Er sieht die ganz unbegreiflich schöne Chinesin wie versteinert an und denkt und simuliert, was er nun tun oder reden soll. Nach einer ziemlich langen Weile sagt er zu ihr:
05. (Bischof Martin:) „O du holdeste und außerordentlich schöne Chanchah! Wärest du nicht so unbegreiflich schön, ich hätte schon so manches gesagt. Aber wenn ich dich ansehe, da bin ich rein weg vor Verwunderung und Liebe zu dir und kann nicht reden. Ich muß dir daher offen gestehen, daß ich so lange zu dir nicht viel Gescheites werde reden können, bis sich meine Augen an deinen Anblick werden mehr gewöhnt haben.
06. Du hast freilich leicht reden und auch drohen, denn mein Anblick wird dich sicher nicht verwirren. Mir aber geht es absonderlich schlecht mit meiner Zunge, so sie von deiner zu großen Schönheit rein vernichtet wird und dann gänzlich erlahmt, wenn ich mit dir reden soll. Daher mußt du schon ein bißchen Geduld mit mir haben. Nach und nach wird sich schon alles machen, so ich mich an deine Schönheit werde mehr gewöhnt haben.“
07. Spricht die Chanchah: „Wenn das der Grund ist, da sage mir: wie war es dir denn nur möglich, mit mir so gut geordnet zu reden und mir einen rein aus der Luft gegriffenen Grund aufzutischen, aus dem du mit mir über das Gefragte nicht reden kannst?
08. Siehe, dem die Liebe die Zunge bindet, der redet wie ein Betrunkener und stottert und seine Rede hat keinen Sinn. Denn eine verlegene Zunge hat keine Wurzeln, die aus der Quelle der Weisheit ihre Bewegung saugen. Deiner Zunge Wurzeln aber sind voll der regsamsten Feuchte. Daher rechtfertige dich vor meinem Herzen wie ein Mann, aber nicht wie ein losester Schalk! Was ich dir sage, ist so wahr wie mein innerstes Leben. Wie kannst du da nur aus deiner Haut und nimmer aus deinem Herzen zu mir reden?“
09. Bischof Martin wird nun noch verlegener und weiß keine Silbe irgend ausfindig zu machen, um seiner schönen Gegnerin zu begegnen. Er fängt daher wirklich allerlei Wort- und Silbenwerk zu stottern an, dahinter kein Sinn zu entdecken ist. Je länger er so stottert, desto größere Augen macht die Chanchah und schmunzelt mitunter auch ganz mitleidig. Nach einer Weile, als ihr des Martin Stotterei schon zu toll wird, spricht sie:
10. (Chanchah:) „Freund, ich bedauere dich; denn du bist entweder ein schlauer Fuchs oder ein dummer Esel – eines schlechter als das andere! Ich halte dich aber dennoch mehr fürs letzte denn fürs erste. Und das entschuldigt auch deine frevelhafte Angabe, als seist du auch ein Diener des großen Lama. Wahrlich, so sich Lama solcher Diener bedienen würde, da wäre Er samt solchen Dienern sehr zu bedauern!
11. Siehe, ich habe von dir ehedem wohl so einige ziemlich weise Worte vernommen und dachte wirklich, du wärest im Ernste etwas Höheres. Das zu glauben zwang mich auch deine prahlende Hauptbedeckung, wie auch, daß du jenen wahrhaft Weisen deinen Bruder nanntest. Nun aber bin ich über dich ganz im klaren! Du bist ein sogenannter guter Esel, der hier im Himmelreiche bloß vegetiert, weil er auf der Erde wohl sicher zu dumm war, je eine Sünde zu begehen. Und so bist du wohl so eine gutmütige Eselsseele, die niemandem etwas zuleide tut und als ein Geschöpf Lamas auch alle Achtung verdient. Aber man kann von dir nicht mehr verlangen, als was der große Lama in deine Natur gelegt hat. Du wirst mir aber auch vergeben, daß ich von dir mehr haben wollte, als von dir zu haben ist! Ich erlasse dir sonach jede ehedem von dir verlangte Beantwortung!
12. O du armer Esel du, wie leid tut es mir nun, dich so geängstigt zu haben! Du hast hier freilich wohl die Menschengestalt, die im Geisterreiche etwa alle Tiere bekommen, weil sie nur verwunschene Menschen freilich dümmster Art sind. Aber darum bist du dennoch, was du sicher auf der Erde warst. Sei daher nur wieder gut, mein armer, dummer Esel! Wie leid tut es mir nun, daß ich dir ehedem menschliche und wohl gar himmlische Weisheit zugemutet habe! Gelt ja, du mein lieber Esel, du nimmst es mir nicht für übel?“
13. Bischof Martin sieht nun ganz springgiftig aus und möchte der Chinesin gerne so recht derb ums Maul fahren, wie man zu sagen pflegt. Aber weil er sich dadurch der lästigen Beantwortung enthoben sieht, schluckt er alle diese Komplimente hinab und entfernt sich ganz bescheiden von seiner Chanchah, die ihn aber dennoch nicht aus den Augen läßt.
01. Borem tritt zu ihm und spricht: „Bruder Martin, wie geht es dir nun mit deinem Mute? Ist er dir schon zu kurz geworden, oder wird er dir erst zu kurz werden?“
02. Spricht Bischof Martin: „Ach, geh, das ist ja rein zum Durchgehen! Bei diesen Chinesen scheint wohl noch so manches der altasiatischen Poesie geblieben zu sein, das ist aber auch alles, was sie von einer geistigen Bildung innehaben. In allem übrigen aber sind sie höchst sicher das dümmste Volk der ganzen Erde. Kaffern, Hottentotten, Madagaskaresen, Australier und Neuseeländer müssen gegen diese Glattköpfe ja wahre Platos und Sokratesse sein!
03. Stelle dir vor – was meinst du, lieber Bruder, wofür mich nun diese Holde Pekings hält? Ach, es ist wirklich lächerlich toll! Höre, für nichts mehr und weniger als platterdings für einen wirklichen Esel! Nicht etwa nur für einen allegorischen, sondern ganz im vollsten Ernste für einen wirklichen Esel! Erlaube mir, Bruder, das ist denn doch etwas zu stark!“
04. Spricht Borem: „Allerdings ist das etwas Starkes, einen Hausherrn – und sogar einen himmlischen Hausherrn für einen wirklichen Esel zu halten! Aber da mache du dir nur gar nichts daraus. Denn nur auf diese Art konntest du ihre Anforderung an dich vollends loswerden. Und das hast du nur dem Herrn zu verdanken, der allein diese Sache so gewendet hat zu deinem und der armen Chanchah Bestem. Sei du daher nur ruhig und stecke alles geduldig ein, was dir zuteil ward; nach der rechten Weile wird sich schon alles wieder ausgleichen.
05. Weißt du, liebster Bruder Martin, bilde dir in Zukunft auf deine Hausherrlichkeit nichts ein, so wirst du ums Hundertfache leichter fortkommen und alles leicht ertragen. Auch mit dieser Chanchah wirst du leichter überorts kommen.“
06. Spricht Bischof Martin: „Ja, du hast recht! Ich sehe nun ein, daß ich da nimmer Hausherr sein sollte, wo der Herr eingezogen ist. Aber es kitzelt einen manchmal noch gewaltig danach, so ein bißchen was zu sein! Ich sehe es nun ganz ein, es ist das Allerbeste, gar nichts zu sein!
07. Wegen der dummen Beschimpfung von Seite dieser Chinesin aber bin ich nun schon wieder in vollster Ordnung, d.h. ich habe ihrer Dummheit alles verziehen. Aber daß ich weisermaßen mich mit ihr für die Zukunft eben nicht zu viel abgeben werde, dessen kannst du völlig versichert sein. Denn da ich schon einmal als ein Esel deklariert wurde, werde ich als solcher auch nicht zum zweiten Male aufs Eis gehen!“
08. Spricht Borem: „Bruder, du hast schon recht, aber rede nur nicht zu laut. Denn die Chanchah gibt nun auf jede deiner Bewegungen und Mienen mit den schärfsten Augen acht. Weißt, es ist in ihr durchaus nichts Böses, aber dafür ein desto größerer Drang, über das Heer von Mysterien ihres Landes hier im Geisterreiche ins klare zu kommen. Darum bietet sie denn auch alles auf, um hier wenigstens über den wichtigsten Punkt ihres Glaubens ins klare zu kommen.
09. Wie diese Chinesin, so pflegen sich alle jene Menschen hier zu benehmen, in deren Lande auf der Erde oft die krassesten und zahllosen Geheimnisse bezüglich des Hierseits zu Hause sind. Das ist an und für sich eine sicher sehr löbliche Eigenschaft dieser Menschen. Aber man muß mit ihnen dennoch äußerst behutsam zu Werke gehen. Sie gleichen sehr ausgehungerten Menschen auf der Erde, denen man auch nicht gleich anfangs gestatten darf, sich aus einer Schüssel nach dem großen Appetit vollsatt zu essen, sondern erst nach und nach, weil sie sonst an ihrer Gesundheit großen Schaden erleiden würden.
10. Es ist allerdings wahr und löblich, daß diese auf der Erde in großer Finsternis gehaltenen Menschen einen nun hier unmäßigen Hunger und Durst nach endlicher Enthüllung ihrer zahllosen Geheimnisse haben. Aber alle diese Geheimnisse, durch die eben dieser Menschen Phantasie und Dichtergabe im höchsten Grade genährt ward, sind bei ihnen mit solchen Bildern und Ideen ausgestattet, daß sie zur inneren Schöpfung geworden sind und nahezu völlig ihr gesamtes Wesen ausmachen.
11. Würde man ihnen hier gleich mit dem reinsten Lichte kommen, würde sie dieses völlig vernichten, da es ihr eigenes Wesen so gut wie völlig auflösen möchte. Daher muß man mit ihnen beinahe so verfahren wie mit einem alten, schadhaften Hause, wo man auch nur teilweise mit Ausbesserungen zu Werke gehen muß, will man das Haus nicht mit einem zu allgemein kräftigen Angriffe vollends zerstören. So aber ein Haus zerstört ist, ließe sich freilich ein neues in gleicher Form erbauen mit ganz neuen Bestandteilen. Aber mit einem Menschen geht es nicht: da müssen alle seine Bestandteile verbleiben, ansonsten er vollends aufhört, ein und derselbe Mensch zu sein.
12. Ich hoffe, du hast mich nun verstanden, und so sei nun nur auf deiner Hut. Rede und tue besonders mit diesen Chinesen nichts, als was der Herr mir und dir anzeigen wird, so wird alles in der besten Ordnung gehen. Auch mußt du den Herrn wie auch mich vor diesen Menschen nichts laut fragen, sondern bloß nur im Herzen. Es wird dir dann schon ins Herz die Antwort gelegt werden gleichwie mir. Auch ich frage fortwährend den Herrn, was hier und da zu tun ist. Und der Herr zeigt mir dann auch augenblicklich an, was ich zu tun und nötigenfalls auch laut zu reden habe!
13. Gib nun nur acht, die Chinesin naht sich dir. Denke nicht, was du reden möchtest, sondern frage nur im Herzen sogleich den Herrn, und Er wird es dir sogleich ins Herz legen, was du zu reden hast! Nun weißt du alles; handle darnach, so wird alles gut gehen. Aber beleidigen darf es dich in keinem Falle, so du von der Chanchah noch einige Male als ein wirklicher Esel begrüßt werden wirst!“
01. Spricht Bischof Martin nun in seinem Herzen: „Ich danke dir mit aller Liebe meines Herzens, daß du mich in so wichtigsten Dingen klar wie bisher noch nie unterwiesen hast! Jetzt fange ich erst so ein bißchen mich auszukennen an, was das heißt: ein innerer Mensch sein und als solcher reden und handeln! Nun wird mir auch klar, was bei meinem ersten Hiersein unter der Leitung des Herrn ein Mondbewohner zu mir gesagt hat, dem ich lächerlichsterweise meine Blitzdummheit als himmlische Weisheit anbinden wollte.
02. Ja, Bruder, nun geht mir ein ganz neues Licht auf! Ich erschaue nun Wirklichkeit, wo ich früher noch Wunderhaftes, nur dieser Welt Eigentümliches gesehen zu haben wähnte. Ich danke dir, du lieber Bruder, und ganz besonders ewig Dir, Du mein Gott, Herr und Vater; ja, jetzt wird es freilich gut gehen! In dieser Verfassung nun dürfen tausend Chinesinnen zu mir kommen, und ich werde sie alle auf die allerbeste Art bedienen!“
03. Spricht heimlich wieder Borem: „Ja, so ist es; aber du mußt dich sehr zusammennehmen! Denn es gehört anfangs eine recht starke Überwindung dazu, daß man mit dem Munde schweigt, wo einem die Zunge aus lauter angewohnter Plauschwut förmlich aus dem Munde springen möchte.
04. Manchmal legt einem der Herr aus sicher höchst weisen Gründen die Antwort auch nicht augenblicklich ins Herz, wie man sie oft haben möchte. Aber da heißt es dann, in aller Liebe und Ergebung ganz ruhig und gelassen abwarten, bis es dem Herrn gefällt, die erwünschte Antwort uns ins Herz zu legen!
05. Also diese Verhaltungsregel noch hinzubeachtet, liebster Bruder, dann wird alles überaus gut gehen! Nun aber rüste dich; siehe, sie ist schon völlig bei dir, die dich nun überaus scharf beobachtet hat!“
06. Spricht Bischof Martin im Herzen: „Jetzt kommt sie sicher mit einer ganzen Legion Esel in aller Wirklichkeit. Ich aber werde sie alle ertragen, gleich wie der freie Weltenraum das endlose Heer von Sternen, Erden und Sonnen erträgt, ohne dabei müde zu werden. In Deinem Namen, Herr, mag nun kommen, was da wolle! Auf meinem geduldigsten Rücken soll nun so manches Kreuz und Kreuzlein ganz bequem Platz finden, ich werde es schon ertragen in aller Liebe und Geduld. Also nur zu jetzt im Namen des Herrn!“
01. Chanchah tritt nun vor Bischof Martin hin, lächelt ihn liebfreundlich an und spricht mit einer gar überaus freundlichen und dabei wahrhaft jungfräulich zart bebenden Stimme: „Liebster Freund, du hast dich ehedem ganz stillschweigend von mir entfernt, als ich dir meine sicher sehr zu entschuldigende Mutmaßung über deine Wesenheit vorhielt, da du mir keine Antwort gabst auf meine Frage. Ich schließe daraus, daß dich meine Mutmaßung sicher mächtig beleidigt hat? Ist das der Fall, so vergib mir, nachdem du mich zuvor nach deinem Wohlgefallen zur Genüge wirst gezüchtigt haben. Sei mir dann nur wieder gut, denn ich gebe dir die heiligste Versicherung, daß ich dich darauf um gar nichts fragen und dich noch weniger je mit einem Blick oder Wort beleidigen werde.
02. Meines Landes Glaube und Sitten, für die ich nicht kann, sind von der Art, daß man die in ihrem Verstande etwas einfachen Menschen für Tiere hält. Ich habe hier eine solche Entdeckung an deinem Verstande zu machen geglaubt und hielt dich demnach auch für ein Tier. Ich aber habe mich nun dagegen überzeugt, daß du das bei weitem nicht bist, für was ich dich törichtermaßen hielt.
03. Ich bereute sogleich meinen Irrtum und wollte dir zu Füßen fallen. Aber da ich sah, wie du mit deinem Bruder sicher etwas Wichtiges zu reden hattest und ich dich nicht stören wollte, so wartete ich, bis du dich selbst von diesem Bruder würdest entfernen. Da nun aber der von mir sehnlichst erwünschte Moment eingetroffen ist, so tue ich nun, was ich lange schon hätte tun sollen: ich falle dir zu deinen himmlischen Füßen und bitte dich um eine gerechte Züchtigung und darauf um Vergebung aller meiner Schuld an dir, du herrlicher Großbürger aller Himmel!“ Mit diesen Worten fällt sie dem Martin zu den Füßen.
04. Martin aber, ganz gerührt von der anmutigsten Bittstellerin, spricht: „O du rein himmlische Chanchah, ich bitte dich, stehe nur gleich auf! Was fällt dir denn ein! Ich – dich – du Himmlische – züchtigen? Ich, der ich dich vor lauter Liebe gerade aufessen oder ganz in mein Leben hinein verdrücken möchte! Glaubst denn du, ich sei etwa auch so ein unbarmherziger Chinese? Oh, davor behüte mich ewig der große, heilige, wahrhaftigste Lama! Stehe nur schnell auf, denn so kann ich dich keine Minute lang sehen, du meine himmlische Chanchah!“
05. Chanchah steht nun schnell wieder auf und spricht: „O du lieber Freund, in deinem Lande müssen doch viel bessere Menschen sein als in dem großen Reiche, in dem ich zur Erde geboren ward. Denn siehe, bei uns geht es mit dem Vergeben einer angetanen Beleidigung eben nicht so leicht, wie du es mir so übergut gezeigt hast.
06. So man bei uns jemanden beleidigt hat, heißt es dann, sich vor ihm aufs Angesicht niederwerfen und den Beleidigten dadurch um die Vergebung der Beleidigung anflehen, daß man ihn zuerst um eine gerechte Züchtigung, ja bei schweren Beleidigungen sogar um den Tod bittet und darauf erst um die Nachlassung der Schuld. Denn sie sagen und glauben dort alle: Eine Beleidigung kann man nur durch eine körperliche Gegenbeleidigung vollkommen wieder gutmachen. Ist dadurch die Beleidigung ausgeglichen, dann erst kann der Beleidiger seinen beleidigten Züchtiger bitten, ihm auch im Herzen zu vergeben.
07. Siehe, also sieht es bei uns aus! Daher darf es dir auch nicht zu wunderlich vorkommen, so du an mir vielleicht noch so manches entdecken wirst, was mit deines Landes Sitten nicht im Einklang stehen wird. Denn bei uns sind die Gesetze sehr alt und unendlich streng. Wehe dem, der es da wagen würde, diese uralten Gesetze auch nur im geringsten mildernder auszulegen, indem das noch ganz unverändert dieselben Gesetze wären, die der Lama Selbst dem ersten Menschenpaare aus den Himmeln erteilt habe.
08. Aber weißt du, liebster Freund, bei euch hier sind die Gesetze sanft und liebevoll. Da brauche ich mich, nachdem ich wahrscheinlich ewig nichts mehr werde mit den Gesetzen meines Landes zu tun haben, auch sicher nimmer darnach zu halten haben. Ich werde mich daher nach euren Gesetzen richten und werde da sicher nie fehlen! Was meinst du in dieser Hinsicht?“
01. Spricht Bischof Martin: „O meine geliebte Chanchah, ich meine, da wirst du ganz recht haben. Nur muß ich dir hier offen bekennen, daß wir Bürger der Himmel eigentlich gar keine Gesetze haben, sondern völlig gesetzlos ein allerfreiestes Leben in Gott, unserm Herrn, dahinleben. In Gott, dem Herrn, dahinleben aber heißt – in aller Liebe leben ewig. Die Liebe macht alles frei und kennt außer sich selbst kein Gesetz. Daher haben wir hier auch kein Gesetz als allein das der Liebe, welches Gesetz aber kein Gesetz ist, sondern nur die ewige vollkommenste Freiheit aller Wesen. Verstehst du das?“
02. Spricht die Chanchah: „Ja, ich verstehe es und bin nun überfroh, daß ich solche gute Lehre verstehe. Wenn die Liebe – auch wo sie ganz geheim gehalten werden muß – ein liebendes Herz schon so über alle Maßen glücklich macht: wie glücklich müssen da erst jene sein, die unter dem alleinigen Szepter der Liebe stehen und kein anderes kennen. Ja, ja, die Liebe, die Liebe – wo die Gesetz ist, da freilich müssen alle Menschen unter solch einem Gesetze in aller Seligkeiten höchster sich befinden!
03. Was nützt einem Menschen aller Glanz der Sonne, so ihm ihre Wärme fehlt? Wozu alles Gold und Edelsteine, wenn in ihren Besitzern kalte, steinerne Herzen eisknisternd pulsen? O Freund, du hast mir nun etwas Heiliges gesagt. Ich beginne schon zu merken, was dein mir über alles teurer Freund damit hat andeuten wollen, als er zu mir sagte: ,Deine Liebe zu mir wird dir alles verraten!‘ Ja, ja, diese Liebe hat mir nun schon viel verraten und mein Herz sagt es mir, sie wird mir noch viel mehr verraten!
04. Ich liebe euch aber auch mit aller Glut der Mittagssonne, und ganz besonders jenen, der mir noch seinen Namen schuldig ist. Du mußt mir schon vergeben, daß ich jenen, deinen Freund und Bruder, viel lieber habe als dich. Ich weiß zwar nicht warum, da er im Grunde nicht schöner ist denn du und dein Bruder Borem und hat nicht einmal ein schöneres Kleid. Aber es liegt in seinem großen blauen Auge so etwas unbeschreiblich Anziehendes, und sein Mund hat so einen sonderbar götterartigen Zug und Ausdruck, daß man gerade in die größte Versuchung geführt wird, seine so endlos liebevolle Gestalt für das getreue Ebenbild Lamas zu halten!
05. Ja, ich sage dir, wenn ich so mein Herz frage in aller seiner Liebesglut zu diesem einen, so sagt es mir: ,O Chanchah, für mich ist das der große, heilige Lama! Wer sonst wohl könnte so himmlisch reden, wer sonst mit einem Worte einen Feigenbaum samt vollreifen Früchten erschaffen und ihn dann der Ihn über alles, alles, alles liebenden Chanchah zum lebendigsten Zeichen Seiner Liebe schenken? Wer sonst wohl auch könnte gar so liebe, herrliche Augen und einen gar so überhimmlisch schönen Mund haben – als allein mein geliebtester Herzens-Lama!‘
06. Weißt du, liebster Freund, so redet freilich nur mein Herz und nicht auch mein Verstand. Obschon mein Verstand wohl auch sehr gerne der schönsten Stimme des Herzens folgen möchte, so er sich nicht fürchten dürfte, eine Sünde zu begehen. Denn der Verstand ist da, wo das Herz den größten Anteil nimmt, eben kein zu strenger Richter und vergöttert gerne dasselbe, was des Herzens ist.
07. Ebenso ist es auch bei mir nun: mein Herz vergöttert jenen Herrlichsten, und der Verstand für sich täte nur zu gerne dasselbe, wenn er der einzige Verstand wäre und nicht noch eine Menge anderer Verstande um sich hätte.
08. Aber ich werde mir bald aus den andern Verstanden nichts mehr machen, sondern allein dem Verstande des Herzens folgen. Vielleicht werde ich da eher zum rechten Ziele gelangen denn so! Wenn es hier ohnehin kein anderes Gesetz als das der Liebe nur gibt, werde ich mit dem trocknen Verstande bald im reinen sein. Was sagst du, liebster Freund, zu dem allem?“
09. Spricht Bischof Martin: „Allerliebste Chanchah, da läßt sich vorderhand sehr wenig darauf sagen. Folge du nur deinem Herzen, da wirst du keinen zu krummen Weg einschlagen. Mit der Weile wird dann schon auch deinem Verstande ein rechtes Licht werden. Mehr kann ich dir nun wahrlich auf all deine schönsten Worte nicht sagen.“
01. Spricht Chanchah: „O liebster Freund, weißt du, ich habe dich wohl überaus lieb, kann dich aber um nicht viel weiteres fragen, da ich mir vorgenommen habe, dich fürderhin nicht so leicht wieder mit irgendeiner vielleicht zu wenig klug berechneten Frage zu belästigen. Aber dessenungeachtet mußt du mir hier folgende Bemerkung doch einmal wieder zugute halten:
02. Siehe, ich merke aus deiner Rede wie aus deiner Miene nur zu gut, daß du allzeit ganz absonderlich verlegen wirst, so oft ich mit dir in was immer für einer Beziehung von deinem himmlischen Freunde und Bruder mich zu besprechen anfange. Woher wohl mag solche Verlegenheit rühren?
03. Bist du etwa darum eifersüchtig, weil mein Herz jenen weit über dich hinaus bevorzugt? Oder bist du sein wahrer Freund und Bruder nicht so sehr, als du es vorgibst? Ärgert es dich etwa heimlich in deinem Herzen, so jener bis jetzt für mich noch namenlose Herrliche dich in jeglicher Art geistiger Vollendung unberechenbar weit übertrifft? Oder ist dir etwa seine männlich göttliche Schönheit im Wege? Magst du etwa seine Augen und seinen Mund nicht, die freilich den deinigen samt deinen Augen ebenso übertreffen, wie seine ganze erhabenste Wesenheit die deinige, obschon du bei weitem glänzender aussiehst als er?
04. Siehe, lieber Freund, diese Fragen sind für mich von besonders wichtiger Art. Ich sehne mich nach ihrer Beantwortung ebenso mächtig wie ein Wanderer in einer heißen Sandwüste nach einem Labetrunke frischen Wassers, so ihn ein brennender Durst quält. Daher, so du Liebe in deinem Herzen zu mir empfindest, zaudere ja nicht, mir diese wichtigen Fragepunkte treuherzig zu beantworten. Wirst du das nicht tun, so wird sich die Chanchah von dir wenden und dich nimmer nach etwas fragen!“
05. Bischof Martin macht über diese Fragepunkte schon wieder ein verdutztes Gesicht. Äußerlich macht er zwar eine Miene, als ob er nachdächte, wie er der holden Chanchah auf die höflichste Art ihre Fragen beantworten möchte. Innerlich aber wartet er ängstlich, ob Ich ihm nicht bald irgendeine, natürlich über alles vortreffliche Antwort ins Herz legen würde. Ich aber lasse den guten Martin auch diesmal aus wohlweisen Gründen ein wenig zappeln, wie ihr zu sagen pfleget.
06. Da auf diese Art Martin die holde Chanchah schon eine ziemliche Weile mit lauter vielversprechenden Gesichtern auf die erwünschte Beantwortung warten läßt, wird diese schon etwas unwillig. Sie fängt ihn zuerst mit ihren großen Augen vom Kopfe bis zum Fuße bedeutend zu messen an, was den Martin noch mehr geniert und ihn um eine rechte Antwort noch verlegener macht.
07. Die holde Chanchah läßt den guten Martin noch eine kleine Weile nachdenken, weil sie aus seinen weise scheinenden Mienen noch immer irgendeine Antwort erwartet. Aber da von der erwarteten Antwort trotz aller gewisserart vorbereitenden, weise scheinenden Gesichterschneidereien nichts zum Vorscheine kommt, bricht ihr endlich die Geduld. Sie spricht:
08. (Chanchah:) „Lieber Freund und Bruder, ich sehe, daß du mir entweder keine Antwort geben kannst, geben willst oder höchstwahrscheinlich gar nicht geben darfst! Kannst du mir keine Antwort geben, so bist du zu entschuldigen. Denn es wäre höchst unbillig, von jemandem mehr zu verlangen, als er geben kann. Du wirst mich wohl verstehen, was ich damit sagen will, vorausgesetzt, daß dir so viel Verständnis innewohnt!
09. Darfst du mir keine Antwort geben, bist du auch zu entschuldigen. Denn da ist auch klar, daß sich hier jemand befindet, der dir aus einer ihm innewohnenden Machtvollkommenheit genau vorschreibt, was du reden und nicht reden darfst. In diesem Falle wäre es dann auch von mir eine Tollheit, von dir über das Gesetz etwas zu verlangen; ich als eine Chinesin weiß wie nicht leichtlich jemand anderer, Gesetze zu respektieren.
10. Willst du mir aber keine Antwort geben, obschon du vielleicht solches tun dürftest und könntest, so bist du ein eifersüchtiger und sogar böswilliger Mensch. Und dein glänzend Gewand ist gleich dem Fell einer sanften Gazelle, innerhalb dessen sich aber dennoch eine reißende Hyäne birgt. In diesem Falle bist du durchaus nicht zu entschuldigen und verdienst nichts anderes als die vollste Verachtung meines Herzens.
11. Da du mir auf meine früheren wichtigen Fragen durchaus keine Antwort gegeben hast, beantworte mir doch wenigstens einen oder den andern dieser drei Fragepunkte, damit ich mich als ein Neuling in dieser Welt und zunächst in deinem Hause zu benehmen weiß! Aber ich bitte dich aus dem tiefsten Grunde meines Herzens: rede hier die Wahrheit und bleibe hier in keinem Falle die Antwort schuldig!“
12. Martin wird hier noch zehnmal verlegener als bei den früheren Fragen. Denn sagt er: ,Ich kann es nicht!‘ – so lügt er. Sagt er aber: ,Ich will es nicht!‘ – so lügt er auch und zieht sich noch obendarauf die Verachtung seiner vielgeliebten Chanchah zu. Sagt er aber: ,Ich darf es nicht!‘ – so setzt er sich augenscheinlich der weiteren Frage aus, wer ihm solches verboten habe und warum. Beide Fragen muß er dann notwendig beantworten, so er nicht beschämt vor der Chanchah notgedrungen Reißaus nehmen will.
13. Als unser Martin durch diese drei letzten Fragen der Chanchah in größte Verlegenheit gerät, komme Ich soeben von der Gesellschaft zur Chanchah zurück und übernehme Selbst die Beantwortung der obigen drei Fragen, und dadurch die Entschuldigung des über alles verlegen gewordenen treuherzigen Martin.
01. Als Ich zur Chanchah von ihren Landsleuten zurückkehre, will sie sogleich zu Mir. Sie beklagt sich über das Benehmen des Bischof Martin, und wie sie sich nun nimmer auskenne, wie sie mit ihm daran wäre.
02. Da sage Ich zu Ihr: „Höre, Meine liebe Chanchah, du setzt aber auch Meinem Bruder auf Brand und Leben zu! Bedenkst du nicht, welche geheimen Weisungen ihm sehr leicht zu deinem ewigen Besten die äußere Zunge binden könnten? Daher mußt du in Zukunft mit ihm, einem meiner edelsten Freunde, schon ein wenig schonender umgehen, sonst bringst du ihn ja in die größte Verlegenheit und machst seinem Herzen viel Kummer.
03. Siehe, was deine ersten allfälligen sechs Fragen betrifft, so ist in diesem Freunde und Bruder wirklich nichts von alledem anzutreffen, was du von ihm vermutet hast. Außer daß er aus einem sehr weisen Grunde notwendig ein wenig verlegen wird, sooft du mit ihm dich von Mir besprechen willst. Aber seine Verlegenheit hat einen ganz andern Grund als den, den du je vermuten möchtest. Somit kann er dir auch keine Antwort geben auf deine Fragen, da in ihnen der wahre Grund seiner Verlegenheit durchaus nicht zugrunde liegt.
04. Was aber deine drei letzten Fragen betrifft, so kann er sie dir darum nicht beantworten, weil du den eigentlichen Grund seiner Verlegenheit in deinen ersten Fragen nicht gefordert hast und auch nicht fordern konntest, da du ihn doch selbst nicht kennen konntest. Hätte er dir daher was immer für eine bejahende oder verneinende Antwort gegeben, so hätte er dir eine Unwahrheit sagen müssen. Das aber ist hier im Himmelreiche eine barste Unmöglichkeit, denn hier kann niemand eine Unwahrheit reden, so er sie auch reden wollte. Daher blieb Freund Martin, der dich sehr liebt, denn auch stumm und wollte sich von dir eher alles antun lassen, als dich, seine geliebte Chanchah nur mit einem Wörtchen zu belügen! War das nicht sehr löblich von ihm?“
05. Spricht die Chanchah, auch etwas verlegen: „Ach, du herrlichster Freund, wenn es so mit unserem Hausherrn sich verhält, dann freilich reut es mich unendlich, so ich die Ursache manches sicher nicht unbedeutenden Schmerzes seines Herzens war. Oh, wenn ich das nur wieder gutmachen könnte!
06. Ja, ja, es schmerzt mich ganz außerordentlich! Freilich kann ich wohl auch nicht für all das. Denn du, mein herrlichster, mächtigster Freund, siehst es ja auch, daß ich ein Fremdling bin und nicht weiß, was und wie man hier fragen darf. Da du mir aber nun den Wink gegeben hast, wie man hier fragen soll, werde ich mich in Zukunft schon darnach richten. Aber nur das sage mir, warum man denn hier eigentlich auf eine plump und unklug gestellte Frage, in der kein rechter Antwortgrund liegt, durchaus keine Antwort bekommen kann?“
07. Rede Ich: „Meine liebste Chanchah, siehe, das ist ganz einfach: Du gäbest Mir einen Sack, fest zugebunden, mit der Bitte: ,Freund, löse mir den Sack auf, und gib mir daraus tausend der schönsten Edelsteine!‘ Ich fragte dich aber dann: ,Weißt du wohl ganz gewiß, daß sich in diesem Sacke tausend Edelsteine befinden?‘ Du sprächest dann: ,Nein, das weiß ich nicht bestimmt, sondern vermute es nur!‘
08. Siehe, so Ich aber daneben ganz bestimmt wüßte, daß in dem Sack nicht nur keine Edelsteine, sondern ein verhärteter Unflut sich befindet, löste aber dennoch nach deinem Willen den Sack und gäbe dir seinen schmählichen Inhalt anstatt der tausend schönsten Edelsteine: – was wohl würdest du von Mir halten, so du es dann dennoch erführest, daß Ich – obschon wohlwissend, was der Sack enthalte – dich habe deiner Unwissenheit halber beschämen wollen? Würdest du dann nicht sagen: ,Freund, so du wußtest, was der Sack enthielt, warum löstest du ihn denn und sagtest mir nicht zuvor die Wahrheit?‘
09. Siehe, der gleiche Fall ist hier mit einer unsicheren Frage. Diese ist auch ein Sack, fest zugebunden, den dir Martin auflösen soll und herausgeben, was du verlangst. So aber das nicht darinnen ist, was du möchtest – sage, was soll er da tun? Soll er den Sack lösen oder nicht? Soll er die beschämen, die er so innigst liebt, die sein ganzes Herz nun in vollste Beschäftigung versetzt? Was meinst du, holdeste Chanchah?“
10. Spricht Chanchah: „Ach ja, ach ja, mein geliebtester Freund, wenn du redest, da freilich kommt mir alles ganz überaus klar vor, und ich sehe die hohe Wahrheit von all dem ein, was du sagst. Aber nicht so ist es, wenn Freund Martin redet! Je länger und je mehr er spricht, desto dunkler und unbegreiflicher wird mir dann alles, wovon immer er spricht. So bin ich dann ja genötigt, stets weiter und tiefer in ihn zu dringen durch allerlei Fragen, von denen er mir aber auch noch nicht eine bestimmt beantwortet hat.
11. Würde er mir eine Frage so ganz bestimmt beantwortet haben, hätte ich ihn dann sicher um nichts Weiteres gefragt. Oder hätte er es mir, wie du nun, wenigstens gezeigt, wie man hier fragen muß, um eine Antwort zu erhalten, ob man hier überhaupt fragen muß, um eine Antwort zu erhalten, oder ob man hier überhaupt fragen darf! Aber siehe, mein herrlichster Freund, von alldem war beim Martin keine Rede. Daher also magst du und Martin mich auch für entschuldigt halten, so ich mich mit meinen, dem guten Freund Martin sicher lästig gewordenen Fragen zu weit verirrt hatte.
12. Ach Freund, es ist hier aber auch sonderbar zu sein! Wo man das Auge nur immer hinwendet, sieht man nichts als Wunder über Wunder. Ach, und Wunder, von denen die Erde keine Ahnung hat! Wer sollte aber bei solchen Erscheinungen, die er nicht versteht, nicht die Eingeweihteren fragen, was das eine oder das andere bedeutet? Wer ist der, der solches tut? So hier der Himmel, wo ist Lama, der ihn gegründet hat? Sage mir, du mein über alles geliebter Freund, sind das nicht ganz natürliche und durch die wunderlichsten Umstände dieses Seins überaus zu entschuldigende Fragen?!“
01. Rede Ich: „Allerdings, Ich sage dir, Meine liebste Chanchah, diese und noch viele tausend andere Fragen sind sehr zu entschuldigen. Aber weißt du, es hat wie auf der Erde so auch hier alles seine Weile.
02. Siehe, auf der Erde sind die Kinder am naschhaftesten und auch am wißbegierigsten. Sie sind fast beständig hungrig, möchten alles bis auf den Grund wissen und fragen darum ihre Vertrauten auch in einem fort um allerlei Dinge. Meinst du wohl, daß es gut wäre, die Mägen dieser Kleinen zu überladen mit allerlei, darnach ihr sehr reizbarer Gaumen ein heftiges Verlangen verspürt? Und ihre Neugierde durch die steten Beantwortungen alles dessen, darnach sie fragen, zu befriedigen?
03. Siehe, weise Eltern legen da ihren Kindern einen rechten Zaum an und lenken sie so natürlich und sittlich auf einer rechten Bahn zum schönen Ziele der männlichen Entwicklung! Dumme Eltern hingegen, die ihren Kindern alles gewähren, was sie ihren Augen nur ansehen, machen aus ihnen Affen statt Menschen. Ihr zu strotzend genährtes Fleisch wird voll Sinnlichkeit und ihr Geist träge und endlich ganz stumpf für alles Hohe, Gute und Wahre, wie es dir auf der Erde besonders in deinem Lande tausendmal tausend Beispiele sicher nur zu klar gezeigt haben.
04. Wie aber auf der Erde, also ist es auch hier der Fall. Es wäre niemandem gut, sogleich alles zu genießen und zu erfahren, sondern erst nach und nach, wie es eines jeden Aufnahmefähigkeit erheischt. So geleitet, werden dann die hier jüngsten Kindlein stärker und stärker und können von Weile zu Weile mehr ertragen, bis sie zum Empfange des Allerhöchsten stark genug und tauglich werden.
05. Und ebenso wirst nun auch du samt allen, die du hier erschaust, erzogen von uns dreien. Daher füge dich nur ganz geduldig in alles, so wirst du leicht und bald alle deine Fragen dir selbst vollkommen beantworten können! Bist du nun zufrieden mit dem?“
01. Der Martin macht bei dieser Meiner Belehrung an die liebe Chinesin ein überaus fröhliches Gesicht und dankt mir über die Maßen in seinem Herzen.
02. Chanchah aber spricht: „O du herrlichster Freund meines Herzens, meines Lebens! Du hast ja freilich wohl nur zu recht in jeglichem Worte, das deinem Munde entstammt. Dennoch kann auch die Chanchah nichts dafür, daß sie eines so wißbegierigen Geistes Kind ist. Aber ich, deine arme Chanchah, werde von nun an mein Herz bezähmen und werde sein gleich einer Blume des Feldes, die durch Licht und Wärme der Sonne Lamas sich entfaltet und, durch die Tautropfen der Morgenliebe Lamas genährt, endlich auch ihre Fruchtgefäße mit reichen Samen des Lebens füllt.
03. Ach, der große, heilige Lama muß wohl endlos gut, weise und mächtig sein, da alles, was Er gemacht, so übergut und weise eingerichtet ist! Ach, ach, wenn ich nur einmal das endloseste Glück genießen dürfte, Ihn nur von fernhin zu erschauen auf wenige Augenblicke nur! O sage mir, du Herrlichster, werde ich dieses größten Glückes wohl je gewürdigt werden? Wenn es nur einmal geschähe – gleichviel wann –, so will ich mich für alle ewigen Zeitläufe vollkommen zufriedenstellen und will alles willig befolgen und tun, was ihr mir nur immer vorschreiben wollet. Aber nur dazu gebt mir eine gute und gerechte Hoffnung!“
04. Rede Ich: „O du liebes Kindchen du! Ich sehe es schon, daß dir dein Lama am meisten am Herzen liegt. Und das ist überaus löblich von dir. Aber du sagst auch Mir immer – und Ich erkenne es aus deinen Augen und Reden –, daß du Mich auch über die Maßen liebst. Nun möchte Ich denn doch von dir erfahren, ob du Mich oder deinen Lama mehr liebst! Frage darüber dein Herz und sage es Mir dann!“
05. Chanchah wird hier sehr verlegen und schlägt die Augen nieder. Ihr Herz aber entzündet sich stets mehr und mehr in der Liebe zu Mir, was sie nur zu mächtig fühlt. Daher kommt sie, die sonst nur zu Gesprächige, diesmal mit keiner Antwort zum Vorschein. Nach einer Weile frage Ich sie abermals, ob sie Mir solches nicht kundgeben könne. Da spricht sie, wie mit sehr beklommenem Gemüte:
06. (Chanchah:) „O du mein Augapfel, o du Feueraltar meines Herzens! Siehe, als ich auf der Erde noch zu Hause war an der Seite meiner Mutter und war ein Mädchen von etlichen 13 Sonnenjahren, da fragte ich die Mutter, wie man es denn ganz eigentlich anstellen solle, um den heiligen Lama über alles zu lieben.
07. Da sprach die recht weise Mutter: ,Höre, du meine geliebte Tochter: Pflanze im Garten zwei gleiche Blumen, eine gegen Morgen – diese weihe dem Lama – und die andere gegen Abend, und diese weihe den Menschen. Pflege beide gleich und sieh, wie sie wachsen und sich entfalten werden. Wird die Abendblume besser gedeihen als die Morgenblume, so wird das ein Zeichen sein, daß du die Welt mehr liebst als den heiligen Lama. Wirst du aber an den beiden Blumen das Gegenteil bemerken, da ist deine Liebe zum Lama stärker als die zu den Menschen.‘
08. Ich tat sogleich, was mir meine weise Mutter riet. Da ich aber fürchtete, die Blume Lamas möchte etwa vor der der Menschen zurückbleiben, pflegte ich sie heimlich doppelt mehr als die der Menschen. Aber siehe, trotz meines großen Eifers in der Pflege der Blume Lamas blieb sie dennoch zurück in der Entwicklung!
09. Ich sagte das alles der Mutter. Diese beruhigte mich durch ihre weise Lehre, indem sie sagte: ,Sieh, du mein liebstes Töchterchen; der Lama hat dir dadurch anzeigen wollen, daß du Ihn, der im ewig unzugänglichen Lichte wohnt, nur dadurch über alles lieben kannst, so du die Menschen wie dich selbst liebst. Denn wer die nicht liebt, die er doch sieht, wie kann er den Lama lieben, den er nicht sieht?‘
10. Darauf begoß ich dann die Abendblume öfter denn die Morgenblume, und siehe, da wucherte die Morgenblume gewaltig vor der Abendblume! –
11. Und geradeso verfahre ich nun! Du bist nun meine Abendblume, und mein Herz für Lama ist die Morgenblume. Dich begieße ich nach aller Kraft, da ich in dir den vollkommensten Menschengeist entdecke, und mein Herz wuchert ganz gewaltig – aber leider nicht mit Lama, sondern mit dir, mit dir!
12. Du bist ein wahrer Lama meines Herzens geworden! Was aber dazu der große Lama zu Seiner Zeit sagen wird, das wird Er auch am besten wissen! Ich muß dir dazu noch bekennen, daß mir darob sogar mein überaus zartfühlendes Gewissen gar keine Vorwürfe macht! Was sagst du Herrlichster nun aber dazu?“
13. Rede Ich: „Meine geliebte Chanchah, Ich habe eine Weile auf deine Mein Herz überaus erfreuende Antwort harren müssen. So mußt du nun auch ein bißchen warten auf eine recht schöne und gute Antwort. Aber da freue dich, was Ich dir erst für eine schönste Antwort geben werde; sie soll dir bald werden!“
01. Unterdessen aber wende Ich Mich zu Martin und Borem und sage zu ihnen geheim: „Freunde und Brüder, nun habt ihr Gehilfen und Gehilfinnen in Menge. Gehet daher hin, stellet den großen Tisch in des Saales Mitte und besetzet ihn wohl mit Brot und Wein. Nehmet auch vollreife Früchte von diesem Feigenbaume und leget sie zahlreich neben Brot und Wein auf den Tisch! Denn nachdem Ich zuvor mit Meiner allerliebsten Chanchah noch einige Worte wechseln werde, wollen wir nachher allesamt eine gute Labung, Stärkung und Nahrung zu uns nehmen! Geht und erfüllet diesen Meinen Wunsch und Willen!“
02. Die beiden danken Mir in ihrem Herzen für diesen Auftrag und gehen dann, die anbefohlene Sache sogleich in Ordnung zu bringen. Martin beruft sogleich die nun gereinigten Patres aus all den schon kundgegebenen Orden. Ebenso auch die Nonnen, die mit dem Auftragen der Speisen, d.h. des Brotes und Weines, und die Herz-Jesu-Damen, die besonders mit Herbeischaffung der Feigen beauftragt sind, während zuvor die Patres den großen Tisch, der hier auch ohne Schreiner entstand, nach Anordnung der beiden zurechtstellen.
03. Die hundert Chinesen sehen dieser Bewegung mit gespanntester Aufmerksamkeit zu, denn sie wissen noch nicht, was daraus werden soll. Besonders befremdet die plötzliche Herbeischaffung des großen Tisches, von dem früher nirgends eine Spur zu entdecken war. Denn die ebenso plötzliche Entstehung des Feigenbaumes wundert sie nicht mehr gar so mächtig, indem sie sich durch die längere Beschauung schon mehr und mehr daran gewöhnt haben.
04. Ebenso staunen auch die vielen irdischen Eltern, besonders jene der Herz-Jesu-Damen, über die plötzlich entstandene Tätigkeit in diesem Saale. Sie sind etwas ängstlich dabei, weil sie auch nicht fassen können, was da am Ende herauskommen wird. Denn sie können vor Volksmenge, die sich nun um den Tisch sehr geschäftig macht, nicht erschauen, wie dieser reichlichst mit Brot, Wein und Feigen besetzt wird.
05. Als der Tisch bestellt ist, begeben sich alle Diensttuer wieder auf ihre sanften Ruheplätze zurück. Martin und Borem in Begleitung der einen Herz-Jesu-Dame – d.h. derjenigen, die zuerst als Frosch sich ins Meer stürzte in ihrem Innern – kommen aber wieder zu Mir und zeigen Mir an, daß nun alles bereitet ist.
06. Ich aber sage: „Es ist alles gut. Gehet aber nun auch hinaus an den Zaun des Gartens und seht, ob niemand da sei, der noch an dieser Mahlzeit teilnehme! Gella (Herz-Jesu-Dame) aber bleibe unterdessen hier bei Mir und höre, was Ich nun Meiner liebsten Chanchah für schöne Dinge sagen werde. Also sei es, Meine Brüder!“
07. Die beiden gehen sogleich hinaus und erstaunen nicht wenig, als sie den Garten in der größten himmlischen Üppigkeit antreffen und dabei von einer so großen Ausdehnung, daß ihnen beinahe Hören und Sehen vergeht und Martin, sich über alles stark verwundernd, spricht:
08. (Bischof Martin:) „O Bruder, da werden wir hübsch weit herumzugehen haben, bis wir da alle diesen ungeheuren Garten umgebenden Zäune absteigen werden! Wahrlich, dieser Garten muß ja schon eine größere Ausdehnung haben denn ein größtes Königreich auf der Erde! O Herr, o Herr, das ist unendlich, das ist unbegreiflich; ja, so etwas kann wahrlich nur im Himmel vorkommen!
09. O Gott, o Gott, da sieh gegen Morgen hin, die Allee! Welch herrlichste Baumreihen! Und, Bruder, siehst du irgendein Ende dieser Allee? Ich erschaue keines, und von irgendeiner Einzäunung ist gar keine Spur zu entdecken! No, Bruder Borem, mit unserer gewöhnlichen Fußbewegung werden wir beide zu tun haben, nur einmal irgendwo an einen Zaun zu kommen. Und dann den ganzen Zaun abgehen – o Herr, das wird ein ganz löbliches Stückchen von einer Kommotion non plus ultra sein!
10. Aber das macht nichts; des Herrn Willen vollziehen ist ja allzeit die größte und seligste Lust und Freude, und so freue ich mich auch auf die Bereisung dieses Gartens! Aber Bergsteigen werden wir auch: dort gegen Mittag entdecke ich ja Berge von bedeutender Höhe. Und, o sapprament, da sieh gegen Abend und Mitternacht, das sind ja Gebirge, wie auf der Erde sich wohl noch nie jemand etwas Ähnliches hatte träumen lassen! Ah, ah, diese Spitzen, diese ungemein schönen Spitzen! Bruder, ist das alles noch innerhalb des Zaunes unseres Gartens?“
11. Spricht Borem: „Allerdings, denn der Garten erweitert sich ja wie unsere Liebe zum Herrn und zu unsern Brüdern und Schwestern. Aber weißt du, Bruder, im Verhältnis zur himmlischen Ausdehnung dieses unseres Herrn Gartens, den Er für uns so herrlich zubereitet hat, gibt es aber auch eine eigene Art himmlischer Bewegung, die da ist dreifach: erstens eine natürliche mit den Füßen so wie auf der Welt. Zweitens eine schwebende, d.i. die seelische, die da hat die Schnelligkeit der Winde. Und endlich drittens eine plötzliche, d.h. geistige, welche ist gleich einem Blitz und gleich dem Fluge eines Gedankens.
12. Diese dritte Art der Bewegung wird nur im äußersten Notfalle gebraucht. Daher wollen wir hier von dieser auch keinen Gebrauch machen, wohl aber von der Bewegung der zweiten Art, mit der wir hier schon auslangen werden. Das Mittel zu dieser Bewegung aber ist unser fester Wille. Daher dürfen wir bloß nur wollen in des Herrn Namen, und sogleich werden wir in dieser Himmelsluft uns ganz frei schwebend befinden. Wohin wir dann ziehen wollen, dahin auch wird es mit Windesschnelle vorwärtgehen. – Also wolle du nun, und es wird gehen!“
13. Martin will nun, was Borem ihm gezeigt hat, und sogleich schweben beide in der freiesten Himmelsluft und machen eine erste Bewegung gegen Morgen, worüber Martin eine solche Freude hat, daß er sich ordentlich nicht zu helfen weiß.
01. Ich aber öffne unterdessen Meinen Mund zu Chanchah und auch zu Gella und rede also: „Meine herzlichste, liebste Chanchah, du hast Mir ehedem ein gar herrliches Wort gegeben, das darum um so herrlicher war, weil du es aus der Tiefe deines Herzens genommen hast. Ich versprach, dir ein noch herrlicheres entgegenzubringen, und siehe, nun bin Ich zu diesem Zwecke da und will Mein Versprechen erfüllen. So höre Mich nun ganz geduldig an! Erwarte aber ja nicht irgendeine lange Rede; denn siehe, Ich rede allzeit nur kurz und pflege stets mit wenigen Worten vieles zu sagen.
02. Du gabst Mir ein Bild von der Pflege deiner Morgen- und Abendblume, und das war gar lieblich. Ich aber gebe dir dafür ein anderes Morgen- und Abendbild, und dieses besteht darin:
03. Siehe, gleich wie du deine Blumen, also pflanzte auch der große, gute Lama im endlosen Garten Seiner Liebe zwei Menschen: den einen gen Morgen für Sein Herz – und nachher auch den andern gen Abend für Seine Weisheit! Den ersten nährte Er mit aller Seiner Gottheit, auf daß er würde so herrlich wie Lama Selbst und Lama an ihm ein allerhöchstes Wohlgefallen hätte! Aber siehe, dieser erste wurde dadurch übermütig, wollte nicht gedeihen, sondern fiel vom Lama ab und verachtet Ihn bis jetzt noch über alle Maßen – obschon der Lama ihn noch stets mit offenen Armen und Herzen aufnehmen möchte!
04. Da dieser erste Mensch also nicht geraten wollte, stellte der große Lama bald darauf den zweiten gen Abend, d.h. in die Welt, und pflegte diesen nicht minder. Aber auch dieser verkümmerte eigenwillig. Da reute es den Lama, daß Er den Menschen erschaffen hatte; darum wollte Er auch wieder vernichten solch ein Werk, gleichwie ein Töpfer ein Geschirr, das ihm nicht geraten will.
05. Lama aber fragte da Seine Liebe, und diese stellte sich für die Mißratenen; Er Selbst ward Mensch, um dem Menschen ein rechtes Vorbild zu sein.
06. Die mißratenen Menschen aber ergriffen Ihn und töteten den Gottmenschen, obschon sie den Gott in Ihm nicht töten konnten. Nur wenige erkannten Ihn und nahmen Seine Lehre in ihr Herz. Zahllos viele aber, obschon sie von Ihm hören, glauben doch nicht und nehmen Seine Lehre nicht an, auf daß sie Seine Kinder würden und dann sein möchten wie ihr ewiger Vater!
07. Was meinst du wohl, was soll nun Lama solchen Menschen tun? Soll Er sie wohl noch länger dulden und ertragen?
08. Siehe, so groß ist Seine Liebe zu diesen Menschen, daß Er noch tausend Male stürbe für sie, so es möglich und gedeihlich wäre! Und doch wollen sie Ihn nicht mehr lieben denn die nichtige Welt, sondern vergessen Seiner lieber ganz und gar, um desto gewissenloser der Welt anhängen zu können. –
09. O Chanchah, sage, was wohl verdienen solche Menschen? Soll sich Lama wohl noch länger ihren hartnäckigen Trotz gefallen lassen oder soll Er sie verderben?“
10. Spricht Chanchah: „O Freund, du meine Liebe, das sind wohl recht böse Pflanzen Lamas und verdienten eine übergroße Strafe! Aber wenn Lama so übergut ist, könnte Er da wohl diese Pflanzen abmähen und preisgeben dem Feuer, wie Er es den Urvätern angedroht hatte? Ich meine, die Unendlichkeit, wie ich nun zu erkennen anfange, ist doch groß genug, um solch ein Unkraut in seiner Art aufzubewahren. Aber verderben möchte ich an der Stelle Lamas nichts, was einmal Leben hat! – Meinst du nicht auch so, mein allergeliebtester Freund?
11. Rede Ich: „Ja, ja, du Lieblichste, dieser Meinung bin Ich wohl und tue es auch so! Aber warte nun ein wenig: bald werden die beiden Brüder ganz sonderbare Gäste hereinbringen, und Ich werde sehen, was du zu diesen sagen wirst. Daher fasse dich; denn da wirst du etwas äußerst Seltsames ersehen und vernehmen!“
01. Nach einer kurzen Weile geht die Tür des Saales auf. Martin wie Borem haben jeglicher eine starke Kette in der Hand und ziehen, an diese zwei Ketten fest angeschlossen, ein über alle Beschreibung gräßlich aussehendes Ungeheuer herein. Ihm folgen noch eine Menge kleinerer Ungeheuer, die an Gräßlichkeit dem Hauptungeheuer nichts nachgeben.
02. Als Chanchah und Gella diese fürchterlichst aussehenden Gäste ersehen, prallen sie von zu großer Angst ergriffen jählings zurück. Chanchah schreit wie aus einer betäubenden Ohnmacht:
03. (Chanchah:) „O Lama, Lama, um Deines heiligsten Namens willen, was taten denn wir Armen Dir, daß Du uns nun so gräßlich von dem allerbösesten Ahriman und seinem ärgsten Gesindel willst verderben lassen?! O du, mein herrlichster Freund, so es dir irgend möglich ist, rette uns und dich und verderbe es womöglich! O schrecklich, schrecklich, was das doch für zornglühende gräßliche Gestalten sind!“
04. Rede Ich: „O Chanchah, fürchte dich nicht! Die Ungeheuer, die du hier siehst, sind in unserer Macht – und nimmer wir in der ihrigen! Solches ersiehst du ja leicht daraus, weil sie trotz ihrer freilich immensen Gräßlichkeit dennoch von den beiden Brüdern gebändigt werden.
05. Also fürchtet euch nicht, sondern gehet mit Mir den beiden entgegen und höret da, wie diese Bestien bei Meiner Annäherung ganz entsetzlich werden zu brüllen anfangen. Sehet, wie furchtbar sie sich winden und bäumen werden. Aber das alles erschrecke euch nicht! Denn Ich allein bin mächtig genug, zahllos viele solcher Ungeheuer mit einem Blicke völlig zu vernichten, so wie Ich ehedem diesen Feigenbaum in einem Augenblicke habe hier entstehen lassen. – Daher folget Mir nur mutigst! An Meiner Seite seid ihr für ewig sicher, denn keine Macht kann Mir Trotz bieten!“
06. Ich gehe nun Martin und Borem entgegen, da sie mit dem Ungeheuer sehr viel zu tun haben, um seiner Meister zu bleiben.
07. Martin spricht: „O Herr, das sind saubere Gäste; an diesen kannst Du eine ganz absonderliche Freude haben! Diese werden sich machen für dies Haus wie eine Faust aufs Auge! Es ist leider nichts anderes anzutreffen gewesen, daher nahmen wir mit, was wir fanden. Ich muß aber offen bekennen: wenn das nicht der leibhaftige Satan samt seinem schönen Anhang ist, so will ich aber schon alles sein und heißen, was Du nur immer willst!“
08. Rede Ich: „Sei nur ruhig, Ich habe das schon vorgesehen! Es muß so sein zu euer aller tiefsten Lehre und Ruhe. Wer das Allerhöchste erkennen will, der muß nicht in Unkenntnis des Alleruntersten verbleiben. Bringet Mir den Drachen näher!“
09. Die beiden ziehen an den beiden Ketten gewaltigst, aber es will nicht weitergehen.
10. Martin spricht daher: „Herr, es ist rein unmöglich, dieses Scheusal auch nur um ein Haar weiter vorwärts zu bringen!“
11. Rede Ich: „Also lasset es stehen; befestigt aber die Ketten an den Säulen dieses Saales, und lassen wir es da eine Zeitlang vergeblich toben! Wir aber gehen unterdessen an das vorbereitete Mahl, uns zu stärken für diesen Kampf.“
12. Spricht Martin: „Ach ja, auf diesen unseren Ausflug wird uns eine von Dir gesegnete Mahlzeit wahrlich nicht unvorteilhaft zustatten kommen! Es ist nur gut, daß diese bestialischen Gäste im Hintergrunde unseres Saales angefestigt sind, ansonsten ihr Anblick unserer Eßlust eben nicht zustatten käme. Auch die sie umgebende Luft duftet nicht wie Rosen des Paradieses, sondern wie Schwefel, Pech und Dreck untereinandergemengt. Gut, daß sie im Hintergrunde sind!“
13. Rede Ich: „Gut, gut, Mein Bruder, gehe nun voran und berufe sie zu diesem Mahle, das Ich für euch alle bereitet habe. Alle sollen daran gestärkt werden zum ewigen Leben ihres Geistes!“
14. Martin geht nun schnell vorwärts und beruft alle zur Tafel, wo Brot, Wein und eine große Menge der herrlichsten Feigen ihrer harren.
15. Alles erhebt sich auf den Ruf des Martin und geht gar bescheiden und gelassen zum großen Tische.
16. Als nun all die vielen Gäste dabei anwesend sind, richten alle ihre Augen auf Mich. Denn sie halten Mich – bis auf Martin und Borem – alle noch für einen Abgesandten Gottes und wissen noch nicht, daß Ich Selbst als der Herr Mich unter ihnen befinde. Daher meinen sie nun auch, Ich als ein Abgesandter des Herrn werde ihnen nun große und wichtige Dinge verkünden.
17. Aber Ich sage sonst nichts als: „Kindlein, esset und trinket alle, jeder nach seinem Bedürfnisse. Lange schon ist alles wohl gesegnet für alle, die Gott lieben und ihre Brüder und Schwestern gleich wie sich selbst!“
18. Auf diese Worte schreien alle: „Hochgelobet sei unser großer Gott im Vater, Sohne und Geiste; Ihm allein alle Ehre, alles Lob und aller Preis ewig!“
19. Darauf greifen alle nach dem Brot und Weine und die Chinesen nach den Feigen; einige aber versuchen auch das Brot und es schmeckt ihnen besser denn die Feigen.
20. Chanchah und Gella, die bei Mir stehen, aber wissen nicht, ob sie Brot und Wein oder pur Feigen genießen sollen.
21. Da sage Ich ihnen: „Meine Kinder, esset, was euch am besten schmeckt; alles wird euch stärken zum ewigen Leben!“ – Die zwei greifen nun auch nach dem Brote und Chanchah findet es unendlich wohlschmeckend. Nicht minder auch Gella, die jedoch die Bemerkung macht:
22. (Gella:) „Ich meinte, daß das Himmelsbrot so wie die Hostien schmecken würde?“
23. Ich aber sage ihr: „Gella, nun bist du im Himmel am Tische des Herrn und nicht auf der Erde am Tische Babels! Daher denke nun auch, was des Himmels, und nicht, was des irdischen Babels ist, dessen Herr sich dort im Hintergrunde befindet!“
24. Gella erschrickt über diese Worte und es kommt ihr vor, als ob Ich am Ende etwa Selbst der Herr wäre.
25. Ich aber vertröste und beruhige sie mit den Worten: „Gella, wenn es auch so wäre, was du nun in dir ahnst, so sei aber dennoch der andern willen ruhig und denke dir: Gott, dein wie aller Herr, ist kein unzugänglicher, sondern ein ewig Sich allertiefst herablassender, liebevollster Vater aller Seiner Kinder und ist unter ihnen wie ein am wenigsten glänzen wollender Bruder! – Verstehst du das, liebes Töchterlein?“
26. Spricht die Gella: „O mein, mein, Herr – mein Gott – mein Vater!“
27. Chanchah merkt das und fragt sogleich die Gella: „Ach Schwester, wem wohl galten deine bedeutungsvollsten Worte? Ist etwa gar irgendwo Lama unter uns?! O rede, daß ich hineile zu Ihm und dort vergehe vor Ehrfurcht und Liebe!“
28. Ich aber beruhige Chanchah sogleich damit, daß Ich ihr verheiße, auch sie werde den Lama bald erkennen und erschauen, und damit ist sie auch zufrieden.
01. Es werden aber auch einige andere stutzig über das Benehmen der Gella, wie zuletzt auch der Chanchah. Und einer fragt den andern, wer Ich etwa doch so ganz eigentlich wäre, da Ich, obschon Ich nicht der vorgebliche Hausherr wäre – was eigentlich doch nur der Martin sei –, dennoch täte, als wäre Ich der eigentliche Hausherr und Martin sowie Borem bloß nur Meine allerergebensten Diener.
02. Als Martin solche Frageregsamkeit unter vielen der anwesenden Gäste bemerkt, geht er sogleich hin und sagt zu ihnen: „Höret mich an, liebe Brüder und Schwestern! Wisset ihr denn nicht, wie das Wort Gottes lautet? Hat nicht der Herr Selbst also geredet und gesagt: ,Wer von euch der Erste sein will, der sei der Geringste unter euch und sei euer aller Knecht!‘? Meinet ihr denn etwa, hier im Himmel bestehe eine andere Ordnung als die, die der Herr Selbst auf der Erde gezeigt, gelehrt und geoffenbart hat?
03. O, ich sage es euch, hier ist erst eigentlich derjenige Platz, wo die auf der Welt vom Herrn Selbst gelehrte und geoffenbarte Ordnung von Punkt zu Punkt lebendigst erfüllt wird! Daher fraget euch nicht viel: ,Wer das? Warum so?‘, sondern esset und trinket nun nach euerm Bedürfnisse. Und dann danket allein Jesu, dem Herrn, dafür, alles andere werdet ihr schon zur rechten Weile erfahren!“
04. Sagen die Angeredeten: „Freund, was du nun uns gesagt hast, war wohl recht weise. Aber siehe, das wissen wir wohl – Gott sei Dank – auch! Daher hast du uns mit deiner Belehrung wahrlich keinen wesentlichen Dienst erwiesen. Auch wissen wir, daß wir hier von diesem gesegneten Mahle so viel verzehren dürfen, als es uns nur immer schmeckt. Daher hättest du, lieber Freund, dir auch die Mühe ersparen können, uns zum Weiteressen aufzufordern! Denn wir sind der Überzeugung, daß auch hier im Gottesreich ein jeder Geistmensch oder Menschengeist seinen eigenen Magen hat. Der weiß es sicher am besten, ob, wo und wie ihn der Schuh drückt, und wieviel er in sich aufnehmen kann. Du ersiehst daraus, daß du dir diese überflüssige Geschäftigkeit leicht hättest ersparen können!
05. Wohl wissen wir nun, daß im Reiche Gottes nur der Diener aller der Größte ist. Unter ,aller Diener und Knecht sein‘ aber verstehen wir im entgegengesetzten Falle zugleich das Allerhöchste, d.h. in der Liebe, in der Weisheit, wie auch in der Kraft. Denn wo zu wenig Liebe, ist auch zu geringe Tatlust, die doch eine hauptsächliche Eigenschaft des Allerdieners sein wird! Also muß zweitens der Allerdiener von höchster Weisheit erfüllt sein; denn mit so manchen Weisheitslücken wird es ihm mit der Allerdienerschaft auch schier nicht am besten vonstatten gehen. Und drittens sind wir alle der festen Überzeugung, daß der Allerdiener auch allerkräftigst und allmächtigst sein müsse, um ein Allerdiener sein zu können.
06. Freund, hältst du dich etwa im Ernste für solch einen letzten, geringsten Allerknecht, Allerdiener? Wahrlich, so bei dir das der Fall wäre, würden wir dich sehr bedauern. Wir sind darin alle nun eines Sinnes, nämlich: daß eine solche Allerdienerschaftsstelle nur ganz allein der Herr versehen kann! Was meinst du in dieser Hinsicht?“
07. Martin ist über diese Entgegnung wie vom Blitze getroffen. Er weiß nun nicht, was er den weisen Rednern erwidern solle und steht ganz verblüfft vor ihnen. Der eine aber sieht seine Verlegenheit und spricht zu ihm:
08. (Der eine Redner:) „Bruder, gehe du ganz ruhig und getrost an deinen früheren, sicher allerbesten Platz! Halte dich nur genau an Jenen, der uns allen nun sehr stark ein wahrster Allerdiener zu sein scheint, so wirst du nie in Verlegenheit kommen! Aber so du manchmal auf eigene Faust Rechnung machst, kann es dir noch oft so geschehen wie jener aberwitzigen Fliege, die auf dem Rücken des starken Pferdes, das einen großen Lastwagen zog, den Schweiß schlürfend – am Ende zu glauben anfing, daß sie den Wagen ziehe. Als aber dann das Pferd eine Rast nahm, mußte die Fliege mit großer Beschämung gewahr werden, wie gar nichts ihre vermeintliche große Kraft gegen die kolossale Kraft eines Pferdes ist. Daher kehre nur zu jenem Kräftigsten zurück: mit Ihm kannst du schon ziehen, aber ohne Ihn, Freundchen, tut's sich auf keinen Fall!“
09. Martin kehrt nun eiligst zu Mir wieder und spricht: „Aber Herr, die haben mich gewaschen, ganz gehorsamer Diener! Nein, so knapp hat mir noch nie jemand meinen Mund gestopft. Aber man kann ihnen nichts einwenden; sie haben leider recht!“
10. Rede Ich: „Da sieh den Borem an! Siehe, er tut nie etwas ohne Meinen Auftrag und rennt daher nirgends an. Du aber möchtest dich manchmal so ein bißchen hervortun, und da rennst du an! Ja, Mein lieber Martin, hier muß man die Gäste ganz anders behandeln als auf der Erde. Sonst stößt man leicht auf einen, den man belehren möchte, an dem man aber am Ende gewahr werden muß, daß man ihm nicht einmal die Schuhriemen lösen kann! Wie oft wirst du wohl noch anrennen müssen, bis du klug wirst?“
11. Spricht Martin: „O Herr, man sagt, ein Esel ginge nur einmal aufs Eis, dann hätte er genug. In mir müssen schon aller Esel Seelen vereinigt sein, von denen jede einmal den schlüpfrigen Versuch machen will – sonst müßte ich ja um Deines heiligsten Namens willen doch schon weiser geworden sein!“
12. Rede Ich: „Nun, es ist schon alles wieder gut. Gib nur fein acht, was Ich will, dann wirst du ewig nimmer anrennen! Nun aber labe dich nur wieder mit Brot und Wein, damit du recht stark wirst, jenen Gast mit Borem hierher zu ziehen!“
01. Nun spricht Chanchah ganz betroffen: „Ach du meine Liebe – werden alle diese Gäste den gar zu gräßlichen Anblick jenes Ungeheuers wohl ertragen? Und wird es uns wohl nichts Arges antun können? O Lama, Lama, das wird ein gräßlichstes Schauspiel werden! Siehe, wie es sich schon entsetzlich zu winden und bäumen beginnt! Ach Lama, welch ein grauenhaftester Anblick! Welche Wut, welch furchtbarer Grimm sprüht aus seinen gräßlichen Feueraugen! O du Freund, wenn dies Ungeheuer erst hier sein wird vor uns, wer wohl wird es wagen, es anzusehen?“
02. Rede Ich: „Sei nur ruhig: dieser Gast kann alle Gestalten annehmen, wie er sie gerade zu seinem vermeintlichen Vorteil zu brauchen wähnt. Aber wir werden ihm hier das Rauhe schon herunterarbeiten, wenigstens auf eine Weile! Daher fürchte dich nicht, es wird schon alles gut gehen.“
03. Spricht Chanchah: „O liebster Freund, o du meine Liebe, auf dich habe ich wohl – wie auf den Lama – mein größtes Vertrauen; aber auf Bruder Martin halte ich dennoch keine gar zu großen Stücke! Denn er tut so vorlaut. Wenn es jedoch dann an irgendeinen Ernst kommt, zieht er sich aber bald so zurück, als wäre er dem bei weitem nicht gewachsen, was er ausführen sollte oder wollte. Daher meine ich, er wird beim Hierherführen jenes schaurigsten Ungeheuers leicht wohl mehr Ungünstiges als Günstiges bewirken. Borem wohl, der ist ein Mann voll Weisheit und voll gerechter Kraft, auf den kann man schon bauen! Martin aber ist und bleibt ein Pehux (schußliger Mensch), der sich viel zutraut, aber dann nichts vermag, so es ernstlich darauf ankommt!“
04. Rede Ich: „Mein Liebchen, du hast freilich nicht ganz unrecht; aber er füllt dennoch seinen nunmaligen Platz vollkommen aus. In der großen Ordnung Lamas sind auch solche Wesen nötig, die ohne viel Nachdenken sich gleich über eine Sache hermachen, ob sie derselben gewachsen sind oder nicht. Das bewirkt, daß dann auch andere angeeifert werden, auch etwas zu tun, und oft viel klüger als derjenige, der ohne viel Überlegung den Anfang machte! Die gar zu Weisen sind nicht selten zu mückenfängerisch. Sie getrauen sich oft aus lauter Tiefsinn nicht, eine Sache anzugreifen, solange nicht alle ihre Weisheitsgründe für eine Sache ganz auf ein Haar passen. Und so müssen auch Martins sein, die weniger Weisheit, aber dafür einen großen Tateifer in sich tragen, der oft besser ist als zuviel Weisheit. Daher sei du wegen Martin nur ganz ruhig; er wird seine Sache schon recht machen, so er sie nach Meinem Auftrage angreift und vollzieht.“
05. Spricht Chanchah: „Ach ja, das sicher! Daß du hier der Weiseste bist, ist nur zu einleuchtend meinem Herzen. Aber daß ich noch immer nicht weiß, wer du ganz eigentlich bist, dies einzige ist mir nicht recht an dir! Sieh, du sagtest jüngst zu mir, als ich dich bloß nach dem Namen fragte, daß meine Liebe zu dir mir schon alles verraten werde. Aber wie unbegreiflich mächtig ich dich auch liebe, so kann ich's aber doch von nirgend erfahren und noch weniger aus mir selbst, wie du heißt und wer du eigentlich bist. O du mein über alles geliebter Freund, o sage mir doch deinen Namen!“
06. Rede Ich: „Liebste, holdeste Chanchah! Siehe, an dem alleinigen Namen liegt vorderhand ohnehin nichts, so du noch nicht erkennen kannst, was alles an den Namen gebunden ist. Wenn du aber auf alles, was Ich rede, recht gemerkt hättest, wärst du mit Mir schon so ziemlich im reinen! Gib aber von jetzt an auf alles acht, was und wie Ich reden werde, und wie die andern zu Mir und mit Mir reden werden, und was auf Mein Wort, wenn Ich etwas gebiete, sich alles gestalten wird, dann werden wir beide uns leicht und bald näher erkennen. Aber nun sei standhaft und unerschrocken. Denn Martin und Borem haben von Mir schon den Wink erhalten, das Ungeheuer hierher zu führen. Siehe, sie lösen dem Tobenden bereits die Ketten!“
07. Chanchah wird nun ganz stumm. Gella aber tritt mutig zu ihr und spricht: „Chanchah, wenn dir die endlose Kraft und Macht dieses Freundes wie mir bekannt wäre, würdest du dich an Seiner Seite wohl vor tausend solchen Ungeheuern weniger fürchten denn vor der kleinsten Mücke!“
08. Chanchah erschrickt förmlich und spricht hastig: „Schwester, was sprichst du! Ach, rede fort, rede von ihm, den ich so endlos liebe! Kennst du ihn? Kennst du diesen Herrlichsten – o so rede, rede schnell! Sollte etwa meine geheime Ahnung an ihm sich erwahren?! O Lama, dann ist Chanchah entweder das glücklichste Wesen der Himmel oder aber das unglücklichste der Unendlichkeit!
09. Denn siehe, ich bin eine gar große Sünderin vor Lama, da ich in meinem Lande einmal einen Verrat an seinen vorgeblichen Boten verübt habe, die dann alle übel um ihr Leben gekommen sind. Waren sie wirklich Lamas Boten, dann wehe mir, so meine große Ahnung sich hier erwahrt! Denn von dem auf ewig verstoßen zu sein, den man so unendlich liebt – o Schwester, kennst du noch eine größere Qual? Nur dann, so jene von mir Verratenen Frevler, Betrüger und somit keine Boten Lamas waren – was ich jedoch nicht entscheiden kann –, dann freilich würde mir des Allgerechtesten Antlitz sicher erträglicher sein! Daher rede, rede; doch, ach Schwester, rede nicht – denn zu unerträglich könnte mein Herz deine zu frühe Enthüllung durchbohren! Oh, laß mich noch eine Weile in süßer Ungewißheit schwelgen!“
10. Mit diesen Worten sinkt sie wie ohnmächtig zu Meinen Füßen. Ich aber stärke sie und richte sie vollends wieder auf.
01. Im selben Momente aber kommt eben derjenige Jesuit, den die Chanchah verriet, mit noch einigen seiner Kollegen, fällt vor Mir auf die Knie und spricht:
02. (Ein Jesuit:) „O Herr, o Vater, nun erst haben unsere Herzen Dich erkannt! O vergib uns unsere so lange Blindheit, die es nicht zuließ, Dich so zu erkennen, wie Du bist – so gut, so sanft, so mild, so endlos herablassend!“
03. Rede Ich: „Stehet auf, Kindlein, und machet nun kein Aufsehen; denn es gibt noch welche, die Mich noch nicht vollends erkennen dürfen ihrer Freiheit wegen. Ihr wisset, daß der Töpfer am besten weiß, wann es Zeit ist, den Topf von der Drehscheibe zu heben. Bleibt nun hier und bezeuget, was Übels jener Drache an euch getan hat, den Martin und Borem soeben hierher ziehen. Du, Chorel, aber zeige dich nun auch hier dieser Chanchah, die dich einst in China an den Kaiser verriet, und die nun hier ob ihrer übergroßen Liebe sich Mir zunächst befindet, aus welcher Nähe sie schwerlich die Ewigkeit verdrängen wird!“
04. Chorel befolgt sogleich Meinen Auftrag und stellt sich gar freundlich der Chanchah vor. Diese erkennt ihn sogleich und erschrickt vor ihrem vermeintlichen Ankläger.
05. Chorel aber fragt sie: „Chanchah, warum erschrickst du vor mir? Tatest du nicht, was dein Gewissen dir gebot? Ich selbst habe dich ja gelehrt, daß das nur Sünde sei, was ein Mensch tut wider die Stimme seines Gewissens; denn des Gewissens Stimme ist Gottes oder Lamas Stimme in uns. Du achtetest mich anfangs ja sehr hoch, da du in mir und meinen Gefährten wirkliche Boten Gottes ersahest. Später aber entdecktest du durch deinen weiblichen Scharfsinn an uns einen Hochverrat und brachtest es durch deine List am Ende dahin, daß wir dich in unser Vorhaben einweihten. So war es dann ja sogar deine Pflicht als eine Chinesin, mit allem Eifer unser böses Vorhaben anzuzeigen und dadurch viel Unheil von deinem Vaterlande abzuwenden.
06. Obschon wir dann schrecklich gezüchtigt wurden, bist du dennoch nicht im geringsten schuld daran, sondern allein wir selbst, darum wir den heiligen Zweck unserer Sendung in einen so schmählichen Unfug verkehrt haben! Denn wären wir, und besonders ich, dem Zweck unserer Sendung treu geblieben, würdest du wohl eine der eifrigsten Christinnen geworden sein, samt einer Menge deiner Stammesverwandten. Da wir aber nur zu bald – von den großen Schätzen deines Landes geblendet – unserem heiligen Zweck abhold wurden, verloren wir dann auch alles samt unserem wenig werten Leben.
07. Du ersiehst daraus gar leicht, daß wir alle unmöglich gegen dich eine Anklage haben können, sondern eher das Gegenteil zu befürchten hätten. Somit hast du, holdeste, treuherzigste Chanchah, vor uns wohl ewig nie den leisesten Grund zu erschrecken, da doch wir mit Grund vor dir nicht erschrecken, die du uns wohl anklagen könntest! Vergib uns aber, du Geliebte des Allerhöchsten, damit wir endlich frei von aller Schuld Dem nahen dürfen, dessen Namen unsere Zungen ewig nimmer wert sind auszusprechen!“
08. Chanchah ist über dies Bekenntnis Chorels innigst gerührt und spricht: „O liebe Freunde, hier in diesen Hallen gibt es keine Schuld mehr; und gäbe es eine, so tilgt sie für ewig meine Liebe zu Lama! Denn mein Herz sagt mir: ,Deine Liebe zum Lama – ist Lama Selbst in dir!‘ Freunde, diese heilige Liebe kennt keine Schuld, sondern überall nur liebe Brüder und Schwestern, und das auch dann, wenn diese noch in ihrem Irrtume wandeln! Meine Anklage gegen euch aber sei: daß ich euch alle liebe und achte wie mein eigenes Leben! Habt ihr dagegen etwas einzuwenden?“
09. Chorel und seine Kollegen weinen freudig über diese herrlichen Worte Chanchahs und Chanchah weint mit.
10. Ich aber wende Mich zur Chanchah und sage: „Du herrlichste Blume Meines Herzens, komm her und lasse dich umarmen! Wahrlich, solch eine Liebe ist überaus selten und kaum eine so rein!
11. O du Lieblichste, du bist nun endlos glücklich, da du Mich so sehr gewonnen hast. Aber auch Ich als dein Geliebter bin überglücklich, da Ich in dir, einer Heidin, eine Liebe gefunden, dergleichen in der Christenheit außer einer Magdalena und der Mutter Meines Fleisches kein drittes Beispiel aufzuweisen ist!
12. O Chanchah, Chanchah, du hast es weit gebracht, noch weißt du nicht, wie weit! Aber die jüngste Weile wird dich in eine Tiefe versetzen, von der du noch keine Ahnung hast! Deine Augen sollen noch eine kurze Weile gehalten sein, damit du dann desto seliger werden sollst. Daher gedulde dich noch eine kurze Weile! – Nun aber fasset euch alle; die beiden ziehen den Drachen hierher schon über die Mitte des Saales und werden sogleich mit ihm hier sein!“
01. Martin schreit schon von weitem: „Herr, hilf uns, hilf uns! Die Bestie tut uns sonst Übles an; mit aller Kraft können wir uns ihrer kaum mehr bemächtigen!“
02. Rede Ich: „Satan, gehorche deinem Herrn!“
03. Brüllt der Drache: „Dir gehorche ich nimmer! Keinen Herrn erkenne ich über mir!“
04. Rufe Ich: „Willst du Meinem Vaterworte nicht gehorchen, so wirst du wohl Meiner Allmacht keinen Trotz bieten können, was du schon so oft erfahren hast! Ich rufe dich daher noch einmal als Vater und Herr und sage: Hierher komme und rechtfertige dich!“
05. Brüllt der Drache: „Nein, nein, nein! Dir gehorche ich nimmer; denn ich allein bin der Herr der Unendlichkeit, und Du bist, was Du bist, nur durch mich!“
06. Rufe Ich: „Satan, trotze Gott, deinem ewigen Schöpfer, nicht länger, sonst erreicht dich hier dein ewig unerbittlichstes Gericht!“
07. Brüllt abermals der Drache: „Ich, Dein Herr, will Dir und Deinem elendsten Gerichte ewigen Trotz bieten! Schaffe mich von dieser Stelle, so Du es vermagst!“
08. Nun ergreife Ich ihn mit der Macht Meines Willens, schleudere ihn samt seinem Anhang vor Mich und halte ihn so, daß er daliegt wie tot!
09. Martin fragt ihn schnell, warum er (der Drache) jetzt nicht getrotzt habe.
10. Ich aber sage: „Lasset ihn nun, bis er zu sich kommt; da soll es sich zeigen, was er nun vorbringen wird!“
11. Spricht Martin: „O Herr, nur jetzt möchte ich meiner Zunge auf kurze Frist freien Lauf lassen, um diesem über alle menschlichen Begriffe dümmsten Wesen einige wohlgenährte Wahrheiten hinters Ohr zu schleudern! Wie ich nun auf diesen ungeheuren dümmsten Trotzbold erpicht bin, kann ich gar nicht aussprechen! Vor seiner höchst lächerlichen, greulich dümmsten Gestalt scheue ich mich schon ganz und gar nicht, sondern ich muß darüber nur – freilich ärgerlich – lachen!“
12. Rede Ich: „Wenn du schon eine gar so große Passion hast, es mit Meinem Erzfeinde aufzunehmen, so versuche immerhin dein Glück; aber sieh zu, daß du nicht den kürzern ziehen wirst! Es soll ihm zu dem Behufe bloß die Zunge freigelassen sein. Denn würde Ich ihn ganz frei lassen, da würde er mit dir wie ein Löwe mit einer Mücke spielen! Ja, Ich sage dir, ohne Mich würde seiner Kraft, die er noch hat, wohl die ganze Schöpfung keinen Trotz bieten können! Aber bloß mit seiner Zunge, die nun gelöst ist, kannst du es schon ohne Schaden versuchen, ob du ihrer Meister wirst. Somit fange nur an, deine scharfen Wortpfeile hinter seine Ohren zu treiben!“
13. Martin tritt nun ganz mutig und knapp vor den Rachen des Drachen und fängt an, folgende Beißfragen an ihn zu richten: „Höre, du allerdümmstes Vieh der ganzen Unendlichkeit! Was willst du von Gott mit deinem alten, allerlächerlichsten Trotze denn erstreben? Sind einige Ewigkeiten noch nicht hinreichend, dir zu zeigen, daß du das allerdümmste Luder der ganzen Unendlichkeit bist?! Siehe, von einem Esel sagt man doch, daß er nur einmal aufs Eis tanzen gehe. Was soll man aber von dir sagen, du uraltes, alle Welten, Vieh und Menschen betrügendes Mistvieh! Ist dein Saugehirn denn noch nicht genug ausgebacken worden im Höllenfeuer durch einige Dutzend Dezillionen Jahre oder Ewigkeiten – vorausgesetzt, daß deine unendliche Dummheit von einer Dezillion einen Begriff hat? Gib Antwort, dümmstes Luder, wenn du eine Antwort geben kannst!“
14. Spricht der Drache: „Höre, du naseweiser Blindkopf! Ein Löwe ist kein Mückenfänger. Und ich als ein urgesetzter Geist bin wahrlich in meinem größten Elende zu großherzig, mich mit einem Nomadengeiste abzugeben! Dir vergebe ich aber schon darum gerne, da du auf der Erde ja ein guter Arbeiter für mein Reich warst. Also nichts für ungut, mein lieber Martin!“
15. Diese Erwiderung bringt den Martin ganz außer sich. Kaum hat er noch Fassung genug, solch eine Geringschätzung seiner Person zu ertragen und die schließliche Anklage anzuhören. Er holt daher sehr tief Atem und spricht:
16. (Martin:) „O du elendster Bösewicht, wie kannst du es wagen, mich, einen Bürger des Himmels, hier in der vollsten Gegenwart Gottes so schändlichst zu erniedrigen! Weißt du nicht, wie es geschrieben steht? Siehe, also steht es: ,Wehe dem, der sich vergreifen wird an einem Meiner Gesalbten!‘ Ich, als ein Bürger der Himmel Gottes, werde etwa auch ein Gesalbter des Herrn sein? Meinst du wohl, der Herr wird dir solch einen Frevel ungerächt lassen, Elendster?!“
17. Spricht der Drache: „Höre du, Martin: Ich, den du allzeit den Fürsten der Lüge gescholten hast, solange du auf der Erde lediglich in meinem Solde standest und arbeitetest, habe dir in aller Gelassenheit nur die nackte Wahrheit auf deine wahrhaft bübische Beschimpfung meines elendsten Wesens erwidert. Und siehe, du als ein von Gott gesalbter Himmelsbürger fährst auf ärger denn ein entzündetes Pulverfaß auf der Erde und warnst mich unter Androhung göttlicher Rache, dein gesalbtes Haupt nicht anzutasten!
18. Sage mir aber, woher du das Recht hast, mich so zu beschimpfen vor Gott?! Bin ich nicht wie du aus Gott, nur mit dem Unterschied, daß ich ein unendlicher Teil aus Gott bin! Du aber ein Staub des Staubes am Staube aus mir nur, vom Herrn wieder aufgeklaubt aus der Spreu vollster Nichtigkeit und umgewandelt zu einem winzigsten Menschengeiste!
19. Hast du aber irgendeine Achtung vor Gott, so achte alles, was aus Ihm ist und nicht allein dein gesalbtes Haupt, an dem dir mehr als am Herrn zu liegen scheint! Oder hast du mit deinem gesalbten Haupte jene endlosen Urtiefen der Gottheit so auf ein Haar ausgemessen, daß du dann mit ewigem Weisheitsgrunde mir entgegentreten könntest und sagen: ,Warum bist du so, wie du nicht sein sollst?‘
20. Kannst du mir beweisen, daß ich nicht so bin, wie ich aus dir ewig unerforschlichen Schöpfungsgründen sein muß, auf daß du das Bißchen sein kannst, was du bist? Oder gibt es wohl einen Töpfer, der ohne Drehscheibe einen Topf macht? Was aber die Drehscheibe dem Töpfer ist, das ist alle Welt dem Schöpfer. Ich aber bin die Materie aller Welt, somit auch die Basis. Ich bin also der gefestete Gegensatz, durch den alles spezielle Werden und Sein erst bedingt werden muß, um als solches sich in der Unendlichkeit manifestieren zu können!
21. Du kannst daraus mit deinem gesalbten Haupte entnehmen, daß ich in der großen Ordnung Gottes sicher auch notwendig bin. Und daß Gott durch meine Urgestaltung sicher keine Unweisheit zum Grunde alles Seins und Werdens gesetzt hat. Sage, daß es also ist – so du das einsiehst und Gott die vollste Achtung geben willst! Wie siehst du denn mit deinem gesalbten Haupte nicht ein, daß du, so du Gottes Werke lästerst, auch notwendig Gott Selbst lästerst und Ihn – freilich in deiner verzeihlichen großen Dummheit – einen barsten Pfuscher nennst?!
22. Daher, mein lieber Martin, sei du ruhig! Denn es werden wohl viele Ewigkeiten verrinnen, bis du nur den dezillionsten Teil eines Atoms jener unendlichen, tiefsten Verhältnisse zwischen mir und Gott fassen wirst! Übrigens: muß es dir als einem gesalbten Friedensbürger der Himmel Gottes nicht sonderbar vorkommen, von mir, Satan, Sanftmut zu lernen?
23. Martin, so du mir etwa doch etwas zu sagen hast, so rede! Aber rede wie ein Weiser und nicht wie ein dümmster, ausgelassener Gassenjunge auf der Welt. Bedenke, daß du hier vor Gott und Seinem größten urgeschaffenen Geiste stehst, an dem dir höchstens nur seine Gestalt und sein dir ewig nie begreifbarer Trotz deiner Dummheit halber ärgerlich auffallen!“
24. Martin stutzt nun ganz gewaltig und weiß nicht, was er sagen soll. Er sieht bald Mich, bald wieder den Drachen an und fragt Mich geheim: „Herr, was ist das? Was soll ich darauf dem Drachen erwidern? Er scheint mir unbegreiflichermaßen in aller Tiefe der Tiefen am Ende auch noch recht zu haben!?
25. Der Teufel – und recht haben, das paßt aber ja doch wie eine Faust aufs Auge! Aber was soll ich da sagen, wenn der Teufel am Ende doch noch recht hat?! Nein, wenn das nicht verfl - - hätte bald gesagt – ist, so will ich doch alles heißen! Der – Teufel und recht haben!“
26. Rede Ich: „Du hast dich ja mit ihm in einen Wortkampf einlassen wollen, also kämpfe nur noch weiter; denn vom Teufel darfst du dich nicht besiegen lassen! Daher suche ihn nun zu bekämpfen nach deiner Lust. Rede sonach weiter mit ihm und widerlege ihm, was er dir gesagt hat!“
27. Spricht Martin: „Oh, das wird eine schöne Widerlegung werden! O je, o je! Ich – und der?!“
01. Nach einer Weile wendet sich Martin doch wieder zum Drachen und spricht: „Höre, du unverbesserlicher Verderber alles Lebens, du Unwesen, du alter Held der Geistesnacht und unbarmherzigster Todbringer aller armen Seelen! Du redest wohl wie ein Grundweiser. Aber dein Wille ist es nicht, der dir so zu reden gebietet, sondern deine nun tief empfundene Ohnmacht nur, in der du dich durch die unendliche Macht des Herrn durch und durch ergriffen befindest! Wärest du frei – tausend Leben setze ich da auf eins! –, da würdest du eine ganz andere Rede führen!
02. Wohl weiß ich, daß du als ein erster, größter Geist voll Licht und Klarheit aus Gott hervorgegangen bist. Deine Macht war eine, die alle Räume durchdrang, und dein Licht strahlte wie ein Gottesauge! Aber ich weiß auch, daß dich Gott nicht für den Fall, in dem du nun schon einige Ewigkeiten hartnäckig verharrst, sondern nur für die allerhöchste Auferstehung des freiesten und seligsten Lebens aus Sich hervorrief!
03. Sage – warum stehst du denn nicht auf solcher Stufe, auf der du nach dem Willen Gottes stehen solltest? Warum bist du fortwährend der allerschroffste Gegensatz des Gotteswillens? Warum willst du lieber in der gräßlichsten Qual für ewig verharren, als zum Herrn, deinem Gott und Vater, dich wenden, und als solch ein zurückgekehrter verlorener Sohn ein endloses Unmaß der ewigen Vaterliebe genießen in aller Freiheit und höchsten Machtvollkommenheit! Rede, wenn du dazu Weisheit in Genüge besitzest!“
04. Spricht der Drache: „Sieh, Martin, diese Fragrede ist schon bei weitem vernünftiger als deine früheren und macht deinem Geiste Ehre. Da kommen wirklich Dinge vor, die einer besseren Antwort wert sind! Aber weißt du, bevor ich jemandem solche Punkte aus aller Tiefe der Tiefen beantworte, fühle ich zuvor jedermann auf den Zahn, ob er wohl auch fähig ist, das zu fassen, was ich ihm zur Antwort bringe!
05. Ich bitte darum den Herrn – so Er's will, daß ich dir darauf antworten soll –, mir nur auf eine kurze Weile volle Freiheit zu gewähren. Und zwar unter der heiligen Garantie, daß ich weder dir noch jemand anderem auch nur ein Haar krümmen wolle! Wirst du meine Probe bestehen, so will ich dir alle deine Fragen beantworten. Wenn nicht, so wird das ein Zeichen sein, daß du für zu tiefe Weisheit noch lange nicht reif bist. Schließlich füge ich auch noch bei, daß ich dir nur dann auf den Zahn fühlen werde, so du auf die Beantwortung deiner Fragen dringst und es so willst! Nun entschließe dich!“
06. Martin wendet sich wieder an Mich und fragt Mich, was er tun solle.
07. Rede Ich: „Wer ein Werk beginnt, der muß es auch vollenden; das ist allen wahren Lebens erste Ordnungsregel. Daher mußt du schon tun, was dein Gegner dir als Bedingung setzt. Aber Ich sage dir, sei fest! Denn dieser Geist ist ein höchst schlauer Geist, und seine Prüfungen sind überfein gelegte Fallstricke!“
08. Darauf Mich zum Drachen wendend, sage Ich: „Du bist frei auf wenige Augenblicke; mißbrauche diese Gnade nicht!“
09. In diesem Augenblicke verschwindet der schauderhafteste Drachenpanzer. Aus dem Panzerstaube erhebt sich eine so unendlich schöne weibliche Gestalt, gegen die alle weiblichen Schönheiten der Sonne endlos weit zurückweichen müssen! Eine Weichheit, die nichts Ähnliches aufzuweisen hat, eine Rundung, ein Adel in allen Gliedern und Gelenken, eine unfaßbare Zartheit und Weiße der Haut, wie der endlose Raum kein zweites Beispiel mehr hat. Auf dem unendlich schönen Leibe sitzt ein Haupt, dessen majestätische Schönheit jede Vorstellungskraft tief zurückläßt!
10. Als Martin diese Gestalt vor sich ersieht, diese für ihn nie geahnte Schönheit, die ihn dazu noch überfreundlichen Blickes mit unendlich zarter, wohlklingendster Stimme fragt:
11. (Satana:) „Nun, lieber Martin, so du es willst, will ich dir deine Fragen beantworten. Aber sage mir nur zuvor, ob du mich wohl lieben könntest, so ich dich lieben möchte mehr denn mein Leben! Könntest du mich lieben und durch solche deine Liebe mich erretten von meiner dir wohlbekannten endlos großen Qual? O Martin, rede, rede!“
12. Da ist Martin ganz weg. Er kann vor Staunen über Staunen zu gar keinem Atem kommen. Die ungeheueren Reize dieses Wesens wirken so auf ihn ein, daß er geradezu in ein förmliches Fiebern gerät! Vom Reden- oder Sprechenkönnen ist vorderhand bei ihm nun keine Rede mehr. Er stammelt bloß einige verworrene Laute und reißt Mund und Augen nur stets weiter auf. Jede Fiber seines Wesens wird zur glühendsten Liebe zu dieser für ihn zu unerträglichen weiblichen Schönheit.
13. Nach einer langen Weile dieses seines Stets-glühender-Werdens schreit er (Martin) endlich aus allen Kräften: „O Himmel, Himmel, Himmel aller Himmel! Wer kann dich sehen und nicht lieben?! Ich liebe, liebe, liebe dich unendlich! Wenn du unglücklich bist, du schönstes, reizendstes Wesen aller Wesen, wenn du leiden mußt: wer kann wohl glücklich sein, so er dich gesehen und weiß, daß du leidest?!
14. Wenn ich dich nicht retten kann, oh, dann will ich lieber ewig mit dir leiden, als aller Himmel Seligster sein ohne dich! Für dich möchte ich Unendliches bieten, so ich's hätte! Tausend Leben gäbe ich für ein Atom deines Wesens! O du endlos herrlichstes Wesen! – O rede, rede, was soll ich tun, um dich zu retten, – ewig für mich zu gewinnen?!“
15. Spricht der verwandelte Drache: „O du herrlichster Martin, so du mich liebst, wie du hier beteuerst, so gib mir hier einen feurigsten Kuß! Dieser Kuß wird mich auf ewig retten und zur süßesten Gefährtin deines ewigen Lebens machen!“
16. Spricht Martin, voll von höchster Entzückung: „O du Himmel der Himmel! Nicht nur einen, sondern eine Trillion Küsse sollst du haben!“
17. Schnell will er seine Aufgabe lösen und springt förmlich hin. Aber welch ein Gesicht macht er, als ihn dies Wesen mit verächtlichster Miene zurückstößt und ruft:
18. (Satana:) „Zurück, elender Geilbock, du hast deine Probe schlecht bestanden und bist fürder keiner Antwort von mir wert! Nichtswürdiger, wie konntest du Gott vergessen und dich mir in die Arme werfen – mir, dem Feinde alles Lebens, das nicht dem meinen gleicht! O du schwache Kreatur, du Auswurf aller Häßlichkeit!
19. Martin sinkt ohnmächtig zurück und der Drache nimmt wieder seine frühere Gestalt an.
01. Borem tritt zu Martin hin, erhebt ihn und spricht: „Lieber Bruder, siehe, du bist zu eifrig! Laß in der Zukunft nur den Herrn handeln! Wir aber wollen nur das tun, was uns der Herr anbefiehlt, da werden wir allzeit am allerbesten drauskommen.
02. Mit solchen Wesen es aufzunehmen, wie dieses da, gehört sehr viel mehr dazu, als wir jetzt zu fassen imstande sind! Mit diesem Wesen aber kann gar kein Engel es aufnehmen für sich, sondern allein mit der knappsten Hilfe des Herrn. Denn diesem Urdrachen stehen ja tausend und abertausend der feinsten Trugmittel aus ihm selbst zu Gebote, durch die er alle Himmel berücken könnte, so es ihm vom Herrn zugelassen würde! Wenn aber schon alle Bürger der Himmel vor ihm ohne die Dazwischenkunft des Herrn durchaus nicht sicher wären, was wollten dann wir zwei als kaum Neulinge dieses Reiches gegen ihn ausrichten!
03. Siehe, als Michael, aller Himmel mächtigster Engel, mit diesem Drachen um den Leib Mosis rang, ward er überwunden. Und er konnte als Besiegter nichts tun, als das Gericht des Herrn über dies allerböseste Wesen rufen, das allein imstande war, diesem Drachen die Beute zu nehmen!
04. Wenn aber schon ein Michael gewisserart den kürzeren ziehen mußte, was sollen dann wir beide mit ihm ausrichten? Daher sei in alle Zukunft überaus vorsichtig bei irgendeinem, vom Herrn bestimmten nötigen Zusammenstoß mit solchen Wesen; denn ihr Wesen ist eitel Grundböses und Falsches!
05. Nun erhebe dich nur wieder und danke dem Herrn, der ganz allein dich nun von einem großen Übel befreit hat! Denn wenn es auf Satan angekommen wäre, so hätte er von dir den Kuß auf jeden Fall angenommen. Aber dadurch hätte er dann auch all deine himmlische Liebe in seine höllische verkehrt und hätte dich durch seine weibliche Gestalt, die er vor dir nicht leicht wieder abgelegt hätte, mit mehr als eheren Banden an sich gekettet.
06. Aber im Augenblicke, als du ihn küssen wolltest, ward er vom Herrn in seine eigentümliche böseste Natur zurückgerichtet. Sein unendlicher Hochmut tauchte auf, und du warst von ihm elendst zurückgestoßen, worauf er dann sogleich seine Drachengestalt annehmen mußte. Der Herr also hat dich gerettet! Daher erhebe dich nun sogleich und danke dem Herrn für die Rettung deines ganzen schwachen Wesens!“
07. Martin erhebt sich auf diese gute Mahnung des Borem sehr schnell und stürzt zu Mir hin. Er bittet Mich um Vergebung seiner Tollheit und dankt Mir allerinbrünstigst für die ihm erteilte Rettung und Mahnung durch den Mund Borems.
08. Ich aber sage zu ihm: „Martin, wie lange werde Ich dich noch in deiner nur zu oft wiederkehrenden Tollheit ertragen müssen? Wann wirst du denn einmal anfangen, deinen oft gemachten besten Vorsätzen vollends gemäß zu handeln? Wie viele Merkstölpel wirst du wohl noch empfangen müssen, um weise zu werden für bleibend? O du verkehrte Art – wieviel Geduld doch braucht es, um dich auf den rechten Weg zu bringen!
09. Erhebe dich nun; aber sei endlich einmal klüger! Es ist genug, so du durch irgendeine Wirklichkeit nur zu geschwinde dich hinreißen läßt. Aber sich auch von einem eitlen Truge bis auf die letzte Lebensfiber besiegen lassen – sage, wieviel Schwäche gehört dazu!“
10. Martin schluchzt vor Reue und bittet Mich unausgesetzt um Vergebung.
11. Ich aber beuge Mich alsbald nieder, erhebe ihn und sage: „Siehe, nun stehst du wieder vor Mir frei, da Ich dich aufgerichtet habe; aber wie lange wirst du wohl dich so aufrechterhalten?!
12. Siehe, jeder rechte Himmelsbürger muß endlich unbedingt aus sich selbst vollkommen frei sein und darf nicht fallen, wenn er einen noch so schlüpfrigen Weg auf eine Weile zu betreten hätte! Was wird aber mit dir sein, so Ich dich vollends frei lassen würde? Wirst du wohl das Gleichgewicht erhalten und nicht fallen, so du irgend allein einen schlüpfrigen Weg wandeln solltest?“
13. Spricht Martin ganz zerknirscht: „O Herr, laß nur Du mich nimmer aus. O laß mich nimmer völlig frei, sonst bin ich verloren! Oh, ich verlange ewig von einer absoluten Freiheit nichts! Wenn ich nur der Allerletzte bei Dir sein darf, bin ich ja für alle Ewigkeiten völlig zufrieden! Also gib auch dieses Haus dem lieben Bruder Borem, denn ich tauge durchaus nicht für solch einen zu überherrlichen Besitz!“
14. Rede Ich: „Sei nur ruhig, und halte dich in deinem Herzen fest an Mich, so wird alles gut gehen. Aber diesen Besitz kann Ich dir nicht abnehmen und dem Borem überantworten. Denn dir solchen Besitz nehmen, hieße dein Leben nehmen und es einem andern geben. Denn hier kann niemand etwas anderes besitzen als das nur, was aus ihm hervorgeht. Solcher lebendige Besitz aber muß bleiben wie der Besitzer selbst, weil hier Besitzer und Besitz unzertrennlich sind.
15. Aber nur mußt du dich in solchem Besitze nie als ein Herr dünken, so wird dein Besitz immer herrlicher und herrlicher werden! Jeder Himmelsbürger ist wohl ein freiester Besitzer der Werke seines Geistes, seiner Liebe zu Mir; aber der alleinige Herr über jeden Besitz wie über jeden Geist bin nur Ich!
16. Nun weißt du, wie hier die Sachen stehen. Stehe daher aber auch du von nun an fest in Meiner alleinigen Liebe, so wird dich dein himmlischer Besitz nimmer genieren!
17. Sorge dich auch nicht um Borem, denn er hat für sich schon alles zur höchsten Genüge. Und wenn du vollends reif sein wirst, dann wird er dich schon auch in seinen Besitz einführen. Gehe aber nun hin zu Borem und tue, was er tut! Ich aber werde nun mit diesem Gaste ein paar Wörtlein sprechen.“
18. Martin tut wie ihm geraten.
01. Ich aber wende Mich an den Drachen und Meine Worte lauten: „Satan, wie lange noch willst du Gott, deinen ewigen Herrn, versuchen? Wie lange noch wird dein unbegrenzter Hochmut währen? Was willst du erreichen Meiner unendlichen Macht gegenüber, die dich allzeit völlig auflösen und vernichten kann! Und will sie schon das nicht, so kann sie dich doch ewig auf das allerschärfste züchtigen!
02. Du weißt, daß diese Zeit deine allerletzte ist; in dieser kannst du noch erstehen – oder fallen auf ewig! Was willst du tun?! Dir ist Mein Wille nur zu bekannt, und wäre er das nicht, da hättest du keine Sünde ewig. Da dir aber Mein Wille bekannt ist und der Lohn wie auch die Strafe, so rede: Was wirst du tun?
03. Siehe, nun erhebt sich alles wider dich! Alle Berge werden erniedrigt und die Täler ausgefüllt. Alle Kronen und Throne der Erde, die du errichtet, werden in den Pfuhl geschleudert werden! Was wirst du tun? Meiner Macht wirst du ewig nimmer Trotz bieten können; es wird dir nichts mehr zugelassen werden! Also rede, was wirst du tun? Wirst du dich erheben oder willst du fallen?
04. Siehe, unter dir der ewige Abgrund – und siehe, hier bin Ich, ein Vater aller, die Mich lieben, und hier Mein Tisch! – Wähle nun und entschließe dich schnell! Es sei!“
05. Spricht Satan: „Herr, ich kenne Dich, kenne Deine Macht und meine entsetzliche Ohnmacht neben Deiner unendlichen, ewigen Macht. Aber eben darum, daß ich alles das nur zu sehr in aller Tiefe der Tiefen einsehe und meine Ohnmacht zutiefst fühle, sehe ich es auch als einen Triumph meines Stolzes ein, daß ich Dir trotzen kann, ja, daß ich dir ewig trotzen kann! Und ich sehe es auch ein, daß aller Deiner Macht kein Mittel übrigbleibt, meinen Sinn zu beugen, zu siegen über meinen Willen – außer durch meine völlige Vernichtung, was Du aber ewig nie als einen Sieg über mich betrachten kannst! Denn ein geistiger Lebenssieg beruht nimmer auf der möglichen gänzlichen Vernichtung des endlos schwächeren Gegenteils, sondern in der weisesten Überzeugung dessen, was die vollste Freiheit der beiden Parteien notwendig bedingt.
06. Diese Überzeugung aber beruht stets auf der frei willkürlichen Annahme des Gegenteils. Dieses Gegenteil bin aber ich, der ich es nie einsehen will, was Du auch rechtestermaßen willst. Und so ich es auch einsehe, so will ich es dennoch nicht tun, um Dir zu zeigen, daß es außer Deinem Willen noch einen anderen gibt, den alle Deine Allmacht ewig nimmer beugen soll, solange Du mich bestehen läßt!
07. Denn siehe, es ist ein leichtes, frei nach Deinem Willen zu sein. Aber Deine ewige Allmacht kennen und Deinen Zorn, und in der eigenen Ohnmacht, ewig verzichtend auf alle Seligkeit, in der größten Qual Dir, dem allmächtigsten Geiste dennoch zu trotzen – siehe, das ist größer denn alle Größen, die Dein allsehend Auge ewig je irgend zu erschauen wird vermögen!
08. Und siehe, das ist auch der Grund meines steten Ungehorsams gegen Dich. In diesem Ungehorsam ersehe ich den größten Triumph meiner Ohnmacht gegen Deine Allmacht darum, weil ich in solcher Ohnmacht stets der freiwillige Sieger Deiner Allmacht, Weisheit und Liebe, wie auch Deines Zornes verbleibe und Du mich nicht beugen kannst mit aller Deiner Macht, Kraft, Liebe, Weisheit, Gericht und Zorn!
09. Ein Michael sein ist keine Kunst, ein Gabriel sein keine Schwierigkeit, ein Uriel ein leichtes, ein Seraph, ein Cherub eine himmlische Spielerei. Aber ein Luzifer sein, ein erster, größter Geist nach Dir, wohl wissend, welche endlose Seligkeit Deine endlose Liebe bietet, und daneben aber auch, welche stets steigende Qual Dein Zorngericht! Dabei aber dennoch alle Seligkeit wie alle ewige Qual verachtend, Dir aus der eigenen wohlbewußten Ohnmacht den unerschütterlichsten, ewigen Trotz bieten, ohne eine leiseste Aussicht zu haben, dabei je etwas zu gewinnen, sondern ewig nur endlos zu verlieren! Siehe, diese ohnmächtige Willensgröße eines Geschöpfes ist endlos größer als alle Größe Deiner Göttlichkeit! Und dieses Bewußtsein macht mich seliger in meiner größten Qual, als Du samt allen Deinen Geistern und Engeln es je warst! Daher frage mich nimmer, wie lange ich Dir noch trotzen werde. Meine Antwort wird stets die gleiche sein: Ewig, ewig, ewig! Gott wird mich nimmer beugen!“
10. Rede Ich: „O du blinder, finsterer Geist, wie groß doch ist dein Tod, in dem du wähnst, Mir Trotz bieten zu können! Du hast eine Freude in deinem Wahne und bedenkst nicht, daß da jede wahre wie deine falsche dir wie dein eigen dünkende Freiheit am Ende dennoch Meinem Willen untertan sein muß. Wer hat je mit Mir Rat gehalten und wer Meine Wege durchschaut? Weißt du denn wohl, ob das nicht Mein geheimer Wille ist, daß du eben so sein mußt, wie du bist?! Weißt du es, ob Ich dich nicht schon von Urbeginn zum Falle bestimmt habe?! Kann das Werk wohl je dem Werkmeister vorschreiben, wie und wozu er es gestalten soll?
11. Ein Erzgießer verfertigt aus einer feuerfesten Masse seine großen Schmelztiegel. Diese kommen in ein mächtiges Feuer und in ihnen kocht dann das harte Erz. Und so es genug zerkocht ist, da fließt es dann wie ein Wasser, und der Werkmeister läßt es fließen in verschiedene brauchbare Formen. Ist das Erz in Formen gegossen, da werden diese dann abgekühlt und erleiden keine Glut mehr. Der Tiegel aber bleibt in der Glut, damit anderes Erz in ihm geschmolzen werde. Er wird nicht abgekühlt eher, als bis er unbrauchbar geworden ist, wo er dann auch verworfen wird für immer als eine zu nichts mehr brauchbare ausgebrannte Materie.
12. Bin Ich aber nicht ein Werkmeister aller Werke der Werke? So Ich das aber bin und schaffe Mir Werkzeuge, wie Ich sie brauche und haben will – sage, kannst du Mir dann trotzen? Oder kannst du das Trotz nennen, wenn du so bist, wie du bist, und nicht anders sein kannst als so nur, wie Ich es am Ende will?!
13. Ich aber bin kein harter Erzgießer, sondern ein Meister voll Liebe, sodaß Ich sogar Meine Tiegel aus ihrer langen Glut ziehen will, so sie es wünschen und in die Ordnung Meiner freien Werke übergehen wollen. Wollen sie das aber nicht und macht es ihnen mehr Freude, Meine ewigen Schmelztiegel zu verbleiben, so ist es Mir auch recht, denn da brauche Ich Mir keine neuen zu schaffen. Bleiben sie aber Tiegel, so sind sie, wie sie sein müssen, und unmöglich, wie sie sein wollen. Denn ein Werkzeug kann nicht anders sein, als wie Ich es gestalte und haben will.
14. Daher ist dein vermeintlicher Trotz, an dem du eine Freude hast, auch nichts als eine Chimäre, entstammend deiner großen Blindheit. Denn so wenig ein Topf zum Töpfer sagen kann: ,Ich bin, wie ich will!‘, während ihn doch der Töpfer dreht und gestaltet, wie er will – ebensowenig kannst du zu Mir sagen, daß du seist, wie du wollest, während du doch nur sein mußt, wie und was du bist, wie Ich es will! Nur gebe Ich, als die ewige Liebe selbst, dir nebst deinem Gerichte auch so viel lebendige Freiheit, derzufolge du deinen qualvollsten Zustand fühlen, begreifen und ändern kannst, so du es willst. Willst du es aber nicht, so bleibe, wie und was du bist – nicht aber, weil du es so willst, sondern weil Ich es so will!
15. Willst du aber dein Los verbessern, so werde Ich an deine Stelle ein anderes, Mir in deiner Art dienliches Werkzeug setzen! – Rede nun, was du willst! Mir ist es völlig ein gleiches, ob du bleibst, wie und was du bist – oder ob Ich, wie gesagt, an deine Stelle ein anderes Werkzeug setze!“ –
16. Hier stutzt Satan gewaltig und weiß nicht, was er sagen soll.
17. Sein zahlreicher Anhang aber schreit: „O Herr, wenn also, oh, da erlöse uns aus unserer alten Qual und setze an unsere Stelle neue, brauchbare Werkzeuge! Denn wir haben des Elends zur Genüge verkostet und sind vom Feuer schon sehr morsch geworden. Daher erbarme Dich unser und gestalte uns um, o Herr, nach Deiner Güte, nach Deiner Liebe!“
18. Als Satan solches vernimmt von seinem Anhange, wird er wütend und brüllt und heult: „Wollt ihr nicht teilnehmen an meiner Größe?! So bleibe ich auch nicht, was Gott will, sondern was ich werde wollen! Stimmet mir zu!“
19. Schreit sein Anhang: „Narr, was kannst du wollen, das Gott nicht wollte! Ist dein möglich freiester Wille nicht Gottes Wille? Wolle du, was du willst, so kannst du aber dennoch nichts wollen aus dir, sondern nur den Gotteswillen in dir, der allein allzeit und ewig dein unbesiegbarer Richter bleiben wird! Tue du, wie du gerichtet bist; uns aber hat nun Gottes Erbarmung ergriffen und läßt uns nimmer aus! Daher tun wir nun auch nach unserem besseren Gerichte!“
20. Rede Ich: „So erstehet, ihr Elenden, und euer Los werde ein freies! Du einer aber bleibe, so du willst, was du bist! Was du auch nun immer tun willst, ist nicht dein, sondern Mein Gottwille – und dein Wille in dir sei ewig ein Gericht aus Mir in dir!
21. Ich gebe dir aber noch zu dieser endlichen, größten und tiefsten Belehrung eine kurze Frist, in der du wohl überdenken kannst, was du und wie du bist! Willst du dein Los verbessert haben, so wird es geschehen. Willst du es aber nicht, so wirst du bleiben, was du nun bist so lange, bis aller gegenwärtigen Schöpfung letzter Gefangene entkeimen wird durch den Weg des Fleisches! – Was aber dann mit dir, das weiß Ich allein und niemand in der Unendlichkeit außer Mir!“
22. Bei diesen Worten stößt Satan einen großen Schrei aus sich und eilt zur Tür hinaus. Sein Anhang aber wirft seine Drachenpanzer von sich, und es stehen tausend gar elend aussehende Seelen ganz nackt hier und bitten um Heilung und Linderung ihrer großen Schmerzen.
23. Ich aber berufe nun wieder unseren Martin, den Borem und auch Chorel und heiße sie, zu führen diese Elenden in das kühlende Bad. Die drei tun sogleich, wie Ich ihnen gebot, und die tausend Elenden finden Linderung im Bade.
01. Unterdessen aber erwacht auch Chanchah wie aus einem Schlafe an Meiner Seite und erinnert sich all des vor ihren Augen Geschehenen nur wie eines lebhaften Traumes. Sie fängt sogleich an, von Punkt zu Punkt Mir alles zu erzählen, was ihr nun geträumt hat. Nachdem sie mit ihrer Erzählung fertig ist, fragt sie Mich, ob an solch ihrem Gesichte wohl etwas daran sei.
02. Ich aber sage zu ihr: „Chanchah, sahst du nicht ehedem, wie Borem und Martin den dir so überschauerlichen Drachen an den Ketten hierher schleppen hätten sollen und wie sehr sich dieser ihrer Kraft widersetzte? Und wie Ich dann, als Martin Mich mit rechtem Einverständnisse Borems um Hilfe bat, mit Meiner Willensmacht augenblicklich den Drachen hierher zu unseren Füßen schleuderte? Du hast solches ja doch noch mit ganz offenen Augen gesehen!“
03. Spricht Chanchah: „Ja, du Herrlichster, das habe ich wohl noch gesehen. Aber als der Drache zu knapp vor uns lag, da ergriff mich ein zu mächtiges Grauen, daß ich darob in eine Art Angstschlaf verfiel und die darauf folgenden Begebnisse mit diesem Ungeheuer nur wie in einem Traume sah. Ungefähr so, wie ich bald nach der Ankunft in dieser Welt auch in einen ähnlichen Zustand kam, in welchem ich mit Chorel zusammentraf und mit ihm einen fürchterlichen Kampf habe bestehen müssen. Und als ich darauf erwachte, kam mir dann auch alles so wie nun als ein schwerer Traum vor.
04. Was ich bei vollem, wachem Bewußtsein sehe, das kann ich wohl fassen, soweit meine kleine Erkenntniskraft reicht. Was aber diese traumähnlichen Gesichte betrifft, so liegen sie zu weit über dem Erkenntniskreise meiner Seele. Ich kann da nichts tun als allein an dich mich wenden, da ich von dir die lebendigste Überzeugung habe, daß du allein der Allerweiseste und Mächtigste dieses ganzen großen Hauses bist! O erläutere mir daher dieses mein Gesicht!
05. In diesem Gesichte tastet und sprachst du als der ewig heiligste Lama Selbst. Aber da ich nun wieder wache, erschaue ich an dir aber auch nicht die allerleiseste Veränderung deines mir bekannten Aussehens. Du kannst daher ebensogut ein mit aller Macht ausgerüsteter Bote Lamas, wie hinter einer gerechten Maske auch der Lama Selbst sein! So viel und nicht weiter kann ich mein Gesicht beurteilen; das Weitere und Richtigere erwarte ich aber von dir, du meine alleinige Liebe! O zaudere nicht, zu tränken mein Herz mit der Überfülle deiner Weisheit!“
06. Rede Ich: „Chanchah, wo ist der Drache nun und wo sein Anhang? Siehe, du staunst nun plötzlich und sagst in deinem Herzen: ,Bei Lama, dem Allerheiligsten! Nirgends mehr ist das Ungeheuer zu ersehen! Und sein Anhang – und Borem, Martin und Chorel – wo sind sie?‘
07. Ich aber sage dir: Siehe, Meine Kraft trieb den einen zur Tür hinaus so schnell, als da flieht der schnellste Gedanke. Und sie verwies ihn, in die Schweine der Erde zu fahren, auf daß sie nun wütend werden sollen, in solcher Herrschwut berennen das Vorgebirge der vollsten Selbstsucht und endlich von da sich stürzen in das Meer des finstersten Wahnes und ersaufen im selben!
08. Seinen alten Anhang aber habe Ich ihm genommen durch die Macht des Wortes und beschickte ihn durch die drei Abwesenden in das Bad der Selbsterkenntnis, der Demut und der daraus hervorgehenden möglichen Besserung.
09. Alles, was Ich aber hier wie allenthalben tue, das tue Ich aus ganz eigener Macht. Es gibt keine Macht weder über Mir, noch unter Mir, die Mir gebieten könnte und sagen: ,Nun tue dies und jenes!‘, sondern was Ich tue, das tue Ich allein – ohne Geheiß jemandes anderen. So Ich aber zu jemandem sage: ,Tue du dies und du jenes‘, da mag niemand der Kraft Meines Willens Widerstand leisten!
10. O Chanchah, so du das alles leicht aus Meinen Handlungen ersiehst und schon lange hast ersehen können, wie magst du da noch fragen, ob Ich ein Bote Lamas oder wohl am Ende Lama Selbst bin!
11. Das Schlichte Meines äußern Wesens darf dich nicht beirren, denn siehe, Lama braucht nicht wie der Erde Fürsten nach außen zu glänzen, sondern allein durch Seine Vaterliebe, Weisheit und Macht in den Herzen Seiner Kindlein! Ich aber glänzte in deinem Herzen schon lange über die Maßen; wie wohl hast du Mich nicht erkennen mögen?!
12. Siehe, du Meine Chanchah, du Meine Tochter, Ich bin ja dein Vater, dein Lama, und außer Mir gibt es ewig nirgends einen mehr! Aber du mußt dich darob nicht entsetzen; denn siehe, wie Ich bin, so bin Ich ewig unveränderlich gleichfort Derselbe. Und alle Meine Kindlein sollen Mich nicht als ihren Gott, sondern stets nur als ihren liebevollsten Vater erkennen und ersehen, lieben und anbeten!
13. Fürchte dich nicht vor Mir, da du Mich nun erkennst! Denn du wirst an Mir ewig keine Veränderung gewahr werden, außer daß du fürder alle endlosen Schätze Meiner Vaterliebe und Weisheit in ewig steigender Überfülle ohne Maß und Ziel genießen wirst. – Bist du nun zufrieden mit dieser Erläuterung Meines Wesens?“
01. Chanchah sinkt nun zu Meinen Füßen nieder und weint und schluchzt vor zu großer Freude und Seligkeit. Ich aber stärke sie, und sie richtet sich auf und betrachtet Mich mit großen, seligsten Augen vom Kopfe bis zur Zehenspitze und kann sich nimmer satt sehen an Mir. Nur ihr Herz spricht:
02. (Chanchah:) „Du, Du, o Du bist es also! Du bist der allmächtige, heilige Lama! Du der Ewige! – Du hast die Erde, den Mond, die Sonne, alle die zahllosen Sterne, das gewaltige Meer, ein unzählbares Heer von allerlei Tieren im Wasser, auf der Erde und in der Luft, Du hast uns Menschen erschaffen?! O Lama, Lama, Du großer, heiliger Lama! Wer kann Dich loben, preisen und anbeten zur Genüge! Welches Herz ist wert, Dich, Du Heiligster, lieben zu dürfen?!
03. Aber, o Lama, wert oder nicht wert, welches Herz kann Dich nicht lieben, wenn sein Auge Dich erschaut und sein Sinn Dich erkennt! Daher vergib mir Nichtswertesten, daß ich es wagte, Dich, o Du zu Heiliger, zu lieben! Aber was kann die arme Chanchah dafür, so ihr Herz mächtiger ist denn ihr Verstand?
04. O Lama, Lama! Siehe, ich erkenne wohl nun meine Nichtigkeit gegen Dein endlos Alles; aber mein Herz liebt Dich nun nur um so mächtiger! Du wirst mir ja nicht zürnen, daß ich Dich nur unbegreiflich mächtiger lieben muß! O Lama, stärke mein Herz, sonst erträgt es die zu mächtige Liebe zu Dir nimmer! O Lama, Lama, ich vergehe vor Liebe!“
05. Mit diesen Worten sinkt die Chanchah wieder vor Mir nieder und weint und schluchzt vor Liebe.
06. Rede Ich: „O Chanchah, deine Liebe ist groß und dein Herz eine überköstliche Perle. Aber siehe, du mußt dich ermannen und nicht über deine Kraft erbrennen zur mächtigsten Glut, sonst könntest du Meine Gegenwart für die Folge nicht ertragen – was deine Seligkeit nicht wenig beirren würde!
07. Siehe hier neben dir die Gella an, und betrachte Martin, Borem und auch den Chorel: Diese kennen Mich schon eine geraume Weile und sind ebenfalls voll Liebe zu Mir. Aber sie ertragen Mich und können daher alles tun und genießen, was Ich ihnen gebiete und gebe. Wären sie aber in deiner Verfassung, da könnten sie ebenfalls nichts tun und genießen, wie du jetzt auch nichts tun und nichts Höheres genießen könntest, weil deine zu mächtige Liebe alle deine Kräfte zu sehr in Anspruch nimmt!
08. Ich aber sage dir, du Meine geliebte Chanchah, das nicht etwa darum, als wäre Mir nicht liebsam deine übergroße Liebe. Denn Ich habe dir ja schon oft gesagt, wie überaus lieb du Mir bist, und sage dir noch hinzu: Mich kann niemand genug lieben! –; aber das ist bei der möglich größten Liebe wohl zu merken, daß die Liebe nicht ohne Weisheit einhergehen darf, so sie die Seligkeit aller Seligkeiten bewirken soll!
09. Denn die pure Liebe ist ein verzehrendes Feuer! Da es ein Grundfeuer ist, kann es von keiner Seite durch nichts gesteuert werden als allein durch einen entsprechenden Grad von Weisheit. Daher mußt auch du deine Liebe zu Mir durch einen rechten Grad von Weisheit mäßigen, so du die rechte Seligkeit der rechten Liebe genießen willst!
10. Betrachte Mich nicht fortwährend als das allerhöchste, allmächtigste Gottwesen, dem sich niemand nahen kann und leben. Sondern betrachte Mich als deinen allerbesten und allein wahrhaftigsten Vater, ja sogar in Meiner Menschlichkeit als deinen Bruder! Dann wirst du Mich wie jeder andere Selige leicht ertragen. Du wirst beständig um Mich sein können und teilen alle Seligkeiten mit den Allerseligsten, die auch stets bei Mir sind wie nun du. Nur daß sie von Mir aus stets alle Hände vollauf zu tun haben in allen zahllosen Räumen Meiner ganzen unendlichen Schöpfung, dabei aber Mir dennoch stets so nahe sind, wie es du nun bist und ewig sein wirst! Verstehst du, Meine allerliebste Tochter, was Ich nun zu dir geredet habe?“
01. Spricht Chanchah: „O Lama, o Lama! Wo ist das Herz, das Dich erkennt und kann dann noch Maß nehmen in seiner Liebesglut zu Dir, Du Heiligster von Ewigkeit! Siehe, so ich so viel Herzen hätte, als es da gibt Sterne am Himmel, des Sandes im Meere und des Grases auf dem Erdboden, und wäre jedes Herz eine Sonne voll der höchsten Glut zu Dir, – so wäre aller dieser zahllosen Herzen Liebesglut zu Dir, o Du mein heiligster Lama, dennoch nur wie ein kühlster Tautropfen gegen ein siedendes Meer! Denn Du kannst ewig nimmer zuviel geliebt werden, da Du doch die allerhöchste und mächtigste Liebe Selbst bist!
02. Ich weiß es wohl, daß Du, o Lama, ein Vater, ja sogar ein Bruder Deinen Geschöpfen bist, weil Du es sein willst. Aber welches Herz kann Dich nur als Vater und Bruder denken und sich dabei nicht stets erinnern, daß der Vater, der Bruder, auch der – ach, der ewig heiligste, große, allmächtige Lama (Gott) ist?! Daher muß ich Dich ja lieben, weil ich nicht anders kann, als Dich nur ganz allein endlos ewig über alles lieben! Und keine Weisheit kann die Liebe meines Herzens mäßigen!
03. Oh, so ich tausend Leben hätte und es sagte mir die Weisheit: ,Chanchah, alle diese tausend Leben wirst du verlieren, so du deine Liebe zum Lama nicht weise mäßigst!‘ – da würde mein Herz der Weisheit erwidern: ,Oh, welche Seligkeit kann der gleichen, tausend Leben in der Liebe zu Dir, o Lama, zu verlieren!‘, was aber sicher unmöglich ist. Denn wie sollte je einer das Leben verlieren können, der Dich als das höchste Leben alles Lebens über alles liebt!
04. Daher werde ich Dich nur noch mehr lieben, und keine Weisheit wird mein Herz in der Liebe zu Dir, Du mein Lama, je zu mäßigen imstande sein! Nur so Du, o Heiligster, es verwehren und zunichte machen willst, dann freilich wird die arme Chanchah Dich nicht mehr lieben können. Aber, o Lama, o Vater, das wirst Du der Chanchah ja doch nicht tun?“
05. Rede Ich: „Meine allerliebste Tochter! Wahrlich, Ich sage Dir: Wer Mich wie du liebt, der ist eins mit Mir und hat nicht ein Leben, sondern zahllose Leben in sich! Wie sollte der vergehen können? Liebe daher Mich nur aus allen deinen Kräften und fürchte nichts. Deine Liebe zu Mir wird dir auch Weisheit geben, und diese wird auch mehr erweitern dein Herz, daß du Mich stets mächtiger wirst lieben können. Nun aber komme an Meine Brust und mache deiner Liebe Luft!“
06. Bei diesen Worten schreit Chanchah vor Entzücken auf und wirft sich Mir wie nahezu bewußtlos an die Brust.
07. Gella weint mit vor Freude, daß die Chanchah Mich erkannt hat und sagt schluchzend: „O du Glücklichste! Wie selig muß es sein, an dieser Brust die endlosen Ströme der ewigen Gottesliebe einzuatmen! Ach, welch eine Luft muß da wehen – am Urborne, aus dem alle zahllosen Wesen, Engel, Sonnen, Welten, Menschen, Tiere und Pflanzen ihr Dasein, ihr Leben, ihr Alles schöpfen! O allerhöchste Lust, Freude und Seligkeit!
08. O Chanchah, wie groß muß die Wonne sein, in der du im Vollmaße schwelgst! Welcher Engel wohl hat einen Maßstab, sie zu bemessen!
09. Aber was denkst denn du, mein Herz – bist ja auch in der größten sichtbaren Nähe Dessen, der heilig ist, überheilig! Darum sei stille, mein Herz; der Herr gibt ja einem jeden nach dem gerechtesten Maße seiner Liebe und Weisheit! Daher denke nicht an das höchste Seligkeitsmaß, das nun dieser edlen Chinesin zuteil wird, sondern denke, wie endlos glücklich du selbst nun bist!“
01. Während Gella solch löbliche Betrachtungen bei sich macht, kommen alle die Chinesen hinzu. Einer von ihnen spricht:
02. (Ein Chinese:) „Du unleugbarer Gottesbevollmächtigter, sage uns doch aus deiner uns wohlbewußten großen Weisheit, was da wohl der eigentliche Grund ist, daß unsere Chanchah gar so übermächtig an dir hängt? Sie hat ja eine solche Liebe zu dir, daß wohl kein Mensch zum Lama eine größere haben könnte, so dieser – wenn es möglich wäre – auch sichtbar vor ihm stünde!“
03. Rede Ich: „Habt nur Geduld, Chanchah wird euch in Kürze alles kundgeben, was euch hier zu wissen nottut! Nun aber forschet nicht weiter, sondern laßt euer Herz vor eurem Verstande einhergehen, so werdet ihr den sichersten und kürzesten Weg zu wandeln haben!“
04. Sagt darauf einer von ihnen wieder: „Das wird wohl sehr gut und ehrlich sein, und wir hoffen das auch von ihr. Aber wird sie uns auch sagen können, was jenes Ungeheuer zu bedeuten hat, das du früher so urplötzlich zur Tür hinausgewiesen hast, nachdem es dem guten Martin zuvor allerlei Spuk vormachte, ja sich sogar in ein reizendstes Weibwesen verwandelte, um den armen Martin zu fangen? War das nicht etwa ein ahrimanischer Abgesandter oder gar Ahriman selbst?“
05. Rede Ich: „Auch das wird euch Chanchah nicht vorenthalten. Begebet euch daher nur wieder auf eure Plätze zurück und harret dort in aller Freude solcher Löse. Es sei!“
06. Auf diese Worte begeben sich alle die Chinesen wieder zurück und tun, was Ich ihnen anbefohlen.
07. Aber auch mehrere der Mönche treten nun vor und fragen Mich um ähnliche Bescheide. Auch ihnen wird bedeutet, nur noch ein wenig zu ruhen, auf daß sie hinreichend gestärkt werden für die folgende Löse. Darauf treten sie zurück und harren in aller Geduld und Freude.
08. Aber einige Nönnchen bilden einen Klub und raunen einander zu: „Wir hatten zufolge einiger Winke unserer Schwester, die nun Gella heißt, schon fast geglaubt, dieser Chinesenfreund, der dem Drachen samt seinem Anhange so kräftigst begegnen konnte, sei entweder der Erzengel Michael oder wohl gar Jesus, der Herr, Selbst. Aber nach dem zu urteilen, was er mit der freilich viel schöneren Chinesin, als wir es sind, treibt, wie er sie herzt und kost, daß es schon völlig aus ist, kann das doch unmöglich Michael und noch viel weniger der Herr Jesus sein!
09. Ich möchte es sogar für eine große Sünde halten, von Michael und gar vom Herrn Jesus nur schwach zu denken, als könnte Er – und noch dazu mit einer Heidin! – so ein verliebtes Spiel treiben. Diese dumme Gretel aber geniert sich auch nicht im geringsten vor uns! Nein, wie sie in seiner Brust herumwühlt; muß aber das eine verliebte Katze sein!
10. Wenn er Michael oder der Herr Jesus wäre, wäre er ja auch zu uns Christinnen gekommen, die wir auf Ihn doch ein unbestreitbares Vorrecht vor den Heiden haben. Da er aber nur stets dieser Chinesin huldigt, uns aber beinahe gänzlich außer acht läßt, so wird's bei ihm besonders mit der Jesusschaft wohl einen hübsch starken Haken haben! – Es ist nur dumm von unserer Schwester Gella, wie auch sie dort stehen kann, als wollte auch sie sich an seine Brust stürzen. Mienen macht sie wenigstens schon derartige!“
11. Rede Ich zu Gella: „Mein Töchterchen, siehe, hier neben der Chanchah ist auch für dich ein Plätzchen! Komme auch du her und mache deiner Liebe Luft!“
12. Gella fällt sogleich auch an Meine Brust und ist voll Seligkeit.
13. Aber die Klubistinnen sagen: „Nein – da haben wir's! Wie wir es uns gedacht haben, so ist es auch! Nein, da ist nichts mehr zu reden! Wenn nur der Hausherr Martin bald zurückkäme, auf daß wir uns bei ihm beschweren könnten! Aha, dort kommt er schon mit Borem und Chorel! Gehen wir ihm nur schnell entgegen!“
14. Als Martin sieht, daß ihm der ganze, zahlreiche Troß der Weiber entgegenkommt, ersieht er auch zugleich, wo sie der Schuh drückt. Er geht ihnen freundlich entgegen und spricht:
15. (Bischof Martin:) „Weiß schon, weiß schon, wo es euch drückt! Geht nur wieder ganz ruhig an eure Plätze zurück, denn für derlei Beschwerden habe ich keine Ohren! Nur das merket euch fest und wohl: Wer Liebe will, der muß zuerst lieben; denn Liebe läßt sich durch nichts als nur wieder durch Liebe gewinnen! Daher liebet auch ihr wie jene beiden den Herrn, so werdet auch ihr Seine Brust gewinnen! Verstehet ihr das?“
16. Sagen die vielen Klosterweiber: „Ach, lieber Herr dieses Hauses, wie könnten wir solches tun? Siehst du denn nicht ein, daß wir die festesten Christinnen sind? Jene Favoritin aber ist eine Heidin. Gella aber ist ohnehin schon von jeher eine Person von sehr leichter Art gewesen, darum sie auf der Erde auch voll von allerlei Teufelsanfechtungen war. Sie wird es daher auch nicht versäumen, wie und wo es sich nur immer fügt, hier in deinem himmlischen Hause solchen Anfechtungen ein williges Ohr und Herz zu leihen.
17. Jener Mann, den wir alle beinahe schon für den Herrn Jesus oder wenigstens für Michael ansahen, wird wohl auch ein um sehr vieles tiefer unten stehender Geist sein. Sonst würde er sich doch sicher nicht mit den beiden leichten Personen gar so intim abgeben! Daher –“
18. Hier unterbricht sie Martin und spricht: „Schon gut, meine Lieben! Ich glaubte, ihr wäret alle schon rein, indem ihr doch schon tüchtig abgesotten und darauf gewaschen worden seid. Jetzt aber kommt aus euch ein ganz verborgener alter Rost und Schmutz zum Vorschein! Daher werdet ihr schon noch einmal in ein ganz scharfes Bad gehen müssen, bevor ihr wert sein werdet, euch jenem Heiligen zu nahen!“
19. Schreien die Mönchinnen: „Was sagst du, wir – baden?! Du bist auch ein Unreiner, darum geht der Teufel bei dir aus und ein! Oder haben wir etwa zu unserem größten Entsetzen nicht gesehen, wie du ehedem der schönen Teufelin einen Kuß hast geben wollen, hätte sie dich nicht zurückgestoßen! Wenn das so fortgeht, wird es bald klar genug sein, in wessen Händen wir uns in diesem Hause befinden!“
20. Spricht Martin ganz gelassen: „Ja, ja – nur ins Bad mit euch! Baden, nur baden! Dort hinter jener weißen Wand schwimmen nun tausend gar rare Fischlein herum und baden sich; dort ist für euch auch noch Platz! Daher begebt euch nur schön gutmütig hin und machet Gemeinschaft mit jenen Badegästen, sonst – –!“
21. Die Mönchinnen schreien vor Zorn und gehen auf ihre alten Plätze zurück.
01. Martin aber begibt sich mit Borem und Chorel zum Herrn, d.h. zu Mir. Er will Mir anzeigen, daß die tausend Badenden vom Anhange des Drachen, da es ihnen nun besser geht, allerlei Gestalten annehmen und sehr ungebärdig werden, so daß sich auch Borem nicht mehr auskennt, was fürder mit ihnen geschehen soll.
02. Rede Ich zu den dreien: „Die tausend sind im Bade, da sind sie gut aufgehoben. Denn sie sehen nicht diese Wohnung, sondern nur die Welt ihrer inneren Bosheit. Diese wird nun in ihnen stets mehr und mehr flott und damit in ihrer Äußerlichkeit ersichtlich. Das ist schon ein gutes Zeichen! Lasset daher nun die tausend, sie werden schon des rechten Weges geführt werden!
03. Aber dort stehen über dreihundert Weiber. Diese sind von großer Eifersucht beherrscht und leiden viel in ihrem Herzen, so daß sie Mich dauern. Gehet hin und belehret sie recht; aber mit dem Bade darfst du, Bruder Martin, sie nicht mehr bedrohen, willst du die Armen zu Mir bringen!
04. Siehe, die Eifersucht ist eine Schmarotzerpflanze der Liebe und untergräbt diese! Wird die Schmarotzerpflanze am Lebensbaume der Liebe zu mächtig, zerstört sie wohl mit der Folge den ganzen Baum. Will man aber den Baum erhalten und kräftigen, muß man durch rechte Mittel suchen, den Baum von solchen fremden Ausgeburten völlig zu reinigen.
05. So du aber eifersüchtige Gemüter durch Drohungen noch mehr aufregst als sie ohnehin schon sind, pfropfst du selbst die Schmarotzerpflanze auf den Baum des Lebens, daß diese dann wuchert und den Baum völlig zugrunde richtet.
06. Daher mußt du in der Folge so handeln, wenn du mit eifersüchtigen Geistern zu tun haben wirst: Betrachte die Eifersucht stets als eine Ausgeburt der Liebe und denke: wo Eifersucht ist, da ist auch Liebe! Besänftige diese mit Liebe, so wirst du aus der Eifersucht bald die glühendste Liebe zuwege bringen!
07. Ich sage euch, wo sich keine Eifersucht zeigt, da ist auch keine Liebe! Oder habt ihr auf der Welt je gesehen, daß unfruchtbare Weiden, Fichten und Tannen, Föhren und tausend andere unfruchtbare Bäume mit Schmarotzerpflanzen behaftet werden? Sicher niemals habt ihr eine solche Abartung gesehen, wohl aber sehr häufig an den edlen Fruchtbäumen.
08. So ist es auch hier und ganz besonders mit jenen Weibern der Fall. Sie haben sehr viel Liebe, wie ein edler Fruchtbaum viel edlen Saftes hat. Suchet aber den schlechten Auswuchs aus ihren Herzen zu entfernen durch Liebe, und ihr werdet an ihnen Wunder der fruchtbarsten Liebe erbeuten! Geht daher nun hin und tuet, wie Ich es nun euch angeraten habe, so werdet ihr Meinem Herzen ein gutes Werk darbringen!“
01. Die drei gehen nun freundlichen Antlitzes zu den armen Weibern. Als sie bei ihnen ankommen, nimmt Borem das Wort und spricht:
02. (Borem:) „Liebe Schwestern, höret mich recht geduldig an! Ich will euch allen ein gutes Recht verschaffen, denn ich weiß, daß euer Herz leidet. Und ich weiß, daß dieser Bruder, als ihr ehedem bei ihm euer Recht suchtet, euch hart zurückgewiesen hat. Ich konnte damals, als selbst Gast dieses Hauses, dem Hauseigentümer nicht in seine Rede fallen, denn ein jeder ist der erste Rechtsherr seines Hauses.
03. Nun hat mir aber der Oberherr aller Hausherren das Recht eingeräumt, auch als Gast das Recht der Liebe zu üben. So will und werde ich nun nach meinen Kräften und mit allen Mitteln euch euer gutes Recht verschaffen und alles im Namen des Herrn gutmachen, was euch nun bedrückt und euer Herz beleidigt hat. Seid ihr alle, meine lieben Schwestern, damit zufrieden?“
04. Reden die Weiber wie aus einem Munde: „O ja, lieber, guter Freund! Wahrlich, du bist schon sicher ein wahrer Gottesfreund; von dir wollen wir alles gerne annehmen! Du meinst es gut und redlich mit uns und erkennst das Leid unserer Herzen. Aber mit diesem Martin wollen wir nichts mehr zu tun haben. Denn statt unsere Not zu erkennen, uns zu trösten, zu belehren und die Wahrheit zu zeigen, so wir etwa doch auf einem Irrwege wären, hat er uns zur Hölle in das Bad der Teufel verwiesen. Das war sehr unhimmlisch von ihm gehandelt, der ein Hauptbürger der Himmel ist oder wenigstens sein will. Daher wäre es uns lieber, so er zurückträte, daß wir uns nicht ärgerten an seinem Anblicke.“
05. Spricht Borem: „Liebe Schwestern, lasset das nur gut sein, und lasset es nun mir über. Ich werde schon alles wieder gutmachen! Sehet, unser Bruder Martin ist kein böser Geist, sondern, wie ich, aus dem Herrn nur ein guter.
06. Wir hatten mit jenen noch stark argen Gästen, die nun im Bade sind, sehr viel zu tun und hatten dabei recht viel bedauerlichen Ärger. Als wir, der für uns zu großen Mühe beinahe überdrüssig, zu jenem übermächtigen Freunde gingen, uns Rat zu holen, kamt ihr uns gerade wie in einem sehr ungünstigen Wurf entgegen. Und der ohnehin leicht erregbare Martin hat euch dann freilich wohl etwas zu hart und unsanft empfangen, was aber, wie gesagt, uns allen sehr zu verzeihen ist.
07. Daher meine ich, ihr werdet ihm das wohl leicht verzeihen, da er doch sonst zu euch voll Liebe ist und eine große Freude hat, euch alle als seine lieben Hausgenossen zu begrüßen. Ich glaube, ihr werdet das tun, was ich auch sicher tun würde, so ihr mich beleidigt hättet.“
08. Sagen darauf die Weiber: „Weißt du, liebster Freund, was du uns sagst, tun wir ja alle von Herzen gerne. Aber das sagen wir dir auch zur Beschämung des Martin: nur dir zuliebe tun wir's und wollen ihm seine große Unart nachsehen. In der Folge jedoch möchten wir es ihm wohl schwerlich mehr verzeihen, so er uns noch einmal so ungebärdig entgegenkäme.
09. Er ist wohl ein recht lieber Mann, und es ist eine rechte Freude, seine schöne Gestalt anzusehen. Was aber nützt die Gestalt, so sie roher ist im Herzen denn ein Apfel acht Wochen nach der Blütezeit? Wird uns Martin gleich dir entgegenkommen, wird er in uns auch Herzen finden, die gewiß nicht ohne Liebe sind. Aber in seiner hausherrlichen Tyrannisierlust wird er anstatt Liebe ganz was anderes finden.
10. Wir sind ja nun, Gott sei's gedankt, doch gewiß auch recht himmlisch schön. Die Männer alle, die hier in großer Anzahl zugegen sind, haben uns schon mit großem Wohlgefallen betrachtet, obschon wir uns darauf nichts zugute tun, – denn wir wissen ja, daß alle äußere Schönheit ein Geschenk des Herrn ist. Aber daß eben Martin und jener euer mächtiger Freund an uns gar nichts finden, was ihnen irgend Wohlgefallen abgewinnen könnte, ist denn doch kränkend für uns.
11. Jene zwei Schwestern sind im Grunde doch auch nicht schöner als wir, aber jener Freund liebt sie über alles und gibt sich ausschließlich fast nur mit ihnen ab. Wir aber stehen hier wie arme Sünderinnen und werden von niemand beachtet, denn alles heftet die Augen auf jene drei. Soll so etwas uns denn nicht kränken? Und so wir von jenem Freunde eine Zeitlang auch schon die erhabensten Mutmaßungen in unseren Herzen faßten: müssen sie nicht wieder verwelken gleich irdischen Blumen, so ihnen alle nötige Nahrung entzogen wird?
12. Siehe, das Herz braucht auch Nahrung, soll es in der Liebe stark werden. Wie sollen aber unsere Herzen in der Liebe je erstarken, wenn sie statt einer Nahrung bloß nur Faste über Faste bekommen?“
13. Spricht Borem: „Ja, meine liebenswürdigsten Schwestern, eure Forderung ist gerecht. Habt nur eine kleine Geduld und eure Herzen werden bald in Überfülle gesättigt werden! – Ihr wisset ja, daß der gute Arzt zuerst die Kranken heilt und dann erst zu den Gesunden auf Besuch kommt.
14. Ebenso geschieht es auch hier. Werden jene beiden Patientinnen erst völlig hergestellt sein, wird jener Arzt auch zu euch kommen. Daher geduldet euch nur noch ein wenig und folget mir, – ich werde euch allen etwas gar Wunderbares zeigen!“
15. Sprechen die Weiber: „Lieber Freund, das tut hier wahrlich nicht not. In diesem ungeheuren Saale gibt es ohnehin eine solche Menge der allerwunderbarsten Sehenswürdigkeiten, daß man sich daran nimmer satt sehen kann!
16. Dieser herrliche Fußboden, der doch gerade so aussieht, als wäre er aus lauter alleredelsten Steinen von den verschiedensten und lebendig frischesten Farben in schönsten Girlanden zusammengefügt!
17. Die großen, herrlichen Säulen, die die unbeschreiblich schönsten Galerien tragen! Wie sie strahlen, als wären sie aus den leuchtendsten Rubinen angefertigt, in deren Innerem tausend Sterne wie Goldfischlein im Wasser herumschweben und dadurch stets neue, wunderschöne Lichtformen bilden!
18. So gibt es hier noch tausend und abermals tausend Herrlichkeiten, für die wir gar keine Namen haben. Da demnach hier eine so große Menge der überherrlichsten Dinge zur Beschauung stehen, haben wir nicht ein leisestes Bedürfnis, noch etwas Herrlicheres und Wunderbareres zu sehen.
19. Unsere Augen sind hier in Überfülle versorgt und brauchen nichts Weiteres. Ganz anders aber sieht es mit unseren Herzen aus! Siehe, diese sind noch sehr unversorgt! Was nützt es, das Auge zu erquicken, wenn dabei das Herz leidet? Sorge daher zuerst für unsere Herzen, dann werden unsere Augen mit etwas ganz Leichtem befriedigt werden!“
20. Spricht Borem: „Liebe Schwestern, eure Forderung ist sehr recht und gerecht. Aber ihr gebt sie mir früher kund, als ihr Erfahrung genommen habt von dem, was ich euch zeigen will! Wisset ihr denn, ob das nicht eben hauptsächlich für eure Herzen berechnet ist? Wisset ihr schon im voraus, worin das Wunderbare besteht, das ich euch zeigen soll? Ist das Wunderbare denn nur für die Augen? Kann es nicht auch etwas höchst Wunderbares allein fürs Herz nur geben?!
21. Was ist denn mehr: das Auge oder das Herz? Kann nicht das Auge blind sein und das Herz dennoch in aller Fülle des Liebelebens schwelgen? Welches irdische Menschenauge kann Gott schauen? Seht, dazu ist jedes Fleischauge blind; aber das Herz kann Gott denken und es kann Ihn lieben. Ja, es kann sogar Ihm, dem Herrn, zu einem lebendigen Tempel werden, in dem Er Wohnung nimmt! Was ist also mehr: das Auge oder das Herz?!
22. Wenn aber so, wie könnt ihr lieben Schwestern euch da denken, daß ich euch hier, im Reiche des Herzens Gottes, irgendwohin führen möchte, wo es nur für die Augen allein wunderbar scheinende Dinge gibt?
23. Ich sage euch: hier gilt alles ganz allein dem Herzen nur! Das Auge aber ist nur ein Lichtzeuge von alledem, was da geschieht im Herzen, und was dargebracht wird dem Herzen vom Herzen. So ist auch das Wunderbare, was ich euch zeigen will, nicht für eure Augen, sondern lediglich für eure Herzen vorbereitet.
24. Aber da hier im Gottesreiche kein Wesen blind ist, sondern jegliches seine Sehe hat – gleich kräftig wie das Herz –, so ist das Auge freilich auch allzeit Zeuge von dem, was da geschieht fürs Herz und kommt aus dem Herzen. Und so werdet auch ihr das, was für euer Herz geschehen wird, mit euren Augen sehen. Daher folget mir nun!“
25. Auf diese Worte Borems folgen alle die Weiber den dreien, und zwar zur Tür, die da führt in die Gefilde der Sonne.
01. Während sich Borem, Martin und Chorel mit den vielen Weibern hin zur Sonnentür begeben, werden die tausend Badegäste äußerst unruhig in ihrem bewußten Bade. Sie fangen an, ganz gewaltige Lästerungen auszustoßen, so daß selbe sämtliche gereinigten hier anwesenden Mönche und sogar Chanchah und Gella wohl vernehmen.
02. Die beiden ermannen sich bald aus ihrem seligsten Liebestaumel und horchen nun aufmerksamer. Chanchah will Mich gerade fragen, was dies zu bedeuten habe, als eben hundert der Mönchsbrüder zu Mir eilen und Mich inständig bitten, diesen Gästen im Bade das Maul zu stopfen, da sonst leicht die Schwächeren von ihnen selbst geärgert werden könnten.
03. Als diese Mönche kaum ihre Bitte Mir kundgegeben, kommen auch schon die Chinesen samt ihren vielen Weibern und die Eltern der Mönchinnen herbei und sagen: „Du mächtiger Bote Gottes, hörst du denn nicht, wie jener Anhang des Drachen nun im Bade über Gott, über dich und über uns alle sich hermachen will, um uns alle gar übel zu verderben? Hier wird es für die Folge kaum mehr zu bestehen sein, wenn diesem bösen Höllen-Gesindel in seinem Treiben nicht völliger Einhalt getan wird.
04. Höre, welch gräßliche Lästerungen sie ausstoßen! Diese Bestien sind ja noch viel ärger als der Drache selbst, der doch ehedem ganz vernünftig scheinend gesprochen hatte mit Martin und auch mit dir. Mache daher diesem Treiben ein Ende, oder laß uns alle hinausgehen, damit wir fürder nimmer solche Lästerungen des Allerheiligsten vernehmen!“
05. Rede Ich: „Es ist wohl sehr recht von euch, daß eure Herzen mit Abscheu erfüllt werden gegen solch ein ärgerliches Toben. Aber dabei müsset ihr dennoch nur auf Mich und nicht auf euch selbst schauen, sonst werfet ihr euch selbst zu Richtern auf. Das wäre dann ärger als all dies leere Geläster dieser freilich noch sehr argen Badegäste!
06. Wer da nur lästert, bekennt dadurch nichts als seine Ohnmacht. Hätte er Macht, würde er sogleich handeln und nimmer vergebliche Worte gebrauchen, die nichts als leerer Schall sind. Wer ohnmächtig ist, will aber dennoch tun, als hätte er eine Macht, der wirft sich zu einem falschen Richter auf und greift dadurch mut- und böswillig in die ausschließlichen Rechte Gottes. Er schändet diese durch seine Ohnmacht, während in Gott doch allein nur alle Macht und Kraft und somit das ausschließliche Recht zu richten zu Hause ist und sein muß wegen der ewig notwendigsten Ordnung.
07. Seht, liebe Freunde und Brüder, euch ärgert nun das loseste Schmähen und Lästern dieser Badegäste. Und es ist recht, daß ihr daran in euren Herzen ein großes Mißfallen habt! Ich aber erschaue daneben in euch allen auch eine Glut, die, so sie hinreichend mächtig wäre, diesen Badegästen einen ewigen Garaus machen würde. Sehet, diese Glut ist ärger denn jenes sinnlose ohnmächtige Lästern.
08. Diese Gäste beschimpfen uns bloß, da sie wohl wissen, daß sie uns sonst ewig nichts anhaben können. Auch wissen sie, wieviel Geduld und Langmut in Gott zu Hause ist. Wir aber würden sie dafür verderben, weil wir dazu Macht haben, oder sie wenigstens auf ewig verlassen. Wäre das wohl weise? Wäre das in der Ordnung Gottes, die nichts zerstören, sondern ewig nur alles erhalten will, ja sogar erhalten muß, weil selbst die Gottheit litte, so nur das Kleinste, das auch aus Ihr hervorging, zerstört werden könnte!
09. Ermannt euch daher und lasset sie alle schimpfen und lästern. Mit der Weile werden sie ausgelästert haben und in eine starke Reue übergehen. Sie werden uns allen dann noch recht liebe und treue Brüder werden und ganz besonders Schwestern, – denn die größte Mehrzahl ist weiblich!
10. Daß sie aber völlig ohnmächtig sind, könnet ihr ja daraus leicht ersehen, daß sie sich nicht um ein Haarbreit über das Bad heraus bewegen können. Welch ein Ruhm aber wäre es dann für uns, so wir uns nun an ihnen rächen möchten, weil wir mächtig, sie aber völlig ohnmächtig sind? Ich meine, dieser Ruhm gliche dem eines Löwen, so er sich zu einem Mückenfänger herabwürdigen möchte.
11. Ich aber ermahne euch alle, daß ihr allzeit auf Mich schauet und dabei merkt, was Ich tue, so werdet ihr fürder keinen Ärger und keine Richtergier in euren Herzen mehr verspüren! Mich geht dies alles am meisten an, und doch bin Ich ruhig. Seid daher ihr um so mehr ruhig, da euch all diese Lästersachen nicht im geringsten berühren!
12. Sie lästern nur Gottes Gerechtigkeit, die sie hier baden läßt, – welches Baden für sie natürlich nicht ganz schmerzlos sein kann, so ihnen geholfen werden soll. Denn jede Umwandlung ist mit Schmerz verbunden so lange, bis nicht ein ganzes Wesen in eine andere Ordnung übergegangen ist. Der Schmerz selbst aber ist notwendig. Gäbe es keinen Schmerz, so gäbe es auch keine Wonne, da ein Wesen, das für keinen Schmerz empfänglich, auch völlig tot wäre für die Wonne.
13. Diese Badenden aber sind nun alle in einem gewaltigen Übergangsprozeß und haben dabei so manchen Schmerz zu erleiden, der ihre Zungen auch zu solchen Lästerungen treibt. Werden sie mit der Weile einer neuen, festen Ordnung nähergerückt, so werden auch ihre Schmerzen sehr vermindert werden. Ihre Zungen werden sodann vom Lästern ganz abgehen und werden erhebende Worte der Reue zu bilden anfangen, die da sind eine Brücke zur Liebe und zum Leben.
14. Damit ihr euch aber nicht länger ärgert an diesem leeren Geläster, so beweget euch nun mit Mir hin zu jener Tür, an welcher nun schon Borem, Martin und Chorel mit den vielen Weibern stehen. Diese Tür, die nun noch verschlossen ist vor euren Augen, werde Ich auftun. Ihr werdet da eine große Gelegenheit bekommen, euch in eurem ganzen Wesen so recht bis in die innerste Fiber eures noch ziemlich hoch anschwellenden Herzens zu demütigen, was euch allen vor allem nottut! Daher folget Mir nun; es sei!“
01. Die ganze große Gesellschaft folgt Mir nun zu der bezeichneten Tür, an der Bischof Martin und Chorel mit den Weibern harren, bis ich komme und ihnen öffne die Tür des Lichtes. Es sind in allem nun schon bei dreitausend an der Zahl, so daß es da ein förmliches Drängen gibt. Aber da diese Tür nun sehr weit ist, haben die verschiedenen Gäste dennoch Platz zur Genüge und können unbehindert auf den Boden der Sonne gelangen und dort schauen die Wunder der Liebe, die Wunder des Lichtes.
02. Bei der Tür kommt Mir sogleich der Martin entgegen, um Mich über den Grund des Verschlossenseins dieser Tür zu befragen, während doch alle andern nun offen stünden.
03. Ich aber sage zu ihm: „Freund, Bruder, hast du nie auf der Erde von den verschiedenartigen Geburten der Menschen und Tiere etwas gehört oder gelesen? Siehe, jedes Wesen ist bis aufs Auge schon im Mutterleibe seiner Sinne mächtig! Es fühlt, es schmeckt, es riecht, auch das Ohr ist nicht geschlossen; aber das Auge wird erst geöffnet nach der Geburt. Daher ist auch bei der geistigen Wiedergeburt das Öffnen der Tür zum Lichte oder das Öffnen des geistigen Auges das Letzte. Denn bevor jemand schauen will, muß er dafür wohl vorbereitet sein.
04. So aber jemand in seinem Hause zur Nachtzeit ein Licht anzünden will, muß er doch zuvor die nötigen Vorkehrungen treffen, durch die er Licht erzeugen kann. Muß er nicht in Bereitschaft haben eine mit Öl gefüllte Lampe und ein gutes, verläßliches Feuerzeug? Was muß er mit dem Feuerzeuge tun, und wie lange wird er zu tun haben, bis er daraus ein erwünschtes Licht zuwege bringen wird? Siehe, es wird bis zum Licht eine Zeit vergehen. Und eine mannigfache Handlung wird vorangehen müssen, und der Zweck aller vorangehenden Handlung wird am Ende das Licht sein! Wenn das Licht einmal erzeugt ist, dann erst kann auf ein anderes ersprießliches Handeln im Lichte übergegangen werden; zuvor aber kann davon keine vernünftige Rede sein!
05. So du das bedenkst, wirst du leicht einsehen, warum hier in diesem Hause alle andern Türen geöffnet sind und nur diese Sonnentür bis nun verschlossen war vor diesen Gästen.
06. Ich sehe wohl, daß du Mich abermals fragen möchtest und sagen: Ja, wenn so, warum sei denn die Tür dir schon ein paarmal offen gestanden? Und warum sei sie, als du sie zum ersten und zum zweiten Male betratst, nicht die letzte gewesen? Ich aber sage dir: fürs erste gehörst du nicht mehr zu diesen Gästen, die erst der Wiedergeburt gewärtig werden müssen. Fürs zweite, was die anderen Türen betrifft, die du nach der Sonnentüre betratst, so wird wohl jeder Geist nach seiner Wiedergeburt sich doch zu einer Tätigkeit im Lichte oder in klarer Einsicht und Erkenntnis bequemen wollen?
07. Oder meinst du etwa noch, nach dem Empfange des Lichtes tritt ein ewiger, allenfalls wollüstiger Müßiggang ein? O nein, sage Ich dir, die rechte Tätigkeit tritt erst im Lichte ein. Vor dem Empfang des Lichtes ging jede Handlung nur darauf hin, das Licht zu empfangen. Ist das Licht aber da, ist der Tempel der Sonne geöffnet, dann erst fängt die große Tätigkeit des wiedergeborenen Geistes an!
08. Oder hast du auf der Erde wohl je gesehen, daß die Schulknaben Ämter bekommen? Vorher muß ein Schüler zum erforderlichen vollen Erkenntnislicht durch manche Studien gelangen, bis ihm ein seinem Lichte angemessenes Amt erteilt wird. So er aber seine wissenschaftliche Laufbahn durchgemacht und ein rechtes Erkenntnislicht erreicht hat, wird er sich dann wohl auf ein Ruhebett werfen und auf selbem behaglich zu schlafen anfangen, anstatt zu arbeiten in seinem ihm gewordenen Lichte? Ja, er wird nun erst so eigentlich zu arbeiten anfangen, denn alle seine früheren Studienarbeiten waren bloß nur ein Lichtmachen in der Nacht seines Wesens.
09. Und siehe, da hast du wieder einen starken Grund mehr, warum es nach der Sonnentür noch andere Türen gibt, besonders jene zum ganzen endlosen Universum! Hast du etwa noch eine Frage übrig?“
10. Spricht Martin: „O Herr, Du durchschaust mein Herz wie einen Wassertropfen. Ich empfinde nun nichts anderes in mir als nur die heißeste Liebe zu Dir, Du endlos guter, heiliger Vater! Du weißt, daß mir die meinen Kräften angemessene Tätigkeit über alles willkommen ist; daher wird auch mir ein noch höherer Lichtgrad sicher sehr gut zustatten kommen! Denn Du weißt es, daß es mir am Willen, Gutes zu wirken, noch nie gemangelt hat, wohl aber am Lichte, d.i. an der rechten Weisheit dazu fast noch immer. Daher meine ich, die volle Wiederöffnung dieses Tempels wird mir vorzugsweise von großem Nutzen sein! Obschon ich für mich allein in Dir die eigentliche Sonne aller Sonnen und das Licht alles Lichtes erschaue und nun auch in aller Fülle habe, daher ich auch für ewig jedes anderen Lichtes entbehren kann!“
11. Rede Ich: „So, so, Mein lieber Bruder Martin; diese Rede gefällt Mir schon um sehr vieles besser denn deine früheren Fragen.
12. Wohl ist es wahr, daß Ich da bin die Sonne aller Sonnen, das Licht alles Lichtes. Wer Mich hat, der wandelt und handelt am hellsten Tage. Aber da doch ein jeder Mensch aus Mir ein nun eigenes und freies Wesen ist, so hat er auch sein eigenes Licht. Dieses muß ebenso frei in ihm leuchten, als wie frei da leuchtet die Sonne in der großen Raumhalle ihrer Planeten, wie frei jedem Menschen leuchten seine Augen und wie frei da jedes Menschenherz pulst stets neue Gedanken. Aus ihnen gehen dann freie Ideen hervor, aus ihnen die Erkenntnisse ihrer selbst und daraus die große Erkenntnis Meines Gottwesens, Meiner Liebe und Weisheit. Daher wird diesen Gästen nun auch diese Tür geöffnet, damit sie sich erkennen und dann erst Mich in aller Wahrheit. Wollen wir uns denn nun auch an die Öffnung dieser Tür machen!“
13. Spricht Martin: „O Herr, Du heiligster Vater, das wäre schon alles überwahr, gut und recht. Aber gib mir nur die Versicherung, daß Du zufolge der Erkenntnis und vollen Wahrheit, die diese Gäste über Dich bekommen werden, etwa nicht wieder Dich irgendwo verbergen wirst und wir Dich dann wieder werden suchen und rufen können, wie wir wollen, und Du wirst nicht so bald wieder zum Vorscheine kommen! O Herr, o Du lieber Vater, nur das tue Du uns nimmer an!“
14. Rede Ich: „Mein geliebter Sohn, Ich sage dir: Sorge du dich um alles, nur um das sorge du dich nimmer! Denn wo die Kindlein sind, da ist auch der Vater – und wo der Vater, da auch die Kindlein! Aber du weißt ja, daß Meine Familie groß ist und übergroß die Herde aller Meiner Schafe. Diese alle werden wir dann in ein Haus bringen, und es wird dann eine Herde und ein Hirte sein! Aber es wird dabei noch sehr viel zu tun geben.
15. Merke dir: auf dem Erdkörper sind nun viele Schnitter bestellt; da wird eine große Sichtung vor sich gehen! Ich werde viel Fleisches benötigen, darum wird viel Blut fließen zur Ausrottung aller Hurerei. Ich habe auf der Erde Zeugen erweckt, und was Ich mit dir nun hier rede, geredet habe und noch reden und handeln werde, siehe, das alles wird zu gleicher Zeit auf der Erde aufgeschrieben und dem Fleische kundgemacht! Daher sorge dich nicht, als würde Ich euch nach der Öffnung dieser Tür auf irgendeine Art verlassen, sondern denke: nun erst werde Ich ewig unverändert fest bei euch verbleiben! –
16. Nun aber noch etwas, Mein geliebter Martin! Siehe, wir werden diesmal die großen Gefilde der Sonne viel inniger und weiter gedehnt betreten als das erstemal. Es werden dir daselbst weibliche Wesen von nie geahnter Schönheit mit der größten Anmut, Liebe und unbeschreiblicher Zärtlichkeit entgegenkommen, desgleichen auch Männer. Du aber mußt sie stets mit wahrem himmlischem Ernste behandeln. Wenn du aber redest, da rede wenig und weise; dadurch wirst du sie am meisten gewinnen! Lieben mußt du sie ganz geheim nur, so daß sie es nicht merken, dann wirst du unter ihnen sicher wandeln!
17. Denn auf dieser großen Welt des Lichtes ist die Weisheit obenan. Innerhalb dieser erst birgt sich ganz geheim die Liebe geradeso, wie im Lichte der Sonne die Wärme ganz unersichtlich vorhanden ist und sich nur in der zahllos vielartig produktiven Wirkung kundgibt. In der Sonne mußt du daher bloß leuchten, wie du auch Mich wirst leuchten sehen! Diese Regel also getreu beachtet, wirst du bei dieser ersten großen Expedition viel Seligkeit genießen. Und nun gehe hin und öffne die Tür in Meinem Namen! Es sei!“
01. Martin dankt Mir für diesen Auftrag aus vollstem Herzen, bewegt sich dann zur Tür und öffnet sie mit größter Leichtigkeit, obschon sie in ihrer Erscheinlichkeit eine Höhe von zwölf Manneslängen und eine Breite von sechs solchen Längen hat.
02. Als die Tür nun offen steht, geschieht aus mehreren tausend Kehlen ein Schrei voll entzückten Entsetzens. Alles fährt mit den Händen vor die Augen, da das Licht in äußerst intensiver Fülle all diesen Gästen entgegenkommt. Niemand getraut sich, auch nur einen Schritt weder vorwärts noch rückwärts zu machen. Denn die meisten sind der Meinung, daß in diesem ungeheuer mächtigen Lichte ganz ungezweifelt die eigentliche Gottheit wohne in aller Urfülle ihrer Macht, Kraft und Weisheit.
03. Selbst Martin stutzt diesmal, denn auch ihm kommt dieser Lichtglanz nun bei weitem heftiger vor als die beiden früheren Male. Aber das geniert ihn wenig, daher ergreift er sogleich das Wort und spricht:
04. (Martin:) „Brüder und Schwestern, fürchtet euch nicht vor dem, was uns nur über die Maßen zu beseligen vom Herrn bestimmt ist! Kommet alle heraus zu mir, denn dies Licht ist ein fester Boden und man kann wandeln darauf wie auf Erz!“
05. Borem und Chorel führen nun ihre Weiber hinaus. Diese sind sehr furchtsam, beginnen aber am Ende, durch ihre große Neugierde die Furcht besiegend, dennoch ihre Füße hinaus über die Türschwelle zu setzen. Den Weibern folgen die Mönche und die andern Gäste, als da sind die Eltern der Mönchinnen und auch so mancher Mönche. An diese schließen sich endlich die Chinesen und folgen ihnen überaus sorgfältigen Schrittes.
06. Als nun alle draußen sind, folge auch Ich ihnen mit Chanchah und Gella, die sich vor diesem grellsten Lichte anfänglich auch sehr scheuen. Aber an Meiner Seite gibt sich ihre Furcht, und sie betreten ganz behaglich diese neuen Lichtgefilde.
07. Nun befindet sich alles auf dem leuchtenden Boden der Sonne, nicht etwa bloß geistig, sondern auch körperhaft genommen. Denn alle Geister aus Meinem obersten Himmel sehen auch jeden naturmäßigen Körper aus- und inwendig, wie er beschaffen ist. Da sie bei Mir sind, so sehen sie durch Mich alles, was da ist in der Geisterwelt und in der Körperwelt genau so, wie Ich es sehe.
08. Im Anfang sehen sie wohl eben nicht am besten, weil ihre Augen von einem zu grellen Lichte zu sehr geblendet werden. Aber nach und nach wird es sich schon geben, wie es sich nun zu zeigen beginnt. Denn einige der Gäste fangen schon an, am Boden verschiedene Gegenstände und auch verschiedene Farben zu unterscheiden.
09. Die Weiber entdecken sogar einige wunderherrliche Blumen und möchten sich sogar einige pflücken. Aber Borem und Chorel widerraten ihnen, weil das in der Sonne als ein schlimmes Vorzeichen angesehen werde, so zu einer unrechten Zeit an einem Gewächse etwas beschädigt würde; denn da müsse alles in der strengsten Ordnung geschehen.
10. Nachdem diese große Gesellschaft unter der Anführung Martins sich schon eine geraume Strecke auf dem Sonnenboden fortbewegt hat und es nun selbst Martin schon ein wenig zu bangen anfängt, macht er eine kleine Rast, begibt sich zu Mir und spricht:
11. (Martin:) „O Herr, o Vater, nach meinem Gefühle haben wir uns von meinem Hause nach irdischem Maße nun wohl schon über 1000 Meilen Weges entfernt und haben außer einigen Blumenstauden noch nichts zu Gesicht bekommen. Wie weit und wie lange werden wir wohl noch zu wandeln haben, bis wir irgendein bestimmtes Ziel werden erreicht haben?
12. Ich muß es offen gestehen: auf dieser gar zu lichten Welt möchte ich eben nicht gerne zu lange zubringen, so man auf ihr nichts als Licht und einige Blumenstauden zu Gesicht bekommt! Es ist nur gut, daß diese Lichtglut nicht brennt und unsere geistigen Augen nicht mehr gleich den fleischlichen entzündbar sind, sonst wäre es geschehen um sie! Ich gehe wohl voran; aber was nützt mein Vorangehen, so ich nicht weiß, wohin? Daher gehe, o Herr, lieber Du voran, da werden wir alle am ehesten zum rechten Ziel gelangen!“
13. Rede Ich: „Mein Sohn Martin, gehe du nur vorwärts auf dem Boden des Lichtes, geduldig und unverdrossen; es wird das Ziel unserer Wallfahrt schon kommen! Weißt du denn nicht, daß die Sonne millionenmal größer ist denn die Erde? So aber schon große Geduld und viel Selbstverleugnung dazu gehört, auf der Erde große Reisen zu machen, so gehört hier auf der Sonne, deren Boden ein gar weitgedehnter ist, doch sicher noch bei weitem mehr Geduld dazu, solch weite Gefilde zu bereisen. Daher gehe du nur wieder als Führer voran; wir alle werden dir schon gleichen Schrittes folgen!
14. Ich kann hier aber aus dem Grunde nicht vorangehen, um fürs erste niemanden von euch allen in seiner Freiheit zu beirren. Und fürs zweite, so Ich voranginge und es kämen uns die Bewohner dieser Lichtwelt entgegen, da würden sie Mein Wesen mit ihrem sehr hellen Geiste nur zu bald erkennen, dabei aber zugleich verschmachten vor zu großer Hochachtung vor Mir! Gehe Ich aber ganz zuletzt hinter euch her, so macht das nichts. Denn bei diesen Sonnenbewohnern ist das Erste allzeit das Vorzüglichste. Was aber zuhinterst sich befindet, das beachten sie wenig oder gar nicht! Und siehe, so bin Ich zuhinterst am besten plaziert!
15. Wir befinden uns noch auf einem überaus hohen Gebirge. Werden wir nun aber bald hinab in ein Tal kommen, dann wird das Licht schon milder werden. Dort wirst du Massen von Menschen erschauen und vollauf zu tun bekommen, sowie alle die hier mit uns wandeln. Daraus wirst du dann erst den wahren Zweck unserer Reise erschauen. Nun aber gehe nur wieder auf deinen Posten und verrichte deinen Führerdienst!“
16. Martin dankt Mir für diesen Auftrag, geht sogleich wieder vor die Gesellschaft und gibt ihr ein Zeichen, ihm zu folgen. Alles erhebt sich und folgt ihm.
01. Als Martin wieder eine geraume Zeit fortwandelt und sich selbst heimlich fragt, wann etwa das Tal zum Vorschein kommen werde, da kommen ihm Petrus und Johannes der Evangelist entgegen und grüßen ihn überfreundlich. Er erkennt sie sogleich, ganz besonders Petrus, der sein erster Führer war in der geistigen Welt, und kann vor Freude kaum reden, daß er seinen Petrus wieder einmal zu Gesicht bekommt, den er nun schon so lange vermißt hatte. Nach einer Weile der Freude des Wiedersehens sagt Martin:
02. (Bischof Martin:) „Aber Freund, Bruder, du Fels des Wortes Gottes, wo warst denn du so lange?! Warum kamst du nicht zu mir in das Haus, das der Herr mir gegeben hat? O wärest du doch zugegen gewesen, da hättest du gestaunt über und über, was der Herr alles für unbegreifliche Wunder gewirkt hat! Aber ich bin nun über die Maßen froh, daß du nur endlich wieder einmal bei mir bist! Nun wirst du aber etwa doch wieder bei mir eine längere Weile verbleiben?“
03. Spricht Petrus: „Lieber Bruder, du weißt, wir alle haben nur einen Willen, und dieser Wille ist des Herrn. Was Er will und anordnet, das ist gut! Die Unendlichkeit ist groß und ist voll von Seinen Werken; wir aber sind Seine Kinder und sind wie Sein Arm. Daher sind wir bald hier, bald dort. Wie und wo uns der Herr gebrauchen will, da sind wir auch im Augenblick, ob Milliarden Sonnenentfernungen tiefer unten oder höher oben, das ist gleich, – denn für uns gibt es keine Entfernungen mehr dem Raume nach.
04. Und siehe, so habe ich nach dir viel zu tun gehabt und konnte nicht sichtlich zu dir kommen. Nun aber habe ich samt unserem liebsten Bruder Johannes wieder etwas mehr Muße und werde mich in deiner Gesellschaft eine rechte Weile aufhalten! Ganz ein Hauptgrund aber ist stets der Herr Vater Jesus. Ohne Seine sichtliche Gegenwart können wir es nie eine zu lange Weile aushalten, schon gar nicht bei solchen Momenten, in denen Er wieder einmal Selbst sehr rührig wird und heraustritt aus Seiner Geduld und Langmut!
05. O Freund, auf den Weltkörpern, besonders auf der lieben Erde, geht es zu, daß du dir gar keinen Begriff machen kannst. Daher wird auch der Herr rührig, und wir werden bald Dinge erschauen, von denen du bis nun keine Vorstellung hast. So wir nun aber hier auf der Sonne hinabkommen werden in ihre großen Täler, da wirst du dich selbst überzeugen, wie es hier in den großen Landen der Lichtwelt wahrlich recht toll zuzugehen anfängt. Nach dieser unserer natürlichen Bewegung werden wir noch eine gute Weile brauchen, bis wir ins erste Tal gelangen werden. Aber Wunder wirst du ersehen, von denen du dir bis jetzt auch noch keinen Begriff machen kannst, obschon du nun samt mir ein Einwohner des dritten Himmels bist!
06. Aber nur mußt du den Begriff ,Ernst‘ nie aus den Augen lassen, denn die Sonnenmenschen sind ganz kurios! In ihrem Äußern sind sie der Abglanz der Himmel und in ihrem Innern sind sie schlauer denn die Füchse. Sie haben die höchste Hochachtung vor uns reinen Kindern Gottes. Aber so du ihnen nur irgendeine sinnliche Blöße zeigst, dann wirst du sie nicht so leicht mehr los. Sie werden dir dann mit einer Weisheit entgegentreten, von der du bis jetzt noch nicht die leiseste Ahnung hast. Unser Bruder hier wird dir so manches mehr sagen können, da er hauptsächlich mit den Sonnenbewohnern zu tun hat.“
07. Spricht Martin: „Hörst du, mein geliebter Bruder, deine Erzählung ist zwar sehr anziehend; aber ich habe keine große Lust, mit diesen Lichtweltbewohnern bald zusammenzukommen, wenn diese Wesen so sonderbare Käuze sind! Das weiß ich schon, daß sie unendlich schön sind, da ich schon einmal das Glück hatte, von meinem Hause aus einige zu erschauen. Aber daß hinter ihrer Schönheit so eine gewisse Weisheitsknifferei stecken soll, das habe ich noch nicht festweg gewußt.
08. Der Herr hat mir wohl Andeutungen gegeben, wie ich mich benehmen soll – diese stimmen mit deinen gegenwärtigen Bemerkungen genau überein. Aber von einer gewissen hinterlistigen Schlauheit ist mir mit Klarheit noch nichts angezeigt worden. Der Herr stärke mich und euch, meine geliebten Brüder: ich werde ihnen die Pfiffigkeit schon austreiben mit eurer Hilfe! Oh, das wäre nicht übel, wenn wir uns von diesen lichtglatten Sonnenschönheiten möchten einschlingeln lassen!“
09. Spricht Johannes: „Bruder, die Liebe ist beisammen und ist für Liebe ganz offen! Die Liebe erkennt die Liebe bald! Aber der Weisheit Pfade sind unendlich; außer dem Herrn werden wir sie wohl ewig nimmer völlig durchschauen. Daher ist mit der Weisheit durchaus kein Streit anzufangen auf eigene Faust, sondern lediglich nur durch den Herrn. Ihm allein sind alle ihre Wege klarst bekannt, weil alle endlose Weisheit aus Ihm ist, – darum auch Er allein ist der Weg, die Wahrheit und das Leben!
10. Du weißt, daß mir der Herr die große Gabe der tiefsten Weisheit verliehen hat. Er hat mir gegeben eine tiefste Offenbarung und darum nun auch die Völker aller Sonnen und hat mir untergeordnet Äonen Geister von tiefer Weisheit, welche aber dennoch alle aus meinem Überflusse schöpfen. Und siehe, selbst mich haben die Bewohner, besonders von dieser Sonne, schon in eine nicht unbedeutende Verlegenheit gebracht! Wäre mir in solchen Momenten der Herr nicht zu Hilfe gekommen, da hätte ich mit Schanden abziehen können!
11. Wenn es aber mir, der ich nun doch schon nahezu bei 2000 Erdenjahren mit den Sonnenvölkern zu tun habe, noch manchmal ganz eng gehen kann: was würdest dann du machen, der du nun zum erstenmal in die Berührung mit diesen Völkern kommst?!
12. Siehe, wie herrlich diese Gebirgsgegend nun ist, wie majestätisch diese lichten Felsen in den Lichtäther hineinragen gleich großen Diamantkristallen, und wie auch diese Hochfläche geziert ist mit den herrlichsten Blumen von für dich sicher unbeschreiblicher Pracht, und wie sanft dieser Weg sich auch dahinzieht wie ein strahlenreichster Regenbogen, – so ist aber all diese Herrlichkeit dennoch eine pure Armseligkeit gegen die Harmonie, die dir unten im Tale in einem einzigen Blick eines Sonnenmenschen entgegentönen wird!
13. Nun mußt du aber dann erst die Harmonie der Worte in Erwägung ziehen, die den reinsten Kehlen der großherrlichen Redner und Sänger dieser Lichtwelt entschwebt! Ich sage dir, du wirst dastehen wie eine Säule vor Verwunderung und Entzückung und wirst dir kaum zu denken getrauen, geschweige erst zu reden oder gar zu belehren die, die dir bloß mit einem Blicke den Mund bis in den Magen hinabstopfen werden!
14. Willst du mit diesen unsagbar schönen und nüchtern weisen Sonnenmenschen beiderlei Geschlechts auskommen, so mußt du äußerlich völlig teilnahmlos scheinen. Aber in deinem Innern mußt du ihnen überaus wohlwollen, dann werden sie in dir bald einen Bürger des großen Himmels erkennen, dem eine große Macht verliehen ist, und werden dich achten und lieben!
15. Aber die Liebe ist bei ihnen auch ganz anders als bei uns Kindern des Herrn. Sie ist wohl auch eine Art herzlicher Neigung, aber nur insoweit die Weisheit sie nicht zerstört. Denn sobald die Liebe nur um ein Minimum stärker wird als ihr Licht, geht der überwiegende Teil der Liebe sogleich in ein momentanes heftigstes Auflodern über. Diese auflodernde Liebesflamme vereinigt sich dann sogleich mit dem inneren Weisheitslichte, wo dann wieder statt der Liebe nur eine potenzierte Weisheit zum Vorschein kommt, die dann oft kälter ist als der Südpol der Erde!
16. Daher ist mit der Weiberliebe, auf die du große Stücke gehalten hast, bei diesen Sonnenweibern so gut wie rein nichts zu machen. Ganz besonders die Weiber sind am allerwenigsten dafür empfänglich.
17. Siehe, Bruder, so du diese Regeln genau beachten wirst, dann wirst du viel Seligkeit bei den Sonnenvölkern treffen. Im Gegenteil aber äußerst starke Verlegenheiten gleich der, die dir die Satana bereitet hat, als du sie in ihrer Verstellung im Angesichte des Herrn hast küssen wollen!“
18. Spricht Martin: „Aber, um des Herrn willen, sage mir, warst denn du da auch dabei?“
19. Spricht Johannes: „O ganz sicher! Siehe, dein Haus hat ja auch große Galerien, die du noch gar nicht kennst. Ich sage dir, diese fassen gar viele Zuschauer da, wo der Herr so mächtig wirkend zugegen ist! Nicht nur ich, sondern alle zahllosen Bürger der Himmel haben solcher Szene beigewohnt! Du wirst sogar unter den Bewohnern der Sonne viele antreffen, die dir das sogleich vorhalten werden, so du dich in irgend etwas vergessen würdest!“
20. Martin macht darob ein sehr verdutztes Gesicht und sagt nach einer Weile: „O du verzweifelte Geschichte! Oh, das schaut schon im voraus ganz absonderlich gut aus! Nein, jetzt habt ihr das auch gesehen, und diese feinsten Bewohner der Sonne auch! Oh, das ist nicht übel! Aber nun ist schon alles eins. Hat mich die Sonne doch auf der Erde oft in einen tüchtigen Schweiß versetzt, so wird sie's nun auch um so weniger sparen, wo ich nun das Glück habe, in corpore spirituoso ihren höchsteigenen Boden zu betreten! Daher nur vorwärts; ich verspüre es schon im voraus: die Sache wird sich machen!“
01. Spricht Johannes: „Du Freund und Bruder Martin, höre, du warst ja meines Wissens auf der Erde ein großer Freund Mariens und auch des Joseph und anderer Heiligen. Wie ist es denn, daß du dich hier gar nicht um sie zu kümmern scheinst? Auch um deine Verwandten, Vater, Mutter, Brüder und Schwestern, die vor dir hierher kamen, und noch um eine Menge anderer Verwandten und Freunde kümmerst du dich nicht! Sage mir doch, was ist denn wohl daran die Schuld?
02. Sie könnten ja leicht irgendwo unglücklich sein. Du bist nun ein großer Freund des Herrn. Könntest oder wolltest du ihnen denn nicht helfen, so du sie irgendwie unglücklich wüßtest? Hast du auf der Welt doch selbst große Stücke auf die Fürbitte der Heiligen gehalten, und hier als nun Selbstheiliger, Selbstfreund des Herrn, denkst du nicht einmal daran! Sage mir, wie kommt denn das?“
03. Spricht Martin: „Liebster Freund und Bruder, der Ochse frißt Heu und Stroh, und ein Esel ist schon gar mit dem schlechtesten Futter zufrieden; ich aber war auf der Erde zuerst ein Esel und darauf ein Ochs! Was war sonach mein Futter? Siehe, zuerst ein mistiges Heu und Gras und darauf ein etwas besseres Stroh und Heu! Frage: Kann man bei einer solchen Kost für den Geist wohl auch geistig fett werden?!
04. Nun aber bin ich durch die alleinige Liebe, Erbarmung und Gnade des Herrn ein wirklicher Mensch geworden und habe schon öfter Sein Brot des Lebens gegessen und Seinen echten Wein der reinen Erkenntnis getrunken. Wäre es nun wohl löblich von mir, nach der schönen irdischen Esel- und Ochsenkost einen Appetit zu haben? Sollte ich hier etwa auch noch wie auf der Erde irrwähnend meinen, die seligen Bürger dieses endlos großen himmlischen Geisterreichs möchten barmherziger, liebevoller und gnädiger sein als der Herr Selbst, und Er müßte Sich etwa von ihnen zur Liebe, Erbarmung und Gnade erst bewegen lassen? O Freund, so dumm wie ich war, bin ich nun wohl – Gott sei Dank! – nimmer.
05. Was sind Maria und Joseph, was alle sogenannten Heiligen, was meine irdischen Eltern, Brüder und Schwestern und alle sonstigen Freunde gegen den Herrn! Habe ich Ihn, was frage ich da nach 1000 Marias und Josephs, nach 1000 Eltern, nach 10000 Brüdern und Schwestern und nach einer zahllosen Menge von allerlei Freunden? Der Herr sorgt für sie alle, wie Er für mich gesorgt hat; und was braucht es dann mehr? Ich meine, jeder echte Himmelsbürger wird so denken wie ich. Denkt er aber anders, so muß er notwendig noch vollkommener sein als der Herr Selbst!
06. Sagte ja doch einst der Herr Selbst, wer so ganz eigentlich Seine Mutter, Brüder und Schwestern sind, als man Ihn benachrichtigte, daß draußen Maria, Seine Mutter, und Seine Brüder und Schwestern Seiner harreten.
07. So aber Er, der da war und ewig sein wird unser aller Lehrer und Meister, uns mit solch einer Belehrung entgegenkam, die wir leider auf der Welt freilich wohl nicht verstanden haben: sollen wir nun hier im Himmel etwa eine bessere Belehrung in uns selbst finden? Ich meine, das wäre noch über all mein irdisches Esel- und Ochsenfutter! Meinst du, liebster Bruder, nicht auch so?“
08. Spricht Johannes: „Allerdings, du hast mir ganz aus dem Zentrum meines Herzens gesprochen. Es ist so, muß so sein und kann ewig nie anders sein! Aber so dir die Maria und der Joseph und noch andere denkwürdige Personen unterkämen, möchtest du da nicht eine ganz besondere Freude haben?“
09. Spricht Martin: „Eine rechte Freude allerdings, aber eine größere sicher nicht, als so der Herr zu mir kommt. Denn in Ihm allein habe ich alles, und daher ist Er allein mir auch über alles! Siehe, du und Bruder Petrus, ihr gehöret doch gewiß zu den ersten Personen, die die Erde trug; brate ich für euch – wie man auf der Erde sagt – eine Extrawurst? Ich habe euch sehr lieb, achte aber jeden guten und weisen Himmelsbürger euch gleich. Denn wir alle sind ja nur Brüder, und einer ganz allein ist der Herr! Ist es nicht so?“
10. Spricht Johannes: „Bruder, bei solcher wahren Weisheit wirst du auch auf der Sonne gut durchkommen. Nun sehe ich schon, daß du die rechte Weisheit hast! Und siehe, der Weg wendet sich schon hinab ins Tal; wir werden nun mit Sonnenweisen zu tun bekommen!“
01. Martin sieht nun wirklich den Weg, wie er sich in tausend Windungen über die weitgedehnten Bergrücken hinab in ein ungeheures Tal schlängelt, von dem er aber noch durchaus keine Gegenstände wahrnehmen kann.
02. Denn auch Geister sehen das, von dem sie noch keine Kenntnis haben, wie in einer großen Ferne. Sie nähern sich demselben in dem Maße und Verhältnisse, als ihre Weisheit über das vorliegende Objekt zunimmt. Also bedeutet auch das Hinabgehen vom hohen Berge ins tiefe breite Tal ,in die volle Demut eingehen und durch diese in die größte Liebe, ohne welche kein Geist zur vollsten Lebenskraft gelangen kann‘.
03. Martin, wie auch die vielen andern Gäste, sehen nun schon ins Tal hinab; aber sie können noch nicht wahrnehmen, was sich in selbem befindet. Daher fragen viele ihre Anführer, was sie nun bald im Tale antreffen werden. Borem weiß es wohl, aber er weiß auch, was er zu sagen hat. Die Chinesen wenden sich an Mich, der Ich aber doch auch etwa wissen werde, was Ich ihnen zu antworten habe.
04. Martin wendet sich darum an Johannes und spricht: „Liebster Freund, ich sehe wohl schon recht deutlich das Tal. Aber was nützt da das Schauen in ein so ferne entlegenes Tal, so man nicht erkennen kann, was alles sich etwa im selben befindet? O Bruder, da muß es noch sehr weit hin sein! Der Weg ist wohl nicht im geringsten beschwerlich – man wandelt sehr leicht, ja wir schweben mehr, als wir eigentlich mit den Füßen gehen. Aber dessenungeachtet will uns das Tal nicht näherrücken! Wie lange wohl werden wir noch brauchen, bis wir es werden erreicht haben?“
05. Spricht Johannes: „Freund, Geduld ist der Grundstein der Weisheit. Habe daher nur diesen Grundstein fest in deinem Herzen, so wirst du um vieles eher und leichter das vor uns ausgebreitete Sonnental erreichen!“
06. Spricht Martin: „Freund und Bruder, an Geduld fehlt es mir nicht, wie es mir noch nie daran gefehlt hat. Aber ich weiß auch, daß einem jeglichen Geiste zwei bis drei Bewegungen möglich sind, nämlich eine natürliche, eine seelische und endlich auch noch eine rein geistige, so schnell wie ein Gedanke. Warum bedienen wir uns hier bloß nur der natürlichen, die da ist die langsamste? Wäre es denn nicht besser, so wir durch eine wenigstens etwas schnellere Bewegung früher zu unserem Zwecke gelangten?“
07. Spricht Johannes: „Aber, lieber Bruder, jetzt sprichst du schon wieder bei weitem nicht so weise als ehedem! Was liegt denn daran, ob wir hier etwas geschwinder oder etwas langsamer ins Tal gelangen? Sind uns ja hier doch keine Lebensstunden wie auf der Erde vorgezählt! Was gehen uns ewig Lebende früher oder später zurückzulegende Zeitverhältnisse mehr an! Siehe, uns drängt ewig keine Zeit mehr: wo wir sind und wo vorzüglich der Herr ist, da sind wir auch zu Hause!
08. Übrigens hängt hier im vollkommensten Geisterreiche die Schnelligkeit unserer Bewegung ja ohnehin nicht von unsern Füßen, sondern lediglich nur von der Vollkommenheit unserer Erkenntnisse ab. Wer eine schnellere Bewegung wünscht, befleißige sich zuerst der Geduld, aus dieser der Demut, aus welcher hervorgeht Liebe und Weisheit. Hat er die Weisheit im Vollmaße, wird er auch in allen Dingen die vollkommenste Erkenntnis haben; diese aber bedingt die Bewegung des Geistes!
09. Weil aber die Sache hier sich unmöglich anders verhält, brauchst du auch gar nicht auf deine Füße zu sehen, ob sich diese schnell oder langsam bewegen. Schaue du bloß aufs Gemüt und auf die Erkenntnis, so wird die Bewegung sogleich schnell genug werden! Verstehst du das?“
01. Spricht Martin: „Ja, ja, es kommt mir wohl vor, als verstünde ich's. Aber so ganz radikal verstehe ich die Sache noch nicht. Denn ich weiß, daß der Herr, du und Bruder Petrus, wie auch Borem sicher die vollste Erkenntnis habt, jedoch bewegt ihr euch um nichts schneller als ich und diese ganze Schar! Wie ist denn hernach das zu verstehen?“
02. Spricht Johannes: „Freund, unsere Bewegung ist nur eine scheinbare deinem Auge, – was da geschieht aus Liebe zu dir und zu dieser ganzen Schar. Im Grunde des Grundes aber sind wir schon lange überall, wo wir sein müssen und wollen!
03. Siehe, während ich hier mit dir rede, bin ich nicht nur in dieser, sondern in einer zahllosen Menge von Sonnen und Welten und handle dort wie hier im Namen des Herrn und vollziehe nach allen meinen Kräften Seinen heiligen Willen! Und was ich tue, das tut um so mehr der Herr Selbst und Petrus und alle vollkommenen Himmelsbürger! Freund, verstehst du das und begreifst du es?“
04. Spricht Martin: „Mein geliebter Bruder, da muß ich dir offenherzig gestehen, das ist für mich ein wenig zu rund! Es schaut deine Erklärung fast so einer himmlischen Aufschneiderei gleich! Freund, wenn aus dir, anfänglich nur einem Johannes in der Erdzeit von nahezu 2000 Jahren nicht wenigstens eine Dezillion ganz gleiche Johannesse herausgewachsen sind, so ist das die reinste Unmöglichkeit von allen Himmeln und Welten!
05. Ich bin doch nun auch ein Geist und, weil beim Herrn, doch sicher nicht der unvollkommenste. Aber ich bin bis jetzt stets nur einer, und wo ich bin, da bin ich, und kann unmöglich zugleich irgendwo anders ganz derselbe sein! Denn solange die Einheit eine Einheit ist, ist sie unmöglich geteilt. Ist sie aber geteilt, oder ist ihre Form von gleichem Werte und Charakter vielfach da, so ist die Einheit auch keine Einheit mehr, sondern eine Geteiltheit ein- und desselben Wesens. Und jede einzelne Form aus der früheren totalen Einheit kann dann nur so viel Wert haben, als ein wievielter Teil der frühern gesamten Einheit sie ist.
06. Wenn sich hernach mit dir und sogar mit dem Herrn die Sache so verhält, wie du mir nun angedeutet hast, so bist du kein ganzer Johannes, und der Herr ist kein ganzer Herr, wie Er hier bei uns ist! Ich kann dich erst dann als ganzen Johannes betrachten, so du wieder komplett beisammen bist! Oder erkläre es mir logisch richtig, ob es je anders möglich zu denken und zu begreifen ist!“
07. Spricht Johannes: „O Freund, das ist nur so ein kleines Nüßchen der inneren Weisheit, dir zum Aufknacken geboten, und du würgst dich schon daran. Was wirst du aber erst machen, so dir die Kinder der Sonnenkinder ganze weltengroße Diamantklumpen zum Zermalmen vorlegen werden?!
08. Siehe aber, du hast nie mehr als eine Sonne nur gesehen. So dir ein oder tausend Spiegel ihr volles Bild wiedergaben, wird die Sonne darum geteilt und geschwächt in ihrer Wirkung, so tausend Spiegel deinen Augen ihr gleichwirkendes Bild zuführten?
09. Nimmt nicht ein jeder Tautropfen und ein jedes Auge das Bild der Sonne wirksam auf? Ist darum die Sonne nicht eine und ihre Wirkung nicht stets die gleiche?
10. Freund, denke darüber ein wenig nach, dann wollen wir uns in dieser Sonnensphäre weiterbewegen. Sonst werden wir freilich noch hübsch lange zu tun haben, bis wir das Tal völlig werden erreichen können!“
01. Martin macht bei dieser Erklärung überaus große Augen und geht darob sehr in sich. Nach einer Weile fängt er an, so ganz bei sich zu stammeln und spricht wie halblaut: „Hm, – bin noch weit zurück! O Tiefe, Tiefe – große, ungeheuere Tiefe, – wann werde ich deinen Grund begreifen! Ja, ja, so ist es: Gott ist allgegenwärtig! Wie kann Er das sein? Wie ist Seine Allgegenwart möglich, so Er als Ein- und Derselbe hier ist und wirkt und spricht, und ich sehe Seine Gestalt wie die eines Menschen?!
02. Ja, ja, die Sonne in tausend und abermals tausend Spiegeln ist dennoch eine und dieselbe Sonne, und es gibt nicht eine zweite Sonne. Eine Sonne leuchtet aus allen Spiegeln und eine nur und dieselbe aus Trillionen Tautropfen. Eine aus Trillionen Augen und wirkt nach der Größe des sie aufnehmenden Spiegels, des Tropfens, des Auges! Es ist wunderbar merkwürdig, und doch ist es so und kann nicht anders sein!
03. Wie aber der Herr auf eine ähnliche Art auch allenthalben gegenwärtig sein kann, das ist freilich endlos schwerer zu begreifen! Ist Er denn auch eine Sonne? Wo aber ist diese Sonne? Ich sah nur den Herrn, den Gottmenschen Jesus sah und sprach ich. Aber eine Sonne hier, außer auf der ich nun wandle, sah ich noch nicht!
04. Es ist hier wohl alles Licht über Licht, – aber ich weiß nicht, woher das Licht kommt! Sicher kommt es vom Herrn; aber der Herr Selbst strahlt nicht! Er ist hier ohne Glanz, einfacher als unsereiner! Sein allmächtiger Wille wohl wird es sein, der Sein ewiges ,Es werde Licht!‘ ausspricht in ununterbrochener Tat, geistig wie naturmäßig! O Gott, o Gott, wer faßt Deine endlose Tiefe?
05. Ja, jetzt sehe ich es zum ersten Male klar ein, daß alle meine Weisheit eine barste Null ist, ein unbestimmter leerer Kreis mit vielen Unebenheiten, in dem kein Zentrum gegeben ist! O Herr, wann werde ich begreifen, was Du bist?!“
06. Nach diesen Worten verstummt Martin und versenkt sich in große und tiefe Gedanken.
01. Während aber nun Martin sich mit seinen Gedanken beschäftigt, tritt Chorel zu Johannes und Petrus und spricht: „O ihr lieben Freunde des Herrn, ihr alten eingeweihtesten Brüder und Genossen der göttlichen Weisheit und Liebe, vergebt mir, so auch ich mich unterfange, euch mit einer Frage zu belästigen! Ich habe darüber wohl auch schon Borem befragt. Aber er gab mir stets eine ausweichende Antwort und ich konnte nicht fassen, was er zu mir redete. Daher wende ich mich nun an euch und hoffe, bei euch mehr Tiefe und Klarheit als bei Borem zu finden.“
02. Spricht Johannes: „Bruder, du brauchst uns gar nicht zu fragen, was du nun wissen und vollends einsehen möchtest. Solches ist uns schon lange überaus klar vor Augen gestellt, daher sollst du auch sogleich eine gute Antwort erhalten.
03. Du möchtest wohl wissen, ob die seligen Bewohner der Himmel wohl auch je wieder die Erde, wie sie ist, werden beschauen und ihre fernere Geschichte betrachten können. Denn gar oft hast du auf der Erde dich selbst gefragt:
04. ,Werde ich nach Abstreifung des Fleisches wohl diese wunderschöne Erde mit ihren Flüssen, Seen, Meeren, Bergen, Tälern und all ihren andern tausend wunderbaren Herrlichkeiten sehen können? Werde ich erfahren all die neuen Erscheinungen im Gebiete der Geschichte des Werdens und Vergehens? Werde ich etwa gar irgendeinen wirksamen Einfluß dabei nehmen können?‘
05. Ich aber antworte dir darauf: Bruder, alles steht den Seligen des Herrn zu Gebote! Wir sind ja alle des Herrn, und die Erde ist Sein. Alles, was darauf ist und darinnen, ist Sein Eigentum. So wir aber Seine Kinder sind, wird uns der Vater, der uns so Großes gibt, wohl etwas Kleinstes vorenthalten? Er, der uns Meere Seiner Liebe und Gnade zu trinken gibt, wird uns Tautropfen verweigern?
06. Siehe, du wandelst nun auf der wirklichen, leibhaftigen Sonne und schaust ihre Herrlichkeit und wirst zu den größten erst gelangen. Kannst du aber diese sehen, um wieviel mehr wirst du jene der kleinern Erde beschauen können! Ich meine, so jemand einmal eine Fürstenwohnung innehat, in der ihm alle Freiheit, alle Bequemlichkeit, alle Lust und Freude zuteil werden muß, wie und wann er sie nur immer haben will: wird er daneben noch die geringste Begierde haben, auch in einer Verbrecherwohnung, in einem Kerker voll Pestilenz und Tod ein Plätzchen zu haben; oder wenigstens jenen Gegenstand lustig beobachten wollen, der dem Tode entsprossen ist? Oder möchtest du nun wohl zur Erde steigen und verlassen diese Sonne?“
07. Spricht Chorel: „O Bruder, mitnichten! Ehe ich nun diese überhimmlischen Gefilde verlassen möchte und die heiligste Gesellschaft des Herrn, der so endlos gut, lieb, mild und sanft ist, eher gäbe ich eine ganze Trillion Erden für ewig auf! Ich bin schon damit zufrieden, daß ich die Erde besehen könnte, so ich sie nur immer wollte. Um die wirkliche Benützung dieser Fähigkeit werde ich mich weiterhin wenig mehr kümmern. Ich danke dir, liebster Bruder, aber aus vollem Herzen, daß du mich darob so herrlich aufgeklärt hast; der Herr vergelte dir solche Güte!“
08. Spricht Johannes: „Bruder, aller Dank, alles Lob, aller Preis und alle Ehre gebührt dem Herrn ganz allein! Gehe nun wieder zu Borem; denn ich muß nun Martin wieder in den Zügel nehmen, da wir nun sogleich das Tal erreichen werden und seine schönen Bewohner.“
01. Während sich Chorel wieder zu seinem Freunde Borem begibt, ersieht der bis jetzt noch sehr in Gedanken versunkene Martin schon des großen Tales überweit gedehnte Flächen allenthalben bebaut mit großartig-herrlichen Gärten und Palästen und Tempeln. Er ersieht auch, wie von einem nächsten Tempel eine große Menge Menschen von allerherrlichster Gestaltung sich ihnen naht. Diese Erscheinung weckt Martin aus seinem Gedankentaumel, und er wendet sich sogleich an Johannes und Petrus:
02. (Martin:) „Nun endlich, wie ich's erschaue, wären wir so ziemlich an Ort und Stelle. O ihr meine lieben Brüder, da sieht es unendlich herrlich aus! Wahrlich, die ungeheuere Pracht und anmutigste Schönheit dieser Gegenden benimmt mir gerade den Atem!
03. Und, o Tausend, da kommt uns ja schon eine große Prozession von Sonnenmenschen entgegen! Die Vorgänger kann ich schon recht gut ausnehmen; sie sind endlos schön, und wie herrlich bekleidet und geschmückt! Ach, ach, je näher sie kommen, desto herrlicher werden sie! Wenn das so fortgeht, da sage ich schon im voraus, daß es mir ohne ganz besonderen Beistand des Herrn gar nicht möglich sein wird, ihre volle Nähe zu ertragen!
04. Auf diesen Weisheitskampf bin ich absonderlich neugierig, den ich mit euch verfechten soll. Oh, der wird sicher sehr hübsch ausfallen! Ich merke schon zum voraus meine Kraft in meinen schon jetzt ganz abscheulich schlotternden Füßen!
05. Wenn diese Menschen nur einigermaßen gute Augen haben, müssen sie mir ja schon von weitem ankennen, was ihnen in mir für ein blitzdummer, fleischlicher Bursche entgegenkommt. Oh, die werden eine seltene Freude an mir und meiner Weisheit finden! Oh, oh, denen schaut eine ungeheure Weisheit schon bei den Augen heraus – und mir dagegen eine noch größere Portion der rarsten Dummheit! Das wird einen herrlichen Zusammenstoß abgeben!
06. O Brüder, tretet doch vor mich hin, daß diese Herrlichsten meiner nicht gar so plötzlich ansichtig werden und die Größe meiner Dummheit schon zum voraus taxieren!“
07. Spricht Johannes: „Mache dir nichts daraus, wenn es dir im Anfange auch ein bißchen sonderbar ergehen wird. Ein längerer Umgang mit diesen Wesen wird sie dir schon erträglicher machen. Aber sei nur stets ernst und in deinem Innersten aber dennoch mild und sanft! So wirst du mit ihnen leichter auskommen, als du dir nun denkst. Ihre Weisheit ist wohl groß zu nennen, aber sie hat dennoch wie alles Geschaffene ihre Grenzen. Daher, Bruder, nur mutig darauf los! Einmal mußt du ja doch die Herrlichkeiten ertragen lernen, und das wirst du nun, wo der Herr uns alle so innigst geleitet, ja um so leichter imstande sein!“
08. Spricht Martin: „Ja, ja, du hast da wohl ganz recht. Aber es ist doch diese Sache wahrlich keine Kleinigkeit, und es handelt sich da um einen ganz verzweifelten Ernst. Noch einige Dutzend Schritte, und wir sind beisammen. Nun, in des Herrn Namen, vielleicht wird auch hier das Wetter in der Nähe nicht gar so gefährlich sein, als wie drohend es sich aus dieser nunmehr sehr unbedeutenden Ferne ausnimmt!
09. Was tragen denn die nun vorauseilenden himmlisch schönen Jungfrauen, oder was sie sonst sein mögen, für so mächtig glänzende Hüte und Kränze uns entgegen? Was wollen sie damit?“
10. Spricht Johannes: „Das sind Preise für die Weisesten unter uns, mit denen sie uns schmücken werden, nachdem sie uns zuvor auf den Zahn werden gefühlt haben. Du hast zwar schon vom Herrn einen solchen Hut auf deinem Haupte, aber das macht nichts! Wirst du von ihnen als preiswürdig befunden werden, so werden sie deinen Hut mit dem ihren so innig vereinen, daß daraus völlig nur ein Hut wird, aber mit vielfach erhöhtem Glanze. Werden sie dich aber nicht für preiswürdig erkennen, so werden sie dich belassen wie du bist. Daher nimm dich nur fest zusammen, auf daß dir solcher Preis nicht entgehe!“
11. Spricht Martin: „O Bruder, sorge dich darum nicht! Ich habe noch nie einen Preis irgendwo errungen und werde darum auch hier um so sicherer kein Preisträger werden, – was mich auch ganz wenig kümmern wird. Aber nur meine Natur – und solche Schönheiten, solche Reize! O Bruder, das wird die eigentliche wahre Hetze abgeben! Aber nun möglichst ernst und wortkarg! Sie kommen schon ganz in unsere Nähe; ja – sie sind schon da!“
01. Hier treten sogleich drei Jungfrauen von übergroßer Schönheit vor Martin hin, breiten ihre Arme aus und sagen: „O du herrlicher Führer dieser deiner schönsten Genossenschaft, was Hehres bringst du uns aus deiner Höhe der Höhen? O rede, du lang Ersehnter!“
02. Martin beißt sich heimlich in die Zunge und kneipt sich in die Lenden, um auf diese anziehende Anrede doch nicht zu schnell aus seinem angenommenen Ernste in die größte Gegenfreundlichkeit zu geraten. Er sagt auf diese Anrede gar nichts. Die drei wiederholen daher noch zärtlicher ihre erste Anrede. Martin beißt sich fast die Zunge ab und redet noch nichts.
03. Die drei Jungfrauen verwundern sich heimlich über diese seltene Stummheit unseres Martin und sagen dann: „O du Hoher, siehst du Makel an uns, darum du uns keines Wortes würdigen willst? Gefallen wir dir denn nicht? Und doch sahen wir, wie du den verstellten Drachen küssen wolltest in deinem Hause auf der Höhe der Höhen!
04. Auch haben unsere Scharfseher dich schon im Merkur gesehen, wie du dort vor einer Schönen nahezu ganz zerschmolzen bist. Noch früher sahen sie dich bei der bewußten Lämmerherde, wo du sehr redselig warst. Und sie sahen dich auch im sterblichen Leibe auf der Erde wandeln und waren Zeugen von deinen nicht selten sonderbarsten Handlungen. Da wohl warst du sehr beredt; aber uns Töchter der Sonne würdigst du keiner Antwort! O sage doch, warum du noch immer schweigst?
05. Wohl wissen wir, daß Schweigen zur rechten Zeit ein guter Teil der Weisheit ist; aber dein gegenwärtiges Schweigen scheint kein derartiges zu sein! Rede wenigstens, warum du nun schweigst; unsere Herzen erglühen darnach und bitten dich!“
06. Martin vergeht schon nahezu vor Liebe zu diesen drei großen Schönheiten und denkt nun, was er auf solch ein Verlangen erwidern soll. Das hat er schon gemerkt, daß er ihnen von A bis Z bekannt ist und sie alle seine Schliche überaus gut kennen müssen. Daher sagt er bei sich ganz heimlich:
07. (Martin:) „O du über alle menschlichen und englischen Begriffe verzweifelte Geschichte! Das wird eine bis jetzt noch nicht dagewesene verlegenhaft rarste Begebenheit werden! Ich soll reden mit ihnen? Da möchte ich denn doch wissen, wie!
08. Fürs erste wird ihre ohnehin schon unbegreiflich reizende Schönheit stets mehr die höchsten Reize entfaltend, daß man schon darob vollkommen stumm werden muß. Fürs zweite kennen sie mich ja beinahe schon besser, als ich mich selbst je gekannt habe!
09. Wie und was soll ich sonach hier reden? O Herr, nur jetzt verlaß mich nicht! Und du, mein guter Ernst, verlaß mich auch nicht, sonst bin ich rein verloren!
10. O sapprament – ah, diese unendliche Schönheit! Ach, diese Augen, so feurig wie die Sonne selbst, diese Haare gleich dem blanksten Golde! Dieser Nacken – welche Weiche, welche Rundung, welche unaussprechliche Zartheit!
11. Oh – oh – dieser Busen! Ah, ah, nein – das halt' ich keine Minute mehr aus! Auf der Erde gibt es nichts, mit dem man diese unbegreifliche Zartheit von der größten Ferne hin vergleichen könnte!
12. Was ist die Zartheit eines reinsten Tautropfens dagegen, was der reinste Schliff eines Diamanten, was ein zartestes Lämmerwölkchen, das die untergehende Sonne umschwebt, getragen vom zartwehenden Abendhauche? Was auf der Erde wohl kennt solch eine Weiße! Der reinste von der Mittagssonne beleuchtete Schnee wäre kaum nur eine schmutzige Stiefelwichse dagegen zu nennen!
13. Nein, daran könnte man sich eine ganze Ewigkeit nimmer satt sehen! Und der Arm, die Hand, der Fuß! – Martin, kehre deine Augen weg von diesen zu großen, reizendsten und zartesten Schönheiten, sonst bist du pfutsch, rein pfutsch und matsch!“
01. Während Martin so mit sich phantasiert, fangen die drei Anführerinnen zu lächeln an. Sie haben dem Martin genau aus den Augen und Mundwinkeln gelesen, was er nun mit sich gefaselt hat, und sagen daher zu ihm: „Freund, nun wissen wir schon, warum du nichts redest. Siehe, du bist schwach, – ja sehr schwach bist du noch, und deine angeborene Schwachheit lähmt dir die Weisheit und die Zunge! Kommen wir dir denn gar so reizend und rührend schön vor? O sage uns doch wenigstens das laut!“
02. Martin will schon auf die erste der drei hinstürzen, dennoch ermannt er sich und spricht: „Ja, ihr Herrlichsten, eure Form ist endlos vollkommen schön. Aber ihr seid zu weise dabei, und das deckt eure Schönheit und macht, daß ich sie mit genauester Not noch halbwegs ertragen kann. Denn ich bin kein Freund von zu großer Weisheit. Wollet ihr mich aber zu eurem Freunde, da müsset ihr aus der Liebe und nicht aus der Weisheit mit mir reden!
03. Ihr brachtet mir wohl einen Preis entgegen, um ihn mir darzureichen, so ihr mich als einen vollkommen Weisen erkennen würdet. Ich aber sage euch, daß ihr euch da an mir sehr verrechnet habt, trotz eurer großen Weisheit. Denn sehet, solche Preise nehme ich durchaus nicht an! Ich kenne nur einen Preis, und dieser ist für mich allein die Liebe, welche ist Gott der Herr, den ihr als den urewigen Geist kennt, von dem alle Dinge gemacht sind. Dieser ist allein mein Preis, den ich schon lange für ewig angenommen habe. Aber diesen euren Weisheitspreis kann ich durchaus nicht brauchen. Daher reichet ihn irgendwem andern, den ihr dafür als würdig erachtet, mich aber verschonet damit!“
04. Sagen darauf die drei: „O höre, du herrlicher Freund! Wir haben mit dir bis jetzt noch durchaus keine Weisheitsprobe angestellt. Solche wäre auch eitel, da wir ja sehen, was für ein Geist in dir lebt. Es wäre doch sicher höchst unweise von uns, wenn wir mit einem andern Geiste in dir reden wollten, als den wir in dir gefunden haben! Du nanntest uns wohl den Preis, den du, ihn mit Recht über alles schätzend, schon hast. Aber da sind wir solchen Lichtes und sagen:
05. Der urewige, allschaffende Geist ist nicht teilbar. Wohl ist sicher die Liebe Sein Grundwesen; aber diese Liebe ist nicht nur Liebe, sondern ist in sich selbst auch die urewige Weisheit. So du aber diese Liebe preisest, kannst du wohl die Weisheit, das Licht alles Lichtes, von ihr scheiden? Freund, kommt es dir hier nicht etwa so vor, als ob nun nur du, dich selbst übereilend, dich verrechnet hättest? Wie kannst du den Leib allein wollen und verwerfen den Kopf? O rede, erläutere uns das!“
06. Martin ist nun ganz verblüfft und spricht bei sich: „No, das geht nun gut! Die haben mich schon! Aber jetzt nur wieder ernst, nur ernst! Wenn sie nur nicht so entsetzlich liebenswürdig wären, da könnte man noch ernster mit ihnen umgehen; aber bei solcher Liebenswürdigkeit braucht es fürwahr einen übergroßen Ernst, um mit ihnen nur viertelwegs ernst scheinend reden zu können.
07. Sie warten mit einer anmutigsten Begierde und lieblichsten Ungeduld auf eine Antwort. Aber, was soll ich ihnen sagen? Wie wenden und drehen die Zunge, daß ich ihnen die Wahrheit sage, aber dennoch nicht beleidige ihr an zu himmlische Harmonien gewöhntes Ohr?! Stille. Nur stille, mir fällt schon wieder etwas recht Triftiges bei! Das werde ich ihnen sagen, natürlich auf eine möglich humanste Art; da werden sie doch sicher stutzen! Also nur Mut in des Herrn Namen!“
01. Auf dieses Selbstgespräch wendet sich Martin wieder zu den dreien und spricht: „O ihr über alle Begriffe herrlichsten Töchter der großen Sonne! Ihr habt mir wohl in allem eine völlig rechte Erwiderung gegeben auf das, was ich zu euch geredet habe. Aber eines ist dabei, das denn doch ein ganz erheblicher Rechenfehler von eurer Seite ist.
02. Sehet und höret! Ihr habt wohl recht, so euer Licht euch sagt: Der große, urewige Geist ist in Seiner Liebe und Weisheit in allem vollkommen unteilbar. Wo ein Leib ist, da muß auch ein Kopf sein, was so viel sagen will als: Wem da zuteil ward ein Preis der Liebe, der darf, um vollkommen zu sein, den Preis der Weisheit nicht außer acht lassen. Aber ihr sehet es ja doch sicher mit euren hellsten und himmlisch- schönsten Augen, daß mein Haupt schon mit einem dem euren ganz gleichsehenden Preise geschmückt ist. Und da ihr in alle meine sonstigen Erlebnisse so tief eingeweiht seid, so werdet ihr ja auch wissen, daß ich diesen Schmuck unmittelbar vom Herrn Selbst erhalten habe!
03. Da ihr allerliebsten Kinder das unmöglich in Abrede stellen könnt, so muß mir der Herr dennoch einen geteilten Preis gegeben haben, also: den der Liebe für sich ganz allein, der aber in sich dennoch schon den nötigen und verhältnismäßig gerechten Grad der Weisheit faßt! So aber dieser Preis als eine vollkommene Gabe des großen Gottes demnach keine halbe, also geteilte, sondern eine vollkommen bestgemessen ganze Gabe ist, sehe ich trotz eurer sehr weise gestellten Entgegnung wahrlich nicht ein, wozu mir euer lediger Weisheitspreis dienen soll!
04. So ich schon einen Kopf habe, wie es euch doch sicher meine Gestalt zeigt, wozu soll mir nun noch ein zweiter Kopf dienen? Sollte ich wirklich noch eines Kopfes bedürfen, so will ich ihn nach dem Willen meines Herrn ja von euch, ihr liebenswürdigsten Töchter der Sonne, gerne annehmen. Ist es aber nicht nötig, zwei Köpfe zu haben, sondern bloß einen vollkommenen, werdet ihr wohl auch einsehen, daß ich euren Preis durchaus nicht annehmen kann? O redet, redet; ich höre!“
05. Sagen die drei: „O du Herrlicher, du Hoher, wohl wissen wir, daß dir in deinem Preise mehr gegeben ist, als wir ewig je zu fassen imstande sind. So wissen wir auch, daß dein Preis kein halber, sondern ein völlig ganzer ist. Aber siehe, wir wissen auch aus zahllosen, stets auf dieselbe Art wiederkehrenden Erfahrungen, daß der große Gott auch jedem Wesen nach seiner Art ein vollkommenes, ganzes Leben gibt!
06. Wir wissen, daß da kein Mensch ohne Kopf zur Welt geboren wird. Er hat Augen zum Sehen, Ohren zum Hören, eine Nase für den Geruch, einen Gaumen zum Schmecken und allerlei Nerven für allerlei Empfindungen und Gefühle. Einem neugeborenen Kinde fehlt nichts von dem, und all das entstammt doch sicher wie der Liebe so auch der höchsten Weisheit des allerhöchsten Geistes. Denn da ist das eine wie das andere mit einem Blicke klar ersichtlich.
07. Wie aber kommt es denn, daß ein neugeborenes Kind – als ein Werk der Liebe und Weisheit des großen Gottes – zur Weisheit doch allzeit bei weitem später gelangt als zur Liebe, die da ist das eigentliche Leben? Du selbst lebst schon gar lange und hast Liebe in aller Überfülle. Aber so du dich fragst, ob deine allfällige Weisheit auch so alt ist wie dein Leben, da wirst du in dir selbst offenbar die widersprechendste Antwort finden!
08. Siehe, wir wissen es von unseren obersten Weisen, daß der große Gott auf deiner Erde zu einem gewissen weisen Juden geredet hat: ,Niemand kann in das Reich Gottes eingehen, so er nicht neugeboren wird im Geiste!‘ Sage uns: Wie kann der große Gott von einem schon lange lebenden Weisen des Geistes Wiedergeburt verlangen, so Er schon einem Kinde im Mutterleibe alles gegeben hat, was zur vollsten Besitznahme des ewigen Gottesreiches vonnöten ist?!
09. Überall zeigt es sich, daß die Reife jeder Entstehung erst viel später folgt. Kannst du uns wohl aus deiner Erdgeschichte nachweisen, daß da je ein ganz ausgebildeter Mensch dem Mutterschoße entstammt ist? Oder weißt du nun schon bestimmt, warum dich der große Geist erst jetzt, nachdem du schon so manche Verwandlungen erlitten, in der Mitte dieser zwei urerzweisen Geister hierher in diese große Welt des Lichtes beschieden hat? O rede, du Herrlicher, und unterrichte uns, denn wir möchten von dir ja überaus viel Tiefes erfassen!“
01. Auf diese Entgegnung ist Martin erst ganz verlegen und weiß keine Silbe mehr zu erwidern. Bei sich nur murmelt er ganz leise: „So, so, jetzt ist's recht! Jetzt liegt die Sau vollkommen in ihrer Pfütze! Was soll ich nun sagen? Die haben recht in allen Punkten, und ich bin dagegen ein Esel und Ochse in allen Punkten, – notabene mit dem Weisheitshut auf dem Haupte! O das taugt recht nett zusammen! Die kommen mir mit einem zweiten Hute entgegen! Es geht immer besser! – Brüder, liebe Brüder, reißet ihr mich nicht aus diesem Sumpfe, so gehe ich euch auf jeden Fall durch!“
02. Spricht Petrus: „Bruder, habe nur Geduld und ertrage diese weise Prüfung, dann wird es schon bald besser werden! Denke nur wieder nach; es wird sich schon wieder irgendeine Antwort finden lassen. Nur sei stets ernst und laß nicht viel handeln, sondern behaupte gründlich, was du aufstellst. Rede wie ein Lehrer, dann wirst du mit diesem Vorposten schon überorts kommen! Mit dem Nachtrabe wird es freilich etwas hitziger aussehen, aber da werden wir dir schon helfen, so es sehr not tun wird. Daher sei nur mutig und verzage nicht; es wird alles gut gehen!“
03. Spricht Martin: „Brüder, wie ich verspüre, wird bei mir nicht viel Rares mehr nachkommen, denn ich habe meinen Weisheitskasten bereits ausgeleert! Daß der Liebe die Weisheit notwendig folgen muß, ist mir nun über alle Maßen klar. Es wurde von diesen drei Wunderwesen so richtig geordnet dargestellt, daß sich dagegen nicht das geringste einwenden läßt. Ich kann daher nichts anderes tun, als ihnen völlig recht geben. Oder weißt du etwas Besseres?“
04. Spricht Petrus: „Ja, das ist schon richtig: was recht ist, das ist recht auf Erden wie im Himmel. Dessenungeachtet mußt du dich nicht gar zu leicht schon nach dem Verlauf von einigen weisen Reden gefangengeben, denn auch deine Sätze lassen sich verteidigen! Daher, wie gesagt, denke nur ein wenig nach, und es wird sich dir bald eine sehr gute Antwort vorstellen!“
05. Martin denkt nun kreuz und quer nach, was er da sagen solle. Er findet nach einem etwas längeren Nachdenken doch im Ernste einen Satz, der sich allerdings hören läßt und spricht dann: „O ihr überherrlichen Töchter der großen Sonne! Eure Rede ist wohl sehr weise und ist bestens geordnet. Aber es geht ihr dennoch etwas ab, das euch zwar äußerst gering vorkommen dürfte, für mich aber durchaus nichts Geringes ist.
06. Da ihr durch eure Weisen wißt, was der große Geist Gottes auf meiner kleinen Erde gelehrt hat, und auch wißt, wie dort die Natur aller Kreatur beschaffen ist, so nimmt eines mich sehr wunder: daß ihr nicht auch wißt, was der Herr Jesus, der da ist euer urewiger großer Geist, noch bei andern Gelegenheiten zu uns, Seinen Kindern, geredet hat!
07. Sehet, einst brachten Mütter ihre Kindlein hin zu Ihm. Und da dadurch ein Drängen entstand, stellten sich die schon sehr weise sich dünkenden Jünger den Müttern entgegen und wehrten ihnen, sich dem Herrn zu nahen. Da aber der Herr das bald merkte, sprach Er zu den Jüngern: ,Lasset die Kleinen, und wehret ihnen nicht, zu Mir zu kommen; denn solcher ist das Himmelreich! Wahrlich sage Ich euch, so ihr nicht werdet wie diese Kleinen hier, werdet ihr nicht eingehen in Mein Reich!‘
08. Damit aber setzt der Herr denjenigen, die schon weise waren, die Kindschaft, die noch keine Weisheit besitzt, als Bedingung zur Erreichung des Himmelreiches. Da weiß ich dann nicht, wie ihr die Weisheit für so etwas Großes haltet und überzeugt zu sein scheint, daß man erst nach Empfang eures Weisheitspreises fürs Himmelreich befähigt werden würde! Ich meine, die Lehre Gottes wird doch etwa über die eurige erhaben und durchaus wahr sein?
09. Wohl sagte der Herr zum weisen Nikodemus, daß er zuvor wiedergeboren sein müsse, so er in das Gottesreich eingehen wolle. Aber der Herr meinte damit nicht eure Weisheit, die der Jude ohnehin schon besaß, sondern die unschuldige Kindheit, die da pur Liebe ist! Also verstehe aber auch ich des Herrn Wort, halte mich bloß an die Liebe und überlasse alle Weisheit allein dem Herrn. Seht, darum bin ich auch bei Ihm, – während ich Gott weiß wo wäre, so der Herr meine Weisheit ansehen möchte, die so gut wie ewig keine ist!
10. Ich bin auch mehr als überwiesen, daß ein jeder sündigt, der sich vor Gott der Weisheit rühmen möchte. So aber des Einfältigen Herz nur voll ist der Liebe zu Gott, hat er schon auch den höchsten Lebenspreis in sich, der ihm die Gotteskindschaft erwirkt. Hat er aber diesen Preis, wozu soll ihm dann der eurige dienen? Daher sei euch von mir nun zum letzten Male gesagt: Ich bedarf eures Weisheitspreises nicht, da ich schon lange habe, was ich brauche!
11. Seht aber auch ihr, daß euch mein Preis zuteil wird! Da werdet ihr alle glücklicher zu preisen sein, als ihr es nun seid in eurem ledigen Weisheitsglanze, aus dem trotz eurer unnennbaren Schönheit wenig Liebe herausschaut! Redet nun, ob ihr noch was zu reden habt; aber auf eine Antwort rechnet ja nicht mehr von mir! Denn nur eines tut not, und das ist die Liebe; alles andere gibt der Herr, wann ich es brauche!“
01. Nach dieser guten Erwiderung Martins verneigen sich die drei bis zur Erde und sagen: „O du herrlicher Sohn des großen Geistes! Nun erst erkennen wir, du bist ein wahrer Sohn Dessen, der für uns keinen Namen hat. Du hast uns besiegt; wir sind nun dein und dieser Preis mit uns! O laß uns die Letzten sein in deinem Hause und lehre uns lieben den ewigen Gott!“
02. Spricht Martin, ganz überrascht von dieser Erscheinung: „In meinem Hause ist noch für viele Tausend Raum; so wird er auch für euch sein! Denn größer als eure Welt ist mein Haus, das der Herr, mein ewig heiliger Vater, mir für ewig erbaut hat. Daher, so euch nach meinem Hause gelüstet, werfet euren Weisheitspreis von euch, ergreifet den meinigen der Liebe und folget mir! Aber so euch möglich, verdeckt mehr eure zu großen Reize! Denn diese sind mächtiger als eure Worte für mich, der ich lebendig bin in der Liebe und nicht in der ledigen Weisheit!“
03. Auf diese Worte Martins bringen die hinter den drei Stehenden sogleich reiche blaue Faltenkleider und ziehen dieselben in einem Augenblicke den dreien an. Als diese bekleidet sind, sagen sie zu Martin: „O du hoher, herrlicher Sohn des Allerhöchsten! Sind wir so bekleidet recht und angenehm deinem Auge? Findet es an uns kein Ärgernis mehr? Sind wir nun nach dem Wunsche deines Herzens?“
04. Spricht Martin: „So tut es sich schon. Das ist die Art und Weise in meinem Hause, das da ist ein Haus des großen heiligen Vaters, der da auch nicht fast ganz nackt wie ihr ehedem, sondern ganz bekleidet einhergeht. Ihr seid auch so noch endlos schön, dabei aber doch erträglich meinem Auge. Und so könnet ihr wohl bei mir verbleiben!
05. Aber nun noch etwas: Sagt, kennt ihr den großen Geist? Habt ihr eine Vorstellung von Ihm? Was würdet ihr wohl tun, so ihr vor Ihn treten müßtet?“
06. Sprechen die drei: „O du Herrlichster! Wir wissen wohl, daß es einen allerhöchsten, urewigen Geist aller Geister gibt, der alles, was da ist, erschaffen hat aus Seiner ewigen Weisheit und Allmacht. Aber dieser Geist ist uns so endlos heilig, daß wir uns nimmer unterstehen dürfen, uns von Ihm irgendeine Vorstellung zu machen! Solches dürfen nur die höchsten Weisen. Darum kannst du dir wohl auch denken, wie uns zumute wäre, wenn wir vor Ihn, so Er irgendeine Gestalt hat, hintreten müßten mit der Überzeugung, daß Er es ist! Oh, das wäre etwas Entsetzliches, das wäre das Schrecklichste, das uns widerfahren könnte!“
07. Spricht Martin: „Oh, wenn so, wie fürchtet ihr euch denn vor uns, Seinen Kindern, nicht? Könnet ihr euch denn nicht denken, daß der Vater auch so aussehen wird wie wir, Seine Kinder? Sehet, was die ledige Weisheit für Früchte trägt! Was unserem Herzen das allerhöchste Bedürfnis ist, das ist dem eurigen ganz ehern vorenthalten. Was uns zur größten Wonne erhebt, das möchte euch zur größten Qual werden!
08. Welch ein Unterschied zwischen uns und euch! Saget mir, habt ihr denn in eurem Herzen noch nie Liebe verspürt? Verspürt ihr nicht so etwas allenfalls nun zu mir oder zu einem meiner zwei Brüder?“
09. Sprechen die drei: „Was meinst du damit? Wir wissen wohl, daß die Liebe ein Geiz im Herzen ist: eine zusammenziehende Kraft, die manchmal ihr verwandte Dinge ergreift, selbe dann sehr anzieht und mit sich vereinen will. Was aber die Liebe sonst noch ist, wissen wir nicht! Diese Herzenskraft aber kann nur kleine Dinge ergreifen, weil sie selbst klein ist. Wie könnte sie so große Dinge, wie du es bist, wohl ergreifen! Wir können dich wohl überhoch achten, aber für unsere Liebe wärest du ja viel zu groß, so daß wir dich nicht erfassen könnten.“
10. Spricht Martin: „Aha, eure Weisheit fängt schon an, Haare zu lassen! O sorget euch um die Größe eures Herzens nicht; das wird bald für gar viel Liebe groß genug sein! Welche von euch könnte mich umarmen und so recht fest drücken an ihre Brust?“
11. Sprechen freudig alle drei: „Oh, das können wir sehr gut, und so du Herrlichster es uns gestatten willst, wollen wir dir sogleich eine feurigste Probe geben!“
12. Spricht Martin: „Nur zu; ich gestatte es von ganzem Herzen gerne!“
13. Auf dies Wort fallen alle drei an Martins Brust und jede preßt ihre zarteste Brust wie nur immer möglich an die seinige. Jede spricht: „Ach, ach, das ist endlos süß! O laß uns lange so an deiner Brust!“
14. Spricht Martin: „Ich wußte es ja, daß ihr Liebe habt, und das eine ganz kurios kräftige! Bleibet nun hübsch lange an meiner Brust, die wird euch am besten lieben lehren! Oh, es wird sich diese Sache schon machen!“
01. Es bemerken aber die andern Sonnenmenschen, zu deren Familie die drei Jungfrauen gehören, wie eben diese drei sich an Martin klammern und sich nimmer von ihm trennen wollen. Die Sache kommt ihnen bedenklich vor, daher sich denn andere drei Martin nahen, die aber nicht mehr weiblichen, sondern männlichen Geschlechtes sind.
02. Diese drei fragen Martin: „Hoher, Erhabener! Unsere Augen sehen hier, was zu sehen sie nicht gewohnt sind, da dergleichen hier nicht vorkommt. Das ist eine fremde Sache, die nicht in unserer Ordnung haftet; daher fragen wir dich, was dies zu bedeuten hat! Willst du uns diese drei Töchter nehmen? O sage, mit welchem Rechte! Willst du sie zu deinen Weibern? Willst du sie befruchten? Siehe, das kannst du nicht; denn du bist nicht von dieser Welt und bist zudem noch ein Geist, der nicht befruchten kann! Also sage, was bedeutet das? Was hast du mit unseren Töchtern vor?“
03. Spricht Martin zu den auch über alle Maßen schönen drei Männern: „Ihr liebsten, schönsten Freunde, sorget euch nur um diese drei Töchter nicht! Denn sie sind bei mir in viel besseren Händen denn in den eurigen, die ihr bloß Weisheit, aber in dieser Weisheit ganz entsetzlich wenig Liebe habt! Ich lehre sie nun lieben, und sie fassen die Liebe. Und das ist der Wille des großen Gottes, der in Sich Selbst die allergrößte, höchste und reinste Liebe ist. Ich sage euch, das solltet auch ihr lernen, so würdet ihr auch höherkommen können und nicht stets bleiben auf dieser eurer Welt leiblich und auch geistig. Ich werde diese eure Töchter aufnehmen in mein Haus! Euch aber werde ich nicht aufnehmen, so ihr nicht lieben könnet. Werdet ihr aber auch lieben können, soll sich auch für euch ein Plätzchen finden!“
04. Reden die drei Männer: „Deiner Rede Sinn ist ohne Ordnung, somit ohne Weisheit und sonach für uns nicht faßbar. Rede daher weise, so du mit uns redest! Wohl wissen wir, daß du aus der Gemeinde der Kinder des großen Urgeistes bist. Auch kennen dich unsere höchsten Weisen schon von deinem Planeten aus. Das alles aber ist so lange wertlos bei uns, als wie lange du nicht mit dem Kleide der Weisheit angetan sein wirst. Aus diesem Grunde gebieten wir dir denn auch im Namen der höchsten Weisheit dieser großen Lichtwelt, daß du alsbald diese drei von dir läßt, ansonsten dir ein großes Unheil widerfahren soll, sowie der ganzen großen Schar, die dir folgt! Gehorche, oder wir rufen unsere mächtigsten Geister, daß sie Hand an euch legen sollen!“
05. Spricht Martin: „Oho, nur nicht gar zu hitzig, meine allerschönsten, liebsten Freunde! Sehet mich an – unter allen diesen vielen Brüdern und Schwestern, die mich hier geleiten und Genossen meines Hauses sind, bin ich sicher der schwächste. Aber gegen euch habe ich dennoch so viel Kraft, daß ich euch bloß mit meinem schwächsten Gedanken so zerschmeißen könnte, wie ein großer Sturm zerstreut den Staub! Daher ziehet ab mit euren lächerlichen Drohungen, sonst lege am Ende gar ich selbst die Hand an euch und eure allmächtig sein sollenden höchst weisen Geister! Ihr sollt aus mir sogleich einen solchen Ernst erstrahlen sehen, daß euch allen darob sehr fiebrig zumute werden soll! Also kehret euch nur gutwillig um, sonst werde ich sogleich mit euch ganz anders zu reden anfangen!“
06. Die drei Sonnenmänner strecken ihre Hände in die Höhe und rufen ihre Geister. Aber diese erwidern aus einer Wolke:
07. (Die Geister:) „Dieser Gesellschaft können wir nichts anhaben, denn wir verspüren in ihrem Gefolge das Schrecklichste des Allerschrecklichsten! Tut entweder, was diese Gesellschaft will oder fliehet vor ihr, so weit und schnell ihr nur immer könnet, sonst könnte es euch allen gar sehr übel zustatten kommen. Denn allmächtig sind alle diese, und der Allmächtigste ist unter ihnen! Daher gehorchet oder fliehet; besser aber ist für euch der Gehorsam denn die Flucht! Denn wohin wollt ihr vor denen fliehen, deren Füße schneller sind denn eure Gedanken?“
08. Nach diesen Worten nimmt wieder Martin das Wort und spricht: „Nun, ihr meine noch immer liebenswürdigsten, schönsten Freunde, was wollt ihr nun tun, was sagt euch eure Weisheit nun? Wollt ihr es noch mit uns allen aufnehmen?“
09. Sagen die drei: „Wenn so, da sagt unsere Weisheit: ,So aber der, mit dem du streiten möchtest, mächtiger ist als du, da laß den Kampf. Und gibt er dir dann irgendein Gebot, da gehorche strenge dem, der das Gebot gibt!‘ Siehe, da du in dieser deiner Gesellschaft mächtiger bist denn wir, so wollen wir dir denn auch gehorchen. So gebiete uns denn, was du willst!“
10. Spricht Martin: „So eilet voraus alle, mit Ausnahme eurer drei Töchter, die bei mir bleiben, und bestellet euer Haus; denn wir werden bei euch einziehen auf eine Weile! Was dann später zu geschehen hat, wird euch schon Jemand Anderer aus dieser meiner großen Gesellschaft kundgeben; denn, wie ich schon bemerkt habe, bin ich der Allergeringste unter diesen Tausenden! – Also geschehe es!“
11. Auf diese Worte Martins entfernen sich die drei und ziehen über glänzende Fluren auf eine kleine Erhabenheit des Tales, wo sich ein großer Tempel befindet, zur Wohnung dieser Sonnenmenschen bestimmt. Um diesen stehen etwas tiefer liegend kleinere Gebäude, in denen die Kinder erzogen werden.
01. Als die zahlreiche Sonnenmenschengesellschaft sich eiligst verläuft, richten sich auch die drei Töchter wieder auf und sind noch um vieles schöner. Denn nun blickt gar hold schon Liebe aus ihren unbegreiflich schönen Augen. Ihre Rede wird so sanft und wohlklingend wie ein Cherubsgesang, denn sie reden nun von nichts als von der Liebe.
02. Wir aber fangen auch wieder an, uns weiterzubewegen. Die vielen Weiber, die der Borem und der Chorel führen, und auch die Mönche an ihrer Seite beginnen nun auch sich hervorzudrängen, um die ungeheueren Schönheiten der Sonne zu besichtigen. Früher hatten sie vor lauter Verwunderung nicht Zeit gehabt, da ihnen zu viele und wunderbare Naturseltenheiten dieser Welt sozusagen in die Augen gefallen sind. Da sie nun aber ihre Augen mehr und mehr gesättigt haben und sie Borem eigens dazu aufmerksam macht, wollen sie nun auch sehen, ob und um wieviel die Sonnenweiber schöner wären denn sie.
03. Martin merkt durch einen innern Wink von Mir sogleich, was diese im Sinne haben. Er weiß aber auch, wie sehr diese auf ihre einstige Schönheit sich viel zugute haltenden Nonnen von den drei mächtigsten Schönheiten der Sonne geschlagen würden. Daher sagt er zu den drei Töchtern:
04. (Martin:) „Höret mich an, ihr schönsten Töchter! Seht, eine bedeutende Anzahl von Weibern meines Planeten fangen nun an sich hervorzudrängen, um ihre gestaltliche Schönheit mit der euren zu vergleichen. Da ihr aber gegen sie zu unendlich schön seid, so daß eure Schönheit die ein wenig Eitlen auf längere Weile förmlich töten könnte, so verhüllet mit euren überreichen Haaren auf eine kurze Weile euer Gesicht. Enthüllet es erst nach und nach wieder, so ich euch dazu den Wink geben werde! O tuet mir diesen Gefallen!“
05. Sprechen die drei: „O du unsere Liebe nun! Sind wir gestaltlich denn wohl gar so schön? Sieh, hier in dieser Welt hat uns noch nie jemand das gesagt. Hier weiß man nichts von einer gestaltlichen Schönheit, sondern nur von einer gestaltlichen Ordnung und einer entsprechenden Weisheit aus ihr. Du warst wohl der erste, der unsere Gestalt zu rühmen begann, was wir aber mehr auf unsere Ordnung und Weisheit bezogen haben. Aber nun merken wir wohl, daß du hauptsächlich unsere Gestalt meinst! So aber im Ernste unsere Gestalt für dich, wie du sagst, so unnennbar schön ist, so sage uns, worin denn unsere so große Schönheit besteht!“
06. Spricht Martin: „Zuerst erfüllet meinen Wunsch, dann werde ich euch das schon alles gelegentlich erläutern!“
07. Sagen die drei: „Oh, so schiebe du selbst uns die Haare über das Gesicht. Denn du wirst am besten wissen, wie unser Gesicht verdeckt sein muß, um jenen, die nun zu uns hervorkommen, nicht gefährlich zu sein!“
08. Martin läßt sich das nicht zweimal sagen und vollzieht sogleich das verlangte Werk. Als er gerade bei der dritten fertig ist, kommt schon Borem zu ihm und spricht:
09. „Bruder, du hast deine Aufgabe bisher meisterlich gelöst! Freilich wohl hast du zwei Freunde bei dir, denen auf dieser wie auf zahllosen andern Welten alle Wege bekannt sind. Dessenungeachtet hast du förmlich Wunder geleistet. Doch nun mußt du mit diesen nun deinen drei Töchtern gegen die vordringenden Nonnen sehr achtsam sein, sonst wirst du ein wahres Mordsspektakel erschauen!
10. Das Gesicht darfst du sie vorderhand schon gar nicht sehen lassen, außer auf dringendes Verlangen. Kannst du sie aber sonst abfertigen, wird es um so besser sein. Wie unsere Nonnen diese drei von Angesicht erschauen werden, da werden sie wie vom Blitz getroffen zu Boden stürzen und sich aus Gram und großer Beschämung förmlich selbst zu zerreißen anfangen. Daher sei du nun möglichst behutsam, sonst gibt es hier eine tüchtige Wäsche ab.“
11. Martin wird darob bedeutend verlegen und spricht: „Also wieder eine verzweifelte Geschichte in Aussicht! Nein, diese Nonnen haben mir noch allzeit am meisten zu schaffen gemacht, und hier im Himmel geben die dummen Greteln auch noch keine Ruhe! Ich hätte gute Lust, ihnen diese drei ganz entblößt in ihrer größten Schönheit vorzustellen. Sie sollen nur anrennen, was immer kreuzmöglich ist, und gedemütigt werden über einen Sklaven! Vielleicht wird's nachher besser mit ihnen!“
12. Spricht Petrus: „Ja, hast recht, Bruder, gar zu zart muß man mit jenen nicht umgehen, die sich in ihrem eitlen gestaltlichen Wesen mehr als recht zu gefallen bemüht sind. Es ist wohl recht, anfangs gelindere Mittel anzuwenden, um solche eitlen weltlichen Überreste von der Seele zu entfernen. So aber die gelinden Mittel nicht hinreichen, dann aber nur geschwind die gröbsten Bürsten her. Bruder Borem, hast wohl recht, wie du es meinst; aber Martin hat auch recht! Daher lassen wir ihm hier das Handeln ganz frei über!“
13. Johannes bestätigt solches auch und sagt noch zu Borem: „Du hast ganz recht, und Martin hat auch recht. Denn siehe, in der Sonne gibt es ewig keine Nacht, und der Nordpol leuchtet gleich wie der Südpol. Gehe daher nur zurück und führe deine fromme Herde vor; sie soll hier bestens gekämmt und geschoren werden!“
14. Borem geht und bringt mit Chorel zwanzig der Eitelsten, die sich für ganz besonders schön dünken. Sie umringen sogleich den Martin samt Petrus, Borem und Chorel und sagen zu Martin: „Nun, wo sind denn die gar so unendlichen Schönheiten der Sonne, von denen uns in deinem Hause gesagt wurde, daß wir gegen sie gar nichts wären? Zeige sie uns und überzeuge uns von der Wahrheit deiner Aussage!“
15. Spricht Martin: „Nur her mit euch, ihr eitlen Seelen! Soll euch sogleich geholfen sein! Sehet, da stehen schon drei! Wie gefallen sie euch?“
16. Sprechen die Nonnen: „Wir sehen nichts denn Haare und blaue Faltenkleider, dergleichen auch wir haben; aber wir wollen das offene Gesicht, die Brust und die Arme sehen!“
17. Spricht Martin: „So ihr sterben wollt vor Gram und Scham, soll euch euer Verlangen sogleich gewährt werden! Saget nun – ja oder nein!“
18. Die Nonnen stutzen über die letzte Aufforderung Martins und fragen einander, was sie tun sollen; aber keine weiß der andern einen rechten Bescheid zu geben. Eine wendet sich an Chorel und fragt ihn um Rat in dieser Sache. Aber Chorel zuckt ebenfalls die Achseln und sagt nach einer nachdenklichen Weile:
19. (Chorel:) „Ja, meine geliebten Schwestern, hier ist ein guter Rat wahrlich sehr teuer! Sagt ihr ja, da seht zu, wie es euch nach den sehr bestimmten Worten Martins ergehen wird. Sagt ihr aber nein, so wird euch eure unbegrenzte Neugierde nahezu zugrunde richten. Ihr sehet, wie schwer euch hier zu raten ist. Eines wäre freilich wohl das Beste, aber das werdet ihr euch kaum zu tun getrauen?“
20. Sagen die Nonnen: „Wir wollen alles tun, so es etwas Rechtes ist! O sage es uns und rate uns!“
21. Spricht Chorel: „Nun denn, so höret: Hinter uns gehen Chinesen, und hinter diesen zieht der Herr inmitten der beiden Ihn hoch über alles Liebenden! An Ihn wendet euch; Er wird euch die allerbeste Auskunft geben können, was ihr hier zu beachten und zu tun habt! Werdet ihr Seiner Verheißung folgen, da werdet ihr auch sicher mit der heilsten Haut darauskommen. Im Gegenteile aber müsset ihr's euch dann selbst zuschreiben, wenn es euch so oder so übel ergehen dürfte. Denn das sehe ich hier schon ein, daß hier mit nichts zu spaßen ist! Das ist mein Rat; ihr aber könnet tun, was ihr nur immer wollt!“
22. Als die Nonnen solches vernehmen, sagen sie: „Freund, das wissen wir schon lange! Aber das heißt hier nichts anderes, als vom Regen in die Traufe gehen. Da fürchten wir denn doch die drei um tausend Male weniger als den Herrn! Denn was sind diese alle gegen den Herrn? Der Herr ist der Herr; diese alle aber sind dennoch gleich wie wir nur Seine Geschöpfe. Ob überschön oder überhäßlich, das ist vor dem Herrn ein- und dasselbe. Daher glauben wir, es wird besser sein, wir besehen doch diese drei Schönheiten der Sonne, als so wir zum Herrn gingen und dadurch zeigten, daß wir uns vor Ihm weniger fürchten als vor diesen drei Geschöpfen!“
23. Spricht Chorel: „Gut, gut; so ihr euch selbst besser denn ich raten könnt, so tut, was ihr wollt! Aber für einen künftigen ähnlichen Fall ersparet euch die Mühe, mir mit einer Frage zu kommen!“
24. Auf diese Äußerung treten die Nonnen wieder vor Martin hin und sagen: „Geschehe, was da wolle, wir wollen diese drei ganz in ihrer Schönheit sehen!“
25. Spricht Martin: „Gut, gut, kommt nur her und macht eure Augen recht weit auf; es wird euch eure dumme Eitelkeit bald vergehen!“ Hier wendet er sich zu den dreien und spricht: „Nun, meine geliebtesten Töchter, tut aus dem Gesichte eure Haare und lasset es diese Eitlen sehen!“
26. Sprechen die drei: „So es ihnen aber schadete, da blieben wir lieber verhüllt, denn durch uns soll niemand zu Schaden kommen!“
27. Spricht Martin: „Meine herrlichsten, geliebtesten Töchter, das ist nun gleich. Dem, der etwas festweg selbst will – ob Gutes oder Schlechtes –, geschieht kein Unrecht! Diese aber wollen euch durchaus sehen, trotzdem sie gewarnt wurden zu mehreren Malen durch mich wie durch noch einen anderen Bruder. Darum sollen sie euch auch sehen und dabei toll werden und nahezu zugrunde gehen. Und so enthüllet euch denn und zeigt euch diesen eitlen Törinnen!“
28. Auf diese Worte sagen die drei: „O du erhabener Freund, wahrlich, du bist ein großer Weiser; denn deine Rede baust du auf festestem Grunde! Daher wollen wir denn sogleich tun, was du uns geboten hast. Mag die Wirkung ausfallen, wie sie immer wolle, so enthüllen wir uns denn!“
29. Mit diesem Worte schieben alle drei zugleich ihr Haar auf die Seite. Ihrer zu großen Schönheit strahlendster Glanz hat bei den eitlen Nonnen ungefähr eine ähnliche Wirkung, als wenn eine jede von zehn Blitzen zugleich wäre getroffen worden. Alle stürzen wie über einen Haufen zusammen, und nur einige von ihnen schreien mit dumpfer Stimme:
30. (Einige der Nonnen:) „Wehe uns Häßlichsten, wir sind verloren! Krokodile, Kröten und noch anderes häßlichstes Geschmeiß ist um vieles schöner gegen uns, als wir gegen diese! O Herr, mache uns alle blind! Denn es ist besser, ewig blind zu sein, als nur einmal noch einer solchen zu ungeheuren Schönheit ansichtig zu werden!“
01. Nach diesen Worten verstummen sie ganz, und die drei sagen zu Martin, Petrus und Johannes: „Ach, da habt ihr's nun! So ihr das schon im voraus gewußt habt, warum hießet ihr uns, ihnen unser enthülltes Angesicht zu zeigen? Nun liegen die Armen ganz leblos vor uns! Wer wird ihnen nun ein neues Leben wiedergeben? Könnet etwa ihr das? Oh, wenn ihr es könnet, da erwecket die Armen wieder, denn sie dauern uns gar sehr! Ach, wenn wir uns vor ihnen doch nicht enthüllt hätten!“
02. Spricht Johannes: „Macht euch nichts daraus! Was hier diesen durch eure – von Gott, dem Herrn, eigens erhöhte – übermächtige gestaltliche Schönheit begegnete, ist ihnen überaus gut und heilsam. Eben dadurch sind sie einer letzten, aber überaus schweren materiellen Bürde ledig geworden, die sie sonst noch lange gequält und unfähig gehalten hätte, höhere und höchste Freuden der Himmel Gottes zu genießen. Nun aber ist diese Bürde mit einem Hiebe von ihnen gewichen auf ewig. So werden sie auch bald zu einem besseren und reineren Leben erstehen und werden euch ohne Ärger, Schande und Schaden beschauen können gleich uns. Sie werden euch recht viel nützen können, indem sie doch Töchter des Allerhöchsten und heiligen Vaters sind!
03. Sie sind jetzt freilich so gut wie tot. Denn es wurde ihnen nun ihre falsche Liebe genommen, die sie bis jetzt belebt hatte bei weitem mehr denn die Liebe zu Gott, dem ewigen Herrn aller Herrlichkeit und alles Lebens. Aber seht, dort vom Hintergrunde dieser großen Gesellschaft kommt soeben ein Mann, ein Vater, zwischen zwei Töchtern hierher! Dieser wird die nun tot Scheinenden schon zur rechten Weile wieder ins Leben zurückrufen, und vor euren Augen wird sich dadurch Gottes Herrlichkeit auftun. Daher macht euch nichts daraus; denn was diesen begegnet ist, ist ein heilsamster Akt für ihre noch sehr eitel gewesenen Herzen.“
04. Sprechen die drei: „O du herrlicher, uns schon bekannter Freund! Da du uns nun so viel Tröstendes gesagt hast, so sage uns auch, wer denn jener Mann ist, der nun zwischen seinen zwei Töchtern hierher wandelt. Ist es auch ein Bruder von euch und entstammt er gleich wie ihr dem heiligen Planeten?“
05. Spricht Johannes: „Wie ihr Ihn nun daherwandeln sehet, ist Er wohl uns allen ein Bruder. Er entstammt so wie wir Seinem hier sichtbar gestaltlichen Wesen nach der Erde, d.i. jener kleinen Welt, die eure Weisen gemeinweg den Heiligen Planeten nennen. Aber dessenungeachtet ist Er dennoch unser aller Meister und somit auch Herr! Denn wer ein Meister ist, der ist auch ein Herr. Er aber ist unser Meister in allen Dingen; also ist Er auch ein Herr über alle Dinge, von Gott verordnet!“
06. Sprechen die drei: „Oh, wenn so, da ist er ja um sehr vieles mehr denn ihr? Vielleicht so wie bei uns der oberste Weise, dem nicht nur alle Menschen dieser großen Welt, sondern auch alle Berge und Wässer und alle Tiere und Pflanzen gehorchen müssen?“
07. Spricht Johannes: „Ja, ja, ungefähr so; aber noch etwas mehr, wie ihr es selbst bald werdet kennenlernen!“
08. Sprechen die drei: „Müssen wir uns etwa auch vor ihm verhüllen?“
09. Spricht Johannes: „Hat keine Not! Der kennt euch schon lange und eure ganze Welt, bevor sie noch war und bevor wir und eure Weisen waren!“
10. Das nimmt die drei Sonnentöchter so wunder, daß sie darauf erwidern: „Was sagst du?! Das ist etwas, was wir noch nie vernommen haben, selbst von unseren größten und höchsten Weisen nicht. Denn diese sagen, unsere Lichtwelt sei wie eine Mutter aller andern Welten und sei daher auch die älteste unter allen. Wenn aber unsere große Welt, die nahezu kein Ende hat, die älteste ist – was da sicher und gewiß ist, da wir schon oft Zeugen waren, wie aus ihrem weiten Schoße neue, freilich nur kleine Welten geboren wurden –, wie kann da ein Weiser einer anderen, sicher kleineren Welt, die auch aus unserer Welt geboren ward, älter sein als unsere Weisen, ja älter als unsere große, nahezu endlose Welt!
11. O du sonst herrlicher Freund, da hast du dich doch wohl sicher ein wenig verrechnet. Es müßte nur sein, daß jener Meister ein Urengelsgeist wäre; dann freilich wäre es etwas anderes, dann könntest du wohl recht haben. Aber weil das schwerlich der Fall sein wird – was wir daraus entnehmen, daß ihn gar kein Lichtglanz umgibt, was doch bei den anderen Engelsgeistern stets so mächtig der Fall ist, daß wir gegen sie nahezu ganz finster erscheinen –, so mußt du es uns schon zugute halten, so wir dir hier einen kleinen Rechenfehler zur Last legen.“
12. Spricht Johannes: „Meine geachtetsten Töchter! Eure Weisen rechnen wohl gut, wir aber rechnen besser. Denn seht, es ist ein großer Unterschied zwischen uns und euch: Wir sind wahrste Kinder des Allerhöchsten; ihr alle aber seid nur Seine Geschöpfe und könnt nur durch uns Seine Kindeskinder werden! Das wisset ihr auch aus dem Munde eurer Weisen. Wenn aber also, saget mir, wer da älter ist: die Kinder oder die Kindeskinder, was ihr seid?“
13. Hier stutzen die drei und sagen nach einer Weile: „Oh, deine Frage ist von einer zu tiefen Weisheit! Diese können wir dir nicht beantworten. Vielleicht könnten es unsere Weisen wohl, was wir aber auch nicht behaupten können, da wir natürlich nicht berechnen können, wie tief sie mit ihrer Weisheit reichen. Lassen wir aber nun diese Sachen ruhen, denn euer Meister und Herr – wie du es uns gesagt hast – ist schon ziemlich nahe gekommen. Wir wollen uns auf seinen Empfang würdig vorbereiten! Nur das sage uns noch, wie er es am liebsten hat, daß man ihm entgegenkommt, auf daß wir uns innerlich und äußerlich darauf vorbereiten können!“
14. Spricht Johannes: „Über diesen Punkt wendet euch nur an euren zweiten Vater Martin, der euch ehedem lieben gelehrt hat. Er wird es euch schon ganz genau sagen!“
15. Darauf wenden sich die drei sogleich an Martin und dieser spricht:
16. (Martin:) „Meine geliebtesten Töchter! Bei diesem Meister und Herrn gilt nichts als einzig allein die reine Liebe! Daher kommet Ihm mit der größten Liebe entgegen, so werdet ihr Ihn gewinnen. Habt ihr aber Ihn gewonnen, so habt ihr alles gewonnen, denn Ihm sind alle Dinge möglich. Er könnte euch sogar zu wirklichen Gotteskindern machen, dessen bin ich völlig überzeugt!“
17. Sprechen die drei: „Dürften wir ihn denn auch so lieben, wie wir dich ehedem geliebt haben? Dürften wir uns auch so nach unserer neuerwachten Herzenslust fest an ihn schmiegen?“
18. Spricht Martin: „Allerdings, die Liebe kann vor Ihm nie einen Fehltritt machen. Würde Er auch im äußersten Falle zu euch sagen: ,Rühret mich nicht an!‘, so lasset euch dadurch dennoch nicht abhalten und erglühet nur desto mehr zu Ihm. Fasset Ihn ehernfest in eure Herzen, so wird Er euch dann schon von selbst entgegenkommen und wird euch in aller Fülle gestatten, wonach eure Herzen dürsten! Hat Er euch einmal in Sein Herz aufgenommen, dann erst werdet ihr eine Seligkeit in euch empfinden, von der kein Weiser eurer Welt auch nur die leiseste Ahnung hat!“
19. Sprechen die drei: „Ach, jene beiden Herrlichsten werden sicher solch eine Seligkeit in größter Fülle genießen? Was für ein mächtiger Himmelsgeist muß er doch sein, daß ihr, als wahre Kinder des allerhöchsten Geistes, ihn als eueren Herrn und Meister bekennt! Sicher muß Er der erste Sohn des Allerhöchsten sein und daher auch Sein Liebling und Sein alles?!“
20. Spricht Martin: „Ja, ihr habt nun beinahe das Zentrum getroffen; so wird sich die Sache ziemlich verhalten. Aber nun seid ganz ruhig, Er wird nun sogleich hier sein! Sehet, die Toten fangen bei Seiner Annäherung auch schon sich zu rühren an; daher also nur ruhig! Nicht wahr, meine geliebtesten Töchter, ist Er nicht endlos liebenswert?“
21. Sprechen ganz entzückt die drei: „Ach Himmel, ach Himmel! Oh, solch eine Liebenswürdigkeit haben sicher alle endlosen Himmel nicht noch einmal! Ach, welch eine unbeschreiblichste Sanftmut strahlt aus seinem ganzen Wesen! Ach, je näher er kommt, desto endlos liebenswerter wird er! O vergib uns, so wir dir sagen müssen, daß ihr, auch als Kinder des Allerhöchsten, doch nahe wie leere Schatten gegen ihn erscheint. Ach, je näher er kommt, desto klarer wird es unseren Herzen, daß man außer ihm kein Wesen mehr lieben könnte!
22. O Freund, o du unser neuer geistiger Vater, wir können nun unsere Herzen nimmer zurückhalten; zu mächtig verlangt es sie nach ihm! Nun bleibt er ungefähr zehn Schritte vor uns stehen, und – ach, da sieh hin! Siehe, er winkt mit dem Zeigefinger! O sage uns, wem, wem gilt dieses heilige Winken? Siehe, die Berge dieser Welt neigen sich, sooft er winkt! Und dort unten tief im Tale, wie das große Wasser sich erhebt und erbebt! – O sage uns, wem gilt dieses heilige Winken?“
23. Spricht Martin, auch ganz gerührt: „Euch, euch, meine geliebtesten Töchterchen, und nach euch diesmal sicher eurer ganzen Welt! Daher eilet nun hin und tuet, wie ich euch früher gelehrt habe!“
24. Sprechen die drei: „Ach, führe uns hin! Wir haben nicht den Mut und die Kraft, denn unsere zu mächtige Liebe erlahmt unsere Glieder!“
25. Martin, Johannes und Petrus greifen nun sogleich den dreien unter die Arme und führen sie sanft zu Mir hin.
01. Als die drei mit ihren Führern bei Mir anlangen und Chanchah und Gella dieser drei außerordentlichen Schönheiten ansichtig werden, fahren sie förmlich zusammen, und Chanchah spricht:
02. (Chanchah:) „O Du mein allmächtigster Vater, was sind denn das für Wesen? Von solch einer unbegreiflichen Schönheit hat wohl noch nie selbst der glühendsten Menschenbrust etwas geträumt! O Vater, sind das auch geschaffene Wesen oder Urgeister, deren Sinn von Ewigkeit her makelloser war als das Licht des reinsten Sternes?
03. Ach, wie entsetzlich häßlich muß ich mich im Vergleiche mit diesen ausnehmen! Ja, wenn ich diese beschaue, kommt es mir – o vergib mir solch einen Gedanken! – gerade vor, als sollte es Dir, o Vater, nahezu unmöglich sein, die weibliche Menschengestalt gar so unendlich schön zu gestalten. Freilich ist solch ein Gedanke ebenso dumm und blöde wie ich selbst nun! – Oh, – wahrlich, ihre endloseste Schönheit ist für mich beinahe völlig unerträglich!“
04. Nach diesen Worten verstummt Chanchah; die Gella aber ist schon gleich von Anfang stumm und weiß sich nicht zu raten und zu helfen, sondern seufzt bloß heimlich im Gefühle ihrer vermeintlichen größten Häßlichkeit.
05. Ich aber belasse die beiden aus bestem Grunde eine Weile in solcher Zerknirschung und sage darauf zum Martin: „Nun, Mein geliebter Bruder Martin, das Fischen geht bei dir ja recht gut vonstatten. Da hast du Mir ja drei recht artige Fischlein sogar aus den tiefen Gewässern der Sonne gefangen, was Mir eine sehr große Freude macht! Ich sehe schon, daß dir das Fischen hier besser gelingt als auf der Erde. Daher werde Ich dich schon müssen zu einem wirklichen Fischer in den Gewässern der Sonne machen. Du wirst nun ganz besonders fest und taugst wirklich zu Meinem Bruder Petrus und Johannes, die stets Meine Hauptfischer in der ganzen Unendlichkeit sind.
06. Wahrlich, diesmal hast du dich selbst übertreffend ausgezeichnet! Sieh, das ist die erste rechte Freude, die du Mir gemacht hast! Denn bis jetzt ist es beinahe noch keinem ausgesandten Fischer in dieser Lichtwelt gelungen, Menschen dieser Welt in das Netz der Liebe zu fangen. Ihre Weisheit ist groß und ihre Schönheit hat viele Fischer schon ganz ohnmächtig gemacht. Aber du hast dich da wirklich wie ein Meister ausgezeichnet. Ich werde dich daher schon über Größeres setzen müssen, weil du im Kleinen so gut gewirtschaftet hast!“
07. Spricht Martin: „O Herr, o Vater, zu viel, zu viel Gnade! Du weißt ja, daß man von einem Ochsen nichts als ein Stückchen Rindfleisch haben kann. Und was bin ich sonst wohl vor Dir anderes als ein Ochse und mitunter manchmal auch noch ein anderes Vieh? Du weißt schon, was für ein Vieh ich meine!
08. Ohne Deine besondere Gnade wäre es mir in Gesellschaft dieser drei allerliebsten Töchter sicher absonderlich schwach und schlecht ergangen. Hätten sie mir mit ihrer Weisheit auch schon keinen gar zu mächtigen Rippenstoß versetzt, so doch einen desto mächtigeren mit ihrer allerreizendsten Schönheit.
09. Oh, und was für einer Schönheit vom Kopfe bis zur letzten Zehe! Aber da griffst Du mir durch die zwei kräftigsten Brüder unter die Arme, und siehe, da ging es freilich! Hättest Du mich aber nur ein wenig frei gelassen, da wäre ich ja auf der Stelle fertig geworden mit meiner Stärke. Wie es mir aber dann weiter ergangen wäre, wirst Du, o Herr, sicher am besten wissen!“
10. Rede Ich: „Mein lieber Bruder, da hast du freilich wohl recht geantwortet, denn ohne Mich kann niemand etwas tun. Aber siehe, die Sache ist so:
11. Das Zukommenlassen Meiner Gnade ist freilich Mein Werk, das da niemandem vorenthalten wird. Aber das Ergreifen dieser Gnade und das Handeln darnach ist das eigene Werk eines jeden freien Geistes und sonach auch das deinige. Und darum lobe Ich dich, daß du eben Meine Gnade so vortrefflich ergriffen und darnach gehandelt hast!
12. Ich lasse Meine Gnade gar vielen zukommen, und sie erkennen sie auch und loben Mich darob. Aber so sie darnach handeln sollen, achten sie der Gnade nicht und bleiben stets gleich in ihrer irdischen schlechten Gewohnheit. Solange sie im Leibe sind, tun sie, was ihrem Fleische wohl tut und bleiben sinnlich bis auf den letzten Augenblick. Kommen sie dann in das Geisterreich, so sind sie dann noch zehnfach ärger als auf der Welt, indem sie hier alles haben können, was sie wollen. Sie haben dennoch stets gleich mächtig Meine Gnade; aber sie achten ihrer nicht, und das ist schlimm für sie.
13. Du aber hast nun Meine Gnade geachtet in der Tat und bist darum Meines Lobes wert. Besonders hier, wo es um tausend Male schwerer ist als auf der Erde, Meine Gnade ins Werk zu setzen. Fahre nur so fort, so wird sich dein Geist bald einer Freiheitsstärke erfreuen, die ihresgleichen sucht!“
14. Petrus und Johannes geben selbst Zeugnis und sagen: „Wahrlich, wir beide hätten den Mut nicht gehabt, den Sonnenweibern mit der Liebe zu kommen, weil wir sie kennen, was sie können, so sie bei einem Geiste nur die leiseste Schwäche entdecken! Aber dem Martin ist es gelungen. Dir, o Herr, allen Preis darum und dem Martin eine herrlichste Heldenkrone!“
15. Sage Ich: „Ja, also sei es! Nun aber stelle Mir du, Mein lieber Bruder Martin, deine drei Fischlein vor, daß Ich von ihnen erfahre, wie du sie für Mich zubereitet hast!“
01. Auf diese Beheißung wendet sich Martin zu den dreien und spricht zu ihnen: „Nun, meine geliebtesten Töchter, sind wir am rechten Ort. Da schüttet eure Herzen aus, wie ich es euch gelehrt habe und es die Glut eurer Herzen verlangt!“
02. Auf diese Worte Martins breiten die drei schnell ihre überschönen Arme aus und wollen sogleich Mir an die Brust fallen.
03. Ich aber bedeute ihnen: „Meine geliebten Kindlein, noch rühret Mich nicht an, da ihr noch in eurem Fleische seid; denn solches würde euren Leib töten! Wenn ihr aber entleibt sein werdet, werdet ihr Mich ohne allen Schaden anrühren dürfen! Ich bin ein vollkommenster Geist; daher können auch nur vollkommene Geister mich anrühren!“
04. Sprechen die drei: „Ist dieser dein Bruder ja doch auch ein Geist! Und sieh, wir lagen an seiner Brust und lernten da die Liebe kennen, und es hat uns nicht geschadet! So du, allerherrlichster Meister und Herr deiner Brüder, ein noch vollkommenerer Geist bist, meinen wir, daß es uns noch weniger schaden wird, so wir an deiner Brust uns so ganz der Liebe hingeben wollen!
05. Und was ist es denn, wenn wir dadurch entleibt würden? Es ist doch besser, ohne Leib zu lieben, als mit dem Leibe von der Liebe verbannt zu sein! – O sieh uns doch an und fühle, wie sehr wir leiden, so wir dich nicht nach unserem Herzensdrange lieben dürfen!“
06. Rede Ich: „Meine lieben Kindlein! – Lieben dürfet ihr Mich schon aus allen euren Kräften, die Liebe sei euch nicht vorenthalten. Aber nur anrühren sollt ihr Mich noch nicht, weil euch das schaden würde! Aber so eure Liebe schon so heftig ist, daß sie euren Leib nahezu auflösen möchte, könnet ihr wohl Meine Füße anrühren; denn die Brust wäre wohl noch zu heiß für euch!“
07. Bei diesen Worten stürzen die drei sogleich zu Meinen Füßen nieder, umklammern diese mit ihren zartesten Händen und sprechen dann mit einer überzarten und harmonischen Stimme: „Ach, ach, welch eine unendliche Süßigkeit! Oh, wüßten doch unsere Brüder von vielen Aeonen, wie endlos süß die Liebe ist, sie gäben alle ihre Weisheit für einen Tautropfen solcher Liebe!
08. O du herrlichster Herr und Meister, warum wissen denn wir Menschen dieser großen herrlichen Welt nichts von der Liebe? Warum müssen wir allein nur in der nimmer zu erforschenden Weisheit der Himmel des ewigen Urgeistes wühlen und dabei nie gewahren, was die Liebe, die allersüßeste Liebe ist!“
01. Rede Ich: „Meine lieben Kindlein! Sehet, der Leib eines Menschen hat mannigfache Glieder und Sinneswerkzeuge. Aber es kann das Ohr nicht haben, was das Auge, – der Mund nicht, was die Nase, – der Kopf nicht, was das Herz, – und das Herz nicht, was die Füße und Hände haben. So aber der ganze Leib gesund ist, da sind es auch alle einzelnen Glieder. Es fühlt sich das Auge nicht unglücklich, weil es nicht hört, und das Ohr nicht, weil es nicht sieht.
02. Ebenso hat auch das Haupt sich noch nie beklagt, weil es weiter vom Herzen entfernt ist als die Lunge. Denn alle Glieder, welcher Verrichtung sie auch sein mögen, genießen und leben doch von einem Herzen, das da ist die Wohnung der Liebe und des Lebens. Und so, Meine Kindlein, seid auch ihr, wennschon nicht das Herz selbst in der großen Ordnung der Dinge Gottes, so doch gleiche Mitgenießer alles dessen, was aus dem Herzen Gottes kommt. Wer von euch aber ganz besonders die Liebe erkennt wie ihr nun, der wird auch von der Liebe aufgenommen werden!
03. Solange ihr noch Blut seid, könnet ihr jedes Gliedes Anteil werden. So aber das Blut einmal Nährteil irgendeines Gliedes geworden und mit ihm zur Einheit zusammengeflossen ist, ist an eine Weiterführung solch eines vereinigten Blutteiles nicht mehr zu denken.
04. Ich weiß wohl, daß eure Weisen oft über das große Vorrecht jener kleinen Welt – die sie gewöhnlich den Heiligen Planeten nennen, da seine Menschen ausschließlich Kinder des Allerhöchsten sind – erstaunen. Bedenket aber, wie gar elend müssen sie alldort ihr zeitweiliges Leben zubringen!
05. Hunger, Durst, große Kälte, oft noch größere Hitze, nebst einem sehr gebrechlichen Leibe müssen sie von Kindheit an ertragen. Dieser ihr Leib aber ist noch dazu tausend schmerzlichsten Krankheiten und endlich noch einem sicheren schmerzlichen Tode unterworfen! Mit großen Schmerzen wird dort der Mensch geboren und ebenso muß er wieder die Welt verlassen.
06. Bis in sein zwölftes Jahr ist dort der Mensch oft kaum eines reifen Gedankens fähig und wird oft mit Hieben der Rute erst zum vernünftigeren Menschen gebildet. Ist er nur halbwegs bei Vernunft, wird ihm schon das harte Joch einer Menge schwerst zu beachtender Gesetze aufgebürdet. Für deren Übertretung erwarten ihn nicht nur schwere und schmerzliche zeitliche, sondern sogar allerschärfste und unausbleibliche ewige Strafen!
07. Daneben muß er noch, um das Leben seines ohnehin gebrechlichen, schweren Leibes zu fristen, im brennenden Schweiße seines Angesichtes seine Nahrung bereiten! Und er ist bei alledem oft bis auf den letzten Augenblick seines irdischen Lebens in beständiger Ungewißheit, ob es nach dem schmerzlichen Tode seines Leibes noch irgendein Leben gibt. Und so es schon eines gibt, so ist das für ihn nicht selten schrecklicher gestellt und weniger wünschenswert als selbst eine ewige Vernichtung. Zu allen den Bitterkeiten des Lebens wird er aber dennoch von einer außerordentlichen Liebe zum Leben dergestalt beseelt, daß ihm der Tod trotz allen Drangsalen seines kummervollsten Lebens dennoch als das Allererschrecklichste erscheint!
08. Wenn ihr nun die Menschen des von euch sogenannten Heiligen Wandelsternes so betrachtet, was sie ausstehen müssen, um ihrem einstigen, freilich höchsten Berufe zu entsprechen: saget, so ihr euch dagegen betrachtet, sind sie von euch zu beneiden? Oder möchtet ihr das ausstehen, um möglicherweise das zu werden, was sie von Geburt an noch lange nicht sind und auch nie werden können, so sie nicht all die schweren Bedingungen nach den strengen Gesetzen erfüllen, die ihnen unmittelbar unter strengsten Sanktionen vom allerhöchsten Gottesgeiste gegeben sind?!“
01. Bei dieser Beschreibung stehen die drei Sonnentöchter wieder auf und sagen: „O du erhabenster Freund und Meister großer Weisheit! Wenn der große Gott Seine werdenden Kinder so behandelt, da halten wir von solch einer Kindschaft ewig nichts! Denn wenn dann einer vielleicht aus Tausenden durch ein entsetzlich selbstverleugnendes Leben mit der so hart und schwer errungenen Kindschaft alle Fähigkeiten des Allerhöchsten erreicht hätte, so sind sie aber dennoch nichts gegen solche Leiden! Und dreimal nichts, weil sie nur jenem zuteile werden, der sein Leben hindurch am meisten alles erdenkliche Elend geduldig ausgestanden hat.
02. Was nützt einem solchen Kinde wohl selbst die größtmögliche Seligkeit, die ihm ein allmächtigster Gottgeist nur immer bereiten kann? Wenn ihm die Erinnerung bleibt, was er einst darum hat ausstehen müssen, so muß sie ihm jede Seligkeit auf ewig verbittern. Und das um so mehr, so er daneben gewahr werden muß, daß seine ebenbürtigen Brüder sicher zu Tausenden allerelendst in irgendeinem ewigen Straforte schmachten, während er vielleicht aus vielen Äonen als der einzige glücklich seine schreckliche Lebensaufgabe gelöst hat.
03. Erinnert er sich aber seines einstigen Elendes nicht und kümmern ihn seine unglücklichsten Brüder nimmer, weil er allein das nahezu unerreichbare Glück hatte, ein Kind Gottes zu werden, da ist er um sein Leben betrogen. Denn ohne Rückerinnerung kann er unmöglich sagen, daß er sich solch eine Glückseligkeit erworben habe. Kennt er jedoch die nimmer, die neben ihm elendst geworden sind, dann ist bei uns ein Kind im Mutterleibe ja schon weiser und erleuchteter denn so ein elendes Gotteskind, das von seiner Gotteskindschaft außer einer stumpfen Seligkeit sicher nichts als bloß einen leeren und bedeutungslosesten Namen hat!
04. Bei so bewandten Umständen – höre du, wenn auch ein allererster Sohn Gottes! – halten wir von der Gotteskindschaft nichts, könnten wir selbst dir gleichgestellt werden. Vorausgesetzt, daß dich deine Gotteskindschaft auch verhältnismäßig große Vorleiden gekostet hat! Wir begreifen da aber auch die Weisheit Gottes nicht, wie sie an solchen gemarterten Wesen ihre Lust haben kann? Wahrlich, solch ein Gott – und unser Gott, die müssen wenig voneinander wissen!
05. Ihr dauert uns wirklich von ganzem Herzen! Kommt mit uns und bleibet bei uns, da soll es euch besser gehen als bei eurem Gott, der nur Freude an den Elenden hat!
06. Wohl ist eure Liebe etwas Süßes und ist zum Teil die Basis des Lebens. Aber was nützt all diese Lebenssüßigkeit, so dabei der Geist ein ewig gebundener bleibt, und so seine Bewegung so gut wie keine ist, da es ihm nur gegönnt ist, sich innerhalb der engstgezogenen Schranken einer bestimmten Ordnung zu bewegen?
07. Wir Menschen hier auf dieser großen Welt sind wahrhaft frei. Allein die Weisheit ist es, die uns frei macht und untertänig alle Dinge der Weisheit unserer Geister. Da wir aber eben durch Weisheit frei sind und die Liebe bloß nur als eine stumme, vegetative Kraft betrachten, so gibt es bei uns auch keine Gebrechen, weder physisch noch sittlich.
08. Wir sind vollkommen in der Gestalt, vollkommen im Denken, Begehren und Handeln. Nichts könnt ihr bei uns finden, weder in den Tälern noch auf den Bergen, das da nur mit der geringsten Unvollkommenheit behaftet wäre.
09. Neid, Zorn, Ehrsucht, Geiz, Geilheit und Herrschsucht sind dieser Welt – soweit wir sie kennen – völlig fremd; denn die rechte Weisheit lehrt uns in allem gleiche Rechte und gleiche Vorzüge. Denn wir alle sind vollkommene Ebenmaße des allerhöchsten Geistes und ehren diesen in uns gegenseitig durch die rechte Weisheit, die wir von Ihm haben. Und sehet, das ist eine rechte, dieses Geistes würdige Ehrung!
10. Ihr aber meint, durch die Liebe allein werdet ihr Ihn gewinnen und werdet Seine allmächtigen Kinder sein? O ihr Elenden, o ihr Schwachen, meint ihr als vermeintliche Kinder im Ernste, man dürfe nur so ein wenig juckenden Herzens dem höchsten Geiste kommen und Ihm gleich einem neugeborenen Kinde nur einen süßlichen Saugzuzel antragen, um Ihn zu gewinnen?!
11. Oh, da seid ihr alle in sehr bedauerlicher Irre und zeigt dadurch, daß euch als selbst schon vollkommen sein wollenden oder sollenden Geistern der Begriff ,Geist‘ vollkommen fremd ist! Ihr kennet euch nicht, habt euch noch nie erkannt, – wie wollt ihr dann erst den ewigen Urgeist aller Geister kennen und am Ende gar Seine ausgezeichnetsten Kinder sein? Kommt zu uns in die Schule, da werdet ihr zuerst euch und dann erst den allerhöchsten Geist kennenlernen!“
01. (Die drei Sonnentöchter:) „Wir nahmen wohl wahr, daß besonders dieser Bruder, den ihr ,Martin‘ nennet, einige sehr beachtenswerte Fünklein mystischer Weisheit besitzt, ähnlich der unserer Hochgebirgsweisen, die uns auch manchmal mit Dingen kommen, die, so wie ihre Wohnungen, über unserem Gesichts- und Erkenntniskreise liegen. Was aber nützt ihm und euch solch eine hohe Mystik, wenn euch die ersten Prinzipien der praktischen Lebensweisheit gänzlich ermangeln?
02. Diese aber bestehen in der gerechten Nachgiebigkeit gegen Schwache. Denn wo der Starke gegen den Schwachen stark sein will und ein Sieger über ihn, da ist alle Ordnung der Weisheit verloren. Denn jede Kraft muß den Sieg in ihrem klaren Bewußtsein finden und nie in der schmählichen Unterjochung dessen, der schon von weitem als der Schwächere erscheint.
03. Und so handelten auch wir, als wir euch als die bei weitem Schwächeren auf unserem Boden erschauten: wir taten, was ihr wolltet, um euch desto tiefer erforschen zu können. Wir haben nun genau erkannt, daß ihr sehr bedauerliche Wesen seid. Daher laden wir euch, trotzdem ihr Geister seid, auch ein, bei uns hier die rechte Weisheit zu erlernen, die euch vor allem nottut, wollt ihr mit der Zeit bessere Gedanken und Begriffe von dem allerhöchsten Geiste bekommen!
04. Wohl haben uns unsere reinen Geister aus den schwebenden Lichtgewässern verkündet, daß wir uns euch nicht widersetzen sollen, da in eurer Mitte sich der Erschrecklichste befinde; aber wir begriffen diesen Zuruf damals nicht ganz! Nun aber ist es uns klar, daß sie darunter niemanden als dich verstanden. Dieses Erschrecklichste besteht sicher darin, daß du in einer törichten Einbildung es wohl am weitesten gebracht hast, da du dich, wie wir sehen, im Ernste für den allerersten Sohn des Allerhöchsten hältst und auch deine Brüder in solch einem Wahne zu erhalten suchst. Und das eben ist das Schrecklichste bei uns, so sich jemand beifallen läßt, seine schwächeren Brüder zu täuschen!
05. Wer stark ist, der verberge seine Stärke nicht, aber mache sie auch nicht geltend an den Schwachen! Wer aber schwach ist, der scheine nicht, als wäre er stark, sondern schwach! So wird die Kraft des Starken und die Schwäche des Schwachen zu einer Stärke im Starken!
06. Beherziget diese Worte wohl! Sie kommen nur aus dem Munde nahezu unmündiger Kinder dieser herrlichen Welt. Kommt aber in die gastfreien Wohnungen unserer Alten, dort soll euch ein viel kräftigeres Licht angezündet werden. Es hindere euch nicht, daß ihr euch schon als vollkommen wähnt und meint, es würde uns schaden, so wir eure Brüste anrührten! Oh, des seid ganz unbesorgt!
07. Denn seht, wir sind ja eben durch die rechte Weisheit schon jetzt als Kinder in diesirdischen Leibern um sehr vieles reingeistiger, als ihr es je werdet. Das Geistige liegt doch sicher nicht im Leibe, sondern im eigentlichen Geiste, der doch stets derselbe ist und bleibt, ob in einem gröberen oder feineren ätherischen Leibe.
08. Auch müßt ihr unsere Leiber nicht nach denen bemessen, die ihr auf eurem sogenannten Heiligen Planeten getragen habt, die gröber, schwerer, finsterer und plumper waren als die gröbsten Steine dieser Welt. Ihr seht ja doch selbst, daß da unsere Leiber schon bei weitem ätherischer und dem Lichte verwandter sind als eure Geister, wie sie hier zu sehen sind. Sie vereinen bei weitem größere Reinheit und rechte Ordnung in sich, weil sie von dem ihnen innewohnenden Geiste allzeit durchwirkt werden.
09. Daher ziehet nur ganz voll guter Dinge mit uns! In unseren Wohnungen sollt ihr sicher lauterer werden, als ihr nun seid. Aber dessenungeachtet geschehe eurer Schwäche nicht der leiseste Zwang durch die überwiegende Stärke, die wir nicht also prunkend ausstecken wie du, Freund Martin: ehedem, als du lächerlicherweise von einer Kraft – trotzdem du der Schwächste wärest – an dir sprachst, mit der du unsere große Welt etwa wie die zarte Knospe einer ätherischen Lichtstaubblume zwischen Daumen und Zeigefinger leicht zerreiben könntest!
10. Findest du nun nicht selbst, daß du deine Kraft denn doch ein wenig zu hoch angeschlagen hast? Aber es werde dir darum kein Vorwurf, denn du sprachst in deinem blinden Eifer und kanntest uns nicht. Nun du uns aber hoffentlich besser kennst, wirst du auch so etwas nimmer von uns denken, geschweige laut aussprechen.
11. Wir aber gehen nun voraus, und so ihr wollet, da folget uns! Seid versichert, daß ihr bei uns über alle Maßen freundlich aufgenommen werdet in unseren festen Häusern, die nicht wie dein himmlisches in einer fixierten Einbildung, sondern in festester Wirklichkeit bestehen, gebaut mit unserem Willen und mit unseren Händen! –
12. Auf daß du, Martin, aber siehst, daß unsere Weisheit denn doch ein wenig weiter reicht und wir dich besser kennen und euch alle, als du es meinst, so sollst du in der Wohnung unserer Alten ein Schauspiel finden, in dem du dich vom Uranfang bis zu diesem deinem Augenblicke ganz wiederfinden wirst!
13. Du wähnst nun wohl, schon recht weit außer deinem hochhimmlischen Hause zu sein? Siehe, wir sind in diesem Augenblicke in selbem und sehen alles genau, wie es in ihm zugeht. So waren wir auch Zeugen, als du dem verkappten Drachen einen feurigsten Kuß verabreichen wolltest! Aber denke nun nicht über unsere Gesichtsstärke nach, denn zur rechten Zeit wirst du in der wahren Weisheit den Grund von alledem finden! Dein und euer aller freier Wille geleite euch! Wir gehen nun voraus!“
14. Auf diese längere Rede entfernen sich die drei.
01. Martin aber, der schon lange wie auf Nadeln gestanden ist, wendet sich sogleich zu Mir und spricht: „O Herr, o Vater, – ganz gehorsamster Diener, da sind wir einmal ins rechte Wespennest geraten! Nein, das ist noch über alles, was mir bis jetzt vorgekommen ist!
02. O Bruder Petrus und Johannes, ihr habt meinen Mut und Sieg viel zu früh gepriesen und die Heldenkrone angelobt! Jetzt hat es sich gezeigt, was für einen Sieg ich errungen habe und wie gut uns allen nun die drei Sonnenforellen geschmeckt haben!
03. O Herr, wenn ich an meine – Du weißt es – lumpigste Fischerei zurückdenke, so wahr ich Dich über alles liebe, sie war für mich rühmlicher denn diese! Deine Güte und Gnade hat mich hier ehedem schon zu einem rechten Fischmeister in den Lebensgewässern der Sonne ernannt. Nun aber muß ich Dir schon mit der Bitte kommen, mir diese löbliche Meisterschaft sogleich wieder abnehmen zu wollen! Denn diese Fische fräßen mich ja doch lange eher – bei Butz und Stengel schon gebraten am sauern Kraute, wie man zu sagen pflegt – auf, bevor ich so eigentlich daran denken könnte, aufs Fischen auszugehen!
04. O du verzweifelter Sturmwind! Nein, nein, diese drei haben uns allen hier die Leviten aus allen Sternen auf einmal vorgelesen! Und das Verzweifeltste ist dabei nur, daß man ihnen im Grunde wenig oder nichts einwenden kann! Sie sind gut, edel, sanft, nachgiebig und dabei unaussprechlich hold und schön. Aber doch möchte ich nun vor Ärger gerade zerspringen, daß mich diese drei Kinder gar so schmählich angesetzt haben!
05. Wir sollen ihnen folgen? Ich einmal nicht! Wer noch? Das ginge uns gerade noch ab, zu ihnen in die Schule zu gehen! Und Du, o Herr, etwa Selbst mit? Und du, Petrus, und Johannes auch? Die Sache machte sich! – Was sagst denn Du dazu, o Herr, Du mein Alles?“
06. Rede Ich: „Sei nur ruhig. Wir alle tun, was die drei von uns wünschen, d.h. wir folgen ihnen und wollen sehen, was da herauskommen wird. Je verwickelter eine Komödie, desto beseligender ihre Löse. Denn siehe, ihr als Meine ersten Kinder, Brüder und Freunde müßt ja alles kennenlernen, sonst wäret ihr nicht geschickt zu Meinem Dienste! Daher gehen wir nun nur ganz geduldig den dreien nach!“
07. Spricht Martin: „Herr, Du weißt, daß ich jetzt wie alleweil sage: ,Dein allein heiligster Wille geschehe!‘ Denn ich weiß ja, daß nur Du allein alle Wege kennst, die wir zu gehen haben, um zu jenem Ziele zu gelangen, das Du als Gott, Vater, Herr und Liebe und Weisheit uns für ewig gesetzt hast. Aber dessenungeachtet stehe ich nun erst hier so recht wie ein barster Ochse am Berge und kann nicht einmal in diesem Momente die Masse der Widersprüche zusammenfassen, die jetzt diesen drei Sonnengöttinnen wie in einem Strome entsprudelt sind!
08. Ich sehe nun immer klarer ein, daß ihre Sätze voll Widerspruchs sein müssen. Und doch kann ich ihnen nichts einwenden; denn was sie redeten, war und ist faktisch richtig.
09. Aber Du wirst es Selbst am besten bemerkt haben, wie sie an meiner Brust selig waren und gewisserart Liebe erlernen wollten. Deren Süßigkeit priesen sie so sehr, daß darob ihre Begleiter mir Gewalt antun wollten und sogar ihre Geister beriefen, die ihnen dann freilich einen ganz anderen Bescheid gaben. Da war ihnen die Liebe alles! Nun aber ward sie von eben ihnen als eine stumme Vegetativkraft deklariert: ungefähr als ein Unding, das für sich gar nichts ist, sondern bloß nur den freieren Wesen zur Fortpflanzung als ein unbewußtes stummes Motiv dient, das wahrscheinlich in einem nichtigen elektromagnetischen, höchst imponderablen Fluidum besteht!
10. Wie war ihre Sprache, als Du ihnen zu Dir zu kommen winktest! Welch eine Lyrik entfloß da ihrem schönsten Munde! Ich dachte mir: ,Nun da haben wir's, die haben Ihn schon erkannt oder ahnen wenigstens stark, wer hinter Ihm steckt!‘ Aber wie sehr habe ich mich in ihnen getäuscht, wie ganz anders sprachen sie, als sie Deine Füße umklammert hielten! Und gewaltig hat sich ihre Rede geändert, als Du ihnen die bitteren Bedingungen kundgabst, unter denen ein Mensch auf der Erde zu Deiner Kindschaft einzig und allein gelangen könne – wobei Du aber freilich von Deiner endlosen Liebe, Erbarmung und Gnade wenig hast merken lassen!
11. Ich sage Dir, o Herr und Vater, wenn das mit diesen Sonnenbewohnern so fortgehen wird, werden wir hier eine verzweifelt sparsame Ernte halten. Denn da möchte ich eher mit dem Satan mir etwas auszurichten getrauen als mit diesen drei leider schönsten Sonnengöttinnen!
12. Wahrlich, diese sind – wie man zu sagen pflegt – so recht des Teufels! Schön, wie sich keine menschliche Phantasie etwas Schöneres vorstellen kann, dabei aber ärger verschmitzt denn all unsere daheimgelassenen löblichen Badegäste, die ehedem als ein respektabler Anhang des Luzifer von ihm getrennt wurden! Ich behaupte, ein ungestaltig häßlichster Teufel ist um tausend Male weniger gefährlich als ein solches überhimmlischschönes Wesen, wenn es so ausgedehnte Teufelspfiffigkeiten besitzt!
13. Aber sei nun, wie es wolle. Wie Du willst, so werde ich – wie sicher wir alle – handeln und werden nun auch in ihre Wohnung gehen. Aber das, o Herr, wirst Du mir wohl erlauben, daß ich bei guter Gelegenheit meiner Zunge keinen Zaum anlegen darf? Ihre unbegrenzte Schönheit wird mich nun nicht mehr beirren. Daher freut euch, ihr frommen Wesen dieser Welt – jetzt sollet ihr den Martin auf eine Art verkosten, daß euch eure große Weisheit wie eine Milbe gegen einen Berg vorkommen soll! Denn um Deiner Ehre und um Deines Namens willen will ich zu einem Löwen werden und kämpfen mit tausend glühendsten Schwertern zugleich. Aber freilich darfst Du, o Herr über Alles, mich nicht im Stiche lassen! Denn so Du das tätest, da könnte ich mit meinem großen Mute erst in eine rechte Soße kommen!“
01. Rede Ich: „Mein lieber Martin, dein Wille und dein Mut sind überaus gut und alles Lobes wert. Aber nur mußt du dir nie im Feuer – wenn auch eines gerechten Ärgers – etwas zu tun vornehmen, bevor du den wahren Grund durchschaut hast, aus dem du wie ein Löwe mit tausend Schwertern kämpfen möchtest!
02. Siehe, Ich habe dich ehedem zu einem Fischmeister dieser Welt ernannt, und das wirst du auch verbleiben. Und deine von Petrus angebotene Heldenkrone wird dir auch bleiben, weil du hier wirklich ganz meisterlich dich benommen hast. Denn wie dir Mein Bruder Petrus selbst bemerkt hat, ist es äußerst schwer, diese Wesen dahin zu bringen, wohin du sie – wennschon durch Meine Kraft in dir – gebracht hast.
03. Glaube ja nicht, daß diese drei nun, weil sie von Mir notwendigerweise etwas zurückgedrängt wurden, der Liebe in ihrem Herzen laut ihrer langen Wahrheitsrede entsagt haben! Hätten sie das, da hätten sie uns nimmer ihnen zu folgen geheißen und hätten auch nicht so viele Worte an uns gerichtet; denn ihre Weisheit ist sonst sehr einsilbig.
04. Aber weil eben ihr Herz heimlich an uns gar mächtig hängen blieb, so hatten sie viele Worte und wären noch lange nicht fertig, so wir ihnen etwas eingewendet hätten. Da wir sie aber reden ließen, wie ihnen die Zunge gewachsen ist, so mußten sie endlich fertig werden. Ich sage dir, sie schieden heimlich mit überaus schwerem Herzen von uns und können nun nicht erwarten, bis wir ihnen nachkämen. Wie du selbst sehen wirst, werden sie uns auch gleich wieder entgegenkommen bis hierher, darum wir auch ein wenig hier verharren!
05. Es wäre daher sehr unbillig, so wir sie nach ihrer früheren, rein aus Eifersucht hervorgehenden Rede beurteilen wollten, – welche Eifersucht eben die neuerwachte Liebe in ihnen erzeugt hat! Sie sahen, daß uns ihre Schönheit gewisserart kalt läßt und sie bei uns sich weder durch ihre Schönheit, noch durch ihre heftige Liebe recht beliebt machen können. Daher nahmen sie zu einer gutmütigen Weisheit Zuflucht und wollen sich uns soviel als möglich nützlich erweisen.
06. Sage nun selbst: wäre es wohl löblich, so du sie als ein Löwe mit tausend glühendsten Schwertern bekämpfen möchtest? Denke darüber selbst ein wenig nach und sage Mir, ob sich die Sache nicht so verhält!“
07. Martin denkt hier, große Augen machend, ganz ernstlich nach und spricht nach einer Weile: „Ja, ja, ganz überaus bestimmt ja! Es ist richtig also! O ich Vieh, ich dümmster Esel und Ochse zugleich, vielleicht der einzige auf dieser großen, lichten, besseren Erde!
08. Wo habe ich denn um Deines heiligsten Namens willen meine Augen, meine langen Ohren, meine Sinne überhaupt gehabt? Nein, wenn ich nun nur so einen recht festen Knittel bei der Hand hätte, um mir meinen dümmsten Hirnkasten tüchtig durchzuklopfen, da geschähe es mir ordentlich leichter!
09. Diese allerliebsten liebenden Herzerln wollte ich – nein, ich mag es gar nicht aussprechen, denn es ist zu dumm! Richtig, dort kommen sie schon wieder über eine kleine Anhöhe herab! O ihr allerliebsten Kinderchen, kommt nur, kommt nur! Diesmal sollt ihr schon besser empfangen werden!
10. Was soll ich aber nur tun, um meinen eselhaft großen Fehler wieder gutzumachen? Wahrscheinlich werden sie es aufs Haar wissen, was alles ich zu Dir über sie geredet habe! Oh, das wird schon wieder eine herrliche Wäsche abgeben!“
11. Rede Ich: „Martin, sei du weder auf der einen, noch auf der anderen Seite zu hitzig, so wird alles gut gehen! Denke an den Unterricht, wie man sich hier zu benehmen hat – nämlich voll Liebe mit äußerem Ernste, dann wirst du stets der gleiche Sieger bleiben und ein Meister der Fischerei in den Gewässern der Sonne! Nun also nur ernst, denn sie sind schon wieder ziemlich nahe!“
12. Spricht Martin: „O Herr, gib mir doch ein wenig mehr Ein- und Durchsicht, auf daß ich in der Folge besser urteile, wenn die drei Herrlichsten mir wieder mit ihrer frappanten Weisheit kämen! Sonst stehe ich nicht gut, ob ich nicht wieder einen Haupteselsstreich begehe!“
13. Sage Ich: „Kümmere dich dessen nicht, denn gerade so, wie du bist, kannst du Mir hier mehr dienen als Petrus und Johannes, deren Sehe in alle Geheimnisse dieser Welt reicht! Denn wer schon im voraus weiß, was seine Mühe für Früchte tragen wird zufolge der Ordnung dieser Welt, der getraut sich nicht so viel zu unternehmen wie einer, der zufolge seiner nicht so klaren Sehe diese Wesen mehr nach der Ordnung seiner eigenen Welt behandelt. Daher bleibe du nur wie du bist, und du wirst so am meisten wirken können!
14. Diese Menschen verlieren auch bald die Lust zu einem Geiste, so sie merken, daß er ihnen an Weisheit gleichkommt oder, wie es bei Petrus und Johannes der Fall ist, ihnen bei weitem überlegen ist. Da werden sie außerordentlich spitzig und ziehen sich dann sehr zurück. Aber so sie mit einem, wie du es bist, zu tun haben, sind sie die zuvorkommendsten Wesen, die du nur zu finden vermagst, und sind dann auch sozusagen um einen Finger zu wickeln. Daher sei, wie du bist, so wirst du Mir hier am besten dienen können! Aber nun nur stille, sie kommen schon ganz zu uns!“
01. Als die drei bei uns anlangen in derselben Bekleidung, wie sie ehedem vor Martin sich angekleidet hatten, sagen sie sogleich zu Mir: „O Erhabenster, wie lange wohl wirst du uns mit all diesen Deinen harren lassen, bis du uns für würdig erachtest, einzugehen in eine unserer für deinen Empfang würdig bestellten Wohnungen?
02. Siehe, wir wissen durch unsere Weisen und die Geister unserer großen Welt, ebenso wie durch die Geister vieler anderer Welten, die uns zu öfteren Malen besuchen, und wissen auch aus dem Munde nicht selten zu uns kommender Engel des allerhöchsten Geistes: daß wir Bewohner dieser Welt nicht nur gestaltlich überaus schön, sondern auch sittlich so rein bestellt sind, daß an uns selbst die reinsten Lichtwesen keinen Makel entdecken können. Und daß sie uns stets ihres Besuches wert finden, sich mit uns bestens in aller Reinheit erlustigen und Kunde geben, was für Wunderwerke sich im endlosesten Engel- und Weltenreiche des allerhöchsten Geistes, den ihr euren Gott und Vater nennet, vorfinden und noch immer stets größere und unbegreiflichere hinzugeschaffen werden von Augenblick zu Augenblick.
03. Wenn aber alle Engel und Geister uns ein solches Zeugnis geben und vor uns gar nicht zurückhaltend sind, da begreifen wir nicht, was ihr doch an uns finden möget, darob ihr so wenig Neigung zu uns fühlet! Wir bitten die anderen Geister nie, daß sie zu uns kommen sollen. Aber sie kommen dennoch gerne, weil sie an uns stets das finden, was ihnen große Lust und Freude macht. Euch aber baten wir inständigst nach unserer besten Weise auf dem reinsten Wege der Weisheit unserer höchsten Weisen. Aber auf euch scheint das wenig oder wohl gar keine Wirkung gemacht zu haben! O sage es uns, du Erhabenster, was daran die wahre Schuld sein kann! Sage uns, warum ihr noch nicht gekommen seid in unsere Wohnungen, in denen Tausende eurer harren!“
04. Rede Ich: „Daran ist sittlich niemand schuld von euch. Ich weiß wohl am besten, wie ihr in allem bestellt seid, und kenne eure Gestalt, eure reinen Sitten und eure Wohnungen. Aber wie ihr, so sind auch wir frei und tun, was wir wollen. Es hat niemand das Recht, von uns Rechnung zu verlangen und uns zu sagen: ,Warum tut ihr dies und jenes?‘; denn wir sind vollkommen frei und tun, was wir wollen.
05. Solches aber sollet ihr bei all eurer Weisheit doch auch wissen, daß wir uns durch Weisheit allein durchaus nicht anziehen lassen, sondern nur durch die gerechte, lebendige Liebe! Werden wir recht geliebt, dann werden wir schon folgen dem Drange eurer Herzen. Aber eure vermeintliche große Weisheit wird uns nie auch nur um einen halben Schritt weiter heben!
06. Ich aber habe wohl gemerkt, daß ihr eure ehedem an Mich gerichteten weisen Worte nur wie einen Deckmantel gebrauchtet, um vor Mir eure wirkliche Liebe zu verbergen. Ich aber bin kein Freund von solchen Verhüllungen, sondern nur der vollsten Offenheit des Herzens! Wollet ihr demnach Mich und alle diese Meinen in eure Wohnungen bringen, müßt ihr äußerlich nicht anders scheinen wollen, als ihr innerlich beschaffen seid; denn Ich durchschaue jede allergeheimste Fiber eures Lebens! Was aber Ich sehe, das sehen alle diese Meinen und noch zahllose andere, die auch wie diese hier vollkommen Mein sind für ewig!“
01. Auf diese Meine Worte ziehen die drei sogleich ihre Kleider aus und sagen: „O du Erhabenster, – wenn so, da sollen auch diese Kleider nimmer unseren Leib bedecken. Denn auch sie sind eine Verhüllung der Wahrheit und helfen mit, unser Herz und die Liebe zu verhüllen, was nicht des Rechtens ist!“
02. Als sie wieder bloß, nur mit einem Gürtel um ihre Lenden und Hüfte bekleidet, dastehen und ihre Schönheit wieder völlig ersichtlich wird, fallen alle Weiber nieder und schreien: „O wehe, wehe uns Häßlichsten!“
03. Über dieses Benehmen der Weiber wird Martin wieder einmal unwillig, tut seinen Mund stark auf und spricht mit sehr vernehmbarer Stimme: „Da haben wir's wieder! Da liegen sie gleich matt gewordenen Fröschen am Boden! Nein, so ist der Himmel bis auf die magisch-herrliche Gestaltung der Dinge aber auch nicht um ein Haar besser als die Erde mit ihren vergänglichen Wesen! Dort macht eben die Vergänglichkeit, daß die Menschen aus lauter Besorgnissen für ihr Leben ganz dumm werden. Darum verlieren sie nicht selten das Leben samt seiner fatalen Vergänglichkeit so sehr aus den Augen, daß sie dann in aller Dummheit ihres Daseins sogar nicht mehr wissen, was das Leben ist, und ob sie noch leben. Am allerwenigsten wissen sie aber, ob sie über des Leibes Tod hinaus noch länger ihrer selbst bewußt leben werden.
04. Hier im Himmel haben die Vergänglichkeitssorgen wohl aufgehört. Aber an ihre Stelle treten tausend andere Miserabilitäten, die die verhängnisvollen Sorgen der Erde bei weitem übertreffen. Bald kommt dies, bald jenes, bald ganz etwas anderes. Kurz, man könnte schon eher alles als ein Mensch werden!
05. Was mir diese weiblichen Wesen schon für Sorgen machten, das ist sogar dieser Sonnenwelt ungleich! So meint man: ,Dem Herrn alles Lob, nun wird's einmal gut!‘, – gerade da kommt wie ein Blitz wieder etwas vor, daß man sich schon selbst die Haut vom geistigen Leibe übers Gesicht ziehen möchte!
06. O ihr eitlen, dummen Gänse, o ihr Schandwesen der Menschheit: glaubt ihr denn, daß euch der Herr für die Eitelkeit oder als eine Zierde der Himmel erschaffen hat? Glaubt ihr wohl immer das Recht zu haben, uns männlichen Wesen mit dem ganzen Heere eurer Dummheit zur beinahe unerträglichen Last zu fallen? Steht auf und gebärdet euch in der Folge weiser, sonst lassen wir euch alle im Stich und ihr könnt dann allein euren grauslichen Dummheiten leben!
07. Aus lauter heimlicher Galle, weil diese Sonnenmädchen freilich endlos schöner und weiser sind als sie, fallen diese Närrinnen wie gefüllte Strohsäcke nieder und schreien aus lauter Kränkung ihrer unerträglichen Eitelkeit: ,O wehe, wehe uns Häßlichsten!‘ O ihr Gänse, wollet ihr etwa aus eurer Dummheit heraus noch schöner sein als diese Töchter der himmlischen Weisheit, die so hoch steht, daß sie uns Manngeistern die gerechteste Bewunderung abnötigt? Ich sage euch, da hat es noch entsetzlich lange Zeit für euch!
08. Wenn ihr in eurer Dummheit wie bis jetzt so löbliche Fortschritte machen werdet, dürftet ihr mit der Folge wohl noch häßlicher werden als derselbe Gast, den ich mit Bruder Borem in meine Wohnung geschleppt habe an zwei Ketten! Auf daher mit euch, so ihr noch länger bei uns verbleiben wollt!“
09. Nach diesen Worten Martins richten sich alle die Weiber wieder auf und wenden sich an Mich mit der Bitte, daß Ich Martin ob solcher Kränkung doch einen rechten Verweis geben möchte.
10. Rede Ich: „Habt ja selbst Mund und Zunge; so gebet ihm zurück, was euch nicht taugt! Mir tat Martin kein Leid an; denn es war recht, daß er euch durch ein kleines Donnern ein bißchen erweckt hat!“
11. Sagen die Weiber: „Also auch Du, o Herr, unser Alles, bist wider uns! Wo werden wir dann Gnade finden?“
12. Rede Ich: „In eurer rechten Demut, in eurem Gehorsam und in der rechten Liebe zu Mir! Aber durch eure Eitelkeit werdet ihr Mir schwer irgendeine Gnade entlocken. Daher tuet, was euch Martin geraten hat, dann wird alles gut werden! Werdet Freundinnen dieser drei und liebet sie, dann wird euch ihre Schönheit wenig mehr genieren!“
13. Auf diese Worte fangen die Weiber sogleich an, gemütlicher zu werden. Mehrere können schon die große Schönheit der Sonnentöchter ertragen und nähern sich ihnen nun ohne viel Scheu.
01. Die Sonnentöchter aber merkten gar wohl, in welche Verlegenheit die vielen Weiber versetzt wurden ob ihrer Enthüllung. Daher nähern auch diese sich den Weibern und sagen: „Geachtete, unserm Geschlechte verwandte Schwestern, legt ab und werft von euch, was eurer nicht wert ist, dann wird unsere Gestalt euch nimmer beirren!
02. Wir können nicht dafür, daß es dem Allmächtigen wohlgefallen hat, uns nach eurer Meinung gar so unendlich schön zu gestalten. Wir sind darob auch nicht im geringsten eitel oder gar nach eurer irdisch schlechten Art stolz darauf, da wir ja doch nur zu klar einsehen, daß das nicht unser, sondern ganz allein Gottes Werk ist. Es wäre überaus töricht und schlecht von uns, so wir euch darum verächtlich ansehen möchten, weil ihr gestaltlich nicht so schön seid wie wir!
03. Haben ja doch nicht wir, sondern die Kraft des allerhöchsten Geistes euch wie uns also gestaltet, wie es Seiner unendlichen Weisheit gut und rätlich war! So wir aber Werke eines- und desselben ewigen Meisters sind, wie wohl könnten wir uns gegenseitig verächtlich anblicken und uns wegen gewisser Eigenschaften bevorzugen wollen, die nicht wir, sondern allein Gott uns verliehen hat?
04. Seid daher fröhlich, liebe Geschlechtsschwestern! Sehet uns nimmer mit scheelen Blicken an, so werdet ihr unsere Gestalt so leicht wie eure eigene ertragen. Seht, es ertragen uns ja sogar eure Männer, für die wir gewiß noch um vieles anziehender sind. So meinen wir, daß ihr uns als Geschlechtsverwandte ja noch um vieles leichter ertragen sollet?
05. Spricht Martin bei sich: „Aber wohl mit der genauesten Not! Denn jetzt seid ihr entsetzlich reizend! Die leiseste Berührung eines Armes könnte unsereinen ja doch augenblicklich in solch höchste Ekstase versetzen, in der man vor brennendster Wollust gleich einem aufgeblähten Frosch gerade zerplatzen müßte!
06. O sapprament, diese Brust, diese Arme und die Füße von A bis Z! Nein, das ist auf keinen Fall auszuhalten! – Wenn sie jetzt so an meine Brust fielen, sapprament, da wäre es aus; ja rein aus wäre es mit mir! Sie werden sich denn doch wieder mehr bekleiden müssen, denn so sind sie zu unerträglich schön und sicher sogar für Steine zu reizend!“
07. Sprechen die Weiber: „O ihr herrlichsten Töchter dieser bessern großen Erde! Es ist einesteils wohl wahr, daß wir anfangs ein wenig eitel waren und beneideten euch gar sehr um eure Schönheit. Nun aber müssen wir gestehen, daß doch eure für uns unbegreifliche Schönheit es eigentlich ist, die uns schlägt! Denn unsere Augen sind zu ungeübt, um solch einen Anblick zu ertragen. Daher bitten wir euch, ihr Engelstöchter, daß ihr doch wieder ein Kleid nehmen möchtet, sonst müßten wir ob eures Anblickes gänzlich verschmachten, trotzdem wir schon gewisserart selige Geister sind und ihr noch diesirdische Wesen, mit Fleisch und Blut umhüllt!“
08. Sagen die Sonnentöchter: „Die Gewährung eures Wunsches, so bereitwilligst wir euch zu Diensten stehen wollen, hängt nicht von uns, sondern von euren Herren ab. Was diese wollen, das werden wir tun! Wendet euch daher an diese!“
09. Rede Ich: „Bleibet; so müßt ihr Mir dienen! Ich weiß warum! Denn seht, Meine drei lieblichsten Töchter, obschon auf dieser Erde geboren: niemand kennt besser, was den Kindern nottut als allein der Vater. Ich aber bin ein wahrster und rechter Vater dieser und noch zahllos anderer Kinder. Daher weiß Ich auch am besten, was ihnen frommen kann und will darum, daß ihr euch nicht anders bekleidet, als ihr euch in eurer Ordnung kleidet auf dieser Erde!“
10. Sprechen die drei: „Herr, Meister und Vater deiner Kinder, dein Wille sei uns ein heiliges Gebot! Aber nun kommet doch endlich in unsere Wohnung! Lasset euch dort ehren und – so ihr wollt – auch lieben mit aller Glut unserer Herzen!“
11. Rede Ich: „Ja, Meine neuen Töchter, jetzt wollen wir eure Wohnungen betreten und sehen, wie sie beschaffen sind. Martin, ziehe voran mit Petrus und Johannes! Du, Borem, und du, Chorel, folget den dreien mit den Weibern und den übrigen Brüdern; hinter Mir aber ziehen die Chinesen mit ihren Weibern! Ihr drei Töchter der Sonne und nun Meine Töchter ziehet hier an der Seite Meiner beiden Schwestern, die da heißen Chanchah und Gella. So wohl geordnet wollen wir sämtliche in eure Wohnung einziehen!“
12. Sagen die drei: „Herr und Meister, werden aber die drei Vorgeher auch wissen, wohin sie diese ganze große Gesellschaft zu führen haben?“
13. Rede Ich: „Kümmert euch dessen nicht! Die zwei, in deren Mitte Martin geht, kennen eure Wohnungen überaus genau; denn Meinen Kindern ist nichts fremd und unbekannt. Was Ich als ihr Vater habe, das haben auch sie in aller Fülle; darum also keine Sorge!“
01. Der Zug setzt sich nun wieder in Bewegung, und wir gehen gemächlich vorwärts.
02. Unterwegs aber fragen Mich die drei Sonnentöchter: „Guter und weisester Herr, Meister und Vater deiner Kinder, warum sind denn deine zwei lieblichen Töchter gar so stille und fragen dich auch um nichts? Wissen sie denn schon alles und sind etwa darum schon sehr weise? Siehe, unsere hohen Weisen reden auch ganz entsetzlich wenig. Aber wenn sie dann reden, da freilich ist ein Wort gewichtiger aus ihrem Munde als zehntausend aus dem unsrigen! So wird es wahrscheinlich bei diesen allerliebsten Töchtern auch der Fall sein?“
03. Rede Ich: „Ja, beinahe so ist es fürwahr. Aber nur mit dem Unterschied, daß diese beiden nun schon in aller Fülle besitzen, worüber eure höchsten Weisen in ihrer tiefsten Mystik kaum leise Ahnungen haben, und sie kaum selbst auszusprechen wagen!
04. Denn seht, eine Weisheit wie die eurer Weisen ist eigentlich keine rechte Weisheit. Sie ist vielmehr eine Geheimniskrämerei, die im Grunde zu nichts führt, das Ich in der Wahrheit gutheißen könnte. Ja, Ich sage euch, eurer Weisen Gesetze sind hie und da von einer Art, die euch für Mein Reich völlig untauglich machen!
05. Freilich begeht ihr keine Sünde, so ihr genau das befolgt, was euch eure Gesetze vorschreiben. Die aber sind von jenen Urgesetzen schon so weit entfernt, als wie weit der Himmel absteht von dieser Welt. Ich sage es euch, ihr habt wohl eure Urform in allem noch und seid mächtig in eurem Willen. Aber eure sogenannten Grundweisen taugen nicht mehr viel im allgemeinen, obschon es wohl noch hie und da Gemeinden gibt, die ihre Urgesetze bisher treu beibehalten haben. Und so sind diese beiden Schwestern wohl um sehr vieles weiser als eure größten Weisen hier!
06. Denn seht, diese sind voll Liebe, und als sie auf der Welt waren, da war ihnen der Beischlaf von Seite ihrer Brüder und Väter fremd und eine größte Sünde, weil ein solcher Akt von Mir aus mit der schwersten ewigen Strafe ohne Gnade belegt ist! Bei den Bewohnern der Erde heißt es: ,Verflucht sei ein Blutschänder!‘; bei euch aber ist die Blutschande ein Gesetz von euren Weisen! Seht nun, wie weit eure Weisen fehlen! Darum sind sie nicht so weise, als ihr es meint, – und Ich komme nun eben darum zu euch, um ihnen ihre hohe Unweisheit zu zeigen.“
07. Sprechen die drei: „O du erhabenster Herr und Meister deiner Kinder! Bist denn du auch ein Herr über unsere Weisen und über unsere große, herrliche Welt, daß du uns andere Gesetze geben willst?“
08. Rede Ich: „Ja, Meine von der Blutschande noch reinen Töchter! Der Satan hat einen Weg gefunden auch in diese reine Erde und hat schon viele Gemeinden verdorben. Darum muß Ich, als der Herr auch dieser Erde, Selbst kommen und den unreinen Boden fegen. Sonst würdet ihr alle bald euren Uradel verlieren und damit das ewige Leben des Geistes, das in vielen Gemeinden nunmehr an einem sehr schwachen Faden hängt! Denn wen Satan fangen will, den fängt er durch einen gewissen Weisheitshochmut und darauf durch die Unzucht. Bei euch hat er es gar fein angelegt; aber Ich sage euch, Meinem Auge ist nichts zu fein!
09. Ihr alle samt euren Weisen seid sehr krank geworden, und das in vielen und großen Gemeinden! Eure Zeugung, die ursprünglich rein geistig war, ist nun gröbst materiell geworden; ja, sie ist das Schändlichste aller Schändlichkeit geworden!
10. Ich sage, unter Meinen Kindern auf dem von euch so genannten Heiligen Planeten ist die Blutschande das heilloseste, vor Mir das gräßlichste Verbrechen. So zwar, daß Ich einen Blutschänder unwiderruflich ohne alle Gnade und Erbarmung mit dem zeitlichen und ewigen Feuertode bestraft haben will! Und seht, dieses gräßlichste, ganz rein satanische Laster ist bei euch zum Gesetz geworden!
11. Meint ihr wohl, daß Ich, als der Urgrund alles Seins und die Ordnung aller Ordnung, ein solches Gesetz billigen kann? Daher komme Ich nun, euch zu erretten oder zu richten für ewig. Nicht umsonst schrien eure Geister den Euern zu, daß in dieser Gesellschaft der ,Erschreckliche‘ kommt; aber das waren keine guten Geister, sondern Verirrte durch den wahren Satan! Aber Ich bin der Schreckliche nicht, sondern pur Liebe den Unschuldigen, aber wohl ein ewiges Gericht denen, die einmal Mein Wort haben und Mein Gesetz und tun nicht darnach!“
01. Diese Meine Worte machen die Sonnentöchter sehr stutzen. Chanchah aber öffnen sie den schönen Mund, und sie fängt mit sanften Worten zu reden an:
02. (Chanchah:) „O ihr schönsten Töchter dieser herrlichen Erde, die keine Nacht je gesehen und nie empfunden den herben Wechsel der Jahreszeiten! O ihr Glücklichsten dem Leibe nach, die ihr keine Krankheit kennet und habt nie jemanden sterben sehen! Eure Gesetze aber, schlechter denn unsere größten Laster, erhalten euch dennoch frei und bisher unsterblich! So seid ihr zwar frei, daß ihr nach euren Gesetzen gar nie sündigen könnt, so ihr es auch wolltet. Eure Gesetze machen euch einen Fehltritt rein unmöglich; wie aber kommt das? Wie müssen Gesetze beschaffen sein, daß sie nie jemand übertreten kann?
03. Sehet, ich will es euch durch die Gnade und Liebe meines heiligen Vaters zeigen: Der böse Ahriman (Satan) hat euren Weisen als ein gestaltlicher Lichtgeist alle möglichen Eigenschaften und Bedürfnisse eurer Natur treu gezeigt und kennen gelehrt. Und er hat dazu die Anweisung gegeben, alles, wonach sich irgendeine Fiber eures Wesens begehrend äußert, zum Gesetze zu machen, aber mit dem Beisatze: ,So es jemandem genehm ist, da tue er, was er will. Ist es ihm aber nicht genehm, fehlt er auch nicht, so er es unterläßt!‘
04. Denkt nun selbst nach, ihr Weisen, was solche Gesetze wert sind und was sie euch nützen können! Oder habt ihr je von einer Strafe auf die Übertretung eines Gesetzes etwas gehört?
05. Seht, wahre Gesetze müssen so beschaffen sein, daß sie den Menschen eine große Selbstverleugnung kosten, bis er sie, gerade seinen heftigsten Naturreizungen entgegengesetzt, an sich erfüllen kann. Erfüllt er sie freiwillig mit Hintansetzung aller naturmäßigen Vorteile, so erst erhebt er sich als freier Geist über seine dem Tode und der Vergänglichkeit unterworfene Materie. Er steht dann da als ein Sieger über seinen eigenen, seiner Natur innewohnenden Tod. Und er kann als solcher dann in die höhere Ordnung des ewigen Geistlebens eingehen und der Kindschaft des allerhöchsten Geistes teilhaftig werden durch dessen Gnade!
06. Welcher Sieg aber läßt sich durch die nichtssagenden Gesetze eurer höchsten Weisheit erreichen? Ich sage euch, gar keiner! Denn wo kein Kampf, da gibt es keinen Sieg. Und wo kein Sieg, da gibt es auch keinen Preis! Was aber ist ein Mensch, der sich keinen Preis errungen hat? Seht, er ist wertloser als die gemeinste Pflanze, die er mit seinen Füßen zertritt; denn diese hat auf der großen Stufenleiter der aufsteigenden Wesen ihren Zweck erreicht. Aber der preislose Mensch lebte ohne Zweck. Er lebte nur, weil er lebte; aber sein Leben war zwecklos und kann daher auch nie zu irgendeiner Bestimmung gelangen – was eben mit euch der Fall ist.
07. Ihr lebt nach der Ablegung eurer Außenhülle wohl als eine Art Lichtwolkengeister fort. Aber ebenso ohne Zweck wie hier noch in euren Leibern, deren Außenseite in der gestaltlichen Entsprechung eurer Erde steht. Deren äußerste Sphäre ist wohl auch pur Licht von großer Kraft und Herrlichkeit, aber deren Inneres ist in sich finsterer als das Innere eines jeden andern Planeten. Ich sage euch, eure Weisheit ist nichts als ein Trug – und eure Schönheit ein leerer Schein!
08. Darum aber kommt nun der Herr Selbst, um euch Kindern der Lichtspenderin (Sonne) ein wahres Licht zu geben und euch einen neuen Weg zu zeigen, auf dem ihr auch zu uns in aller Wahrheit gelangen könnt. Seht, so lautet unsere wahre Weisheit! Wollt ihr aber vollkommen werden, so muß sie auch bei euch tatkräftig sein, sonst seid ihr bei all eurer Schönheit die elendsten Wesen im ganzen Schöpfungsraume Gottes, Meines Vaters!“
09. Die drei beben nun förmlich vor der Weisheit Chanchahs und sagen nach einer Weile: „O du Herrlichste, wenn es, wie du uns die Sache erläutertest, ganz bestimmt so sein wird, da unsere Gesetze wirklich von der Art sind, wie du sie uns beschrieben hast, – warum ließ denn euer Herr und Meister als größter Bote des Allerhöchsten uns so lange in solcher Wirre und kam nicht eher, um uns zu helfen?“
10. Spricht die Chanchah: „Liebste Schwestern, der Herr weiß es am besten, wann die Frucht vollends reif ist! Denn Er hat den Samen gemacht und hat in selben gelegt den lebendigen Keim und in den Keim gegeben die Frucht, ihre Zeit und ihre Reife! Also ist es auch bei euch nun der Fall. Ihr seid reif geworden, aber nicht im Wahren, sondern im Falschen. Damit ihr aber aus dem Falschen nicht in Böses übergehet, kommt Er Selbst, um euch zu erretten!“
01. Sprechen die drei, nicht mehr ferne von der Wohnung: „O du lieblichste Schwester unseres Geschlechtes, du redest von deinem Herrn, Meister und Vater geradeso, als wäre er keineswegs ein Bote des Allerhöchsten, sondern gerade der Allerhöchste Selbst! Oh, wir bitten dich, so du schon eine so große Weisheit besitzest, erläutere uns diese Sache genauer!“
02. Spricht Chanchah: „Liebe Schwestern, über das zu reden steht mir nicht zu, sondern allein diesem meinem Herrn und Vater! Wir aber sind ohnehin nicht mehr ferne von eurer Wohnung; dort werdet ihr alles vernehmen, darnach es euch verlangt! Daher geduldet euch bis dahin!“
03. Mit diesem Bescheid sind die drei zufrieden und treten mit uns weiter den Weg zur nahen Wohnung an. Wir gelangen nun an die Umfassung des ersten Vorhofs, von welcher aus der erste Garten seinen Anfang nimmt, nach welchem terrassenartig der zweite oder mittlere und nach diesem endlich ein dritter und oberster, prachtvollster Garten kommen.
04. Als Chanchah und Gella dieser großen Pracht und am Ende gar des sehr großen, tempelartigen Wohngebäudes ansichtig werden, erschrecken sie über die Maßen und sagen nach einem langen Atemholen zu den dreien:
05. (Chanchah und Gella:) „Aber, um des Herrn willen! Solche Häuser bewohnt ihr? Da sehen wir außer Gold und den größten, alleredelsten Steinen ja sonst nichts! Und welch ein kühnster Bau, welch eine kunstvolle Architektur! Ja, in solchen Wohnungen mit vollstem Bewußtsein wohnen, daß man nicht sterben braucht, solange einen dieses Leben freut, muß freilich etwas überaus Beseligendes sein!
06. Aber wir sehen auch, daß es sehr schwer sein muß, darin ein Gott wohlgefälliges Leben zu führen. Denn wo so mächtig für den Außenreiz gesorgt wird, denkt sicher kein Mensch an Entbehrung, noch viel weniger an eine Selbstverleugnung, durch die allein der unsterbliche Geist geweckt und mit seinem Schöpfer wieder vereint werden kann.
07. O Herr, liebevollster Vater, hast Du an dieser äußeren Pracht wohl irgendeine Freude? Siehe, Martins himmlisches Wohnhaus ist doch sicher überaus herrlich; aber im Vergleich mit diesem Hause ist es eine wahre Armesünderstube! Und diese Gärten, diese weitgedehnten und prachtvollsten Gärten! Welch eine Fülle der unglaublichsten Kunstwerke! Nein, das kann keine Welt, das muß ja ein Himmel sein!“
01. Reden die drei: „O liebe Schwestern, wenn euch schon diese äußere Einfachheit so sehr entzückt, was werdet ihr denn dann sagen, so ihr das Innere unserer Wohnung betreten und besehen werdet? Denn wir verwenden nur auf das Innere unserer Wohnhäuser alle unsere Sorge und Aufmerksamkeit. Wir glauben dem großen Urgeiste eben dadurch die größte Ehre zu erweisen, daß wir die uns verliehenen Talente tatsächlich in allem verwenden, was uns für unseren Geist würdig erscheint.
02. Wir meinen, daß da jede große Pracht, wenn sie zur Ehre des höchsten Geistes von uns verständigen Wesen zustande gebracht wird, eben darin ihre volle Rechtfertigung findet. Denn hat uns der große Geist einen solchen Sinn eingehaucht, der unserem Geiste als Gesetz gilt: wie sollen wir dann Niedriges schaffen anstatt des Erhabenen? Hieße das nicht unseren Geist anders gestalten wollen, als ihn der Schöpfer eingerichtet hat! Daher stoßt euch nicht an der Pracht unserer Häuser, denn wir errichten sie nicht aus Eitelkeit, sondern rein nur nach dem weisen Bedürfnisse unseres Geistes!
03. Spricht die Chanchah: „Also auch hier wie auf der Erde bei den sogenannten Jesuiten, von denen ich einst eine Schülerin war, das ,Omnia ad majorem dei gloriam‘?! Sollen denn diese argen Mönche auch hierher den Weg gefunden haben?
04. So ein Haus wäre freilich noch um vieles besser denn ein Kaiserreich meines Vaterlandes auf der Erde. O ihr prachtvollsten Armen, da besehet den Herrn: Sein Gewand wird es euch sagen, welche Pracht Ihm zunächst am Herzen liegt! Daraus werdet ihr leicht entnehmen, ob und wie Ihm solch eine Außenpracht genehm ist. Ja, die liebeflammende Pracht des Herzens, die wohl ist Ihm über alles angenehm, alles andere aber ist vor Ihm ein Greuel!
05. Wäre es nicht also, da wäre Er schon oft bei euch gewesen, so wie Er auf meinem Planeten gar oft eben zu den Ärmsten und Unansehnlichsten kommt, sie als liebevollster Vater Selbst zieht zu Seinen Kindern und ihnen alle Fülle Seiner Gnade schenkt! Aber zu den Großen und Ansehnlichen, die auch in prachtvollen Palästen wohnen, kommt Er wohl nie und lehret sie nicht und erzieht sie auch nicht zu Seinen Kindern!“
06. Sagen die drei: „Du, liebe Schwester, wirst wohl recht haben. Aber wie bist denn du dem Herrn – falls Er wirklich den Geist des Allerhöchsten in Sich birgt – so angenehm geworden, während du doch, wie wir es durch unsere innerste Weisheit erschauen, auch von keinem gar zu ärmlichen Hause deines Planeten abstammst?“
07. Spricht die Chanchah: „Darum aber ward mir auf meinem Planeten solche Gnade auch nie zuteil! Daß ich aber nun Ihm so nahe bin, daran ist meine Liebe zu Ihm schuld. Denn ich liebte Ihn mit aller Glut meines Lebens, schon ehe ich Ihn kannte und wußte, daß auch Geschöpfe den heiligsten Schöpfer lieben dürfen! Und sehet, diese Liebe und nicht die Pracht meines irdischen Wohnhauses hat mich zu Ihm gebracht!“
08. Sprechen die drei: „Aber wir sind nun doch auch bei ihm, obschon unser Haus überaus prachtvoll ist. Wie kommt denn hernach das, falls Er wirklich das ist, als was du Ihn durch deine Reden darstellst?“
09. Spricht Chanchah: „Liebe Schwestern, äußerlich scheinbar wohl freilich! Aber diese Nähe ist keine wahre und wirkliche Nähe, was ihr bald nur zu klar einsehen werdet, so Er Seinen Mund vor euren Weisen auftun wird! – Nun aber sind wir bereits auch schon vor der Flur eures Hauses. Martin macht schon Halt und kehrt zu uns zurück, um sich Rat zu holen. Stellen wir nun unsere Reden ein und geben auf alles acht, was da vor sich gehen wird!“
01. Als Chanchah diese Worte gesprochen, ist auch Martin schon vor Mir und spricht: „O Herr, o Vater, da könnte einem ja doch das Gesicht aus den Fugen kommen! Das ist ja eine Pracht, von der sicher keinem Geiste einer andern Welt je etwas geträumt hat! Sogar Deine hehrsten Brüder reiben sich die Augen und scheinen den zu großen Glanz kaum ertragen zu können! Aber merkwürdig, daß uns auch nicht eine Fliege, geschweige irgendetwas Menschliches entgegenkommt?
02. Petrus meint freilich, wir müßten so lange vor der Flur verharren, bis die Ersten des Hauses mit all ihren Zeremonien uns entgegenkämen nach ihrer diesweltlichen Sitte. Ich aber, der ich auf der Welt einen derben Ekel vor aller Zeremonie bekommen habe, da ich in selber völlig begraben ward, meine, wir sollten diese glänzenden Dummheiten nicht abwarten, sondern ohne viel Anklopfen ins Haus dringen. Du wirst wohl sicher dazu die hinreichende Macht haben!“
03. Rede Ich: „Oho, Mein lieber Martin! Wir kommen ja nicht als Feinde hierher, sondern als wahre Freunde. Wir wollen helfen und aufbauen – und nicht schlagen und zerstören!
04. Was Ruhmes hätten wir wohl, so wir nun im Augenblicke diese ganze Gegend zerstörten? Oder ist es ehrsam für einen kräftigen Arm, einer Mücke den Kopf vom Leibe zu reißen? Siehe, es ist besser, einer Mücke den Kopf aufzusetzen als ihn zu zerstören. Daher wollen wir hier auch nicht von unserer Kraft, sondern von unserer Geduld und Liebe den rechten Gebrauch machen!
05. Oder wäre es dir recht gewesen, so Ich – statt dir alle Meine Geduld und Liebe angedeihen zu lassen, die du wohl nie verdient hast – dich sogleich mit Meiner Allmacht ergriffen hätte und geworfen in die Hölle? Womit wohl hättest du Mir das vorenthalten können? Aber siehe, Ich habe dir das nicht getan, weil Ich keine Ehre darin fand, als Allmächtiger dich Ohnmächtigsten zu verderben, – wohl aber, dich zu erhalten und aufzurichten! Wäre es nun klug von uns, hier feindlich zu verfahren?“
06. Martin schlägt sich an die Brust und spricht: „O mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa! O Herr, vergib mir, Du weißt ja, daß ich ein Vieh bin!“
07. Rede Ich: „Ja, ja, es ist dir schon lange alles vergeben. Aber habe in Zukunft stets den rechten Grund unausgesetzt vor Augen, aus dem allein wir tätig sind und ewig sein werden, so wirst du nicht leicht wieder in solche Dummheit verfallen! Siehe, wir wollen alles ewig erhalten und nichts auch nur auf eine Sekunde lang zerstören; nach Zerstörung dürstet allein die Hölle! Solches fasse und begib dich wieder auf deinen Platz!“
08. Martin küßt Mir die Füße und begibt sich schnell wieder zu den zwei Brüdern.
09. Diese (Petrus und Johannes) fragen ihn: „Nun, was sollen wir also tun? Sollen wir warten oder eindringen?“
10. Spricht Martin: „Wisset, die Narren sind noch allzeit am ungeduldigsten gewesen, weil sie keinen Verstand haben. Aber so sie zu dumm werden, ist ein tüchtiger Rippler ihnen sehr heilsam! Und das ist denn auch bei mir der Fall. Der Herr hat mich ein wenig geputzt, und nun bin ich wieder ganz in Ordnung! Aus einem Vieh hat Er wieder einen Menschen gemacht, und nun ist alles wieder in der schönsten Ordnung!“
11. Spricht Petrus: „Ja, ja, da hast du wohl recht gesprochen. – Auch ich habe auf der Welt einige gar gewaltige Rippenstöße vom Herrn bekommen, und es war auch gut. Sogar Bruder Paulus hat einmal seine geistige Faust an meinen Rücken geworfen, und siehe, auch das war gut! Nun aber wissen wir beide immer noch nicht, ob wir da warten und uns etwas langweilen oder sogleich in dieses Prachthaus dringen sollten. Nur das sage uns, lieber Bruder Martin!“
12. Spricht Martin: „Wie mir vorkommt, wollt ihr mich auch noch ein wenig zu kneipen anfangen! Es versteht sich ja von selbst, daß wir nach dem Willen des Herrn warten müssen, bis alle ihre Zeremonien werden gemacht haben, die uns da entgegenkommen wollen! Ihr werdet sicher wohl wissen, welche?“
13. Spricht Petrus: „Nun, lieber Bruder, du mußt nicht gleich auffahren in deiner Leber! Siehe, ich weiß am besten, daß ein Rüttler vom Herrn nicht so wohl tut wie eine Liebkosung; aber er ist doch ebensogut Liebe wie die Liebkosung selbst! Weißt du, als ich den Herrn, da Er mir und meinen Brüdern von Seinem bevorstehenden Leiden vorhersagte, warnte vor Jerusalem und in meiner größten Liebe zu Ihm sprach: ,Herr, das geschehe nur Dir nicht!‘ – Was sprach da der Herr zu mir?“
14. Spricht Martin: „O Bruder, wiederhole mir diese schreckliche Sentenz nicht! Denn wahrhaftig, mir ist allzeit unbegreiflich gewesen, wie der Herr, der dich kurz vorher zum Pfeiler Seiner Kirche stellte, die keine Macht der Hölle ewig je überwältigen soll, dich gleich darauf einen Satan, der Hölle Obersten, benennen konnte! Wahrlich, das ist mir bis jetzt noch ein tiefstes Rätsel! Wie wohl verstehst du das?“
15. Spricht Petrus: „Siehe, als mich der Herr zu einem Pfeiler Seiner Kirche stellte, da redete Er zu mir aus Seiner Weisheit. Als Er mich aber einen Satan nannte, redete Er aus Seiner unermeßlichen Liebe zu mir, weil Er da mein Welttümliches mit aller Gewalt wie mit einem Hiebe aus mir wies, welches Welttümliche in mir der eigentliche Satan selbst war! Verstehst du nun diese Sentenz und diesen allergewaltigsten Rüttler?“
16. Spricht Martin: „Zwar noch nicht ganz in der Fülle, aber ich spüre wohl, wo hinaus diese Sache geht! Ja, ja, der Herr ist schon durchaus Liebe!“
01. (Martin:) „Aber nun vernehme ich wie Glockentöne! Was wohl wird da herauskommen? Ah, das ist herrlich! Also auch hier Musik! Zwar läßt sich nichts von irgendeiner Rhythmik vernehmen, aber das Durcheinandertönen ist dennoch herrlich. Wäre wirklich neugierig, mit welchen Tonwerkzeugen sie das zuwege bringen!“
02. Spricht Petrus: „Lieber Bruder, es sind das eine Art Glocken, ungefähr wie sie bei den alten Ägyptern gebräuchlich waren und jetzt noch bei den Persern, Gebern und Hindus zu Hause sind; nur sind sie hier viel reiner tönend als auf der Erde. Diese Glocken bestehen aus einer Art Scheiben, an die mit elastischen Hämmern geschlagen wird bei Gelegenheit besonders großer Feste oder auch bei großen Naturszenen, die hier eben nichts Seltenes sind.
03. Für kleinere Ereignisse haben sie eine Art Schellen, mittelst derer sie ihre verschiedenen Zeichen geben. Sie haben wohl auch eine Art Harfen, die sie meisterlich behandeln können. Diese aber wirst du erst dann hören, wenn du dich im Innern des Wohntempels befindest. Nun weißt du schon, was zu wissen dich gar sehr gejuckt hat! Da sie aber sogleich aus der Wohnung hervorkommen werden, seien wir nun ruhig und erwarten sie!“
04. Fragt Martin ganz kurz noch: „Freund, ist unsere Stellung recht zu ihrem Empfang?“
05. Antwortet Petrus: „Sind wir ja doch keine Soldaten oder gar Komödianten! Was ist dir denn da wieder eingefallen?“
06. Spricht Martin: „Ich bitte dich, lieber Bruder, werde nur du mir nicht gram, sonst müßte ich ja in ordentliche Verzweiflung kommen! Sooft ich jetzt den Mund öffne, kommt richtig etwas Dummes zum Vorscheine!“
07. Spricht Petrus: „Ja, es ist mit dir beinahe so. Aber die Ursache davon ist, daß du, ohne vom Herrn aufgefordert zu sein, in einem fort redest und fragst! Zudem hast du aber auch noch eine bedeutende Portion fleischliche Sinnlichkeit in dir, die in deiner Seele wie kleine Schlangen herumkreiselt und -ringelt. Das trübt noch fortwährend die Sinne deines Geistes derart, daß du nur dann ein wenig weiser zu reden vermagst, so deine in dir rastende Sinnlichkeit nicht durch äußere Reizmittel von neuem angeregt wird.
08. Ich bitte dich aber um des Herrn willen, mache endlich einen Bund mit dir selbst und laß dich ewig nimmer gelüsten nach dem, was deines Geistes nicht würdig ist! Dann wird die Sehe deines Geistes stets heller werden und du wirst allzeit Worte reden aus der reinen Weisheit. Wo du aber das nicht ernstlich tust, wirst du aus deiner Dummheit nimmer herauskommen. Und der Herr wird dich, statt höher zu leiten, in den Mond der Erde geben auf 1000 Jahre, nach der naturmäßigen Zeit der Erde bemessen!
09. Es werden nun sogleich eine Menge der allerschönsten und reizendsten Weiber und Töchter der Sonne zum Vorscheine kommen. Ich sage dir im Namen des Herrn ganz vollernstlich: Bis hierher und nicht weiter ist es vom Herrn vorgesehen dich zu führen, um dich endlich von deiner Sinnlichkeit loszumachen! Wirst du diese Prüfung bestehen, so wird es wohl und gut sein für dich. Wirst du dich aber da nicht behaupten, so wirst du von uns plötzlich verlassen sein und dich anstatt auf der Sonne auf des Mondes kahlstem Boden befinden, von welcher Welt du schon früher einmal einen Weisen verkostet hast!
10. Denn siehe, alles, was seit deiner Ankunft in unserer Geisterwelt mit dir und um dich geschah, das geschah alles hauptsächlich deinetwegen, um aus dir einen tüchtigen Arbeiter in des Herrn großem Weinberg zu machen. Wie es dir auch der Herr Selbst sagte, daß du Ihm besonders auf dieser Welt ein nützlicher Diener werden könntest, darum Er auch so Großes tut, um aus dir einen rechten Engel zu machen. Aber du mußt selbst auch etwas tun, so der Herr so viel tut, sonst wirst du dir ein höchst widriges Los bereiten. Und du wirst dann im wahren Gottesreiche, das dir bis jetzt noch immer fremd ist, im besten Falle nichts als ein elender Fetzensammler werden!
11. Nun weißt du, was das alles bedeutet. Nimm dich daher endlich einmal für bleibend fest zusammen, sei ernst und gut, und wenn dich eine zu große Schönheit beirren will, da blicke zum Herrn hin, und du wirst alsbald Ruhe finden! Denn du mußt es dahin bringen, daß dich noch viel größere Schönheiten nimmer überreden können, und das pur darum, weil du des Herrn bist und ewig sein willst. Dann erst wirst du fähig sein, in den wahren Himmel aufgenommen zu werden, wo Seligkeiten ohne Namen und Zahl deiner harren, von denen du jetzt noch keine Ahnung hast.
12. Denn bis jetzt hat dein Auge noch nicht gesehen, was der Herr denen bereitet hat, die Ihn wahrhaft und getreu lieben. Und die nicht wie du über dem Anblick einer glatten, rundgespannten Weiberhaut Seiner beinahe völlig vergessen, solange es nur noch einigermaßen erträglich geht, und nur dann zu Ihm wieder Zuflucht nehmen, wenn sie durch ihre grenzenlose Torheit bis an den Mund in eine Pfütze versunken sind!
13. Siehe, Martin, bisher warst du doch meistens so beschaffen und warst nach deinem eigenen öfteren Bekenntnisse stets mehr Vieh als Mensch. Nun aber, da wir am Ziele stehen, lege im Namen des Herrn dein Tierisches endlich einmal vollkommen ab! Ziehe den alten Adam vollkommen aus und in aller Fülle der Liebe Christum vollkommen an, so wirst du sogleich in den wahren, eigentlichen, festen Himmel, in das Neue Jerusalem aufgenommen, dessen Bürger ich, Johannes und zahllose andere schon überlange sind! Martin, hast du mich nun verstanden?“
01. Spricht Martin, sehr nachdenkend: „Also – noch immer Prüfung, meine Prüfung! Also pur meinetwegen dies alles! O Gott, o Gott, wann werden diese Prüfungen denn endlich einmal ein Ende nehmen?
02. Ich werde wohl etwa so lange geprüft werden, bis ich nicht für den Himmel, sondern für die Hölle reif genug werde! Darum muß ich jetzt wahrscheinlich so viel des Himmlischen verkosten, damit mir dann die Hölle desto schrecklicher vorkommen soll?
03. Wie oft habe ich schon vernommen, daß man zu mir sagte: ,Nun, Martin, lieber Bruder, bist du vollkommen!‘ So ich aber vollkommen bin, kann und muß ich denn für den eigentlichen Himmel mehr noch als vollkommen sein?
04. O Gott, hättest Du mich lieber ewig nie erschaffen, dann wäre mein Nichts seliger nun als mein Sein unter lauter Prüfungen zwischen Hölle und Himmel!
05. Zwar weiß ich nun, wie ich daran bin, und das danke ich dir, du lieber Bruder Petrus. Aber ich sage dir auch: mit dieser Enthüllung hast du bereits auch mit einem Hiebe alle Prüfungen an mir beendet! Nun magst du Engel oder Teufel vor mir aufmarschieren lassen, so wird mir das wohl so einerlei sein wie mein künftiges Sein oder Nicht-Sein, oder Himmel oder Hölle! Denn wenn das auch noch Prüfungen sind und ich nichts als in einem fort geprüft werde, so halte ich von keinem weiteren Leben etwas!
06. Und bei Gott, du sagtest ehedem vom kahlen Monde. O setze nur schnell, aber auf ewig mich hin! Ich werde dort glücklicher sein als hier unter diesen beständigen Prüfungen, aus denen ich nur zu klar ersehe, daß ich – trotzdem ihr ersten Fürsten der Himmel um mich seid samt dem Herrn – anstatt zum Himmel nur zur Hölle geführt werde!
07. Aber sei nun, wie es wolle. Wie ich schon gesagt habe: führet nun Engel oder Teufel vor mich hin, so wird mir das einerlei sein; denn von nun an will ich stummer sein denn ein Stein!“
08. Spricht Petrus: „Bruder, laß fallen diesen Stachel! Denn dieser ist der Tod, den die Unzucht des Fleisches in sich führt. Sein Name ist ,Zorn‘, darum auch Kinder des Fleisches ,Kinder des Zornes‘ heißen! – Nun aber kommen sie auch schon ganz heraus! Daher sei ruhig, dein Ernst wird dir nütze sein!“
01. Bei diesen Worten tritt auch schon der Älteste und Weiseste der dritten Höhe aus der großen Flur des Tempels in grauem Faltengewande, umgeben von Jünglingen und Jungfrauen. In der rechten Hand trägt er einen Stab gleich dem des Aaron und in der Linken eine Art Zauberband, auf dem verschiedene Zeichen mystischen Aussehens kleben. – Als er etwa fünf Schritte vor den drei Anführern steht, rollt er das Band vollends auf und legt selbes vor sich ausgestreckt auf den blausamtartigen Boden nieder. Darauf senkt er den Stab auf dieses Band nieder und spricht nach einer Weile:
02. (Der Älteste:) „Bei der unermeßlichen Kraft und Macht, die mir eigen ist durch meine unbegrenzte Weisheit, beschwöre ich euch als der erste und älteste Mensch dieser Welt, die ewig kein Ende hat und erhalten wird von mir,“ –
03. Spricht Martin darunter bei sich: „Oder was?! Der Kerl wird possierlich! Nur so fort in dieser Breite!“
04. (Der Älteste:) „daß ihr mir der unendlichsten Wahrheit getreu kundgebet, was ihr hier wollet, und was euch hierher geführt hat! Der leiseste Schein einer Unwahrheit aus eurem Munde – und ihr alle werdet durch meine unbesiegbare Macht zerstäubt werden! Nun redet!“
05. Spricht Martin: „Wir alle zugleich, oder einer für alle? Das müssen Eure Weisheit schon näher bestimmen; denn gar so gescheit sind wir nicht wie Eure Hochweisheit! Bitte also um nähere Bestimmung! – (Bei sich:) Der ist just recht; denn seine Dummheit zieht auch zugleich einen starken Schleier über die Schönheit der Jungfrauen, und das ist auch recht! Nun bin ich mit Petrus, Johannes und allen wieder vollkommen ausgesöhnt!“
06. Spricht der Weise: „Wenn einer spricht, da kann man noch nicht wissen, wie die andern gesinnt sind. Daher müssen alle zugleich und sehr laut reden!“
07. Spricht Martin bei sich: „Ich bin doch im allgemeinen und besonders gegenüber diesen alten Himmelsfürsten sehr dumm, aber über die Dummheit dieses Weisen steht doch nichts mehr auf! Dem seine Weisheit will ich ganz allein so verarbeiten, daß er sich am Ende vor lauter Dummheit und Verlegenheit nimmer umdrehen soll können! Muß aber doch den Petrus fragen, was ich hier tun soll!“ – Darauf wendet sich Martin zu Petrus in dieser Hinsicht.
08. Und Petrus spricht: „Lieber Bruder, nun ist die Reihe an dir, und das mit der vollsten Freiheit und Wahrheit! Hier rede, wie dir die Zunge gewachsen ist!“
09. Spricht darauf Martin zum Weisen: „Aber, du unbegrenzter Weiser, so deine Weisheit so ungeheuer ist, begreife ich ja gar nicht, wie du uns fragen kannst, was wir hier wollen, und was uns hierher geführt hat? Denn sieh, wir viel geringeren Weisen durchschauen sogar dich auf ein Haar und wissen schon ganz genau, was hinter deiner vermeinten höchsten Weisheit steckt! Und so meine ich, du wirst uns auch auf gleiche Weise durchschauen, so du im Ernste so ungeheuer weise bist! Was meinst du in dieser Hinsicht?“
10. Spricht der Weise: „Ja, das kann ich wohl auch, wenn ich das große magische Band vor mir ausgebreitet habe und habe dabei den Doppelstab. Aber da ich für so geringe Gäste nur meine ordinärsten Behelfe mitgenommen habe, so muß ich wohl auch fragen, um von euch etwas zu erfahren, – und so müßt ihr nun reden!“
11. Spricht Martin: „Ja, wenn so, wie wirst du denn hernach ersehen können, ob wir dir die Wahrheit oder die Unwahrheit sagten?“
12. Spricht der Weise: „Um dem vorzubeugen, habe ich euch die große Drohung gemacht, die ich auch ausführen werde, so ihr die Unwahrheit reden würdet. Daher nur die ungeheucheltste Wahrheit, oder – sonst –“
13. Spricht Martin: „Ja, oder sonst – bist und bleibst du ein Esel!“
14. Spricht der Weise: „Was ist das: ein ,Esel‘?“
15. Spricht Martin: „Das ist bei uns ein ganz harmloses Wesen, ganz von deiner Farbe. Es hat sehr lange Ohren, aber dafür einen äußerst kurzen Verstand!“
16. Spricht der Weise: „Was berechtigt dich, mich dafür zu halten?“
17. Spricht Martin: „Erlauben Eure unendliche Weisheit mir eine kleine Pause, denn so eine wichtige Frage braucht Studium!“
18. Spricht der Weise: „Was heißt ihr ,Studium‘? Bei uns gibt es kein Ding, das da ,Studium‘ hieße!“
19. Spricht Martin: „Höre, du Weisester der Weisen, deine Weisheit muß eben nicht gar zu weit her sein, so du das nicht kennst, was zur Erlangung der Weisheit wenigstens im Anfange vonnöten ist! Ein Studium ist soviel wie ein fleißiges Nachdenken über die ersten Begriffe und Elemente, die der Weisheit notwendig vorangehen. Verstehst du nun, was ein Studium ist?“
20. Spricht der Weise: „Nein, das verstehe ich nicht. Denn meine Weisheit ist zu groß und faßt solche Kleinigkeiten darum nicht, weil sie ihr zu klein, zu geringfügig sind. Daher erkläre dich großartiger, sonst kann ich dich nicht verstehen!“
21. Spricht Martin: „Schau, schau, du bist nicht gar so dumm, als man glauben sollte, so man dich ansieht und dann erst hört! Also wegen der ungeheuren Größe deiner Weisheit kannst du solche Kleinigkeiten nicht fassen! Schau, schau, wie weise! – Aber so du schon ob deiner immensen Weisheit solche Kleinigkeiten nicht fassen kannst, da begreife ich wieder nicht, wie du ehedem den noch viel kleineren Begriff ,Esel‘ sogleich begriffen hast mit sehr kurzer Erläuterung?“
22. Spricht der Weise: „,Esel‘ ist ein Wesen – und ,Studium‘ nur ein Begriff. Ein Wesen aber faßt man allzeit leichter als einen puren Begriff. Also rede daher größer und für mich faßlicher!“
23. Spricht Martin: „Freund, ich glaube, wir beide werden uns besonders in der Folge schwer oder wohl auch gar nicht verstehen. Denn du bist samt deiner Weisheit ein überaus dummes menschliches Wesen, bei dem aber auch nicht eine leiseste Spur irgendeiner Weisheit anzutreffen ist!
24. Ich aber gebe dir einen Rat und sage dir: Trete du fein zurück und laß einen andern – aber ohne Zauberband und Hexenstab – für dich reden! Vielleicht wird er etwas Besseres zum Vorscheine bringen. Allenfalls wie die drei Töchter dieses Hauses, die uns zuerst entgegenkamen und recht viele weise Worte hervorbrachten, daß ich darob schließen mußte, ihr würdet noch gar ungeheuer weiser sein!
25. Aber ich habe mich in dieser Erwartung sehr getäuscht. So einen blitzdummen Kerl, wie du einer bist, gibt es vielleicht auf deiner ganzen Welt nicht zum zweiten Male! Weißt du, wir beide sind nun miteinander schon fertig; daher trete zurück und laß einen andern für dich reden!“
26. Spricht der Weise: „Das geht hier ewig nicht an. Denn so ich von der Höhe aller Höhen herabkomme zu diesen gemeinen Würmern, darf niemand reden denn allein ich als der Höchste, der Weiseste, der Mächtigste, der Ewige, der Unendliche!“
27. Spricht Martin: „Oder was?! – Sapprament, du bist am Ende etwa gar das allerhöchste Gottwesen?“
28. Spricht der Weise: „Das gerade nicht, aber nicht viel minder; nur ist Er um etwas älter als ich, indem ich Sein Sohn bin!“
29. Spricht Martin: „Sonst nichts?! Oder vielleicht doch noch ein bißchen was hinzu! Weißt, so ein bißchen was wie eine Zuwaage!“
30. Spricht der Weise: „Freilich wohl noch gar sehr viel hinzu; aber das wäre für dich zu unbegreiflich. Daher kann ich dir's nicht sagen, denn du bist ein Nichts gegen mich!“
31. Spricht Martin: „Ja, ja, das glaube ich dir alles auf ein Haar! Oh, du bist wirklich was Großes, ja ungeheuer Großes in deiner Art! Du wirst deinesgleichen auf dieser Welt sicher nimmer finden! O du, du, du, – –!“
32. Spricht der Weise: „Ja, ich habe niemanden über mir. Wenn ich mit dem Stabe den Boden berühre, so erbebt die ganze Welt, und alle Wesen zittern vor Furcht, so ich mich ihnen nahe! Ich begreife aber durchaus nicht, wie du nicht zitterst und diese deine schwachen Begleiter auch nicht zittern vor mir, der ich euch doch ganz plötzlich verderben könnte?“
33. Spricht Martin: „Was du jetzt nicht begreifst, das wirst du hoffentlich äußerst ba1d begreifen! Von mir aus wohl am wenigsten; aber es ist schon jemand gegenwärtig bei dieser Gesellschaft, der es dir sagen wird, warum wir vor dir durchaus nicht zittern und ewig nie zittern werden!
34. Denn siehe, du bist durch einen argen Geist, der in der Gestalt eines Lichtengels einmal zu dir kam, weidlichst betrogen worden. Und hernach hast du auch diese ganze große Gemeinde betrogen, da du ihr Gesetze gabst, durch die sie tun kann, was sie will, und nimmer fehlen kann, – welche Gesetze so gut wie gar keine Gesetze sind!
35. Ich weiß aber, daß du ehedem ein recht demütiger Weiser warst und bist deiner großen Gemeinde bestens vorgestanden. Als dich aber jener falsche Lichtgeist betört hatte und dir statt der alten, wahren göttlichen Weisheit deine gegenwärtige übergroße Dummheit gab, da bist du geworden, wie du nun bist, ein Wesen voll der größten Narrheit!“
36. Spricht der Weise: „Du sprichst da etwas, das der Sache nach wohl wahr ist. Aber ob ich darum ein Narr bin, das muß sich erst zeigen, denn ich komme mir nicht also vor! Ich gebiete dir darum weiterzureden, aber nur stets groß!“
37. Spricht Martin: „Sage mir, ob du dich wohl erinnern kannst, wie alt du bist? Bist du wohl immer gewesen, was du bist, oder war vor dir irgendein anderer in deinem Amte, vielleicht dein Vater? Warst du nicht etwa einmal jünger, etwa gar ein Knabe? Nur das sage mir, dann werde ich dir um vieles leichter deine Frage beantworten können!“
38. Spricht der Weise: „Die erste Frage kann ich dir darum nicht beantworten, weil der große Zeitmesser zerstört ist schon seit geraumer Zeit. Ein einstmaliger großer Sturm hat die Schnur des großen Pendels abgerissen, und wir können sie nicht mehr ganz machen. Daher weiß weder ich noch jemand anderes, wie alt man hier ist.
39. Ob ich immer war oder einmal einen Anfang genommen habe, so kann ich mich nur ganz dunkel erinnern, als wäre ich einmal geboren worden und wäre sonach auch nicht immer das gewesen, was ich nun bin. So kommt es mir auch vor, als hätte ich einmal einen Vater gehabt, der damals, als ich noch ein Knabe war, mein Amt bekleidete, aber freilich nicht mit meiner großen Weisheit! – Beantwortet sind deine Fragen, darum rede nun wieder du!“
40. Spricht Martin: „Sieh, ich habe es ja gewußt, daß du kein Gott und kein Gottessohn, sondern ganz einfach ein sterblicher Mensch bist, wie es unsereiner war. Und das ist gut für dich und deine ganze Gemeinde; denn also kannst du und deine Gemeinde auch wieder gerettet werden! Wärst du aber in deiner starren Dummheit verharrt, hätte es euch nun im vollsten Ernste sehr schlecht ergehen können. Warum, das wird dir die nächste Folge zeigen. Willst du aber sehr glücklich sein, da wirf sogleich dein magisches Band von dir wie auch deinen Zauberstab, sonst läßt sich mit dir noch immer kein weises Wort sprechen!“
41. Spricht der Weise: „Du verlangst zu viel von mir. Lege ich diese notwendigsten Behelfe meiner Kraft, Macht und Weisheit weg, so kann ich ja nichts mehr wirken! Wer wird mir gehorchen, so ich keine Macht habe, wer sich einem Kraftlosen vertrauen? Und wer wird mich hören, so ich keine Weisheit habe? Daher mußt du nicht Dinge von mir verlangen, die sich mit meiner höchsten Würde nicht vertragen!“
42. Spricht Martin: „Freund, wir Erdbewohner haben ein allerhöchstes Wort von Gott Selbst, und das lautet also: ,Es gibt nichts, das ihr verlasset in Meinem Namen, das ihr dann nicht hundertfach wieder gewinnet zur Zeit der Vergeltung!‘
43. Und siehe, so wird es auch mit dir der Fall sein! Was du tun und lassen wirst in unseres Herrn Namen, das wirst du tausendfach wieder erhalten in aller Wahrheit. Elendes wirst du lassen, und Edelstes wirst du dafür nehmen. Für Schein wirst du ein wahres Sein empfangen. Für Falsches wird dir Wahrheit, für Dummheit Weisheit, für Schwäche wahre Kraft, für Ohnmacht Macht! So wirst du alles in wahrster Fülle erhalten von Gott dem Herrn, was du hier lässest vom Übermaße deiner Nichtigkeit!
44. Daher tue freiwillig gerne, was ich von dir verlange. Ich gebe mich dir zur Geisel, daß du mit mir machen kannst, was du willst, so ich dir hier nicht die vollste Wahrheit gesagt habe!“
45. Spricht der Weise: „Gut, ich sehe schon, daß du im Ernste ein wahrhaftigster Geist bist und tue sonach, was du von mir verlangst. Dafür aber beantworte mir doch einmal die erste Frage, wer und woher ihr seid, damit ich euch dann in dies Haus führen kann!“
01. Der Weise legt nun alles von sich. Als er das Band samt dem Stabe von sich wirft, tritt Petrus zu ihm hin und spricht:
02. (Petrus:) „So ist es recht! Du tatest, was zu tun Bruder Martin in unser aller Namen von dir verlangt hat, und bist uns dadurch ein neuer Bruder geworden. Es ist daher nun billig, daß auch wir tun, was du von uns verlangtest, nämlich daß wir dir kundtäten, wer und woher wir sind.
03. Siehe, es ist nichts leichter, als dir durch Worte zu sagen, was du von uns erfahren möchtest. Damit aber ist eigentlich noch gar nichts getan und dir wenig geholfen! Denn zu dem, was ich dir kundgebe, gehört von dir ein unbedingter Glaube, eine willige, ungezweifelte Annahme dessen, was ich dir sage. Fehlt dir dieser Glaube, da nützt dir alles nichts, was ich dir auch immer sagen möchte!
04. Du sprichst freilich bei dir: ,So Beweise dem Gesagten beigegeben werden, will und kann ich ja alles glauben!‘. Aber dagegen muß ich dir freilich bemerken, daß solch ein Glaube kein Glaube, sondern ein pures Wissen ist, durch das deinem inneren Wesen wenig oder nicht geholfen wird.
05. Denn ein auf Beweise gegründetes Wissen ist kein freies Wissen mehr, sondern ein gerichtetes. Es macht keinen Geist frei, sondern nimmt ihn ebenso oft gefangen, als wie viele Beweise für einen Glaubenssatz gegeben werden!
06. Nur jener Glaube, der da gleich ist einem freien Gehorsam des Herzens, wo das Herz nicht fragt: ,Warum, wie und wann und wodurch?‘, ist ein rechter Glaube. Nur dieser macht den Geist frei, weil ein solcher Glaube eine freie, unbedingte Annahme dessen ist, was dir von einem Boten der Himmel kundgetan wurde, dessen Autorität niemand als allein die Liebe deines Herzens zu prüfen hat.
07. Fühlst du Liebe zum Boten, so nimm ihn auf; fühlst du aber keine, da laß ihn gehen! Auch der Bote hat die gleiche Weisung von Gott. Denn Er spricht und sprach: ,Wo man euch aufnehmen wird, da bleibet; wo man euch aber nicht aufnehmen wird, da schüttelt den Staub eurer Füße über sie und ziehet weiter!‘
08. Du siehst daraus, daß weder der, an den die Botschaft geschieht, noch auch der Bote selbst gebunden sein sollen, sondern ganz frei. Die Verkündigung frei und die Annahme frei! Wo mehr verlangt wird, da ist keine Freiheit mehr, sondern ein Gericht, das keinen Geist frei macht.
09. Wäre Gott, dem ewigen Herrn, darum zu tun, Seine Menschen durch unumstößliche Beweise zu lehren, daß Er ist und wie und wodurch, so wäre Ihm das ein überaus leichtes: Er dürfte die Menschen nur in ein Gericht stellen, so würden sie unmöglich etwas anderes annehmen und denken können, weil da ihr Herz gleich dem der Tiere gerichtet wäre. Aber der Herr will keine künstlichen, sondern ganz freie Menschen haben. Darum muß auch ihr Herz frei sein, besonders in der Annahme der geoffenbarten Lehre von Ihm, ansonsten sie in ihrem Geiste nimmer frei werden können.
10. Solange dein Verstand einen Beweis verlangt, um eine Lehre oder Offenbarung anzunehmen, so lange auch ist der Geist wie ein Gefangener im finstern Gefängnisse. Und da es ihn hungert und dürstet, schreit er nach Nahrung, die ihm durch Beweise wie spärliche Brosamen erteilt wird. Durch diese kann er aber nie zu jener Kraft gelangen, vermöge welcher er sich von seinen Fesseln befreien könnte.
11. Nimmt aber der Verstand des Herzens frei, ohne Beweise etwas an, da zeigt das Herz sogleich seine freie Kraft, die in den Geist übergeht und ihn frei macht. Ist aber der Geist frei, dann ist alles frei im Menschen: die Liebe, das Licht und das Schauen! Da braucht es dann keines Beweises für die Wahrheit mehr, denn da ist der freie Geist selbst die klarste und vollste Wahrheit aller Wahrheit.
12. Frage nun dein Herz, ob du mir unbedingt glauben kannst, was ich dir sagen werde, so werde ich dir auch sagen, was du wissen möchtest! Kannst du aber das nicht, dann wäre meine Rede vergeblich. Denn wir sind nicht gekommen, euch zu richten, sondern euch frei zu machen vom harten Joche eurer alten Knechtschaft!“
13. Spricht der Weise: „Erhabener Freund, du stehst höher als ich. Rede daher und ich werde dir glauben frei, weil ich dir glauben will!“
01. Spricht Petrus: „Nun, so höre denn! Wir alle, wie du uns hier erschaust, sind fürs erste Kinder Gottes, d.h. nach eurer Vorstellung Kinder des allerhöchsten Geistes. Fürs zweite aber sind einige von uns auch des Allerhöchsten erste Hauptdiener, und zwar von der Art, daß eben der Allerhöchste Selbst sie zu einem Grundpfeiler Seiner Kirche der ganzen Unendlichkeit gestellt hat. Zuerst freilich wohl nur auf der Erde, d.h. auf jenem Planeten, den ihr den heiligen nennt. Als sie aber dort ihre Aufgabe mit Freude und Hingebung erfüllt hatten, wurden sie dann durch eine schmerzliche Abnahme des Leibes sogleich zu Ihm in den obersten aller Himmel erhoben, um von Ihm alles zu haben, was Er Selbst hat, und sonach die höchste aller Seligkeiten ewig ungetrübt zu genießen. Fürs zweite aber in solcher Seligkeit jenen Dienst im ausgedehntesten Sinne zu verrichten, den sie auf der Erde – freilich im engsten Maße – verrichtet haben. Und so wisse, daß eben ich, Petrus, und jener Dritte, Johannes, solche Diener sind. Die andern aber sind alle mehr oder weniger Anfänger in dieser Welt und in diesem oberwähnten Dienste.
02. Der Zweck, warum wir hierher kommen, ist zunächst der, daß wir zuerst die in dieser Welt Neuangekommenen zu höheren Liebediensten einführen und einweihen. Darnach wollen wir aber euch Bewohner dieser Lichtwelt, und zwar nur einige Gemeinden, die vom rechten Wege sich abgewandt haben, wieder aufrichten.
03. Weil aber eben dies letzte ein hartes Geschäft ist, so daß da die Mühe unsere Kräfte überbieten möchte, so ist auch Gott der Herr Selbst in aller Seiner Kraft- und Machtfülle gegenwärtig! Und das in sichtbarer Menschengestalt, welche Gestalt eben die eigentliche göttliche ist, indem Gott uns Menschen nach Seinem Ebenmaße äußerlich wie innerlich geformt hat. Denn Er nahm keine andere Form für Seine Lieblinge als die urerste Seiner ewigen Liebe.
04. Daher gibt es in der ganzen Unendlichkeit nirgends eine Welt, auf der die Menschen eine andere Form hätten, als wir sie haben. Nur sind sie hie und da nach der äußeren Größe voneinander verschieden und an der Farbe, manchmal auch an einigen wenigen äußerlichen Dingen. Die Grundform aber bleibt immer die göttliche.
05. Daher darf es dich auch nicht befremden, so du nun gar bald Gott, den allerhöchsten Geist, ganz in meiner Gestalt und Größe erblicken wirst. Seine unendliche und ewige Macht und Größe hängt nicht von Seiner äußeren gestaltlichen, sondern von Seiner innersten Geistgröße ab, die aber ewig wohnt im allerheiligsten, unzugänglichen Lichte und nie von einem geschaffenen Geiste gesehen und noch weniger je begriffen werden kann.
06. Nun weißt du alles; nichts habe ich ausgelassen, was zur Beantwortung deiner Frage in hohem Grade nötig war. Sage mir nun auch ganz treuherzig ohne alle Verstellung – die bei euch besonders in dieser Gemeinde sehr zu Hause ist –, ob du wohl alles glaubst, was ich dir nun gesagt habe!“
07. Spricht der Weise: „Erhabenster Freund, aufrichtigsten Sinnes gesprochen, bis aufs letzte – alles. Aber daß da Gott, das allerhöchste, unendliche, urewige Gottgeistwesen auch hier unter euch, und zwar in deiner Gestalt und Größe vorhanden sein soll, das – du siehst es selbst ein, so dir nur ein wenig unsere urältesten Weissagungen und Offenbarungen bekannt sind – ist eine harte Sache! Es kann wohl sein, daß ich das später einsehen werde. Aber für diesen Augenblick ist das für meine Begriffe von Gott, dem allerhöchsten Wesen, beinahe völlig unmöglich!
08. Du weißt es, daß Gott nur höchst selten Seine Engel hierher sendet, die uns obersten Weisen eben das höchste Gottwesen offenbaren, aber allzeit beisetzen: ,Gott aber kann niemand sehen und leben zugleich!‘ Daher wohne Er in einer unerforschlichen Tiefe aller Tiefen, daß kein Wesen durch die Beschauung der Gottheit beeinträchtigt werden solle in seinem Leben. Wie aber würde es uns nun ergehen, wenn es wirklich so wäre, wie du mir nun verkündet hast, wenn Gott hier unter euch weilte!
09. Ich kann nicht in Abrede stellen, daß solches dem Gottwesen allerdings auch möglich sein könnte. Wo aber käme dann Seine ewige, unwandelbarste Ordnung hin, die uns so oft verkündigt worden ist?“
10. Spricht Petrus: „Freund, nur eine kleine Geduld, und du wirst das dir kaum möglich Scheinende gar sehr möglich finden! Aber nun gedulde dich nur ein wenig – Er kommt Selbst her; von Ihm wirst du es am ersten fassen!“
01. Spricht der Weise: „Lieber Freund, der wird es etwa doch nicht sein, der dort in der Mitte von zwei Weibern wandelt, vor denen – wie es mir vorkommt – eben jene drei Töchter dieses Hauses einhergehen, die wir früher dahin abgesandt hatten, wo ihr wart und nicht weitergehen wolltet oder durftet?!
02. Siehe, bei uns wäre es im höchsten Grade unschicksam, so sich auch nur ein Weiser dritten Ranges von Weibern führen ließe! Wie sollen wir danach erst das ansehen, so der allerhöchste Gott, von dem doch alle Gesetze der Ordnung herrühren müssen, Sich von Weibern führen läßt? Natürlich vorausgesetzt, daß jener eben nichts Besonderes verratende Geist oder vielmehr Mensch ein solcher Gott ist!“
03. Spricht Petrus: „Freund, hast du dein ganzes Leben hindurch nicht verschiedene Dinge entweder zu deinem nützlichen Gebrauche oder bloß nur zu deinem Vergnügen verfertigt?
04. Du sagst: ,O ja, eine Menge zu beiderlei Bestimmungen!‘
05. Gut, so du also verschiedene Dinge verfertigt hast, da sage mir, ob sich darunter auch eines befindet, von dem du behaupten könntest: ,Dieses Werk ist meiner nicht wert! Ich schäme mich dessen, und es wäre wider alle Ordnung und im höchsten Grade unschicksam, dieses Werk mit meinen Augen anzusehen oder gar mit meinen Händen anzurühren.‘
06. Du sprichst: ,Nein!‘ Denn hättest du ein solches Werk, wie wohl hättest du es verfertigen können, so es weder deiner Augen noch deiner Hände würdig wäre? Siehe, sehr richtig hast du da geredet und es ist auch so. Nun aber höre:
07. Wenn du schon keines deiner Werke für so schlecht hältst, daß es deiner unwürdig wäre, so du doch gegen Gott ein allerunvollkommenster Meister deiner Werke bist: wie sollst du dann von Gott eine Ordnungstugend verlangen, der doch der ewig vollkommenste Meister aller Seiner Werke ist?
08. Sage mir, welches Gotteswerk wohl findest du so schlecht, daß Sich Gott dessen schämen sollte? Oder sollte Er als ewiger Herr all Seiner unendlichen Werke etwa von uns, eben Seinen Werken, erst das schicksame Recht erbitten und die Bestimmung, ob und mit welchem Werke Er umgehen dürfe! – Was meinst du in dieser Hinsicht?“
09. Spricht der Weise: „O Freund, ich sehe nun ganz klar, daß du ein überaus tiefer Weiser bist. Jeder deiner Sätze hat den allerfestesten Grund, und es läßt sich dagegen nichts stellen! Und so fange ich nun auch an, ernstlich solchen Glauben zu fassen, daß jener ganz einfach aussehende Mensch gar wohl das allerhöchste Gottwesen in Sich fassen kann. Denn konnte Er das auf dem kleinen Heiligen Planeten – wie wir von Seinen Engeln unterwiesen worden sind, – warum sollte Ihm das hier auf dieser großen und lichten Welt unmöglich sein?
10. Du siehst, daß ich solches wohl annehmen kann und auch annehme. Aber nun kommt eine andere, gar schrecklich wichtigere Frage: Freund, so Er es aber ist, Er, der Allgewaltigste, Heiligste und endlos Weiseste – Er, der sogar für unsere größten und tiefsten Gedanken zu erhaben und heilig ist, als daß sich auch nur der höchste und reinste Weise je getrauen dürfte, Seinen Namen zu denken; – wie, frage ich, werden wir Ihn empfangen und vor Ihm bestehen!“
11. Spricht Petrus: „Freund, Er ist uns schon ziemlich nahe. Sehe Ihn einmal mit deinen scharfen Augen recht fest an und sage mir dann, ob Er wohl gar so fürchterlich, grimmig und erschrecklich aussieht. Sage mir auch, ob die drei Töchter dieses Hauses, die sich fortwährend nach Ihm umsehen und überaus heiter gestimmt zu sein scheinen, auch von deiner großen Furcht etwas in sich verspüren mögen?“
12. Spricht der Weise: „O Freund, so etwas entdecke ich nicht. Er sieht überaus gut, sanft und mild aus, und die drei habe ich noch nie so nahezu ausgelassen heiter gesehen!“
13. Spricht Petrus: „Nun, so du das merkst, wie kannst du dann also fragen? Ich sage dir: Fürchte dich vor Ihm nur nicht! Denn wo Er kommt, da kommt Er allzeit aus Liebe – und ewig nie aus Zorn und Rache. Obschon Zorn und Rache gleich wie die Liebe ewig Sein sind und daher niemand Zorn haben und Rache üben soll an seinen Nebengeschöpfen.
14. Denn der Zorn ist allein Gottes und die Rache des Richters. Die Liebe aber ist des Vaters, und diese gibt Er Seinen Kindern, sucht sie bei ihnen und kommt, so Er kommt, weder im Zorne, noch in der Rache. Er kommt allzeit in der Liebe als Vater zu Seinen Kindern, die Er eben aus Liebe nach Seiner Gestalt gebildet und in ihr Herz die wunderbarste Bestimmung gelegt hat, ganz das werden zu können, was Er Selbst ist.
15. Wenn nun aber solches der ewigen Wahrheit gemäß so ist, wäre es da wohl weise, sich vor Dem zu fürchten, der gegen uns die Liebe Selbst ist?
16. Fürchtest du dich doch vor mir nicht, der ich auch so viel Macht und Kraft besitze, daß ich durch den leisesten Gedanken diese ganze Welt in einem Augenblicke zerstören und eine andere hervorrufen könnte! Da du dich aber vor mir nicht fürchtest, der ich ebenfalls alle Macht aus dem Herrn in mir habe, aber dabei ewig nie so gut sein werde, wie Er ist: wie sollst du dich dann vor Ihm fürchten, dessen Güte endlos ist?
17. Fürchte dich also nicht, sondern freue dich über alle Maßen, darum dir und dieser Welt nun eine so unbegrenzt große Gnade widerfährt! Dann wird auch Er Freude an dir und euch allen haben und wird euch helfen, da ihr am meisten Seiner Hilfe bedürft! Aber nun, Freund, ordne dein Herz; denn nur wenige Schritte, und Er ist in unserer Mitte!“
18. Spricht der Weise: „O Freund, ob mein Herz geordnet ist, weiß ich nicht zu sagen. Aber daß ich große Liebe zu Ihm empfinde, fühle ich nun zum ersten Male lebendig!
19. Ebenso habe ich mich nun ziemlich meiner Furcht entledigt unter folgenden mir nicht unweise vorkommenden Voraussetzungen: Zufolge richtigen Denkens kann ich als Geschöpf unmöglich mehr sein und werden als nur das, was ich bin, nämlich ein Geschöpf, so kann auch Gott ebenso unmöglich weniger sein und werden, als was Er ist – nämlich Gott, das vollkommenste Grundurwesen, durch das jede andere wie immer geartete Wesenheit bedingt sein muß.
20. Ohne Schöpfer läßt sich kein Geschöpf denken, wohl aber der Schöpfer ohne Geschöpf. Denn der Schöpfer ist schon das, was Er ist, durch Sein ewig klarstes Bewußtsein, demzufolge Er erschaffen kann, was und wann Er will. Das Geschöpf aber kann unmöglich zuvor je etwas sein, als bis es der allmächtige Wille des Schöpfers zu etwas gemacht hat.
21. Ich ersehe im Schöpfer wie im Geschöpfe zwei Notwendigkeiten, von denen die zweite durch die erste bedingt erscheint; wenn aber diese Sache unmöglich anders als nur so zu betrachten ist, sehe ich durchaus nicht ein, wie ich mich als bedingte Notwendigkeit vor der ersten, unbedingten fürchten sollte!
22. Ich denke mir die Sache zur größeren Beruhigung meines Gemütes so: Unsere große Welt hat auf ihrer Oberfläche eine Menge so kleiner Dinge, von denen das Volumen eines einzelnen zum Gesamtvolumen dieser ganzen Welt in einem unansehnlichsten Verhältnisse steht, wie beinahe das reine Nichts zur Unendlichkeit!
23. Dessenungeachtet besteht das Kleinste neben dem Großen ganz unbeirrt und hat denselben Grund, sich seines Daseins zu erfreuen, wie das nahezu endlos Große. Ist es auch gegen das Große ein Nichts, so ist es aber doch gegen sich selbst vollkommen. Und ich denke da weiter: Ich kann freilich ewig nie werden, was da ist unser erhabenster, allmächtigster Schöpfer. Aber dagegen kann auch der Schöpfer trotz Seiner Allmacht nie werden, was ich bin, nämlich ein Geschöpf.
24. Freilich ist an diesem leidenden Vorzuge nichts gelegen. Aber es ist dennoch eine eigentümliche Stufe, die vom Schöpfer in keinem Falle je betreten werden kann. Und so hat hier jede der zwei Notwendigkeiten etwas für sich: daß eben dieses Etwas vielleicht wohl scheinbar, aber in Wirklichkeit vom Gegenteile doch nie erreicht werden kann. Wenn ich dieses Verhältnis mir klar vor Augen stelle, so werde ich auch der gewissen Furcht überhoben, die mich bis jetzt befiel!“
01. Spricht darauf Johannes: „Lieber Freund, ich habe den Sinn deiner Rede genau erwogen und fand, daß er in sich betrachtet ganz richtig ist. Nur muß ich dabei bemerken, daß du hier die beiden Extreme zu schroff behandelt und eine zu scharfe Grenzlinie gezogen hast.
02. Es ist allerdings wahr, daß der Schöpfer nie Geschöpf und das Geschöpf nie Schöpfer werden kann. Nichtsdestoweniger ist dabei der Schöpfer im Nachteil und ebensowenig in einem besonderen Vorteil gegen das Geschöpf.
03. Denn fürs erste hat Er zur Hervorbringung des Geschöpfes durchaus keine andere Materie als Sich Selbst. Er muß das Geschöpf aus derselben Substanz bilden, aus welcher Er Selbst besteht von Ewigkeit. Sodann aber muß Er dieses Geschöpf sogestaltig auch fortan aus Sich Selbst erhalten, während das Geschöpf seinem Schöpfer gegenüber nichts zu tun hat, als bloß nur zu sein.
04. Und so das Geschöpf also ist, wie es der Schöpfer haben will – nämlich in der fürs Geschöpf bestimmten Ordnung –, kann das Geschöpf ebenfalls in die Vollkommenheit seines Schöpfers eingehen. Es kann die Kindschaft Gottes erlangen und dann mit Ihm sozusagen in demselben Hause wohnen und alle Seine Rechte gebrauchen und genießen. Ich meine, daß sich in diesem Fall der Schöpfer wie das Geschöpf gegenseitig sehr wenig werden zugute zu halten haben.
05. Solange Schöpfer und Geschöpf zufolge der ihm erteilten moralischen Willensfreiheit eben im Wollen und Handeln einander gegenüberstehen, so lange freilich ist dein aufgestellter Grundsatz richtig. Denn die Priorität des Schöpfers kann da unmöglich je in Zweifel gezogen werden, weil sie eine unwidersprechliche Notwendigkeit ist.
06. Aber so das Geschöpf durch Erkenntnis und tätiges Wollen des geoffenbarten Schöpfer-Willens die Scheidewand selbst zerstört, dadurch den Schöpfer in sich selbst aufnimmt und damit völlig eins wird mit Ihm, da fragt es sich dann:
07. Wo ist der Schöpfer als ewig Einer und Derselbe mehr Schöpfer: in Sich oder im Geschöpf? Was ist hier älter: das Geschöpf als identisches Wesen mit und in dem Schöpfer – oder der Schöpfer als identisches Wesen im Geschöpfe? Denn Er Selbst spricht: ,Ihr seid in Mir und Ich in euch!‘
08. In diesem Falle, der wahr und unleugbar ist, meine ich aus der Fülle meiner hellsten Anschauung, hast du, lieber Freund, deine Saiten etwas zu stark angezogen und wirst daher schon müssen mit dir etwas handeln lassen! – Was meinst du in dieser Hinsicht?“
09. Spricht der Weise: „Lieber Freund, ich sehe, daß du ungeheuer weise bist. Es läßt sich deinen aufgestellten Grundsätzen nichts einwenden. Nur meine ich, daß das produktive Wesen dem Schöpfer gleichfort eigen bleibt: ob Er für Sich isoliert dasteht, oder ob Er Seiner ausfließenden Wirkung zufolge Sein Geschöpf wie ein Gefäß mit Sich Selbst erfüllt, natürlich nach dem Maße der dem Geschöpf erteilten Aufnahmefähigkeit.
10. Daß das Geschöpf nie die ganze unendliche Fülle der Urgottheit wird in sich aufzunehmen imstande sein, darüber dürfte wohl kein Zweifel sein! Ich meine, die Beantwortung dieser Frage liegt schon im Begriffe ,Unendlichkeit‘, die nur wieder von derselben Unendlichkeit, nie aber von einer aus ihr genommenen Endlichkeit aufgenommen werden kann.
11. Siehe, wir sehen von unserer Welt eine Sonne, deren Größe nach unseren Berechnungen der Größe unserer Welt viele tausendmal tausend Male überlegen sein wird. Aber so ich gar oft beobachtet habe, wie selbst die kleinsten Tautröpfchen das Bild jener großen Welt gestaltlich für das Volumen ihres Wesens vollkommen aufnehmen, so unterliegt es keinem Zweifel, daß wir Geschöpfe auf ähnliche Weise den Schöpfer in uns wohl aufnehmen, soweit Er eben von uns zu unserer Vollendung aufgenommen werden kann.
12. Wie weit aber bleibt das Sonnenbild im Tautropfen vor der wirklichen Sonne zurück, und wie weit erst das Geschöpf mit seinem Schöpferbilde hinter dem wirklichen Schöpfer! Ich glaube, es dürfte schwer eine Zahl zu ermitteln sein, wie viele solcher Tautröpfchen erforderlich wären, um nur das wahre Volumen jener Sonne darzustellen, die sich in ihnen wohl äonenmal abbildet!
13. Und doch stehen sich hier nur zwei begrenzte Dinge gegeneinander! Wie aber wäre da erst eine alles ausgleichende Bestimmung möglich, wo sich die ewige Unendlichkeit und eine sicher kaum beachtbare zeitliche und räumliche Begrenztheit begegnen!
14. Es ist übrigens nicht in Abrede zu stellen, daß das schöpferische Wesen im Geschöpfe identisch ist mit dem Schöpfer, wie auch umgekehrt; aber ich frage: in welchem Verhältnis? Und diese Proportion muß doch auch in große Beachtung gezogen werden, weil aus ihr nur zu klar hervorgeht, daß zwischen Schöpfer und Geschöpf trotz aller natürlichen und moralischen Gleichheit dennoch eine solche Kluft für ewig stehen bleiben muß, weil sie weder von einer noch von der andern Seite je völlig überschritten werden kann.
15. Und so bleibe ich insoweit bei meinem Grundsatze stehen, daß die beiden Gegensätze nie vollkommen in eins zusammenfallen können. Ich will mich aber dennoch nicht gegen eine tiefere Belehrung verwahren. Im Gegenteil: es wird mir jede tiefere Belehrung in dieser Sache höchst willkommen sein, daher ich mich auch sehr freue, dich darüber weiter und tiefer zu vernehmen!“
01. Spricht Johannes: „Lieber Freund, du gehst wohl sehr kritisch zu Werk in dieser über alles wichtigen Sache und hast in manchem recht. Aber im Ganzen kannst du damit doch auf solche Abwege gelangen, auf denen du wohl in Ewigkeit schwerlich das wahre Ziel deines Seins erreichen möchtest! Daher will ich dich im Namen des Herrn, der nun gerade unsertwegen ein wenig innehält, etwas tiefer beleuchten. So höre, du lieber Freund:
02. Du nahmst zu einem natürlichen Bilde deine Zuflucht, um mir die Richtigkeit deines Grundsatzes klarer vorzustellen. So kann ja auch ich ein ähnliches Bild nehmen, um wider dich selbst ein Zeugnis zu stellen, das dich erhellen soll mehr denn das maßlose Lichtmeer deiner mir vorgeführten Sonne! Ich werde zwar nicht so tief wie du in den Schöpfungsraum hineingreifen, glaube aber dennoch, daß ich unter dem Beistande des Herrn den Nagel auf den Kopf treffen werde.
03. Siehe, das Meer ist beinahe auf einer jeden Welt – mag sie groß oder klein sein ihrem Volumen nach – jene Wassermasse, in die sich endlich alle einzelnen Ströme, Flüsse, Bäche und zahllose kleinere Bächlein ergießen, und in die auch die allermeisten Regentropfen fallen.
04. Dieses Meer aber ist auf jeder Welt der erste Hauptgrund zu allen Gewässern sowie auch von jedem Regen und Tau. Hätte eine Welt kein Meer, so gliche sie einem Menschen, der kein Blut und somit auch keine andern Säfte hätte und dadurch auch ehestens zu einer Mumie oder leblosen Bildsäule werden müßte. Einer Welt ist sonach das Meer ebenso notwendig wie das Blut dem Menschen und jedem anderen lebenden Wesen.
05. Nun geht aber alles, was auf einer Welt nur immer den Namen Flüssigkeit hat, aus dem einen Meere hervor, verrichtet die bestimmten Dienste und kehrt nachher wieder in das Meer zurück. In zahllos vielen kleinsten Kügelchen oder Tröpfchen spendet das Meer fortwährend seinen großen Überfluß in den ihm völlig verwandten Luftraum, der jede Welt umgibt. In diesem stets bewegten Luftraume werden diese kleinsten Wasserteilchen in allen möglichen Richtungen über die ganze Welt getragen. Sind sie in der Luft einmal in großer Fülle vorhanden, werden sie anfangs als Nebel und später bei noch größeren Ansammlungen als dichte Wolken ersichtlich. In diesen Wolken ergreifen sie sich, bilden dadurch größere und somit auch schwerere Tropfen, die dann bald hie und da in großer Anzahl als Regen auf die dürstende Welt niederfallen und diese neu beleben und erquicken.
06. Du weißt nun, was das Meer ist und was alles aus ihm hervorgeht.
07. Du sprichst: ,Ja, das beruht doch schon auf alten Erfahrungen!‘
08. Gut, so du das verstehst, da sage mir, was so ganz eigentlich älter ist: die einzelnen Tropfen des Meeres oder das gesamte Meer selbst? Freilich wohl ist das gesamte Meer früher dagewesen, bevor aus ihm ein Regentropfen aufsteigen konnte in die Luft. So er aber einmal aus dem Meere stieg, war er da als Teil desselben Meeres etwas anderes als das Meer selbst? Und so er wieder ins Meer zurückfallen wird, wirst du da wohl einen Unterschied finden zwischen ihm und dem Meere?
09. Du sprichst: ,Nein, da ist alles identisch; denn wo der Teil des Ganzen gleich ist dem Ganzen, da sind Teil und das Ganze eins!‘
10. Gut, sage ich; wenn aber nun zwischen Schöpfer und Geschöpf dasselbe Verhältnis waltet, woher nimmst du dann deine scharfen Grenzen, die du zwischen Schöpfer und Geschöpf stellst?“
11. Der Weise ist hier ganz frappiert und spricht erst nach einer Weile: „Überweisester Freund, ich sehe nun klar, daß du recht hast. Es läßt sich diesem deinem Beweise für die Identität des Schöpfers mit dem Geschöpfe nichts mehr entgegenstellen! Es ist so und es kann durchaus nicht anders sein. Denn woher sollte der Schöpfer zur Erschaffung der Geschöpfe den Stoff anders genommen haben als aus Sich?!
12. Hat Er ihn aber aus Sich genommen, so muß wenigstens das Material oder der Stoff mit dem Schöpfer identisch sein. Wennschon die Zeit, in der das Material des Geschöpfes vom Schöpfer getrennt wurde, natürlich mit dem Schöpfer nicht identisch ist. Denn die Zeit ist nur ein zu beiden Seiten scharf begrenzter Ausschnitt der Ewigkeit, während der Schöpfer durchaus ewig ist und notwendig sein muß, weil ohne Ihn sich nie ein Werden denken ließe.
13. Diese Sache ist demnach klar und kann unmöglich klarer werden durch immer noch tiefere Beweise. Aber um diese Sache recht bergfest zu stellen, dürfte die Aufstellung einer Gleichung nicht ohne Nutzen sein, besonders für diese Gemeinde, die alles genau berechnet haben will!
14. Diese Proportion aber möchte ich so stellen: daß Sich nämlich der Schöpfer als Gesamtheit aller einzelnen der durch Sein Wollen getrennten Totalitäten zu letzteren gerade so verhält, wie sich umgekehrt alle einzelnen Totalitäten, die ewig aus Ihm hervorgehen, in ihrer Gesamtheit zum Schöpfer verhalten – welche Proportion aber notwendig dieses Produkt gibt, daß die volle Zusammenfassung aller produzierten speziellen Totalitäten der in ihnen gesetzten Totalität des Schöpfers gleich ist. Oder: das gesamte Eins des Schöpfers ist vollkommen im Eins der Geschöpfe enthalten, wie auch umgekehrt.
15. Ist aber das gesamte Eins im Geschöpfe dem Eins des Schöpfers gleich, so ist auch ein getrenntes Eins dem Gesamt-Eins gleich, weil es ebensogut wie das Gesamte im Gesamten, und zwar im streng gleichen Verhältnisse enthalten ist. – Ich meine, diese Proportion dürfte hierzu gar nicht überflüssig sein?“
16. Spricht Johannes: „Ja, ja, die Proportion ist wohl richtig. Aber ich muß dir dazu nur bemerken, daß wir Kinder des Herrn, der uns ein Vater ist und bleibt auf ewig, ganz anders zu rechnen pflegen, als du mir hier vorgerechnet hast!
17. Siehe, das, was du berechnest mit deinem Kopfe, das alles berechnen wir stets mit unserm Herzen. Und wir bekommen allzeit ein bestes Resultat, das da alle erdenklichen Sonderfälle in sich begreift! Aber nun kommt der Hauptrechenmeister, Der wird dir ganz andere Rechnungen zeigen!“
18. Spricht der Weise: „Also, das ist der Herr, oder das eigentliche Wesen Gottes?“
19. Spricht Johannes: „Ja, Freund, das ist der Herr!“
20. Spricht der Weise: „Wahrlich, Sein Äußeres verrät eben nicht viel Herrliches; wohl aber erweckt Sein Nahen einen starken Grad Liebe zu Ihm in mir!
21. Das Aussehen ist gut, ja sehr gut! Aber daß dieser ganz natürlich aussehende Mensch, der wohl ungeheuer viel Weisheit haben kann, der Schöpfer der Unendlichkeit und aller Werke in ihr sein soll, das schaue sich aus Ihm heraus, wer es will! Mir ist das so gut wie völlig unmöglich.
22. Er ist ja ebenso begrenzt wie wir beide! Wie möglich kann Er da das Unendliche zugleich durchdringen und umfassen?! Aber, wie gesagt, die Weisheit hat ewig unergründliche Tiefen; es kann alles möglich sein. Ich will eigentlich damit nur soviel gesagt haben, daß es mir nur absonderlich vorkommt! – Aber nun nur stille; Er winkt zu schweigen!“
01. Nun komme Ich herzu und rede: „Uhron, sage, geht die Pforte dieses Hauses schwer oder leicht auf? Geht sie leicht, so führe uns hinein. Geht sie aber schwer, da laß Mich die Probe machen, auf daß Ich sehe, wie schwer sie geht!“
02. Spricht der Weise: „Höchst erhabenster Freund aller Engel und Menschen! Mir kommt vor, Du bist nicht einer, der da suchte die Weisheit bei den Menschen. Denn alle unsere Weisheit ist ja ohnehin Deine Gabe an uns, und alle unsere Einrichtung ist Dein Werk. Und so meine ich, daß es gar nicht nötig sei, daß ich Dir dartun soll, ob schwer oder leicht die Pforte dieses Hauses aufgehe! Gebiete, was da geschehen soll, und es wird sogleich geschehen!“
03. Rede Ich: „Du sagtest, was Ich von dir verlangte. Die Pforte geht leicht auf, daher führe Mich ins Haus! Denn Ich fragte nicht nach der Pforte dieses Wohnhauses, ob sie leicht oder schwer aufginge. Was liegt Mir daran, da es doch ewig in Meiner Macht liegt, Myriaden solcher Häuser in einem Augenblick entstehen und wieder vergehen zu machen!
04. Ich aber stellte die Frage nur an dein Herz, das da ist die rechte Pforte in das Haus deines Lebens. Siehe, diese Pforte geht leicht, und das ist, wohin Ich will, daß du Mich da hineinführen sollst! Du hast Mich schon eingeführt und tatest wohl daran. Nun aber führe uns alle auch in dies äußere Haus zum Zeugnis dessen, was deines Lebens ist, auf daß alle sehen, daß Ich auch ein Herr dieses Hauses und dieser Erde bin!“
05. Spricht der Weise: „Du bist der Herr hier wie endlos allenthalben! Dir allein gehört auch dieses äußere Haus ewig. Außer Dir hat niemand ein Recht, darin zu schalten und zu walten nach seinem Belieben. Daher wäre es im höchsten Grade vermessen von mir, so ich Dich als den ewigen, wahrsten Eigentümer dieses Hauses wie dieser ganzen Welt in Dein vollrechtliches Eigentum einführen sollte!
06. O Herr, Du ewiger Eigentümer der Unendlichkeit, da Du nun endlich einmal auch in Dein vollstes Eigentum gekommen bist, so führe Du uns als allein rechtlicher Hausvater in dies völlig Dein Haus!“
07. Rede Ich: „Du hast wohl und recht geredet, da es also ist, wie du sagtest. Aber Ich habe dich durch Meine Engel ja zu Meinem Sachwalter gestellt und komme nun, mit dir zu rechnen. Da meine Ich, daß es denn doch an dir wäre, Mich als den Herrn in Mein dir anvertrautes Eigentum zu führen?“
08. Spricht der Weise: „O Herr, so Du ein Pächter wärst, dann ja! Denn so jemand, der noch nichts besitzt, einen Hof pachtet, muß er wohl füglich vom Sachwalter, der die Sachen kennt, in solch einen Afterbesitz eingeführt werden. Du aber bist ein Besitzer dessen in aller Fülle der höchsten Wahrheit. Es ist Dir kein Atom all dessen unbekannt, was dieses Haus faßt, wie auch meine überschlechte Haushaltung. Darum wirst Du mit mir nicht viel zu rechnen haben, da ich nun nur zu sehr überzeugt bin, daß Dir meine schlechte Rechnung schon seit Ewigkeiten bekannt ist in ihren treulosen Punkten.
09. Daher komme ich noch einmal mit der demütigsten Bitte und sage: Du alleiniger Herr und Vater dieses wie jedes andern Hauses, ziehe Du in Dein vollstes Eigentum ein. Mir aber als Deinem schlechtesten Sachwalter sei gnädig und barmherzig, und züchtige mich nicht nach dem Maße meines sicher argen Verdienstes!“
10. Mit diesen Worten fällt der Weise vor Mir auf sein Angesicht und weint zum ersten Male seines Lebens; denn das Lachen wie das Weinen ist den oft sehr schroff-weisen Bewohnern dieser Welt nahezu ganz fremd.
11. Ich aber rufe Martin und sage: „Martin, wie gefiel dir die Sprache dieses nun völlig bekehrten Weisen?“
12. Spricht Martin: „O Herr, der hat nun wohl die vollste Wahrheit gesprochen, und zwar so umfassend, daß ich mir ewig nichts Wahreres vorstellen kann.
13. Hätten doch die Juden, als Du auf die Erde kamst, so geredet! Da hätte Dich kein Judas verraten und kein Kaiphas und Pilatus kreuzigen lassen. Denn auch dort kamst Du in Dein vollstes Eigentum, aber die Deinen haben Dich nicht erkannt so wie dieser Fremdling nun hier in dieser Welt!
14. Aber was geschehen ist, können Menschen nicht mehr ungeschehen machen! Daher vergib, o Du bester Vater, allen, die nicht wissen, was sie tun – zu denen zu gehören auch ich leider die Ehre habe!“
15. Rede Ich: „Nun gut, Mein Martin, auch du hast recht geredet! Aber nun nehmt diesen Weisen und tragt ihn auf euren Händen vor Mir in das Haus! Es geschehe!“
01. Petrus, Johannes und Martin heben den Weisen vom Boden und tragen ihn in das herrliche Haus. Darob aber entsetzen sich die anderen Sonnenbewohner, und zwar zunächst die eigentlichen Bewohner dieses Hauses und sagen unter sich:
02. (Die Hausbewohner:) „Was ist das?! Der unsterbliche höchste Weise fiel vor diesem Menschengeiste wie tot auf den Boden, und nun tragen ihn die drei fremden Geister in unser Haus! Was wird daraus werden? Wer ist denn dieser Geist, daß er eine solche Macht hat, wie wir sie noch nie bei einem Engel entdeckt haben?“
03. Sagen darauf einige, die den Trägern auf dem Fuße nachfolgen: „Habt ihr's denn nicht ehedem vernommen, daß dieser Geist der allerhöchste Geist Gottes sein soll? Wir unsererseits sind dessen nun beinahe gewiß; wie so etwas aber euren Blicken entgangen ist, das ist uns ein Rätsel!
04. Habt ihr denn nicht vernommen, wie unser höchster Weiser mit Ihm geredet hat und hat Ihn anerkannt als den alleinigen Hausvater und somit Allerältesten dieses wie auch jedes andern Hauses?
05. Geht daher in euch und bedenket, welche Gnade nun diesem Hause, ja dieser ganzen Welt widerfährt, so ihr Schöpfer sie betritt mit Seinen allerheiligsten Füßen zum ersten Male sichtlich unseren Sinnen! Eilt voraus und reinigt den reichen Sitz des Ältesten dieses Hauses, auf daß der rechte Eigentümer zum ersten Male Seinen altgerechten Platz einnehmen möge!“
06. Auf diese Worte rennen sie alle ins Haus und tun sehr emsig, wie ihnen die Weiseren aus ihrer Mitte geraten haben. Ich aber folge ihnen auf dem Fuße nach, und zwar in der Mitte der Chanchah und Gella und der drei Töchter eben dieses Hauses. Mir folgen Borem und Chorel nun als Führer der gesamten Gesellschaft, die hier die Augen nicht genug aufreißen kann, um all die zahllosen Herrlichkeiten gebührend zu würdigen, die sich ihnen hier zur Beschauung darbieten.
07. Alle frohlocken über die Maßen und loben Mich. Denn nun wissen es schon alle in der Fülle, daß Ich allein der Herr bin. Sie sind ebendarum um so glücklicher, weil sie sich in der Gesellschaft Dessen befinden, der da der ewige Meister aller dieser Herrlichkeiten ist. In dieser Ordnung also gehen wir in das erste Haus der Sonnenbewohner.
01. Als sich nach kurzdauerndem Einzuge alle in diesem großartigen Prachttempel befinden, tritt der schon wieder gestärkte Weise in demütiger Ehrfurcht vor Mich hin und spricht:
02. (Der Weise:) „O Du, dem auf dieser Deiner Welt keine Zunge wagte einen Namen zu geben! Du so lange Zeiten hindurch durch Deine Urerzengel uns verkündeter ewiger Urgeist und allmächtigster Schöpfer aller Wesen, deren Zahl keinen Anfang und kein Ende hat! Du Erster, Du Heiligster, Du Weisester, Du ewiges Gesetz und ewige Ordnung aller Wesen und Dinge! Da Du uns gnädig endlich einmal heimgesucht hast, so würdige uns Unwürdigste auch noch solcher Gnade, daß Du Selbst uns Deinen Willen zeigst und uns einen Weg vorzeichnest, auf dem wir uns mit Zuversicht Deines Wohlgefallens auf ewig erfreuen könnten!
03. Wohl sind wir auf dieser Welt mit großen Vorzügen ausgerüstet. Wir sind, was die Form betrifft, überaus schön und nach Maßgabe unseres Gesellschaftsbandes auch hinreichend weise. Wir arbeiten mehr mit dem Willen als mit den Händen. Noch nie haben uns Nahrungssorgen geplagt, was auf andern Welten sehr häufig der Fall sein soll. Ebenso kennen wir auch keine Krankheiten unseres Leibes, obschon unser Fleisch sehr reizbar ist; ebenso können wir auch leben solange wir wollen. Willigen wir aber in die von höheren Geistern verlangte Umwandlung, so wird sie uns zur höchsten Lust!
04. Kurz, wir sind in allem so gestellt, daß ich sicher sagen kann: Es wird kaum im unendlichen Raume Deiner Schöpfungen noch eine zweite Welt geben, in der naturmäßige Menschen noch glücklicher gestellt wären als wir durch Deine endlose Gnade. Aber bei alldem sehen wir dennoch ein, daß wir hinter Deinen Kindern weiter zurückstehen, als da voneinander abstehen die Pole der Unendlichkeit!
05. O Herr, sieh uns an, die wir auch wie Deine Kinder aus Dir hervorgegangen sind! Stelle eine Möglichkeit auf, durch die auch wir Aussicht gewinnen könnten, Deinen heiligen Kindern in der geistigen Wirklichkeit nur um etwas näher gestellt zu werden!
06. Du erhabenster, heiligster Vater Deiner Kinder, so es Dein Wille wäre und nicht wider Deine heilige Ordnung, so erhöre meine armselige Bitte, zu deren Hervorbringung mir die geistige Not dieses Volkes und meine unbegreiflich mächtige Liebe zu Dir den Mut gegeben haben! Aber zürne uns nicht, o Vater der Deinen, so ich als ein Fremdling es wagte, an die heiligste Pforte Deines Herzens zu pochen!“
07. Darauf sage Ich: „Mein Sohn Uhron, eben darum du bittest, bin Ich auch da! Denn siehe, die Menschen der kleinen Erde haben nun Meiner völlig vergessen und haben aus ihr eine vollkommene Hölle bereitet! Nur wenige gibt es noch hie und da, die in der Tat noch etwas auf Meinen Namen halten und bauen; den meisten andern aber ist er zum Ärger und Ekel geworden. Du siehst daraus leicht, daß Ich fürderhin Mir kaum mehr auf jener treulosen Erde werde Kinder ziehen können.
08. Denn mit Meiner Macht kann solches nicht bewerkstelligt werden, weil sie da gerichtet wären. Das aber darf bei Meinen Kindern ewig nie der Fall sein, da Meine Kinder in die höchste Freiheit übergehen müssen, ansonsten sie Mir nicht als Mein rechter Arm dienen könnten. Rühre Ich sie aber mit Meiner Macht nicht an und lasse sie fürderhin noch tun, was sie frei wollen, werden sie zu Teufeln und treiben miteinander solche Dinge und Taten bösester Art, daß sie damit der tiefsten Hölle zum Muster aufgestellt werden könnten.
09. Sie haben keinen Glauben, keine Liebe, keine Demut und keinen Gehorsam und somit auch kein Vertrauen auf Mich. Wie auch könnten sie auf Mich vertrauen, da Ich zufolge ihres dicksten Unglaubens so gut wie gar nicht bin?
10. Daher bleibt Mir nun nichts anderes übrig, als die wenigen Rechten und Besseren zu schützen und zu bewahren. Die andern aber will Ich ihrem eigenen Willen völlig freigeben und von ihnen nehmen allen Meinen Verband, wodurch sie dann in kurzer Zeitenfolge gänzlich von der Erde Boden wie nichtige Schemen verschwinden werden.
11. Auf diese Art aber kann Ich beinahe keine vollkommenen Kinder von jener Erde mehr bekommen. Die Besten sind ärger als hier nun die Ärgsten, die eben ihr selbst wart. Und so will Ich hier eine neue Pflanzschule für Meine künftig werdenden Kinder anlegen, jene Erde aber so sichten, daß die übriggebliebenen Besseren tagelang Reisen machen werden, bis sie auf ein Wesen ihresgleichen stoßen werden!
12. Da Ich aber solches tun will, muß Ich euch nun auch solche Wege vorzeichnen, auf denen ihr zu Meiner gerechten Kindschaft gelangen könnet – so ihr es wollt! Wird die Erde aber gereinigt, da will Ich von ihr bis zu euch eine Brücke bauen für den Geist, über die ihr mit jenen wie Hand in Hand wandeln sollt!
13. Nun aber sende schnell Boten aus und laß viele hereinkommen; denn Ich will ihnen allen die Pforte zu Meinem Herzen sehr weit auftun! Also sei und geschehe es!“
01. Schnell eilen auf das sogleich erfolgte Geheiß des Weisen nach allen Richtungen Boten hinaus, um zu rufen Tausende und abermals Tausende, hierher zu kommen zur großen Verkündung einer neuen Lehre, welche auf dieser Welt bisher noch niemals sei gehört worden.
02. Wie die Sturmwinde fliehen und die Wolken vor sich hertreiben, so fliehen die Boten in der großen Gemeinde umher. Sie rufen wie atemlos die Bewohner, mit ihnen eiligst zu ziehen in die Wohnung, in die stets bei großen Gelegenheiten der Weise Uhron zu kommen pflegt, um den Menschen aus der Höhe der Höhen neue Wege der Weisheit zu verkünden.
03. Solchen Ruf vernehmend, eilen die Völker der Gemeinde dem bezeichneten Wohnhause zu. Jeden trägt die große Gier wie auf Adlers Fittichen förmlich durch die Lüfte, und es ist ein Strömen und ein Wogen dahin, wo das Höchste ihrer harrt.
04. Martin vernimmt das große Sausen und Brausen wie ein Rollen des Donners schon in das Haus und fragt Mich: „Herr, Vater, woher dies Getöse? Es kommt näher und näher und wird heftiger von Augenblick zu Augenblick!“
05. Antworte Ich: „Weißt du noch nicht, daß dort die Anziehung am stärksten wirkt, wo sich der Grundmagnet befindet? Siehe, dies Getöse kommt vom schnellen Herannahen der Menschen dieser großen Erde her, weil sie alle ahnen, was ihnen hier zuteil wird. Schon umlagern sie dies Haus; sieh durch die vier Tore hinaus, welch unabsehbare Massen sich herzudrängen! Alle, alle kommen, um zu vernehmen die Worte des Herrn des Lebens und des Todes.
06. Siehe, da wird unsere Arbeit schon etwas stärker werden, als du sie bisher verkostet hast! Aber mache dir nichts draus; denn ist die Arbeit auch groß, so haben wir ja auch mehr als hinreichend Kraft und Macht dazu! Oder meinst du etwa, wir werden da mit unserer Kraft nicht auslangen, weil du so ängstlich die heranziehenden Massen betrachtest?“
07. Spricht Martin: „O Herr, das wäre wohl eine höchst blinde Meinung von meiner Seite; ich denke nur, wie uns alle diese zahllosen Wesen vernehmen werden? Hier im Hause – ob es auch schon mächtig groß ist – werden sie ja doch unmöglich können untergebracht werden. Denn ich sehe wie auf der Erde ja viele Meilen weit hinaus, und der ganze Umkreis ist gedrängt voll! Gehen wir aber aus dem Hause ins Freie, da werden uns nur die wenigen Nächsten vernehmen, alle anderen werden unser nicht einmal ansichtig werden. Wahrlich, diese schauderhafte Masse zu belehren, wird eine schöne Arbeit abgeben!“
08. Rede Ich: „Nicht also, Mein lieber Martin; die Sache geht hier ganz anders! Wir werden hier nur mit den Nächsten, und zwar hauptsächlich mit dem Uhron verhandeln. Dieser wird es dann, durch eigene Zeichen im Augenblicke allen anderen wie durch einen Telegraphen kundgeben.
09. Aber es kommt hier wieder zuerst an dich! Du wirst die erste Predigt halten, dann Petrus und Johannes, und endlich Ich Selbst. Aber Ich sage dir, nimm dich jetzt zusammen, denn es wird hier viel Wetters geben; sieh, daß du nicht gestört werdest! Nun gedulde dich noch ein wenig; so Ich dir ein Zeichen geben werde, beginne deine Predigt! Also sei es!“
10. Spricht Martin bei sich: „Ja, ja, o Herr, Du hast leicht sagen: ,Es sei!‘ Aber ich, ich – das ist etwas ganz anderes! Ich soll jetzt diesen Millionen Menschen, die sicher ebenso weise, wo nicht weiser als ich sind, eine Predigt halten? Und das im Angesichte des Herrn, des Petrus und des ungeheuer tiefsinnigen Johannes! Das wird sich machen, – und das unter allerlei Stürmen und Wettern, das wird sich noch besser machen! Dabei werde ich einen Bock um den andern machen, dann werde ich weidlich ausgelacht werden, – oh, das wird sich ganz verzweifelt gut machen!
11. Zwar habe ich wohl schon öfter allerlei dumme, manchmal wohl auch etwas gescheitere Reden gehalten in Gegenwart des Herrn sowohl wie in Gegenwart des Petrus und Johannes. Aber da waren nicht Millionen oder gar Trillionen Zuhörer, die sämtliche weiser sind als ich. Hier aber, wo es nur so wimmelt, da hat die Sache ein ganz anderes Gesicht!
12. Das ganze Haus ist gesteckt voll. Man kennt sich ja gar nicht mehr aus, was da Männchen oder Weibchen ist! Tausend unbegreiflich schönste Wesen glotzen mich mit ihren großen feurigen Augen an und scheinen in höchster Spannung zu sein auf das, was ich vortragen werde. Oh, das wird sich machen! Mir ist noch keine Silbe bekannt, was ich reden soll, und sie reißen schon alle Augen, Ohren und Mund auf, soweit sie nur können, um meine Weisheit – oder was – zu vernehmen! Oh, die werden staunen über meine Weisheit!
13. Wenn der Herr mich jetzt sitzen läßt und mir nicht jedes Wort in den Mund legt, so werde ich nun in eine Soße kommen, wie ich mich bis jetzt noch in keiner befunden habe! Ich passe schon immer auf das Zeichen vom Herrn, aber Ihm sei Dank, daß bisher noch keines erfolgt ist! Oh, wenn es nur für mich ganz wegbliebe! Aber es wird sicher nicht! Der Herr macht schon eine Miene, als ob Er sagen wollte: ,Martin, nun mache dich gefaßt!‘
14. Aber horch, horch – ich höre ja wie ferne Harmonien. Ich höre Gesang, wunderherrlichsten Gesang! Das tönt wie Orgeltöne und wie Stimmen reinster Sängerkehlen! Ach, das ist wunderherrlich, das ist rein himmlisch! O du reine Musik, du göttliche Musik, du erfreust und erbaust nicht nur auf Erden das Gemüt der Seele – auch im Himmel bist du eine große Labung der seligen Geister! Stets kräftigere Akkorde wechseln in erhaben gehaltenen Tönen!
15. Ach, das ist übermajestätisch! Dieser kräftige Baß, dieser wohlklingende Diskant und diese reinste Stimmung! O Herr, diese Musik ist herrlicher noch als alle sonstigen Herrlichkeiten dieser Welt! Ja, diese Musik belebt mich durch und durch. Ich fühle nun, daß ich doch etwas zuwege bringen werde, so ich werde müssen anfangen zu predigen! Wahrlich, das ist wohl das herrlichste Predigtlied, das je irgendeines Geistes Ohr, wie ich einer bin, vernommen hat!
16. O herrlich, herrlich, herrlich! Herr, ich danke Dir für diesen endlos herrlichsten Genuß! Er gilt wohl nur Dir ganz allein, aber ich bin dennoch überselig und habe nun auch mehr Mut als ehedem. Ja, Du hast wohl zahllose Mittel, ein schüchternes Gemüt aufzurichten und dem Zaghaften Mut einzuflößen, und kennst eines jeden Sinn. So will ich nun auch wie ein rechter Herold Dich verkünden und ihnen zeigen Deine verborgene Größe, Liebe, Macht, Kraft und Heiligkeit! Ewig gelobt und gepriesen werde Dein heiligster Name!“
01. Rede Ich: „Gut, gut, lieber Martin! Das Predigtlied naht dem Ende, daher mache dich nun sehr gefaßt! Ich sage dir, es wird hier sehr hitzig zugehen, denn wir sind nicht sicher vor dem Besuche unseres Feindes!
02. Daher nimm dich zusammen und laß dich nicht vom Zorn gefangennehmen. Dem Zornigen darfst du nicht mit Gegenzorn begegnen, sondern nur mit sanftmütigem Ernst, dann wirst du über ihn den schlagendsten Sieg erbeuten! Denn der Zorn will wieder Zorn erwecken, um ihn dann durch seine vermeinte Übermacht zu töten. Findet aber der Zorn nichts, daran er sich vergreifen könnte, so kehrt er auf sich selbst zurück und zerfleischt sich selbst. Daher sei auf alles gefaßt; sei ernst und sanft, so wirst du siegen!“
03. Spricht Martin: „O Herr, so etwa jener Feind kommen sollte, mit dem ich schon einmal in meinem Hause zu tun die Ehre hatte, da bitte ich Dich wohl um die Verleihung von etwas mehr Kraft. Denn dieser Bestie möchte ich denn doch gerne einen Merkstölpel für die ganze Ewigkeit beibringen als Dank für das viele Gute, das sie an mir getan hat!“
04. Rede Ich: „Nicht so, Mein lieber Martin, du weißt doch, daß Böses mit Bösem vergelten noch nie eine gesegnete Frucht getragen hat! Daher laß solche Gedanken wieder so von dir gehen, wie sie zu dir gekommen sind. Handle, wie Ich dir ehedem geraten habe, so wirst du des entschiedensten Sieges sicher sein. Würdest du aber zerstörend auf den Feind einwirken, da würde er wohl fliehen. Aber nicht, um nicht wiederzukehren, sondern um neue Kräfte zu sammeln und dir danach vermeintlich mehr schaden zu können.
05. Ich sage dir: Zerstört wäre er bald, so er nur zerstört werden könnte. Da aber das nicht möglich ist zufolge der so gestellten Ordnung, muß man anders handeln und ihn ganz anders gefangennehmen, um durch seine Erhaltung die ganze materielle Schöpfung in Bestand zu erhalten. Ihn möglichst beschränken, das ist die Losung; aber ferne sei von jedem, ihn zu zerstören oder gar zu vernichten!
06. Nun geht auch das Predigtlied zu Ende, daher mache dich gefaßt. An Meinem Beistand wird es dir nicht fehlen, so du nach Meinem Rate handeln wirst!“
07. Als Ich solches rede, verstummt die Musik. Uhron, der Weise, tritt zu Martin hin und spricht: „Nun, Freund, wie ich's vernommen habe, daß du das erste Wort an uns richten wirst, kannst du auch schon beginnen; es ist alles bereitet. Die Völker sind beisammen, die Fernsprecher auf ihren Plätzen. Alle Ohren und Augen sind auf dich gerichtet, und so – wenn es dir und vor allem dem Einen wohlgefällig wäre – könntest du wohl anfangen!“
08. Spricht Martin: „Ja, Freund, sogleich werde ich beginnen. Nur sage mir zuvor, ob du alle Gäste, die nun in gedrängten Massen hier in diesem großen Hause versammelt sind, wohl so gut kennst, daß du mir kundgeben kannst, ob sich unter ihnen kein völlig fremder, dir völlig unbekannter Gast befindet?
09. Ist kein Fremdling hier, werde ich mit euch ganz gerade und kurz reden. Ist aber irgendein Ungeladener hier, der sich etwa wie ein Räuber, Dieb und Mörder eingeschlichen hat, um hier während meiner Rede die Gemüter dieser überaus vielen Zuhörer zu trüben und aufzuregen, so zeige mir ihn, daß ich ihn hierher vor mich stelle vor euer aller Augen!“
10. Der Weise durchsucht mit seinen Augen fleißig die Menge der Gäste, die in der schönsten Ordnung aufgestellt sind. Er entdeckt aber niemanden, der da fremd wäre, und spricht zu Martin: „Freund, so weit meine Augen reichen, entdecke ich durchaus nichts Fremdes. Aber ich will auch an die, welche draußen in großen Mengen stehen, ein Zeichen in dieser Beziehung ergehen lassen, dann wird sich sogleich zeigen, ob irgend jemand Fremder unter ihnen ist!“
11. „Gut“, spricht Martin, „tue das; ich will darum noch ein wenig innehalten!“
12. Der Weise läßt schnell ein solches Fragezeichen hinaus in die Ferne ergehen. In kurzer Zeit kommt von allen Seiten die Antwort zurück und lautet:
13. (Die Menge:) „Nein, nein, nein! Niemand Fremder ist unter uns! Aber etwas anderes zeigt sich an der Fläche des nahen, großen Meeres; die Oberfläche wird sehr unruhig und schwankt gewaltig! Wir sind in banger Erwartung, daß da eine große Geschwulst aufgetrieben wird und wir alle werden eher die Flucht ergreifen müssen, als bis die erhabensten Gäste Ihre heiligen Worte an uns werden beendet haben!
14. Während wir dir, Uhron, dieses künden, zeigt sich in nicht großer Ferne auch schon ein Flachbauch von ungeheurer Ausdehnung! Großer Gottgeist, wenn der zur Vollhöhe aufgetrieben wird, so wird er das Gewässer wohl bis über deine höchsten Wohnungen treiben! O bitte Ihn, den Allmächtigsten, der nun über alles heilig in deinem Urstammhause Sich sichtlich befinden soll, Er möchte solche drohende Gefahr von uns allen abwenden und uns nicht elend zugrunde gehen lassen!“
15. Der Weise zeigt das dem Martin verlegen an und bittet ihn, daß er doch den Herrn bitten möchte, solch eine Gefahr von ihnen gnädigst abzuwenden.
16. Spricht Martin: „Freund, zeige nur schnell allen an, daß sie sich darob nicht im geringsten fürchten sollen, und daß niemandem auch nur ein Härchen gekrümmt werde! Denn solches tue jener ohnmächtige böse Geist, der sich die große Keckheit genommen, früher einmal als ein falscher Lichtengel ihnen allen neue Gottesgesetze vorzuschreiben. Die waren aber nur seine eigenen, und durch sie wollte er alle aus dem Grunde gänzlich verderben. Damit aber sein arger Plan für ewig vollkommen vereitelt würde, sind wir nun da und werden sie alle erretten durch die Macht und Kraft Dessen, der nun unter uns weilt als ewiger, heiligster Vater unter Seinen Kindern! Gib das sogleich allen kund!“
17. Der Weise tut das sogleich, bekommt aber wieder kurze Zeit darauf die Antwort:
18. (Die Menge:) „Dem höchsten Gottgeiste alle Ehre und Anbetung! Das ist wohl ein höchster Trost! Aber dennoch steigt das Wasser in unglaublicher Raschheit und wird uns binnen zehn Pendelschlägen des großen Zeitmessers erreichen. Bittet, daß der Herr das ändere, sonst ist zur Flucht wohl die allerhöchste Zeit!“
19. Der Weise berichtet solches eiligst Martin und dieser spricht:
20. (Bischof Martin:) „So zeige nur schnell allen an, daß sie trotz aller dieser Erscheinungen dennoch nicht die geringste Furcht haben sollen! Sie sollen nicht fliehen, selbst wenn schon das Wasser ihre Füße bespülen sollte. Denn der Herr wird dem Feinde nur bis dahin durch die Finger sehen, ihn sodann aber mit seiner allerhöchsten Gerichtsstrenge ergreifen und auf das gewaltigste züchtigen vor ihren Augen!“
21. Der Weise zeigt solches wieder schnell an, und es kommt die Antwort:
22. (Die Menge:) „Auf das Wort des Heiligen wollen wir die Gefahr auch an unsere Füße kommen lassen und wollen dann frohlocken und den Gottgeist loben und preisen, so Er uns solch eine unerhörte Gnade erzeigen wird! Aber das Wasser steigt fortwährend, und der unübersehbare große Bauch wächst mit bisher nie gesehener Raschheit. Das wird einen allergräßlichsten verheerenden Ausbruch abgeben, so ihm durch Gottes Allmacht kein Einhalt gemacht wird!“
23. Der Weise berichtet solche Antwort schnell dem Martin. Dieser spricht in großer Erregung:
24. (Bischof Martin:) „Höre, Freund, das ist ein elendster Wurm und hat vor Gott, seinem ewigen Herrn, keine Achtung, da er weiß, daß der Herr zu gut, ja zu unendlich gut ist! Aber obschon beim Herrn gewissermaßen alles den Charakter der Unendlichkeit annimmt, so wird sich aber Satan hier sehr verrechnen. Diesmal wird dem Herrn Seine schon nahezu ewig dauernde Geduld sicher zu kurz werden und wird den ruchlosen ältesten Bösewicht gehörig zu knebeln wissen!“
25. Rede Ich: „Martin, laß dich nun nur nicht stören! Mit dem Wühler werde Ich gar bald zu rechnen anfangen. Du aber beginne nur deinen Vortrag, daß wir endlich einmal zu einem Ziel kommen! Lassen wir Satan seine Freude; Ich sage dir, sie wird sehr kurz sein! Damit du desto ruhiger sein kannst, so sage Ich dir noch hinzu: Diesmal wird der Feind an Meiner Geduld sich sehr verrechnen und hat sich schon verrechnet!“
26. Spricht Martin: „O Herr, Du bester, heiligster Vater! Nun ist von meinem armen Herzen eine Dreißigtausend-Zentner-Last hinweggewälzt! Oh, Dir alle meine Liebe und tiefste Anbetung ewig!“
01. Nach diesen Worten wendet sich Martin an die Gemeinde und spricht: „Ihr alle, die ihr hier bei dieser außerordentlichen Gelegenheit versammelt seid, um Worte des Lebens aus meinem und endlich sogar aus dem Munde des Herrn Selbst zu vernehmen: Lasset euch vor allem gesagt sein, daß ihr euch nicht sollt stören lassen, so nun ein böses Wetter euch bedrohen wird. Denn seht, es ist ja Gott, der allerhöchste, allmächtigste Geist Selbst hier sichtbar gegenwärtig und ist eben Derselbe, mit dem ihr alle mich habt ehedem reden sehen, wenn auch nicht reden hören.
02. Dieser allein wahre, ewige Herr und Schöpfer aller Unendlichkeit hat mir für euch alle die vollste Versicherung gegeben, daß Er den Bösen vor euren Augen auf das gewaltigste züchtigen wird, so er es wagen sollte, sein arges Spiel noch weiter zu treiben. Da wir aber von Ihm Selbst solche Versicherung haben, wollen wir auch ohne Furcht in aller Geduld harren, was der Herr über uns für Gnaden wird ergehen lassen.
03. Ich aber, der nun redet, bin durchaus kein Weiser aus mir. Alles, was ich zu euch nun reden werde, das werde ich euch sagen aus dem Herrn nicht in hohen, sondern in ganz einfältigen Worten. Daher erwartet auch nichts Hohes, dafür aber desto mehr Wahres und Gutes! Ich werde euch geben, was ich habe; und so vernehmet mich!
04. Meine teuren Genossen der Gnade meines und eures Gottes, meines Herrn und Vaters und eures Herrn und nun auch eures Vaters! Der allmächtige Wille dieses einen Vaters hat euch alle schon von Uranfang an auf eurer herrlichen Welt mit so viel Vorzügen ausgerüstet, daß sich diese gegen die Bewohner meiner Erde in gar kein Verhältnis bringen lassen.
05. Ihr seid eurer Gestalt nach schön, ja so schön, daß wir Erdbewohner uns nicht einmal einen reinsten Lichtengel schöner vorstellen können. Dazu habt ihr die Dauer eures irdischen Lebens freigestellt, so daß da jeder von euch leben kann, solange er will. Der Unterschied zwischen eurem Naturleben und eurem abgeschiedenen Seelenleben ist wirklich so gering, daß es beinahe ein gleiches ist, ob ihr mit diesem Leibe oder ohne ihn herumwandelt. Ihr sehet und sprechet die Dahingeschiedenen, wann und wie oft ihr nur immer wollt, und könnt sogar mit uns nun ganz reinen Geistern reden und handeln, als hättet ihr gar keinen Leib mehr!
06. Wie ganz anders ist das alles auf jener harten Welt, auf der ich und alle hier mit mir Weilenden im Fleische gewandelt sind! Dort ist das Naturleben zwar unbestimmt, dabei aber dennoch sehr kurz bemessen. So von euch jemand sagt: ,Ich bin jung!‘, da wäre er bei uns schon ungeheuer alt. Denn ich weiß, daß hier in dieser Versammlung es noch viele gibt, die nach unserer Erdzeitrechnung mehrere hundert Jahre alt wären. Und das sind bei euch noch junge Menschen, während sie bei uns schon wahrlich fabelhaft alt wären.
07. Desgleichen gibt es bei euch aber auch so alte Menschen, daß sie nach unserer Zeitrechnung schon älter sind als das gesamte Menschengeschlecht auf meiner kleinen Welt! Ja, hier wird es wohl auch so alte noch im Fleische lebende Menschen geben, die vielleicht noch um tausend Male älter sind. Welche großen, wichtigen und heiligen Erfahrungen müssen solche Menschen gemacht haben! Welch einen hohen Aufschwung muß eure geistige Bildung an der Seite solch hocherfahrener Lehrer gewinnen, und wie tief muß eure Weisheit ihre herrlichsten Wurzeln treiben!
08. Während man auf unserer Welt noch kaum zu begreifen angefangen hat, was das Leben ist, wird man schon schmerzlichst getötet und muß aus dem schlechten Fleische. Ob zum ewigen Leben oder Tode, das wird kaum jemandem angezeigt! Kurz, man muß alles verlassen, was man sich irgend erworben hatte, sei es Ehre, Ruhm, Glanz, Tugend, Wissenschaft, Weisheit; darauf wird nie vom Herrn aus Rücksicht genommen! Sondern wenn der heimliche Würge- und Marterengel kommt und dem Menschen sein Schwert ins Herz stößt, so ist es dann schon völlig aus.
09. Man muß sterben ohne bestimmte Aussicht auf eine Vergeltung! Denn das Leben nach dem Leibestod besteht bei uns nach überlieferter Lehre bloß im Glauben und Hoffen. Wohl fast niemand hat schon, wie ihr hier, ein bestimmtes Bewußtsein des ewigen Lebens in seinem Fleische! Bedenkt, welch ein Vorzug das für einen freien Menschen ist, so er, wie ihr hier, ein Herr seines Lebens ist! Wie kann er sich all des Erworbenen freuen und wie frei genießen die zahllosen Vorzüge solch eines Lebens!
10. Ihr könnt mit den Seelen eurer von euch leiblich geschiedenen Brüder reden und könnet sie allzeit sehen, als wären sie gar nicht gestorben. Bei uns weiß der Zehntausendste kaum, ob nach dem Fleischtode wohl noch ein Leben ist und wie gestaltet. Und doch ist man verpflichtet, alles für ein künftiges Leben zum Opfer zu bringen, das so viele gar nicht kennen und nicht einmal eine Ahnung haben, daß es ein solches Leben gibt! Die es wohl glauben, haben aber doch nicht die leiseste Andeutung – außer einigen unhaltbaren Fabeln –, worin dieses Leben besteht oder bestehen wird!
11. Denket euch, welch ein unberechenbarer Vorzug das ist, wenn ein Geschöpf von Anfang an schon wie ein Herr seines Lebens dasteht!
01. (Bischof Martin:) „Eure Welt ist uns eine Sonne, ohne die wir kein Leben hätten. Sie gibt uns Licht und Wärme; ihr aber bewohnt sie und kennt keine Nacht und keinen Winter.
02. Wißt ihr wohl, was eine Sonne ist? – Ja, bei aller eurer Weisheit wißt ihr kaum, was da eine Sonne ist, weil ihr eben selbst Bewohner einer Sonne seid!
03. Ihr kennt kaum den Vorteil, Bewohner einer Sonne zu sein. Ich kannte ihn eher auch nicht, als ich noch auf meinem armseligsten Planeten gleich einem Wurme herumkroch. Nun aber kenne ich ihn und kann euch darum sagen, daß ich als ein nun weiser gewordener Geist gar keinen Ausdruck finden kann, durch den es mir möglich wäre, euch darzutun, wie groß der Vorteil ist, ein Bewohner der Sonne zu sein. Wie entsetzlich kümmerlich ist dagegen ein Bewohner besonders meines Weltkörpers gestellt in allen seinen naturmäßigen Verhältnissen! Es gibt für ihn höchstens flüchtige Augenblicke, von denen er sagen kann, sie vergnügten ihn.
04. Die große Härte und Magerkeit des Bodens zwingt den armen Menschen, sein Brot im blutigen Schweiße seines Angesichtes sich zu erarbeiten. Weil aber dies schwere Arbeiten manchen schon von Geburt aus weicheren Naturen nicht munden will, so betteln sie. Oder so sie mächtig genug sind, nehmen sie dann wohl auch den Tätigeren mit Gewalt ihren Vorrat weg und verzehren ihn.
05. Mit der Zeit dingen solche Menschen eine Menge Gleichgesinnter, die nicht mehr arbeiten, sondern bloß auf solchen Raub ausgehen. Sie bedrücken die fleißigen Arbeiter auf alle mögliche Art und unter allerlei Vorwänden, die wie ein Recht schimmern, und fordern von ihnen gewisse Steuern, wobei sie die Arbeiter dennoch für viel geringer halten als sich selbst.
06. Mit der Zeit bilden sich dann aus solchen anfangs Arbeitsscheuen mächtige Herren, die die Arbeiter und Brotbereiter beherrschen und mit ihnen tun, was sie wollen. Dafür geben sie ihnen bloß nur Gesetze über Gesetze, die zumeist auf den Vorteil solcher Gesetzgeber abgesehen sind. Darum auch ihre Beachtung unter den schärfsten Strafen im Verweigerungsfalle geboten wird, was das kummervolle Leben eines Brotbereiters noch ums tausendfache erhöht und elender macht.
07. Werden hie und da die Arbeiter zu sehr gedrückt, so erheben sie sich dann nicht selten in großem Zorne, ziehen in großen Scharen gegen ihre Bedrücker und töten sie oft zu großen Haufen, wobei sie aber gewöhnlich auch das eigene Leben einbüßen.
08. Solche zornentbrannten Bewegungen heißen bei uns Kriege. Und so sie anfangen, da nehmen sie dann gewöhnlich nicht eher ein Ende, als bis nicht selten eine Partei die andere entweder ganz aufgerieben hat, oder bis die schwächere während des Mordens zur Einsicht gekommen ist, daß sie der mächtigeren durchaus nicht gewachsen ist und sich auf Gnade oder Ungnade ergibt, wo dann freilich wieder Friede hergestellt wird.
09. Aber was für ein Friede? Ich sage euch: ein Friede der Hölle und kein Friede der Himmel! Denn da wird der Besiegte zum Sklaven und muß sich wegen seiner Ohnmacht nicht selten Gesetze gefallen lassen, durch die nicht nur sein armer, oft mit vielen Wunden überdeckter Leib, sondern auch sein Geist mit schwersten Ketten und Banden geknebelt wird.
10. Ein solcher Zustand dauert dann nicht etwa eine kurze Zeit, sondern nicht selten Tausende von langen Erdenjahren fort. Dabei aber bleibt die Natur der Erde dennoch stets die gleiche: bald Nacht, bald wieder ein elender Leidenstag. Bald ein alles erstarren machender Winter, darauf wieder ein so heißer Sommer, daß er die ehernen Ketten noch glühender und unerträglicher macht als der totstarre Winter.
11. Mangel an Nahrung erzeugt einen Schmerz im Magen, den wir Hunger nennen, der oft bei unfruchtbaren Jahren so groß wird, daß viele daran sterben.
12. O Freunde, vergleichet dies Leben mit dem eurigen und sagt selbst, ob eure Weisheit wohl irgend Worte findet, durch die der ungeheure Vorteil des eurigen genügend bezeichnet werden könnte! Ihr sagt: ,So ein Leben ist ja kein Leben, sondern eine scheußlichste Qual nur! Wie können da Menschen bestehen und wie loben ihren Schöpfer?‘
13. Ich sage euch aber, obschon eure Frage gerecht ist, daß es dort dennoch sehr viele Menschen gibt, die ihren Schöpfer desto mehr lieben und loben, je ärger es ihnen geht! – Was meint ihr denn dazu?
14. Ihr saget: ,Freund, das ist unmöglich! Wie kann ein über alles guter Schöpfer irgendwo Seinen Geschöpfen so Arges geben und verlangen, daß sie Ihn dafür noch loben und lieben sollen? Wahrlich, da haben die armen Bewohner der Erde noch nie ihren rechten Schöpfer erkannt! Oder erkennen sie Ihn, da sind sie Narren, so sie Ihm für so ein Leben danken oder Ihn gar noch lieben dazu!‘
15. Auch diese eure Gegenfrage ist zufolge eures so endlos bevorzugten Lebens gerecht. Aber was sagt ihr dann dazu, daß der Schöpfer den Menschen meines Planeten sogar die schärfsten ewigen Strafen im Feuer der Hölle zur sicheren Folge gesetzt hat, so sie Ihn bei allen Qualen ihres irdischen Lebens nicht über alles lieben, ihre Feinde und Quäler nicht segnen, für die nicht beten, die ihnen fluchen! Und so sie Gott, dem Schöpfer, nicht für alles, was Er ihnen an Wohl oder Wehe gibt, aus all ihren Kräften, die ihnen bei all den Martern noch übrigbleiben, dankbar sind? – Sagt, was dünkt euch da?
16. Wie gefällt euch, daß der Herr auf jenem Planeten gerade diejenigen am schärfsten züchtigt, die Ihm am meisten von ganzer Seele zugetan sind? Und daß sich Seine barsten Verächter oft und fast meistens im besten Wohlstande befinden, d.h. was man auf meiner Welt ,Wohlstand‘ nennt, der freilich mit dem eurigen nicht zu vergleichen ist?
17. O redet, Freunde, gebt mir kund euer Urteil, ihr Glücklichsten! – Ihr seid förmlich stumm! Ich muß euch schon noch mehreres sagen, daß ihr dann desto leichter ein volles Urteil schöpfen könnt. So höret:
18. Ich brauche euch nicht allzeit euren herrlichsten Zustand zu schildern, um dagegen den elendsten meiner Welt recht leuchtend vor eure Augen zu stellen. Ich weiß es, daß ihr den euren ohnehin viel besser kennt als ich. Aber ich will euch dafür den Zustand meiner Welt desto klarer vor Augen stellen und mich etwas weitwendiger fassen. Ihr werdet mit eurer gediegensten Weisheit und euren schärfsten Blicken dann schon von selbst leicht zu beurteilen imstande sein, wie die Bewohner meiner Erde zuständlich sich zu euch verhalten. Da ihr über das, was ich euch bis nun mitteilte, schon nahezu atemlos dastehet, bin ich wahrlich neugierig, was ihr zu dem sagen werdet, was ich euch nun weiter mitteilen werde!
19. Ich habe euch schon ehedem gesagt, daß meine Welt durchaus sehr hart ist: natürlich wie geistig oder moralisch. Nur mittels schwerster, alle Kräfte anstrengender Arbeit kann ihrem Boden Nahrung abgewonnen werden. Bevor man aber mit Erfolg arbeiten kann, muß man sich noch tausend Werkzeuge anfertigen, mit deren Hilfe man dem harten Boden der Erde etwas abgewinnen kann.
20. Nun haben sich mit der höchst veränderlichen Zeitenfolge die Dinge und Verhältnisse auf meiner Welt unter den Menschen so gestaltet, daß da nur der wenigste Teil der Menschen eigenen Grund und Boden besitzt, der bei weitem größte Teil hat nichts und muß dem besitzenden Teile um schlechten Sold und nicht selten um die allermagerste Kost einen puren Sklaven machen.
21. Gar viele dieser Besitzer scharren oft viele tausend Male mehr zusammen, als sie und ihre Kinder in tausend Jahren verzehren könnten.
22. Nun kommt aber der harte, alles erstarrende Winter. Für diesen haben reiche Besitzer gute Häuser und wohlvermachte Gemächer, die sie mittels eines künstlich erzeugten Feuers recht angenehm erwärmen können, und haben in solchen Gemächern warme und weiche Betten zum Ruhen.
23. Aber die übervielen besitzlosen Armen müssen mit schlechter Bekleidung und nicht selten hungrig, krank und elend in den schlechtesten Löchern ihr Leben zubringen. Und wenn es ihnen nicht selten auch schon so schlecht geht, daß sie häufig zu Tausenden verhungern und verzweifeln müssen, so lassen sich darum die reichen Besitzer dennoch kein graues Sorgenhaar wachsen. Sie sehen ganz behaglich zu und sagen: ,Es ist wohl gut, daß solch ein überflüssiges Bettelgesindel verendet und wir von ihm nicht so sehr gequält und belästigt werden!‘
24. Aber ebensolche Not, die diese Reichen am meisten bei den Armen bewirken, benützen sie dann noch mehr zu ihrem Besten: sie wuchern unmenschlich mit den in großen Massen aufgeschichteten Lebensmitteln. Wer ihnen nicht das gibt oder nicht geben kann, was sie verlangen, kann vor ihrer Tür verhungern, und sie werden darum nicht um ein Haar weicher in ihrem Herzen!
25. So himmelschreiend ungerecht aber auch eine solche Sache ist, tut aber der Schöpfer dennoch sozusagen nichts dabei. Die Tage und Nächte wechseln regelmäßig. Der Regen fällt und segnet die Felder der Reichen mehr denn die der Armen, die nicht so viele Mittel haben, ihre magersten Anteile nach Erfordernis zu bestellen. Die Fruchtbäume der Reichen strotzen meistens vom Segen, während die der Armen nicht selten verkümmert, halbverdorrt und fruchtlos dastehen. Die harten Reichen haben alles im Überflusse, während die Armen oft in kaum beschreiblichem Elend zugrunde gehen!
26. Wie gesagt, solch ein himmelschreiendes, höllisches Treiben wird vom Schöpfer mit einer solchen Gleichgültigkeit nicht selten viele Jahre lang geduldet, als wenn das gar nichts wäre. Und wenn Er schon dann und wann – freilich nur vermutlich durch blutige Tränenbitten der Armen erweicht – etwa ein Gericht über die Erde sendet, das aber nur den Schein hat, als käme es von Ihm, so trifft dann solch ein Gericht wieder hauptsächlich nur die Armen und Schwachen. Die Reichen kommen gewöhnlich zumeist mit heiler Haut davon und manche werden während eines solchen Gerichts nur reicher und irdisch glücklicher.
27. Kommt ein Krieg, da müssen für die Reichen zumeist die armen Nichtsbesitzer auf dem Schlachtfeld sich totschlagen lassen, wofür sie nichts als einen kargsten Sold bekommen. Dafür aber wird dann den Reichen ihr Besitz wieder gesichert. Und so die Armen dann vom Schlachtfelde heimkehren – oft ganz verstümmelt, mit einem Fuß, mit einer Hand und mit tausend Wundnarben –, da müssen sie betteln um ein elendes Stück Brot. Kommen sie vor die Tür eines Reichen, werden sie nicht selten wie ein gemeinstes Tier hinweggeschafft, bekommen oft die ruchlosesten Schmähworte und werden davongetrieben!
28. Seht, dennoch dürfen sie nichts Übles wünschen solchen reichen Übeltätern, sondern sollen sie noch segnen und ihren Peinigern von ganzem Herzen vergeben, ansonsten sie noch von Gott aus der ewigen Höllenstrafe verfallen können!
29. Wie es aber mit dem Kriege als einem Gottesgericht aussieht, das da allzeit die ohnehin Elendsten am härtesten trifft, ebenso ist es auch mit allen andern Gerichten der Fall. Die Armen und Elenden trifft jedes am stärksten, während die herz- und gefühllosen Reichen und Glücklichen zumeist mit heiler Haut davonkommen.
30. Dennoch sind es zumeist nur die Armen, die an dem Herrn hängen, an Ihn glauben und zu Ihm beten, so gut sie es können. Die glücklichen Reichen aber haben selten kaum einen halben Glauben, meistens wohl gar keinen. Sie hegen in ihren steinfesten Herzen wohl sehr wenig Liebe zu Gott, beten wenig oder gar nicht und erlauben sich nicht selten, Ihn samt Seinem Gesetze schmählichst zu verhöhnen.
31. Ein Stück Goldes, ein gutes Essen und eine junge geile Dirne, mit der sie die schändlichste Unzucht treiben können, ist ihnen um tausend Male lieber als Gott, der für sie so gut wie keiner ist, und viel tausend Male lieber als jene, die im Schweiße ihres Angesichtes für sie die schwersten Arbeiten verrichten und mit ihrem armen Leben für ihre Sicherheit Wache halten Tag und Nacht und Sommer und Winter.
32. Aber bei ihrer vollen Gottlosigkeit sind sie irdisch glücklich und werden nie durch die Armen, sondern nur durch ihresgleichen manchmal in ihrem Überflusse beeinträchtigt. Aber selbst als Unglückliche befinden sich die Reichen gewöhnlich noch um tausendmal besser als die glücklichsten Armen, die außer Elend nie etwas besessen haben.
33. Freunde, was sagt ihr dazu? Wie gefällt euch dieses Leben eines Menschen auf jenem Sterne, den ihr gemeinhin den ,heiligen‘ nennt?“
01. Hier tritt der Weise Uhron vor und spricht: „Freund, ich sehe, daß du uns Wahres kündest; aber was willst du damit? Willst du diese Völker gegen Gott empören? Wahrlich, hier ist alle meine Weisheit zu Ende und ich kann weder dich, noch weniger Gott fassen! Welche Ordnung soll das sein?
02. Ich kenne die Himmel und kenne auch die Höllen vieler Welten, aber ich sage dir: da ist keine Hölle ärger als deine Erde! Ich bitte dich darum, rede von etwas anderem, sonst empörst du alle Völker gegen Gott, den sie bis jetzt über alles gelobt und geehrt haben.“
03. Spricht Martin: „Freund, es hat jedes Ding und Wesen vom Herrn offen oder heimlich eine bestimmte Aufgabe zu lösen. Nur ist da der Unterschied: Die Dinge müssen sie lösen; wir frei- und selbstwilligen Wesen aber können und wollen sie lösen! Und so mag da aus meiner Rede auch folgen, was da immer wolle; denn ich tue nichts, als was allein der Herr will! So könnt ihr mich immer noch weiter anhören, da ich mit der Sache noch nicht zu Ende bin!“
04. Spricht der Weise: „Du kannst immerhin deine Rede fortsetzen; aber es fragt sich nur, zu wessen Nutz und Frommen? Du verlierst oder gewinnst sicher nichts dadurch, ob wir als reinere Wesen und Bewohner dieser Welt wissen oder nicht wissen, wie es auf deiner Welt zugeht. Und wir gewinnen sicher auch nichts, so wir die Schlechtigkeit deiner Welt näher vorgestellt bekommen, als es unserer Weisheit möglich ist, Blicke in die Wesensverhältnisse deiner Welt zu tun. Wohl aber können wir bei deinen Erzählungen über den schrecklichen Gerichtsstand deiner Welt einen barsten Schaden erleiden – von der Art, daß er sich schwerlich je wieder dürfte vergüten lassen!
05. Daher meine ich also: Wir haben ohnehin von dir schon eine breit gehaltene Darstellung der ärgsten Verhältnisse deiner Welt erhalten und können uns nur zu leicht vorstellen, daß es auf deiner Welt noch viel ärgere Dinge geben müsse, weil alle Bedingungen dazu eben durch deine Erzählungen erläutert sind. So glaube ich wohl, daß es nun völlig unnötig sein dürfte, uns noch länger mit etwas zu quälen, was uns im Grunde des Grundes schon darum um so weniger kümmern kann, weil wir ganz außer Stand gesetzt sind, die bösen Verhältnisse deiner Welt zu ändern! Auch werden wir wirklich nie geneigt sein oder gar wünschen, daß die allerschlechteste Ordnung deiner Welt hier angenommen würde. Und so meine ich, du könntest nun deinen Bruder Petrus an deiner Statt reden lassen; vielleicht kommt er mit etwas Besserem zum Vorschein!
06. Solltest du etwa gar die Absicht haben, Gott, deinen und unsern Schöpfer, vor uns anzuklagen und uns darüber entscheiden lassen, ob Er recht oder unrecht handle, da müßte ich dich in allem Ernste bedauern! Was wohl könnten wir ohnmächtigste Geschöpfe gegen des Schöpfers unbegrenzteste Allmacht ausrichten, so wir auch wirklich einsähen, daß Er mit den Menschen deiner Welt noch so ungerecht verfahren würde? Ist Er ja doch allein der Herr, in dessen Willenshand alle Unendlichkeit liegt!
07. Ich setze den Fall, Er hätte wirklich unter den zahllosen Myriaden Seiner Welten eine gestellt, die da bloß ein Spiel Seiner Launen sein sollte. Sage, wer wohl könnte Ihn darum zur Rechenschaft fordern? Und so du dir das getrauen würdest, meinst du wohl, du könntest dadurch von Ihm eine rechtfertigende Antwort erzwingen? Er ist und bleibt ewig ganz allein der Herr und tut, was Er will! Dem Er gut sein will, dem ist Er gut; den Er aber verwerfen will, den kann Er auch verwerfen, – mag es uns recht oder unrecht dünken.
08. Wer könnte Ihm in den Weg treten und verwehren, so Er nun diese unsere Welt augenblicklich vernichten wollte! Oder so Er sendete Myriaden der schrecklichsten Quälgeister über uns und ließe uns quälen Äonen Zeiten? Was könnten wir Ihm zur Verhütung solchen Gerichtes entgegenstellen!
09. Ich meine: Gott, der Sich nun sichtlich hier unter uns befindet, ist allein ein Herr aller Welten, Himmel und auch Höllen. Seine Allmacht aber bürgt für Seine gleichermaßen unendliche Weisheit! Er wird am besten wissen, warum Er hie und da so manches geschehen läßt, das unsere Weisheit wohl schwerlich je begreifen wird. Daher, fügen wir uns willigst in Seinen Willen und in Seine Ordnung, bin ich überzeugt, wir werden keines schlechten Weges wandeln! – Bist du einverstanden mit mir?“
10. Spricht Martin: „Allerdings! Aber eben weil es des Herrn Wille ist, muß ich noch weiter reden; denn auch in diesem mußt du Seinen Willen respektieren!“
11. Spricht der Weise: „Wenn so, da rede du in Seinem Namen allerdings nur weiter; wir werden dich hören!“
01. Spricht Martin: „Mit all den von mir berührten übelsten Lebensverhältnissen, deren ich freilich nur im geringsten Maße Erwähnung getan habe, will ich aber durchaus nicht gemeint haben, als sei der Herr etwa ungerecht! Oder es sei daher auf der Erde dadurch nahezu unmöglich, ein Gott dem Herrn wohlgefälliges Leben zu führen! Ich will euch dadurch auflockern in eurem Gemüte. Um das desto sicherer bewirken zu können, muß ich euch die unendlichen Vorteile eurer Lebensverhältnisse zeigen. Denn ihr, in sie hineingeboren, könnt dieselben gar nicht beurteilen ohne Hinzustellung der Lebensverhältnisse anderer Welten, namentlich der meinen – die ich gottlob besser kenne, weil ich von dorther bin und selbst mit ihren Lebensverhältnissen sehr viel zu schaffen gehabt habe.
02. Ich will dadurch weder vor euch und eurer Weisheit den Herrn anklagen – was von mir ewig fern bleibe –, noch will ich euch gegen den Herrn empören – was doch wohl die größte Tollheit wäre! Aber da auch ihr für die Folge zur Kindschaft Gottes berufen seid und durch eure Weisheit zur Kenntnis gelangt seid, daß nur auf meiner Welt die eigentlichen, wahren Gotteskinder gezeugt werden – ist es für euch nun um so notwendiger zu erfahren, unter welchen Bedingungen ein Mensch, ein Geschöpf, zu dieser unschätzbarsten, erhabensten Würde gelangen kann!
03. Euer Leben aber war bisher eigentlich nur eine barste Spielerei der Engel Gottes, deren Eigentum ihr bisher wart. Es taugt durchaus nicht, um dadurch zur Gotteskindschaft zu gelangen. Denn Gotteskindschaft ist ein heiligster Ernst und keine Spielerei, daher muß sie auch im vollsten und oft bittersten Lebensernste erstrebt werden!
04. Darum aber werdet auch ihr Gesetze erhalten, wie wir sie haben. Und es wird auch bei euch heißen: ,Ein jeder von euch nehme sein Elend auf seine Schultern und folge Mir, dem Herrn, nach, ansonst es wohl nicht möglich ist, dahin zu gelangen, wo Ich (spricht der Herr) bin und lebe und handle in der Mitte Meiner Kinder, die da sind und bleiben für Ewigkeiten Mein rechter Arm und tun, was Ich tue, und leben, wie Ich lebe!‘
05. Der Herr Selbst ist darum auf meiner Erde ein Mensch geworden, trug alle erdenklichsten Mühseligkeiten dieses irdischen Menschlebens, ließ Sich am Ende von der großen Blindheit der Menschen meiner Welt sogar auf die schmählichste und schmerzlichste Weise an einem Kreuzbalken dem Leibe nach töten, auf daß dann die Menschen dieser meiner Welt Götter werden könnten, – so sie es natürlich selbst wollen.
06. Aber darum, daß jemand auf jener Welt geboren ist, wo der Herr Selbst Sich ins Fleisch gehüllt hatte, wird wohl niemand zur Kindschaft Gottes gelangen. Erst wenn er alle jene Bedingungen erfüllt an sich ganz frei, welche der Herr Selbst zu diesem Behufe vorgeschrieben hat!
07. Ihr alle habt von mir vernommen, wie gar elend es auf meiner Erde zugeht. So zwar, daß man meinen sollte, dem Herrn liege gerade an jener Welt, die Er Selbst zur wichtigsten und heiligsten im ganzen Universum durch Seine Menschwerdung gemacht hat, nun gar nichts, und Er kümmere Sich um sie nicht im geringsten. Aber dem ist nicht so!
08. Die Menschen jener Erde nur sind im vollsten Sinne frei und können tun, was sie wollen: Gutes nach dem Gebote Gottes oder Schlechtes wider dasselbe. Sie werden weder zum Guten noch zum Schlechten durch nichts gezogen als lediglich durch ihren vollkommen freien Willen. Aus diesem Grunde ist jene Welt auch in allen ihren Lebensverhältnissen so mager gestellt, damit durch sie kein freier Wille irgendeine Beirrung erleiden und schlecht werden solle.
09. Im Gegenteile aber ist auch das Himmlische dergestalt verdeckt, daß ob der bestimmten Anschauung künftiger Seligkeiten ebenfalls kein freier Wille zum Guten genötigt werden solle. Obschon aber jeder die Folgen seines guten oder schlechten Lebens aus der gegebenen Gotteslehre weiß, so kann er dennoch handeln, wie er will, weil er weder auf der einen noch auf der andern Seite irgendeine nötigende Gewißheit hat.
10. Alles aber ist auf der Erde darum so eingerichtet, auf daß der Wille der Menschen vollkommen ein freiester bleiben soll. Denn ohne ihn ist es unmöglich, die freieste, ewig ungerichtete Kindschaft Gottes zu erlangen.
11. Daß nun die Menschen dieser meiner Erde zumeist in Abirrungen gelangen – der eine so, der andere anders –, wird nun sicher begreiflich sein. Aber daß demnach auch ihr in ganz andere Lebensverhältnisse werdet versetzt werden – so es euch ernst ist um die Erreichung der Gotteskindschaft –, das ist etwas ganz anderes! Wie aber, das wird euch mein Nachfolger verkünden; vernehmet ihn daher!“
12. Spricht der Weise: „Es sei dir gedankt von mir und allen denen, die hier und draußen versammelt sind, für deine Rede und Lehre, die du uns nun hast zukommen lassen durch die Gnade deines und unseres Gottes und Herrn. Von dieser Lehre war mir besonders der letzte Teil um so schätzbarer, als ich dadurch ziemlich hell einsehen gelernt habe, aus welchem Grunde auf deiner Welt die Menschen, gegen uns betrachtet, gar so mißlich gestellt sind. Ich habe aber auch daraus abermals die Bestätigung meines aufgestellten Grundsatzes wahrgenommen, demzufolge kein intelligentes Wesen an dem Schöpfer und Seiner Güte verzweifeln soll.
13. Denn Seine unendliche Allmacht, deren Werke zahllos und von wunderbarster Art und Ordnung sind, ist uns eine unumstößlichste Bürgschaft für Seine ebenso unendliche Weisheit. Solche Weisheit aber kann nur ein Ausfluß der gleich großen Ordnung im ewigen, vollkommensten Leben des Schöpfers Selbst sein!
14. Wo aber das Leben auf allerhöchster, reinster und zugleich tiefster Ordnung beruht, muß in solch einem vollkommensten Leben auch eine Güte zu Hause sein, von der sich ein geschaffener, wenn noch so freier Geist ewig keine völlig klare Vorstellung zu machen imstande ist!
15. Ich danke dir, lieber Freund, daher noch einmal für mich wie für alle hier anwesenden Völker und freue mich sehr auf die Rede, die nun dein Bruder Petrus uns allen vortragen wird! Der Herr leite seinen Mund und seine Zunge!“
01. Nach dieser Rede wird von außen her ein Zeichen gegeben, daß das Gewässer des großen Meeres nur eine Mannshöhe von jenen entfernt sei, die am tiefsten ihren Stand genommen haben, und daß es im nächsten Augenblicke ihre Füße bespülen werde. Es solle ihnen der allmächtige Geist helfen, sonst seien sie genötigt, sogleich die schnellste Flucht zu ergreifen.
02. Spricht darauf Petrus: „Freund und Bruder, sage den Völkern, sie sollen nicht verzagen. Denn der Herr läßt diese Gefahr geflissentlich entstehen, auf daß sie alle einen desto helleren Beweis von der großen Herrlichkeit Gottes überkommen sollen!
03. Wohl wird das Wasser ihre Füße berühren, aber sie dennoch nicht benetzen. Ebenso wird auch der unterirdische Auftrieb bis zu seiner höchsten Ausdehnung kommen und zerbersten und wird große Massen voll Feuers ausspeien. Aber diese Massen werden in ihrer Gesamtheit noch viel eher zerstört und gänzlich zunichte gemacht werden, als sie den Boden berühren bei ihrem Rückfall, und die aufgetriebene Rinde wird zurücktreten im Augenblick, wo sie zerbersten wird!
04. Daher soll niemand eine Furcht haben, sondern sich bei aller scheinbar drohenden Gefahr so verhalten, als ob gar nichts da wäre, das da zu befürchten wäre, so wird auch niemandem ein Haar gekrümmt werden! Dieses tue sogleich allen kund!“
05. Der Weise läßt diese Belehrung durch die schon bekannten Zeichen hinaus kundmachen. In wenigen Augenblicken kommen von allen Seiten Gegenzeichen, daß die Belehrung richtig verstanden und allseitig dankbar und bereitwillig angenommen wurde zur genauesten und mutigsten Darnachhandlung.
06. Als der Weise solches dem Petrus wieder kündet, spricht dieser:
07. (Petrus:) „So deute ihnen, daß sie nun sehr aufmerken sollen, da ich hohe Worte an sie richten werde!“
08. Der Weise tut das sogleich und alles ist in der gespanntesten Erwartung.
09. Spricht Petrus: „Meine Freunde, meine Brüder! Mein Vorgänger hat euch die Lebensverhältnisse gezeigt, unter welchen die Menschen auf jener Welt leben. Auch ich habe dort in derselben Zeit gelebt, in welcher der Herr Sich mit Fleisch bekleidete und alle erdenklichen Beschwerden von Seiner leiblichen Kindheit an ertrug gleich einem jeden andern irdisch armseligst gestellten Menschen.
10. Aus diesen treu geschilderten Lebensverhältnissen habt ihr leicht beurteilen können, wie ganz anders ihr in jeder Lebenshinsicht auf eurer großen Lichtwelt gestellt seid. Daneben aber freilich auch, was dazu erforderlich ist, um aus dem puren Geschöpfe ein allerfreiestes Gotteskind zu werden.
11. Es stellt sich daher nun zuallererst die Frage: ,Wollt ihr – und zwar mit Beibehaltung aller eurer Lebensvorteile, insoweit sie euch nicht durch ein Gesetz dahin geschmälert werden, daß ihr wegen des Gottesreiches denselben frei entsaget – Kinder Gottes gleich uns werden oder nicht?‘ Bedenket aber wohl, was ihr tun wollet; nach reifer Überlegung sagt mir dann erst Ja oder Nein!
12. Bedenket den Vorteil, ein Kind Gottes zu sein oder wenigstens werden zu können. Bedenkt, was dazu gehört, diesen Vorteil zu erreichen; bedenket aber auch eure bisherigen Vorteile und euren gegenwärtigen Lebensstand, von dem ihr selbst sagen müßt: ,Wie doch gar so verändert ist er von jenem!‘
13. Freilich wohl wird niemand etwas verlassen, das ihm im Gottesreiche nicht tausendfach ersetzt werden würde für ewig. Aber dieser Ersatz wird nicht gar zu klar seiner Weisheit vorgehalten werden, sondern bloß nur so weit, als die Kraft seines Glaubens zu reichen imstande sein wird.
14. Jetzt habt ihr alles klarst vor euch: das Geistige wie das Naturmäßige liegt vor euch offen! Solches aber wird nicht der Fall sein bei jenen, denen es ernst ist, Gottes Kinder zu werden. Daher überdenket wohl, was ihr nun in dieser Hinsicht tun wollet! Großes wird euch geboten, aber auch nichts Geringes von euch verlangt!“
15. Spricht der Weise: „Freund, du weißt, daß unsere Intelligenz von der Art ist, daß wir über einen Satz nicht gar lange zu überlegen brauchen, um klar zu werden darüber, was wir wollen oder sollen. Und so glaube ich auch hierüber völlig im klaren zu sein im Namen aller hier anwesenden Völker, was wir tun wollen und natürlich auch tun können.
16. Denn das Können ist eine Hauptbedingung beim Tun oder Handeln, da doch sicher Gott Selbst von keinem Geschöpfe mehr verlangen kann, als dieses seinen ihm innewohnenden Eigenschaften und Kräften zufolge leisten kann. So bin ich auch hier der mich selbst klar überzeugenden Meinung, daß der Herr von uns unmöglich mehr zu leisten verlangen wird als wir zufolge unserer natürlichen und geistigen Stellung auf dieser Erde zu leisten imstande sind!
17. Dieses Motto ist kurz und klar genug, um daraus zu ersehen, daß wir nur das wollen, was wir können. Gotteskindschaft hin oder her, hoch oder nieder, das ist gleich! Wir wollen sie, so ihre Erreichung nicht über unsere Kräfte geht. Kostet sie aber mehr als den Aufwand aller unserer Kräfte, dann können wir sie auch nicht wollen, weil sie in diesem Falle für uns unerreichbar ist!
18. Kurz – ist sie für uns unter unseren gegenwärtigen Lebensverhältnissen erreichbar, dann wollen wir sie. Ist das nicht der Fall und nicht möglich, dann, Freund, mußt du selbst einsehen, daß wir sie unmöglich wollen können! Nun weißt du unseren Entschluß. Tue daher, was du willst; denn ich meine, daß auch unser Wille frei ist und bleiben muß!“
01. Spricht Petrus: „Lieber Freund, du hast im Grunde des Grundes meinen Vortrag nicht verstanden! Siehe, die Frage lautete ja: ,Wollt ihr – und zwar mit Beibehaltung aller eurer Lebensvorteile, insoweit sie euch nicht durch Gesetze dahin geschmälert werden, daß ihr des Reiches Gottes wegen frei denselben (es versteht sich von selbst: nur jenen Lebensvorteilen, die zum Leben nicht unumgänglich nötig sind) entsaget – Gottes Kinder gleich uns werden oder nicht?‘ – So ich von der Beibehaltung rede, da glaube ich doch, daß du die Sache so erfassen wirst, wie ich sie dir vorgetragen habe!
02. Glaube mir, Freund, daß wir im Gottesreiche auch so weise sind, um einzusehen, daß sich eine Sonne nicht zu einem gemeinen Planeten umgestalten läßt, so man eine einmal festgestellte Ordnung des ganzen Universums nicht stören will! Und daß Sonnenmenschen von ganz anderer Natur und Beschaffenheit sind als die Menschen eines kleinen Planeten! Das alles wissen wir sicher ebensogut wie du, Freund!
03. Aber ihr habt gewisse von euch selbst gemachte Gesetze, die eigentlich gar keine Gesetze sind, weil sie nichts gebieten als eine ungebundenste Willkür im Handel und Wandel! Diesen Gesetzen zufolge könnet ihr auch eure alten, weisen Urgesetze verwerfen und die allernichtigsten neuen an ihre Stelle setzen. Frage: Rechnet ihr solch eine Willkür auch unter die eigentlichen Vorteile eures Lebens?
04. Euch haben Engel aus den Himmeln eine Ehe, d.h. einen rechtlichen Verband eines Mannes mit einem ordentlichen Weibe angeordnet. Sie haben euch auch gezeigt die rechte geistige Zeugung der Kinder, nach der ihr wohl noch bis jetzt eure Zeugungen bewerkstelligt habt. Wie kommt es aber, daß nun die Väter ihre eigenen Töchter tierisch beschlafen, wo sie doch ein Gebot haben, daß kein Vater bei Strafe mit seiner Tochter nicht einmal eine geistige Zeugung vornehmen darf?
05. Sage, rechnest du auch solches zu den unerläßlichen Vorteilen eures Sonnenlebens? Rede, was darüber deine Meinung ist!“
06. Spricht der Weise: „O Freund, solches gehört nicht zu den Vorteilen unseres Lebens, da es uns allen wohl die größten Nachteile fürs natürliche wie fürs geistige Leben gebracht hat! Daher versteht es sich von selbst, daß wir solche wahren Nachteile für unser Leben gar überaus wohl können fahren lassen. Unter dem aber, was ich so eigentlich ,Vorteile unseres Lebens‘ nannte, verstehe ich nur jene Ureigentümlichkeit unseres wesenhaft-natürlichen Lebens, durch die wir zum größten Teile Herren über die Natur und Wesenheit unserer Welt sind!
07. Ein solcher Vorteil unseres Lebens ist, daß wir dem Boden dieser Erde alles entlocken können, was wir nur wollen, als Herrlichkeiten ohne Zahl und Maß – und auch alle erdenklichen Notwendigkeiten zur Verpflegung unseres Leibes.
08. Ich meine, die Bitte um Belassung solcher Lebensvorteile wird vor den Augen des Herrn doch keine Sünde sein und kein Grund, uns darob die Aufnahme in Seine Kindschaft zu verweigern?
09. Sollte aber solch eine Bitte vor dem Herrn eine Sünde sein, dann freilich müßten wir wohl darauf bestehen, daß uns gewährt werden möchte, lieber so zu verbleiben, wie wir nun sind, als daß wir dieses ersichtlich Sichere mit etwas höchst Unsicherem und schwerst zu Erreichendem vertauschen sollen!
10. Siehe, Freund, das meine ich! Ist dir das recht da sagen wir alle zu deinem Antrage ja; ist dir aber das nicht recht, da sagen wir alle nein. Denn etwas Unmögliches kann der Herr Selbst von uns nicht verlangen, – außer Er gestaltet uns ganz und gar um und versieht unser Leben mit ganz andern uns bis jetzt völlig unbekannten Eigenschaften und Fähigkeiten. Gegen die Allmacht des Herrn kann kein Wesen protestieren, also auch wir nicht!“
01. Spricht Petrus: „Des Herrn Allmacht ist Seine ewige Ordnung, aus der ihr wie die ganze Unendlichkeit hervorgegangen seid. Wollte euch der Herr nun ganz eigens umgestalten, müßte Er zuvor auch Seine ganze Ordnung umgestalten, was Er wohl ewig nie tun wird, da Er eben diese Ordnung Selbst ist!
02. Aber euer bisheriges Leben ist ein außerordentlich bequemes und sorglosestes zu nennen! Es kostet euch nirgends einen Kampf, nirgends eine Mühe und Anstrengung. Von der Geburt an bis zu eurem freiwilligen Austritt aus eurem Leibesleben wißt ihr von keiner namhaften Unvollkommenheit etwas, daher auch von keiner Selbstverleugnung.
03. Ihr wißt es wohl, daß ihr samt eurer Welt Werke eines allweisesten Gottgeistes seid, den ihr darum auch allerhöchst verehret. Aber wann habt ihr Ihn noch um etwas besonders gebeten und wann Ihm gedankt für eine der großen Lebenswohltaten, die Er euch doch allzeit im höchsten Übermaße hat zukommen lassen?!
04. Seht, bis nun lebtet ihr wie völlig unabhängig von Ihm. Wäre es etwa zu viel von euch verlangt, so ihr in der Folge euch bequemen würdet, von Ihm doch etwas mehr abhängen zu wollen, als es bis jetzt der Fall war? Rede nun wieder und zeige mir getreu deinen Entschluß!“
05. Spricht der Weise: „Freund, das wollen wir allerdings! Besonders was unsere schuldigste Dankbarkeit betrifft, wollen wir wohl alles Erdenkliche aufbieten, um diese für so viele und große Wohltaten gebührend auszudrücken und dem heilig-großen Geber so zahllos bester Gaben vom Grunde unseres Lebens zu bezeugen. Aber was da betrifft das Bitten, so muß ich dir gestehen, daß ich damit durchaus nicht einverstanden sein kann, da ich jede Bitte als eine Beleidigung der göttlichen Weisheit ansehen muß.
06. Denn durch eine Bitte an die Gottheit bekenne ich ja doch offenbar, daß ich einsichtsvoller bin als Gott und daher gewisserart besser einsehen will als der Herr Selbst, was mir not tut. Ich meine, so etwas sollte sich selbst ein Kind Gottes nicht anzumaßen getrauen, geschweige erst ein anderes Geschöpf!
07. Ferner erscheint mir jede Bitte auch wie ein höflicher Kampf, durch den das Geschöpf eine gewisse Härte und gleichsam eigensinnige Unbarmherzigkeit im Schöpfer besiegen und damit über Ihn triumphieren möchte!
08. Wahrlich, Freund, ehe ich mir getrauen möchte, dem allweisesten, allgütigsten und allmächtigsten Schöpfer mit einer Bitte zu kommen, durch die ich Ihm doch offenbar dartäte, daß ich meine Bedürfnisse besser kenne als Er, – und ehe ich bitten möchte für andere und Ihm dadurch zeigete, daß ich offenbar besser und barmherziger bin als Er, da wollte ich lieber nicht sein! O Freund, welche Achtung vor Gott, dem urweisesten und allmächtigsten Geiste, wäre wohl das!
09. Daher ist meine Antwort auf deinen Antrag folgende: Wir wollen für ewig wie bis jetzt in allem ganz von Ihm abhängen, weil es unmöglich ist, von jemand anderem abzuhängen! Ebenso wollen und werden wir Ihm auch ewig aus tiefstem Lebensgrunde für alles danken, da wir eine jede Gabe von Ihm für endlos gut ansehen und sie als solche auch allertiefst anerkennen. Bitten aber werden, wollen und können wir den Herrn um nichts, da wir nur zu klar einsehen, daß der Herr endlos besser weiß, was uns allen not tut, und nicht nötig hat, von uns erst darauf aufmerksam gemacht zu werden durch eine nichtssagende Bitte von elenden und kaum halb lebenden Geschöpfen gegen Ihn! So sei es von uns auch ewig ferne, Ihm durch eine Bitte zu sagen, daß Er ein harter Gott ist und solche Schwäche hat, die erst durch Bitten von Seite der Geschöpfe in die wahre Ordnung gebracht werden kann!
10. Freund, wir alle achten Gott, den allerhöchsten Geist, zu endlos hoch und haben eine zu heilig-erhabenste Vorstellung von Seinen vollkommensten Eigenschaften, als daß wir uns je so tief vergessen könnten, dem mit einer Bitte kommen zu wollen, der uns doch ohne unsere Bitte so vollkommen als für uns notwendig erschaffen hat!
11. Danken, ja ewig danken werden und wollen wir Ihm für alle die vielen Wohltaten und Gaben, deren die kleinste so groß und heilig ist, daß wir sie wohl kaum in aller Fülle je zu würdigen imstande sind. Aber – wie nun schon gründlich gezeigt – mit einer Bitte wollen und werden wir uns wohl an Ihm, dem allerheiligst Vollkommenen, nie versündigen!
12. Tue du nun, was du willst. Aber es wird dir mit all deiner Weisheit schwerlich gelingen, uns dahin zu stimmen, daß wir uns auch an das Bitten machen sollen! Es müßte nur sein, der Herr Selbst verlangte es ausdrücklich von uns. Natürlich – gegen den Willen Gottes kann kein Geschöpf sich stemmen. Aber bei unserer Freiheit bleiben wir auch frei und werden tun, was wir als recht vor Gott und den Menschen und Engeln erkennen!“
01. Spricht Petrus: „Freund, als der Herr als allmächtiger Schöpfer Himmels und aller Welten auf meiner Erde das Fleisch angenommen hatte und hat unter uns Menschen gelebt und gewandelt wie ein Mensch, da lehrte Er uns alle vollkräftig so beten, indem Er sprach:
02. So ihr aber betet, da sprechet: ,Unser Vater, der Du in den Himmeln wohnst, Dein heiligster Name werde geheiligt! Dein Reich der Liebe, der Wahrheit und des ewigen Lebens komme zu uns! Dein allein heiliger Wille geschehe alle Zeiten und alle Ewigkeiten hindurch! Gib uns heute wie allzeit das tägliche Brot! Unsere Sünden und Gebrechen vergib uns nach dem Maße, als wir vergeben unseren wie immer gearteten Schuldnern! Laß nicht Versuchungen über unsere Schwächen kommen, denen wir unterliegen müßten; sondern erlöse uns von allem Übel, das uns nur immer begegnen könnte! Dein, o Vater, ist alle Kraft, Macht und Herrlichkeit ewig! Dir allein sei aller Preis, alle Ehre, aller Ruhm, alle Liebe, alles Lob und aller Dank ewig!‘ –
03. Da uns aber der Herr Selbst also beten und bitten gelehrt hat, so glaube ich denn doch, daß es nicht unrecht sein dürfte, so wir als Kinder Ihn zuvor um all das bitten möchten, was wir für uns als notwendig erkennen!
04. Denn ich meine: Schon der schuldige Dank, den wir für die zahllosen Wohltaten dem Schöpfer darbringen, ist ein heilig großes Privilegium für uns freie Wesen. Wir anerkennen dadurch Gott gegenüber das, was wir haben und empfangen, als freie und nicht als gerichtete Gabe. Aber die Bitte steht dennoch viel höher, da uns eben durch die Bitte nicht nur die Erkenntnis zukommt, daß wir eine Gottesgabe als eine freie anerkennen dürfen, sondern auch sogar die freie Wahl der Gabe!
05. Zur vollkommenen Freistellung des Geistes gehört nicht nur die freie Erkenntnis dessen, was der Herr als für uns Lebensnotwendiges frei gibt, sondern hauptsächlich die freie Wahl dessen, was uns nottut. Dazu aber gehört doch offenbar mehr Selbsterforschung und freie Selbsterkenntnis als nur zur Wahrnehmung, daß alles, was wir sind, haben und empfangen, freie Gaben aus Gott dem Herrn sind.
06. Wer für eine empfangene Gabe dankt, fühlt aber dabei kein Bedürfnis nach einer für die Folge weiter nötigen Gabe, ist in seiner Lebenssphäre noch sehr stumpfsinnig und hat noch viel Tierisches in sich. Denn auch Tiere danken durch ihren frohen Genuß instinktmäßig dem Geber, wenn sie Ihn auch nicht zu erkennen imstande sind. Begehren aber kann kein Tier etwas, weil es seine Bedürfnisse nicht erkennen kann! Wenn es hungrig ist, da sucht es Speise. Hat es diese gefunden und sich gesättigt, dann ruhet es so lange, bis es wieder hungrig wird. Diese Ruhe ist ein stumpfer Dank für die Speise, die es zur Sättigung gefunden hat; aber wenn das stumpfe Tier satt ruht, hat es keine weitere Erkenntnis, daß es künftig wieder hungrig werden könnte und einer Nahrung bedürfte.
07. Nicht so ist es bei dem Menschen, denn dieser weiß, was ihm not tut. Hat der Mensch sich gesättigt, so weiß er, daß er wieder wird essen müssen, um sich zu sättigen. Er kennt aber auch den Geber. Daher soll er nicht nur danken, wenn er sich gesättigt hat, sondern soll vielmehr noch mit dem Danke die Bitte vereinen. Durch sie legt er dem Schöpfer um so mehr an den Tag, und bezeugt, daß er alles nur von Ihm bekommt und auch für die Zukunft das Gute und Notwendige von Ihm erwartet.
08. Zugleich aber stellt der Mensch sich seinem Meister eben durch die Bitte auch so dar, wie ihn eben der Meister haben will: als ein völlig freies Wesen, dem nicht nur das Recht des Empfangens, sondern auch das demütig freie Recht des Begehrens zusteht. Dieses Recht aber setzt doch sicher bei jedem Menschen eine mächtige Selbsterkenntnis voraus, ohne die kein Mensch ein vollkommener Mensch werden kann!
09. Ich meine, diese Gründe dürften für eure Weisheit wohl hinreichend sein, um einzusehen, daß die Bitte für jeden freien Geist um vieles nötiger ist als der beste und allerschuldigste Dank!
10. Und sollten dir, mein Freund Uhron, alle meine sicher triftigsten Gründe noch immer nicht genügen, so genüge dir, daß der Herr Selbst uns gar oft aufgefordert hat, daß wir bitten sollen, so wir etwas empfangen wollen, aber nur überaus selten jemanden an eine Danksagung erinnerte!
11. So gab Er uns denn auch eine heilige Form, nach der wir beten und bitten sollen. Aber von einer Form, wie wir danken sollen, weiß ich dir kaum etwas zu sagen!
12. Wohl dankte der Herr Selbst der Gottheit, die als Vater in Ihm war, zu öfteren Malen und verwies es auch ein einzigesmal den neun Gereinigten, die nicht wieder mit dem Zehnten gekommen sind, Ihm die Ehre zu geben. Dessenungeachtet gab Er uns dennoch nie eine Form, wie wir danken sollen, – was Er in bezug auf die Bitte doch ausdrücklich getan hat.
13. Hat aber der Herr von uns unvollkommeneren Bewohnern der Erde die Bitte ausdrücklich verlangt, so bin ich wohl der Meinung, daß Er sie bei euch nicht als überflüssig betrachten wird!
14. Daher geht schließlich mein Auftrag vom Herrn an euch alle dahin, daß ihr in der Folge zwar alles, was ihr nun habt, vom Herrn haben sollt, aber nur auf dem Wege der Bitte! Wer von euch aber nicht bitten wird, der wird auch nichts oder nicht viel erhalten.
15. Denn seid ihr frei, so müßt ihr auch selbst erkennen, was euch nottut. Habt ihr euch dahin erkannt – was bei euch um vieles leichter sein wird, als es bei uns war –, dann bittet; und es wird euch gegeben werden, um das ihr werdet gebeten haben.
16. Ist euch das recht, so bejahet es, und mein Bruder Johannes wird euch weiterführen. Euer freier Wille hat hier zu wählen und zu bestimmen!“
01. Spricht der Weise: „Ja, Freund, es ist uns alles recht, was der Herr will. Denn man kann sich ja doch dem allmächtigen Willen des Herrn nicht widersetzen, ob Er von uns Leichtes oder Schweres verlangt! Denn tun wir's nicht frei zu unserem einstigen Besten, müßten wir es dennoch tun durch ein Gericht zu unserm Verderben! Also tun wir es endlos lieber frei und wollen dadurch für unser künftiges Leben lieber etwas gewinnen als verlieren.
02. Ich sehe wohl aus alledem, was du und dein Vorgänger uns gesagt hast, daß wir hier die bisher freie, schöpferische Willenskraft, mittels der wir bis jetzt unsere Gärten bestellten und unsere Häuser und Wohnungen meist herstellten, ganz in die Hände des Herrn werden zurücklegen müssen. Aber das macht gerade darum nichts, weil wir auf dem Wege der Bitte diese Fähigkeit doch ungeschmälert wieder haben können!
03. Freilich wissen wir auf dem Wege unserer inneren Wahrnehmungen und durch allerlei Geister aus deiner Erde, daß der Herr es mit Seinen Verheißungen eben nie gar zu buchstäblich genau nimmt. Dem Er Reichtum verheißt, dem gibt Er Armut. Dem Er bei Gesundheit ein langes Leben zusagt, der kann sich alsbald auf Leiden und auf ein baldiges Ende seines irdischen Lebens gefaßt machen. Dem Er des Lebens Freiheit geben will, der wird in Kürze ein irdisch Gefangener; die Er lieb hat, die läßt Er versuchen und gewaltig züchtigen. Die getreuest an Ihm und Seinem Worte hängen, die läßt Er Not und allerlei Verfolgungen erleiden. Und die Ihn über alles lieben, die läßt Er kreuzigen – und dergleichen mehr!
04. Aber – wie gesagt – das macht alles nichts; denn Er allein ist der allmächtige Herr Seiner Werke und kann mit ihnen tun, was Er will. Niemand kann Ihn fragen und sagen: ,Herr, warum tust Du dies oder jenes, das uns unbillig vorkommt?‘, denn Er ist der Herr ganz allein, und das genüge jedem!
05. Der Herr verhieß – wie wir wissen – Seinen Königen auf der Erde eine ewige Herrschaft, und sie starben wie ein jeder andere Mensch. So verhieß Er einem gewissen Volke ein ewiges Land und Reich, und wie wir erfuhren, hat dieses erwählte Volk nun kein Reich und kein Land mehr! So wissen wir auch, daß Er Weise erwählte, die dem Volke Seinen Willen, was Er tun werde, offenbaren mußten. Als es aber dann an der Zeit war, daß solche Offenbarung hätte sollen erfüllt werden, da standen die Weisen wie barste Maulreißer da: denn der Herr ließ nicht geschehen, was Er durch die Weisen verkünden ließ! Und dergleichen mehreres!
06. Du siehst, daß man sich auf des Herrn Verheißungen ganz buchstäblich nicht verlassen kann. So wird es auch mit der Gewährung der verschiedenen Bitten der gleiche Fall sein; denn wer könnte Ihn dazu wohl je nötigen?
07. Aber dennoch wollen wir deinen Antrag annehmen, da wir nur zu gut wissen, daß eine Weigerung von unserer Seite wohl die größte Torheit wäre. Darum geschehe, was da der allmächtige Herr will!“
01. Spricht Johannes: „Freunde, und du, Bruder Uhron, insbesondere, der du das Wort führst! Irdisch genommen magst du wohl recht haben. Aber da des Herrn Worte und Verheißungen doch sicher allergeistigst sind und ihre wahre Geltung nur den Geist und nicht das vergängliche Fleisch berührt, so gehört auch ein rechtes geistiges Verständnis jeder göttlichen Verheißung dazu, um sagen zu können, ob der Herr in Seinen Verheißungen getreu ist oder nicht!
02. Was der Herr verheißt, das erfüllt Er auch getreu, aber nur für den Geist und nicht für den notwendig sterblichen Leib! Ich werde euch nun in Seinem Namen eine Verheißung machen. Sage mir dann auch, ob und wie du sie verstanden hast! Also aber laute sie:
03. ,Ein neues Haus wird der Herr erbauen, und eine neue Stadt wird aus den Himmeln lebendig niedersteigen. Und das Haus wird sein wie die Stadt aus vielen Häusern.
04. Die aber bewohnen werden das neue Haus und zugleich bewohnen die neue Stadt und die vielen Häuser der Stadt, die werden größer sein denn das neue Haus und die Stadt und die vielen Häuser der Stadt.
05. So sie beziehen werden das neue Haus des Herrn, da wird es sich beugen vor ihnen, und es werden sich beugen die Stadt und in ihr die vielen Häuser.
06. Das Haus aber wird klein sein von außen, aber dafür übergroß von innen zur Aufnahme von zahllosen Bewohnern, und es wird also auch sein die Stadt und werden sein alle die vielen Häuser in ihr!
07. Wohl denen, die dieses Haus beziehen werden und die Stadt und die vielen Häuser in ihr! Denn das Haus und die Stadt und in ihr die vielen Häuser werden ihnen anziehen das Kleid der Kindschaft des Herrn!
08. Da werden sie sein stets mächtig aus dem Hause, aus der Stadt und aus den vielen Häusern der Stadt! Aber wer da nicht bewohnen wird das Haus, die Stadt und die vielen Häuser der Stadt, der wird schwach sein, und diese Schwäche wird zunehmen und wird sie töten!‘
09. Nun, Freund Uhron, da hast du die Verheißung des Herrn, die an euch höchst getreu wird erfüllt werden. Darum aber sage mir nun, ob und wie du diese rein göttliche und wahrste Verheißung begriffen hast!
10. Aber das sage ich dir zum voraus, daß du auch da sehr vergeblich auf eine äußere, also buchstäbliche Erfüllung harren wirst. Gerade wie einst auf meiner Erde ein Prophet Jonas vergeblich auf den vom Herrn vorhergesagten Untergang der großen Stadt Ninive geharrt hat. Also rede nun, was dir von dieser Verheißung dünkt!“
11. Spricht nach einigem Nachdenken der Weise: „Freund, von dieser rein göttlich bestimmten Verheißung kann ich dir aus vernünftigsten Gründen nichts anderes sagen als: sie ist eine reine kopf- und herzlose Faselei. Daher kann sie vor dem Richterstuhle unserer hellsten Weisheit auch keine Aufnahme finden!
12. Ich sage dir gerade heraus: Wer mir, wie diesem ganzen Volke irgendeine Verheißung geben will oder ein Gebot, der gebe es mit Worten so, wie der reine, klare Wortsinn es gibt. Aber eine solche Verheißung, die in allen ihren Teilen ein natur- und ordnungswidrigster Unsinn ist, mag von diesen Gefilden stets ferne verbleiben!
13. Denn so wir schon unsere gegenwärtigen Lebensvorteile aufzugeben genötigt sind, um dadurch die Gotteskindschaft zu erlangen, die wir bisher noch nie eigentlich gesucht und festweg gewünscht haben, so wollen wir aber auch dafür die Verheißungen wie die Bedingungen klar ausgedrückt haben. Nicht mit Worten, durch die man Weiß verheißt und dann Schwarz geben kann, sondern mit solchen Worten, die das ganz natürlich klar ausdrücken, was man zu gewärtigen hat!
14. Ich meine, mein Verlangen ist doch sicher billig; daher rede du meinem Verlangen gemäß, so werden wir leicht eins werden! Aber mit einem neuen Hause, vom Herrn erbaut, das da kleiner als seine Bewohner sein soll, und dessen Inneres größer sei als dessen Äußeres, und desgleichen die Stadt mit ihren vielen Häusern, komme mir nicht wieder. Denn vor solchen Widersprüchen müßte bald ein jeder unserer Zuhörer den barsten Ekel bekommen!
15. Ist der Herr schon der höchste und reinste Geist, so hat Er dennoch auch die unreine Natur erschaffen. Daher rede Er mit den Geistern geistig, aber mit uns natürlichen Menschen rede Er auch natürlich. Ich bin der Meinung, daß Er ebensogut rein natürlich verständig wird reden können, als Er doch die Natur auch rein natürlich erschaffen hat.
16. Freilich wohl hat der Herr ein unumstößliches Urrecht, zu reden, wie Er will. Aber ich glaube, daß auch wir ein Recht haben zu sagen: ,Herr, das verstehen wir nicht, es ist für uns ein Unsinn; rede daher mit uns, wie Du weißt, daß wir es verstehen!
17. Verbirg Dich nicht stets hinter Wolken, sondern tritt offen in Dein Eigentum. Denn Du hast doch nicht vonnöten, Dich vor uns, Deinen Werken, zu genieren, da wir doch nicht anders sein können, als wie Du uns haben willst!
18. Du weißt am besten, welche Sprache Du uns gelehrt hast und welche wir daher verstehen. Rede mit Deinen himmlischen Geistern und Kindern geistig und himmlisch, aber mit uns rede natürlich!
19. Willst Du aber durchaus nur geistig und in übersinnlichen Bildern himmlisch mit uns reden, so gib uns zuvor auch das nötige Verständnis; denn sonst ist Deine Rede für uns kein Gewinn und für Dich keine Ehre! Was man nicht versteht – ob es von Gott oder von einem Geiste oder Menschen kommt, das kann man auch nicht würdigen nach Gebühr. Und was man nicht würdigen kann, wie sollte man das ehren?
20. Ich meine, daß ich nun sehr verständlich gesprochen habe; rede auch du (Johannes) so, und ich werde dich hören und dir folgen mit diesem großen Volke und all seinen Nachkommen!“
21. Spricht Johannes: „Freund, du verlangst Dinge, die rein unmöglich sind und selbst mit eurer reinsten Naturweisheit im größten Widerspruche stehen! Wie kannst du Rein-Geistiges ganz natürlich dargestellt haben wollen? Oder so du schon durchaus Natürliches willst: ist das nicht so natürlich als möglich, daß ich vom Herrn aus dir Geistiges und Himmlisches verheiße durch Hilfe von natürlichen Bildern, innerhalb welcher sich Geistiges und Himmlisches ebenso birgt wie dein eigentliches geistiges Leben innerhalb deines natürlichen Leibes?
22. Welchen Nutzen aber hätte ein rein materielles Wort für deinen Geist? Wäre so ein Wort nicht gleich einer hohlen Frucht, die wohl ein äußerliches Ansehen hat, als wäre sie etwas – aber von innen ist sie hohl und hat nichts, damit du deinen Magen erquicken und stärken könntest?
23. So gebe ich dir vom Herrn aus auch keine hohlen Worte und Verheißungen, sondern volle vom Innersten bis zum Auswendigsten. Und es wird auch mit der Gabe das Verständnis nicht unterm Wege verbleiben! Sage, was willst du da noch mehr haben?“
24. Spricht der Weise: „Ja, Freund, wenn das rechte Verständnis zu solcher Sprache hinzukommt, dann lasse ich es mir wohl gefallen. Aber sage mir denn auch, wie man das anzufangen hat, um hinter das rechte Verständnis zu kommen!
25. Was ist mit dem neuen Hause, was mit der vom Himmel herabsteigenden Stadt und den vielen Häusern in ihr? Was mit ihrer Lebendigkeit? Wie werden die Einwohner größer sein denn die Häuser, oder ein Haus, oder die ganze Stadt? Wie werden sich das Haus, die Stadt und die vielen Häuser in ihr neigen vor ihren Einwohnern? Und wie werden das Haus, die Stadt und die vielen Häuser in ihr von außen kleiner sein denn von innen? –
26. Siehe, das sind für unsere Weisheit gar sonderbare Dinge! Wir können sie unmöglich fassen. Gib uns daher auch ein Verständnis, so wollen wir dann mehreres annehmen, und wäre es anfangs aus gleichen Gründen auch noch so unverständlich für unsere Weisheit!“
01. Spricht Johannes: „Gut, so merke denn: Das neue Haus ist die neue Offenbarung des Herrn an euch, die Er soeben erbaut in euren Herzen. Die lebendige Stadt, die aus den Himmeln niedersteigt, sind der Herr und wir, Seine Kinder, voll des ewigen Lebens. Ihr aber sollt in diese an euch gerichtete Offenbarung eingehen und darin eine wahre Lebenswohnung nehmen, so wird diese Lehre sich zu euch neigen und euch untertan sein.
02. So ihr aber in dieser Offenbarung werktätig leben werdet, so werdet ihr dadurch in eine noch größere Weisheit gelangen, als die wir euch nun geben. Und so wird es auch sein, daß ihr in diesen wenigen Worten, deren äußere Umfassung wirklich klein ist, einen inneren unendlich großen Weisheitsgehalt finden werdet, so groß, daß ihr selben in seiner ganzen Fülle wohl ewig nie völlig begreifen werdet. Und zahllose Nachkommen werden in dieser Weisheit wohnen und werden dennoch nie an ihre Schlußwände und Grenzen gelangen.
03. Wie der Mensch aber leiblich ein Wohnhaus hat und dieses bewohnt, nachdem er es zuvor wohl eingerichtet hat, ebenso ist die Gotteslehre für den Menschgeist auch ein ewiges Wohnhaus, in dem er wohnen und handeln wird ewig.
04. Die Stadt Gottes und die vielen Häuser in ihr sind dann gleich dem einen Hause. Wer da bewohnt ein solches Haus oder tätig ist in der kleinen Weisheit des enggefaßten Gotteswortes, der wird dadurch in die Stadt Gottes eingehen. Das heißt: in die Fülle der göttlichen Weisheit, da ihm alles zuteil wird, was da der Herr in Seinem Hause und in Seiner ewigen Stadt und den endlos vielen Wohnhäusern in ihr hat.
05. Ich meine, Freund, daß du mich nun besser denn ehedem verstanden hast. Sage mir daher, ob du damit einverstanden bist, und dir die Sache so genehm ist!“
06. Spricht der Weise: „Ja, jetzt wohl, nun hat die Sache ein ganz anderes Gesicht! Nun habe ich mich gleich gefunden und wußte schon bei der ersten Erläuterung des Hauses, wo hinaus die ganze Sache gehen werde. Ich sehe, daß das lauter tiefste Entsprechungen sind; aber sie sind begreiflich und faßlich. Du kannst daher schon fortfahren, uns den göttlichen Willen weiter zu offenbaren, und wir werden ihn ohne alle Widerrede annehmen!“
07. Spricht Johannes: „Freund, ich habe schon geredet, was ich zu reden hatte; nun aber kommt Er Selbst! Ihn höret; Sein Wort erst wird euch umgestalten und euch geben die rechte Freiheit! Merket daher wohl auf, denn jedes Wort, das Er spricht, ist ewiges Leben und höchste Weisheit! Und so höret Ihn!“
01. Nun komme Ich hervor, noch immer umgeben von Chanchah, Gella und den drei Sonnentöchtern, die sich unterdessen recht viel über diese Erde mit den zwei Erstgenannten besprochen haben. Und als Ich hervortrete, fällt der Weise und all sein Volk innen und außerhalb dieses Wohnhauses aufs Angesicht und alle preisen Mich laut:
02. (Die Sonnengemeinde:) „Heil und Ehre Dir, Du Unerforschlicher, Du Ewiger, Du Unendlicher! Nimm hiermit unsern allertiefsten Dank für diese unbegreiflich höchste Gnade, daß Du auch uns Würmchen dieses Staubes Sonne einmal Deiner sichtbaren Gegenwart gewürdigt hast!
03. Es ist wohl höchst ungebührlich, so sich in unseren Herzen ein Deiner unwürdiger Wunsch regt: daß es unsere unaussprechlich höchste Seligkeit wäre, wenn Du von nun an uns nimmer verlassen, sondern ewig verbleiben möchtest bei uns! Was aber können wir tun, als diesem sehnenden Begehren unseres Herzens vor Dir, Du Heiligster, Luft zu machen?
04. O Du, dessen Füße zu heilig sind, als daß dieser Boden würdig wäre, von ihnen betreten zu werden, wirst uns ja ein solch unsinniges Verlangen gnädigst vergeben! Wenn Du, o Heiligster, uns noch für wert achtest, einige Worte des Lebens an uns zu richten, so bitten wir Dich alle aus tiefstem Herzen, Du möchtest uns diese Gnade erweisen! Aber über alles hochgepriesen sei Dein allein heiligster Wille!“
05. Nach dieser sehr demütigen Anrede sage Ich: „Stehet auf, Meine lieben Kinder! Vernehmet Mich, den ewigen Vater der Unendlichkeit, euren Vater und den Vater der Myriaden eurer Brüder und Schwestern, die aus Mir hervorgingen, zu bewohnen die Unendlichkeit und überall zu zeugen, daß Ich ihr Vater bin von Ewigkeit!“
06. Spricht der Weise: „O Herr, Herr, Herr, – zu unwürdig sind unsere Augen, um die endlose Heiligkeit Deines Angesichtes zu schauen! Daher laß uns in dieser Stellung, die ich für die geziemendste halte, in der sich Würmer wie wir vor dem ewigen, allmächtigsten Schöpfer zu verhalten haben!“
07. Rede Ich: „Liebe Kindlein, Demut ist wohl die erste und größte Tugend eines jeden menschlichen Herzens, aber sie darf ebensowenig übertrieben werden wie eine andere Regel des Lebens.
08. Daß Ich der Schöpfer und ihr die Geschöpfe seid, ist eine Sache, die auf beiden Seiten eine Notwendigkeit ist und sich selbst für Mich unmöglich anders darstellen läßt. Denn will Ich Geschöpfe haben, so muß Ich sie so erschaffen, wie Ich sie haben will. Und es wird unmöglich ein Geschöpf eher gefragt werden können, ob und unter welchen Bedingungen es erschaffen sein möchte, sondern es hängt da ganz allein von Mir ab, wie Ich das Geschöpf haben will!
09. Da sonach das Geschöpf eine Notwendigkeit Meines Willens ist, Mein Wille aber – als der Grund des Werdens und Bestehens des Geschöpfes – dem Geschöpfe gegenüber ebenfalls eine Notwendigkeit ist, so haben sich auf diesem Standpunkte Schöpfer und Geschöpf gegenseitig nicht viel zugute zu halten. Denn wie Ich als Schöpfer dem Geschöpf eine Notwendigkeit bin, ebenso ist auch das Geschöpf als Stützpunkt Meines Willens diesem eine Notwendigkeit.
10. Ganz anders aber ist es, wenn der Schöpfer aus Seinen Geschöpfen freie, Ihm ähnliche, selbständig mächtige Wesen hervorbringen will. Da freilich tritt das Geschöpf in eine ganz andere Lebenssphäre! Der Schöpfer gibt da dem Geschöpf durch das freie, lebendige, vollkräftige Wort eine eigene Kraft, die das Geschöpf dann durch fleißige tatsächliche Pflege in sich zur Vollreife zu bringen hat, um dadurch ein freies, ganz aus sich mächtiges Wesen zu werden.
11. In diesem Falle tritt erst die wahre Demut ein, weil sie das alleinige Mittel ist, durch welches das Geschöpf sich der schöpferischen Nötigung vollends entwindet. Es vermag sodann als ein aus sich selbst lebendiges und mächtiges Wesen Mir, dem Schöpfer, gegenüber sich also aufzustellen, als so Ich Selbst Mir gegenüber als ein zweites Ich auftreten könnte. Aber diese notwendige Demut darf dennoch keine übertriebene sein, sondern gerade nur so, wie Ich als Meister alles Lebens sie anordne; sonst kann sie das nicht bezwecken, wozu sie gegeben ist.
12. Steht daher nun alle auf und wendet eure Augen auf Mich! Ich werde euch erst so und alsdann die rechten Worte des Lebens können zukommen lassen! Und so erhebet euch denn!“
13. Nach diesen Worten aus Meinem Munde erheben sich alle hier Anwesenden zugleich mit dem Weisen, der bei dieser Gelegenheit folgende Worte spricht:
14. (Der Weise:) „Brüder und Schwestern, wir haben uns erhoben vor dem Herrn, und vor Seinem allerheiligsten Antlitz standen wir auf. Bedenket wohl, wer Der ist, vor dem wir nun stehen! Bedenket und fasset es tiefst in euren Herzen!
15. Er ist der Herr, der allerheiligste, urewige Gottgeist, der allmächtige Schöpfer aller unendlichen Himmel, aller Engel, aller Welten, aller Menschen und aller anderen Wesen! Er, der Heiligste, der Erhabenste hat zu uns geredet, daß wir uns vor Ihm erheben sollen, und wir taten in höchster Ehrfurcht, was Er von uns verlangte.
16. Er verhieß uns aber noch weitere Worte des Lebens. Wir haben die gerechteste Ursache, uns darüber im höchsten Grade im voraus zu freuen! Denn wir wissen ja, daß von Dem, der das ewige Urleben Selbst ist, unmöglich andere Worte als nur die des Lebens zu uns gelangen können.
17. So freuet euch endlos mit mir; denn der Herr – Er, das Leben Selbst – wird Worte des Lebens, Worte der Freiheit, ja allmächtige Worte zur völligen Umgestaltung unseres geschöpflich gerichteten Wesens an uns alle richten! Daher öffnet weit eure Ohren und Herzen, auf daß solche hier nie gehörten heiligsten Worte nicht an irgendeinem Ohre ungehört und unbeachtet vorübergleiten möchten!
18. O Herr, Du Heiligster, unsere Herzen sind bereitet! So es Dein heiligster Wille wäre, laß uns bitten um die verheißenen Worte voll Lebens und göttlicher Macht und Kraft! Dein heiligster Wille werde allein ewig gepriesen!“
19. Rede Ich: „Mein geliebter Uhron – wahrlich, wahrlich, dein Herz machte Meinem Herzen eine große Freude! Erwarte daher auch samt deinen Völkern, daß auch Ich nicht verabsäumen werde, euren Herzen eine große Freude zu machen. Diese wird euch verbleiben auf ewig, und niemand wird sie euch nehmen können!
20. Dessen seid gewiß, so ihr Meiner Lehre und der Lehre dieser Meiner Kinder und Boten nachkommen werdet. Das wird euch aber um so leichter ankommen, da ihr in der Weisheit Meiner Gerechtigkeit schon ohnehin allen andern Völkern um sehr vieles voran seid!
21. Meine Lehre aber ist ohnehin überaus leicht zu beachten. Denn Ich als Schöpfer weiß es wohl am besten, was euch allen nottut, und was ihr für eure Freiwerdung auch eurer natürlichen Beschaffenheit nach am leichtesten beachten könnt. Daher fürchtet euch nicht vor der neuen Bürde, die Ich nun auf eure Schultern legen werde! Ich sage euch, sie wird sehr leicht, mild und sanft ausfallen!
22. So aber lautet kurz das Lehrwort, das Ich nun an euch richte: Liebet Mich, euren Herrn, Gott und Vater, aus allen Kräften eures Lebens, und liebet desgleichen auch euch untereinander!
23. Ein jeder von euch suche in Meinem Namen dem andern Dienste zu erweisen. Keiner dünke sich mehr zu sein, als da ist sein Bruder und seine Schwester! So werdet ihr gar leicht Meine geliebten Kinder werden und verbleiben auf ewig.
24. Bewahret dabei aber auch eure alte Sittenreinheit! Ferne sei von euch des Fleisches wollüstige Unzucht, in die ihr seit einer kurzen Zeit durch Berückung eines bösen Geistes gekommen seid! Zeuget euch nach der alten, ordentlichen, geistigen Art, die euch gegeben ist in euren Willen und nicht in euer Fleisch!
25. Wohl könntet ihr euch auch fleischlich zeugen durch den natürlichen Beischlaf und könntet dadurch Kinder des Fleisches und Kinder der Welt ins Leben rufen. Aber was würde euch solches nützen? Ihr würdet euch dadurch nur Diebe, Räuber und Mörder züchten, die in kurzer Zeit mächtiger würden denn ihr und würden euch dann machen zu Sklaven ihrer bösen Begierden. Daher meidet sorgfältig euer Fleisch vor solchem Übel und berührt vorzugsweise eure Töchter nicht, durch die ihr Teufel in eure reine Welt zeugen würdet, so wird euch allen die Erreichung Meiner Kindschaft gar leicht werden!
26. Möchtet ihr aber fortfahren, wie bis jetzt zu geilen in eurem und eurer Töchter Fleische, würde euch die geistige Zeugungskraft bald genommen werden. Statt diesem eurem leichten, ätherischen Leibe würdet ihr einen plumpen, schweren, häßlichen und mit allerlei Krankheiten behafteten Leib überkommen, in dem sich der unsterbliche Geist nur sehr schwer und mühsam bewegen würde. Dazu käme dann noch der Tod über euch, den ihr bisher noch nie gefühlt und geschmeckt habet.
27. Also bleibet in eurer alten Sittenreinheit und zeuget euch fortan geistig! Denn was der allein lebendige Geist zeugt, das bleibt dann auch fortan Leben, das keinen Tod kennt. Was aber das tote Fleisch zeugt, das bleibt tot und kann nur schwer ins Leben übergehen, da des Fleisches Wurzel der Tod ist.
28. Wie aber auf einen dürren Stock schwerlich ein lebendiger Zweig eingepfropft werden kann zum Leben, so auch ein lebendiger Geist ins tote Fleisch zur Gewinnung des Lebens!
29. Ebenso würde auch euer Wille geschwächt werden, daß ihr nimmer könntet mit desselben alleiniger Kraft eure Gärten und Äcker bestellen. Ihr müßtet euch dann nur mit jenen Pflanzen begnügen, die Samen haben und sich durch denselben fortpflanzen. Da könntet ihr dann nicht wie jetzt fortwährend reife Eßwaren dem Boden eurer Erde entlocken, sondern müßtet ängstlich und oft sehr ungeduldig die Zeit abwarten, in der die eine oder andere Frucht zur Reife kommen möchte.
30. Ebenso ginge es euch mit der Erbauung eurer Wohnhäuser! Das Material dazu würde dann sehr hartnäckig, schwer und gebrechlich sein. Ihr könntet es dann nimmer durch die Kraft eures Willens geschmeidig, leicht und für alle Zeiten dauerhaft machen.
31. So habt ihr auch eine große Freude daran, daß ihr mit den Geistern eurer abgeschiedenen Brüder sichtlich in Verbindungen treten könnt und könnt sie sehen, sprechen und sogar liebkosen. All dieses würde euch alsbald zur Unmöglichkeit werden, so ihr in eurer Berückung fortleben würdet.
32. Wenn ihr aber nun so fortlebt, wie Ich euch nun kurz belehrt habe, werdet ihr nicht nur eure Vollkommenheiten behalten, sondern werdet noch neue hinzubekommen, deren Vorteile so groß sein werden, daß ihr sie jetzt gar nicht zu fassen imstande wäret.
33. Ich habe euch nun alles gesagt, was ihr zu tun habt für die Zukunft. Nun aber liegt es an euch, ob ihr das alles wohl annehmen und darnach handeln wollet.
34. Fraget alle euer Herz und sagt es Mir dann frei heraus! Denn Ich lasse euch die vollste Freiheit und will nicht einmal in eure Gedanken schauen, auf daß ihr völlig frei selbst bestimmen könnt, was und wie ihr es wollt!“
01. Spricht der Weise: „O Herr, Deine Forderung an uns alle ist unaussprechlich mild, sanft und über alle Maßen gut! Es bedarf von unserer Seite wohl ewig nicht des geringsten Besinnens, um selbe mit dankerfülltem Herzen nicht augenblicklich anzunehmen! Was sollen wir uns fragen, was beschließen, ob uns Deine heiligste Anforderung in unseren Herzen genehm wäre oder nicht?
02. O Du allerheiligster Wohltäter, wir werden ewig nie Dir gebührend zu danken imstande sein für diese endlose Wohltat und Gnade, die Du uns nun erzeigt hast: daß Du uns durch Deine für uns unbegreifliche Herablassung solch unerhörte Liebe erzeigt hast, uns Geschöpfen einen so überleicht zu wandelnden Weg zu zeigen, auf dem wir die höchste Himmelswürde erlangen können, Deine freien Kinder zu werden! Und wir sollten uns dazu noch besinnen?
03. O Herr, o Vater, Du ewiger, heiligster Geist – wenn ich tausend Leben hätte und müßte sie hergeben zur Erreichung Deiner Kindschaft nur dem geringsten Grade nach – wahrlich, ich gäbe sie mit tausend Freuden, und wenn der Verlust eines jeden Lebens auch mit größten Martern und Schmerzen verbunden wäre! Und ich sollte mich hier über solche höchsten Gnadengaben noch bedenken, ob ich und dies Volk sie annähmen oder nicht?
04. Du heiligster Vater! Ich will nicht ja und nicht nein sagen mit dem Munde. Sieh nur gnädig in unsere, Deines heiligsten Anblickes freilich wohl ewig unwürdigen Herzen. Diese werden Dir noch ein tausendmal feurigeres Ja entgegenbeben, als wie feurig dort jene Weltgeschwulst ist, die nun bald zum Ausbruch reif sein wird.
05. O Herr, o Vater, alles, alles, das Du willst, wollen wir noch genauer erfüllen, als wie da bahnen die kleinen Welten um unsere nun durch Dich für ewig geheiligte große Erde!
06. Aber nur diese Bitte lasse nicht unerhört an Dein heiligstes Vaterherz dringen, daß Du uns von nun an mit Deiner sichtlichen Gegenwart nicht für immer verlassen möchtest, sondern Dich nach Deinem Wohlgefallen uns dann und wann zeigen möchtest!
07. Denn siehe, zu mächtig ist unser aller Liebe zu Dir nun entbrannt! Welch einen Jammer würden unsere Herzen empfinden, so unsere Augen Dich, o heiligster Vater, nimmer erblicken und unsere Ohren nimmer vernehmen sollten Deiner Vaterstimme so wohlklingende Worte! Haben sie doch unsere gebeugten Herzen plötzlich mit einer solch unerhörten Lebensfülle erfüllt, daß wir keine Worte finden können, Deine wahrste Gott-Vatergnade zu beschreiben!
08. Daher, o Herr, laß diese Bitte von uns allen nicht ganz unerhört an Dein Vaterherz dringen! Dein allein heiligster Wille sei ewig gepriesen!“
09. Rede Ich: „Kindlein, worum ihr bittet, das habe Ich schon lange väterlich vorgesehen. Der Schöpfer bleibt nur den Geschöpfen unsichtbar und unerforschlich. Denn die Geschöpfe sind gerichtet in des Schöpfers Macht und können nie vor Ihn hintreten, Ihn schauen und vernehmen Seine Stimme. Aber ganz anders steht es mit den Kindern, die Ich als Schöpfer und nunmehr Vater frei gestellt habe durch Wort und Lehre. Diese können Mich sehen und sprechen, wann sie wollen – vorausgesetzt, daß ihre Herzen sich in der Ordnung Meiner Lehre befinden!
10. Ist das aber nicht der Fall, sind die Herzen sinnlich gestimmt, haben materielle Dinge und nichtige Weltsorgen in ihnen Platz genommen und Mein Wort und Meine Lehre untätig gemacht: da freilich kann Ich nicht mehr gesehen und gehört werden, weil da so ein werdendes Kind meiner Gnade, Liebe und Erbarmung dann wieder das gerichtete Kleid der Geschöpflichkeit angezogen hat – wozu es freilich auch die volle Freiheit hat.
11. Daher bleibet fortan alle in dieser Meiner Lehre! Bewahret eure Herzen in eurer urangestammten sittlichen Reinheit, auf daß Meine Vaterliebe in ihnen Raum haben und in euch erzeugen kann ein neues Leben, das da ist ein wahrstes, freiestes in und aus sich selbst. Dann werdet ihr nie Grund haben, zu klagen: ,Herr, Vater, wo bist Du? Warum können wir Dich nimmer sehen und nicht vernehmen Deine Vaterstimme?‘
12. Wahrlich sage Ich euch: Alle, die an Meiner Lehre tätig hängen, die sind es, die Mich wahrhaft lieben. Da sie Mich aber wahrhaft lieben, werde Ich entweder sichtlich oder vernehmlich stets unter ihnen sein und werde sie Selbst lehren und ziehen zu Meinen Kindern. –
13. Nun aber schaffet Speise und Trank herbei, soviel ihr könnt! Wir wollen uns alle sättigen, und ihr werdet es sehen, daß Ich euch segnend gleich wie ihr essen und trinken werde, und alle die Brüder und Schwestern, die mit Mir sind! Also gehet und tut nach Meinem Worte!“
01. Als der Weise solches Verlangen von Mir vernimmt, erregt er sich freudigst und spricht: „O Herr, o Vater voll Liebe, Güte, Herrlichkeit, Macht, Kraft und Heiligkeit! Das erst gibt uns die größte Bürgschaft, daß Du uns nimmer verlassen wirst. Denn wer mit uns speist, der sagt uns, daß er bei uns bleiben wolle. Und so wirst auch Du bei uns verbleiben, wie Du es uns ehedem verheißen hast. O ewig alles Lob, alle Ehre und aller Dank Dir darum!“
02. Auf diese Worte eilt alles hinaus und will aus den Gärten Speise holen um sie im reichsten Maße und in ausgewähltester Art vor Mir hinzulegen.
03. Aber als die Speiseholer hinaus ins Freie treten, werden sie trübselig überrascht, da sie das von der großen Feuergeschwulst hinausgetriebene Wasser über die reichen Fruchtgärten stehend erblicken. Sie sind daher nicht imstande, auch nur etwas Weniges aus den großen und sonst überreich bestellten Gärten zu bekommen für den von Mir verlangten Zweck. Sie kommen daher auch ganz traurig zurück,
04. und der Weise spricht: „O Herr, vergib uns Armen! Du siehst, die arge Feuergeschwulst hat mit dem garstigen Meereswasser alle unsere Fruchtgärten überdeckt, und das dergestalt, daß wir nicht das Kleinste daraus zu bekommen imstande sind. Treibe daher diese arge Flut vorher hinweg, und wir werden dann sogleich Deinem Verlangen gemäß handeln können!“
05. Rede Ich und berufe den Martin und Petrus: „Mein Bruder Petrus, und du auch, Martin: Geht hinaus, schlagt die Flut und vernichtet die arge Feuergeschwulst, auf daß diese nicht aufgehalten sind in der Erfüllung Meines Verlangens! Sollte euch aber der Feind nicht gehorchen wollen auf den ersten Ruf, dann gebietet ihm in Meinem Namen zum zweiten und zum dritten Male! Sollte er auch da sich widerspenstig zeigen, so macht dann einen ernsten Gebrauch von der euch innewohnenden himmlischen Gewalt! Also sei es!“
06. Petrus und Martin verneigen sich vor Mir und gehen eilends mit dem Weisen hinaus ins Freie. Als sie da anlangen, erstaunt Martin gewaltig über diesen Spektakel und spricht:
07. (Bischof Martin:) „Ah, – das ist doch ein niederträchtigstes, schändlichstes, verworfenstes, allerbösestes Luder! Aber sage mir doch, Bruder Petrus, wird denn diese halbewige Erzkanaille nimmer aufhören, Böses zu treiben und Schändliches zu tun?
08. Du, Bruder, zuckst mit den Achseln! Das will so viel sagen als: ,Das weiß allein der Herr!‘ – Ja, ja, du hast allerdings recht; aber freuen soll sich nun das Luder, so es uns nicht urplötzlich Folge leisten wird! Wahrlich, dem soll sein Starrsinn teuer zu stehen kommen. Unsere vom Herrn und Vater verliehene himmlische Gewalt wird ihm wohl etwas zu sagen imstande sein, wo er künftighin seine bösen Gaukeleien treiben soll! Bruder, sollen wir zugleich rufen, oder rufst du allein, oder soll ich allein im Namen des Herrn für uns beide rufen?“
09. Spricht Petrus: „Rufe du im Namen des Herrn allein für uns beide!“
10. Spricht Martin: „Gut, so will ich's versuchen! Und so vernimm denn, du arge Flut, und du auch, überarge Feuergeschwulst, und hauptsächlich du, alter, bösester Satan: Weichet augenblicklich zur Ordnung des Herrn zurück, sonst fürchtet ein gerechtes und allerschärfstes Gottesgericht! Amen! Dreimal Amen, Amen, Amen!“
11. Auf diesen Ruf erschallt zurück ein gellendes Gelächter und danach diese Worte:
12. (Satan:) „O du elende Schmeißfliege von einem Bischof Martin! Du Zehntausendmal-weniger-als-Nichts willst mir gebieten zu weichen? Siehe, mich bringt weder Gott noch alle Seine Himmel zum Weichen, geschweige du elendstes Nichts!
13. Aber nun rufe ich dir und all dem anderen Schmeißgesinde aus purer Großmut zu: Verkriechet euch irgendwohin in Löcher, sonst sollt ihr alle von der guten und sehr warmen Speise etwas zu verkosten bekommen, die in meinem großen Topfe sogleich vollends fertig gekocht sein wird!
14. Es ist wohl nicht darum, um mich an euch Nichtsen zu rächen, denn ein mächtigster Löwe fängt nicht Fliegen. Ich tue, was ich hier tue, notwendig zur Erhaltung meiner Schöpfung! Auf daß ihr Nichtse aber dabei nicht zugrunde geht, so flüchtet euch und erfrecht euch ja nimmer, mich etwa noch einmal zu bedräuen! Treibet meine große Geduld nicht aufs äußerste! Wehe euch, so sie reißt!“
15. Martin zerplatzt fast vor Ärger über diese Frechheit Satans und weiß nicht, was er ihm in aller Eile erwidern soll.
16. Petrus aber ermahnt ihn und spricht: „Bruder, ärgern darfst du dich ja nicht, denn dadurch tust du gerade, was er eigentlich von dir haben will. Den muß man ganz anders fangen! Sieh, ich werde ihn sogleich zum Weichen bringen, und das mit der größten Ruhe! Ich werde ihm nur ganz sanft sagen: ,Satana, der Herr Jesus Christus sei auch mit dir!‘ – Und sieh, schon weicht die Flut und die Feuergeschwulst sinkt in ein wahrstes Nichts zusammen. Er meldet sich nicht mehr und muß sich über alles ergrimmt zufriedenstellen, was meine Himmelsgewalt über ihn verfügt hat.“
17. Spricht Martin: „Ah, das hätte ich nicht geglaubt, daß sich dieses Unwesen so bald fügen wird! Ist denn das die Himmelsgewalt? Ich habe mir darunter ganz etwas anderes gedacht! Ich danke dir, Bruder, für diese wahrhaft himmlisch-weise Belehrung. Durch sie bin ich nun schon wieder ums tausendfache weiser geworden!
18. Sieh, das Wasser ist ganz zurückgewichen und von der glühenden Geschwulst ist auch nichts mehr zu entdecken! Dem Herrn Lob und Ehre ewig! Ich glaube, nun wird sich dieses arge Luder von einer Satana oder von einem Satan nicht so bald wieder in unsere Nähe wagen.“
19. Spricht Petrus: „Sorge dich darum nicht, der hat schon ganz andere Lektionen bekommen als diese da. Aber kehre die Hand um, so ist er schon wieder mit einer ganz neuen Erfindung fertig! Es wird gar nicht lange währen, wird er uns wieder zu schaffen geben. Aber so man ihn mit nichts in die Flucht schlagen kann, muß man dann wieder zur Gewalt der Himmel Zuflucht nehmen und er ist besiegt. Merke dir das, Bruder, und tue darnach ein nächstes Mal!“
20. Darauf wendet sich Petrus zu dem Weisen, der noch ganz verblüfft vor den beiden steht und sagt zu ihm: „Nun erfüllet des Herrn Verlangen, denn eure Gärten sind wieder frei!“
21. Der Weise verneigt sich tief und eilt dann in die Gärten, zu holen Speise und Trank.
01. Petrus und Martin kehren nun wieder zu Mir in das Sonnenhaus zurück, und Martin will sogleich treuherzig zu erzählen beginnen, was nun draußen vor sich gegangen ist.
02. Aber Petrus sagt zu ihm wie insgeheim: „Bruder, was willst du denn dem Herrn erzählen, als wüßte Er nicht um eine Ewigkeit früher alles, was hier ist, diese Sonne und wir beide als wirklich Erschaffene! Weißt du denn nicht, daß der Herr von Ewigkeit her allwissend ist?“
03. Martin schlägt sich auf die Stirne und spricht: „O Bruder, und Du besonders, o Herr, müßt mir schon vergeben, daß ich noch immer zuweilen in eine Art irdische Dummheit verfalle!
04. Es ist ja nur zu wahr, daß Du, o Herr, allwissend bist und Dir wohl ewig nie etwas vorerzählen zu lassen brauchst, um zur Kenntnis von irgendeiner Sache oder Handlung zu gelangen. Aber es liegt dennoch in mir der freilich sicher irdisch dumme Trieb, Dir – wie auf Erden irgendeinem Freunde – erzählen zu wollen, als wüßtest Du noch nicht darum!
05. Aber ich habe dabei doch auch die sichere Erwartung, daß Du, o Herr, mir solch eine irdische Dummheit gnädigst nachsehen wirst! Denn in der Folge werde ich mich schon fester zusammennehmen und solche Torheiten nach allen Kräften vermeiden!“
06. Rede Ich: „Nun, Mein lieber Sohn Martin, es ist die Sache nicht gar so weit gefehlt, als du nun meinst, so man Mir etwas beschreibt oder erzählt. Denn alle Kinder reden gerne, und mit Mir schon überaus gerne.
07. Würde Ich darum Mir von Meinen Kindlein nichts vorerzählen lassen, weil Ich allwissend bin, so würde zwischen Mir und euch wohl ewig nie ein Wort gewechselt werden. Weil Ich aber eben will, daß Meine Kinder ewig nie um eine Freude verkümmert werden sollen, sollen sie Mir auch alles erzählen, was sie irgendwo und -wann für Erfahrungen machen.
08. Denn Ich versichere euch bei der ewigen Treue und Liebe Meines Vaterherzens: Mir macht nur das Freude, was Meinen Kindlein Freude macht. Nicht Meine Gottheit, nicht Meine Weisheit und Allmacht, auch nicht Meine Allwissenheit, sondern allein die große Liebe zu Meinen wahren Kindern, die Mich lieben, wie ihr alle nun um Mich Versammelten, macht die höchste Glückseligkeit Meines ganzen Wesens aus.
09. Glaubt Mir, Ich war endlos seliger am Kreuz, als da Ich durch Mein allmächtigstes Wort Himmel und Erde zu gestalten begann! Denn als Schöpfer stand Ich als ein unerbittlicher Richter in der Mitte Meiner ewig unzugänglichen Gottheit. Am Kreuze aber hing Ich als ein zugänglichster Vater voll der höchsten Liebe, umgeben von so manchen Kindlein schon – die in Mir den Vater zwar noch nicht völlig erkannt hatten, da ihnen der gekreuzigte Sohn, d.i. des Vaters Leib, im Wege stand, aber Mich dennoch aus allen Kräften als den Sohn des allerhöchsten Vaters über alles liebten.
10. Wahrlich, sage Ich euch, ein Herz, das Mich wahrhaft liebt, gibt Mir mehr als alle Himmel und Welten mit aller ihrer Herrlichkeit. Ja, Ich will 99 Himmel verlassen und ein Herz suchen, das Mich lieben kann!
11. Wo aber ist die Mutter, die da hätte in ihrem Hause eine große Gesellschaft und Musik und Spiel aller Art, hätte dabei aber ein neugeborenes Kind und vernähme in der Mitte ihrer gastlichen Freude, daß das neugeborene Kind weine und in Erkrankungsgefahr stehe, die nicht sogleich diese Gesellschaft verließe und eilte zu ihrem Kindlein? Denn von der Gesellschaft erwartet sie wohl mit Recht Dank und Achtung, aber in der Brust ihres Kindes schlägt ein Herz, in dem Liebe zu ihrem Mutterherzen gesät ist.
12. Ich sage es euch allen: Auch diese Mutter würde 99 der glänzendsten Gesellschaften verlassen und eilen zu ihrem Kinde der künftigen Liebe wegen, da ein kleines Fünklein wahrer Liebe höher steht als tausend Welten voll des mächtigsten Wunderglanzes!
13. So aber schon eine irdische Mutter das täte, um wieviel mehr Ich, der Ich zu Meinen Kindern alles bin in der Fülle als Vater und als Mutter: als Vater in Meinem Herzen und als eine Mutter in der Geduld, Sanftmut und endlosen Güte.
14. Daher scheuet euch, Meine geliebten Kindlein, nicht vor Mir, und redet und erzählet Mir, was ihr höret oder sehet! Machet Luft der Liebe eures Herzens, denn Mich erfreuen Meine wundervollsten Erschaffungen erst dann, so sie euch erfreuen!
15. Oder weiß die Mutter etwa nicht darum, was ihr kleines Kindlein zu ihr lallend spricht? Und doch macht ihr der erste Ruf ,Mutter‘ aus dem Munde ihres Lieblings tausendmal mehr Freude, so undeutlich er auch ausgesprochen wird, als die gediegenste Rede eines Weisen.
16. Was sind die kühnsten Gedanken über Welten, Sonnen, Völker und Engel gegen den allein dem liebekeimenden Herzen des Kindes entsprossenen Ruf ,Liebe Mutter!‘? – Ebenso auch bei Mir. Was wohl gleicht dem an Größe, so ein Mich liebend Kindlein, kaum erwacht aus seinem notwendig vorangehenden Gerichtsschlafe, frei und wahr ,Lieber Vater‘ ruft!
17. Daher laß auch du, Mein lieber Sohn Martin, in der Zukunft dich nicht beirren im Drange deines Herzens, und ebenso auch ihr alle nicht. Eure kindliche Einfalt steht bei Mir endlos höher als die höchste Weisheit des tiefsinnigsten Cherubs. Darum gab Ich solches schon auf der Erde zu erkennen, als Ich zu Meinen Jüngern sprach: ,Unter allen, die vom Anfange der Welt bisher von Weibern geboren wurden, war keiner größer denn Johannes, der Täufer. Aber in Zukunft wird der Kleinste Meines Reiches der Liebe größer sein denn er!‘
18. Nun aber haben unsere Wirte die Tische voll besetzt und der Weise naht sich, uns zum Mahle zu laden. Daher wollen wir ihn auch gebührend anhören, wie er seine Einladung an uns wird ergehen lassen! Doch das merket euch: Wie er es ordnen wird, so wollen wir auch an dem großen Tische Platz nehmen. Also sei es, Meine Kindlein!“
01. Nun verneigt sich der herbeigekommene Weise tiefst und spricht mit der ihm möglichen höchsten Ehrfurcht: „O Herr, o Gott, o Vater Deiner Kinder und heiligster, allmächtiger Schöpfer aller Deiner unendlichen Werke! Dein heiligster Wille ist von uns nach Kräften vollzogen, Speisen und Getränke aller Art sind herbeigeschafft und der große Tisch damit angefüllt. Nun geschehe fürder Dein heiligster Wille!“
02. Rede Ich: „So ist es recht und gut. Nun aber bestimme du als Oberhaupt dieser ganzen Gemeinde mit dem eigentlichen Hausbesitzer auch die Ruheplätze am Tische und weise uns an, wo wir Platz zu nehmen haben!“
03. Spricht der Weise zugleich mit dem Besitzer des Hauses: „O Herr, wie sollen wir Würmer vor Dir auch nur zu denken wagen, Dir einen Platz anweisen zu wollen? O Herr, solch eine Erfrechung müßte uns ja augenblicklich auf ewig töten. Gehört ja doch ewighin alles vollkommen Dir! Jeder Platz, da Du stehst, ist der allererste, allerhöchste, allerheiligste; und wir – –? Nein, nein, ich kann es nimmer zum zweiten Male aussprechen!
04. O Herr, ich habe nur die alleinige Bitte, daß Du hier Deinen heiligsten Willen in gar keiner Sache verborgen halten möchtest, sondern ihn uns zur genauesten Befolgung offenbarst. Wir werden ihn als das heiligste Kleinod in unsere Herzen aufnehmen und uns bemühen, ihn nach allen Kräften getreu zu erfüllen!
05. Nimm daher diesen Auftrag gnädigst zurück, durch den wir genötigt wären, rein nur nach unserer Einsicht für Dich und Deine erhabenen Kinder an dem großen Speisetische die Plätze zu bestimmen!“
06. Rede Ich: „Du hast nun wieder gut und recht geredet. So lehrte dich deine Liebe zu Mir! Aber so du Meinen Willen als das heiligste Kleinod deines Herzens anerkennst, mußt du auch diesen dir und dem Hausbesitzer erteilten Auftrag anerkennen und danach handeln! Sonst redest du wohl recht von Meinem Willen, aber so Ich dir etwas zu tun gebe, glaubst du Mich dann zu beleidigen, wenn du tätest, was Ich dir auftrage! Tue daher, was Ich will! Dann erst wirst du einsehen, warum Ich so etwas von dir will.“
07. Hierauf verneigt sich der Weise samt dem Hausbesitzer tiefst und beide denken ängstlich nach, was sie nun tun sollen. Welchen Platz Mir anweisen? Denn bei ihnen sieht ein Platz dem andern gleich. Der sogenannte Hausherrnplatz und der erhabene Platz des Weisen scheinen aber beiden darum nicht passend zu sein, weil sie dadurch sich selbst ehren würden, so sie Mir ihre Plätze anwiesen. So denken sie hin und her, aber es fällt ihnen nichts Rechtes ein.
08. Der Weise wendet sich darum an Martin, ob er ihm da keinen rechten Bescheid geben könne.
09. Martin zuckt mit den Achseln und spricht: „Ja, mein Freund, da ist schwer zu raten! Habt ihr keinen Platz der Liebe gewidmet?“
10. Die beiden machen große Augen und sagen: „Freund, wahrlich, so einen Platz haben wir noch nie gehabt! Was ist da nun zu tun?“
11. Spricht Martin: „So errichtet nun einen solchen und die Sache wird sich dann schon machen!“
12. Die beiden fragen weiter: „Wie soll aber so ein Platz aussehen? Wie soll er eingerichtet sein?“
13. Spricht Martin: „Geht hin zu den drei Töchtern dieses Hauses, die beim Herrn sind; diese werden solch einen Platz bald ausgemittelt und fertig haben!“
14. Die beiden Weisen begeben sich nun zu den dreien und fragen sie darum.
15. Diese (die drei Töchter des Hauses) aber legen ihre Hände ans Herz und sagen: „Liebe Väter, sehet, hier ist der rechte Platz für den Herrn der Herrlichkeit! Daher sinnet nicht mit dem Kopfe, sondern ziehet Ihn mit euren Herzen, und da wird der erste nächste Platz auch der rechte sein!“
16. Nun erst geht den beiden ein neues Licht auf und sie verstehen, was Ich will. Sogleich treten beide vor Mich hin, verneigen sich tiefst, erheben dann ihre Häupter wieder und sprechen:
17. (Die beiden Weisen:) „O Herr, Gott, Vater! Dir allein alles Lob, alle Ehre, aller Dank und alle unsere Liebe. Wir haben Deinen heiligsten Willen mit Hilfe des lieben Bruders Martin und unserer lieben drei Töchter näher erkannt und sind ihm daher nach unseren möglichen Kräften auch nachgekommen.
18. O Herr, Gott und Vater – siehe, hier in unserer Brust haben wir für Dich, und nach Dir auch für alle anderen Brüder und Schwestern den ersten und daher sicher rechten Ruheplatz bestimmt! Daher komme nun, Du allerbester, heiliger, liebevollster Vater samt allen denen, die Du lieb hast, und nimm ihn für Ewigkeiten in vollsten Besitz!
19. Denn nun wissen wir, daß der hier mit den materiellen Speisen besetzte Tisch nur ein äußerliches Sinnbild ist dessen, was wir innerlich in unseren Herzen Dir, o Du heiliger, liebevollster Vater, bereiten sollen.
20. Zwar ist unser innerer Lebenstisch noch lange nicht so reichlich mit den Dir allein wohlschmeckenden Speisen besetzt als dieser äußere. Aber segne Du ihn in uns, o heiliger Vater, auf daß er reich werde durch Taten der Liebe, der Demut und der zartesten und dabei vor Dir gerechten Sanftmut! Dann werden auch wir Dir, o Du heiliger Vater, ein wahres und ewiges werktätiges Hosianna entgegensingen können!
21. Dein Name, der da ist Dein allmächtiger, heiligster Wille, werde von uns, wie von aller Unendlichkeit ewig gepriesen!“
22. Rede Ich: „So, Meine geliebten neuen Kinder, ist es recht. Wenn ihr verbleibt, wie ihr nun seid, da wird auch alles, was euch verheißen ward, in vollste Erfüllung gehen. Nun aber gehen wir auch an diesen äußeren Tisch!
23. Ich werde euch die Speisen segnen und mit euch das Mahl der Liebe halten. Und alle, die davon essen, werden Mich aufnehmen in ihren Herzen leibhaftig und werden damit in sich haben das ewige Leben und das wahre Licht und die Wahrheit!
24. Daher gehen wir nun alle an den Tisch. Aber keiner suche einen Platz, sondern für jeden sei der erste und nächste der rechte. Denn am Äußerlichen liegt nichts, sondern an dem, was in euch ist! Und demnach sei und geschehe es, wie Ich nun gesagt habe!“
25. Nun bewegt sich alles zum Tische und harrt, bis Ich einen Platz nehme. Als Ich nun Mir den ersten und nächsten Platz genommen habe, neben Mir die fünf Jungfrauen, dann Johannes, Petrus, Martin, Borem, Chorel und dann alle andern mit Mir Gekommenen, nehmen auch die Sonnenbewohner uns gegenüber überaus ehrfurchtsvoll Platz, und zwar Uhron und Shonel (Besitzer des Hauses) Mir gegenüber.
26. Als nun alle an dem großen Tische, bei 30000 an der Zahl, versammelt sind, segne Ich die Speisen und den aus ihnen bereiteten Trank und heiße sie dann alle essen und trinken. Ich esse und trinke samt allen mit Mir Gekommenen, und alle Sonnenbewohner essen und trinken ehrerbietigst mit und haben innerlich die höchste Freude, da sie auch Mich mit essen und trinken sehen.
01. Das Mahl ist bald verzehrt, alles ist vollauf gestärkt und jeder wundert sich über den köstlichsten Geschmack. Da aber das Mahl verzehrt ist und somit der große Tisch leer dasteht, fragen Mich in aller Demut
02. Uhron und Shonel: „O heiliger, lieber Vater, so es Dein heiligster Wille wäre, möchten wir auf der Stelle den Tisch wieder voll machen?“
03. Rede Ich: „Das wäre sehr unnötig. Wer einmal an Meinem Tisch gespeist ward, der hat sich gesättigt mit dem ewigen Leben. Er braucht nicht mehr als einmal Mich in sich aufzunehmen und er hat Mich ganz für die Ewigkeit!
04. Aber, Kindlein, nun haben wir etwas anderes noch abzumachen und das wird auch eine Speise sein, aber geistig und nicht materiell.
05. Diese drei Töchter, die Mir zuerst entgegengekommen sind und Mich auch zuerst erkannt haben in aller Liebeglut ihres Herzens und eine starke Prüfung wohl bestanden haben, werde Ich zu Mir nehmen unter die Zahl Meiner Kinder. Aber nur dann, so es euch recht ist! Denn der Vorteil, daß ihr irdisch leben könnt, solange ihr wollt, soll euch nicht benommen werden. Daher gebt Mir euren Willen kund, ob es euch genehm ist, daß Ich deren Leben auf dieser Welt abkürze und sie zu Mir nehme!“
06. Sprechen Uhron und Shonel: „Herr, Du lieber, heiliger Vater, ist ja doch Dein ewig heiliger Wille unser aller Leben, unser aller Form und Wesenheit! Sind wir doch alle Dein und nicht unser, alle Dein Werk! Wie sollen wir da wieder unseren Willen kundgeben, ob es uns recht wäre oder nicht?
07. O Herr, was Du tun willst, das ist uns allen vollkommen von ganzem Herzen recht; denn Dein heiligster Wille ist nun unsere Liebe, ist unser aller Leben! Du hast uns diese drei lieben Töchter erweckt und gegeben uranfänglich. Daher sind sie Dein und nicht unser, und Du kannst sie nehmen, wann Du willst! Dein allein heiliger Wille werde ewig gepriesen!“
08. Rede Ich: „Liebe Kinder, eure Rede gefällt Mir, weil sie nicht aus eurem Munde nur, sondern auch aus eurem Herzen kommt. Und so sind die drei, wie ihr sie nun sehet, nicht mehr in ihren diesirdischen Leibern, sondern in den schon reingeistigen hier an Meiner Seite. Denn sie sind im Augenblicke verwandelt worden, als ihr in euerem Herzen die wahrhaft freudige Einwilligung dazu gabt! Merket ihr an ihnen wohl einen Unterschied zwischen früher und jetzt?“
09. Sprechen Uhron und Shonel: „O Vater, wir merken nicht den allergeringsten Unterschied! Wie ist das wohl zugegangen und wie sollen wir das verstehen? Denn siehe, unsere Abgeschiedenen sehen als Geister viel leichter und ätherischer aus, diese aber, als hätten sie noch völlig ihren früheren irdischen Leib! Auch hinterlassen unsere sonstigen Abgeschiedenen ihren toten Leib, den wir dann an einen bestimmten Ort bringen, wo er bald vollends aufgelöst wird. Aber bei den dreien ist ja gar kein Leib zurückgeblieben! Wie wohl möglich ist das also zugegangen?“
10. Rede Ich: „Kindlein, dies merket: Wessen Liebe zu Mir so heftig und mächtig ist, als da ist die Liebe dieser drei, der wird auch schon im Leibe verwandelt durch die heftige Liebe zu Mir. So daß sein Fleisch vom Feuer seines Geistes alsbald zersetzt, geläutert und in das eigene Leben und Wesen des Geistes aufgenommen wird, ohne daß vorher der Leib gänzlich vom Wesen des Geistes getrennt zu werden braucht.
11. Folget daher in der Liebe zu Mir dem Beispiel dieser drei, so wird dann auch eure Verwandlung eine gleiche sein! Denn wahrlich, sage Ich euch, wer Mich wahrhaft so liebt, daß er aus Liebe zu Mir alles verläßt, der wird ebenso verwandelt werden wie diese drei!“
12. Spricht Martin: „O Herr und lieber Vater Jesus, das wäre auf unserer kleinen Erde wohl auch gut. Aber die Leiber meiner irdischen Brüder sind wohl zu grobmateriell, als daß sie einer solchen Verwandlung fähig werden könnten?“
13. Rede Ich: „Martin, die Erde ist nicht, was die Sonne, und die Sonne nicht, was die Erde. Ich aber bin gleich wie im Himmel, also auch in der Sonne und auf der Erde, und so ist auch gleich die rechte Liebe und ihre Kraft und Wirkung!
14. Auch die Erde hat solche Verwandlungsbeispiele genug aufzuweisen, und das sowohl in der alten, wie in der jungen Zeit. Aber einer solchen Wirkung muß auch die dazu erforderliche Ursache vorangehen! Bei zu wenig Wärme zerschmilzt nicht einmal das Wachs, geschweige das Erz! Verstehst du dies?“
15. Spricht Martin: „O Herr, das verstehe ich nun bestens. Denn ich selbst war ein solches Wachs oder Erz und hatte viel zu wenig Wärme in mir, um das Wachs damit auch nur etwas zu erweichen, geschweige das harte Erz meiner Materie zu zerschmelzen! Und so werden wohl eine Menge Brüder die Erde bewohnen, deren Materie nicht nur Erz, sondern ganz rein Diamant sein mag. Diese wird wohl schwer so verwandelt werden können wie die jener drei Himmelstöchter nun!“
16. Rede Ich: „Martin, das zu erörtern, gehört nun nicht mehr hierher. Aber das wirst du wohl wissen, daß Mir gar vieles möglich ist, was dir unmöglich scheint. Ich sage dir, auch in den Gräbern geschehen Wunder, die von den Fleischaugen der Erdenmenschen nicht gesehen und beobachtet werden!
17. Aber nun nichts mehr davon. Wir haben nun etwas ganz anderes zu tun. Ich sage euch, nun werden wir noch etwas Bedeutendes zu tun bekommen, denn unser Feind hat schon wieder etwas gemacht! Daher fasset euch!“
01. Spricht Martin: „Hat denn dieser namenlose Bösewicht noch keine Ruhe! O Herr, wenn ich doch nur ein kleines Fünklein Deiner Allmacht hätte, wollte ich ihn doch an irgendeinen Weltkörper dergestalt anhängen, daß er gewiß für alle Ewigkeiten bestens versorgt wäre. Denn so dieses Argwesen nicht für ewig geknebelt wird, wird es auf den armen Weltkörpern ewig nie besser als bis jetzt aussehen!
02. Ich glaube, o Herr, daß Deine Schöpfung doch schon so einige Dezillionchen von Erd- oder gar Sonnenjahren in der Wirklichkeit besteht?!
03. Alle diese undenklichen Zeitenräume hindurch besteht und hat schon vor aller Schöpfung bestanden der Satan ebenso böse wie nun. Alle endlosen und schweren Prüfungen und Züchtigungen haben ihn auch nicht einmal um ein Haar gebessert. Und nachfolgende Ewigkeiten werden an ihm ebensowenig etwas ändern, als die vergangenen es vermocht haben!
04. Daher meine ich, man sollte zufolge dieser Umstände dieses Wesen für alle Ewigkeiten auf irgendeinen aller Wesen ledigen Weltkörper festbannen, auf daß dann alle übrige Schöpfung Ruhe hätte!
05. Denn läßt Du, o Herr, ihm fortan eine gewisse, wenn auch sehr bedingte Freiheit, so wird es in der ganzen Unendlichkeit ewig nie besser werden als nun, und wir werden stets mit ihm vollauf zu tun haben!
06. Du, o Herr, siehst die Verhältnisse freilich besser ein als unsereiner und weißt, warum dem Satan von Dir aus eine so endlose Langmut und Geduld erteilt wird. Aber wie ich die Sache besehe, so ist sie gerade so, wie ich es nun dargetan habe! Du wirst wohl tun, was da rechtens sein wird aus Deiner ewigen Liebe und Weisheit heraus; aber ich würde das tun, was und wie ich nun vor Dir geredet habe!“
07. Rede Ich: „Mein lieber Sohn Martin, du redest, wie dich deine Weisheit lehrt. Ein anderer würde wieder anders reden. Wer aber schaut in die Tiefen Meiner Ordnung, der wird dann aber so reden, wie Ich da rede!
08. Sage, was liegt denn daran, so dies Wesen irgend etwas zerstört, da wir es ja doch wieder ganz machen können? Hast du auf der Erde nicht seine Schule durchgemacht und bist ganz absonderlich zerstört worden? Und siehe, nun bist du für ewig wieder erbaut!
09. Sage, kümmert dich nun dessen noch, wie es dir früher in deiner Zerstörtheit ging? – Du sprichst, daß dich nun das nicht im geringsten mehr kümmere! Nun, dann wird das wohl auch mit Trillionen anderen deinesgleichen sein!
10. Es sind wohl sehr viele Kranke, die leiden viel, aber wir können ihnen helfen. Und so sie wieder gesund werden, werden sie leidend sein aus ihrer früheren Krankheit heraus? Ich meine, das wird wohl schwerlich der Fall sein! Denn ein völlig Gesunder vergißt nur zu bald, wie einem Kranken zumute ist, und ist daher auch nur zu oft mit dem Kranken und Leidenden zu wenig mitleidig!
11. Und so ist es nun auch mit dir der Fall. Du bist nun gesund für ewig und fühlst nimmer, was da ist ein Schmerz, eine Angst, ein Schreck; aber jener, der mächtig krank ist, der empfindet es wohl!
12. Daher aber müssen wir Gesunden und Mächtigen sogar auch mit dem höchst kranken Satan eine rechte Geduld haben; und das um so mehr, weil uns Satan sogar durch seine böseste Krankheit dienen muß!
13. Oder meinst du wohl, der gerichtete Satan kann so ganz frei tun, was er will? Oh, da wärest du in einer sehr großen Irre!
14. Siehe, er kann nur so viel tun, als ihm zugelassen wird! Sein Wille ist wohl durchaus böse; aber er kann ihn nicht ausführen ohne Meine Zulassung. Warum Ich aber manchmal hie und da zulasse, etwas von seinem bösen Willen in die Wirkung zu bringen, kannst du jetzt noch nicht fassen. Wenn du dir aber aus der Liebetätigkeit aller Himmel etwas mehr Erfahrung wirst gesammelt haben, dann wirst du auch vieles einsehen, was du jetzt noch lange nicht kannst!
15. Aber Ich will dich in deiner Ansicht nicht beirren! So du den Satan bannen willst, um dadurch in der ganzen Unendlichkeit den ewigen Frieden zu bewerkstelligen, habe Ich wahrlich nichts dawider! Ich will dich auch mit so viel Macht ausrüsten, daß du nach deiner Meinung des ledigen Satans Meister werden kannst. Es soll geschehen, daß du deinen Willen vollkommen realisiert finden sollst. Aber gib acht, ob du am Ende nicht selbst die Bande, mit denen du Satan knebeln willst, nur zu bald wieder lösen wirst! Tue nun, was du willst, die Kraft und Macht habe ich dir schon gegeben!“
16. Spricht Martin: „O Herr, so ich nur Kraft habe und es Dir also recht ist, da werde ich mit dem Luder schon fertig werden! Aber ein Bruder muß doch mit mir sein!“
17. Rede Ich: „Nicht nur einer, sondern Petrus, Johannes, Borem, Chorel und Uhron und Shonel sollen dich dahin geleiten, und das im schnellsten Zuge! Denn auf der Sonne weitem Mittelgürtel, unseren Füßen gerade gegenüber – also gewisserart auf der unteren Sonnenhälfte – hat Satan große Zerstörungen vorgenommen und treibt es zu bunt; da wirst du ihn treffen voll Grimm, Schmerz und schwerster Arbeit! Dort tue dann mit ihm, was du willst und was dir gut dünkt! Also sei es!“
18. Spricht Martin: „Ich danke Dir, o Herr und Vater; mit solcher Deiner Hilfe wird es schon gehen! Daher, Brüder, machen wir uns nur schnell auf den Weg dahin, sonst zerstört uns dieser Wicht noch vorher die halbe Sonne!“
19. Spricht Petrus: „Bruder, so wir schnellstens reisen, sind wir nun auch schon an Ort und Stelle, ohne auch nur einen Fuß bewegt zu haben. Denn im Geiste ist die Bewegung ,hier und dort‘ ein Augenblick!“
01. Martin schaut sich nun nach allen Seiten um, sieht kein Haus mehr, den Herrn nicht, niemanden außer seine obgenannten Begleiter. Alles ringsum ist wüst und zerstört. Rauch und ungeheure Feuersäulen entsteigen mit größter Heftigkeit dem zerstörten Sonnenboden. Hie und da klaffen erdweite Krater voll donnernder Glut, aus der von Zeit zu Zeit erdgroße Glühmassen in den weiten Weltenraum hinausgeschleudert werden. Hie und da stürzen viele wieder zurück unter furchtbarstem Gekrach und treiben Wasser in die großen glutvollen Krater, wodurch da wieder die mächtigsten neuen Dampfexplosionen bewerkstelligt werden. Und das alles mit einer Kraft, die eine Welt wie diese Erde auf Millionen Meilen hinauszutreiben vermag.
02. Als nun Martin sieht, wie dieser Sonnenfeuerkrater Macht mit weltgroßen Massen spielt wie auf der Erde der Wind mit Schneeflocken, spricht er erstaunt: „Brüder, das ist mehr, als was ein armseliger Menschengeist zu fassen vermag! Das ist ja doch eine Kraftäußerung, von der die ganze Erde, so sie denken könnte wie ein Mensch, sich nicht den leisesten Begriff zu machen imstande wäre! Saget es mir doch! Ist das alles Wirkung und Werk des Erzbösewichtes Satan?“
03. Spricht Petrus: „Allerdings! Denn wir helfen ihm sicher nicht, und andere unseresgleichen auch nicht. So können wir da nichts anderes annehmen, als daß das seine alleinige Wirkung ist!“
04. Spricht Martin: „Wo aber befindet er sich, auf daß wir hingehen möchten und ihm den Garaus geben?“
05. Spricht Petrus: „O Bruder, das hat es hier nicht not. Er wird dir sogleich von selbst die Ehre und das besondere Vergnügen machen! Siehe, über jenen großen Krater erhebt er sich schon so glühend wie ein flüssig Erz, das einem Schmelzofen sprühend entströmt! Mache dich nur gefaßt auf seinen Empfang; aber laß ihn dir ja nicht zu nahe kommen, sonst könnte es dir wohl ein wenig zu warm werden!“
06. Spricht Martin: „Gut, gut, Bruder, er wird mir nicht gar zu weit gehen!“
07. Hier richtet Martin sogleich machtvolle Gerichtsworte an den Satan, sagend: „Die Macht des Herrn in mir halte zur Gewinnung des ewigen Friedens aller geschaffenen Wesen dich auf jenem Glutmeere gebannt auf ewig! Und damit du desto weniger Aussicht haben sollst zur Erweckung böser Pläne, so sollen dich auch noch obendarauf einige weltengroße Berge hermetisch dicht und diamantenfest zudecken! Also geschehe es im Namen des Herrn!“
08. Als Martin diese Worte kaum ausgesprochen, geschieht es auch nach seinen Worten. Aber es dauert nicht lange, so fragt Martin den Johannes: „Bruder, du hast die Offenbarung und hast sie zu deiner Zeit geschrieben aus dem Geiste des Herrn für die Welt. Sage mir nun: ist das recht oder nicht, was ich nun mit dem Bösewicht getan habe?“
09. Spricht Johannes: „Frage dein Gemüt und daraus die Ordnung Gottes! Ich sage dir, auch du bist so alt wie dieser von dir nun Gebannte und warst, bis dich der Herr ergriff, auch eitel böse. Wenn dir darum der Herr getan hätte, wie du nun diesem mit dir zugleich geschaffenen bösen Geiste, wärest du damit wohl zufrieden?“
10. Spricht Martin: „O Bruder, das wäre wohl das Allerentsetzlichste, was mir je begegnen könnte! O sage mir, fühlt er nun in diesem Zustande auch Schmerzen?“
11. Spricht Johannes: „Ich sage dir: die entsetzlichsten, die namenlosesten! Ist dir aber dabei leichter, so dieser gar so unaussprechlich nun gequält wird?“
12. Spricht Martin: „O Brüder, nein, nein, Schmerzen soll er keine leiden, sondern bloß untätig sein; daher hinweg mit dieser Decke und mit der Glut!“
13. Sogleich geschieht es, was Martin gebietend ausspricht. Satan erhebt sich schmerzvoll auf der noch dampfenden Schlacke des ehemaligen Glutkraters und weint gar erbärmlich.
14. Als Martin solches sieht, sagt er: „Brüder, trotz seiner uralten Bosheit dauert er mich nun über die Maßen, der arme Teufel! Wie wäre es denn, so wir ihn nun zu uns beriefen und möchten ihm Wege vorschlagen, die er wandeln solle, auf daß es dann besser würde mit ihm? Denn an Intelligenz fehlt es ihm sicher nicht, wohl aber am Willen. Und da meine ich, dieser sollte mit Hilfe seiner eigenen Intelligenz denn doch einmal zu beugen sein?! Was meinet ihr lieben Brüder in dieser Sache?“
15. Spricht Johannes: „Du hast nun ganz recht; denn das ist auch des Herrn unveränderlicher Wille! Aber du wirst dich selbst überzeugen, daß ihm auf keinem anderen Wege beizukommen ist als auf dem des langen, fortdauernden Gerichtes – das nämlich in der äußern materiellen Schöpfung besteht. Dadurch wird er stets schwächer und ohnmächtiger und muß sich, solcher Schwäche und Ohnmacht bewußt, doch in gar vieles fügen, in das er sich in seiner freien, ungerichteten Vollkraft ewig nie fügen würde.
16. Aber dessenungeachtet kannst du mit ihm ja den Versuch machen, um dich selbst zu überzeugen, wie seine Intelligenz und sein Wille beschaffen sind. Berufe ihn daher hierher und er wird sogleich da sein!“
01. Martin tut, wie ihm Johannes geraten hat. Er beruft Satan mit der Macht seines Willens, und dieser steht sogleich in einer elendsten und mit tausend Brandwunden überdeckten Menschengestalt vor ihm und fragt ihn:
02. (Satan:) „Was noch willst du mir antun? Ist dir noch nicht genug, daß du mich so elend gemacht hast, wie ich nun vor dir dastehe! Willst du mich noch elender machen? Was tat ich dir? Bist du nicht glücklich, wie nur ein Geist glücklich sein kann, und das für ewig?! Meinst du, dadurch deine ewige Glückseligkeit wohl zu erhöhen, so du mich der größten Qual preisgeben würdest? O du schwacher Geist, wie weit hast du noch, bis du vollkommen wirst und begreifen die ewige Ordnung der Gottheit!
03. Siehe, du hältst mich für das grundböseste aller Wesen, somit dem Himmel gegenüber auch für das verabscheuungswürdigste und fluchbelastetste! Aber ich frage dich: wann habe ich dich beschimpft wie du mich? Welch Böses habe ich dir je zugefügt? Warst du nicht selbst es, der Gottes Gesetze aus eigener Macht übertrat auf der Erde, und brauchtest nicht im geringsten meine Lockung dazu? So ich dich verführt hätte, hätte der Herr sicher deinetwegen mit mir und nicht mit dir Rechnung gehalten gleich nach deiner Anlangung in der Welt der Geister!
04. Wohl hast du, da du das Meer deiner eigenen Bosheit mit Hilfe des Herrn ausfischtest und dadurch deine Sünden zunichte machtest, auch den sogenannten Drachen aus dir – eigentlich aus dem Meere deiner eigenen Bosheit – gehoben. Du meintest, daß ich das gewesen sei; aber ich sage dir, da bist du in großer Irre! Denn jener Drache warst du selbst im ganzen Umfange deiner gröbsten fleischlichen Sinnlichkeit, und nicht ich!
05. Wohl bin ich auch in dir – denn dein ganzes Wesen bis auf den innern Geist bin ich. Denn wie einst auf deiner Erde, die auch ganz aus mir genommen ist, der Herr aus Adams Rippe das Weib schuf, so bist du und alle Schöpfung aus mir genommen. Aber ich kümmere mich um das nicht, was aus mir genommen wird, und richte es auch nicht. Es hat ja ohnehin ein jeder das Gotteswort durch den Gottesgeist in sich, das ihn richtet allezeit und überall! Wenn aber also, was verdammst du mich denn in einem fort und bist erfüllt von einem unauslöschbaren Haß gegen mich!
06. Oder ärgert dich etwa noch, daß ich dich in meiner Verwandlung zurückstieß vor dem Angesichte des Herrn, als du mir einen Kuß geben wolltest? Siehe, so ich dich da nicht zurückgestoßen hätte, wärest du verlorengegangen im großen Pfuhle deiner groben Sinnlichkeit! Da ich dich aber zurückstieß und demütigte und dir dadurch die größte Wohltat erwies, verdiene ich darum von dir solche Behandlung?
07. So ich hier diese Sonnenbodenerschütterung bewirkt habe, so habe ich es tun müssen, weil sonst dieser Körper für seine künftige bestimmte Dienstleistung untauglich geworden wäre gleich wie ein Tier, das wohl fort und fort Nahrung zu sich nähme, aber die groben, untauglichen Exkremente nicht aus dem Leibe schaffen könnte. Wie lange wohl würde es leben und seine Dienste leisten?
08. Siehe, auch ich bin so gut wie du ein Diener der Gottheit – freilich leider ein gerichteter, nur mit höchst geringer Freiheit begabt. Ich muß tun, was ich tue! Und fehle ich irgendwo in der ganzen Unendlichkeit nur ein wenig, so ist die schärfste Zuchtrute auch sogleich über mein ganzes Wesen auf meinem Rücken! Ich bin unter allen Dienstwesen das letzte, unterste und somit auch vom Schöpfer verworfenste und elendste. Ich kann nichts tun, außer wozu ich gerichtet werde, obschon ich dabei dennoch die vollkommenste Intelligenz besitze und gar oft etwas anderes tun möchte – was mich dann nur noch elender macht!
09. Wie wäre es dir an meiner Stelle, so dich der Schöpfer an meiner Statt zu gleichen Zwecken verordnen würde? Wie würde es dir gefallen, wenn auch irgendein Martin über dich käme und täte mit dir, wie du nun mit mir getan hast? Rede nun, denn ich habe genug geredet!“
01. Spricht Martin: „Armseliger, wie ich dich nun vor all diesen lieben Zeugen und Freunden des Herrn geduldig angehört habe, so erwarte ich von dir, daß du mich nun geduldig hören wirst. Denn ich sage dir im Namen des Herrn, daß wir nun eigentlich da sind, dir zu helfen für ewig, oder dich zu richten für immer!
02. Viel sagtest du mir nun von deiner wahrlich höchst unglücklichen Lage und Stellung, in der du dich schon Äonen von großen Schöpfungszeiträumen befindest. Aber siehe, ich bin ein Hartgläubiger und sage gerade heraus, daß ich von all dem nicht den dritten Teil glaube!
03. Daß es dir sicher sehr elend geht, ja manchmal sogar unaussprechlich schlecht, glaube ich dir recht gerne. Aber die Gründe deines großen Elends glaube ich dir durchaus nicht! Denn nur zu gut kenne ich nun des Herrn endloseste Güte, Liebe, Geduld, Sanftmut und die unbegreiflichste Herablassung zu uns, Seinen Geschöpfen! Wie könnte ich da nur im geringsten glauben, daß es Sein Wille sein könnte, dich rein für das entsetzlichste Elend in der ganzen Unendlichkeit geschaffen zu haben, indem es doch sonst nirgends ein Wesen gibt, das den Herrn solch einer furchtbar schrecklichen Härte zeihen könnte!
04. Mir ging es auch, als ich in diese wahre Welt kam, gar nicht gut. Ich war elend, litt Hunger und Durst und wurde von der entsetzlichsten Langeweile geplagt, die aus Minuten Jahrtausende schuf. Aber das geschah alles, um mich zu erwecken und endlich einzuführen in das Reich der ewigen Herrlichkeit Gottes. In diesem Reiche erkenne ich stets mehr, wie alle die nur scheinbar elenden Zustände nichts als die größte Liebe des Herrn waren, auf daß ich durch sie geläutert und fähig wurde, die nunmalige Volliebe des Vaters in mich aufnehmen zu können.
05. Hätte ich meinen herübergebrachten bischöflichen Hochmut früher abgelegt – was ich, wie ich es nun einsehe, leicht hätte tun können –, so wäre es mit mir auch schnell besser gewesen. Aber ich selbst war hart und wollte es nicht, weil der bischöfliche Hochmut mich belebte und aus dem heraus eine wahre Millionsinnlichkeit! Und so mußte ich wohl leiden, aber nicht aus dem Willen des Herrn, sondern rein aus meinem höchst eigenen Willen heraus – an dem du ewig keine Schuld tragen sollst und noch weniger der Wille des Herrn!
06. So glaube ich auch fest, daß an deinem Elende niemand schuld ist als du ganz allein! Wolltest du in diesem Augenblicke dich zum Herrn wenden und als ein wahrhaft verlorener Sohn zurückkehren in den Schoß deines heiligen, ewigen Vaters: – für ewig will ich an deiner Statt das elendste Wesen der Unendlichkeit sein, so Er dir nicht augenblicklich mit liebeerfüllten Armen entgegenkäme und dich unter der größten Festlichkeit aller Himmel als Seinen liebsten Sohn aufnähme!
07. Durch dich selbst, ärmster Bruder, tue das, und dein großes Elend hat augenblicklich ein Ende! Vergib mir auch, daß ich oft hart war und legte meine Sünden dir zur Last! Ich nehme nun alles auf meine Rechnung und will dir ewig gut sein, so du meinen Vorschlag annimmst und darnach handelst!
08. Ich bekenne auch, daß ich gar nicht wert bin, dir als dem ersten und größten Geiste aus Gott solch einen Vorschlag zu machen. Denn ich weiß, daß in dir noch jetzt in deinem Gerichte endlos mehr Weisheit und Stärke ist, als ich, ein wahres Nichts gegen deine Größe, je werde begreifen können. Aber eben darum, weil ich dich deiner Größe wegen so schätze und als den Erstling Gottes hoch verehre, wünsche ich gleichwie alle Himmel, daß du endlich einmal zu deinem Gott, zu deinem Vater umkehren möchtest!
09. Es sind ja schon Ewigkeiten verronnen, in denen du stets bemüht warst, dich über den ewigen, allmächtigen Gott zu schwingen durch alle Mittel, die deiner tiefsten Weisheit und übergroßen Macht nur möglich waren! Du hast durch sie nicht nur nie etwas erreicht, sondern bist nur allzeit elender, schwächer und armseliger geworden. In nichts bist du dadurch reicher geworden als in dem nur dich selbst verzehrenden Grimm und Zorn gegen Gott.
10. Wohl zahllose Male hast du schon gleiche und auch bessere Einladungen bekommen, wie diese meine nun ist. Aber sie gingen fruchtlos an deinem mir unbegreiflichen Starrsinn vorüber. Aber siehe, einen elenderen Boten hast du sicher noch nie in solcher Absicht vor dir gehabt, als mich nun; mache daher nun eine Ausnahme und kehre mit mir um!“
11. Spricht Satan: „Du hast nun wahrlich sehr artig und nett geredet. Ich vergebe dir darum auch alle deine Grobheiten, die du mir angetan hast. Was aber dein mir nur schon zu bekanntes Begehren betrifft, werde ich dir erst dann antworten können, wenn im ganzen unermeßlichen Schöpfungsraume keine Sonne und keine harte Erde mehr mein Wesen gefangenhalten wird.
12. Denn mein Ich ist das unermeßliche All; dieses aber ist gerichtet. Wie kann ich des Gerichtes los werden in meiner Allheit? Was du hier vor dir siehst, ist nur der innerste Lebenskern meines für deine Begriffe endlosen Seins! Kannst du mir geben, was ich verloren habe, dann will ich dir auch unverzüglich folgen!“
13. Martin starrt den Satan an und spricht nach einer Weile ganz ernst: „Ja, durchaus alles, armseligster Erstling aus Gott; also folge mir!“
14. Spricht Satan: „Womit kannst du dein Versprechen mir als völlig wahr garantieren?“
15. Spricht Martin: „Mit der endlosen Liebe Gottes, deines Vaters! Genügt dir diese?“
16. Spricht Satan: „Freund Martin, du meinst es nach deinen beschränkten Begriffen wohl recht gut mit mir. Deine Garantie ist gut und annehmbar für Geister, die wie du endlich und beschränkt sind. Ob aber diese Garantie auch mir, der ich gleich Gott – wennschon aus Gott – ein unendlicher Geist bin, genügen kann, das ist eine andere Frage!
17. Siehe, für eine Mücke wirst du bald und leicht Futter in Menge finden, aber nicht so leicht für einen Elefanten und noch weniger für den riesigsten Leviathan, der berggroße Brocken zu seiner Sättigung braucht!
18. Und so ist die für dich unendliche Liebe Gottes für endliche Wesen wohl mehr als genügend groß, um sie alle für ewig zu sättigen. Aber für einen ebenbürtigen unendlichen Geist dürfte sie nur dann genügend sein, so sie nur ihn allein zu sättigen hätte!
19. Aber neben ihm noch eine Unendlichkeit von zahllosen Wesen sättigen, von denen mit der Weile ein jedes Unendliches benötigen wird: siehe, da hat auch die unendliche Liebe der Gottheit notwendig ihre Grenzen, weil sie aus ihrer einen Unendlichkeit zwei Unendlichkeiten zu erhalten hätte, was da rein unmöglich wäre.
20. Ich brauche selbst jetzt noch endlos viel durch den ganzen Schöpfungsraum physisch und moralisch, wo ich allerhärtest gefangen bin. Um wieviel mehr würde ich erst dann in meiner wiedergewonnenen Freiheit brauchen!
21. Ich sage dir und auch euch allen, die ihr hier seid: Ich kehre euretwegen nicht zurück. Denn kehre ich zurück, so gehet ihr unter und zugrunde! Ich allein weiß, wie groß Gott ist, wieviel Er hat und was Er geben kann. Ich sehe es ein, daß Er mich und euch unmöglich zugleich erhalten kann. Daher bleibe ich lieber ewig elend, auf daß ihr als meine Kinder die mir allein gebührende Herrlichkeit genießen könnet – was ich euch auch von ganzem Herzen gönne!
22. Ich sehe wohl ein, daß Gott unendlich gut ist; aber eben Seine zu unendliche Güte macht Ihn zum Verschwender! Würde ich aus Liebe zu euch, meinen Kindern, Ihm nicht die freilich sehr heiße Stange halten und Ihn manchmal beschränken in Seiner zu ungeheuren Großmut, so dürfte Er bald wieder auf die Erde gehen und dort bei Seinen harten Geschöpfen Brot suchen!
23. Du siehst also, daß mir die endlose Liebe Gottes nicht als annehmbare Garantie dienen kann. Da mußt du mir schon eine andere geben, die mir mehr taugen wird als diese!“
01. Spricht Martin: „Mein armseligster Freund, du hast logisch folgerecht die Gründe vor uns aufgedeckt, aus denen dir als selbst endlosem Geiste die unendliche Liebe Gottes nicht genügen kann. Aber ich meine, so du von deinem Verlangen etwas handeln ließest und würdest dich gleich uns zufriedenstellen mit dem, was ein jeder von uns hat – was doch sicher ungeheuer mehr wäre, als was du nun in diesem elenden Zustande hast –, so wäre es für dich ja doch endlos besser als jetzt? Und da, meine ich, wäre die endlose Liebe Gottes wohl eine hinreichend mächtige Garantie für deine Umkehr!
02. Jetzt bist du im Grunde so gut wie nichts, du hast nichts und mußt immer viel leiden. Dann aber würdest du doch wenigstens das werden, was wir sind, und würdest auch nicht mehr brauchen als wir! Wäre denn das nicht besser, als es nun mit dir steht?
03. Du bringst aber, wie du sagtest, aus Liebe zu uns, deinen eigentlichen Kindern, ein unendliches Opfer – was sicher keiner von uns je verlangen kann. Da könntest du dann ja auch ein Opfer so bringen, daß du als Beweggrund zu deiner Umkehr nicht alles wieder zurückfordertest, sondern bloß nur so viel, als da ein jeder von uns hat! Das würde für die unendliche Freigebigkeit Gottes wohl keinen Unterschied machen und die große Vorratskammer des Vaters nicht ärmer machen!
04. Was sagst du dazu? Ich meine, so könnte es ja auch gehen!“
05. Spricht Satan: „Mein lieber Martin, du redest, wie du die Sache einsiehst in deiner natürlichen und notwendigen Beschränktheit. Weil du dabei sehr artig bist, so kann ich auch mit dir die rechte Geduld haben. Aber bedenke nur, was da sein und was durchaus nicht, ja unmöglich sein kann! Kann ich denn kleiner werden, als ich bin? Siehst du denn noch nicht ein, daß der ganze unendliche Schöpfungsraum lediglich mit meiner unteilbaren Wesenheit erfüllt ist!
06. Oder könntest du, um weniger zu brauchen, dir die Füße, die Hände, ein Glied ums andere wegnehmen lassen, um so deine Bedürfnisse zu verringern? Denn ohne Füße würdest du schon ein kürzeres Kleid brauchen, ohne Hände ein Kleid ohne Ärmel, und der Magen würde für weniger Glieder auch weniger zu tun brauchen und also auch weniger Nährstoffe benötigen. Diese Rechnung wäre richtig; nur sage mir, ob du dich damit wohl zufriedengeben würdest?“
07. Spricht Martin: „Armseliger Freund, ich meine, dessen würde es bei dir ebensowenig wie bei mir dem Herrn gegenüber benötigen! Denn muß sogar ein jeder Mensch seinen Leib zurücklassen, der doch auch eine Zeitlang seine Wesenheit ausgemacht hat, so könntest du wohl auch deine materielle Wesenheit fahren lassen und dich, so wie wir, nur mit der geistigen begnügen. Der Herr aber würde dann mit deinem großen Weltenleibe schon sicher die allerweiseste und beste Verfügung treffen, wie Er sie mit unserem kleinen Leibe trifft! Siehe, wir sind mit diesem edelsten geistigen Leibe vollkommen zufrieden; so könntest du es ja auch sein?!“
08. Spricht Satan: „Lieber Freund, du sprichst immer nur, wie du die Sache in deiner Beschränktheit verstehst. Das kommt daher, weil du deine Augen nicht, wie ich die meinen, über die Schöpfung hinaus erheben kannst, die meine Wesenheit ist. Dein Wille ist gut und dein Herz ist gut. Aber deine Weisheit ist nur ein leuchtender Punkt in der Unendlichkeit!
09. Siehst du denn nicht ein, daß jedes Sein eine Basis, einen Stützpunkt haben muß, um entstehen und dann bestehen zu können? Jede Kraft muß eine Gegenkraft haben, um sich als solche äußern zu können! So zwei Kräfte gegeneinander auftreten, finden sie aneinander Widerstand und äußern sich dadurch auf dem Wege polarischer Gegenwirkung. Erst durch solch eine kampfähnliche oder -gleiche Äußerung zweier Kräfte kann ein Sein bewerkstelligt werden.
10. Nun siehe: Gott ist die positive oberste Kraft, – ich als die negative unterste ebenso unendlich wie Gottes oberste in ihrer Art! Gott könnte ohne mich ebensowenig Sich äußern als ich mich ohne Gott!
11. So ich aber nun nach deinem Rate zurückträte zur Gottheit und würde dadurch eine positive Kraft mit Ihr – sage, müßte da nicht alle bisherige Schöpfung aus Gott und aus mir sich in ein eitelstes Nichts auflösen? Und alles in unser Ursein als bloße Idee zurücktreten und da aufgeben Wesenheit, Sein und Bewußtsein?
12. Rede nun und überzeuge mich, daß das Fortbestehen aller Dinge auch auf andern Wegen möglich ist, so will ich dir folgen!“
13. Spricht Martin: „Weißt du, so tief wohl reicht meine Weisheit nicht, und ich glaube, auch diese meine Brüder werden ihre Augen noch nicht über die Unendlichkeit hinaus erhoben haben. Aber ob der Herr in der Erhaltung Seiner bisher geschaffenen Werke nunmehr gerade auf dich notwendig beschränkt ist, das möchte ich wohl mächtig bezweifeln!
14. Es war wohl vor Seiner Menschwerdung eine alte Erde und ein alter Himmel, die ruhten wohl auf dir, da warst du wohl der negative Pol. Als aber der Herr Selbst Fleisch annahm, da verwarf Er deine Polarität und setzte in Sich Selbst eine viel tauglichere, Seiner würdigere und für alle Ewigkeiten haltbarere an die Stelle der deinen! Mit dieser kittete Er die durch deine Schwäche aus allen Fugen gehen wollende Schöpfung wieder von neuem fest zusammen. Damit verging gewisserart das Alte und etwas ganz Neues trat an seine Stelle.
15. Vor der Menschwerdung wohl warst du vielleicht eine Notwendigkeit. Aber nach dieser bist du nichts mehr und nichts weniger als jeder andere Geist und bist zur Erhaltung der Dinge durchaus nicht mehr notwendig. Daher meine ich, du solltest nun solches einsehen und tun nach meinem Verlangen!“
16. Spricht Satan etwas mehr erregt: „Freund, du wirst nun schon wieder ein wenig keck; aber die Beschränktheit deiner Weisheit entschuldigt dich!
17. Siehe, du Kurzsichtiger, wer half denn damals der Gottheit, daß Sie solch eine neue Schöpfung bewerkstelligen konnte? War nicht ich es, der Ihn verfolgen mußte, der Ihn versuchte und endlich Ihn sogar dem Fleische nach mußte töten helfen, damit Er so mein negatives Polarwesen des Schmerzes und Leidens in Seine positive Gottnatur aufnehmen konnte?
18. Diese Natur ist nun eben das in Gott, was du Seine unendliche Liebe genannt hast! Diese aber – wie ich dir schon ehedem bemerkt habe – kann wohl euch endlichen Wesen genügen. Mir aber darum nicht, weil ich selbst unendlich und ewig bin! Und jetzt schon gar nicht, wo noch so viele Myriaden Sonnen und Erden fest dastehen, die noch durchaus mein Wesen sind!
19. Ah, wenn einmal alle Materie als negative Polarität aufgelöst in Gott übergegangen sein wird, dann wohl. Da erst wird meine Verneinung vollends überflüssig werden. Ich werde dann als ein all des Meinen entblößter Geist wohl das tun können, was du nun von mir verlangst!
20. Dann werde ich kleiner werden, als ich nun bin. Und ich werde nicht viel mehr zu meinem Unterhalte benötigen als du nun und werde eure Glückseligkeit nie mehr gefährden können. Jetzt aber würde es euch allen noch sehr schlecht ergehen, so ich mit dir gleich völlig zum Herrn mich umkehren würde! Ich werde daher wohl noch einige Äonen von Erdjahren so, wie ich nun bin, verharren müssen, bis ich deinem Wunsche ohne Gefahr für euch alle werde folgen können!
21. O Freund, o Sohn, ich kenne nur zu gut die endlose Süßigkeit der Himmel, kenne aber auch das entsetzlich Herbe meines Zustandes! Aber was kann ich tun?
22. Siehe, übers Knie läßt sich keine ausgewachsene Eiche mehr beugen, noch weniger ich als die Ureiche aller Schöpfung! Aber mit der Zeit und nach den rechten Umständen wird schon auch noch dein artiger Wunsch in Erfüllung gehen können.
23. Ihr solltet aber nun lieber zur Erde eure Blicke wenden, wo es nun sehr arg zugeht. Da würdet ihr Besseres tun, als so ihr vor der Zeit das jetzt noch rein Unmögliche wollt möglich machen! – Was meinst du darüber, mein lieber Sohn Martin?“
01. Spricht Martin: „Armseliger Freund, das kann wohl alles so möglich sein, wie du nun mit gütiger Geduld es mir erörtert hast. Aber siehe, ich bin wie alle Blinden denn doch sehr ungläubig, oder vielleicht auch mehr dumm als ungläubig. So kann ich durchaus nicht recht begreifen, wie nun die Schöpfung ohne dich nicht sollte bestehen können? Besonders, so du durch deine Umkehr zu Gott nicht nur nicht aufhörst zu sein, sondern in deinem Sein nur endlos vollkommener werden würdest!
02. Wohl weiß ich aus dem Herrn, daß du durchaus erhalten werden mußt, weil durch dich zufolge der göttlichen Ordnung die Erhaltung der Naturkörper und Wesenheiten abhängt. Allein, was liegt denn an den vergänglichen Wesenheiten?
03. Bist du einmal als vollendet gewonnen – was da ganz rein und allein von deinem Willen abhängt –, so ist dann die ganze Materie ohnehin ganz überflüssig! Sie wird – da sie nichts als dein gerichteter Starrsinn ist – mit deiner Umkehr und Vollendung ohnehin nach des Herrn Wunsche sogleich aufgelöst und vollendet werden in der reingeistigen Wesenheit, die in ihr nun geknebelt und gefangen ist durch deinen gerichteten Starrsinn!
04. Aber unsere geistige Wesenheit und die neue Erde und der neue Himmel haben mit dir wahrlich nichts zu tun, da ihr ewiger Bestand lediglich im Herrn allein seine Polaritäten findet, die da sind Liebe und Weisheit, oder Gutes und Wahres!
05. Du hast wohl recht, daß du ehedem unsere Blicke zur Erde wiesest, wo es arg zugehe. Aber ich behaupte, mein armseliger Freund und Bruder, so du umkehrst, da wird im Augenblicke nicht nur die Erde, sondern die ganze Schöpfung in ihrer ursprünglichen göttlichen Reinheit und Vollendung dastehen! Alle Bosheit wird aufhören, und was noch den gerichteten mühsamen Weg des Fleisches und der Materie durchmachen müßte, wird in und durch deine Umkehr im Augenblicke vollendet dastehen!
06. Denn der ganze Fleischweg ist ja nichts anderes als eine mühsame Losschälung von dir und eine beschwerliche Erstehung aus deinem Gerichte. Hat aber bei dir das Gericht ein Ende, wozu wäre dann die Materie, wozu der beschwerliche Leidensweg des Fleisches?
07. Ich meine, daß ich nun auch die vollste Wahrheit geredet habe, und das aus meinem bestmöglichen Herzen und Willen. Tue du nun darnach und du wirst sehen, daß die Sache ganz anders ausfallen wird, als du sie dir nun vorstellst!“
01. Spricht Satan: „Freund, das Beste bei deinem Reden ist, daß du deine Kurzsichtigkeit mir gegenüber sehr artig und gelassen vorbringst. Sonst aber bist du in deiner Auffassung dieser Dinge und Verhältnisse noch um eine ganze Ewigkeit zurück!
02. Ich sehe aus allen deinen Worten, daß du alles, was ich nun zu dir geredet habe, auch nicht ahnungsweise verstanden hast. Es wäre daher auch vergebliche Mühe, dir die tieferen Lebensverhältnisse zwischen Gott und mir näher zu enthüllen, da du sie noch viel weniger fassen würdest als das bisher Gesagte!
03. Daher meine ich, wir sollten uns im Frieden wieder verlassen und uns unseren notwendigsten Geschäften weihen. Denn durch unser gegenseitiges unverstandenes und somit fruchtloses Hin- und Herreden werden wir ewig zu keinem Zwecke gelangen. Ich verstehe wohl, was du möchtest. Du aber verstehst es nicht und kannst es auch nicht verstehen, was da möglich oder unmöglich ist. Daher ist all dies Wortetauschen mit dir eine vergebliche Arbeit!
04. Aber ich werde dir, weil du so artig bist, doch etwas sagen, und das wird dir sehr nützlich sein! Siehe, du wie alle deine Welt sieht in mir den Grund alles Erzbösen, das da hervorginge aus meiner alle Engelsbegriffe übersteigenden Hoffart! Ich lasse es auch gelten, wenn Selbstgefühl, das Bewußtsein des Daseins, die Selbstbestimmung seiner Kräfte und daraus hervorgehende notwendige Tätigkeit diesen beleidigenden Namen verdiente. Aber was ist denn das bei dir, Freund Martin, so du mich eigentlich bloß darum zur Umkehr bewegen möchtest, um dir sogar aus des Herrn Munde in allen Himmeln den größten Namen zu bereiten?
05. Du hast mit deiner Zunge an den Bewohnern dieser Welt siegend gewirkt, und der Herr hat dir darum ein großes Lob zukommen lassen. Er hat dich ausgezeichnet vor allen deinen gleich und mehr verdienten Brüdern; nun möchtest du durch meine Besiegung dir wohl des Himmels größten Ruhm bereiten! Du möchtest nun bald lobend und rühmend von dir sagen hören: ,Da seht, seht! Was bisher Myriaden mächtigster Geister, was selbst Gott nicht gelungen ist, das ist dem schwachen Martin rühmlichst gelungen!‘
06. Meinst du, Martin, daß solches Bestreben etwas anderes ist als die größte versteckte Hoffart, gegen die die meine ein pures Nichts ist? Gib diese auf aus dem innersten Grunde, dann erst werden wir vielleicht weiterreden können! Denn siehe, ich bin Licht, so ich in meiner wahren Gestalt vor dich hintrete. Daher mußt du ganz rein sein, dann erst werden mir miteinander wirksam reden können! Gehe daher hin und reinige dich von allem Schmutze, dann erst komme wieder und rede mit mir, dem Urlichte der Ewigkeit!“
01. Martin stutzt nun bei diesen Worten Satans sehr, und das um so mehr, weil er sich dabei wirklich ein wenig getroffen fühlt. Er wendet sich daher, als sein Gemüt etwas ruhiger wird, an Johannes und spricht: „Lieber Bruder, der du wie keiner mit des Herrn Weisheit erfüllt bist, was sagst denn du dazu? Soll ich wohl in diesem einzigen Punkte dem Satan glauben? Nach meinem innersten Gefühl hat er allerdings nicht gar zu unrecht!“
02. Spricht Johannes: „Laß du nun diese Sache; denn wo wir noch nie etwas ausgerichtet haben, da wird auch deine Mühe vergeblich sein! Gebiete ihm im Namen des Herrn Ruhe; darauf aber wollen wir wieder heimwärts zum Vater ziehen! Dieser allein soll mit ihm machen, was Er will, und das wird auch das Beste sein!“
03. Spricht Satan: „Und gerade nicht, weil du meinem Martin solch einen Rat gegeben hast, werde ich mir von ihm Ruhe gebieten lassen. Ich werde Martin die Ehre antun und werde mit ihm hin vor den Herrn ziehen, um dort die Sache, die ihr alle nicht verstehen könnt, mit Ihm Selbst abzumachen! Geht nun heim, ich werde euch freiwillig folgen zum Herrn hin!“
04. Spricht Johannes: „Wir aber kennen leider deine Absichten und wissen genau, daß du nie gefährlicher bist, als wenn du im Kleide der Humanität auftrittst! Daher, so du den Mut hast, wirst du schon allein dich zum Herrn begeben müssen, denn wir haben keinen Auftrag, dich als des Herrn größten Feind mitzunehmen.
05. Ach, ganz was anderes wäre es, so du dich nach dem sehr guten Rate Martins bekehrt hättest und wärest als ein reuevoller verlorener Sohn in den heiligen Schoß des Vaters zurückgekehrt! Da wohl wärst du uns allen der willkommenste Begleiter gewesen. So aber können wir dich wahrlich durchaus nicht brauchen.
06. Wie aber gesagt, so du zum Herrn willst, da ist dir der Weg nur zu wohl bekannt. Mit uns aber kannst und darfst du so, wie du nun bist, ewig in keiner Gemeinschaft wandeln! Also sei es im Namen unseres und deines Gottes und Herrn!“
07. Satan macht darob eine sehr finstere Miene und spricht: „Wenn der Herr Boten, wie du einer bist, an mich sendet und ferner senden wird, schwöre ich dir bei allem, was mir heilig ist, daß mich Ewigkeiten nicht zur Umkehr bewegen werden – und mag der Herr mich auch mit dem Feuer aller Zentralsonnen richten!
08. Martin könnte mit mir etwas ausrichten, aber Johannes und Petrus und Paulus ewig nimmer! Schreibe dir diese Worte hinter deine Ohren, du harter, unbarmherziger Klotz von einem Jünger Christi! Meinst du denn, daß ich etwa Furcht oder Scheu vor dir und deinen Sentenzen habe, dieweil du Johannes, der Evangeliumschreiber und der Offenbarungskratzer bist? Oh, da irrst du dich sehr!
09. Siehe, eine von mir geschaffene Schmeißfliege ist mir endlos teurer als tausend solcher Propheten, wie du einer bist! Schäme dich ob deiner großen Herzenshärte gegen diejenigen, die desselben Schöpfers Werke sind, aber freilich leidend, elend und gequält ewig!
10. Trefflich hat euch der Herr Selbst dadurch gezeichnet, wie ihr beschaffen seid, da Er im Gleichnis vom verlorenen Sohn sagte: Als aber der Vater dem heimgekehrten armen, verlorenen Sohne ein großes Fest bereitete und des Vaters andere Söhne und Kinder vernahmen, daß es in des Vaters Hause überfröhlich zugehe, da kamen sie herbei und sagten ärgerlich: ,Uns, die wir dir stets treu waren, hast du noch nie ein Fest gegeben! Aber da dieser Verworfene zurückkam, der dich so sehr beleidigt hat, daß darob Himmel und Erde erbebten und starr wurden vor Entsetzen, diesem gibst du deinen Siegelring und bereitest ein größtes Festmahl!‘
11. Was der Vater von diesen ärgerlich Murrenden darauf sagte, brauche ich dir nicht wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Denn du bleibst dennoch, der du bist: voll Härte und Unbarmherzigkeit in deinem Herzen wie alle deines Gelichters!
12. Aber Martin nehme ich aus! Er war zwar, durch euch geleitet, eine Weile sehr grob. Aber er hat sich gebessert und seine Unterredung mit mir war seit Äonen undenklicher Zeiträume der erste selige Augenblick für mein Herz. Daher soll er von mir auch ewig hochgeachtet bleiben! Und so mit mir je jemand etwas ausrichten wird, so wird es Martin sein; aber von euch andern allen erspare sich ewig jeder die Mühe! Geht nun; ich aber werde bleiben!“
13. Spricht Johannes: „Du tust mir sehr unrecht! War nicht ich es, als dich Martin durch seine Macht für ewig in das Feuer jenes dampfenden Feuerkraters warf und bannte und dich noch obendarauf mit glühenden Bergen bedeckte, der dies Martin verwies und ihn dahin stimmte, daß er dich wieder frei machte? Da ich aber solches tat, wie bin ich denn nun ein harter, unbarmherziger Klotz?“
14. Spricht Satan: „Freund, rede nur du mir von deiner Barmherzigkeit nichts! Martin tat, was er tat, in seiner Unüberlegtheit. Und da er es bald einsah, daß er nicht recht handelte, änderte er sogleich seine unüberlegte Handlung. Du aber bist entschieden, was du bist, und änderst deinen Ausspruch nie, ob er gerecht oder ungerecht ist. Darum hasse und verachte ich dich mehr als alle meine ärgsten Leiden und Qualen! Dir, Martin, meine Achtung, euch andern aber ewig meine tiefste Verachtung! Hebet euch nun von dannen, sonst fange ich ein Spektakel an, wie es die ganze Unendlichkeit bisher noch nie gesehen hat!“
15. Spricht Johannes: „Wir sind nicht da, daß wir dir gehorchen sollen, sondern dich zu hemmen in deiner Bosheit nur sind wir da. Wir werden uns daher auch heben, wenn der Herr es wollen wird, und nicht nach deinem Willen! Willst du aber Spektakel machen, so kannst du es ja versuchen. Es wird sich dann gleich zeigen, ob unsere Macht über dich nicht größer sein wird als die deinige über uns!
16. Weil du uns aber befohlen hast, daß wir uns sogleich von hier heben sollen, so könnten wohl auch wir aus des Herrn Namen dir nun etwas ganz anderes gebieten. Aber wir wollen nicht Böses mit Bösem vergelten, sondern geben dir bloß den Rat, dich nun ferner völlig ruhig zu verhalten, so du schon dem Rufe Martins nicht folgen kannst oder willst. Denn siehe, es ist dies der letzte kurze Termin, der dir noch zu deiner Umkehr belassen ist! Wirst du diesen nicht benützen, so wirst du für ewig allerschärfstens gerichtet werden!
17. Wohl rupftest du uns das Evangelium vom verlorenen Sohne vor und wolltest uns darin unserer Härte zeigen. Aber ich sage dir, der verlorene Sohn wird auch ohne dich zurückkehren, und zwar in den vielen gottergebenen Brüdern, die eines Sinnes wie ein Mensch vor Gott stehen werden. Du aber wirst dem reichen Prasser gleich in das ewige Feuer des Gottesgerichtes auf ewig verworfen werden, so du dem Rufe Martins nicht ehestens folgen wirst!“
18. Spricht Satan: „Der Herr soll tun, was Er will. Ich aber werde auch tun, was ich werde wollen. Ich werde Ihm und euch allen zeigen, daß der Herr wohl mit Seiner Macht die ganze Unendlichkeit wie Spreu verwehen kann, aber mein Herz und mein Wille soll ewig aller Seiner Allmacht und Weisheit den härtesten, unbesiegbaren Trotz bieten! Tuet ihr nun, was ihr wollet, und ich werde auch tun, was ich werde wollen!“
19. Spricht darauf Martin zu Johannes: „O Bruder, wie ich nun sehe, ist alle unsere Mühe vergeblich; daher gehen wir! Denn nun sehe ich schon klar, daß mit diesem Satan nichts weiter mehr zu machen ist!“
20. Spricht Johannes: „Lieber Martin, so er uns nicht heimzuziehen geboten hätte, da wären wir schon heimgezogen. Aber sein Wille darf den unsrigen nicht bestimmen, daher wollen wir noch ein wenig verweilen. Denn zögen wir nun auf sein Wort von hier, wäre das für ihn ein Triumph über uns. So aber er über uns triumphierte, da stünde es schlecht mit uns! Daher wollen und müssen wir noch ein wenig verweilen und diese Gegend in Ordnung bringen; also sei es denn!“
01. Satan merkt, daß die Gesellschaft auf sein Geheiß nicht fortziehen will. Daher wird er stutzig und in seinem Innern grimmglühend, welcher Zustand ihm auch äußerlich ein sehr abschreckendes Aussehen verleiht.
02. Martin merkt das und spricht zu Johannes und den andern Begleitern: „Freunde, wie ich merke, sieht es mit dem verlorenen Sohne nun eben nicht am besten aus! Ein furchtbarer heimlicher Zorn blitzt aus seinen Augen, seine in tausend finstere Falten gefurchte Stirn und seine ebenso entstellten Mundwinkel deuten auf eine furchtbare Rache hin, die er zu nehmen willens ist!
03. Ich meine, du, Bruder Johannes, bist ihm vielleicht doch ein wenig zu hart an den Leib gegangen? Ich muß dir sagen, daß ich bei seinem Anblicke, trotz der mir innewohnenden Kraft des Herrn, in eine nicht unbedeutende Furcht gerate. Nicht etwa, daß er uns etwas anhaben könnte, sondern wegen der sichern und gänzlichen Vergeblichkeit aller unserer Bemühungen. Dort schaue die Gesichter des Uhron und Shonel nur an; diese beiden vergehen nahezu schon vor Angst! Um des Herrn willen, was wird da nun herauskommen?“
04. Spricht Johannes: „Wahrlich, die Sache sieht allerdings übel aus. Aber ich sage dir: nur keine Furcht vor ihm! Denn auch Furcht vor ihm ist eine Art Hingebung unserer Macht unter seine Kraft; das wäre auch eine Art Triumph auf seiner Seite über uns, was wir nie zugeben dürfen! Denn täten wir das, würden wir von seiner bösen Polarität so angezogen, daß es uns dann große Mühe kosten würde, uns von ihm loszuschälen.
05. Siehe, er ist mit dir wohl sehr human umgegangen und hat dir bedeutende Verheißungen gemacht. Aber das tat er nicht etwa, um sie deiner Artigkeit wegen zu erfüllen, sondern nur, um dich dadurch als einen unerfahrenen Neuling dieses Reiches in seine Schlingen zu fangen!
06. Kennst du dich nun aus? Da ich aber seinen feinen Plan durchschaute und vereitelte, so ist er nun heimlich voll höchsten Grimmes und würde uns alle zermalmen vor Wut, so er sich unserer Macht gewachsen fühlte. Aber da er nur zu gut einsieht, wie himmelweit seine Macht hinter der unsrigen steht und wie ohnmächtig er gegen uns ist, so wird er darum nun über die Maßen zornig, grimmig und wütend in seinem Inneren!
07. Allein, wir dürfen uns nicht im geringsten etwas daraus machen, da wird er bald wieder ein ganz anderes Gesicht uns zeigen!“
08. Satan stößt hier mit seinem Fuße so gewaltig in den Boden, daß dieser weit und breit erbebt, und spricht dann gewaltig zu Johannes: „Elender, bist du noch nicht zur Genüge gesättigt an meinem Elend? Wenn ich nunmehr nichts bin und in der großen Schöpfung keinen Wert mehr habe, so zerstöre mich ganz mit deiner Macht über mich, wenn du dich getraust! Siehe aber dann zu, ob du mit meiner Vernichtung nicht auch dich vernichtet haben wirst!
09. Aber ich sehe nur zu gut, wie dir an meiner Erhaltung wegen der deinen alles gelegen ist. Darum bist du dann auch eine feigste Memme, hast die scheußlichste Furcht vor mir, weil dir meine Arbeit sicher nicht also schmecken möchte als die der weichen Himmel! Du fürchtest meinen Triumph über dich und sprichst, man solle vor mir keine Furcht haben!
10. O du dummer Kopf, welche Furcht ist denn ärger: die leere vor mir oder die vor meinem Siege über dich? Siehst du denn nicht ein, daß solch eine Furcht für mich ein größter Triumph ist? Rede, ist es nicht so?“
11. Spricht Johannes: „O himmelweit und tausend Male nein! Denn etwas ganz anderes ist Furcht vor einem Benehmen, durch das man bei deiner schroffsten Verkehrtheit dir ähnlich werden könnte, und ganz etwas anderes eine läppische Furcht vor deiner individuellen Wesenheit. Die erste könnte einem reinsten Geiste sehr schädlich werden, während die zweite bei einem starken Geiste aus dem Herrn heraus ohnehin unmöglich ist und den schwächeren Geistern darum nicht schaden kann, weil sie immer mächtigste Schutzgeister um sich haben!
12. Daher warnte ich Martin hauptsächlich vor solchen Eingebungen in deinen Willen, die dir offenbar einen Triumph über uns einräumten, der sogar auch mir gefährlich werden könnte. Nicht so sehr aber aus Furcht vor dir selbst, der du gegen uns keine Macht hast außer die der Lüge und Überredungskunst!
13. Daß du aber der dummstolzen Meinung bist, daß ich darum eine Furcht vor dir hätte und mir nicht getraue, dich zu vernichten, weil ich fürchtete, durch deine Vernichtung mich selbst zu vernichten: o Satan, da bist du in einer sehr großen Irre! Denn meine Erhaltung und die Erhaltung unser aller hängt ebensowenig von der deinigen ab als die des Herrn Selbst, da wir nunmehr alle ewig im Herrn leben und der Herr durch Seine Vaterliebe in uns!
14. Daraus aber kannst du als ewiger Lügner erkennen, daß ich dich gar wohl gänzlich vernichten könnte, ohne meiner Existenz dadurch auch nur um ein Härchen Abbruch zu tun. Daß ich aber solches nicht tue, daran ist nicht etwa meine Liebe zu dir oder meine Furcht vor dir, sondern lediglich des Herrn endlose Liebe und Geduld schuld, die auch in meinem Herzen wohnt.
15. Wahrlich, so es lediglich auf mich ankäme, hätte die ganze Unendlichkeit schon längst vollkommene Ruhe vor dir; denn ich, Johannes, hätte dir schon lange den Garaus gemacht! – Ich meine, du wirst meine sehr offene Rede wohl verstanden haben?“
16. Spricht Satan: „Ja, wohl habe ich sie verstanden! Aber leider auch die allzeit wiederkehrende empörende Erfahrung gemacht, daß gerade ihr sogenannten reinen Himmelsgeister die allerunreinsten und Gottes unwürdigsten Begriffe und Vorstellungen von Gott habt!“
17. Spricht Johannes: „Wieso? Rede! Das scheint ein neuer, von dir bisher noch nie vorgebrachter Fangkniff zu sein! Wir wollen ihn hören!“
18. Spricht Satan weiter: „Du fragst: ,Wieso?‘ Gelt, das klingt deinem sogenannten himmlisch-reinsten Ohre sonderbar und neu? Warte nur ein wenig, es soll dir sogleich ein Licht aufgehen, über das du dich ewig wundern sollst! Willst du aber das Licht, so habe die Gefälligkeit, mir die Fragen kurz zu beantworten, die ich dir nun geben werde!
19. Ich gebe dir aber zuvor die heiligste Versicherung, daß ich für ewig mich allem frei unterwerfen will, was du nur immer von mir verlangen wirst, so du mich einer Unwahrheit wirst zeihen können. Wirst du aber das nicht imstande sein, so bleibe ich, was ich bin. Du aber kannst samt deinem Anhang, von mir ganz unberührt und unbeirrt heimziehen und dir dann in deiner himmlischen Heimat reinere und würdigere Begriffe von Gott sammeln!“
20. Spricht Johannes: „So frage denn; aber mit deinen alten, mir schon zu sehr bekannten Fragen komme mir nicht, denn da würden wir bald ausgeredet haben!“
21. Spricht Satan: „Nun wohl, denn es gilt hier Sein oder Nichtsein. Ich werde sehen, wie weite Sprünge du mit deiner Weisheit vor mir machen wirst! – Frage: ,Ist Gott allgegenwärtig oder nicht?‘“
01. Johannes antwortet: „Allerdings, Seinem Gottwesen und Willen nach ist Gott unendlich und somit auch allgegenwärtig. Aber als wesenhafter Gottmensch und wahrster Vater Seiner Kinder wohnt Er nur unter Seinen Kindern im Himmel der Himmel!“
02. Spricht Satan: „Gut, du bekennst sonach die Allgegenwart Gottes unwiderruflich. So sage mir gefälligst auch, ob Gott allerhöchst weise und durchaus gut ist und daraus allwissend und allsehend? Und wählt Er zur Erreichung Seiner Zwecke zufolge Seiner höchsten Weisheit und endlosen Güte wohl auch alle Male die besten und tauglichsten Mittel?“
03. Antwortet Johannes: „Allerdings; denn Gott ist in Sich die reinste Liebe, und diese kann nicht anders als ewig durchaus gut und allerhöchst weise sein! Ich weiß aber schon, wo du hinauswillst; aber frage nur zu, ich werde dir keine Antwort schuldig bleiben!“
04. Spricht Satan weiter: „Hat Gott wohl alles erschaffen, was die Unendlichkeit faßt? Oder gibt es noch irgendeinen anderen Gott, der das, was ihr ,böse‘ und ,schlecht‘ nennt, zwischen das von deinem guten Gott Erschaffene gemengt hat? Oder hat der eine gute Gott aus Sich heraus wohl Gutes und Böses erschaffen können?“
05. Spricht Johannes: „Im Anfang alles Werdens und Seins war das Wort, das Wort war bei Gott, Gott war das Wort, und alle Dinge sind durch dasselbe gemacht. Dies Wort ist dann auch Selbst Fleisch geworden und hat unter dem geschaffenen Fleische Wohnung genommen; aber die Finsternis der Welt hat es nicht erkannt.
06. Der Herr Selbst kam, alles neu zu schaffen, zu den Seinen in Sein Eigentum. Aber diese Seinen erkannten nicht das Licht, die Weisen der Welt nicht das ewige Wort und die Kinder nicht ihren ewigen heiligen Vater. Denn du ganz allein hieltest aller Welt Sinne gefangen, auf daß sie Den ja nicht erkennte, der da von Ewigkeit war, ist und ewig sein wird alles in allem!
07. Da aber Gott allein Schöpfer aller Dinge ist und es außer Ihm keinen Gott irgendwo gibt, so ist auch klar, daß alles, was aus Seiner Hand hervorging, unmöglich anders als nur gut und vollkommen sein konnte.
08. Alle Geister gingen von Ihm aus so rein und gut, wie Er es Selbst ist. Aber Er gab den Geistern die vollste Freiheit des in sie gehauchten Willens, demzufolge sie alles tun konnten, was sie wollten. Und um sie den Gebrauch dieser Gaben zu lehren, gab Er mit dem freiesten Willen auch durch Ihn Selbst geheiligte Gesetze, die sie entweder beachten oder auch nicht beachten konnten.
09. Und siehe, alle beachteten die Gesetze bis auf einen! Dieser eine und erste, mit dem größten Erkenntnislichte begabt, verschmähte die Gesetze Gottes aus seinem freien Willen heraus und widerstrebte ihnen, nicht achtend der Folgen!
10. Dieser Geist verkehrte sonach in sich die göttliche Ordnung mittelst seines freien, ihm von Gott eingehauchten Willens. Auf diese Weise ist er gegenüber jenen Geistern, die ihren ebenso freien Willen nicht mißbraucht haben, widerordentlich geworden und für sich selbst böse und schlecht. Und er mußte sich dann, durch sich selbst genötigt, von der Gesellschaft entfernen auf so lange, bis er nicht freiwillig umkehren und eintreten wird in jene Ordnung die der Herr allen Geistern gleich gegeben hat, nämlich die Ordnung der Liebe.
11. Gott und uns allen nun rein himmlischen Geistern gegenüber aber kannst du als der widerordentlich gewordene Geist unmöglich böse sein, da du uns ewig nie schaden kannst. Böse und schlecht bist du nur gegen dich selbst, weil du ganz allein nur dir schadest, solange du in deiner Widerordnung verharrst.
12. Du hast mich nun fangen wollen. Denn du meintest, ich werde genötigt sein zu sagen, daß Gott auch Böses erschaffen habe, weil du als ein böser Geist auch ein Geschöpf Gottes bist. Aber wo du hindenkst, bin ich schon um eine Ewigkeit voraus und kenne schon zu gut alle deine kniffliche Weisheit! Daher rate ich dir auch ernstlich: behalte deine künftigen, noch allfälligen Fragen, so sie auf meinen Fang gezielt sein sollten, denn mit mir wirst du ewig keine Wette gewinnen!
13. Ich sehe es deinen Schalksaugen an, daß du mir am Ende deiner Fragen sehr gerne bewiesen hättest, daß wir im Ernste von Gott die unreinsten und Seiner unwürdigsten Begriffe hätten. Dies, da wir bei unseren Erkenntnissen am Ende doch selbst bekennen müßten: es gäbe entweder zwei Götter – einen guten und einen bösen –, oder der eine Gott sei ein Zwitter und somit ein Pfuscher Seiner Werke. Aber siehe, dem ist nicht also, sondern gerade, wie ich es dir nun gezeigt habe.
14. Wohl aber wäre Gott dann unvollkommen, so Er den geschaffenen Geistern nur einen gerichteten und keinen vollkommen freiesten Willen hätte einhauchen können. Davon lieferst aber du selbst den allermächtigsten Gegenbeweis! Denn wie ungeheuer frei und vollkommen Gott alle Geister und damit auch dich erschaffen hat, ist eben daraus am hellsten zu ersehen, daß du, obschon kreuz und quer dem Außen nach gerichtet, dich doch dem Schöpfer schnurgerade entgegenstemmen kannst, solange du nur willst. Du kannst aber auch ebensogut wie wir alle vollkommen frei nach dem Willen des Herrn handeln!
15. Ich sage dir, im ganzen Himmel gibt es keinen Geist, der einen größeren Beweis für die unbegrenzteste Vollkommenheit Gottes geben könnte, als gerade du! Du bist sozusagen das größte Meisterwerk des Herrn und kannst daher auch dem Herrn gegenüber kein Pfuschwerk sein.
16. Daraus aber muß nun auch klar sein, daß du mich mit deiner Verkehrtheit nie fangen wirst; denn was du weißt, das weiß ich schon lange! Und das ist wieder ein neuer Beweis für die endlose Vollkommenheit Gottes, daß ich – als ein aus deinem Wesen gelöster Geist – dir in all deinem Wollen auf das mächtigste widerstehen kann!
17. Was sagst du nun? Hast du etwa für mich noch einige Fangfragen in Bereitschaft? Nur heraus mit ihnen, ich werde dir jede gehörig beantworten!“
18. Hier stutzt Satan gewaltig und kommt in große Verlegenheit; denn er findet nicht, was er nun dem mächtigen Johannes erwidern soll.
01. Da Satan nun mit keiner Frage mehr zum Vorscheine kommt und sein Gesicht mehr einen dumm-verdutzten als eigentlich bösen Charakter annimmt, spricht Johannes weiter:
02. (Johannes:) „Satan, nun, wie ist es denn? Hast du denn keine Fragen mehr? Ich wäre nun gerade von ganzem Herzen aufgelegt, dich mit Antworten förmlich einzugraben! Aber du schweigst, und ich muß daraus schließen, daß du mit deiner Weisheit ziemlich zu Ende bist und dein väterliches, von dir gewaltsam erzwungenes Erbe bis auf den letzten Heller vergeudet sein dürfte. Was meinst du in dieser Hinsicht?“
03. Spricht nach einer Weile sehr kreischend der Satan: „Da hat's noch lange Zeit! Glaube es mir, meine Weisheit ist noch gar sehr unendlich! Ich könnte dir noch eine unendliche Frage stellen; aber wie würdest du, endlicher Geist, sie mir je beantworten? Und so schweige ich lieber, da ich einsehe, daß das rein Unmögliche meiner Sättigung von dir auch unmöglich zu verlangen ist. Ein kleiner Tautropfen kann wohl einer Mücke Durst löschen, aber einer Zentralsonne wird er wohl schwerlich genügen! Du wirst wohl ungefähr verstehen, was ich mit dieser Parabel andeuten will?“
04. Spricht Johannes: „O ja, ohne viel Mühe und Kopfzerbrechen; aber ich entnehme daraus noch mehr, als du glauben dürftest! Ich ersehe daraus auch, daß du, so dir dein vermeintlicher Weisheitsfaden vollends ausgegangen ist, sogleich wieder zu deinem alten lügenhaften Hochmut Zuflucht nimmst und willst dich damit selbst befriedigen. Aber siehe, es tut sich so etwas nun doch nicht mehr.
05. Miß meinen und dann deinen Umfang, und du wirst dich leicht überzeugen, wie es nun mit unserer beiderseitigen Unendlichkeit steht! Ich meine, was sich mit Elle und Zirkel bemessen läßt, da ist die Unendlichkeit nicht gar zu weit her! Und so steht es auch mit deiner und meiner Unendlichkeit. Ich sage dir, wer sich für unendlich dünkt, der versteht nicht, was die Unendlichkeit ist. Oder er ist ganz und gar ein Narr und kann demnach um so weniger fassen, was die Unendlichkeit in jeder Beziehung ist.
06. Schau, schau, du hast ehedem von einer unendlichen Frage gefaselt! Würdest du mit ihr wohl je fertig werden? So aber deine Frage ewig kein Ende nähme, wann sollte dann die gleichfalls unendliche Antwort ihren Anfang nehmen? Das mußt du nun doch einsehen, daß solch hochtrabende Reden aus deinem Munde heraus nichts als die unsinnigsten Faseleien sind! Ober siehst du das wirklich nicht ein?“
07. Spricht Satan: „Ich sehe alles ein, so ich's will. Aber ich will manches geflissentlich nicht einsehen, und das bloß darum, weil es mir als einem Herrn der Herrlichkeit nicht beliebt! Verstehst du diese meine Sprache?“
08. Spricht Johannes: „O ja, das ist eine alte, uns allen nur zu bekannte Sprache. Aber diese Sprache hören wir nicht mehr an, sondern gebieten dir jetzt, diese Welt mit deiner Zentralwesenheit zu verlassen und dich im Namen des Herrn zur Erde auf den dir bestimmten Ort zu begeben! Wirst du dort ruhig sein, so soll dir kein weiteres Leid zukommen. Wirst du aber voll Unruhe und Bosheit sein, da wirst du dir es dann nur selbst zuzuschreiben haben, so dir der Herr die Schärfe Seines Zornes zum Verkosten geben wird!“
09. Spricht Satan: „Liebe Freunde, tut ihr mir nur das nicht an; denn vor der Erde graust mir nun wie vor einem ekelhaftesten Aase! Belasset mich hier! Ich verspreche euch, mich für ewig wie ein Stein ruhig zu verhalten; nur von hier treibt mich nicht!“
01. Spricht Johannes: „Höre, du sprichst, daß es dich vor der Erde ärger denn vor einem ekelhaftesten Aase graue! Das kommt mir ganz sonderbar vor! Bist du es doch, der mit seiner tiefsten Weisheit und großherrlichsten Meisterschaft die Erde so zugerichtet hat, wie sie nun bestellt ist! Wie kann es dich dann gar so ekeln vor deiner Weisheit Meisterwerke?
02. Siehe, ich habe durch die Gnade des Herrn auch schon so manchem Werkchen ein Dasein bereitet. Aber ich habe noch bei keinem irgendeinen Grund gefunden, mich desselben zu schämen oder gar einen Ekel vor ihm zu haben!
03. Derselbe Fall ist auch bei meinen zahllosen himmlischen Brüdern und Schwestern, und doch hat sich noch nie eines von uns gleich dir mit übergöttlicher Weisheit und Macht gebrüstet. Wir alle rühmen uns nie außer der Gnade des Herrn. Alle unsere Werke sind lieblich vor dem Herrn und herrlich in jeder Art und Weise, und wir haben die gerechteste Ursache, uns ihrer zu freuen! Wie kommt es hernach, daß dir deine hochweisen Machwerke ein Ekel sind?“
04. Spricht Satan: „Ist denn die Erde mein Werk? Steht es nicht geschrieben: ,Im Anfange schuf Gott Himmel und Erde?‘ Wie wäre denn dann die Erde mein Werk?“
05. Spricht Johannes: „Oho, wie wechselst denn du nun deine Rede? Sagtest du nicht wie oft schon, daß du nicht nur der eigentliche Schöpfer der Erde und der ganzen Unendlichkeit seist, sondern das alles wärst du im Grunde selbst!
06. So weiß ich mich auch gut zu erinnern jener großen Zeit der Zeiten der Erde, wo du dir die allerfrechste Freiheit nahmst: den Herrn, deinen Gott und Schöpfer, auf eines hohen Berges Spitze zu führen und da Ihm zu sagen: ,Siehe, das alles ist mein! Alle Reiche dieser Erde will ich dir geben, so du vor mir niederfällst und mich anbetest!‘ – So du aber da die Erde dein nanntest, wie ist sie denn hernach nun wieder ein Werk des Herrn? Sage, wann hast du gelogen: damals oder jetzt?“
07. Spricht Satan: „Ich bitte dich, beschäme mich nun nicht so gewaltig! Ich gestehe ja, daß ich damals und auch jetzt mehr oder weniger gelogen habe, weil es schon so in meiner Natur liegt! Ich gestehe auch, daß ich viel schuld daran bin, daß nun die Erde so ekelhaft aussieht. Aber verschone mich nun mit derlei Vorhaltungen und gib mir Ruhe! In Zukunft wirst du nie wieder Ursache haben, mit mir armem Teufel so zu grollen!“
08. Spricht Johannes: „Welche Garantie aber gibst du uns nun, daß wir dir glauben könnten?“
09. Spricht Satan: „Du weißt ja, daß es schon von altersher gelautet hat, daß in mir keine Wahrheit ist. Wenn aber also, womit könnte ich dir Garantie leisten? Dein Wille sei mein Gericht, so ich mein Wort breche! Das ist alles, was ich dir zur Sicherung meines Versprechens geben kann!“
10. Spricht Johannes: „Nicht mein, sondern des Herrn Wille sei dein Gericht, und so bleibe denn nach deiner Bitte!“
11. Hierauf beruft Johannes alle Anwesenden und spricht zu ihnen: „Brüder, ihr wißt, daß ein Kontrakt zwischen einem Redlichen und einem der Unredlichkeit Verdächtigen Zeugen benötigt, damit durch sie der Kontrakt volle Rechtskraft erhält. Ihr habt nun alles gehört und gesehen, was hier vorgefallen ist und geredet wurde und zu welchem Zweck. Des Zeugnisses halber seid ihr vom Herrn aus hierher mitgekommen, so wie Martin und ich des Wortes und der Schlichtung und auch des Zeugnisses wegen. Darum sollt ihr alle ein ewiges lebendiges Zeugnis verbleiben dessen, das ihr hier gesehen und gehört habt. Und euer Zeugnis soll wahr sein ewig vor dem Herrn und vor allen Seinen Himmeln und Kindern!“
12. Sprechen die Zeugen einmütig: „Ja, so wahr unser Leben ist ein Leben aus Gott!“
13. Spricht darauf Johannes zum Satan: „Unser Kontrakt ist nun durch ewig wahrhaftige Zeugen bekräftigt und sanktioniert; daher halte dein Versprechen! Wehe dir aber, dreimal Wehe, so du nach deiner alten Art dein Versprechen nicht halten wirst!“
14. Spricht Satan: „Wozu so viel Aufhebens? Zeige mir nur einen Platz an, und ich sage dir: komme nach Dezillionen Sonnenjahren und du wirst mich finden, wie du mich nun verlassen wirst!“
15. Spricht Johannes: „Gut, also sei es denn! Dort zwischen den zwei Bergen siehst du einen Rasen, ganz hoffnungsgrün. Dorthin begib dich, und ruhe im Namen des Herrn Jesu, des Gesalbten von Ewigkeit!“
16. Bei dem Namen ,Jesus‘ springt der Satan wie ein Blitz von dannen und nimmt unter einem starken Geheul den angezeigten Platz ein. Alle die Gesandten aber kehren nun wieder heim.
01. Die Heimreise geschieht ebenso schnell wie die ehemalige Hinreise, und so sind die ausgesandten Boten in einem Nu bei Mir, und zwar im Hause des Shonel.
02. Als sie da anlangen, eilen sie sogleich zu Mir hin voll Freuden, Liebe und Dank für die ihnen verliehene Kraft, Macht, Liebe und große Geduld.
03. Martin ist der erste, der nun vor brennendster Liebe vor Mir niederfällt und Mich über alle Maßen zu loben und preisen beginnt.
04. Ich aber erhebe ihn und sage zu ihm: „Mein geliebter Sohn und Bruder, du hast nun ein allerärgstes Geschäft gut ausgeführt und warst meinem Bruder Johannes ein überaus tauglicher Wegbereiter; so ist es recht, Mein Martin!
05. Du warst im Anfang wohl ein wenig zu hitzig und machtest einen etwas zu grellen Gebrauch von Meiner dir verliehenen Macht. Aber als dich Bruder Johannes ermahnte, da handeltest du dann völlig nach Meiner gerechtesten Ordnung und hast dich dabei so gut benommen, daß du mit Satan etwas Derartiges bewirkt hast, was bis jetzt noch keinem ganz ohne Gericht gelungen ist.
06. Denn fast alle Boten konnten bisher mit Satan nur durch ein schärfstes zeitweiliges Gericht etwas ausrichten; denn seiner Reden Schärfe konnten sie kein Gegengewicht halten! Aber du hast ihn durch deine Rede so zugerichtet, daß er sich dann in des Johannes Rede von selbst freiwillig gefangengeben mußte, – und das ist bisher noch nie vorgekommen! Er ist nun frei und ruht dennoch auf dem angewiesenen Platze, obschon er sich bewegen könnte, und das ist gut.
07. Freilich hat er noch viele Legionen, die in seinem Namen Arges wirken; die Erde wird es empfinden, – aber nur auf kurz! Dann aber wird die arge Quelle mehr und mehr versiegen und alles Arge wird dadurch erlahmen, wennschon nicht völlig ein Ende nehmen. Aber es wird dann auch das Ende alles Argen nicht mehr ferne sein!
08. Das Gericht über alles Arge aber wird sein unsere Liebe. Diese wird alles gefangennehmen, und nichts wird ihr widerstehen können ewig! Der Liebe Gericht aber wird ein festes, ewig unwandelbares sein. Aber es wird nicht drücken als eine schwerste Bürde, sondern nur gefangenhalten, was nicht frei werden wollte!
09. Bevor aber dieses Gericht seinen Anfang nehmen wird, wollen wir noch einmal Einlader zum großen Festmahle hinaussenden nach allen Sternenwelten. Wer immer da getroffen wird, soll hereinzukommen genötigt werden! Wohl denen, die sich den Einladungen nicht widersetzen werden; ihrer Freuden soll nimmer ein Ende werden!“
01. (Der Herr:) „Nun, Meine Kindlein, aber noch etwas anderes! Martin, Borem und Chorel, tretet näher zu Mir! Ihr habt euch nun durch alle schweren Prüfungen durchgewunden und seid siegreich aus so manchen starken und sehr hitzigen Kämpfen hervorgegangen. Dadurch habt ihr euch völlig tauglich gemacht für Mein Reich aller Himmel!
02. Ihr seid nun zu tüchtigen Arbeitern in Meinem Weinberg geworden, und so seid ihr auch eines gerechten Lohnes wert, der euch nun zuteil werden soll. Ich weiß es und lese klar in euren Herzen, daß Ich euer allergrößter Lohn bin und ihr für ewig nach keinem anderen Verlangen tragt. Aber eben diese Gestaltung eurer Herzen macht euch auch für den Empfang jedes anderen Lohnes wert und fähig.
03. Meine Ordnung zu eurer höchsten Vollendung aber will es, daß ihr in der Folge nicht außer, sondern in der Ehe der Himmel leben und wirken sollt. Daher muß auch ein jeder von euch, um vollkommen zu sein in allem, ein Weib haben, auf daß da erfeste für ewig seine Weisheit und aufnehme das Licht, das der Flamme der Liebe im eigenen Herzen entströmt!
04. Denn ein Weib ist wie ein Gefäß, aber ein geistiges Gefäß zur Aufnahme und Aufbewahrung des Lichtes aus euren Herzen. Zugleich aber ist das Weib eine Magd in der Lebensküche des Herzens und unterhält das heilige Lebensfeuer auf dem Herde, den Ich in euren Herzen erbaut habe. Und so müsset ihr euch nun auch jeder ein Weib nehmen und mit ihm völlig eins sein für ewig! Martin, Ich meine, das wird dir nicht unangenehm sein?“
05. Spricht Martin, vor Seligkeit ganz zerknirscht: „O Herr, Du kennst meine Natur am besten! Was Du mir geben wirst, wird mich endlos selig machen! Chanchah oder Gella, das ist mir gleich; oder wenn's tunlich wäre, so ein Sonnentöchterchen! Oh, das wäre schon über alles!“
06. Rede Ich: „Das steht nun bei dir; du bist frei und darfst sonach auch frei wählen!“
07. Spricht Martin: „O Herr, ganz allein Dein Wille geschehe!“
08. Rede Ich: „Nun, so nimm dir die nächste bei dir!“
09. Martin, voll Seligkeit sogleich sich umsehend, erschaut schon die Marelisael, die erste und schönste der drei Sonnentöchter, an seiner Seite. Er führt sie vor Mich hin und fragt: „Herr, ist das die Rechte?“
10. Ich sage: „Ja!“ und segne ihn für ewig, womit Martin vollendet ist.
11. Voll höchster Seligkeit küßt er sein Himmelsweib und erkennt nun, daß dadurch seine Liebe sich mit der Weisheit für ewig vermählt hat. Beide loben und preisen Mich nun aus einem Herzen und einem Munde. Denn so wird aus dem getrennten Adam erst im Himmel wieder ein vollkommener Mensch, aber in gesonderter, persönlich seligster Wesenheit.
12. Nach Martin bekommt Borem die Surahil, die zweite der drei Sonnentöchter, und Chorel die Hanial, die dritte der drei, – und beide sind glücklich und selig über die Maßen!
13. Martin, sich vor Seligkeit und süßestem Wonnegefühl kaum fassend, spricht: „O Herr, Du bester, heiligster Vater! Hier möchte ich nun wohl auch, wie einst Petrus auf dem Tabor ausrufen: ,Hier ist gut sein!‘ Aber nur allein Dein Wille geschehe!“
14. Sage Ich: „Mein lieber, nun vollendeter Martin! Hast du auf der Erde das alte Sprichwort nie gehört: ,Wer die Liebe hat, der führt die Braut heim!‘ Siehe, das wird nun auch bei dir der Fall sein. Daher, da wir nun hier in diesem großen Hause alles geordnet haben, werden wir wieder heimziehen!
15. Der Weg aber, den wir gehen werden, soll diesen Meinen neuen Kindern auf dieser großen Lichterde fortan offen bleiben bis in dein und Mein Haus! Alle aber, die du aufgenommen hast in dein Haus, bleiben dein und Mein für ewig. Denn was Mein ist, das ist nun auch dein, und was dein ist, das ist auch Mein für ewig.
16. Also wirst du auch für ewig der Schutzengel dieses Hauses und seiner Gemeinde verbleiben in Mir, wie Ich in dir. Aber nicht nur die Gemeinde dieser Erde, sondern auch alle zwölf Tore deines Hauses werden dich in zahllose andere Erdengemeinden führen, wo du erst der Seligkeiten ohne Maß und Zahl finden wirst!
17. Nun noch ein Wort an die neuen Kinder dieser Erde! Das aber gehe aus deinem Munde!“
01. Martin dankt aus aller seiner Lebenstiefe für diesen Auftrag, wendet sich dann an Uhron und Shonel und spricht: „Liebe Freunde und Brüder, ihr habt nun mit euren Augen gesehen und mit euren Ohren gehört, was der Herr Selbst getan und geredet hat! Eure Bitte war aber – als ihr es begriffen habt, daß sie notwendiger ist denn der Dank –, daß der Herr und wir alle fortwährend in eurer Mitte verharren möchten. Der Herr hat diese Bitte wohlgefällig erhört und wird euch alles gewähren, was da eure große Liebe zu Ihm und uns wünscht. Aber es versteht sich von selbst: nur in und aus Seiner ewigen Ordnung heraus!
02. Wir werden zwar nicht in unserer Persönlichkeit hier verbleiben, wohl aber einen sicheren Weg eröffnen, auf dem ihr allzeit zu uns wie wir zu euch werden sichtlich gelangen können.
03. Verharret aber von nun an fort in der Lehre, die aus des Herrn Munde an euch erfloß, so wird der Weg von euch zu Ihm ein wunderkurzer sein. So ihr aber Seine Worte und Lehren mit der Weile weniger achtet als nun, wo ihr von des Herrn Wort ganz durchdrungen seid, da freilich würde dieser Weg ein stets längerer und mühevollerer werden, wovor euch aber der Herr Selbst und eure große Liebe zu Ihm bewahren wird!
04. Mein Haus und des Herrn Haus sind nicht zwei Häuser, sondern nur ein Haus; denn es ist ein Haus der Liebe! Ihr wißt, wo es steht, und so kommet denn allzeit in dies Haus zu uns! Da werdet ihr den Herrn stets in unsrer Mitte treffen als den ewig heiligen, besten Vater in der Mitte Seiner Kinder, die Ihn über alles lieben! Also sei es im Namen des Herrn!“
05. Spricht Uhron: „Gott dem Herrn alle unsere Liebe und euch durch Ihn; Sein Name werde geheiligt ewig!
06. Unsere lieben Töchter, vom Herrn und von uns euch gegeben, seien unser Herz in euch und unsere Zunge des tiefsten Dankes in eurem Munde. Soweit aber die Strahlen unserer Welt in die Unendlichkeit hinauslangen, so weit töne auch der Lobgesang, den wir allzeit dem Herrn und euch in Ihm darbringen werden in reinster Harmonie!
07. (Zu Mir, dem Herrn, sich wendend:) Und Du, o namenlos heiligster Vater, gedenke unser als Deiner neuen Kinder! Erhalte uns und alle unsere Nachkommen und unsere große Gemeinde in Deiner Gnade und Liebe ewig! Gedenke aber auch jener andern Gemeinden und Völker, die auf dieser großen Erde uns noch völlig unbekannte Länder und Gürtel bewohnen! Dein Wille tue ihnen wie uns nach Deiner Liebe und ewigen Weisheit!“
08. Sage darauf Ich: „Amen, sage Ich euch, Ich werde sie aus allen Gegenden Meiner endlosen Schöpfungen um Mich versammeln und geben jedem das Seine in der Fülle ewig! Meine Liebe, Meine Gnade und Erbarmung sei mit euch!“
01. In diesem Augenblicke erheben wir uns und sind auch sogleich im Hause Martins. Daselbst harren auch die bewußten hinterlassenen Badegäste ganz gereinigt unser, die vor uns sogleich auf ihre Angesichter niederfallen und Mich um Gnade und Erbarmung anflehen, die ihnen auch alsogleich zuteil wird im Vollmaße.
02. Darauf wird Martin mit allen seinen Gästen, Freunden und Brüdern von Mir zum ersten Male auf die Galerien seines Hauses geführt. Hier steht gegen Morgen hin ein Tor offen, von welchem aus ein herrlicher Weg in die heilige Stadt Gottes führt.
03. An diesem Tore kommen Martin auch alle anderen Apostel samt Maria, Joseph und David, Moses, Abraham, Noah, Henoch, Adam und Eva, nebst allen andern Patriarchen und Propheten entgegen und begrüßen ihn überaus freundlich als einen neuen Bürger Meiner Stadt.
04. Da erst werden Martin die Augen vollends geöffnet und seine wahre Seligkeit nimmt erst hier ihren vollsten Anfang.
05. Das ist aber auch das Ziel, wie weit Ich euch Meine Führung jenseits des Grabes an Bischof Martin zeigen wollte. Denn so Ich euch noch weiter führen wollte, würdet ihr die Sache schwer fassen, weil wir da wohl nie zu einem Ende kämen!
BISCHOF MARTIN - Die Entwicklung einer Seele im Jenseits.
Durch das Innere Wort empfangen von Jakob Lorber.
Nach der 3. Auflage. Lorber-Verlag – Hindenburgstraße 5 – D-74321 Bietigheim-Bissingen.
Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2000 by Lorber-Verlag, D-74321 Bietigheim-Bissingen.